Gerlach Peters [lateinisch: gerlacus petri] (1378 – 1411)
Niederländischer Mystiker, der ein
Mitglied der sogenannten »Devotio Moderna« war. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand diese religiöse Reformbewegung im Norden Niederlands. Sie strebte eine geistige Erneuerung fur jedermann an. Ihr Einfluss auf das religiöse Leben in Nordwest-Europa war beträchtlich. Ihr bekanntestes Mitglied war Thomas a Kempis. Gerlach Peters war ein Zeitgenosse und Kollege von Thomas Aquino. Gerlach Peters wird als der bedeutendste mystische Autor der »Devotio Moderna« angesehen.

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Mystische Liebesschau in der unwandelbaren Wahrheit des ewigen Lichts
Dank dir, du mein Licht, du ewiges Licht, du nie gemindertes Licht, du höchstes und unwandelbares Gut, vor dessen Angesicht ich stehe, dein armer und geringer Knecht.

Dank dir! Nun sehe ich; ich sehe das Licht, das da leuchtet in der Finsternis.

Und was siehst du in diesem Lichte?

Ich sehe, wie gewaltig du mich liebst; und daß, wenn ich in dir bleibe, es so unmöglich ist, dass du nicht zu aller Zeit, an allen Orten und in allen Fällen mir zugetan wärest, wie es unmöglich ist, daß ich dir je nicht zugetan wäre.

Und du gibst dich selber mir ganz, also daß du ganz und ungeteilt mein bist, solange ich ganz und ungeteilt dein bin. Und bin ich so ganz dein, dann hast du, wie du dich von Ewigkeit her geliebt hast, auch mich von Ewigkeit her geliebt; denn dies ist nichts anderes, als daß du dich selber in mir genießest, und daß ich aus deiner Gnade dich in mir genieße und mich in dir.

Und liebe ich mich so, dann liebe ich nichts anderes als dich, denn du bist in mir und ich in dir wie ein einiges Ding, das aus Einung geworden ist und in Ewigkeit nicht mehr geteilt werden kann. Und da jeder das Gute und die Kraft im Andern liebt, so ist dies nichts anderes, als daß du dich selber liebst.

Bleibe ich aber ganz und vollkommen in dir: wie du nicht zu Grunde gehen kannst, so kann ich nicht zu Grunde gehen.

Ein Armer im Geiste, vom Herrn gestärkt, sprach, von dem obern Teile seines Geistes redend, also:

Siehe, ich bin reich und habe Überfluß; denn ich habe schon das Ganze, was ich von diese Welt begehre; und eben dies, das ich habe, habe ich, als hätte ich es nicht; denn nicht mit Liebe besitze ich und könnte es auch entbehren, ohne daß ich etwas von mir selber verlöre.

Die höchste, bloße, unbildliche und unwandelbare Wahrheit selbst wohnt in dem obersten Teile meines Geistes und zeigt mir ihre unaussprechlichen Schätze, die keinem Dinge sich vergleichen lassen; das eine einfache Wort, in dem alles beschlossen ist und über das ich nicht anderes suche.

Da wird mir mein Nichts und meiner selbst, als meiner selbst, Nichtsein gezeigt; und alle Gebrechen, die das Gemüt nach irgendeiner Seite beugen könnten; und gezeigt wird mir auch das wahre Wesen aller Dinge.

Auch schaue ich nicht von unten die unteren Begebenheiten und Zufälle nach der wandelbaren Sinnlichkeit; sondern von oben schaue ich alles, und die Wahrheit ruft für mich mit furchtbarer Stimme auf alles Fremde, das mit ihr nicht eins ist, hinab: Nahet euch nicht, denn der Ort, wo er steht, ist heilig.

Und so zeigt sie mir oftmals ihr Angesicht, im Chore, auf dem Bette, am Tisch, in der Zelle, im äußeren Lärme, in der Arbeit und bei mancherlei Geschäften; und sie lehrt mich alle Dinge, die außen sind, innen zu vereinfachen und in ein innerliches und gefestigtes Schauen zu verwandeln.

Dies Angesicht aber ist so stark, daß es Herz und Leib machtvoll überwältigt, also daß nicht bloß die Grundfesten, sondern auch die Herzensschwellen des Gottestempels bewegt werden zu antworten, sich hinzugeben, getreu zu folgen, wohin es auch gehe, mit allen Kräften dem gezeigten Lichte nachzufolgen und ohne Unterlaß alles zu opfern, was ist und sein kann, samt allem Geschaffenen in der Zeit und in der Ewigkeit.

Und alsdann wäre es mir eine große Tröstung und Leichterung des Herzens, wenn ich mich auch mit dem Leibe unter alles Geschaffene beugen, niederdrücken, demütigen und hinwerfen könnte.

Und das Angesicht macht mich — als mich selber, den Gebrechlichen — fast zu nichts: es zeigt mir, daß alles, was sich in ihm nicht eint, nichts ist.
Und nachdem ich also entworden bin, nimmt es mein wollendes Schauen, drückt es seinem Schauen ein, vereint es ihm unmittelbar, daß meines und seines Ein helles Schauen werden, von keiner Seite zurückgewendet; und alles, was ist und werden kann, schaue ich nach meiner Art, in ihm und mit ihm, wie das Angesicht selber tut.

Daher bin ich meinetwegen unbesorgt, und getrost in allem, was über mich kommen mag. Und was über mich zu kommen Erlaubnis hat von der unwandelbaren Wahrheit und ewigen Bestimmungen meines Herrn — dem ich mein Leben und meinen Tod und alles, was ich bin und sein kann, in Zeit und Ewigkeit übergeben habe, nichts vermessentlich, vorempfindend, nichts nach dem Behagen erwählend —, dem gebe auch ich Erlebnis, über mich zu kommen.
S.193ff.
Aus: Sloterdijk (Hrsg.): Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker gesammelt von Martin Buber, Diederichs DG 100