Philolaos von Kroton (um 450 v.Chr.)

Griechischer Philosoph, der zu den
jüngeren Pythagoreern gerechnet wird und ein Zeitgenosse des Sokrates gewesen sein soll. Er gilt als der erste Pythagoreer, der die Schuldoktrin aufzeichnete. Schüler von Philölaos sollen Archytas von Tarent, Eurytos und Demokrit gewesen sein. Nach Diogenes Laertius soll Platon von ihm die Pythagoreischen Schriften gekauft haben, die er in seinem Dialog Timaios plagiatiert haben soll. Philolaos soll angeblich bei dem Streben nach einer Tyrannenherrschaft ermordet worden sein. Die folgende Fragmentesammlung wurde vom Altmeister Hermann Diels ins Deutsche übersetzt.

Siehe auch Wikipedia

Fragmente

Echte Fragmente über die Natur
Begrenzendes und Unbegrenztes
1. Die Natur aber ward in der Weltordnung aus grenzenlosen und grenzebildenden Stücken zusammengefügt, sowohl die Weltordnung als Ganzes wie alle in ihr vorhandenen Dinge.

2.
Notwendig müssen die vorhandenen Dinge alle entweder grenzebildend oder grenzenlos oder beides zugleich sein. Dagegen nur grenzenlos [oder nur grenzebildend] können sie wohl nicht sein. Da sie also offenbar weder aus lauter Grenzebildendem bestehen noch aus lauter Grenzenlosem, so ist doch klar, daß die Weltordnung und, was in ihr ist, aus grenzebildenden und grenzenlosen Stücken zusammengefügt wurde. Das beweist auch die Beobachtung in der Wirklichkeit. Denn diejenigen von den wirklichen Dingen, welche aus grenzebildenden Stücken bestehen, sind auch grenzebildend, aber die aus grenzebildenden und grenzenlosen sind sowohl grenzebildend wie grenzenlos, dagegen die aus grenzenlosen werden auch grenzenlos erscheinen.

3. Von vornherein wird es nicht einmal ein Objekt der Erkenntnis geben können, wenn alles grenzenlos wäre.

4. Und in der Tat hat ja alles was man erkennen kann Zahl. Denn es ist nicht möglich, irgend etwas mit dem Gedanken zu erfassen oder zu erkennen ohne diese.

Gerades und Ungerades und ihre Mischung
5. Die Zahl fürwahr hat zwei besondere Formen, Ungrades und Grades, und eine dritte aus beider Mischung entstandene, Grad-Ungrades. Jede der beiden Formen aber hat viele Gestalten, die jedes Ding selbst von sich aus anzeigt.

Über Harmonie
6. Mit Natur und Harmonie verhält es sich so: Das Wesen der Dinge, das ewig ist, und die Natur gar selbst erfordert göttliche und nicht menschliche Erkenntnis, wobei es freilich ganz unmöglich wäre, dass irgend etwas von den vorhandenen Dingen von uns auch nur erkannt würde, wenn nicht das Wesen der Dinge zugrunde läge, aus denen die Weltordnung zusammentrat, sowohl der grenzebildenden wie der grenzenlosen. Da aber diese Prinzipien (1 und 2) als ungleiche und unverwandte zugrunde lagen, so wäre es offenbar unmöglich gewesen, mit ihnen eine Weltordnung zu begründen, wenn nicht Harmonie dazu gekommen wäre, auf welche Weise diese auch immer zustande kam. Das Gleiche und Verwandte bedurfte ja durchaus nicht der Harmonie, dagegen muss das Ungleiche und Unverwandte und ungleich Geordnete notwendigerweise durch eine solche Harmonie zusammengeschlossen sein, durch die sie imstande sind, in einer Weltordnung niedergehalten zu werden. -

Der Harmonie (Oktave 1 :2) Größe umfasst die Quarte (3 : 4) und Quinte (2 :3) . Die Quinte ist aber um einen Ganzton (8 : 9) größer als die Quarte. Denn von der Hypate (E) bis zur Mese (A) ist eine Quarte, von der Mese zur Nete (E) eine Quinte, von der Nete zur Trite (H), später Paramese) eine Quarte, von der Trite (H) zur Hypate ( E) eine Quinte. Zwischen Trite (H) und Mese (A) liegt ein Ganzton. Die Quarte aber hat das Verhältnis 3 : 4, die Quinte 2 : 3, die Oktave 1 : 2. So besteht die Oktave aus fünf Ganztönen und zwei Halbtönen, die Quinte aus drei Ganztönen und einem Halbton, die Quarte aus zwei Ganztönen und einem Halbton.

7. Das zuerst zusammengefügte, das Eins, in der Mitte der Kugel heißt Herd (oder Hestia).

8. Eins (Einheit) ist aller Dinge Anfang (Urgrund)

9. Von Natur, nicht durch Satzung
(= von Menschen Gemachtes).

10. Harmonie ist des viel Gemischten Einigung und des verschieden Gesinnten Sinnesverbindung.

Die Kraft der Zehnzahl
11
. Man muss die Werke und das Wesen der Zahl nach der Kraft beurteilen, die in der Zehnzahl liegt. Denn sie ist groß, allvollendend, allwirkend und göttlichen und himmlischen sowie menschlichen Lebens Anfang und Führerin. Sie nimmt teil * * * Kraft auch der Zehnzahl. Ohne diese aber ist alles grenzenlos und undeutlich und unklar.

Denn erkenntnisspendend ist die Natur der Zahl und führend und lehrend für jeglichen in jeglichem, das ihm zweifelhaft oder unbekannt ist. Denn nichts von den Dingen wäre irgendwem klar, weder in ihrem Verhältnis zu sich noch zu einander, wenn die Zahl nicht wäre und ihr Wesen. Nun aber bringt diese innerhalb der Seele alle Dinge mit der Wahrnehmung in Einklang und macht sie dadurch erkennbar und einander entsprechend nach des [Zeigers] Natur, indem sie ihnen Leiblichkeit verleiht und die Verhältnisse der Dinge jegliches für sich scheidet, der grenzenlosen ebenso wie der grenzebildenden.

Du kannst aber nicht nur in den dämonischen und göttlichen Dingen die Natur der Zahl und ihre Kraft wirksam sehen, sondern auch überall in allen menschlichen Werken und Worten und auf dem Gebiet aller technischer Verrichtungen und auf dem der Musik.

Die Zahl lügt und täuscht nicht
Lug (Täuschung) aber nimmt gar nicht die Natur der Zahl und die Harmonie in sich auf. Denn er ist ihnen nicht eigen. Der Natur des Unbegrenzten und Unsinnigen und Unvernünftigen ist der Lug (die Täuschung) und der Neid eigen.

Lug (Täuschung) aber bläst auf keine Weise in die Zahl hinein. Denn als etwas Feindliches und Unversöhnliches steht der Lug ihrer Natur gegenüber, die Wahrheit aber ist etwas dem Geschlechte der Zahl Eigenes und Angeborenes.

12. Und zwar sind die Körper (Elemente) der Weltkugel fünf: die in der Kugel: Feuer, Wasser, Erde und Luft, und was der Kugel Lastschiff (?) ist, das fünfte.

13. Vier Prinzipien gibt es bei dem vernunftbegabten Geschöpfe: Gehirn, Herz, Nabel und Schamglied. Kopf (Gehirn) ist das Prinzip des Verstandes, Herz das der Seele und Empfindung, Nabel das des Anwurzelns und Emporwachsens des Embryo, Schamglied das der Samenentleerung und Zeugung. Das Gehirn aber [bezeichnet] das Prinzip des Menschen, das Herz das des Tieres, der Nabel das der Pflanze, das Schamglied das aller zusammen, denn alles blüht und wächst aus Samen heraus.

Der Körper ist der Kerker/Gefängnisr der Seele
14. Es bezeugen aber auch die alten Gotteskünder und Seher, dass infolge bestimmter (?) Strafanordnungen die Seele mit dem Körper zusammengejocht und wie in einem Grabe in ihm bestattet ist.

15. Gott hält alles wie in einem Gefängnis umschlossen und die Menschen sind nur ein Stück des Götterbesitzes.

16 . Daher haben wir gewisse Vorstellungen und Leidenschaften nicht in unserer Gewalt wie auch gewisse Handlungen, die auf solchen Vorstellungen und Überlegungen beruhen. Es gibt vielmehr, wie Ph. sagte, gewisse Gedanken, die stärker sind als wir.

Aus den Bakchen
17. (Bericht.) Der Kosmos ist einheitlich. Er fing an zu entstehen von der Mitte aus, und zwar von der Mitte in denselben Abständen nach oben wie nach unten. Denn was oben liegt von der Mitte aus verhält sich zu dem, was unten liegt, entgegengesetzt. Denn für die ganz unten liegenden Dinge bilden die in der Mitte liegenden das Oberste und das Übrige dem entsprechend. Denn im Verhältnis zum Mittelpunkt sind beide Richtungen gleich, nur umgedreht. .

18. (Zitat über die Sonne ausgefallen.)

19. Theologie in Gestalt von mathematischen Figuren lehrt Plato und das Pythagoreische <Heilige Wort> und Philolaos in den Bakchen.

Zweifelhaftes
20. Die Siebenzahl ist gleich der mutterlosen und jungfräulichen Nike
(siehe auch Parmenides)... Denn sie ist der Führer und Herrscher aller Dinge, Gott, einig, ewig, beharrlich, unbeweglich, sich selbst gleich, verschieden von dem übrigen.

20a. Die Zweiheit ist Gemahlin des Kronos.


Unechtes
Der Kosmos
21. Darum bleibt (der Kosmos) auch unvergänglich und unbezwinglich die unendliche Ewigkeit hindurch. Denn weder wird sich eine andere von innen wirkende Ursache finden lassen, die stärker wäre als sie (die Weltseele?), noch eine von außen wirkende, welche ihn vernichten könnte. Vielmehr war dieser Kosmos von Ewigkeit her und wird bis in Ewigkeit bleiben, Einer, von Einem gelenkt, der ihm wesensverwandt, allmächtig und unübertrefflich ist. Auch hat der Kosmos als einzig, zusammenhängend und von der Natur durchweht und umgedreht den Anfang der Bewegung und Veränderung von Anfang an. Und zwar ist der eine Teil von ihm unveränderlich, der andere ist in Veränderung. Und zwar wird ihr unveränderlicher Teil von der das All umschließenden Seele bis zum Monde abgegrenzt, der veränderliche vom Monde bis zur Erde. Da nun auch das Bewegende von Ewigkeit zu Ewigkeit die Umdrehung bewirkt und das Bewegte so, wie das Bewegende führt, bestimmt wird, so muss notwendigerweise das eine stets bewegend, das andere stets leidend sein und das eine der Aufenthaltsort (?) der Vernunft und Seele, das andere der Entstehung und Veränderung, das eine der Bedeutung (Potenz) nach primär und überragend, das andere sekundär und überragt. Was aus diesen beiden Prinzipien, dem stets laufenden Göttlichen und dem ewig sich verändernden Sterblichen, besteht, das ist der Kosmos.

Darum sagte er, es sei richtig, dass der Kosmos eine ewige Betätigung Gottes und der Kreatur sei, indem die veränderliche Natur ihm (dem Gotte) Gefolgschaft leiste. Und dieser bleibt einer bis in Ewigkeit in ein und derselben Verfassung, die Kreaturen aber entstehen und vergehen in Fülle. Und diese, obwohl der Vergänglichkeit unterworfen, bewahren doch ihre Eigentümlichkeiten und Gestalten und bringen auf dem Wege der Zeugung wiederum dieselbe Gestalt hervor wie sie der Vater und Demiurg geschaffen, [jener aber ...

Über Rhythmen und Maße
22.
Die Seele fügt sich dem Körper ein durch die Zahl und die unsterbliche und zugleich unkörperliche Harmonie ... Die Seele liebt den Körper, weil sie ohne ihn die Sinne nicht benutzen kann. Wenn der Tod sie von ihm getrennt hat, führt sie ein körperloses Dasein in der Welt.

23. Die Zahl ist das herrschende und unerschaffene Band des ewigen Beharrens der innerweltlichen Dinge.

Herman Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Rowohlts Klassiker der Literatur und Wissenschaft, RK 10, (S. 76 – 80)