Josef Pieper (1904 - 1997)

Deutscher Philosoph, der von 1946 - 1976 Professor in Münster war und Schriften zur Aktualisierung der griechischen Philosophie und zur katholischen Tugendlehre verfasste, wobei er sich insbesondere mit Positionen der thomistischen Ethik auseinandersetzte..


Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Irdische Kontemplation
»Ewiges Leben«

Irdische Kontemplation
Dass die endgültige Stillung durch den Trank Glückseligkeit auf der anderen Seite des Todes in der Weise des Schauens geschieht, geschehen wird, das ist eine in der großen Überlieferung selbstverständliche und unantastbare Wahrheit. Immer aber ist diese von der letzten Vollendung redende eschatologische Aussage so verstanden worden, dass damit auch über den hiesigen, irdischen Menschen etwas gesagt sei. Gesagt ist folgendes: Auch der leibhaft existierende, geschichtliche Mensch sei ein letzten Grundes auf Schauen angelegtes und nach Schauen verlangendes Wesen, und dies so sehr, dass menschliches Glück genau ebensoweit reiche wie die Kontemplation.

Das ist, so scheint es auf den ersten Blick, eine von den Bahnen des gegenwärtigen Denkens über den Menschen so weit abliegende Auskunft, dass sie schon fast als Absurdität erscheint. Mit dieser scheinbaren Absurdität haben wir es hier zu tun. Es ist darin mehreres mitgedacht und vorausgesetzt, das nicht ohne weiteres zutage liegt.

Zum Beispiel und vor allem ist vorausgesetzt, daß nicht allein der
Akt des jenseitigen Schauens eine hiesige Vorform, eine inchoative, beginnhafte Vorausgestalt habe, daß vielmehr auch der Gegenstand, der göttliche Trank Glückseligkeit, uns in der irdischen Kontemplation irgendwie — und sei es noch so unvollkommen — müsse zuteil werden können. Weil die Welt Schöpfung ist, creatura, darum ist Gott anwesend in der Welt. Der »außerweltliche Gott«, das ist nicht eine christliche, sondern eine aufklärerische Vorstellung. Weil also Gott nicht »aus der Welt« ist, darum kann er dem auf die Tiefe der Dinge gerichteten Blick wahrhaft vor die Augen kommen. Beglückend freilich, glücklich machend wird das Sehen erst durch die Liebe. Das ist eine völlig unromantische, rein diagnostische Feststellung. Nur das Anschauen dessen, was man liebt, macht glücklich, und eben dies gehört mit zum Begriff der Kontemplation [»geistiges Versenken in Gott«], dass sie ein aus der liebenden, bejahenden Zuwendung entfachtes Anschauen sei, so dass nun mit einigem Anspruch auf begriffliche Vollständigkeit die volle unabgeschwächte Bedeutung von Kontemplation formulierbar geworden ist. Wenn sich unsere Bejahungskraft, unsere Liebe also, auf die unendliche, die göttliche Stillung richtet, die alles Wirkliche von seinem Grunde her durchströmt, und wenn dieses Geliebte sich dem Blick der Seele zeigt, in einem völlig unmittelbaren, ganz und gar ruhigen Ansichtigwerden, und sei es für nicht länger als die Dauer eines Blitzes, dann und nur dann geschieht im uneingeschränkten Sinn Kontemplation.

Vielleicht aber ist es wichtiger, das andere zu sagen: immer dann geschieht Kontemplation! Das nämlich scheint mir das besonders Bedenkenswerte an der alten Lehre von der Kontemplation zu sein, dass dies beglückende Gewahrwerden der göttlichen Stillung sich an schlechterdings allem entzünden kann, was begegnet, auch an dem nichtigsten Anlaß. Kontemplation ist keineswegs gebunden an die Voraussetzung von Kreuzgang und Klosterzelle. Das Entscheidende der Kontemplation kann realisiert sein, ohne dass auch nur der Name bekannt zu sein braucht, so dass Kontemplation wahrscheinlich weit häufiger geschieht, als es zu dem Bilde passt, das man sich durchweg vom modernen Menschen zurechtgemacht hat.

Aus: Josef Pieper . Lesebuch, S.163f. (in Über die Schwierigkeiten, heute zu glauben)
Vorwort von Hans Urs von Balthasar
© 1981 by Kösel-Verlag GmbH & Co., München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Kösel-Verlages

»Ewiges Leben«
Drei Sätze über die Glückseligkeit

— Erstens: Glückseligkeit heißt Vollendung. Es gehört zum Begriff der Glückseligkeit als des äußersten Glückes, dass»nichts zu wünschen übrigbleibt«, dass also, wer immer glückselig ist, das letzte Ziel erreicht hat. »In der vollkommenen Glückseligkeit vollendet sich der ganze Mensch.«

— Zweitens: Vollendung heißt Verwirklichung. Der Mensch erreicht Vollendung, indem der Entwurf, der er selber ist, realisiert und »aus-verwirklicht« wird. Wenn also Glückseligkeit soviel bedeutet wie Vollendung, dann gilt: »Die Glückseligkeit muß in dem äußersten Wirklichsein des Menschen bestehen.«

— Drittens: Verwirklichung geschieht durch Wirken. Damit ist jetzt nicht gemeint, nur durch Tun und Machen werde etwas zustandegebracht. Der Sinn ist vielmehr dieser: »Wirken ist die letzte Verwirklichung dessen, der wirkt«; das heißt: nur indem der Mensch wirkt, verwirklicht er sich selbst.

Natürlich existiert er schon, bevor er wirkt; ohne das vermöchte er gar nicht zu wirken. Das ist selbstverständlich. Es gibt aber eine über das bloß faktische Da-sein hinausdringende Selbstverwirklichung, in der die lebendigen Wesen ein intensiveres und »wirklicheres« Wirklichsein gewinnen: indem sie wirken. Es sollte dem Deutschen, dessen Muttersprache das Seiende als »das Wirkliche« bezeichnet, nicht schwer fallen, diesen Gedanken vom dynamischen Charakter des Seins zu vollziehen. — Die Glückseligkeit also muss gedacht werden als ein Wirken, das alle Seinsmöglichkelten des Menschen zu äußerster Verwirklichung entfacht.

Dies sei, so sagt Thomas, auch der Sinn des Wortes, mit dem die heiligen Bücher vor allem die Glückseligkeit benennen: Ewiges Leben. Der Name meint nicht einfachhin unbeendliches Lebendigsein, sondern höchste Steigerung des Lebendigseins in einem vollkommenen
»Lebens-Tun« [— während die Verkehrung des Tuns in sein Gegenteil zugleich Minderung des Lebens bedeutet — und also mit Fug passio heißt, in beiderlei Sinn: »Passivität« und »Leiden«, dessen letzte und endgültige Gestalt der Tod ist].

Aus: Josef Pieper . Lesebuch, S.259f. (in Glück und Kontemplation)
Vorwort von Hans Urs von Balthasar
© 1981 by Kösel-Verlag GmbH & Co., München
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Kösel-Verlages