Râmmohan Rây (1772 – 1833)

  Bengalischer Brahmane, dessen englischer Name Ram Mohan Roy war und der von vielen als Vater des modernen Indiens angesehen wird. Rây glaubte, dass die ursprüngliche, echte Lehre des Veda im Laufe der Zeit entstellt worden sei. Um diese wiederherzustellen, gründete er den »Brâhma Samâj«, eine Gesellschaft, die - die allen Glaubensformen gemeinsame - bilderlose monotheistische Urreligion wiederherstellen wollte (siehe auch Dayânand Sarasvatî).

Siehe auch Wikipedia

Man soll das Denken einzig auf Gott lenken
Seid ihr sicher, daß die Tage alle euch in Glück verstreichen,
Und daß Leben, Jugend, Reichtum, Ehre bleiben stets die gleichen?
Unterm Baum der Hoffnung heute Sitzt ihr voller Glück und Freude
Und das Glück im Schoße tragend, meint ihr, es wird nie entweichen.
Höret denn, was ich euch sage:
Dunkel ist der Schluß der Tage,
Und ist euch das Glück entschwunden, dann wird euch das Leid beschleichen.
Drum, so lang euch bleibt das Leben, Sollt auf Gott in stetem Streben
Ihr das Denken einzig lenken, reine Wonne zu erreichen.

Gegen die Bilderverehrung
Das erste Argument, das für die Bilderverehrung angeführt wird, ist folgendes: das höchste Wesen steht jenseits aller menschlichen Erkenntnisfähigkeit und kann mit Worten nicht beschrieben werden. Daher besteht die Notwendigkeit, die Gottheit so zu verehren, als ob sie mit einer Gestalt und anderen Arttributen versehen wäre.

Die einfache Antwort darauf lautet: Gesetzt, ein Mensch wäre als Kind, bevor er noch irgend etwas von seinem Vater wußte, geraubt oder aus anderen Ursachen von seiner Heimat getrennt worden, würde es dann für ihn richtig sein, wenn er ein Mann geworden ist, irgendeinen Gegenstand, den er vor sich hat, als seinen Vater zu bezeichnen? Sollte er dann nicht besser bei Beobachtung einer religiösen Zeremonie oder bei einem Gebet für seinen Vater sagen: »Friede sei über den, der mich erzeugt hat«? In derselben Weise sollten wir auch das göttliche Wesen, mag es uns auch unbegreiflich sein, als Schöpfer und Erhalter der Welt anreden, nicht aber ihm erfundene Attribute und einen erdichteten Namen beilegen.

Die Natur und die Eigenschaften vieler Gegenstände der Schöpfung, wie der Sonne und des Mondes, sind uns nicht vollständig bekannt, wie können wir also das Wesen des Schöpfers erfassen? Wenn wir aber die Dinge um uns und die Gesetze, die das Universum regieren, beobachten, dann kommt uns die göttliche Allmacht, die göttliche Fügung zum Bewußtsein, und wir können uns Gott in diesem Bewußtsein nahen. Unser gesunder Menschenverstand sagt uns, daß der Schöpfer mächtiger ist als seine Schöpfung und daß ein geschaffenes Ding, da es nur einen Teil der Welt darstellt, nicht der Herr sein kann. Die Anwälte des Bilderkults betonen, daß die Verehrung einer unsichtbaren Kraft unmöglich sei. Diese Behauptung ist sehr seltsam, denn jeder kann feststellen, daß manche Inder und die Bewohner anderer Länder es doch für möglich halten, zu einer unsichtbaren Gottheit zu beten.

Das zweite Argument, das angeführt wird, ist folgendes: es ist eines Frommen nicht würdig, die Bräuche der Vorfahren aufzugeben und sie zu mißachten.
Darauf ist zu entgegnen: Viele Leute gehen in der Liebe zu ihren Vorfahren zu weit. Nur die niederen Tiere folgen dem ausgetretenen Weg ihres Stammes. Wie kann ein Mensch mit einem Gefühl für Recht und Unrecht sein Verhalten allein damit rechtfertigen, daß seine Vorfahren einen bestimmten Weg einschlugen?

Blinder Glaube an eine Autorität verträgt sich nicht mit dem Fortschritt. Wir sehen zudem, daß, ungeachtet dieser Behauptung, unsere Landsleute in früheren Zeiten alten Bräuchen nie diese absolute Autorität beigemessen haben. Manche Hindus, die als Vishnu-Verehrer geboren wurden, haben ihren Glauben gewechselt und sind Shaktas geworden, und ebenso haben Shaktas den vishnuitischen Glauben angenommen. In den letzten Jahrhunderten haben sich in Bengalen viele Leute den Vorschriften des Raghunandana (eines orthodoxen Theologen um 1500 n. Chr.) über die auszuführenden religiösen Riten angeschlossen. In dieser Hinsicht sind also tiefgreifende Abweichungen von den Vorstellungen und Praktiken der Altvorderen festzustellen.

Wir lesen in den Geschichtsbüchern, daß die fünf Brahmanen, welche (von dem König Âdisura um 1100 n. Chr. zur Reformierung des Kultus berufen) nach Bengalen kamen, an ihren Füßen Socken trugen, bestimmte Röcke anhatten und in Ochsenwagen fuhren. Derartige Sitten werden heute von den Brahmanen als frevelhaft angesehen. In alten Zeiten würde ein Brahmane nie einen Dienst bei einem Ausländer angenommen noch eine Sprache außer dem Sanskrit erlernt haben; es war ihm auch verboten, das Sanskrit einen Nicht-Hindu zu lehren. Heute tun die Brahmanen das alles. Es ist also evident, daß wir die alten Sitten und Gebräuche nicht gerade mit großem Eifer bewahrt haben. Warum sollen wir uns also durch alte Vorurteile in Glaubensdingen leiten lassen, wo es sich doch um das Heil unserer Seelen und unser Schicksal nach dem Tode handelt.

Als drittes Argument wird angeführt, daß ein Mensch durch die Erkenntnis des Absoluten für das praktische Leben ungeeignet werde.

Das widerlegt sich dadurch, daß auch die Weisen der Vergangenheit wie Nârada, Vyasa, Kapila, die eine Erkenntnis des absoluten, unsichtbaren Brahma besaßen, in weltlichen Dingen genau so praktisch handelten wie andere Leute.

Einige meinen nun: Ist es richtig, die Anschauungen der großen Mehrheit der Hindus, die für den Bilderkult sind, aufzugeben und statt dessen den Lehren von einem oder mehreren Neuerem zu folgen?

Das beruht auf einem offensichtlichen Irrtum, denn Indien ist nicht die Welt, sondern nur ein kleiner Teil von dieser, und in Indien herrscht nur in einem Teil der Glaube an Idole. Sieht man von dem eigentlichen Hindugebiet ab, so zeigt sich, daß mehr als die Hälfte der Bewohner der Erde an ein u n s i c h t b a r e s höheres Wesen glaubt, eine Ansicht, die ja auch von manchen Hindus wie Nâmak, Dâdu vertreten worden ist. S.264ff.
Aus: Indische Geisteswelt. Eine Auswahl von Texten in deutscher Übersetzung. Eingeleitet und herausgegeben von Helmuth von Glasenapp. Band I Glaube und Weisheit der Hindus. Holle Verlag . Baden-Baden