(Adrian) Ludwig Richter (1803 – 1884)

  Deutscher Maler, Zeichner und Graphiker aus Dresden, dessen eigentliche Bedeutung nicht so sehr in seinem malerischen, sondern mehr in seinem graphischen Werk liegt. Nach einem dreijährigen Studienaufenthalt in Rom (1823-26), war er von 1828-35 als Zeichenlehrer an der Porzellanmanufaktur in Meißen und von 1836-77 als Akademieprofessor in Dresden tätig. In vielen Buchillustrationen und frei komponierten Sammelwerken schuf er eine das Gemüt ansprechende biedermeierliche Bildwelt, die auch heute noch volkstümlich ist. Seine zarten Aquarelle sind in ihrer Art wohl unübertroffen. Nachstehende Texte sind seinen Tagebuchaufzeichnungen entnommen, die erstmals 1895 u. a. in (seinen) »Lebenserinnerungen eines deutschen Malers« veröffentlicht worden sind.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
 

Aus Ludwig Richters Tagebuch-Aufzeichnungen

Gute Vorsätze
Das jüngste Gericht« in der Sixtinischen Kapelle
Bibeltrost
Natur – eine lebendige Hieroglyphe von Gottes Gesetzen
Schönheit – der Abglanz des göttlichen Geistes
Die Kraft des Christentums
Noch einmal Durchleben
 

Gute Vorsätze
Rom, Sonnabend den 13. November 1824
… Die Gedanken und Vorsätze, welche meine Seele beschäftigen, sind in der Kürze ungefähr diese:

Immer nach alter, deutscher Weise streng rechtschaffen zu leben und rein zu bleiben im Handel und Wandel; dabei fromm, ein Christ, wie er sein soll nach dem Sinne Jesu; denn Religion, Glaube und Liebe allein führen zur Wahrheit und zur Glückseligkeit; nicht der äußeren, die kann doch nicht beständig und echt sein, aber zur inneren, dies ist Seelenfriede. Glaube und Liebe können alles bewirken, können Wunder tun, denn sie sind überirdische Gotteskräfte. Der Glaube kann Berge versetzen, sagt Christus: ich meine, man kann das fast buchstäblich nehmen. Die Wunder, welche Jesus und die Apostel wirkten, geschahen sie nicht aus der Kraft und Macht des Glaubens? Von einfältigen, aber weisen und frommen Menschen hat man oft schon wunderbare Dinge gesehen und gehört. Bei solchen Menschen ist auch der Glaube fest wie Felsen. Kluge Leute sind zu klug, um recht zu glauben, recht zu lieben; das zeigt ja oft die Erfahrung. Alle Worte Jesu sind unendlich tief, ewig wahr, und enthüllen die menschliche Natur und die Kraft Gottes am herrlichsten; darauf ist festes Bauen, daran trügt keine Silbe; Er ist die ewige Wahrheit selbst; ich habe eine unbändige Sehnsucht, die Bibel zu lesen, kann sie aber nicht sogleich bekommen.

Ich will künftig immer arm und einfach leben, ich mag müssen oder nicht; soviel werde ich durch Malen, Zeichnen und Radieren bei anhaltendem Fleiß und Geschicklichkeit immer verdienen, um leben zu können. In der Natur und meiner Kunst will ich meine höchsten Freuden suchen und werde sie da finden; denn sie stammen von Gott, sind unergründlich reich, ewig wechselnd und doch immer dieselben, treu und wahr, wie alle Werke Gottes.

In der Kunst soll Tiefe und Einfachheit mein Bestreben sein. Diese Worte sind leicht ausgesprochen, aber ich fühle jetzt mehr dabei als sonst, um aber die Natur mit tiefster Empfindung und den Gegenstand mit erschöpfendem Geiste zu fassen und mein Gemüt dadurch auszudrücken, treibt mich mein Sehnen und Verlangen nach deutschen, insbesondere nach den heimisch vertrauten Gegenden, weil ich doch diese nur recht kenne, recht tief empfunden und gefühlt habe. Es wird doch Seelen geben, die das Gute in solchen gemütlichen, gedankenvollen, aber kunst- und schmucklosen Arbeiten erkennen, schätzen und wohl auch einst ans Licht ziehen werden, wenn auch Tausende darüber witzeln und spotten. Ich arbeite ja nicht, um reich zu werden, und Weniges erwirbt man immer.
S. 414f.

Rom, am neuen Jahrestage 1825
Mit Gott habe ich den ersten Tag begonnen. Der Allmächtige möge mich leiten nach seiner Weisheit; denn was kann und was ist der Mensch ohne ihn! Mir ist um Mitternacht ein neu Gestirn aufgegangen, es leuchtet und wärmt zum Leben, und ich fange nun erst an zu leben, nämlich im Glauben und der Wahrheit.

Heiliger Gott, gib mir Kraft, dass ich das Ziel erlange!

Ich habe noch kein Jahr mit diesem Ernst angefangen; es soll kräftiger fortgesetzt werden; mit unablässigem Fleiß will ich nach der Wahrheit streben, ernst, gediegen, kräftig.
S.428

9. Oktober 1869
Meine Aufgabe ist jetzt allein mich innerlich zu sammeln. In meinem religiösen Leben erkenne ich, dass, wenn es wahres Leben wieder werden soll, ich zu den einfachen Anschauungsweisen der ersten Zeit zurückkehren muss. Es hatte sich meiner, statt des kindlichen Hinzunahens zu Gott und Christo ein stetes Reflektieren, selbst im Gebete, eingestellt, wobei alle Unmittelbarkeit des Verkehrs mit dem Höchsten verloren ging, und Bitte wie Gabe geschwächt und krüppelhaft aufstieg und herabkam. Solch ein Verhältnis ist unkräftig, kühl, lahm, macht nicht satt noch froh, bringt nur Treibhausfrucht. Ja es ist eigentlich gar nicht das einfach menschliche, nicht das natürliche Verhältnis; es muss wieder ohne Klügelei, rein, einfältig werden, das Herz muss stehen, wie das Kind zu den Eltern, wie Braut zum Bräutigam in unmittelbarer Gemeinschaft, wie von Angesicht zu Angesicht, wie Herz zu Herz, nicht Vermittelung durch bloßes Denken und Reflektieren. »Werdet wie die Kinder!«
S. 445

»Das jüngste Gericht« in der Sixtinischen Kapelle
Rom, Sonntag den 14.November 1824
… Vormittag ging ich mit Thiele, Hein und Freund in die Sixtinische Kapelle, wo ich das jüngste Gericht zum ersten Male sah. Ich kann die Empfindungen nicht beschreiben, die mich überwältigten. Das Bild schildert würdig den ernsten Tag des göttlichen Gerichts. Dieser Reichtum von bedeutenden, poetischen Motiven, diese Riesenphantasie überfliegt alle Vorstellung. Unten die Auferstehung der Toten, der Kampf der Engel und Dämonen um die Seelen; Auffahren der Seelen. Christus der Zürnende ist von der fürbittenden Mutter und allen Heiligen und Patriarchen umgeben. Chor der Engel mit Christi Marterwerkzeugen. Der fürbittende Joseph. Sturz der Verdammten. Überfahrt Charons. Die Hölle; das sind ungefähr die Hauptgruppen des großen Bildes. Wie groß und bestimmt die Umrisse der einzelnen Figuren sind, sieht man an einigen untenstehenden. Wie groß und ernst alles gedacht, wie vortrefflich jede Gruppe motiviert ist, kann man nur selbst sehen. Wie bedeutend die Beleuchtung z. B. bei der Überfahrt des Charon, welcher sich in schauervollem Dunkel gegen die hellblitzende Luft abhebt! Es ist ein ungeheures Werk! Alle Fehler Angelos, die man ihm oft mit Recht zuschreibt, gehören mit zu seiner Größe und sind insofern keine Fehler. Die Propheten und Sibyllen und die Schöpfungsakte an der Decke, kann man sich nicht größer und erhabener dargestellt denken. Doch davon keine Worte; in meiner Brust leben ewig jene Göttergestalten und die Phantasien des großen Geistes.
S. 415f.

Bibeltrost
Rom, Sonntag 21. November 1824
Ich habe Luthers Bibelübersetzung mir angeschafft und las die Bibel zum ersten Male; denn in der Schule hatten wir nur einen ganz kurzen Auszug derselben Ich kann nicht sagen, was sie mir für Wonne gewährte und welche tiefe, göttliche Wahrheit ich in den Worten Jesu finde.
S. 417f.

Natur – eine lebendige Hieroglyphe von Gottes Gesetzen
Rom, Freitag 26. November 1824
Wenn ich bedenke, welchen großen Eindruck immer auf jeden gefühlvollen Menschen hervorbringt, wie Gott sich in ihr offenbart, wie sie seit Anbeginn in reizendem Wechsel sich immer gleich bleibt, den irrenden und schwankenden Menschen der einzige sichtbare Leitfaden, eine lebendige Hieroglyphe Gottes Gesetzen und heiligen Willen ist, worauf der Mensch immer zurückkommt und hingewiesen wird, wie Jesus selbst in ihrer Betrachtung sich stärkte und in ihren unwandelbaren Gesetzen den Willen des Vaters fand und deutete, und seine Gleichnisse aus ihr entnahm, wie er die Natur, also die sinnliche, körperliche Offenbarung des ewigen Geistes betrachtete, so muss ich sie doch as einen erhabenen Gegenstand für die Kunst ansehen, wenn sie nur groß, umfassend, geistig ergriffen und dargestellt wird.

Ich muss die Natur in solchen Momenten auffassen, wo sie mich und jeden Menschen am mächtigsten ergreift (z. B. Tages- und Jahreszeiten). Oft spricht sich der Sinn ihrer Erscheinung deutlich aus, aber nicht immer. Es gibt auch Momente und Gegenstände in der Natur, welche unser Gefühl wunderbar anregen, wo wir eine süße Sehnsucht empfinden nach unbekannten Wesen, nach dem ewigen Vaterlande vielleicht. Solche Empfindungen gleichen denen, welche durch die Töne einer schönen Musik oder durch einen wunderbaren, nächtlichen Traum erzeugt werden.

Soll dein Werk auf den Geist wirken, so muss es auch ungeschwächt aus dem Geiste hervorgehen, deshalb erfinde und arbeite nur mit recht tiefer Liebe und mit Glauben. Denn diese Kräfte des Geistes, wenn du sie recht mächtig in dir hast, werden mehr wirken als alle Technik und Theorie und alle Vorteile deines Kopfes und deiner Hand.

Das Ganze behandle recht groß und so einfach als möglich, und mit Hinweglassung alles Kleinlichen, Unnützen. Aber alle Motive, welche beitragen können, den dargestellten Gedanken oder die Empfindung deutlicher auszudrücken und zu bereichern, suche anzubringen.

Einfachheit Größe und Tiefe der Gedanken zeugen von deinem Geiste, der Reichtum der Motive von deiner Phantasie.
S. 419f.

Schönheit – der Abglanz des göttlichen Geistes
Rom, Abend des ersten Weihnachtstages 1824
Schönheit, der Abglanz des göttlichen Geistes, wird in jedem Gewande die reinen Gemüter mächtig ergreifen und sie veredeln, indem sie das Göttliche auch in sich fühlen; deshalb ist gar nicht nötig, ja sogar nicht recht möglich, dass ein echtes Kunstwerk eine Moral enthalte. Moral ist für den Körper, der noch in der Sünde lebt, Schönheit aber zur Erweckung des göttlichen Funkens in unserem Geiste, der, so oft übertäubt, nur schläft, und dieser reine Funke, das Göttliche im Menschen, bedarf der Moral nicht.

Jedes schöne, edle Gefühl, weil göttlichen Ursprungs, wird ewig sein, wie unser Geist, wenn es auch in diesem Leben durch trübe Einwirkung betäubender Widerwärtigkeiten verschwinden sollte, es wird in einem besseren Leben wieder erscheinen, heiliger und herrlicher noch, weil es von der drückenden Hülle befreit und gereinigt ist.

Wortgehalten wird in jenen Räumen
Jedem schönen, gläubigen Gefühl!
Wer es glaubt, dem ist das Heil’ge nah!
S. 427f.

Die Kraft des Christentums
1. August 1865
Man sagt, das Christentum hat sich überlebt, sei veraltet, habe seine Kraft verloren. Das ist ein Irrtum; es ist eine Kraft Gottes, und die wird nicht alt. Aber die Menschen stehen anders zum göttlichen Worte, sie haben sich unfähig gemacht, diese Kraft Gottes auf sich wirken zu lassen. Die Erlösung auf Golgatha ist ohne uns geschehen für alle, aber wirksam kann sie nicht ohne uns sein.
S. 443

Noch einmal Durchleben
Loschwitz, den 9. Oktober 1870
Weil ich dann und wann an meiner Biographie schreibe, also viel zurückdenke so überkommt mich oft das schmerzliche Gefühl, wie trotz des redlichen Strebens nach Reinheit des Lebens und Tüchtigkeit in der Kunst doch so wenig davon herausgekommen ist; überall irren aus Unwissenheit oder Schwachheit! Dann kommt der Gedanke: könnte ich doch das Leben nochmals mit jungen Kräften und jetziger Einsicht beginnen, dann würde ich mich vielleicht eines wahren Fortschrittes in Kunst und Leben erfreuen können.

Wie ich heut früh in den Wald ging, kamen mir diese Gedanken wieder, zugleich aber fiel mir ein: Solch’ »noch einmal Durchleben« und die gewonnene Erfahrung du Erkenntnis besser realisieren, ist mir ja im Christentum, in meinem Glauben an dasselbe vollständig verheißen, nur dass es nicht in diesem Leben, sondern in einem anderen Dasein mir zu Teil werden soll. Die Seele eignet sich in diesem Leben alles das an, was mit ihrer individuellen Eigenheit sympathisch ist, und bildet sich demnach aus; wie eine bestimmte Pflanze auch nur das aus ihrem Boden zieht und in sich verleiblicht, was sie ihren Eigenschaften noch bedarf; eine Aloe zieht andere Stoffe aus dem Boden als eine Rose, oder ein Kohlgewächs anderes als ein Apfelbaum.
S. 447
Aus: Ludwig Richter, Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Mit Anmerkungen herausgegeben von Erich Marx, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung Wiesbaden, Sammlung Dieterich Band 118