Peter Rosegger (1843 - 1918)
(eigentlich P. Rossegger, auch: P. K. = Petri Kettenfeier, Hans Malser)

  Österreichischer Schriftsteller, der seine steirische Heimat und ihre Menschen meisterhaft in einem volksnahen Prosastil auf den Punkt zu bringen wusste. Weniger bekannt ist, dass in dem »Waldbauernbub« ein fein- und scharfsinniger Geist steckte, der durchaus Tiefsinniges über Gott und die Welt aufdeckte. Vor Kritiksei sie unmittelbar deutlich ausgesprochen oder in blendend geschriebene Satire verpackt – scheute er nicht zurück.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
 

Inhaltsverzeichnis

Glaubensbekenntnis
Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde
Und an Jesum Christus, seinen eingebornen Sohn unsern Herrn.
Der empfangen ist vom heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau.
Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben.
Abgestiegen zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.
Aufgefahren gen Himmel, sitzet zur rechten Hand Gottes.
Von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.
Ich glaube an den heiligen Geist.
Eine allgemeine christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.
Ablass der Sünden.
Auferstehung des Fleisches.
Und ein ewiges Leben.
    Allerlei Menschliches
Ein Gespräch über Religion
Glossen über Schopenhauer

Die Maske der Lüge

Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde
Allmacht Gottes! Ja mit der ist es eine eigene Sache. Der Wurzenjosel auf der Bärenhöhe war ein loser Grübler, der sagte mir einmal: »Hörst du, Gott ist sehr mächtig, aber allmächtig ist er doch nicht, sonst hätte er zur Erschaffung des Himmels und der Erde nur eines Augenblicks bedurft; er hat aber sechs Tage dazu gebraucht und sich dabei noch so angestrengt, dass er am siebenten ruhen musste«.

Das kommt davon, wenn man Gottes Tagewerk nach dem Taschenkalender misst. Was gehen mich die sechs Tage an! Gott bedurfte zur Erschaffung der Welt eines Augenblicks und einer Ewigkeit. Denn die Welt ist immer fertig, und sie wird in jedem Augenblicke neu erschaffen. Jeder, der Zeit und Lust hast, kann dem lieben Gott beim Welterschaffen zusehen, er gehe nur hinaus auf die Au, in den Wald, an das Meer, in die Felsenwüste, er richte sein Auge nur nach dem Gebraue der Wolken auf, er fühle das leise Lüftchen oder den wilden Sturm. Oder er betrachte die Entwickelung seines Kindes, das Hinwelken seines Vaters, er nehme die Wandlungen wahr, die mit ihm selber vorgehen, ob er zu seinem Leben aufsteigt oder seiner Auflösung entgegensinkt – es ist die vor sich gehende Schöpfung. Wenn einst ein beständiger Frühling käme, die Blume immer Blume bliebe, die Frucht nie reifte, das Laub nie vom Baume fiele – wenn immer und immer dieser von Poeten jetzt so brünstig besungene, von allen so heiß geliebte Frühling bestünde, dann wäre es Zeit für die Menschen zu verzweifeln, denn dann wäre die Weltschöpfung vollendet, und Gott hätte sein Werk aus der Hand gelegt, wie ein Kind das Spielzeug, an dem es keine Freude mehr hat.

Und wenn das geschähe, dann etwa käme die Herrschaft des Zufalls. Und wenn der Zufall herrschte, dann sähe es anders aus als heute, dann würde unser astronomischer Kalender bald nicht mehr stimmen, die Sonne würde im Westen aufgehen oder im Norden, und die Sterne würden planlos umherirren im Himmelsraume, sich verlaufen, oder einander in Schanden stoßen. Auf Erden würden die Meere gegen Himmel gießen, und die Dünste in Flammen brennen. Das Blut in den Adern der Tiere würde stocken oder im Fieber die Gefäße sprengen, des Menschen Gehirn würde in grenzenloser Verwirrung Vorstellungen hegen, so unerhört und ungeheuerlich, wie sie noch kein Wahnsinniger gesehen.

Und alles das, weil der Herr sein Werk aus der Hand gelegt hat und sich nicht mehr drum kümmert.

Einmal bin ich gefragt worden, ob ich mich nicht manchmal gegen Gott, dessen Existenz ich glaube, ein heiliger Zorn erfasse, wenn er mir Krankheit, schlechtgesinnte Menschen und allerhand anderes Leid an den Hals lege? Zum Zorne sehe ich da wohl keinen Grund. Angenommen, ich sei an all den Widerwärtigkeiten unschuldig, was sehr die Frage ist, empfinde ich es wie eine gütige Vaterführung, dass er mich leiden lässt; denn diese Art von Leiden macht den Menschen nicht schlechter, es vergeistigt ihn, adelt ihn, versöhnt ihn mit der Kürze des Lebens, mit dem drohenden Tode, ist ein überaus heilsames Gegengewicht gegen die brutalen Sinnesforderungen des Körpers. Ich möchte es nicht gerne wissen, wie dem, der alle Freuden der Erde ungestört genießen kann, zu Mute ist, wenn der Tod anhebt, bei ihm seine Visitkarten abzugeben. Unsereiner kann diese Visitkarten mit ziemlicher Gelassenheit annehmen, man wird anfangs wohl melden lassen: Wenn ich bitten darf, ein andres Mal, heute bin ich stark beschäftigt; aber schließlich, wenn er sich nicht abweisen lässt, so wird man sagen: In Gottes Namen, er soll eintreten, ich bin bereit.

Ein anderes Mal sagt jemand: Wer an einen Gott glaubt, der beleidigt ihn damit. Denn dann kann es nur ein höchst ungerechter und ungeschickter Gott sein – bei dem endlosen Meer von Unrecht und Elend, das in seiner Welt waltet. Darauf denke ich mir so: Warum ist uns das Unrecht und Elend so empfindlich? Weil es eine Ausnahme ist. Würde es die Regel sein, so wären wir’s gewohnt. Nach meiner Meinung kommt auf Erden unvergleichlich viel mehr Gerechtigkeit und Glück vor, als das Gegenteil; ein Geschlecht, das dafür ein Auge hat, wird es wahrnehmen; ein anderes Geschlecht, das nur ausschaut, um Unrecht und Elend nachzuweisen, wird darob den besseren Teil, die Freude, den Sieg des Guten übersehen. So weit ich schauen kann, sehe ich der Schuld die Sühne folgen. Und wo die Sühne sich nicht äußerlich vollzieht, dort hält sie im Inneren des Schuldigen ein unheimliches Gericht. Der Ungerechte, der Bedrücker und Betrüger wird die schwere Menge genießen von den sogenannten irdischen Freuden, aber befriedigt und herzensfroh wird er nicht sein. Ist schon sein und Zeit Gewissen so stumpf geworden, dass er keine Anklagen rufen hört durch seine öde Seele, so kann er gewiss auch keine innere Beseligung, keine Harmonie und Erhebung finden. Dumpf und stumpf vegetiert er dahin, und kommen die Prüfungen, dann bricht er zusammen in Verzweiflung. Besser hat’s der, der sich bescheidet und lieber Unrecht leidet, als tut – er hat nichts zu fürchten. Er hat sich eine ideale Welt gebaut und sie ist unzerstörbar. Diese Einrichtung, dass der Ungerechte einem großen Elende entgegengeht, der Gerechte aber den Frieden des Herzens findet, ist der beste Beweis für die Existenz eines weisen Gottes.

Natürlich werden sie nicht müde einzuwenden: Ja, wenn Gott so weise ist, weshalb lässt er denn überhaupt ein Unrecht zu, das erstens dem schadet, an dem es verübt wird, und zweitens auch dem, der es begeht? – Dieser Einwand ist überaus schlagend. Der weise Gott könnte ihn wohl entkräften, der beschränkte Menschenverstand muss hier schweigen. Wenn dieser Menschenverstand auch zu sagen beliebt: das Unrecht müsse geschehen, weil dieses Jammertal ein Ort der Reinigung sei, so sagt er damit nichts, denn man wird ihm entgegnen: Wozu ein Jammertal? Wozu die Notwendigkeit einer Reinigung? Dem müsste ein weiser Gott-Schöpfer schon in allem Anfange vorgebeugt haben.

Ich denke menschlich, und da dünkt mir zu einem vollendeten Glücke ein Gegensatz nötig – das Übel. Soweit ich und andere die Menschen kenne, vermögen sie nichts weniger zu ertragen, als eine Reihe von schönen Tagen. – Nun gut, man bekehrt mit solchen Gedanken keinen Atheisten, das will man ja auch gar nicht, die bekehrt der Herr schon selber, wenn’s an der Zeit ist, und es nicht etwa notwendig Atheisten geben muss. Man legt mit solchen Gedanken nur einen persönlichen Standpunkt klar, der theoretisch anfechtbar sein mag, tatsächlich aber der sicherste Hort für Ergebung und Zufriedenheit ist. Das Eine nur: Ist das Unglück notwendig, um den Gegensatz, das Glück, um so mehr leuchten zu lassen, dann muss der Glückliche mit dem Unglücklichen doppelt nachsichtig und gütig sein, denn diesem verdankt er ja seinen Vorteil.

Wir lesen, dass Gott Vater, der Schöpfer Himmels und der Erde, den Menschen zu seinem Ebenbilde gemacht habe. Und wir haben durch die Weltgeschichte erfahren, dass wiederum der Mensch sich seinen Gott nach des Menschen Bild vorstellt. Durch das letztere verliert Gott sehr wesentlich an Ansehen und Achtung, denn wie es mit dem Menschen bestellt ist, das wissen wir recht gut.

Ferner haben die orthodoxen Kirchen durch ihre Deuteleien und Engherzigkeiten die Größe Gottes in Misskredit gebracht, auch ein Grund, weshalb der moderne Mensch von Gott nichts wissen mag, weshalb er sich vor dem Worte »Gott« fast ebenso lebhaft bekreuzt, als man’ im Mittelalter vor dem Worte »Teufel« getan hat.
Allerhand andere Bezeichnungen hat man aufgebracht: Weltgeist, Kraft, Naturgesetz, Unendlichkeit und dergleichen. Es kommt so ziemlich auf dasselbe hinaus, die Leute empfinden darin ungefähr das Richtige, das Undenkbare, Unfassbare, Allregierende. Nur darf es nicht Gott heißen, weil damit allsogleich eine Persönlichkeit vor Augen treten würde, etwa ein schöner würdiger Menschengreis mit weißem Haar und Bart, und weil mit einer solchen Vorstellung von Gott die moderne Vernunft nicht auskommen zu können meint.


Die Naturwissenschaft spricht als vom Urgrunde alles Lebens von einer Urzelle. Auch das ist ein Glaube, nur mit dem Unterschiede, dass dieser Glaube in einem Zellengefängnisse sitzt, während der unsere frei durch alle Himmel fliegt. Die Urzelle ist jenes Verwalters Samenkorn, aus dem freilich leicht ein Halm entsteht, das aber ohne Halm nicht hervorgebracht werden kann. Vor Zeiten ist ein heißer Streit entbrannt darüber, was früher vorhanden war, die Henne oder das Ei. Die Henne, sagte der einen, denn sonst hätte das Ei nicht gelegt werden können; das Ei, meinte der andere, denn sonst hätte die Henne nicht ausschlüpfen können. Mit ihrer Urzelle stehen sie auf demselben Fleck. Wenn ich ein Mann der Naturwissenschaft wäre, ich würde vielleicht folgendes sagen: Die natürliche Entstehung alles organischen Lebens kommt wahrscheinlich von einer Urzelle her. Hinter derselben steht sicherlich die Gottheit. Es wäre nicht »wissenschaftlich« gesprochen, aber in Gottes Namen, ich würde es wagen so zu reden, und zwar aus Rücksicht für die Wissenschaft selbst, deren Verhältnis zu anderen Reichen und Mächten des menschlichen Geistes damit gebührende Andeutung finde.

Und wenn der naive sinnliche Mensch sich einen guten alten Herrn vorstellt, der die Urzelle baut und den Adam erschafft, wäre denn das Unglück so groß? Und wenn dieser allmächtige, unsterbliche alte Herr der Urzelle väterlich wartet, und sie begleitet von Entwickelung zu Entwickelung, bis ein Wesen daraus hervorgeht, das dem Schöpfer ähnlich ist – wäre denn der Unsinn so groß? Trachtet in der Natur nicht alles Lebewesen zur Vollkommenheit, auf dass es in dieser Vollkommenheit wieder dem Erzeuger ähnlich sei? Die Menschheit ist ja jetzt daran, durch außerordentliche Reformen gleichsam eine neue Welt zu erschaffen. Wie soll sie Zuversicht haben, das zu können, wenn sie sich nicht auf einen Vater berufen will, der das Welterschaffen verstanden hat?

Viele werden unwirsch, einen wesentlichen Gott-Schöpfer glauben zu sollen, ohne ihn je gesehen zu haben, ohne von seiner Existenz näheres zu wissen, ohne seine Lebensgeschichte zu kennen und seine Absichten zu begreifen. Das ist für den wissbegierigen modernen Menschen unerträglich und darum wirft er am liebsten den ganzen Gott über Bord. Aber ich frage solche, wissen sie denn von der Menschheit, von sich selbst viel mehr? Können sie sich Rechenschaft geben von dem Kerne ihres eigenen Seins, woher sie kamen, wohin sie gehen, was sie bedeuten? Sie sind sich selbst ein kaum geringeres Geheimnis, als es ihnen Gott ist. Sollen sie deshalb annehmen, dass sie nicht existieren?

Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Nun gibt es Leute, die behaupten, sie könnten sich die Ewigkeit nicht vorstellen. Das glaube ich, allein ich kann mir das Gegenteil noch viel weniger vorstellen. Ich kann mir nie und nimmer denken, dass Zeit oder Raum eine Grenze hätte. Denn was wäre hinter der Grenze einer gewissen Zeit? Wieder eine Zeit, und hinter dieser wieder eine, und so immerfort. Und beim Himmelsraume ist es auch so, wenn er irgendwo eine Grenze hat, was soll hinter derselben sein, als wieder ein anderer Raum, und immer so fort. Der Drang, sich die Unendlichkeit vorzustellen, könnte einen wahnsinnig machen, sie ist ganz unfassbar. Und doch wird niemand leugnen wollen, dass die Unendlichkeit besteht. Und wenn spitzfindige Philosophen gesagt haben, Zeit und Raum seien in Wirklichkeit gar nicht vorhanden, seien nur eine Vorstellung im Menschengehirn, so haben sie damit einen Unsinn gesagt, der so groß ist, dass kein gewöhnlicher Mensch ihn nachzudenken vermag. Wie soll es denn ein Gehirn geben, wenn kein Raum dafür vorhanden, wie das Innewerden einer Vorstellung, wenn keine Zeit dazu da ist! Mancher moderne Gelehrte ist geneigt, jede noch so große Torheit lieber zu sagen, als dass er mit einem Worte die Existenz Gottes zugäbe.

Ich glaube an Gott Vater, den Weltschöpfer, so wie er mir im ersten Buche Moses und in anderen uralten Überlieferungen
sinnbildlich dargestellt erscheint. Wäre es aber nicht aufgeschrieben und nicht gelehrt, was dann? Würde ich ihn auch dann noch glauben? Nach meiner Empfindung möchte ich es mit Ja beantworten. […]
Wilde Völker, so sagt man, beten zu ihrem ebenso wilden Göttern aus Angst vor deren Gewalt, beten um Schonung. Menschen mit angelebter oder anererbter Gemütsbildung beten zu Gott aus Liebe; sie haben ein Herzensbedürfnis, dankbar zu sein für das Gute, welches sie in der Welt Gottes genießen. Die betätigte Dankbarkeit erfüllt sie mit Beseligung und je mehr sie sich mit dem gütigen schönen Ideale ihrer Gottheit abgeben, um so mehr werden sie ihm ähnlich. Das ihm Zustreben, ihm Nahekommen, darauf wird es abgesehen sein.
Und die Sache ist im Grunde die: der Mensch schafft sich ein ideales, immer edleres Anbild seiner selbst, nennt es Gott und strebt ihm zu. So klimmt er gleichsam auf einer Strickleiter, deren vorderen Teil er immer höher und höher die raue Felswand hinanwirft, dem Himmel der Vollkommenheit zu. Wer aber hat ihn gelehrt, so zu tun? Doch wohl der, welcher den Wesen die Kraft und den Geist der Entwickelung ins Herz gelegt hat, der Vater Gott, der in aller Ewigkeit die Welt erschaffen hat und sie in alle Ewigkeit erschaffen wird
. S. 8-17 (gekürzt)
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901

Und an Jesum Christum, seinen eingebornen Sohn unsern Herrn
… Die Menschen haben vorher tausende von Jahren gelebt und haben alle denkbaren Satzungen aufgestellt und haben alles Mögliche versucht, um dieses Geschlecht zu heben. Aber sie waren zu sehr Menschen, jeder hat im Hass bei anderen angefangen und in der Liebe bei sich selber; jeder hat die Laster der anderen getadelt und seine eigenen gehätschelt; jeder hat die Buße den anderen gepredigt, sich selber aber dem Genusse ergeben. –

Da kam dieser einzige und hat gezeigt, was Liebe ist und wie man sich willig selber opfert für die Mitmenschen. Das war nicht mehr menschlich, das war göttlich groß. Und dann hat man diesen Einzigen den göttlichen genannt, den Gottessohn.

Sind wir als Geschöpfe Gottes gleichwohl alle Gottessöhne – so nahe steht dem Größten doch keiner, so ähnlich ist ihm keiner, als Jesus. Denn seine Lehre ist die schöpferische, welterhaltende, menschenadelnde, seelenreinigende, seligmachende Lehre. Sie erstreckt sich weit über die irdischen Angelegenheiten hinaus, sie ruft die Toten wach und erschafft aus ihnen Unsterbliche.

Unter den Milliarden von Gotteskindern hat der Herr keinen, der ihm so ähnlich wäre, als der Sohn des armen Handwerkerpaares aus Galiläa. Darum ist es sein Einziger, sein Eingeborner.

Dieser eingeborene Sohn Gottes macht uns selig, gibt uns ewiges Leben, verlangt aber von uns eines – dass wir an ihn glauben. Durch seine Lehre und sein Beispiel können wir gut und heilig werden, selig aber nur, wenn wir an ihn glauben. Wir brauchen nicht den vom Himmel gekommenen Gottessohn in ihm zu sehen und können doch seinen Geboten nachleben und das Christentum erfüllen. Allein, um selig zu werden, ist das zu wenig. Nur wer in ihm den persönlichen ewigen allmächtigen Gott sieht, der den Tod überwindet und seine Nachfolger in den Himmel führt, nur der wird selig und er ist es schon. In diesem Glauben ist er’s schon, darin liegt es. In solcher Vorstellung erleben wir’s ja eben. Gibt es überhaupt ein anderes Leben im menschlichen Sinne, als im Bewusstsein desselben, in der Vorstellung, dass wir leben, sehen, hören, fühlen? Ob diese Vorstellung durch grobsinnliche, durch reale dinge veranlasst wird, oder durch ideale Keime, das im Grunde eins. Wenn wir nur sehen, hören, fühlen, sei es mit dem leiblichen oder mit dem geistigen Auge – wir leben, und das ist’s, was wir wollen.

Ich habe mir oft gedacht, dass die Güter, die wir uns einbilden, eigentlich weitaus wesentlicher sind, las die, welche tatsächlich bestehen. Diese letzteren können durch allerlei Zufälle in jedem Augenblicke leicht zerstört werden, die eingebildeten Güter, die der Vorstellung, der Erinnerung, der Erwartung leben beständig und unzerstörbar in unserem Gehirn, so lange, bis dies selber zerfällt. Darum schmäht mir das Ideal nicht! Es ist ein realer Wert in seiner Art, es ist ein Besitztum und es ist ein Erlebnis. Und wenn Jesus sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben wer an mich glaubt, der wird selig! – und wir glauben an ihn, so sind wir schon vorweg selig in der Erwartung der ewigen Seligkeit. Und kein Geld und kein Gut, keine Ehre und keine Lust kann uns in dieser Welt schon so unzerstörbar froh, so selig machen, als der Glaube an Jesus den Christus. […]

Im Laufe der Zeiten haben sich unzählige Propheten und Lehren gegen das Christentum. Alle schmeichelten der menschlichen Natur, und doch ist keine dieser Lehren siegreich geworden. Das Christentum hat ein neues Leid auf die Welt gebracht. Das Mitleid. Doch mit diesem neuen Leide heilt es ein tausendfältig altes. Durch dieses neue Leid hat es gesiegt. Ja, gesiegt, denn unsere Völkerkultur ist die christliche. Freilich wohl gibt es Gleichgültige, Abtrünnige und Bösartige, es gibt heidnische Sitten und materialistische Strömungen groß und mächtig, es gibt Ungerechtigkeit und Frevel, oft zum Verzagtwerden. Und doch waltet der Geist des Christentums. Er waltet im Gesetze und in der Absicht und im Gemüte. Und mancher, der sich dagegen sträubt, ist darin befangen. Wird schon von vielen die Gottesliebe geleugnet, die Nächstenliebe als Grundsatz bleibt aufrecht und gilt als oberstes Sittengesetz. Und dem Feinde zu verzeihen gilt als groß und heldenhaft. Feindesliebe wird nur darum so selten geübt, weil sie so schwer, so übermenschlich ist.

Da ist vor einigen Jahren in Deutschland ein moderner Feuergeist [Nietzsche!] dahergekommen und der hat folgendes gesagt: Was bisher Tugend geheißen, die Selbstbescheidung, die freiwillige Armut, die Demut, die Nächstenliebe, das ist nichts als Schwäche, Degenerierung, Fehler, in letzter Linie Sünde, weil sie das Menschengeschlecht heruntergebracht und die Erbärmlichkeit zum Vorbild erhoben hat. Die einzige und wahre Tugend ist der Egoismus, die Tat des Starken. Der Starken muss den Schwachen vernichten, damit die Schwäche ausgerottet werde. Der Herrschergeist muss die Knechteseelen unterjochen, damit die niedrige Banalität nicht sieghaft werde. Der Starke, Rücksichtslose und Brutale allein verdient Herr zu sein, er ist der Übermensch, der Gottmensch!

Diese Lehre eines geistreichen Denkers war in blendend schöner Sprache geschrieben und man hätte meinen können, bei der Neigung unseres jüngeren Geschlechtes zur Rohheit, Kraftmeierei und zu Kriegsfahrten müssten solche Grundsätze Funken in ein Pulverfass sein. Man hat tatsächlich mit großem Interesse über den neuen Propheten gesprochen und geschrieben, aber eine Gemeinde von Übermenschen hat sich nicht gebildet. Es wäre auch nicht möglich, denn auf ein Gemeinsames ist diese Lehre gar nicht angelegt, denn immer müsste der Stärkere den Schwächeren vernichten, bis von den zwei übrig gebliebenen letzten Starken der Stärkere den anderen totschlägt. –

Das Christentum hat in den Völkern zu tiefe Wurzeln gefasst, als dass man über eine solche »Offenbarung« nicht ruhig zur Tagesordnung hätte übergehen können. Und so ist diese Lehre zum Spiele müßiger Geister geworden, die wohl gerne möchten, aber nicht können.

Ein anderer, ein russischer Prophet, hat in neuester Zeit das Gegenteil von der oben angedeuteten Herkulesreligion verkündet. Der sagt: Nicht der Naturkräftige, Mächtige, Rücksichtslose ist stark, sondern der Nachgebende, Sichfügende, Nichtwiderstrebende, der Geduldige und Demütige. Ein Feind wird nicht besiegt, indem man ihn bekämpft, denn da sammelt und rüstet immer noch mehr als Feind und gefährdet den sich wehrenden Gegner immer aufs neue und ruht nicht, bis er diesen zu Grunde gerichtet hat, falls er nicht selber zu Grunde gerichtet wird, so dass es auf keine Weise ohne Verbrechen abgeht. Wer aber seinem Feind nicht widerstrebt, der benimmt ihm die Spannkraft, er wird manches zu erdulden und zu leiden haben, doch er wird nicht in Gefahr stehen, im Kampfe vernichtet zu werden, er wird den Feind entwaffnet haben und ihn allmählich zum Freunde machen – kurz, er wird in seiner Weise siegen. Tatsächlich kann man im Leben überall beobachten, dass der Geduldige, Sichbescheidende zwar arm und gering dahinleben muss, dass er aber keine unmittelbaren Feinde hat, und dass er ziemlich unangefochten und anständig durchs Leben kommt. – Diese letztere Lehre ist trotz der scheinbaren Schwäche, die sie predigt, völkerstärkend und kulturfördernd, während die erstere völkerschwächend und kulturvernichtend wäre.

Es ist nur eine merkwürdige Erscheinung, dass diese beiden Lehren, die vom Übermenschen und die vom demütigen Knechte zu gleicher Zeit aufgetreten und sich gegenüber gestanden sind. Die letztere fand natürlich mehr Verständnis, denn sie ist das ursprüngliche Christentum.

Mann könnte sagen, die Lehre vom Übermenschen sei eine aristokratische, die des Christentums aber eine demokratische. Und doch, bei näherem Einblicke finden wir, dass erstere den Aristokratismus bloß theoretisch fördert, dass der Übermensch die Menschheit nicht stärken, sondern ausrotten würde, während das Christentum dem Aristokratismus praktisch eine mächtige Stütze ist. Denn eine Lehre, welche dem Volke Knechtschaft und Verzichtleistung predigt, macht es den Starken und Eigennützigen leicht, es in Knechtschaft zu halten, die Güter an sich zu nehmen, und die Herren der Welt zu werden. Das scheint auch eine Schattenseite des Christentums zu sein, man hat es in diesem Sinne sehr unchristlich ausgenützt und oft habe ich mir gesagt, dass Karl der Große, welcher die Völker mit Feuer und Schwert zum Christentum bekehrt hat, nichts weniger Christ als Christ gewesen ist. Aber auch der russische Kaiser ist es noch heute nicht, wenn er in seinem Reiche den Glaubenszwang aufrecht hält, und unsere Gesetzwalter sind auch nicht christlich, wenn sie sagen : Zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung müsse das Volk in der Religion erhalten werden. Zum Satan, nein! Nicht der gesellschaftlichen Ordnung wegen, nicht des Vorteiles einzelner Personen oder Klassen oder Staaten wegen muss es Religion geben, sondern darum, weil es ein Bedürfnis der Herzen ist, weil es Gottes wegen ist.

Was hat sich jener Priester gedacht, der mir salbungsvoll auseinandersetzte, dass der öffentlichen Sicherheit wegen die Religion in den Massen unerlässlich sei? Wenn der Priester selbst Atheist ist – und der Mann war in diesem Falle einer – dann gute Nacht! – Es soll freilich nicht allzu selten vorkommen, dass Priester ungläubig sind, die Ursache mag teils darin liegen, dass sie die religiösen Verrichtungen zu handwerksmäßig auffassen, wodurch dieselben den Geist verlieren, und dass sie zu viel über das Dogmatische haben studieren und denken müssen, wodurch die Unmittelbarkeit des Herzensglaubens geschädigt wird. Indes glaube ich doch immer noch zum Troste, dass wir mehr Priester als Pharisäer haben.

Was die Ausbreitung anbelangt, von der oben die Rede war, so verdankt das Christentum seine Ausbreitung nicht so sehr der Gewalt, als vielmehr den Tugenden der Friedfertigkeit, der Sanftmut, der Opferwilligkeit und Bekenntnisfreudigkeit der Apostel. Und dass die Menschen ihr angenommenes Christentum nicht abgeschüttelt haben, obschon es ihnen oft nur Unterdrückung und Armut gebracht hat, das beweist am besten, wie tief diese Lehre in ihr Herz eingegangen war und wie reichlichen Ersatz für den Entgang irdischer Werte sie in der christlichen Verinnerung ihres Lebens, in ihrem Gemüte gefunden haben.

Der Kern der christlichen Lehre ist die Bergpredigt. Ein beispielloses Moment. Sie ist vielfach und verschiedenartig gedeutet worden. Ich habe nie besonders darauf hingehört, sondern das Evangeliumbuch genommen und mir die Auslegung selber gemacht. Meine Auffassung ist recht einfach. –

Selig sind die Armen im Geiste. Das verstehe ich nicht so, als ob die geistig Beschränkten selig wären, nein, im Geiste sind sie selig, die Armen, die sonst nichts haben, in ihren Idealen und Vorstellungen, in ihrem geistigen Leben, sie haben den Himmel in sich.

Die Sanftmütigen sind selig, denn sie werden das Land besitzen, sie werden den Genuss der Schönheit des Landes haben, während die Sorge und Mühsal um dasselbe denen zufällt, die sich dessen Herren nennen.

Die Traurigen sind selig, denn sie können nicht enttäuscht werden, jeder sanfte Lichtblick ist ihnen zum Trost, zur Freude, während die Vergnügten jeden Augenblick Gefahr laufen, betrübt zu werden oder, als an die Freude gewöhnt, im Unglücke der Verzweiflung anheim fallen.

Die nach Gerechtigkeit sich sehnen, sind selig, denn sie finden in der Gerechtigkeit eine göttliche Bundesgenossenschaft, sie sehen die Spur Gottes in dem, wie das Gute zum Siege und das Böse zum Untergange kommt.

Die Barmherzigen sind selig, denn im Mitleide mit anderen finden sie ihr besseres Selbst, spüren die Zusammengehörigkeit mit den Menschen, fühlen sich nicht allein, sondern in gemeinsamer Hut mit allen. Selig sind, die ihr Herz rein halten von irdischen Begierden, ihnen wird das Anbild Gottes, das sie in ihrer Seele tragen, nicht getrübt.

Die Friedsamen sind selig, denn kein Hass und keine Schuld beunruhigt ihr Herz, sie sind harmlos und froh wie die Kinder, die Gott an seiner Brust wiegt.
Die wegen ihrer Ideale Verfolgten sind selig, denn es ist Seligkeit für das zu leiden, was man liebt und das Anbild wird uns immer noch teurer, je mehr Anstrengung die Feinde machen, es uns zu entreißen.

Nicht sie werden selig, sagt Christus von allen denen, vielmehr sie sind selig. –


Denen Erkenntnis geworden, die sollen offen bekennen, sollen gleichsam das Salz der Erde und das Licht der Welt sein, indem sie ihre Überzeugung freimütig aussprechen. Dann weiter: Sollst aus Demut in verschlossener Kammer beten, aber auch vor den Leuten dich dessen nicht schämen, also dass es ganz gleich ist, wo du betest; immer und überall magst du mit deinem Gott sprechen, wann und wo dir dazu ums Herz ist. –

Ich bin, so sagt er, nicht gekommen, die alten Gesetze aufzuheben, sondern sie zu erfüllen, aber nicht zu erfüllen nach dem toten Buchstaben, sondern nach dem lebendigen Geiste. Nach dem Buchstaben erfüllen es ja auch die Schriftgelehrten und Pharisäer, aber wenn ihr tut wie diese, werdet ihr nicht gerecht sein und den Himmel niemals gewinnen.

Die Schriftgelehrten sagen: Du sollst nicht töten; ich sage, du sollst nicht einmal zürnen. Wer zürnt und richtet, der wird selbst gerichtet werden. Nichts nützen dir deine Opfergaben auf dem Altare, wenn du mit deinem Nächsten Feindschaft hast.

Bei den Alten heißt es: Du sollst nicht ehebrechen. Ich sage, du sollst nicht einmal den Gedanken haben, die Ehe zu brechen. Schaut dein Auge begehrend nach der Frau des Nächsten, so blende dich, – besser dein Auge ist verloren, als deine Ehrbarkeit.

Streckt deine Hand sich aus nach dem Gute deines Nächsten, so haue sie ab; besser deine Hand ist hin, als deine Seele.

Bei den Alten heißt es: du sollst nicht falsch schwören. Ich sage, du sollst überhaupt nicht schwören bei Gott; ja oder nein, das sei genug.

Bei den Alten heißt es: Aug’ um Auge, Zahn um Zahn; ich sage, du sollst dich gar nicht widersetzen, sollst alles geduldig leiden.

Bei den Alten heißt es, hasse deinen Feind, ich sage, liebe deinen Feind, tue Gutes denen, die dich hassen. So tut auch unser Vater im Himmel den Menschen, die ihm feindselig sind, werde ihm ähnlich. Die zu lieben, die dich lieben, das ist leicht, dazu brauchen wir kein Gesetz, das tun auch die Gottlosen. Willst du mir folgen, so trachte vollkommen zu werden.


So höre ich es, das Wort Jesu in der Bergpredigt, die an Gewalt und Erhabenheit ihresgleichen nicht hat. Und also fährt sie fort:


Tust du Gutes, so tue es nicht der Leute wegen, sonst hast du keine Freude an deiner Tat. Selbst das Beste, was du getan hast, verderben dir die Leute durch ihre Missgunst. Nicht einmal deine linke Hand soll es wissen, was die rechte tut, so geheim halte das gute Werk, dein Vater im Himmel sieht es doch und wird es segnen, das heißt, dich stark und immer stärker machen, um endlich das Größte zu vollbringen.

Wenn du betest, so mache nicht viel Geschwätz. Ergib dich in den Willen dessen, der im Himmel ist, ehre seinen Namen, suche sein Reich. Bitte um Vergebung deiner Schuld, gelobe, dass du auch deinen Beleidigern verzeihst. Bitte um die Stärke des Herzens gegen die Versuchung der Welt und um Erlösung vor dem Bösen. – So sollst du beten. –

Büßest du eine Sünde, so tue es nicht mit scheinheiliger Gebärde, schmücke dich festlich, sei heiter, damit die Leute dir nicht ansehen, dass du büßest. –
Sorge und kümmer dich nicht zu sehr um deinen täglichen Unterhalt; diese Sorge verdirbt den meisten Menschen die kindlichen Freuden des Lebens und haben sie sich genug Lebensmittel zusammengesorgt, dann ist der Tod da.

Sammle nicht Schätze auf Erden, die vergänglich sind; sammle vielmehr Schätze zu deiner geistigen Vollkommenheit, hinterlege sie beim Vater als Erbe für deine Nachkommen. Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz, und es soll nicht an der Erde kleben, es soll bei deinem himmlischen Vater sein. –

Bist du der Erde, so kannst du nicht des Himmels sein, denn zweien Herren kann man nicht dienen. Arbeite für den Tag, bitte um das Brot für heute und trachte froh und heiter nach dem Reiche Gottes, nach dem Frieden des Herzens. Das Wort Gottes ist deine einzige Leuchte, alles Licht der Welt ist Finsternis.

Richte nicht über andere, damit du nicht selbst gerichtet werdest, denn wie du tust, wird dir getan werden. Bessere dich zuerst selbst, dann verlang Besserung deines Nächsten. Gib dein Bestes nicht dem Schlechten hin, behalte dein Heiligstes bei dir selber. Bestrebe dich, dann wirst du erlangen, bitte Gott, und er wird dir geben. Wenn dein Sohn dich um Brot bittet, so wirst du ihm keinen Stein geben, um so mehr wird dein himmlischer Vater auf dein Bitten dir geben, was dir frommt.
Was du willst, dass die Leute dir tun, das tue du ihnen, das ist der Kern des Gesetzes.

Der Weg zur Vollkommenheit ist schmal und beschwerlich, wenige gehen ihn. Hüte dich vor falschen Lehrern, die schmeichelnd zu dir kommen, um deine Seele zu verführen; beurteile sie nicht nach Worten, sondern nach ihren Werken. Zeigen sie schlechte Werke, so sind es schlechte Menschen. Gott gibt den Himmel nicht dem, der ihm in Worten schmeichelt, sondern dem, der seinen Willen befolgt. – Das ist meine Lehre. Erfüllst du sie, so bauest du dein Haus auf einen guten Grund, Stürme und Wässer werden es nicht zerstören. –


Fast schauerlich hallen diese Worte durch unsere Herzen, denn kaum einer von allen, die sich Christen nennen, lebt ganz und gar nach dieser Lehre.
Ja noch mehr, die wenigsten der berufenen Lehrer verkünden sie. Vor einiger Zeit hat in meinem Vaterlande ein klerikales Blatt, welches als Organ des Adels und des Großgrundbesitzes gilt, die Tatsache zu widerlegen gesucht, dass das Christentum die Religion der Armen und Unterdrückten ist. Es sei eine Religion für alle, für Arme und Reiche, für Knechte und Herren. Zum Beweis dafür führte das Blatt allerlei Aussprüche von Kirchenlehrern und katholischen Schriftstellern an, aber nicht einen einzigen Ausspruch von Christus selbst. Das ist bezeichnend. Freilich ist das Christentum eine Religion für alle, aber es will, dass unter diesen allen nicht Reiche und nicht Herren seien, die auf Kosten der Armen genießen und herrschen.

Christus predigt eine Obrigkeit, aber keine Unterdrücker, er lässt Habende gelten, wenn sie gleichzeitig Gebende sind, und missmutig ruft er die Worte aus: Eher geht das Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in den Himmel! Hingegen lädt er die Armen und Mühseligen zu sich, tröstet die Verfolgten und Kreuztragenden, die Sünder, ehrt die Demütigen und Einfältigen und wird nicht müde zu sagen, der Mensch verachte die irdischen Schätze und sammle sich himmlische, er sei so sanftmütig, dass er auch noch die linke Wange hinhalte, wenn er auf der rechten geschlagen worden. »Wer mich liebt, der verlasse alles, was er besitzt, nehme das Kreuz auf sich und folge mir nach.« Ich frage, ist das eine Religion im Sinne Reicher und Mächtiger?

Die Sozialdemokraten tun unklug, wenn sie sich vom Christentume abwenden. Es gibt keine Lehre und kein Gesetz, welches so für die wirklichen Arbeiter und Unterdrückten einstünde, als das Christentum, das schon einmal das Joch der Sklaven gebrochen hat. – Allerdings , wenn die Sozialdemokraten nicht zufrieden sind damit, dass sie befreit werden und eine so menschenwürdige Stellung erhalten,, um sich auch menschlich vervollkommnen zu können, wenn sie herrschen wollen und andere unterdrücken, dann passt für sie das Christentum freilich so wenig, wie für die Tyrannen. Das Christentum kennt keinen Herrn im Sinne des rücksichtslosen Gewalthabers. Selbst Gott den Herrn nennt es Vater. Und alle Menschen sind Brüder.

Schon uralte Religionen des Orients haben die Brüderlichkeit und die Entsagung gepredigt; gewiss, auch in ihnen war der Geist Gottes, wenn auch nicht hinausleuchtend über die irdischen Tage. Sie wussten das ewige Leben noch nicht und so war das Verzichten auf die Werte des zeitlichen eine schwere Zumutung. Zu uns gekommen ist die Wahrheit des Herzens, der Wille, tausendfach erhöht durch den armen Wanderrabbi von Galiläa. Durch ihn ist das Wort Fleisch geworden, in ihm ist die Lehre in Fleisch und Blut übergegangen, er hat sie gelebt, er hat gezeigt, wie man sie leben muss, dass sie zum Heile wird. Unser Heiland ist Jesus.
S. 17-34 (gekürzt)
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901

Der empfangen ist vom heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau
Mystik ist schließlich ja alles und deutbar ist auch alles. Wenn sie es sinnbildlich sagen, muss man es denn gleich buchstäblich nehmen? Und wenn sie es buchstäblich meinen, darf ich es mir nicht sinnbildlich auslegen? Die Jungfrau hatte glühende Sehnsucht nach dem Erlöser, voll der innigsten Gottempfindung hatte sie nur ein Gebet, nur ein Verlangen, nur eine Seligkeit, nämlich dass ihrem Volke endlich der Heiland geboren werde. Und als der Gottesbote sie, die demütige Magd des Herrn, als die Auserwählte bezeichnete, da steigerte sich das Gebet zur höchsten und herrlichsten Begeisterung. Und siehe, durch diesen heiligen Geist hat sie empfangen. Nur beseelt von diesem Geiste, der Sehnsucht nach dem Messias, empfing sie ohne jede Sinnlichkeit und Begier, also blieb sie in ihrer Unschuld, in ihrer Jungfräulichkeit. Die Reinheit geht durch die »Sünde« der sinnlichen Lust verloren, wer diese Sünde nicht hat, der bleibt rein. Demnach hat Maria vom heiligen Geiste empfangen und als Jungfrau geboren.

Ich wollte Priester werden. Weiß nicht, wie es mir mit solcher Auslegung des Dogmas ergangen wäre. Und doch wäre ich ein Glaubender. Die Reinheit des Herzens hängt nicht von physischen Vorgängen ab, sondern von der Gesinnung. Daher würde ich mit aller heiligen Überzeugung des Herzens predigen: Maria hat ohne Sünde empfangen und als Reine geboren – und in dem Sinne, wie ich’s verstehe, müsste alle Welt mit mir einverstanden sein, ohne dass die kirchliche Satzung berührt zu werden braucht. Auch andere Dinge, die buchstäblich genommen Unsinn sind, deute ich mir zum Rechten. Wozu hat man sonst seine eigene Seele? Nur sollten sich die Leute gegenseitig diese Seele nicht streitig machen wollen. –

Die Menschwerdung und ihre Botschaft, wie groß und deutsam! Der Heiland kam zuerst in einen Stall zu Tieren. Die Reichen haben ihn verstoßen, die Armen haben ihn gesucht, die Schriftgelehrten haben ihn verkannt, die Fürsten haben ihm nach dem Leben gestrebt. Die Weisen haben ihn gefunden.

Also der Einzug Gottes ins Menschengeschlecht! Hätten sie in ihm gleich den Heiland gesehen, so wäre sein Erscheinen überflüssig gewesen. Wen hätte er denn erlösen sollen, wenn sie schon erlöst gewesen wären? Die Erlösung begann mit der Kindheit und sie führt zur Kindheit. Eine Kindheit in der Armut zwischen Ochs und Esel. – Das ist nicht Mystik, das ist eine leicht zu verstehende Botschaft für alle Zeiten, solange einfältige Menschen nach Kindschaft dürsten werden
. S. 37f.
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901


Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt und gestorben
Wie kommt Pilatus, der Heide, ins Kredo? Sind ja doch auch die anderen nicht drinnen, die wichtig in das Leben Jesu eingegriffen haben. Wie kommt gerade Pontius Pilatus zur Ehre eines ewigen Denkmals im hehren Glaubensbekenntnisse des Christen? Wie er dazu kommt? Weil er als Gegensatz ein Urbild des irrenden egoistischen Menschen ist, weil er das Entscheidenste tat, was Menschen tun konnten, um den Propheten göttlich zu machen – er ließ ihn leiden. Er verurteilte den Gerechtesten zum Tode.

Wenn Christus nicht gelitten hätte!

Nehmen wir an der römische Statthalter Pilatus hätte von seiner Lehre gehört, hätte seiner Bergpredigt beigewohnt, hätte daran Gefallen gefunden und hätte an Tiberius folgendes geschrieben:

Cäsar! In der Provinz Palästina ist ein Mann aufgestanden, der mir geeignet zu sein scheint, das störrische Judenvolk zu zähmen. Zwar ist er selbst ein geborener Jude, doch verkündet er eine neue Lehre, die uns von großem Vorteile sei kann. Er prediget der Menge Sanftmut, Selbstbescheidung, lenkt sie von staatlichen und gesellschaftlichen Forderungen und Bestrebungen, von Begier und Genuss ab, indem er ihren Sinn auf ein Leben im Jenseits (im »Gottesreiche«) richtet. Er predigt Armut und Unterwerfung, und trotzdem strömt ihm das Volk zu und ist begeistert von seiner Lehre, denn seine Persönlichkeit ist unbeschreiblich berückend. Jesus der Christus wird er genannt. Ich möchte ihm ein einflussreiches Amt geben, damit er seine Grundsätze immer weiter verbreite und so das Volk in jene Untergebenheit zurückweise, die wir wünschen müssen. Zur Erhärtung des Gesagten füge ich Aussprüche bei, damit du, großer Cäsar, u. s. w.

Also Pilatus an den Kaiser. Und dieser an Pilatus:

Landpfleger! Deine Mitteilung von dem neuen Volkspropheten haben Wir mit Befriedigung vernommen. Wenn tatsächlich seine Lehre so ist, dass sie die nationalen Begehren der Völker, Führer und Schriftgelehrten entkräftet, die Menge unter dem Grundsatze fügsamer Brüderlichkeit im Zaune hält, so soll er nicht in Jerusalem bleiben. Schicke ihn zu Uns, Wir wollen ihn zum hohen Priester des ganzen römischen Reiches machen und seinen Palast soll er in Rom haben. Seine Lehre von der Armut und Demut soll allen Völkern der Erde zu teil werden, damit sie sich willig leiten lassen und Unserer Staatskunst Ehre und Heil werde. Die Augurenwirtschaft ist Uns ohnehin zuwider, Wir bedürfen neuer Propheten. Dein gewogener Tiberius.


Und dann reist der Christus auf stattlichem Schiffe unter großer Begleitung nach Rom, wird dort von Cäsar huldvoll empfangen, mit Purpur bekleidet, mit Gold geschmückt und in einen fürstlichen Palast geführt, wo er in Glanz und hoher Würde seines Priesteramtes zu walten beginnt. Die Völker beugen sich vor solcher Herrlichkeit, in der sie den Abglanz der Gottheit zu sehen vermeinen, geduldig fügen sie sich dem Elende der Knechtschaft, während der hohe Priester, immer Demut und Entsagung predigend, in Überfluss und Macht lebt, bis er endlich in hohem Alter auf Samt- und Seidenkissen eines sanften Todes entschläft.

Ich frage – wäre ein solcher Christus denkbar? Nie und nimmer. Seine Göttlichkeit liegt darin, dass er seine Lehre lebt. Dass er sie selber lebt und bereit ist, für sie sich zu opfern, zu sterben. – Pilatus war das Werkzeug für sein göttliches Leiden und Sterben, und darum kam er ins Kredo.

Im ganzen vollzog es sich mit Christus, wie es sich mit allen Besten der Menschheit vollzieht, er wurde teils falsch verstanden, teils absichtlich falsch beurteilt, verdächtigt, angeklagt, verfolgt, bis ins Tiefste verwundet und endlich getötet. Als ob es so sein müsste, damit der wahre Sieg erlangt werde; wohl gerade aus Leiden und Tod geht die Idee neuverjüngt und unsterblich hervor. In einem jedoch unterscheidet Christus sich von anderen Schicksalsgenossen, er verteidigte sich nicht, er schwieg. Seine Taten allein ließ er sprechen. Und sie sprechen in Ewigkeit. Nicht so seine gewirkten Wunder. Wunder wirkt jeder, den das Volk liebt. – Vielmehr sein großer Opfertod besiegelt für alle Zeiten hin die Wahrheit und Treue seiner Lehre. Opferwilligkeit für den Nächsten predigte er, und wie man das macht, er zeigte es. Er hätte durch Widerruf der Lehre sein Leben retten können, doch er wusste, dass diese Lehre die Menschheit glücklicher und besser machen wird, er widerrief sie nicht, sondern ließ sich lieber töten. Und sein Tod ist uns ein ewig lebendiges Vorbild geworden. – […]

Vor Jahren habe ich mich in meinem Buche »Allerlei Menschliches« unter anderem über die Mystik ausgesprochen. Ich fragte, weshalb der moderne Mensch vor der Mystik einen solchen Abscheu habe, da doch jeder von uns in lauter Geheimnisse eingesponnen sei? Geheimnis ist uns die Welt, die Vergangenheit, die Zukunft, Geheimnisse sind uns die Ursachen unserer Neigungen und ihre letzten Wirkungen. Und das größte Geheimnis ist der Mensch sich selbst. Alles um uns, hinter uns, über uns, unter uns, ist dunkel. Grelle Lichter, die zeitweilig aufflackern, blenden uns mehr, als sie uns erleuchten. Wenn wir nun das Geheimnis zum Symbol machen, sinnbildlich es unserem Herzen näher bringen, es mit unserer Phantasie vermenschlichen, verklären, so ist das noch das Beste, was wir tun können. Wir beten im Sakramente nicht Brot und Wein an, sondern das Geheimnis, in dessen Schoß unsere ewigen Geschicke ruhen. Wir gedenken der göttlichen Liebe, die uns erlöset, und sind selig in dieser Vorstellung. – Wer mich in dieser Sache nicht gleich versteht, der soll sich ja keine Mühe machen, mich zu verstehen. Er möge ruhig aus meinem Kreis in den seinen treten, ich verlange von ihm nur das eine, dass er meine Individualität achte, wie ich die seine. Zur Tür hinaus lade ich nur den, der mit frechem Spotte dieses Heiligtum von Millionen Menschen entweiht.

Ich habe noch keinen Heiden und keinen Atheisten bedeckten Hauptes eine christliche Kirche betreten sehen, ich habe manchen gesehen, der bei dem weihevollsten Augenblick des Messopfers, bei der Wandlung, nicht das Haupt geneigt hat. Warum das eine, und das andere nicht? Kann ich schon selber nicht glauben an das Mysterium, so muss ich ihm wenigstens Achtung zollen als einem Gegenstande, dem so unermessliches Heil für andere innewohnt. Wenn ich in einem dämmernden Winkel der Kirche stehe und blicke hin auf den Altar, wo die Kerzen feierlich brennen, wo der Weihrauch sachte, gleichsam wie eine Wolke Andacht aufsteigt, wo der Priester stille Gebete murmelt und wo das Glöcklein manchmal ein klingendes sursum corda ruft – da muss ich gedenken des Dramas auf Golgatha, wo uns gelehrt worden ist, wie man sich opfere für die Menschen.


Wird doch dieses Opfer besonders heute wieder von jedem verlangt. Der Familienvater weihe das Leben den Seinen, der Freund trete treu für das des Freundes ein, der Nationale opfere es unbedenklich seinem Volke, das Weltherz bringe, wenn es damit der Allgemeinheit nützen kann, sich dem ganzen willig dar. Solche Opfer stehen hoch im Preise, gelten als höchster Ausdruck erhabener Menschlichkeit und die Helden werden wie Unsterbliche geehrt. Warum denn so geringschätzig an einer Zeremonie vorübergehen, die uns immer wieder die Opferfreudigkeit und den Heldentod in weihevollem Mysterium vor Augen führt?
Heldenopfer im kriegerischen Sinne stehen auch den Heiden an und nicht immer ist das Christentum damit einverstanden. Hingegen fordert dieses von jedem alle Tage ein sanftmütiges Sichbescheiden, ein geduldiges Erfüllen der Berufspflichten, eine liebreiche Tatenfreudigkeit im kleinen wie im großen zum Wohle des Nächsten. Und dazu ist der am Kreuz Ausgestreckte das Vorbild. –

Engherzig forschen die Gelehrten, ob es wohl mit rechten Dingen zugegangen sei, wenn bei dem Tode Jesu die Erde bebte und die Sonne sich verfinsterte. Was wollen sie damit? Bebte den Jüngern des Herrn nicht das Herz, betrübte sich ihnen nicht die Seele, als er starb? Und wenn dem Menschen das Herz bebt, so bebt ihm zugleich das Weltall und wenn sein Gemüt sich verdüstert, da lischt ihm zugleich alles Gestirn des Himmels aus. So auch geschieht das Wunder, an das er glaubt, die Gnade, an die er hofft. Vollzieht sich das Wunder auch nicht für andere, so doch für ihn, und in aller Wahrheit und Wesenheit seines Gemütes, denn er fühlt es. –

Mit der Wissenschaft den Glauben korrigieren zu wollen, ist ein kindisches Beginnen. Der Menschenkenner tut es nicht, nur der handwerksmäßige Gelehrte versucht es, der kleinsinnige Geselle, der sich keine andere Wesenheit zu denken vermag, als die enge Staubkruste ist, in der er selbst steckt.
Gelänge es, alle Wunder Christi als materiell wahr zu beweisen, das heißt wissenschaftlich vollgültige Beweise für das Geschehen derselben aufzubringen, dann wäre der Heiland in das menschlich Historische herabgezogen. Die »Wunder« hätte er zwar gewirkt, aber es hätte sie auch jeder andere unter den gleichen natürlichen Verhältnissen wirken können, und wir hätten keinen Heiland mehr. Wem Christus als Mensch lieber ist, der mag sich ja wohl damit bescheiden; wer aber die Sehnsucht, somit die Glaubensanlage nach einem göttlichen Erlöser in sich trägt, der hat das Recht, ihr nachzuhängen – und er ist glücklich zu preisen.
S. 38-45 (gekürzt)
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901


Abgestiegen zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.
Das war der einzige Glaubensartikel, an den ich in meiner Kindheit eigentlich nicht glauben wollte. Die Auferstehung von den Toten, das war selbstverständlich, unser Herrgott kann nicht tot sein. Aber zur Hölle abgestiegen! Unser Herrgott gehört in den Himmel, und nicht in die Hölle, und dass der liebe Herr Jesus in die Hölle gekommen sein soll, das glaubte ich nicht. – Da belehrte mich auf solchen Angriff auf den fünften Glaubensartikel unser alter Knecht Markus: »In die Höll’ gekommen ist er ja nicht, wie etwa der Herodes oder der Judas Ischariot, freiwillig ist er hinabgestiegen, um zu sehen, was der Schwarze für Anordnungen macht. Dem Leutschinder, dem Hahnbauer, soll die Haut abgezogen werden allemal, so oft ihm wieder eine nachwachst. Dem Weiberleutfopper, dem Etzel-Franz, sollen die Haare vom Kopf gesengt und die Fußsohlen gekitzelt werden. Dem Rocker-Steffel, der mich beim Uhrhandel angeschmiert hat, sollen unter die Fingernägel Holzsplitter hineingetrieben werden. Der Vielfraß, der Wirtshansel, der selber das Feiste isst und den Gästen die Knochen vorsetzt, der soll in Schweinsfett geröstet werden, bis er eine Kruste hat über und über. Der Tratsch-Kathel soll die Zungenspitze an ihre eigene Nasenspitze genagelt werden. Ja, du lachst, Lecker das ist kein Spaß nit. Schau, und deswegen ist der Herr in die Höll’ hinabgestiegen, dass er ein bissel die Schmerzen lindert. Dann ist er eh gleich wieder heraufgestiegen.«

So hat’s der Markus, nicht der Evangelist, sondern unser alter Knecht ausgelegt, und so habe ich’s eine Zeit lang geglaubt. Die Hölle kam mir aber nicht mehr so schrecklich vor, seit ich wusste, dass der liebe Herr Jesus zeitweilig in die Hölle nachsehen geht. Später in der Schule hat der Katechet das alles wieder umgestoßen. Der lehrte, dass Christus nach seinem Kreuzestod nicht in die wirkliche, sondern nur in die Vorhölle hinabgestiegen sei, wo die jüdischen Altvordern auf ihren Messias gewartet hatten. Da war der König David, der spielte auf der Harfe betrübte Psalmen. Da war der weise Salomon, der sang seit tausend Jahren sein hohes Lied, es gefiel ihm gar nicht mehr und er schlummerte immer dabei ein. Da saß der ägyptische Josef und hüllte sich fröstelnd in den Mantel, den ihm die schlimme Potiphar vom Leibe reißen wollte. Da kauerte der alte Abraham, der mit immerwährenden Kopfschütteln von den Sternen des Himmels lallte und den Sand des Meeres zählen wollte, in welchem seine Nachkommenschaft verbucht war. Diese Nachkommenschaft, was man so von ihr hörte, hatte dem braven Stammvater die gute Laune gänzlich verdorben. Da hockte der alte Noah und täte gern Wein pipperln, aber im dunklen Garten war das Ding zu sauer geraten. Endlich ganz unten in der hintersten Ecke, in einer finsteren Felsenkluft saßen Adam und Eva. Sie hielten sich innig umschlungen und weinten . . .

Doch ich komme da ins Kinderschwätzen, just so hat es der Herr Katechet nicht dargestellt. Er hat uns nur mit wenigen Worten gesagt, dass Christus die Voreltern aus ihrem dunklen Orte erlöst und sie in die ewige Seligkeit eingeführt habe. Also sei er zugleich der Heiland der Juden als der Christen geworden, und wenn die Juden Jesus nicht als ihren Messias anerkennen wollten, obschon er aus ihrem Stamme sei, so sollten sie zusehen, wo sie einen besseren fänden.

Von der Vorhölle zurückgekehrt, nahte der Herr sich wieder seinem Leibe, den die Jünger vom Kreuze herabgenommen und begraben hatten. Und dann hat sich etwas Einziges, etwas unerhört Großes zugetragen. Der Mensch, den sie am Kreuze getötet und dann unter mächtigen Steinen begraben hatten, er wurde an den nächstfolgenden Tagen als lebendig gesehen. Zwei Frauen sahen ihn im Garten wandeln, zweien seiner Jünger begegnete er auf der Straße und als der Jünger mehr versammelt waren, um in tiefer Trauer den Tod ihres Meisters zu besprechen, war er plötzlich mitten unter ihnen, wie er so oft unter ihnen gewesen, und sie sahen an seinem schönen blühenden Leibe die Todwunden.

Auch hier, wie überall, wo es Erhabenes zu zerstören gibt, hat die profane Welt ihre Sonde an den Glauben gelegt. Sie war nicht hochherzig genug, einen großen Gedanken zu tragen, den man wohl auch gelegentlich einem Weltkinde sollte zumuten können. Wenn Christi Lehre und Tat lebendig geblieben ist, sich verbreitet hat in alle Welt und in den Völkern wie in den einzelnen belebend wirkt bis auf den heutigen Tag, so darf man’s ja doch gelten lassen, dass er lebt und waltet. Wenn sein Arm die Leidenden erhebt, die Irrenden führt, die Könige regiert, so muss er doch leben. Und wissen wir, dass er gestorben und zu den Toten gelegt worden ist, so sehen wir an seiner beispiellos waltenden Macht, dass er von den Toten auferstanden sein muss. Wir geben zu, dass Homer, Dante, Galilei, Kolumbus, Gutenberg, Goethe unsterblich sind, und warum sollte es gerade Jesus der Christus nicht sein? – Das wäre eine Auslegung für die Welt, doch nicht einmal diese bekennt sie. Sogar die Unsterblichkeit Napoleons betonen die Herren gelegentlich, aber die Unsterblichkeit Christi bringen sie nicht über ihre Lippen. Und wie erst, wenn der Gläubige vor sie hintritt und bekennt: Auch sein Leib ist auferstanden von den Toten!

Auch ich habe ein bisschen Naturgeschichte studiert und weiß, wie nach den uns bekannten Naturgesetzen es nicht möglich ist, dass ein toter Menschenleib als solcher lebendig werden kann. Und doch glaube ich an die Auferstehung Christi auch als Menschen. Warum? Weil ich es gerne glaube, weil diese Vorstellung mir wohltut, weil sie mich tröstet und erhebt, weil sie mich selig macht. – Ihr mögt ja recht haben mit eurer Naturgeschichte, aber mein Gedanke, meine Vorstellung, mein Glaube ist auch Natur, und wenn mein Heiland hier in meiner Natur von den Toten aufersteht, so geht euch das gar nichts an, und ihr könnt es nicht hindern und nicht ungeschehen machen!
S. 45-49
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L Staakmann 1901


Aufgefahren gen Himmel, sitzet zur rechten Hand Gottes.
Wenn dieser Artikel noch nicht im Glaubensbekenntnisse stünde, so würde ich ihn hineinsetzen. Ein Gott, der im Himmel ist, was kann es selbstverständlicheres geben? Ist doch ein Mensch schon im Himmel, der von denselben Idealen beseelt ist, wie sie Christus gelehrt hat. Er hat den Menschen in den Himmel erhoben oder, was dasselbe ist, das Reich Gottes auf Erden gebracht.

Wenn der sinnliche Mensch sich vorstellen soll, wie der Heiland in den Himmel einging, wie anders, als dass er ihn sieht emporschweben von der trüben Erde gegen die blauen Höhen der Unendlichkeit, die man Himmel nennt! Sinnbildlicher und einfacher kann ja das Sichloslösen vom Gott dem Vater vom Jammer dieser Welt, das Eingehen in die Ewigkeit zu Gott dem Vater nicht angedeutet werden. Und wenn der Glaube lehrt, der Heiland sei mitsamt dem Leibe verschwunden, so will er damit wohl sagen: Suche ihn hier nicht im Leibe, nicht an der Materie, suche deinen Gott im Lichte der Ewigkeit.

Wenn er Gott und Mensch zugleich war, so musste er doch auch als Mensch in den Himmel fahren. Und wenn Gott überall ist, so muss er doch auch im Himmel sein. – Übrigens das riecht nach Scholastik. Scholastik, ist mir stets bis in die Seele hinein zuwider gewesen, diese »Wissenschaften« haben den Menschen immer irregeführt in dem, was ich unter Religion verstehe. Mein Gott lässt sich mathematisch weder bejahen noch verneinen und eine Religion, die sich auf den Verstand gründen will, anstatt auf das Gemüt, ist keine mehr.

Warum lässt uns das Fest der Himmelfahrt kühler, als etwa das von Christi Geburt oder Auferstehung? Es greift nicht so tief in des Menschen Herz, ja es könnte eher mit Wehmut, dass der Heiland uns wieder verlassen hat. Sein Geist ist freilich manchmal bei uns, wie aber, wenn er auch körperlich noch unter uns wandelte?
Soll ich sagen, wie es voraussichtlich wäre, wenn heute Christus wieder leibhaftig unter uns erschiene? Seht ihr, wie er in seinem einfachen groben Gewande, mit nackten Füßen und barhaupt einherwandelt zwischen übermütigen Radfahrern und fluchenden Fuhrleuten! Er verweist den Knechten das Quälen der Pferde und bekommt dafür selber einen Peitschenhieb über die Achsel. Er schreitet in den Städten zwischen befrackten Herren und modern aufgedonnerten Damen dahin. Man »mokiert« sich über den barfüßigen Sonderling, die Gassenbuben laufen ihm johlend nach. Er genießt nur mäßig Nahrung, sie beschimpfen ihn. Er ist Vorsitzender der Friedensfreunde, sie höhnen ihn. Er schweigt voller Sanftmut, wenn sie seine Person verunglimpfen, erhebt aber sein begeistertes Wort für seine Ideale. Er redet in Volksversammlungen und reißt die Menge zum brausenden Beifalle hin. Aber die vornehme Gegnerschaft gibt das Schlagwort aus vom gefährlichen Demagogen.

Das Manchestertum ist sein Feind, denn er predigt die Armut und die Bedürfnislosigkeit.

Die Geschäftsleute sind sein Feind, denn er eifert gegen den Wucher, den Mammon.

Die Soldaten sind sein Feind, denn er lehrt, sich nicht zu verteidigen.

Die Nationalen sind sein Feind, denn er sagt, dass alle Menschen Brüder sind.

Die Sozialdemokraten sind sein Feind, denn er lehrt die Sanftmut, Genügsamkeit und Unterordnung.

Die Pfaffen sind sein Feind, denn er predigt, dass man im Tempel nicht Schacher treiben, dass man Gott nicht in pharisäerhafter Äußerlichkeit, sondern im Geiste und in der Wahrheit anbeten solle.

Die Gelehrten sind sein Feind, denn er wirkt Wunder nicht durch Wissenschaft, sondern durch die Liebe.


Ihm anhänglich sind vielleicht nur kleine Leute, Bauernvolk und einige Dorfpfarrer und Ordenspriester. Diese Menge zieht ihm nach in Verehrung, umjubelt ihn, geleitet ihn mit heller Siegesfreudigkeit in die Städte und ruft aus: »Der allein ist unser Mann!« -

Nun meint die Presse, das könne nicht so fortgehen, die Grundsätze dieses Menschen verstießen gegen die gesellschaftliche Einrichtung, gegen die öffentliche Ruhe, gegen den Staat. – Unter seinen Anhängern ist sicherlich einer, der auch predigt, der es aber besser machen will als er selbst, der die Lehre modernisiert und der Menge zu schmeicheln beginnt. Trotzdem erfreut er sich nicht des Anhanges, wie der Meister. Das erweckt seinen Neid und er bringt es den Feinden bei, wo und wie der Prophet am sichersten zu fassen wäre. Der Meister wird also eingezogen und, in Ermangelung eines Gesetzes, ihn zu kreuzigen, wird er als Demagoge für so und so viele Jahre zu schwerem Kerker verurteilt.

So geschähe es, wenn der Heiland persönlich und leiblich heute auf Erden wäre. Wie gut, dass er aufgefahren ist in den Himmel! Sein erstes Leiden und Sterben ward der Welt zum Segen, sein zweites müsste ihr zum Fluche werden.

Er sitzet zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters. Der Vater darf doch sonst immer den Ehrenplatz beanspruchen? Der himmlische Vater, der Ewige, Allmächtige, er räumt den Platz zu seiner Rechten dem Sohne ein. Denn dieser Sohn hat das Kreuz bei sich. So hoch ehrt den, der nicht allein Gott ist, der auch Mensch gewesen, der gelitten und gestritten hat auf Erden, der sich aus Liebe geopfert hat für die Menschheit. Dieser Mensch gewordenen Gott, diesen Gott gewordenen Menschen ehrt der Vater mehr als sich selbst, der seit aller Ewigkeit im Himmel war und nie gelitten hat. – Rührender, trostreicher ist mir kaum ein Satz im Glaubensbekenntnisse, als dieses »Er sitzet zur rechten Hand Gottes!« Wenn der himmlische Vater das irdische Dulden so sehr verherrlicht, dann wohl uns! S. 58-62
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L.Staakmann 1901

Von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.
… Wer soll den menschlichen Missetäter vor dem verklagen, der zur rechten Hand Gottes sitzet? Denn der heimliche Sünder betet vielleicht vertrauend auf den Opfertod des Herrn und meint, dass ihm vergeben werde. Oder er übt Wohltaten, legt sich Bußübungen auf und meint, dass ihm vergeben werde. Wird ihm vergeben! Das Blut des Erschlagenen schreit zum Himmel um Rache. Aber auch die Tränen der Bedrückten, der Fluch der Betrogenen.

Wie ich mir Gott denke, wird er leicht verzeihen die Sünden des Menschen gegen Gott, denn hier müsste er selbst Kläger sein, und dazu ist er zu groß.
Er, der gesagt hat: Liebet eure Feinde, tuet Gutes denen, die euch hassen! Er sollte die menschlichen Sünden gegen Gott, dem sie nichts anhaben, so grausam bestrafen? Nein. Schwerer wird er verzeihen die Sünden des Menschen gegen sich selbst, hier klagt zwar kaum der Beleidigte, der Sünder selbst, denn vielmehr die Menschheit als Gattung. Nicht zu verzeihen ist jedoch ist die Sünde des Menschen gegen seine Mitmenschen, die absichtliche und boshafte Beleidigung und Schädigung des Nächsten oder auch unschuldiger Tiere. Würden schon die Beleidigten nicht nach Gericht und Gerechtigkeit rufen, so müsste es Gott selber tun als Anwalt seiner Geschöpfe.

Von der Bühne herab hörte ich einmal den Spruch: Für uns ist jeder Tag ein Tag der Schuld, und jeder Tag auch ein Tag des Gerichts! Schon in einer früheren Betrachtung habe ich darauf hingewiesen, dass man überall sehen kann, wie dem Guten die Belohnung und dem Bösen die Strafe folgt. Dass kein äußeres Glück, kein Glanz und kein Ruhm imstande ist, das innere Elend des Schuldigen zu löschen, dass nur der glücklich sein kann, der es im Frieden des Herzens ist, und dass den Frieden des Herzens nur der Gerechte hat. Ist das nicht tatsächlich das Gericht? Wie schal sind dem gierigen Weltmenschen bald seine Freuden, wie unzulänglich, ihn wirklich zu erquicken, findet er alles. Wie bitter fühlt der Selbstsüchtige jedes Leiden, wie graut ihm vor dem Tode, der ihm alles, worauf er sein Herz gestellt, rauben wird, wie verzweifelt starrt er dem Unvermeidlichen entgegen! – Wie ruhig und ergeben hingegen erträgt einer, der mit sich und den Mitmenschen im reinen ist, die Not des Lebens, Verkanntwerden und Beleidigungen, Krankheit und Siechtum, wie gleichmütig blickt er dem Sterben entgegen, wenn er sich nicht manchmal gar ein wenig darnach sehnt! Ist das nicht das Gericht? Es ist das Gottesgericht auf Erden, dessen Zeuge wir alle sind Tag für Tag.

Unser Heiland sprach oft vom Reiche Gottes. Aber hat er gesagt, wo dieses Reich Gottes, wo der Himmel ist? Muss der Himmel denn außerhalb der natürlichen Welt stehen? Kann er nicht schon in diesem Leben, im Menschenherzen sein?

Ja, wer ein Herz voll Liebe hat,
Und litte er auch früh und spat,
Der ist im Himmelreiche.


Und mit der Hölle wird`s nicht viel anders sein. Man wird mich bald verstehen

Ich kannte einen Mann, der sein Weib, mit dem er in unglücklicher Ehe gelebt, vergiftet hatte. Er lebte nach der Tat jahrelang auf seinem Hofe in Wohlstand und Ansehen dahin, niemand vermutete an ihm einen Mörder. Er war zumeist trotzig, mürrisch, herrisch und in sich gekehrt, man schrieb es seinem natürlichen Stolze zu und achtete ihn umso mehr; manchmal auch stürzte er sich in die Gesellschaft und war ausgelassen lustig, man rechnete ihm diese menschenfreundliche Heiterkeit doppelt hoch an. Aber lachen konnte er nicht; sein Lachen war ein überlautes Schreien. Er war wohltätig, man verehrte ihn und konnte nicht satt werden, ihn zu loben. Plötzlich brachte ein Zufall sein Verbrechen an den Tag. Als das Gericht ihm die aufgefundenen Beweise vorhielt, leugnete er nicht einen Augenblick, gestand alles ohne Umschweife und Beschönigung. Zu zwanzig Jahren Kerker wurde er verurteilt. Ich besuchte ihn etliche Wochen nach seiner Verurteilung im Gefängnis. Wie fand er sich anders, als ich gefürchtet hatte! Er beschäftigte sich mit Korbflechten, hatte ein gesundes Aussehen, einen frischen Blick, ein heiteres Gemüt, als wäre er der zufriedenste Handwerksmann auf der Welt. Als ich mich von ihm verabschieden wollte, fiel er mir um den Hals und sagte: »Peter, du glaubst gar nicht, wie glücklich ich jetzt bin. Es war eine böse Zeit, den Verdammten kann’s nicht ärger sein. Das schreckbare Geheimnis auf dem Herzen, und immer wachen, dass es nicht aufkommt, und immer Angst, Tag und Nacht, und immer die Gewissenspein – wie ein Verdammter, ich kann dir’s nicht anders sagen. Jetzt leide ich meine gerechte Strafe und brauche mich nicht mehr zu fürchten, bin auf gleich mit mir und meinem Gott, kann ruhig leben und arbeiten, ruhig schlafen, ruhig sterben – bin wie erlöst!«

Mit einem heiligen Schauer habe ich den Mann verlassen. Selten war mir die Gerechtigkeit, die über Himmel und Erde waltet und die sich so mächtig offenbart im Gemüte des Menschen – selten war sie mir so lebhaft zum Bewusstsein gekommen als zu jener Stunde. Es ist das Gottesgericht im Menschenherzen. Aber es ist nur ein zeitliches Gericht, das auch der Ungläubige sieht.

Wir sehen mehr. Er, der mit dem Kreuze sitzet zur rechten Hand, wird einst kommen, zu richten die Lebendigen und die Toten. Einst, wenn alle irdischen Sonnen erlöschen, alle Tage vergangen sind, wenn die Menschheit ausgelebt hat – verschwunden in der Starre des ewigen Eises am Äquator, oder in der Asche eines verloderten Sternes – dann wird’s wieder neu beginnen.

Aber wie versteh ich das, die Lebendigen und die Toten? Werden nicht alle, alle tot sein und werden nicht alle wieder erweckt worden sein zum Leben und Gerichte? Welches sind die Lebendigen, welches die Toten? Ich meine fast, unter den Lebendigen die hochgemuten Idealisten, die Glaubensfrohen zu verstehen sein, und unter den Toten die Niedertrachter und Verzweifler. Er wird in seiner Liebe beide Teile richten und wird beiden geben, was sie wünschen: den Lebensfreudigen das ewige Leben, den Todesbedürftigen den ewigen Tod.

Den einen leuchte das ewige Licht, die anderen ruhen im Frieden!


Ich bin der Überzeugung, dass ein Mensch, der guten Willens ist, der nach den Gesetzen der Natur und nach den heiligen Geboten (wir kennen sie alle) zu leben trachtet, dass ein solcher Mensch nicht verloren ist, nicht aufhört zu sein, dass er irgendwie fortlebt, fortwirkt zur Einheit des Ganzen und zum eigenen Heile. Ob jedoch solche, die der Vorsehung widerspenstig waren, den Mitgeschöpfen mit Absicht Leides getan und sich selbst entwürdigt haben, ob solche des Heiles, das ihnen zu wünschen ist, teilhaftig werden? Ob sie nicht in irgend einer Form unerlöst und friedlos dahinschweben müssen durch die Räume und Zeiten, bis sie, geläutert in weher Sehnsucht, den Heiland finden werden? Sie werden ihn endlich finden, alle, die ihn finden wollen. Das eine, die ewige Höllenpein zu glauben, ist mir unmöglich. Weil Gott barmherzig ist? Nein, weil er gerecht ist.

Der Herr hat die Menschen aufgeweckt zu Mitgenossen seiner Himmel. Nun höre ich natürlich wieder die vorwitzige Frage, weshalb der gerechte allmächtige Gott so viel Elend und Unrecht geschehen lasse? Diese Frage ist voller Erdenrost und ähnlich wird auch die Antwort sein: Wir wissen, dass der Künstler mit Gegensätzen wirkt, ohne das Hässliche kommen wir nicht zum Bewusstsein des Schönen. Und wer das Leid nicht kennt, kann auch nicht glückselig sein. Lust allein führt so wenig zu Gott, als Leid allein, gleich müssen die beiden Schalen der Wage stehen, dann weist das Zünglein nach oben. – Es könnte ja vielleicht auch anders sein, aber es ist einmal so, und mich beruhigen solche Gedanken, sie erwecken in mir eine Vorstellung von der Gerechtigkeit, in der man sich geborgen fühlt. Im heutigen Christentum wird so viel von Liebe gesprochen und so wenig an Gerechtigkeit gedacht. Mir wäre tatsächliche Gerechtigkeit lieber als geträumte Liebe. Die Menschheit lieben ist leicht, ist nur eine Phrase, aber dem Nächsten gerecht zu sein, das ist schwer. Dass die Menschen sich immerwährend Gutes tun sollen, ist göttlich viel verlangt; man könnte schon zufrieden sein, wenn sie einander nichts Böses täten. S. 62-67
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901

Ich glaube an den heiligen Geist
… Ich glaube an den heiligen Geist. Nicht so sehr an den gelehrten Wissens, als vielmehr an den eines zu guten, großen Taten begeisterten Gemütes. An den heiligen Geist, unter allen Umständen gottbegeistert, menschentreu und wahrhaftig zu sein. Das wird wohl der Geist Gottes sein, durch den Christus gelebt, gewirkt und gelehrt hat, und der am Pfingstfeste auch über die Jünger, als sie im Gedenken an den verschwundenen Meister versammelt gewesen, herabgekommen war. Haben sie ihre Gottesweisheit aus Büchern und Dogmen geschöpft? Nein. Aus dem lebendigen Umgange mit dem Herrn und seinen Werken ist ihr schwaches Herz gestärkt und begeistert worden, mit dem sie dann kühn hinausgezogen sind in die Welt, um allen Völkern zu predigen.

So oft ich unter Menschen ein glühendes Herz für Gutes und Schönes finde, ist es mir eine Offenbarung des heiligen Geistes.

Vor allem glaube ich an den heiligen Geist, der sich bei den Menschen in Begeisterung und Mut offenbart. Glühende Begeisterung ist etwas Göttliches. Der Mut, die persönliche Überzeugung zu bekennen und ihr nachzuleben, ist etwas Göttliches. Freilich hat dieses Göttliche nicht selten zum Diabolischen geführt, zum Fanatismus, der Hekatomben baute. Das Feuer verzehrt Häuser und Städte, aber wer möchte es auslöschen auf Erden! –

Die Menschen des Alltags sind nicht heiß und nicht kalt, sie sind lau. Lauheit ist ja das Klügste, dabei kann man nicht verbrennen und nicht erfrieren. Wie das wohltut, wenn einmal ein glühender Mensch aufsteht, der begeistert seine Meinung, seine Überzeugung, seinen Glauben bekennt! Es kommt gar nicht einmal darauf an, ob es die »richtige« Meinung ist, das glühende Herz des Redners schmilzt die Bedenken der Zuhörer, ihre Seelen werden entzündet und in der Glut innerster Überzeugung verwandelt sich der Irrtum zur Wahrheit. So haben Propheten die Völker geführt, so haben Apostel die Welt besiegt, nicht durch Macht, nicht durch Wissen, sondern durch ihre Begeisterung. Eine Idee, und wäre es die unpraktischeste, die in den Augen der Klugen verschrobenste – sobald sie die Begeisterung für sich hat, wird sie siegen! Keine Erfindung, kein Gesetz, keine Gewalt der Welt hat das getan, was Begeisterung vollbrachte.

Die Begeisterung macht wahr und freimütig, sie gibt den Mut zum persönlichen Sein! Die Alltagsmenschen sind keine Personen, sie haben nichts Persönliches, sie denken wie andere, sprechen wie andere, leben wie andere, sind Teilchen der Menge. Und regt sich in ihnen doch einmal schüchtern etwas Besonderes, so haben sie nicht die Energie, es aufkommen zu lassen, das könnte ja Unannehmlichkeiten geben. Denn jedes Persönliche hat alles Übrige zur Gegnerschaft. Glühende Begeisterung für ein Ideal, Mut, sich selbst zu denken, zu leben, und fertig ist der Kämpfer, der Held, der Übermensch!

Solche Übermenschen sind auch die armen galiläischen Fischer geworden, nachdem ihnen der Meister den heiligen Geist gesendet hatte, oder, um einfacher zu sprechen, nachdem sie der Herr durch sein Leben und Sterben, durch sein Lehren und Weissagen begeistert hatte. Begeistert bis zur höchsten Verzückung glühender Seelen. Und so ist geschehen, was wir da lesen in der Geschichte des Christentumes.

Doch nicht allein die Flammenzunge ist ein Symbol des heiligen Geistes. Auch die Taube ist sein christliches Sinnbild. Die Taube bedeutet uns Sanftmut, Friede. Also paare ich sie mit Begeisterung die Sanftmut, mit dem Mute der Persönlichkeit die Duldung, und wir haben den heiligen Geist, der vom Himmel kam, und der mein und unser aller Licht sei! S. 70-72
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901

Eine allgemeine christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen
In Österreich-Ungarn allein lebt ein halbes Dutzend Arten von Christen. Jede Art sagt, ihr Bekenntnis sei das richtige, und jede zeihe die andere mehr oder minder rücksichtslos der Irrlehre. Fast alles Gezänke unter ihnen dreht sich um spitzfindige Dogmen, und dem kirchlich durchsättigten Lutheraner ist der Katholik zuwiderer als der Heide oder der Atheist. Jede Konfession ruft es durch ihr Gotteshaus, schreit es auf die Straße hinaus: Ich bin die wahre! – Das ist mir schon die wahre, die sich so prahlerisch vordrängt!

In der Konfession trennen sie sich, aber im Christentum vereinigen sie sich. Das Evangelium steht für alle gleich. Das ist mein Trost und mein Stab. Und das ist die allgemeine christliche Kirche.

»Du bist Petrus, der Fels, auf den will ich meine Kirche bauen.« Unter diesem Ausspruche des Heilandes denke ich durchaus nicht an die Gründung einer ausschließlichen Kirche, so wenig, als wohl auch Christus daran gedacht hat. In der Vollmacht, zu binden und zu lösen, die Jesus nicht bloß dem Petrus, vielmehr allen Aposteln gegeben hat, kann nicht die Begründung irdischer Priesterhierarchie liegen, weil eine solche der Lehre Jesu vom Reiche Gottes geradezu entgegengesetzt wäre. Es liegt darin einfach das Bestimmungsrecht für die Verhältnisse jener Zeit, Aussendung der Lehrer, geistige Einrichtung der Kirchengemeinden u. s. w. Diese Gemeinden waren untereinander schon damals recht verschieden, doch überall, wo das Evangelium gepredigt und befolgt wurde, war die christliche Kirche – und so ist es noch heute.

Wenn etwas an diesem Gotteswerke zweifeln machen könnte, so wäre es die Uneinigkeit der Bekenntnisse, das pharisäische Sektenwesen im Christentume. Das geht so weit, dass eine Konfession in erste Linie ihre Formen, Gebräuche und besonderen Heiligtümer stellt, und in zweite erst das Christentum, wie es uns durch die Evangelisten und ersten Christen übermittelt worden ist. Vor einiger Zeit bat ich unsere katholische Kirche, dass sie in der Schule das Evangelium dem Katechismus vorausstellen möchte. Im Grunde eine so selbstverständliche Zumutung. Ich wurde aber ob meines vorlauten Einstehens für das Evangelium Christi von den klerikalen Organen tüchtig gezaust. Dass die Kirche ihre Sonderinteressen aufgeben und sich etwas mehr auf den allgemeineren christlichen Standpunkt stellen möchte, das war ihnen ein widerlicher Gedanke. Ich aber bestehe auf meiner Forderung.

Die katholische Kirche will ihre Allgemeinheit und Welteinheit vielmehr damit zeigen, dass sie ihren kirchlichen Gottesdienst überall auf Erden in lateinischer Sprache halten lässt. Aber indem sie so die Zusammenhängigkeit aller Völker bekennt, zieht sie andererseits eine Grenze zwischen sich und jeder einzelnen Nation, die doch am liebsten in ihrer eigenen Sprache mit Gott verkehrt. Manchmal an christlichen Festtagen führt mich die Sehnsucht nach alten deutschen geistlichen Liedern in die Kirche, in solchen Liedern finde ich die Stimmung zur Andacht. Aber öfter als einmal habe ich die Kirche missmutig und betrübt verlassen, weil in derselben nur lateinische Gesänge herrschten, fremdartige Musik, die mein Gemüt nicht erwärmen kann, die mir die Kirche zu einem weltfremden Raume macht, da sie doch mein Vaterhaus sein sollte. […]

Gott ist überall, und überall ist Gottesdienst, wo die Herzen sich erheben und bereit sind zu guter Tat.
Also keine offiziellen Grenzen für das Christentum! Und keine Schranken zwischen einem Volke und seinem Gott! Jeden in seinem Kreise und nach seiner Weise auf Grund der Bergpredigt Christ sein lassen, das ist die allgemeine christliche Kirche, welche alle Konfessionen umfasst.

Gegen die Verschiedenheit der Kultusformen und kirchliche Sitten ist im Grunde ja nichts einzuwenden; andere Bedürfnisse und Ideale hat hierin der Südländer und andere der Nordländer, andere haben die Völker der alten Welt und andere die der neuen. Ja, andere Formen verlangen die Naturmenschen der ländlichen Bevölkerung und andere die gebildeten Klassen. Möge man sich doch bescheiden und dem Südländer das Recht einräumen, braun zu sein, und dem Nordländer, einen roten Bart zu tragen. Es sind Menschen. Also auch hier, ob Kelch oder Hostie, wenn sie nur das Kreuz erkennen. Das Kreuz ist das einzige aller Religionszeichen, das zwei Arme hat. Es umfängt die Welt, die ganze Menschheit, in diesem Baume widerhallt ewig das Wort: Liebet euch einander. Ihr alle seid Kinder eines Vaters, der im Himmel ist. – In diesem Sinn könnte man die allgemeine christliche Kirche nicht bloß auf alle christlichen Bekenntnisse, sondern auch auf Juden, Türken, Heiden und Atheisten, auf Glaubende, Zweifelnde und Stumpfe beziehen – auf alle Menschen. – Es wäre so übel nicht.

Andererseits ist die Verallgemeinerung der Liebesreligion eine billige Sache. Es ist leichter, alle zu lieben, als einen. Die Liebe zur ganzen Menschheit kostet gewöhnlich nichts als eine Phrase, die Liebe zum Nächsten fordert Opfer. Lasse die »ganze Menschheit« dir immerhin gleichgültig sein wie du willst, nur dem, der dir von ihr jeweilig der Nächste ist, sei gut. Wenn das jeder tut, dann haben wir eine allgemeine christliche Kirche – das Reich Gottes auf Erden, und auch eine Gemeinschaft der Heiligen.

Die Sache der Humanität setzt uns in Gemeinschaft mit allen Menschen, allerdings auch die Konfession erhält uns in Gemeinschaft mit Vergangenheit und Zukunft. Und das ist ein Geheimnis der Macht des Kultus.

Ich würde mich persönlich vom Katholizismus schon deshalb schwer trennen können, weil meine Eltern und Voreltern vor dem katholischen Altare gekniet haben. Ich feiere im katholischen Kultus das Andenken an meine Vorfahren, ich liebe in ihm meine Mutter, meine Vater, die mir diese kirchliche Welt gleichsam wie ein Erbe hinterlassen haben. Auch darum, aber nicht etwa darum allein. Die Macht des Gemütes greift tiefer.

Auch das ästhetische Gefühl zieht so manchen zur katholischen Kirche, die ihrer Gemeinde so viele sinnliche Schönheit zum Genusse reicht!

Ein Religionsbekenntnis geht allmählich von Geschlecht zu Geschlecht in Fleisch und Blut über, so dass es mancher wie Untreue nicht zwar gegen Gott, wohl aber gegen sein Ich empfinden mag, wenn er ausspringt. Ich habe dieses Ausspringen, so oft es mir nahe gelegt wurde, zurückgewiesen. Ich ehre unseren Priesterstand aus ganzem Herzen, auch seinen Kultus, insofern er die Menschen beseligt, aber ich nahm nicht Anstoß, gewisse kirchliche Sitten oder Unsitten, die den ursprüngliche Gehalt verloren hatten und als hohle Form mir schädlich schienen, freimütig zu rügen, unmittelbar oder durch die Satire. Es war ein glühendes, nicht durch den Zeitgeist bedingtes Verlangen in mir, gegen manches meine persönliche Meinung zu sagen. Und wenn die Kirche im Mittelalter stehen bleibt, so kann der moderne Mensch sich eben mit ihr nicht abfinden. Man kommt ihr weit genug entgegen. […]

Wenn wir einen Dichter oder Philosophen feiern, so erheben wir uns dadurch zur Gemeinschaft seines Geistes; wenn wie einen großen Staatsbürger oder Erfinder oder Kriegsherrn festlich ehren, so erklären wir uns gleichsam zur Gemeinschaft mit seinem Leben und seinen Taten und wenn wir unser Herz zu den christlichen Heiligen erheben, so treten wir mit ihnen in Gemeinschaft und Kameradschaft auf der Reise zu Gott.

Mit jeder der Gestalten, die uns die katholische Kirche als Heilige vorstellt, vermag ich zwar nicht zu sympathisieren. Mancher und manche unter ihnen ist mir zu sehr Selbstquäler und zu wenig Christ. Die Selbstpeinigung an sich verstehe ich nicht. Es müsste nur eine Art der Selbsterziehung damit gemeint sein, eine Abhärtung des Körpers, Stärkung des Willens oder dergleichen. Oder jemand anderem gedient sein. In diesem Falle dünkt mich freiwilliger Abbruch, körperliches Leid heldenhaft.

Andere der kirchlichen Heiligen sind mir zu unduldsam fremden Glaubens gegenüber. Jemand, der sich aus religiösen Gründen sträubt, mit allen Menschenkindern Gemeinschaft zu machen, kann sich doch für die Länge nicht behaglich fühlen im Reiche Gottes.

Alle, die guten Willens sind und sich in ihrer Weise der Vollkommenheit bestreben – wessen Stammes, wessen Glaubens sie immer mögen sein – sie alle haben nach meiner Meinung Anspruch auf die Gemeinschaft der Heiligen.
S. 73-77, 80-81
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901

Ablass der Sünden

Das Kreuzesopfer Christi ist so erklärt, als wäre es für die Sünden der Welt dargebracht worden, als habe der Heiland dadurch auf sich genommen und abgebüßt die Sünden eines jeden, der an dieses göttliche Opfer glaubt. Man hat gemeint, die andächtige Beiwohnung der Messe, der inbrünstige Empfang der Sakramente sei schon genug, um entsündigt zu werden. Man hat gesagt, der sündige Mensch allein sei nicht imstande, sich zu sühnen, zu erlösen, es gehöre die Gnade Gottes dazu. Die Gnade Gottes käme aber nur dem, und zwar ganz unverdient zu, der darum bittet, denn sie einzig erworben durch die Verdienste Jesu Christi.
Die wörtliche Auffassung dieser Lehre ist verhängnisvoll geworden. Man hat täglich um die Gnade gebetet, wöchentlich einmal dem Messopfer beigewohnt, monatlich einmal gebeichtet und kommuniziert – und ist Sünder geblieben. Und hat auf Rechnung dieser Übungen und Andachten Laster auf Laster, ja Verbrechen auf sich geladen, und hat kein böses Gewissen gefühlt und ist in der Meinung, ein guter Christ zu sein, als unbußfertiger Sünder gestorben.

Die Kirche meint es nunmehr allerdings nicht so, aber sie hat die größte Mühe, die oben angeführte Lehre derart zu begründen und auszulegen, dass sie wahrhaft sittigend auf die Menschen wirkt und jedermann davon überzeugt ist, dass die Sünden trotz aller Gnadenmittel erst dann vergeben werden, wenn sie nach Menschenmöglichkeit persönlich gesühnt und gutgemacht sind. – Freilich in diesem Falle wird billigerweise überall so ziemlich alles vergeben, was überhaupt zu verzeihen ist, da braucht man nicht erst einen besonderen Ablass dazu.

Es gibt aber Fälle, wo die Lehre von dem Gnadenablass eine Fülle himmlischen Trostes birgt, wo sie den verzweifelnden Menschen aufrichtet, wo sie also tatsächlich ein Ausfluss christlicher Liebe ist.

Auf einer großen Jagd wurde unversehens der Jagdeigentümer, ein reicher Gutsbesitzer angeschossen und an diesem heiteren Halalifeste war es bei ihm zum Sterben. Die körperlichen Schmerzen waren sanft, er verblutete langsam nach innen. Trotzdem bebte und verzweifelte er über die Maßen, bis der Priester vor ihn hintrat. Denn dass der Tod da war, er ahnte es wohl. Viele und schwere Sünden waren zu beichten. Ungerechtes Gut konnte nicht mehr zurückerstattet werden, so reich der Mann auch sein mochte, denn jene, denen er es einst genommen, waren längst verdorben und gestorben. Natürliche Kinder von ihm waren verkommen, Auswürflinge geworden, er hatte sie verleugnet. Ein Nachbar von ihm war ein Jahr lang unschuldig im Gefängnis gesessen und darin aus Gram gestorben, weil er - der Gutsbesitzer – im Prozesse einen falschen Eid geschworen. Nicht eine dieser furchtbaren Sünden konnte mehr gesühnt werden.

Wer kann sagen,, dass er ein besonders schlechter Mensch gewesen? Er war das, was so viele unter uns sind: von unersättlicher Selbstsucht besessen. Und als er nun vor der Majestät des Todes empfand, wofür er den edleren Teil seines Menschentums vergeudet hatte, da ging ihm ein Licht auf, ein schreckliches. Der Sterbende sah vor sich die ewige Verdammnis und wand sich in Verzweiflung Es war ein Bild unbeschreiblichen Jammers, alle Anwesenden bebten bei den grässlichen Selbstanklagen des Mannes und manches Herz wollte brechen vor Erbarmen. Da trat der Priester zu ihm, labte ihn, reichte ihm die Sakramente und fragte, ob er seine bösen Taten bereue aus Angst vor der Hölle oder aus einem anderen Grunde?

»Weil es so schlecht war von mir!« stöhnte der Sterbende auf, »weil ich mich so unsäglich verachten muss! Weil es Gott so gut gemeint hat, mit Glück und Besitz und Freunden mich gesegnet. Und ich ihm so! Und ich ihm so!

Da legte der Priester seine Hand ihm auf die feuchte Stirn und sagte: »Mein Bruder im Herrn, dir ist vergeben. Du kannst deine Sünden nicht mehr büßen auf dieser Welt, aber Jesus Christus, der am Kreuze gestorben ist, hat sie auf sich genommen, hat dich erlöst durch sein kostbares Blut. Sei in Frieden, der Heiland nimmt deine Seele auf in seiner Gnade.

Als der Mann tot war, hingen an seinen Wimpern zwei große Tränen. Weinend voll Seligkeit ist er gestorben.

Die Sache dürfte wohl so stehen: Wenn ich nichts tue zur Löschung meiner Schuld, nichts zur Besserung meines Lebens, wenn ich mich einzig auf den Nachlass der Sünden durch Christi Verdienste verlasse, dann wird mir nichts verziehen. Wenn ich aber zur Sühne meiner Sünden und Laster alles tue, was in meiner Macht steht, und es reicht noch nicht aus, dann tritt der Erlöser ein und zahlt für mich den Rest der Schuld, und es muss auch die beleidigte Menschheit zufrieden sein.
Wenn die begangenen Missetaten und Verbrechen nur erst von den Menschen verziehen sind, dann wird der Herr den Schuldschein zerreißen. Und wenn einzelne der Beleidigten trotz aller möglichen Genugtuung unversöhnlich bleiben, so wird der Heiland durch die Stimme des guten Gewissens zum Büßenden sprechen: »Komm, du bist mein, ich hab’ dich wieder lieb.«

Dann noch etwas für dieses Kapitel.

Die katholische Kirche legt einen Ablass auf die guten Werke Beten, Fasten und Almosengeben. Der Ablass wird oft angefochten, weil diese guten Werke, wie sie wörtlich genommen zu werden pflegen, unbedeutend erscheinen. Als solche sind sie es auch, machen Betbrüder und Heuchler. Man kann diese guten Werke aber auch in hohem Sinne nehmen und dann schauen sie anders aus.

Unter Beten verstehe ich nicht das stundenlange Plappern, das mechanische Anrufen von Gott und Heiligen nach vorgeschriebenen Formeln zu vorgeschriebenen Zeiten, oft auch für vorgeschriebene Zwecke. Beten heißt, sich innerlich zu sammeln, seine Gedanken der Ewigkeit zuzuwenden, die Wahrheit zu suchen, Sehnsucht nach der Gottheit zu haben, an großen Anbildern in Ehrfurcht und Liebe sich aufzurichten, von der gütigen Allmacht Trost, Erhebung zu erflehen, und besonders die Gnade, reiner und sittlich stärker werden zu können.


Unter Fasten verstehe ich nicht ein zeitweiliges Verzichten auf ein Stückchen Fleisch, um sich den Magen mit Fischen, Eiern und Mehlspeisen zu stopfen, sondern Mäßigkeit und Anspruchslosigkeit im materiellen Genusse, Zurücksetzung sinnlicher Freuden zu Gunsten eines erhöhten geistigen Lebens.

Unter Almosengeben verstehe ich nicht das Bettlerzüchten mit Hellern und Groschen, um damit einer sentimentalen Barmherzigkeit zu genügen und das Gewissen des Besitzenden abzufinden, sondern ich verstehe darunter persönliche, werktätige und fortwährende Mithilfe, die sozialen Ungerechtigkeiten zu beseitigen, den Arbeitern Arbeit und Erwerb, den Unglücklichen, Schlechtgearteten Gelegenheit und Beistand zur Besserung, den Armen, Krankern und Altersschwachen die ihnen gebührende Versorgung zu schaffen, den unteren Volksklassen Gelegenheit zu geben, sich zu bilden und zu veredeln, sie an dem Kulturschatze der Menschheit teilnehmen zu lassen.


So verstanden, gewinnen die drei guten Werke Beten, Fasten und Almosengeben eine tiefe Bedeutung für den Menschen überhaupt, zur heutigen Zeit insbesondere. In ihnen liegt das christliche Verhältnis des Menschen zu Gott, zu sich selbst und zum Nächsten. Und wenn die katholische Kirche für ein solches Beten, Fasten und Almosengeben den Nachlass der Sünden verheißt, dann wird kaum ein Luther mehr kommen, der den Ablass verwirft. S. 81-86
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901


Auferstehung des Fleisches

In meiner frühen Jugend beschäftigte mich nichts so sehr, als die Vorstellung vom »Jüngsten Tage«.

Am Samstag-Feierabend wird’s noch heiter sein. Wir werden um den großen Tisch herum noch den Rosenkranz beten und nichts dabei denken; wir werden dann die Schwammsuppe und den Specksalat und den Roggensterz essen und verabreden, was am folgenden Sonntage für Vergnügungen geschehen sollen. Die Knechte werden dann noch ihre Pfeife rauchen, die Mägde ihr Haar strählen und endlich werden wir alle in Gottesnamen schlafen gehen.

Nachdem wir viele Stunden geschlafen, wird der Vater anfangen im Hause umherzusteigen, von einer Uhr zu anderen, wird zu den Gluckern hinausschauen und nicht wissen, was das bedeutet, dass heute keine Sonne kommt und kein Morgenrot. Finstere Nacht ist es, und die Uhren zeigen schon den hohen Vormittag. Die Sternlein am Himmel sind nicht mehr silberweiß wie sonst, sie sind rot wie Herdfunken. Und diese Herdfunken werden sachte größer, leuchten matt wie Spanfackeln, werden zu feurigen Rädern, die sich sprühend drehen und immer näher kommen und immer heftiger kreisen, so dass die Bäume und die Menschen gespenstisch zuckende Schatten werfen. Manche dieser Feuerscheiben werden schon so riesig, dass sie aneinanderstoßen und gewaltige Gluten entzünden in den Lüften. Ungeheure Rauchwuchten qualmen, vom Sturme getrieben, durch das Firmament dahin. Grauses Krachen und Tosen überall, ein Funkenregen sprüht auf die Erde nieder, es brennen die Häuser, die Wälder, die Felsen, unter unendlichem Jammer sterben die Menschen hin. –

Dann ist’s still geworden, die Himmel sind ausgebrannt, die Meere sind vertrocknet, die ganze weite Erde ist ein Aschenfeld. Aber in den Lüften tönt es wie Posaunenschall und nun regen sich die verkohlten Schollen. Aus den Sprüngen und Rissen des Bodens strecken sich fahle Hände empor, zuerst einzelne, dann viele, der Boden wird lebendig überall, aus jeder Scholle wird ein Mensch. Die Toten! Nun erst sieht man recht, wie die ganze Erde ein einziger Friedhof war. Leib an Leib stehen sie da in ihren Sterbekleidern, jeder erschrickt vor dem Nächsten; wo sich Bekannte, Verwandte sehen, da erschrecken sie noch mehr. Viele huschen davon und wollen sich wieder verkriechen, andere stehen da und beben, sie wissen nicht, was da wird. Vom Scheitel des Himmels herab leuchtet eine goldige Scheibe wie Morgenrot. Ein zarter weißer Wolkenkranz, er wird größer, schwebt immer tiefer herab, es ist keine Wolke, es sind lauter Engel mit weißen Fittichen. Und inmitten in göttlicher Majestät Jesus Christus mit dem Kreuze. ….

Das jüngste Gericht in der Vorstellung des Volkes. Der letzte Tag.


Der erste Tag! Der erste Tag eines neuen Seins. Auferstehung des Fleisches, sagt die Religion.
Auferstehung der Substanz, sagen die Naturforscher.
Wenn im Herbste die Blätter von den Bäumen fallen, so will man das für ein Beispiel der Vergänglichkeit deuten. Ein schlechtes Beispiel, denn nach wenigen Monaten wachsen auf dem Baum junge Blätter und es wird ein neuer Frühling, der ganz so ist, wie die früheren waren. Nach hundert Frühlingen und Herbsten fällt endlich der Baum zusammen, doch aus seinem modrigen Stocke sprießen junge Stämmchen frisch empor und seiner Reihe von Frühlingen entgegen. Aber der Mensch sinkt als Vater zu Grabe und steht als Kind wieder auf.

Alles ist dem Tode verfallen, man kann es sagen, aber auch: alles ist zum Leben bestimmt.
Denn so viel wir täglich sterben sehen, so viel sehen wir geboren werden. Und wenn einst der Erdball alt und kraftlos sein wird, so wird er bloß ein wenig rasten, dann sich verwandeln und im Kosmos Mitanlass zu einer neuen Lebewelt sein.

Die Wiederbelebung und Auferstehung der Substanz kann von niemanden geleugnet werden. Ich glaube aber auch dreist an die Auferstehung des Individuums. Sei es, dass der Vater im Sohne lebt, sei es, dass die scheinbar vergehende Person durch ein anderes Geheimnis das Bewusstsein ihrerselbst wieder findet – ich glaube, dass dieses Ichbewusstsein vielleicht unterbrochen werden kann, dass es aber unzerstörbar ist.

Und wenn das Ich auch nur seine Gegenwart weiß, sich aber nicht erinnern kann an seine Vergangenheiten, so glaube ich doch, dass von einem »Leben« zum anderen gewisse Ursachen und Wirkungen verbindend fortbestehen, die das Individuum erhalten und bestimmen. Und so möchte es ja wohl sein, dass die Person in einem späteren Leben die Folgen eines früheren empfindet und zu tragen hat. Vervollkommnet sich ein Wesen in diesem Leben, so tritt es eben vollkommener in ein nächstes über, erniedrigt es sich hier, so wird es dort als niedrige Art wieder geboren. Dieser Glaube dürfte recht sehr verstimmend wirken bei niedertrachtenden Kreaturen, ist aber wunderbar beseligend für den, der sich bestrebt, reiner und besser zu werden, denn er geht einem edleren, vollkommeneren Leben entgegen – er nähert sich Gott. – Und auf diesem Wege zu Gott die lebende, webende, blühende Natur, unendliche Rosen streuend auf den Leidenspfad, auf den Siegeszug
. S. 86-89
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901

Und ein ewiges Leben
Ein ewiges Leben – juchhe!

Aber Freund, höre ich zu mir sagen, denke doch an den ewigen Juden! Der Menschheit ganzer Fluch ist verkörpert in dem Manne, der nicht sterben kann!
Nicht sterben können, die furchtbare Kette endloser Unheilserinnerungen im müden Leibe durch das verlorene Erdenleben schleppen müssen und nicht sterben können, das wäre freilich Verdammnis.
Aber sterben können und doch wieder auferstehen, durch den Tod vergangene Epochen auslöschen können und mit jedem jungen Leben höher steigen, seliger werden – das ist unser göttliches Los.

Und du, mein Bruder, bist so müde. Und du willst auf ewig schlafen gehen und nichts wissen von Unsterblichkeit! – Schau, das sollst du nicht wollen. Lege deinen Leib nur hin und raste dich erst einmal aus, dann wirst du wieder Mut haben zu einem neuen Flug gen Himmel. Ich sehe es ja wohl, du hast viel gelitten und bist wund und krank, so freue dich dessen, dass bald Feierabend kommt. Und morgen ist unter der leuchtenden Sonne ein neuer Tag und morgen ein neuer Mensch mit jungem glückdurstigen Herzen.

Du sagst, du könntest dir nicht abraten, dass du sein wirst. Ich kann mir nicht denken, dass du nicht sein wirst. Denn du bist. – Ich bin, und das ist der beste Beweis dafür, dass ich war und sein werde.

Es wäre ja so ungereimt zu denken, dass du zwischen einer ewigen Vergangenheit und einer ewigen Zukunft nur heute ein bisschen solltest aufgestanden sein. Früher nicht gewesen, in Zukunft nicht sein, gerade jetzt die paar Jahre, gerade jetzt! Ja, wie denn so?

Aus dem Meere der Ewigkeit just für einen Augenblick auftauchen und Mücken schnappen, und keine weitere Bestimmung, da könnte einer freilich in der Eile dieses ganz zufälligen Lebens Schabernack treiben, um dann ohne Verantwortlichkeit für immer zu verschwinden. Ein keckes Spiel mit sich und anderen um alles oder nichts könnte er da wagen, und sich nach Lust blähen oder zerstören, je ungeheuerlicher, desto besser. – Das ist aber nicht. Tötet er sich, so lebt er immer wieder auf, und je frevelhafter er es treibt, desto tiefer lebt er sich in eine Verdammnis der Zukunft hinein.

Mache dich gut, mache dich glücklich, denn du wirst sein. Du kannst nicht flüchten, und der Tod, in dem du etwa deinen schlechten Adam verstecken wolltest, ist nur ein Asyl für kurze Zeit, gar bald liefert er dich wieder aus, gibt er dich zurück deiner Bestimmung, vollkommen zu werden. Du entgehst nicht und du wirst so lange störrisch hoffend leiden, bis du zur Erkenntnis kommst, und dann wirst du so lange ringen, bis du vollkommen bist.

Menschenkind, du geheimnisvolles, unsterbliches Wesen!
Und vergiss nicht, dass auch alle anderen Kreaturen den Kreis der Unsterblichkeit mit dir reigen. Was du auch zerstörst mit deiner Hand, zertrittst mit deinem Fuß, vernichtest mit feindseligem Herzen, glaube es den Gelehrten, dass die Atome unzerstörbar sind; glaube es den Mystikern, dass der Tod nicht sowohl eine Entseelung des Leibes bedeutet, als vielmehr eine Entleibung der Seele; glaube es der Offenbarung, dass die Geschöpfe unsterblich sind. Halte Freundschaft mit den Tieren, die wie du sich emporarbeiten müssen; stehen sie auch heute noch um etliche Stufen tiefer wie du, gib acht, dass der wilde Peitschenhieb, den du deinem geduldigen Pferde versetzest, dich nicht stürzt unter das Tier hinab! Mache dich vertraut mit den Wesen der weiten Welt, denn du wirst sie immer wieder begegnen auf deinem Fluge durch die Ewigkeit, und immer näher werdet ihr euch, werden wir uns alle kommen, bis die endliche Vollkommenheit uns zu einem einzigen seligen Wesen vereinigt.

Wer, der in diesem Bewusstsein nicht weinen muss vor Freude! Dass wir nicht verloren sind, nicht verloren sein können. Dass wir alle bei Gott sind, die einen irrend, zagend und zweifelnd zu seinen Füßen, die anderen liebend, glaubend und hoffend an seiner Brust.

Und also schließe ich der heiligen Offenbarung Erstes und Letztes zusammen im jauchzenden Bekenntnisse:
Ich glaube an Gott und ein ewiges Leben. Amen
S. 89-91
Aus: Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann 1901

Ein Gespräch über Religion
Doktor. Ich muss es offen sagen, Peter, Sie gefallen mir nicht. Sie passen nicht mehr in unsere Zeit.

Peter. Ob ich in die Zeit passe oder nicht, ist mir gleichgültig, aber zu den Menschen will ich passen.

Doktor. Sie passen Auch zu den modernen Menschen nicht. Sie predigen z. B. der neuen Zeit, die nur den Kampf ums Dasein kennt, das Christentum mit einer Einfältigkeit, als stünden sie in den ersten Jahrhunderten.

Peter. Viele Menschen haben wieder Heimweh bekommen nach dem Christentume, und umso tieferes Heimweh, je weiter sie sich von demselben entfernt haben.

Doktor. Ja, lieber Freund, glauben denn Sie, es ist den Leuten ernst, wenn sie heute von Religion sprechen, sich religiös stellen, wenn sie etliche konfessionelle Gebräuche, die ihnen gerade am Wege aufstoßen, mitmachen, oder wenn sie sich zusammentun zu einer Partei der vereinigten Christen! All diese Bestrebungen sind vom wirklichen Christentum mindestens so weit entfernt, als ich mit meinem Atheismus es bin. Versuchen Sie doch einmal einen von solchen, wie es mit seinem inneren Christentume steht: es ist nichts da. Oder wird so ein gewöhnlicher Philister, der im Gegensatze zum Juden oder Katholiken oder Türken »Christ« nennt, sich bemühen, seinen Feinden zu verzeihen, ihnen Gutes, oder wenigstens nichts Böses zu tun, für den Nächsten beständig freiwillige Opfer zu bringen, seine eigenen sinnlichen Neigungen abzutöten, den Gütern und Freuden dieser Welt zu entsagen, oder ihnen wenigstens das Gewissen nicht zu opfern? – Im Gegenteile, unsere modernen Christen stellen sich diesen Ideen prinzipiell feindlich entgegen; sie haben sich selber ein Christentum an den Leib geschnitten, das für ihre weltlichen Begierden, eigennützigen Bestrebungen und gelegentlichen Gefühlsschwärmereien ganz gut passt, mit der Strenge und Heldenhaftigkeit der Lehre des Nazareners aber nichts gemein hat. Aus verschiedenen Gründen der Klugheit nennen sie sich Christen, und der Name genügt.

Peter.
Sie sind schrecklich, Doktor, denn Sie haben recht.

Doktor. Freut mich, dass Sie es zugeben.

Peter. Bedauere, dass ich es zugeben muss. Denn dass es so ist, davon gewinnen weder Sie noch ich.

Doktor. Oh, diese modernen Christen! Manchmal glauben sie, dass sie etwas glaubten; wenn sie sich aber gründlich prüfen oder in bestimmte Lebenslagen kommen, so stellt sich heraus, dass sie eigentlich gar nichts glauben.

Peter. Das lässt sich umkehren. Es gibt Leute, die bei Gott schwören, dass es keinen Gott gibt! Leute, welche im gewöhnlichen Leben glauben, dass sie nichts glauben und in den Stunden der Not den Allmächtigen anrufen. Auch im Weltkinde lebt tief verborgen ein Verlangen und Sehnen nach Gott. Und dieses Verlangen und Sehnen selbst schon ist eine Art Glaubensbekenntnis. Der Flachling, der in Geist und Gemüt verkommene Glücksjäger und sinnliche Genussmensch mag sich zeitweilig begnügen mit dem, was diese Erde ihm bietet; der ganze herztiefe Mensch begnügt sich nicht mit diesem irdischen Jahrmarkte, nicht mit den zweifelhaften Errungenschaften des weltlichen Geistes, nicht mit jenen Vorstellungen und Redensarten, dass alles unsterblich sei im Kosmos, dass kein Atom verloren gehe, dass alles in irgend einer Form, wenn auch sich seiner selbst nicht bewusst, immer vorhanden sei u. s. w. – Nein, diese Kaleidoskopen-Philosophie ist dem ganzen Menschen nicht genug, ja ihm gerade zuwider, zu erbärmlich. Er will als ein bestimmtes, sich selbst denkendes Wesen bestehen, sich als solches immer reiner entwickeln, allmählich alle Unlauterkeiten von sich abstreifen, und endlich frei von allen peinigenden Leidenschaften im heiteren Frieden fortleben, vereint mit dem Ideale aller Vollkommenheit, das er Gott nennt. Der Mensch ist etwas Großes, alles erdenkliche Erdenglück ist ihm nichtig und alles Erdenunglück, das er ertragen muss, erträgt er nur, weil er weiß, es reinigt, stärkt, adelt ihn auf seinem Wege zur Vollkommenheit. Er will höher hinaus, als alle Weltmacht und aller Menschenwitz ihn heben können, er will eine Größe und Unendlichkeit erlangen, die er sich mit seinem endlichen Verstandesorgan noch gar nicht vorstellen kann.

Doktor. Das stimmt ja mit der Philosophie der Darwinisten. Keine Wissenschaft hat das Fortbestehen und Sichveredeln des Menschengeschlechtes so klar und begreiflich dargestellt, als der Darwinismus; keine Einsicht ist so trostreich für uns und so erhebend, als die, wie weit wir es seit dem Urschleime her schon gebracht haben, denn eben darin liegt für uns, die wir immer in der Fortentwicklung begriffen sind, die Gewissheit, dass wir es noch weit bringen werden.

Peter. Lieber Doktor, das ist, von meinem Standpunkte aus betrachtet, eine traurige Geschichte mit der Naturwissenschaft. Einerseits stellt sie uns in Aussicht, dass die Menschheit es auf Erden zur größtmöglichen Vollkommenheit bringen kann, andererseits stellt sie fest, dass nach dem Verlaufe einer gewissen Zeit der Erdball erstarren und kein Lebewesen ähnlich dem Menschen mehr beherbergen wird. Ist letzteres richtig, so wird der Mensch nach dem Darwinschen Grundsatze sich nicht immer vervollkommnen können, denn die allmählich kümmerlicher werdenden Existenzbedingungen müssen ihn vielmehr degenerieren und zum Raubtiere erniedrigen, das die notwendigsten momentanen Bedürfnisse decken muss, so lange es irgend noch möglich ist. Oder soll der Mensch gerade durch die wachsende Ungunst seiner Existenzbedingungen sich vergeistigen und vergöttlichen, dann könnte es vielleicht gerade zusammentreffen, dass an dem Tage, an dem der vollkommene Mensch fertig ist, die Welt zugrunde geht.


Doktor. Kann ich dafür, dass es so sein wird?

Peter. Vielleicht haben Sie einen Teil der Schuld daran. Sie haben durch die Verbreitung Ihrer Philosophie mit dazu beigetragen, dass viele Menschen in dieses Gedankensystem hineingedrillt worden sind, bis sie sich hineingelebt haben, so dass sie meinen, es müsse so sein, wie sie sich’s vorstellen. Das ist aber nicht ausgemacht. Für den Menschen ist alles freilich genau so, wie er sich’s vorstellt, aber an und für sich kann es ganz anders sein. Die Geschichte der Philosophie hat uns bewiesen, dass die menschliche Art zu denken und die Dogmen der Systeme überaus unverlässlich sind. O ja, es kann recht gut anders sein, als der Mensch es durch seine Sinne zu erfassen glaubt, das Menschengehirn es sich einbildet. Und gerade dadurch, dass Ihr Materialisten den menschlichen Geist nur zu einem Ausfluss der Materie erniedrigt habt, habt ihr ihn gleichsam unmündig erklärt und unfähig, der absoluten Wahrheit nachzugehen und sie zu erkennen. Und doch wollt ihr mit diesem von Euch so armselig gemachten Geist die absolute Wahrheit ergründen. Welch ein Widerspruch! Jedenfalls stellt es sich schon heraus, dass die Art der Naturalisten zu philosophieren eine unglückliche ist, denn sie führt uns schließlich in eine Wüste, wo kein Trost und keine Rettung sein kann.

Doktor. Aber lässt sich logischerweise denn anders denken, als die Erfahrungen es erlauben?

Peter. Viele Millionen Menschen, die auch dieselben Erfahrungen machen und auch geistig gesund sind, denken doch anders, als etwa Sie. Und denselben kommt ihr Denken und Wissen nicht minder richtig und der Wahrheit entsprechend vor, als Ihnen das Ihrige. Viele von solchen haben noch dazu den Vorteil, dass ihr Denken und ihre Vorstellungen sie beseligen, stark, treu und edler machen und auf eine Höhe erheben, auf der sie dem unermesslichen Elende dieses Lebens fast entrückt sind.

Doktor.
Welch eine Höhe ist denn das? Nennen Sie mir sie.

Peter. Die Religion.

Doktor.
Die Religion. Aber sagen Si mir doch, sind Leute, die eine so genannte Religion haben, denn auch um so viel besser, als die so genannten Atheisten.?

Peter. Besser? Schon aus Religion dürfte man das das nicht so hochmütig bejahen. Jedenfalls aber glücklicher.


Doktor. Ist Ihnen das Glücklichsein denn gar so wichtig? Ist es nicht edler, der Wahrheit willen auf alles Glück zu verzichten?

Peter. Das Wahre ist für uns das, was uns glücklich macht. Gehen denn doch alle menschlichen Bestrebungen, ja angeblich auch die der Naturforscher, darauf aus, den Menschen recht viele Vorteile zu verschaffen, dass sie sich möglichst behaglich und glücklich fühlen. Warum soll gerade jene Gedanken- und Vorstellungsart nicht Geltung haben, durch welche wir uns am besten mit diesem Leben und seinen Widerwärtigkeiten abfinden können? Es handelt sich nur um das.

Doktor. Der Mensch ist auf Erden, um die Wahrheit als solche zu suchen.

Peter. Wer hat ihm das aufgetragen? Sein Schöpfer? Er hat ja keinen, wie Sie sagen. Also er sich selbst? Und wann? Als Urzelle? Als Affe?

Doktor. Als Mensch.

Peter. Nur als Gelehrter kann er sich diesen Luxus erlauben. Der Mensch als solcher hat andere Strömungen und die längsten derselben münden allemal und überall nur ins Meer der Ewigkeit und des Gottgedankens.

Doktor.
Freund, also glauben Sie wirklich an einen Gott und an die Unsterblichkeit Ihrer Seele?


Peter.
Ich glaube das nicht, denn ich weiß es.


Doktor. Hätten Sie Ihre Unsterblichkeit geglaubt, so würde ich geschwiegen haben. Weil Sie die Sache aber wissen, so wollen Sie doch die Güte haben, sie mir zu beweisen.

Peter. Ich bin, ich war, ich werde sein. Denn dass ich bin, empfinde ich. Dass ich war und sein werde, gründe ich auf die Erfahrung, denn in aller Zeit, die ich weiß, war ich und ich habe keine Zeit erfahren, in der ich nicht war und nicht sein werde.

Doktor. Sie sind witzig vielleicht zu unrechter Zeit.


Peter. Menschenwitz. Ähnlich beweisen ja auch Ihre Philosophen. Doch es soll nicht gelten, auch bei mir nicht. Unendliches lässt sich mit endlichen Mitteln ja nicht beweisen. Man muss es fühlen, wie man sein eigenes Wesen fühlt. Ich weiß den Herrn an meiner Seite und das macht mich mutig und fröhlich. Wie hätte ich armer irrender Mensch durch die unzähligen Fährlichkeiten der Welt, durch all die Versuchung, das Leid, das Unglück, durch all die heuchlerischen Widersacher und grimmen Feinde den Weg finden zu können bis hierher? Er war mit mir. Im Taumel der Lust, des Erfolges, des Beifalles, ja selbst in den süßen Wonnen des häuslichen Glückes hätte ich müssen übermütig werden; von Feinden gehetzt, kauernd an den Gräbern zerstörten Glückes, im Banne der Laster, im Bewusstsein persönlicher Schuld und Armseligkeit hätte ich verzweifeln müssen. Doch er war mit mir. Immer überlegener fühle ich mich den Dingen, die mich einst unterjocht hatten; immer kräftiger in Bekämpfung des tierischen Teils an mir; unbedenklich wage ich heute Unternehmungen, zu denen mich meine gebrechliche Natur, meine geringen Fähigkeiten nicht berechtigen – denn an meiner Seite steht der Herr. – Ihr bestreitet die Wunder, die er einst gewirkt hat, ich sehe die Wunder, die er heute noch wirkt. Er lässt den guten Willen siegen und den bösen zu Schanden werden, wenn schon nicht immer heute, so doch morgen. Er hat seine Schöpfung so eingerichtet, dass alles Unzweckmäßige sachte ausgerottet, das Zweckmäßige endlich herrschend werden kann. In ewiger Planmäßigkeit geht dieser Prozess vor sich.

Doktor. Und das viele Unrecht, welches geschieht?

Peter.
Empfinden wir als solches und sind sofort bestrebt, es zu korrigieren, weil wir wissen, dass durch die Überhandnahme desselben der Einzelne und das ganze Geschlecht gefährdet wären. Sind das nicht Spuren Gottes? Sind das nicht Wunder, die täglich gewirkt werden? Dass in dem Wirrsale der Stoffe und der geistlosen Kräfte, wie Ihr sagt, ein Mensch leben und Ideale hegen kann, die mit den Stoffen und Kräften gar nichts zu tun haben, dass er trotz dieser Opposition gegen die herrschenden Mächte doch nicht zugrunde geht, sondern gerade in den Idealen Friede und Stärke findet, ist das nicht ein Wunder?

Doktor. Und warum diese Umständlichkeiten einer kümmerlichen Entwicklung unter Elend und Unrecht? Warum hat ihr weiser Gott die Welt nicht gleich anfangs vollkommen erschaffen?

Peter. Das weiß ich nicht. Wenn ich das wüsste, brauchte ich keinen allweisen Gott, dann wäre ich’s selber.

Doktor. Sagen Sie mir doch, wie stellen Sie sich die Wesenheit Gottes vor?


Peter. Wie ich kann. Als eine Persönlichkeit. – Sie erschrecken über meine Einfalt. Schuld daran ist die Unzulänglichkeit des menschlichen Geistes. Mögen wir uns etwas noch so abstrakt denken, brauchbar wird es erst, wenn es sich konzentriert zu einer sinnlichen Vorstellung. Der Mathematiker z. B. versinnlicht den mathematischen Punkt durch einen Tintentupfer auf dem Papier. Er weiß recht gut, dass das mathematisch unrichtig ist, kann sich aber nicht anders helfen. Mit der Gottvorstellung geht es uns ebenso. Er ist der Unendliche, Unfassbare, aber wir müssen ihn so nehmen, wie wir ihn tragen können. Glücklich der, welcher in naiver Unmittelbarkeit den unendlichen Gott in Menschengestalt sehen kann.

Doktor. Nach dem früher Gesagten zu schließen, ist Ihnen die Verehrung Gottes eine Pflicht.

Peter. Nein, ein Bedürfnis. Gott steht auf meine Dankbarkeit und Verehrung nicht an. Und eine pflichtschuldige Verehrung, ein halb erzwungenes Lob ist überhaupt etwas Zweifelhaftes. Das Bedürfnis, dem Wohltäter zu danken, ihn zu ehren, entsteht in uns selbst, und die Betätigung desselben empfinden wir wie einen Genuss. Darum gereicht frommen Menschen der Gottesdienst zur wahren Beseligung.

Doktor. Wenn aber der Gottesdienst reine Formsache wird? Wenn man in die Kirche geht, bloß weil es Sitte ist und weil es vom Kultus verlangt wird?

Peter. Dann ist die Wirkung auf unser Gemüt oft gleich Null. Der Mensch muss zuerst zu sich selber kommen, dann erst zu Gott. Wer in sein Herz nicht einkehrt, der kehrt in die Kirche vergebens ein.

Doktor.
Sie meinen wohl, dass man Gott auch im grünen Walde verehren kann?

Peter. Das meine ich freilich, bin aber kein Freund dieser Phrase. Mit einem Gottesdienste in Einsamkeit ist den allerwenigsten gedient. Die Religion führt uns nicht allein zu Gott, sie will uns auch zu den Menschen führen. Die Gemeinsamkeit der Gottesverehrung in der Kirche erweckt in uns immer wieder das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Brüder und Schwestern sind es, die vor den Füßen des himmlischen Vaters knien. Nichts Rührenderes weiß ich, als eine andächtige Gemeinde, wie sie sich bei großen erschütternden Ereignissen, im Elementarunglücke zu zeigen pflegt. In solchen Zeiten fällt es auch selten Einem ein, seinen Gott separat im grünen Walde oder im einsamen Kämmerlein zu verehren, den Menschen zieht`s in schweren Tagen zu Menschen und alle zusammen zu Gott. Doch gibt es Gemüter, und ich verstehe sie gar wohl, denen die Andacht, die fromme Vertraulichkeit mit Gott, die Erhebung des Herzens zum Urquell alles Guten und Schönen in der Einsamkeit besser gedeiht, als inmitten der Leute und des Gepränges.

Doktor. Sie sind also wohl kein Freund des prunkhaften katholischen Kultus, der Zeremonien, welche mit dem kirchlichen Gottesdienste verbunden sind?


Peter. In Hinblick auf die Millionen, die ohne unseren kirchlichen Kultus leben und doch auch Kinder des himmlischen Vaters sind, steht es mir nicht an, zu sagen, dass Zeremonien zur Seligkeit unerlässlich sind, man kann auch ohne sie tief religiös und fromm sein. Die ersten Christen haben weniger Zeremonien geübt, als die katholische Kirche in späterer Zeit, aber in der christlichen Religiosität werden sie es wohl mit den Christen aller Zeiten und Kirchen aufnehmen können. – Und dennoch bin ich ein Verehrer des katholischen Kultus. In dem vereinigen sich alle Künste um den Herrn zu preisen. Wenn die Künste schon als solche, weltlich geübt, veredelnd wirken, um in wie höherem Grade erst bei dem Zwecke der Verherrlichung Gottes? Wie arm an Kunst wäre das Volk der Dörfer und Wälder, wenn die Kirche ihm nicht Bildnerei und Schaustellung, Lied und Musik gebracht hätte!

Doktor.
Als wahrer Christ verhalten Sie sich vielleicht ablehnend gegen die fünf Gebote der katholischen Kirche?

Peter. Wieso? Dieselben, tiefer erfasst, sind für die Gläubigen ein außerordentlicher Behelf. Ich habe Ihnen schon angedeutet, dass auf dem sinnlichen Menschen die Religion in sinnlicher Gestalt am besten wirkt; alles Geistige, Unfassbare muss versinnlicht werden, wenn es in uns praktisch fruchten soll. Dinge, die uns verborgen sind, nennen wir Geheimnisse, und solche dem Menschengemüte, wenn schon nicht in der Wesenheit, so doch der Auffassung gemäß zu versinnbildlichen, ist Aufgabe der kirchlichen Formen und Handlungen.

Doktor. Sie neigen bedenklich der Mystik zu!


Peter.
Ich gestehe es, ich liebe die Mystik. Warum man vor diesem Worte eine solche Abscheu, weiß ich nicht. Sind wir doch alle in lauter Geheimnisse eingesponnen. Die ganze Welt ist uns ein Geheimnis, die Vergangenheit, die Zukunft, die Ursachen unserer Neigungen und Taten sind uns ein Geheimnis, und ihre letzten Wirkungen sind es auch. Wir selbst sind uns ein Geheimnis, das wir so wenig durchdringen und lösen können, als jenes hinter den Pforten der Ewigkeit. Alles um uns, vor uns, hinter uns, über uns, unter uns, in uns ist dunkel. Grelle Lichter, die zeitweilig aufflackern, blenden uns mehr, als sie uns erleuchten. Wenn wir nun das Geheimnis zum Symbol machen, sinnbildlich es unseren Herzen näher bringen, es mit unserer Phantasie vermenschlichen, verklären, so ist das noch das Beste, was wir tun können. Wir beten im Sakramente nicht Brot und Wein an, sondern das heilige Geheimnis, in dessen Schoß unsere ewigen Geschicke ruhen. – Übrigens sind die Gebote der Kirche nicht so sehr mystisch, als vielmehr praktisch und unserem Leben angemessen.

Das Gebot des Fastens entspricht unserer Gesundheitspflege, zeitweilige Einschränkung im Genusse, in den Lustbarkeiten, zeitweilige Unterbrechung der Fleischspeisen: man brauchte durchaus kein Katholik sein, um die Bedeutung dieses Gebotes zu würdigen. Die heutigen Naturärzte, und es gibt Heiden darunter! legen ihren Jüngern ein weitaus strengeres Fasten auf, als die Kirche mit ihrem einmaligen mehr auf Abwechslung zielenden Fasttage in der Woche. Doch man sieht, dass auch die Kirche an das Praktische gedacht hat.

Das Gebot der Ohrenbeichte hat ein Menschenkenner und Menschenfreund aufgestellt. Der Arme, Verlassene, Verfolgte, der keinen Freund hat, dem er seine Seelenlast, seinen Kummer mitteilen könnte, er findet Trost am Busen dessen, in dem er den Stellvertreter Gottes sieht und durch welchen Gott ihm Rat und Mut erteilt. Dass diese kirchlichen Angelegenheiten so seelenlos und nur wie eine Formsache ausgeübt zu werden pflegen, ist schuld der Leute; wer die ganze Bedeutung erfasst, mit ganzem Herzen ihnen anhängt, dem werden sie eine Quelle des Segens.

Das Gebot der Sonntagsruhe. Dieses hat sogar der Staat durch ein Gesetz unterstützt, die Kirche verlangt noch obendrein, dass am Feiertage der Mensch den Staub der Erde von sich schüttle und einen Blick nach dem Ewigen und Göttlichen richte. Wie das gesund ist! Beständig auf der feuchten Erde kriechend wird man ganz schimmelig. Jedes Erdenwesen braucht von unten und von oben etwas, um leben zu können. Was ist schon ein Sonntag mit seiner friedlichen Rast! Und was sind erst der Christenheit besondere Feste:

Weihnacht das Fest der ewigen Liebe. »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eigenen Sohn hingab!«

Ostern, das Fest des ewigen Lebens.
»Ich bin die Auferstehung und das Leben!«

Pfingsten, das Fest der ewigen Weisheit. »Ich sende Euch den Tröster, den heiligen Geist!« -

Welche Offenbarungen! Keine Religion sonst hat solche Botschaft je verkündet, keiner der Propheten, Poeten und Philosophen der Erde hat solche Verheißung gelehrt. Ewige Liebe und Weisheit! Ewiges Leben! – Jeder, der das erfasst, muss jubeln und jauchzen, und bei solchem Ausblicke in eine göttliche Ewigkeit kann es ihm leicht werden, über alle Blasen dieser vergänglichen Welt hinwegzuschreiten.

Doktor. Mensch, ich beneide Sie! Warum haben Sie es vor Vielen voraus, so denken und empfinden zu können! Das ist nicht allein eine zu erwartende Seligkeit im anderen Leben, das ist ja schon Seligkeit auf dieser Welt. Aber ich verstehe Sie nicht, ich muss meinen ganzen Aufwand von Einbildungskraft zu Hilfe nehmen, um auch nur annähernd zuzugeben, dass Sie wirklich so glauben und empfinden, wie Sie sagen.

Peter. O Freund, wie möchte ich Ihnen jetzt um den Hals fallen und bekennen, wie oft und wie bange ich um diesen Glauben beten muss! Denn man kann ihn nicht erwerben, nicht anlernen, nicht anempfinden. Man muss ihn geschenkt erhalten als eine Gnade des Himmels. Manchmal, wenn man schier stolz auf diesen Glauben pochen will, ist er plötzlich nicht da, ist es öde im Herzen, und statt den lieben, heiligen Gestalten, erfüllen es die Dämonen des Zweifels und der Trostlosigkeit. Und ein anderes Mal, wenn ein irdisches Verhängnis uns zu Boden wirft, dass man meint, jetzt gibt es kein Erheben mehr, jetzt ist alles aus – siehe, da ist auf einmal der Glaube vorhanden, der Glaube, die Hoffnung, die Liebe und das Unheil löst sich wie Nebel in der Frühlingssonne.

Doktor. Nach Ihren Auseinandersetzungen erscheint die Religion als eine Art von Genussmittel zur Labung, zum Troste und zur inneren Beseelung.

Peter. Ich weiß, wo Sie hinaus wollen. Sie verlangen von der Religion vor Allem eine erziehliche Wirkung. Sie verlangen, dass der Religiöse nicht bloß für sich glücklich, sondern auch, dass er für andere gut sei Ich verlange von ihr dasselbe und sie leistet es. Letzteres durch das erstere. Gut ist nur der Glückliche, daher will sie den Menschen vor Allem mit sich selbst ins Reine bringen, ihm den Frieden geben, den er der Welt nicht geben kann. Dass der Mensch rechtschaffen sei, muss wohl unter allen Umständen und bei allen Glaubensbekenntnissen vorausgesetzt werden; aber standhaft zu bleiben und immer vollkommener zu werden, das kann er am besten durch den Geist des Christentums.

Doktor. Nun müssen Sie mir aber eine persönliche Bemerkung erlauben. Ich fand allerdings in Ihren Schriften mit einer gewissen Vorliebe religiöse Gegenstände behandelt, Menschen geschildert, die der christlichen Ergebung und Liebe sich befleißen; andererseits aber haben Sie wiederholt eine scharfe Satire spielen lassen gegen kirchliche Gepflogenheiten. Wie erklärt sich das?

Peter.
Das erklärt sich einfach. Die Religion ist mir niemals gleichgültig gewesen. Wäre sie das, dann würde ich stets an ihr vorübergegangen sein, wie Tausende an ihr vorübergehen, ohne ein Wort der Begeisterung für ihre Erhabenheit, ohne ein Wort des Tadels für Entartungen ihres Kultus. Nichts sehnlicher wünschte ich, als die Kirchen möchten ihre Forderungen stets so einrichten, das auch der gebildete, der vergeistigte Mensch an ihrem Leben und Walten sich erbauen könnte, dass sie weniger unduldsam seien in kirchlichen Vorschriften, hingegen um so strenger und eifriger in der Verkündung des Evangeliums Jesu Christi. Nur so können die Völker und ihr weltlichen Führer vielleicht wieder für das Christentum und die Kirche gewonnen werden. – Manchmal aber vermisst man die geistliche Klugheit, und das gottsuchende Gemüt muss sich anderen Quellen umsehen. Lange Zeit habe ich alle Zustände, die mit unserer Kirche zusammenhängen oder mittelbar von ihr herstammen, verteidigt; als ich aber genauer zusah, hat mir Einiges nicht gefallen können, weil ich in Manchem eine Schädigung des christlichen Gefühles erblickte. Ich habe gesehen, wie die Formen (die bei richtigem Verhältnisse zum Inhalt ja auch löblich sind) das Übergewicht bekamen und den Geist zu erdrücken drohten. Ich habe erfahren, dass mit der Religion mancherlei Missbräuche getrieben wurden und der Glauben zum Aberglauben gemacht. Solche Erscheinungen geißelte ich mit Spott und Zorn und werde das tun, so lange ich lebe und mir die christliche Religion als das Heiligste gilt, was der Mensch auf Erden hat.

Doktor.
Das ist aber unklug von Ihnen. Abgesehen davon, dass die einflussreichen Gegner, die Sie sich damit schaffen, Ihre persönliche Existenz verbittern, wird man Sie vor dem Volke als einen Irrlehrer erklären und die Wirkung Ihrer Schriften untergraben, mit denen Sie doch den christlichen Geist fördern wollen.

Peter (zuckt die Achseln und schweigt)

Doktor. Ihre Ausführungen waren mir ganz interessant, bekehrt haben Sie mich aber nicht.


Peter.
Wollte ich denn das? Ich will nur, dass Sie meinen Standpunkt verstehen und achten sollen.


Doktor. Das haben sie erreicht. S. 112-126
Aus: Allerlei Menschliches von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann, Leipzig 1899

Ein paar Glossen zu Schopenhauer
Die Leiden dieses Lebens lassen sich zwar nicht bestreiten, dass sie aber die Freuden und Genüsse im Allgemeinen mehr als überwiegen, kann nur von einem Schwarzseher behauptet werden. Die Weltanschauung hängt überhaupt vom Temperament ab. Der Melancholiker wird in allen, auch den möglichst günstigen Lagen dieses Lebens, nur Leid und Unglück wittern; der Sanguiniker hingegen wird auch in großen Widerwärtigkeiten herzensmutig und lebensfroh bleiben und vor Allem stets nur die guten Seiten sehen. Beispiele dafür gibt es unzählige.

Wenn Schopenhauer sagt, dass wir nur den Schmerz fühlen, nicht aber die Schmerzlosigkeit, so lässt sich eben daraus ersehen, dass die Schmerzlosigkeit das Normale, Selbstverständliche, Gewohnte ist, der Schmerz aber die Ausnahme, unserem Wesen unangemessene.

Ich suche mein Glück freilich nicht im Zusammenraffen und im Genießen irdischer Güter, denn darin ist es nicht zu finden. Ich habe mein Glück stets in der Schönheit der Natur und in der Arbeitsfreude gefunden und kann erfahrungsgemäß behaupten, dass während meines fünfzigjährigen zumeist ziemlich herben Lebens nur ganz wenige und kurze Zeiten waren, in denen ich die Augenblicke des Erwachens nicht glücklicher schätzte, als die des Einschlafens; von letzteren hat man doch kaum ein Bewusstsein. Wenn das Glück aber nur in der Bewusstlosigkeit liegt, dann sind wir ja aber auch gut daran. Denn unsere ganze Ewigkeit besteht, mit Ausnahme dieses Erdendaseins, in lauterer Bewusstlosigkeit irdischer Drangsal.

Wenn wir in einer Welt wären, in welcher es keinen Schlaf gäbe und keine Aussicht auf ein ewiges, bewusstloses, also nach Schopenhauer glückliches Nichtsein des Individuums, dann erst wäre zu behaupten: diese Welt ist die schlechteste der Welten. Die paar Jährchen (und mehr hat keines der Individuen zu tragen) von Widerwärtigkeiten sind ja doch derart, dass die meisten Menschen dieselben vorziehen dem schmerzlosen Nichtsein, welches nach Schopenhauer das Glück ist. Also werden selbst die Leiden des Lebens höher geschätzt, als jenes absolute Glück; da kann es ja doch nicht gar so schlimm sein. Schopenhauer findet alles Heil nur im Tode. Auch ich will ergeben sterben, verfüge aber letztwillig, dass man mich in keine Gruft bestatte, sondern in frische Erde. Ich kann den Gedanken, fünfzig Jahre tot zu sein, nicht ertragen.

Schopenhauer
behauptet anderswo, dass der Natur nichts an dem Individuum, viel aber an der Erhaltung der Gattung liege, und dass sie deshalb das Individuum unter allerhand betrügerischen Vorstellungen in die Geschlechtsliebe hineinhetze; er lehrt daher. Dass das Individuum der Natur einen Streich spielen und nicht anbeißen solle. Das nennt er die Verneinung des Willens zum Leben. Dieser Philosoph will den Menschen also zu einem naturwidrigen Leben verleiten. Ich denke aber, dass es besser ist, mit der Natur keine Händel anzufangen, sie bleibt doch unter allen Umständen die Stärkere.

Wenn Leibniz sagt, diese unsere Welt wäre die beste aller Welten, so finde ich das indes weit pessimistischer gedacht, als wenn Schopenhauer behauptet, diese Welt sei die schlechteste der Welten. Nach Leibniz kann es nur noch schlechtere, nach Schopenhauer nur weit bessere geben.

Schon der Umstand, dass ein Philosoph aufstehen muss, der es den Menschen sagt, wie elend dieses Dasein ist, deutet darauf hin, dass die meisten der Lebenden von selbst sich des unermesslichen Elends gar nicht bewusst werden, als kann es gar nicht so schlimm sein und es muss etwas geben, welchem dem Elende das Gleichgewicht hält und für dasselbe einen Ersatz bietet.

Was will aber der Philosoph, welcher den Menschen eine Lehre gibt, durch die sie in die grenzenlosigste Verzweiflung gejagt werden sollen? Nur eine persönliche Herzlosigkeit oder Bösartigkeit kann solches wollen und der Spruch: »Die Wahrheit über alles« ist eine schlechte Ausrede. Ein ordentlicher Philosoph muss wissen, wie es bei den unzulänglichen, ewig irrenden Vorstellungen des Menschen mit der Wahrheit an sich beschaffen ist. Gewiss nicht so gut, dass man ihr zuliebe Millionen von Menschenopfern bringen darf.

Ein Philosoph, der die Nichtigkeit des Lebens einsieht, und der ein Herz für sein Geschlecht hat, müsste vielmehr darauf bedacht sein, die Menschen zu trösten und auszusöhnen mit den wenigen Jahren, die jeder auf Erden zuzubringen hat. Zum Mindesten dürfte er nicht störend eingreifen in den religiösen Sinn des Menschen, welcher zum Troste der Sterblichen jenseits andere Welten baut und in solchem Bauen weit mehr Gutes stiftet, als alle irdische Philosophie zusammen.

Nach Schopenhauer ist das wahrhaft Ethische die Verneinung des Willens zum Leben, die Selbsterlösung. Die Freuden verführten uns immer wieder zum Lebenswillen, die Widerwärtigkeiten allein seien unsere wahren, erlösenden Freunde. Folglich müsste es nach Schopenhauer auch ethisch, das heißt eine Tugend sein, unseren Mitmenschen recht viele Widerwärtigkeiten zuzufügen. – Kann man eine solche Lehre brauchen?

Wenn ich von der Richtigkeit der Lehre Schopenhauer’s persönlich in der Tat überzeugt wäre, so würde mich das immer noch nicht zwingen können, sie für wahr zu halten, denn ich weiß, wie trügerisch die so genannte Überzeugung ist. Und wenn ich auch gewiss wüsste, dass Schopenhauer’s Lehre die absolute Wahrheit ist, so würde ich sie nicht unterstützen, weil ich glaube, dass diese Wahrheit Niemandem nützen, Vielen aber schaden kann. – Da wir einmal leben, so müssen wir uns mit diesem Leben und miteinander eben abfinden, so gut als möglich. Mit Jammern und Klagen richten wir nichts anderes aus, als dass es uns nur noch schwerer wird. Und das ist eine Selbstquälerei, die kein Vernünftiger übt. Nur ein bisschen Geduld, es ist ohnehin bald vorbei.

Wenn der zwar sehr geistreiche, aber auch sehr herzlose Philosoph sagt, es handle sich nicht um den Einzelnen, sondern um das ganze Geschlecht, und die Menschheit als solche könne noch viele tausende von Jahren leben, so antworte ich: das Menschengeschlecht besteht aus lauter Einzelnen, jeder Einzelne wird sich nur Zeit seines Lebens der Menschheit bewusst, so dass man paradox wie ein Philosoph behaupten könnte, das Menschengeschlecht lebe nur so lange, als das Individuum lebt. – Aus solche Schlüssen sieht man eben wie Philosophen arbeiten; man kann mit klugen Gedankenspielen alles aufstellen, alles umstoßen, alles bejahen, alles verneinen. Bleiben wir hübsch bei unserem realen Leben, das reich an Schmerz und Freude ist und viel zu schnell vergeht.

Ich will euch schließlich wohl etwas sagen. Die Welt wäre so weit ganz erträglich, aber die größten Leiden fügt ein Mensch dem anderen zu. Wollen wir es besser haben, so müssen wir selber besser werden. Wir können es
. S. 391-394
Aus: Allerlei Menschliches von Peter Rosegger, Verlag von L. Staakmann, Leipzig 1899

Die Maske der Lüge
Die Lüge kam zur Wahrheit: »Liebe Wahrheit, borge mir eine Maske!«
»Ich habe keine Maske«, sprach die Wahrheit.
Die Lüge ging zur Täuschung und bat sie um ihre Maske.
»Ich brauche sie selber«, sagte die Täuschung. —
Nun ging die Lüge ratlos zu ihrem Vater, dem Teufel, und flehte: »Vater, verschaffe mir eine Maske, sonst kann ich nicht bestehen!«
»Gut, mein Kind, du sollst sie haben«, sagte der Teufelund erfand die Phrase.
S. 222
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte. Verlag Ars Sacra Josef Müller München