Satan (?)


 

Inhaltsverzeichnis
Faust

Bibel-Texte
Der vom Himmel gefallenen Morgenstern (Jesaja)
Der Herr dieser Welt (Johannes)
Der Herr über die Todesmacht (Hebräer)
Der Versucher (Matthäus)
Der Teufel sündigt von Anfang an (Johannes)
Ihr habt den Teufel zum Vater (Johannes)
Satans Fall (Offenbarung)
Das tausenjährige Reich (Offenbarung)
Der letzte Kampf (Offenbarung)
Satan bezweifelt Hiobs Gottestreue (Hiob)

Der Fall der Engel, ihre vorläufige und endgültige Abstrafung (Das Buch Henoch)
Die Erzählung des Teufels von seinem Fall (Das Leben Adams und Evas)
Luzifer-Version nach Jakob Böhme
Die Satans-Litaneien von Charles Baudelaire
Satan, der Dreimalgroße von Charles Baudelaire
Satans Fall in John Miltons »verlorenem Pararadies«
Dostojewskis satyrisch-ernstgemeinte Teufelsphantasien
Der Satan der Dichter (Friedrich von Schlegel)

Siehe auch Wikipedia

Legendärer biblischer Engelfürst und »Gottessohn«, der nach seinem Sturz vom Himmel, zum Widersacher Gottes legendisiert wurde. Im Alten Testament ist ursprünglich jeder Schädiger (im Krieg, vor Gericht) als Satan (= hebr. »Widersacher«) bezeichnet worden.

Weitere Namen des
Satans sind:

- Be(e)lzebub [hebräisch: Baal-Zebub, »Fliegenherr«]. Im Neuen Testament ist Beelzebul der oberste der Dämonen. – »Den Teufel durch Beelzebul austreiben« (Matth. 12, 24) heißt Schlimmes durch Schlimmeres bekämpfen wollen. Im Volksglauben kommt »Beelzebub« häufig in Zaubersprüchen vor. -

- Luzifer [lat. Lichtbringer], auch Name des Morgensterns. Im Volksglauben wird »Luzifer« - in Bezug auf den in Jes. 14, 12 zu Fall gekommenen Morgenstern - als gefallene Engelsgestalt verstanden.

- Mephisto, Mephistopheles
[höchstwahrscheinlich von hebräisch mephir »Zerstörer« und tophel »Lügner« abgeleitet], Name des Teufels in Goethes »Faust«, im ältesten Volksbuch »Mephostophiles« genannt.

- Teufel [althochdeutsch: tiufal, von griechisch diabolos = Verwirrer, Verleumder]

In der christlichen Glaubensüberlieferung ist Satan nicht nur der »Widersacher Gottes«, sondern »Herr dieser Welt«
(Joh. 12. 31), »Versucher« (Mt. 4, 1— 11) und »Herr der Todesmacht« (Hebr. 2, 14). Seine Macht wurde durch Christi Menschwerdung und seine Erlösungstat (Tod am Kreuze) aber grundsätzlich gebrochen, so daß die Gläubigen ihm Widerstand leisten können. Insofern ist der Teufel im Christentum nicht Teil einer dualistischen Vorstellung. Seine endgültige Vernichtung geschieht beim Weltende. Nach der katholischen Lehre von den Engeln ist Satan, der oberste der gefallenen bösen Geister. Neuerdings wird er eher als das nichtpersonifizierte Böse verstanden. In der evangelischen Theologie gilt er als Symbol für die Empörung gegen Gott, aus der sich die Welt nicht selbst befreien kann.

Im Buch Hiob tritt Satan als Verleumder in der himmlischen Ratsversammlung auf, indem er Gott einzureden versucht, dass Hiobs Gottestreue keinen größeren Anfechtugen standhalten wird, wodurch Gott dazu verleitet wird, Hiob den allerschwersten Leidensprüfungen zu unterwerfen.

Nach dem nichtkanonischen Buch Henoch wurde Satan wegen seines Aufruhrs gegen Gott durch den Erzengel Michael in den Abgrund gestürzt.

In einer apokryphen Version der Lebensgeschichte Adams und Evas werden Satan und seine Engel aus dem Himmel verbannt, weil sie sich weigerten, Adam als das Ebenbild Gottes anzubeten.

Faust
FAUST. Wie nennst du dich?

MEPHISTOPHELES.
Die Frage scheint mir klein
Für einen, der das Wort so sehr verachtet,
Der, weit entfernt von allem Schein,
Nur in der Wesen Tiefe trachtet.


FAUST.
Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
Wo es sich allzu deutlich weist,
Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
Nun gut, wer bist du denn?


MEPHISTOPHELES
. Ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.


FAUST.
Was ist mit diesem Rätselworte gemeint?

MEPHISTOPHELES. Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;

Drum besser wär‘s, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.


FAUST.
Du nennst dich einen Teil und stehst doch ganz vor mir?

MEPHISTOPHELES. Bescheidne Wahrheit sprech ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht;
Und doch gelingt‘s ihm nicht, da es, soviel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
Von Körpern strömt‘s, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt‘s auf seinem Gange;
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird‘s zugrunde gehn.


FAUST. Nun kenn ich deine würdgen Pflichten!
Du kannst im Großen nichts vernichten
Und fängst es nun im Kleinen an.

MEPHISTOPHELES. Und freilich ist nicht viel damit getan.
Was sich dem Nichts entgegenstellt,
Das Etwas, diese plumpe Welt,
So viel als ich schon unternommen,
Ich wußte nicht ihr beizukommen,
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand;
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
Und dem verdammten Zeug, der Tier- und Menschenbrut,
Dem ist nun gar nichts anzuhaben.
Wie viele hab ich schon begraben!
Und immer zirkuliert ein neues, frisches Blut.
So geht es fort, man möchte rasend werden!
Der Luft, dem Wasser wie der Erden
Entwinden tausend Keime sich,
Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
Hätt ich mir nicht die Flamme vorbehalten,
Ich hätte nichts Aparts für mich.


FAUST. So setzest du der ewig regen,
Der heilsam schaffenden Gewalt

Die kalte Teufelsfaust entgegen,
Die sich vergebens tückisch ballt!
Was anders suche zu beginnen,
Des Chaos wunderlicher Sohn!

Aus: Johann Wolfgang Goethe, Faust . Der Tragödie erster und zweiter Teil (S.44-45)
Diogenes Taschenbuch 20439


Der vom Himmel gefallene Morgenstern

4 Wie ist's mit dem Treiber so gar aus, und das Toben hat ein Ende!

5 Der HERR hat den Stock der Gottlosen zerbrochen, die Rute der Herrscher.

6 Der schlug die Völker im Grimm ohne Aufhören und herrschte mit Wüten über die Nationen und verfolgte ohne Erbarmen.

7 Nun hat Ruhe und Frieden alle Welt und jubelt fröhlich.

8 Auch freuen sich die Zypressen über dich und die Zedern auf dem Libanon und sagen: »Seit du daliegst, kommt niemand herauf, der uns abhaut.«

9 Das Totenreich drunten erzittert vor dir, wenn du nun kommst. Es schreckt auf vor dir die Toten, alle Gewaltigen der Welt, und lässt alle Könige der Völker von ihren Thronen aufstehen,

10 dass sie alle anheben und zu dir sagen: »Auch du bist schwach geworden wie wir, und es geht dir wie uns.

11
Deine Pracht ist herunter zu den Toten gefahren samt dem Klang deiner Harfen. Gewürm wird dein Bett sein und Würmer deine Decke.«


12 Wie bist du vom Himmel gefallen, du
schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst!

13 Du aber gedachtest in deinem Herzen: »Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen, ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden.
[ Der Berg der Versammlung ist der Götterberg im höchsten Norden.]

14 Ich will auffahren über die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten.«

15 Ja, hinunter zu den Toten fuhrst du, zur tiefsten Grube!
Luther- Bibel 1984, Jesaja 14, 4-15

Der Herr dieser Welt
Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden.
der weiß nicht, wo er hingeht.
Luther-Bibel 1984, Joh. 12,31

Der Herr über die Todesmacht
Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel ... Luther-Bibel 1984, Hebräer 2,14

Der Versucher
1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.

2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.

3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.

4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«

5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels

6
und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«

7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«

8
Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit

9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.

10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«

11
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

Luther-Bibel 1984, Matthäus 4, 1-11

Der Teufel sündigt von Anfang an.
Wer Sünde tut, der ist vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang an. Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre. Luther-Bibel 1984, 1.Joh 3,8

Ihr habt den Teufel zum Vater
Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach eures Vaters Gelüste wollt ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er Lügen redet, so spricht er aus dem Eigenen; denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge.
Luther-Bibel 1984, Joh 8,44

Satans Fall
Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel.

Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen.

Luther-Bibel 1984, Offenbarung 12, 7-9


Er [Jesus] sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz
. Luther-Bibel 1984, Lukas 10,18

Das tausendjährige Reich
Und ich sah einen Engel vom Himmel herabfahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand.
Und er ergriff den Drachen, die alte Schlange, das ist der Teufel und der Satan, und fesselte ihn für tausend Jahre
und warf ihn in den Abgrund und verschloss ihn und setzte ein Siegel oben darauf, damit er die Völker nicht mehr verführen sollte, bis vollendet würden die tausend Jahre. Danach muss er losgelassen werden eine kleine Zeit.
Und ich sah [Throne und sie setzten sich darauf, und ihnen wurde das Gericht übergeben. Und ich sah die Seelen derer, die enthauptet waren um des Zeugnisses von Jesus und um des Wortes Gottes willen und die nicht angebetet hatten das Tier und sein Bild und die sein Zeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und auf ihre Hand; diese wurden lebendig und regierten mit Christus tausend Jahre.
Die andern Toten aber wurden nicht wieder lebendig, bis die tausend Jahre vollendet wurden. Dies ist die erste Auferstehung.
Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten Auferstehung. Über diese hat der zweite Tod keine Macht; sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend Jahre
. Luther-Bibel 1984, Offenbarung 20, 1-6

Der letzte Kampf
Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan losgelassen werden aus seinem Gefängnis und wird ausziehen, zu verführen die Völker an den vier Enden der Erde, Gog und Magog, und sie zum Kampf zu versammeln; deren Zahl ist wie der Sand am Meer
Und sie stiegen herauf auf die Ebene der Erde und umringten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt. Und es fiel Feuer vom Himmel und verzehrte sie.
Und der Teufel, der sie verführte, wurde geworfen in den Pfuhl von Feuer und Schwefel, wo auch das Tier und der falsche Prophet waren; und sie werden gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Luther-Bibel 1984, Offenbarung 21, 7-9


Satan bezweifelt Hiobs Gottestreue >> in der himmlischen Ratsversammlung
6 Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, kam auch der Satan unter ihnen. [Die Gottessöhne sind himmlische Wesen, die das Gefolge Gottes bilden (vgl. Kap 38,7; Ps 82,1) und vor seinem Thron erscheinen (vgl. 1.Kön 22,19); zu ihnen gehört auch der Satan (vgl. Sach 3,1).]

7 Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.

8 Der HERR sprach zum Satan: Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.

9 Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, dass Hiob Gott umsonst fürchtet?

10 Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Besitz hat sich ausgebreitet im Lande.

11 Aber strecke deine Hand aus und taste alles an, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen!

12 Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht. Da ging der Satan hinaus von dem HERRN [...]

Luther-Bibel 1984, Hiob 1, 6 – 12

DAS BUCH HENOCH

Der Fall der Engel, ihre vorläufige und endgültige Abstrafung.
Nachdem die Menschenkinder sich gemehrt hatten, wurden ihnen in jenen Tagen schöne und liebliche Töchter geboren. Als aber die Engel, die Himmelssöhne, sie sahen, gelüstete es sie nach ihnen, und sie sprachen untereinander: »Wohlan, wir wollen uns Weiber unter den Menschentöchtern wählen und uns Kinder zeugen. Semjasa aber, ihr Oberster, sprach zu ihnen: Ich fürchte, ihr werdet wohl diese Tat nicht ausführen wollen, so daß ich allein eine große Sünde zu büßen haben werde. Da antworteten ihm alle und sprachen: Wir wollen alle einen Eid schwören und durch Verwünschungen uns untereinander verpflichten, diesen Plan nicht aufzugeben, sondern dies beabsichtigte Werk auszuführen. Da schwuren alle zusammen und verpflichteten sich untereinander durch Verwünschungen dazu. Es waren ihrer im Ganzen 200, die in den Tagen Jareds auf den Gipfel des Berges Hermon herabstiegen. Sie nannten aber den Berg Hermon, weil sie auf ihm geschworen und durch Verwünschungen sich untereinander verpflichtet hatten. Dies sind die Namen ihrer Anführer: Semjasa, ihr Oberster, Urakib, Arameel, [Sammael], Akibeel, Tamiel, Rarnuel, Danel, Ezeqeel, Saraqujal, Asael, Armers, Batraal, Anani, Zaqebe, Samsaveel, Sartael, Tumael [?], Turel, Jomjael, Arasjal. Dies sind ihre Dekarchen.

Diese und alle übrigen mit ihnen nahmen sich Weiber, jeder von ihnen wählte sich eine aus, und sie begannen zu ihnen hineinzugehen und sich an ihnen zu verunreinigen; sie lehrten sie Zaubermittel, Beschwörungsformeln und das Schneiden von Wurzeln und offenbarten ihnen die heilkräftigen Pflanzen. Sie wurden aber schwanger und gebaren 3000 Ellen lange Riesen, die den Erwerb der Menschen aufzehrten. Als aber die Menschen ihnen nichts mehr gewähren konnten, wandten sich die Riesen gegen sie und fraßen sie auf, 5und die Menschen begannen sich an den Vögeln, Tieren, Reptilien und Fischen zu versündigen, das Fleisch voneinander aufzufressen, und tranken das Blut. Da klagte die Erde über die Ungerechten.

Asasel lehrte die Menschen Schlachtmesser, Waffen, Schilde und Brustpanzer verfertigen und zeigte ihnen die Metalle samt ihrer Verarbeitung und die Armspangen und Schmucksachen, den Gebrauch der Augenschminke und das Verschönern der Augenlider, die kostbarsten und auserlesensten Steine und allerlei Färbemittel. So herrschte viel Gottlosigkeit, und sie trieben Unzucht, gerieten auf Abwege und alle ihre Pfade wurden verdorben. Semjasa lehrte die Beschwörungen und das Schneiden der Wurzeln, Armaros die Lösung der Beschwörungen, Baraqel das Sternschauen, Kokabeel die Astrologie, Ezeqeel die Wolkenkunde, Arakiel die Zeichen der Erde, Samsaveel die Zeichen der Sonne, Seriel die Zeichen des Mondes. Als nun die Menschen umkamen, schrieen sie, und ihre Stimme drang zum Himmel.

Da blickten Michael, Uriel, Raphael und Gabriel vom Himmel und sahen das viele Blut, das auf Erden vergossen wurde, und all das Unrecht, das auf Erden geschah. Sie sprachen untereinander: Von der Stimme ihres und der Menschen Geschrei hallt die menschenleere Erde bis zu den Pforten des Himmels wider. Die Seelen der Menschen klagen, indem sie sprechen: Bringt unsere Streitsache vor den Höchsten! Da sprachen sie, die Erzengel, zum Herrn: Du bist der Herr der Herren, der Gott der Götter und der König der Könige; der Thron deiner Herrlichkeit besteht durch alle Geschlechter der Welt; dein Name ist heilig und in aller Welt gepriesen. Denn du hast alles gemacht und die Herrlichkeit über alles ist bei dir. Alles ist vor dir aufgedeckt und offenbar; du siehst alles, und nichts kann sich vor dir verbergen. Du hast gesehen, was Asasel getan hat, wie er allerlei Ungerechtigkeit auf Erden gelehrt und die himmlischen Geheimnisse der Urzeit geoffenbart hat, die die Menschen kennen zu lernen sich haben angelegen sein lassen. Die Beschwörungen hat Semjasa gelehrt, dem du die Vollmacht gegeben hast, die Herrschaft über seine Genossen zu üben. Sie sind zu den Menschentöchtern auf der Erde gegangen, haben bei ihnen geschlafen und mit den Weibern sich verunreinigt und haben ihnen alle Sünden geoffenbart. Die Weiber aber gebaren Riesen, und dadurch wurde die ganze Erde von Blut und Ungerechtigkeit voll. Nun, siehe, schreien die Seelengeister der Verstorbenen und klagen bis zu den Pforten des Himmels. Ihr Geseufze ist emporgestiegen und kann angesichts der auf Erden verübten Gottlosigkeit nicht aufhören. Du aber weißt alles, bevor es geschieht. Du siehst dies und lassest sie gewähren und sagst uns nicht, was wir deswegen mit ihnen tun sollen.

Darauf sprach der Höchste, und der große Heilige ergriff das Wort und sandte Uriel zu dem Sohne Lamechs und sprach zu ihm: Sage ihm in meinem Namen: Verbirg dich! und offenbare ihm das bevorstehende Ende. Denn die ganze Erde wird untergehen und eine Wasserflut ist im Begriff, über die ganze Erde zu kommen, und alles auf ihr Befindliche wird untergehen. Belehre ihn, damit er entrinne, und seine Nachkommenschaft für alle Geschlechter der Welt erhalten bleibe. Zu Raphael sprach der Herr: Feßle den Asasel an Händen und Füßen und wirf ihn in die Finsternis; mache in der Wüste in Dudael ein Loch und wirf ihn hinein. Lege unter ihn scharfe und spitze Steine und bedecke ihn mit Finsternis. Er soll für ewig dort wohnen, und bedecke sein Angesicht mit Finsternis, damit er kein Licht schaue. Aber am Tage des großen Gerichts soll er in den Feuerpfuhl geworfen werden. Heile die Erde, welche die Engel verdorben haben, und tue die Heilung des Schlages kund, damit sie hinsichtlich des Schlages geheilt werden[?], und nicht alle Menschenkinder durch das ganze Geheimnis umkommen, das die Wächter verbreitet und ihren Söhnen gelehrt haben. Die ganze Erde wurde durch die Werke der Lehre Asasels verdorben, und ihm schreibe alle Sünden zu. Zu Gabriel sprach der Herr: Ziehe los gegen die Bastarde, die Verworfenen und die Hurenkinder, tilge die Söhne der Wächter von den Menschen hinweg und lasse sie gegeneinander los, daß sie sich untereinander im Kampfe vernichten; denn langes Leben soll ihnen nicht zu teil werden. Jede Bitte soll ihren Vätern für sie ihre Kinder nicht gewährt werden, obwohl sie hoffen, ein ewiges Leben zu leben, und daß ein jeder von ihnen 500 Jahre lebe. Zu Michael sprach der Herr: Geh, binde Semjasa und seine übrigen Genossen, die sich mit den Weibern vermischt haben, um sich bei ihnen durch ihre Unreinheit zu beflecken. Wenn sich ihre Söhne untereinander erschlagen, und wenn sie, die Väter, den Untergang ihrer geliebten Söhne gesehen haben werden, so binde sie für 70 Geschlechter unter die Hügel der Erde bis zum Tag ihres Gerichts und ihrer Vollendung, bis das ewige Endgericht vollzogen wird.

Das Buch Henoch aus: Die Apokryphen und Pseudoepigraphen des Alten Testaments.
Übersetzt und hrsg. von Emil Kautzsch. Mohr 1900
Auch enthalten in: Erich Weidinger, Die Apokryphen . Verborgene Bücher der Bibel, S.303-305

DAS LEBEN ADAMS UND EVAS

Erzählung des Teufels von seinem Fall

Wehe dir, Teufel, warum bekämpfst du uns ohne Grund? Warum richtet sich deine Bosheit gegen uns? Haben wir dir etwa deine Herrlichkeit genommen und deine Ehre entzogen? Warum verfolgst du, Feind, uns bis zum Tod in Haß und Neid?

Und auf seufzend sprach der Teufel: Adam, meine ganze Feindschaft, Neid und Schmerz geht gegen dich, weil ich deinetwegen vertrieben und entfremdet ward von meiner Herrlichkeit, die ich im Himmel inmitten der Engel hatte, und deinetwegen auf die Erde hinabgestoßen ward. Adam antwortete: Was habe ich dir getan, und was ist meine Schuld dir gegenüber? Warum verfolgst du uns, da du von uns doch nicht geschädigt oder verletzt worden bist?

Der Teufel antwortete: Adam, was sagst du da zu mir? Um deinetwillen bin ich von dort verstoßen worden. Als du gebildet wurdest, ward ich von Gottes Antlitz verstoßen und aus der Gemeinschaft der Engel verbannt. Als Gott den Lebensodem in dich blies, und dein Gesicht und Gleichnis nach Gottes Bild geschaffen wurde, brachte dich Michael und gebot, dich anzubeten im Angesichte Gottes, und Gott der Herr sprach: Siehe, Adam, ich schuf dich nach meinem Bild und Gleichnis.

Und Michael kam herauf und rief alle Engel also: Betet Gottes des Herrn Ebenbild an, wie Gott der Herr es befohlen! Und Michael selbst betete ihn zuerst an; dann rief er mich und sprach: Bete an das Ebenbild Gottes. Und ich antwortete: Ich brauche Adam nicht anzubeten. Und da Michael mich drängte, anzubeten, sprach ich zu ihm: Warum drängst du mich? Ich werde doch den nicht anbeten, der geringer und jünger ist als ich! Ich bin vor ihm erschaffen worden. Ehe er erschaffen ward, war ich erschaffen. Er sollte mich anbeten. Als dies die anderen Engel hörten, die mir unterstanden, wollten sie ihn nicht anbeten. Und Michael sprach: Bete Gottes Ebenbild an! Tust du es aber nicht, so wird Gott der Herr über dich in Zorn geraten. Und ich sprach: Wenn er über mich in Zorn gerät, werde ich meinen Sitz erheben über die Sterne des Himmels und Gott dem Höchsten gleich sein. Und Gott der Herr geriet in Zorn über mich und verbannte mich mit meinen Engeln von unserer Herrlichkeit, und so wurden wir um deinetwillen aus unseren Wohnungen in diese Welt getrieben und auf die Erde verstoßen. Und alsbald gerieten wir in Betrübnis, weil wir so großer Herrlichkeit entkleidet waren. Und dich in solcher Freude und Wonne sehen zu müssen, das betrübte uns. Und mit List umgarnte ich dein Weib und brachte es dahin, daß du ihretwegen von deiner Freude und Wonne vertrieben wurdest, gleichwie ich vertrieben ward von meiner Herrlichkeit. Als Adam den Teufel dies sagen hörte, rief er laut weinend und sprach: Herr, mein Gott, in deinen Händen liegt mein Leben. Entferne diesen Widersacher von mir, der meine Seele ins Verderben zu bringen sucht, und gib mir seine Herrlichkeit, die er selbst verloren hat! Und alsbald verschwand der Teufel von ihm.

Das Leben Adams und Evas aus: Die Apokryphen und Pseudoepigraphen des Alten Testaments.
Übersetzt und hrsg. von Emil Kautzsch. Mohr 1900
Auch enthalten in: Erich Weidinger, Die Apokryphen . Verborgene Bücher der Bibel, S.26

LUZIFER-VERSION NACH JAKOB BÖHME
Von dem Könige oder Großfürsten Micha-El (Michael)

86. Micha-El heißt Gottes Stärke oder Kraft, und führet den Namen in der Tat, denn er ist aus den sieben Quellgeistern als ein Kern aus denselben zusammenkorporieret und stehet nun da als an Statt Gottes des Vaters.

87. Nicht der Meinung, daß er Gott der Vater sei, welcher bestehet in den sieben Geistern der ganzen Tiefe und ist nicht kreatürlich, sondern auf daß in der Natur unter den Kreaturen auch eine solche Kreatur sei wie Gott der Vater in den sieben Quellgeistern ist, die da herrschen unter den Kreaturen.

88. Denn da sich Gott kreatürlich machte, da machte er sich nach seiner Dreiheit kreatürlich. Gleichwie in Gott die Dreiheit das Größte und Vornehmste ist und doch gleichwohl seine wunderliche Proporz, Gestalt und Veränderung nicht kann ermessen werden, in dem er sich in seiner Wirkung so mancherlei und vielfältig erzeiget, also auch hat er drei Prinzipal- oder Fürstenengel geschaffen nach dem höchsten Primat seiner Dreiheit.

89. Hernach hat er Fürstenengel geschaffen, nach den sieben Quellgeistern, nach ihrer Qualität, als da sind Gabri-El, ein Engel oder Fürst des Tones oder schneller Botschaft, sowohl Rapha-El und andere mehr in dem Königreiche Micha-Els. [...]

93. Nun gleichwie alle Engel dem Könige verbunden sind, auch ist der König Gott seinem Schöpfer verbunden wie Leib und Seele. Der Leib bedeutet Gott und die Seele der englische König, der in dem Leibe Gottes ist, und ist auch im Leibe Gottes zur Kreatur worden und bleibet ewig in dem Leibe Gottes wie die Seele in ihrem Neste. Darum hat ihn auch Gott also hoch glorifizieret als sein Eigentum oder wie die Seele im Leibe glorifizieret ist.

94. Also siehet der König oder Großfürst Micha-El Gott dem Vater gleich in seiner Glorifizierung oder Klarheit, und ist ein König und Fürste Gottes auf dem Berge Gottes und hat das Amt in der Tiefe, darinnen er geschaffen ist.

95. Derselbe Zirk oder Raum, darinnen er und seine Engel geschaffen sind, ist sein Königreich, und er ist ein lieber Sohn Gottes des Vaters in der Natur, ein kreatürlicher Sohn, an dem der Vater seine Freude hat.

96. Nicht mußt du ihn dem Herzen oder dem Lichte Gottes vergleichen, das da ist in dem ganzen Vater, das da weder Anfang noch Ende hat wie Gott der Vater selber.

97. Denn dieser Fürste ist eine Kreatur und hat einen Anfang. Er ist aber in dem Vater und ist mit ihm in seiner Liebe verbunden als sein lieber Sohn, den er aus sich selber geschaffen hat.

98. Darum hat er ihm aufgesetzet die Krone der Ehre, der Macht und Gewalt, daß im Himmel nichts Höhers oder Schöners ist, auch nichts Mächtigers, als Gott selber in seiner Dreiheit, als er. Und das ist der eine König mit dem rechten Grunde in der Erkenntnis des Geistes recht beschrieben.

Von dem andern Könige, Luzifer itzo genannt, um seines Falles willen
99. Allhier, König Luzifer, tue die Augen ein wenig zu und stopfe deine Ohren ein wenig zu, daß du nichts hörest und siehest, sonst wirst du dich grausam schämen, daß ein anderer auf deinem Stuhl sitzet und deine Schande noch vorm Ende der Welt soll alsogar offenbar werden, welche du doch von der Welt her hast verborgen gehalten und untergedruckt, wo du nur gekonnt hast. Jetzo will ich deinen königlichen Primat beschreiben, nicht dir, sondern den Menschen zu gefallen.

100. Dieser hochmächtige, herrliche und schöne König hat seinen rechten Namen verloren in seinem Falle, denn er heißt jetzunder Luzifer, das ist: ein Verstoßener aus dem Lichte Gottes. Sein Name ist anfänglich nicht also gewesen, denn er ist ein kreatürlicher Fürste oder König des Herzens Gottes gewesen in dem hellen Licht, der allerschönste unter den drei Königen der Engel.

101. Gleichwie Micha-El ist erschaffen nach der Qualität, Art und Eigenschaft Gottes des Vaters, also ist auch Luzifer erschaffen worden nach der Qualität, Art und Schönheit Gottes des Sohnes, und ist in Liebe mit ihm verbunden gewesen als ein lieber Sohn oder Herze, und sein Herze ist auch im Centro des Lichtes gestanden, gleich als wäre er Gott selber, und seine Schönheit ist über alles gewesen. Denn seine Umfassung oder vornehmste Mutter ist der Sohn Gottes gewesen. Da ist er gestanden als ein König oder Fürste Gottes.

102. Sein Revier, Ort und Raum mit seinem ganzen Heere, darinnen er ist zur Kreatur worden und das sein Königreich gewesen ist, da ist der erschaffene Himmel und diese Welt, darinnen wir mit unserm Könige Jesu Christo wohnen. [...]

Von dem dritten englischen Könige, Uri-El (Uriel) genannt

108. Dieser holdselige Fürst und König hat seinen Namen von dem Lichte oder von dem Blitze oder Ausgange des Lichtes, das bedeutet recht Gott den Hl.Geist.
109. Gleichwie der Hl. von dem Lichte ausgehet und formet und bildet alles und herrschet in allem, also ist auch die Gewalt und Holdseligkeit eines Cherub. Der ist der König und das Herze aller seiner Engel, das ist, wenn ihn seine Engel nur anschauen, so werden sie mit dem Willen ihres Königes infizieret.
110. Gleichwie der Wille des Herzens alle Glieder des Leibes infizieret, daß der ganze Leib tut wie das Herze beschlossen hat oder wie der Hl. Geist im Centro des Herzens aufgehet und erleuchtet alle Glieder im Leibe, also auch infizieret der Cherub mit seinem ganzen Glanze und Willen alle seine Engel, daß sie alle zusammen sind wie ein Leib, und der König ist das Herze darinnen.
111. Nun dieser herrliche und schöne Fürst ist nach der Art und Qualität des Hl. Geistes gebildet, und ist wohl ein herrlicher und schöner Fürst Gottes, und ist mit den andern Fürsten in Liebe verbunden als ein Herze.
112. Das sind nun die drei Fürsten Gottes im Himmel. Wenn nun der Blitz des Lebens, das ist der Sohn Gottes, im mittlern Zirkel in den Quellgeistern Gottes aufgehet und sich triumphierend erzeiget, so steiget auch der Hl. Geist triumphierend über sich. In diesem Aufsteigen steiget auch die Hl. Trinität im Herzen dieser drei Könige auf, und triumphieret auch ein jeder nach seiner Qualität und Art.

Aus: Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang, (S.239-243 12.Kaptitel)
Herausgegeben von Gerhard Wehr
insel taschenbuch it 1411

Von dem erschrecklichen, kläglichen und elenden Falle des Königreiches Luzifer
5. Nun fragt sichs: Was ist denn der Quell der ersten Sünden des Königreichs Luzifers? Allhie muß man die höchste Tiefe der Gottheit wieder vor die Hand nehmen und besehen, woraus König Luzifer ist zu einer Kreatur worden, oder was der erste Quell der Bosheit in ihm gewesen sei.

6. Es entschuldiget sich der Teufel und seine Rotten, sowohl auch alle gottlosen Menschen, die in der Verderbung gezeuget werden, noch immerdar, Gott tue ihnen unrecht, daß er sie verstoße.

7. Es darf auch wohl die jetzige Welt sagen, Gott habe es in seinem vorsätzlichen Rate also beschlossen, daß etliche Menschen sollen selig sein und etliche verdammt. Dazu habe Gott den Fürsten Luzifer darum verstoßen, daß er soll ein Spektakel sein des Zorns Gottes.

8. Als gleich ob die Hölle oder das Böse von Ewigkeit gewesen wäre und Gott in seinem Fürsatz hätte, daß Kreaturen darinnen sein sollen und müssen, und kratzen und dehnen sich also mit den Schriften solches zu erweisen, da sie doch weder Erkenntnis des rechten Gottes noch der Schrift Verstand haben, wiewohl in die Schrift auch etlich irrig Ding gebrauen ist.

9. Christus saget: Der Teufel sei ein Mörder und Lügner vom Anfang gewesen und sei in der Wahrheit nie bestanden, Joh. 8, 44. Weil ihm aber dieselben Rechtsprecher und Disputierer so treulich bestehen und verkehren Gottes Wahrheit in Lügen, indem sie aus Gott einen durstigen und grimmigen Teufel machen, der das Böse geschaffen habe und noch wolle, so sind sie mit samt dem Teufel allzumal Mörder und Lügner.

10. Denn gleichwie der Teufel ein Stifter und Vater der Höllen und Verdammnis ist, und hat ihm die höllische Qualität selber erbauet und zugerichtet zu seinem königlichen Sitz, also sind auch solche Skribenten der Lügen und Verdammnis Baumeister, die dem Teufel helfen seine Lügen bestätigen und aus dem barmherzigen, lieblichen, freundlichen Gott einen Mörder und eifrigen Verderber machen und verkehren Gottes Wahrheit in Lügen. [...]

29. Nun merke: Ein jeder Engel ist geschaffen in dem siebenten Quellgeiste, welcher ist die Natur. Daraus ist sein Leib zusammenkorporieret, und ist ihm sein Leib zum Eigentum gegeben worden, und derselbe ist für sich frei, gleichwie der ganze Gott frei ist.

30. Er hat außer ihm keinen Trieb. Sein Trieb und Beweglichkeit stehet in seinem Corpus. Derselbe ist auf Art und Weise wie der ganze Gott ist und sein Licht und Erkenntnis, dazu sein Leben wird auf Art und Weise geboren, wie das ganze göttliche Wesen geboren wird. Denn der Leib ist der zusammenkorporierte Naturgeist und umschleußt die andern sechs Geister. Die gebären sich in dem Leibe gleichwie in der Gottheit.

31. Nun hat Luzifer den allerschönsten und kräftigsten Leib im Himmel unter allen Fürsten gehabt. Und sein Licht, das er in seinem Leibe immer geboren hat, das hat mit dem Herzen oder Sohn Gottes inkorporieret, als wäre es ein Ding.

32. Als er aber gesehen hat, daß er also schöne ist, und hat empfunden seine innerliche Geburt und große Gewalt, so hat sein Geist, den er in seinen Corpus geboren hat, der da ist sein animalischer Geist oder Sohn oder Herze sich enthebet, in willens über die göttliche Geburt zu triumphieren und sich über das Herze Gottes zu erheben.

33. Hier merke die Tiefe: Im mittlern Quellbrunne, welcher ist das Herze, da gehet die Geburt auf. Die herbe Qualität reibet sich mit der bittern und Hitze. Da zündet sich das Licht an. Das ist der Sohn, dessen er in seinem Leibe immer schwanger ist, und das ihn erleuchtet und lebendig machet.

34. Nun ist dasselbe Licht im Luzifer also schön gewesen, daß es hat des Himmels Gestalt übertroffen, und in demselben Lichte ist der vollkommene Verstand gewesen, denn alle sieben Quellgeister gebären dasselbe Licht.

35. Nun aber sind die sieben Quellgeister des Lichtes Vater und mögen der Geburt des Lichts zulassen, wieviel sie wollen. Das Licht kann sich nicht höher erheben als ihm die Quellgeister zulassen.

36. Wenn aber das Licht geboren ist, so erleuchtet es alle sieben Quellgeister, daß sie alle sieben verständig sind und geben alle sieben ihren Willen zur Geburt des Lichtes.

37. Nun hat aber ein jeder Macht, seinen Willen in der Geburt des Lichtes zu andern, nach dem es vonnöten tut. So nun das geschieht, so kann der Geist nicht also triumphieren, sondern muß seine Pracht legen. Und darum sind alle sieben Geister in voller Gewalt, und hat ein jeder den Zügel bei der Hand, daß er mag innehalten und den gebornen Geist nicht lassen höher triumphieren als ihm gebühret.

38. Die sieben Geister aber, die in einem Engel sind, die das Licht und den Verstand gebären, die sind mit dem ganzen Gott verbunden, daß sie nicht sollen anders oder höher oder sehrer qualifizieren [stärker wirken] als Gott selber, denn Gott hat sie darum aus sich geschaffen, daß sie sollen in solcher Form und Weise qualifizieren wie Gott selber.

39. Nun taten aber die Quellgeister im Luzifer solches nicht, sondern weil sie sahen, daß sie im höchsten Primat saßen, so bewegten sie sich also hart, daß der Geist, den sie geboren, ganz feurig ward, und stieg im Quellbrunne des Herzens auf wie eine stolze Jungfrau.

40. So die Quellgeister hätten feinlich qualifizieret, wie sie taten, ehe sie kreatürlich worden, als sie noch in gemein in Gott waren vor der Schöpfung, so hätten sie auch einen lieblichen und sanften Sohn in sich geboren, der wäre dem Sohn Gottes gleich gewesen, und wäre das Licht im Luzifer und der Sohn Gottes ein Ding gewesen, eine Inqualierung oder Infizierung, ein lieblich Halsen, Herzen und Ringen.

41. Denn das große Licht, welches ist das Herze Gottes, das hätte fein sanft und lieblich mit dem kleinen Licht im Luzifer als mit einem jungen Sohn gespielet. Denn der kleine Sohn im Luzifer sollte des Herzens Gottes liebes Brüderlein sein.

42. Zu solchem Ende hat Gott der Vater die Engel geschaffen, daß gleichwie er in seinen Qualitäten vielfältig und in seiner Veränderung unbegreiflich ist in seinem Liebe-Spiel, also sollten auch die Geisterlein oder die Lichterlein der Engel, welche sind wie der Sohn Gottes, vor dem Herzen Gottes in dem großen Lichte fein sanft spielen, damit die Freude im Herzen Gottes möchte hier vermehret werden, und möchte also in Gott ein heiliges Spiel sein.

43. Die sieben Geister der Natur im Engel, die sollten fein lieblich in Gott ihrem Vater spielen und aufsteigen, wie sie vor ihrem kreatürlichen Wesen getan hatten, und sich in ihrem neugebornen Sohne freuen, den sie aus sich selbst geboren hatten, welcher das Licht und Verstand ihres Leibes ist.

44. Und dasselbe Licht sollte fein sanft in dem Herzen Gottes aufsteigen und sich in dem Lichte Gottes freuen als wie ein Kind bei seiner Mutter. Da sollte sein herzlich Lieben und freundlich Küssen, gar ein sanfter und lieblicher Geschmack. [...]

116. Nun, wie nun Luzifer also königlich gebildet war, daß sein Geist in seiner Formierung oder Bildung in ihm aufstieg und von Gott gar schön und lieblich empfangen und in die Glorifizierung gesetzet war, da sollte er nun augenblicklich seinen englischen Gehorsam und Lauf anfangen und sollte in Gott wallen, wie Gott selber täte, als ein lieber Sohn in des Vaters Hause; und das tat er nicht.

117. Sondern als sein Licht in ihm geboren war im Herzen und seine Quellgeister urplötzlich mit dem hohen Lichte infizieret oder umfangen wurden, da wurden sie also hoch erfreuet, daß sie sich in ihrem Leibe wider Naturrecht erhoben; und fingen gleich eine höhere, stolzere, prächtigere Qualifizierung an als Gott selber.

118. Indem sich aber die Geister also erhuben und also heftig ineinander triumphierten und wider Naturrecht aufstiegen, so zündeten sich die Quellgeister zu hart an; als nämlich die herbe Qualität zog den Corpus zu hart zusammen, daß das süße Wasser vertrocknete.

119. Und der gewaltige und große helle Blitz, welcher im süßen Wasser in der Hitze war aufgegangen, davon die bittere Qualität im süßen Wasser entstehet. Der rieb sich schrecklich hart mit der herben Qualität, als wollt er sie zersprengen vor großer Freude.

120. Denn der Blitz war also helle, daß er den Quellgeistern gleichwie unerträglich war. Darum zitterte und rieb sich die bittere Qualität also hart an der herben, daß die Hitze wider Naturrecht angezündet war. Und die herbe vertrocknete auch das süße Wasser durch ihre harte Zusammenziehung.

121. Nun war aber der Hitze Qualität also streng und eiferig, daß sie der herben Qualität ihre Macht nahm, denn die Hitze entstehet im Quellbrunne des süßen Wassers.

122. Weil aber das süße Wasser durch die herbe Zusammenziehung vertrocknet war, so konnte die Hitze nunmehr zu keiner Lohe oder zu keinem Licht, denn das Licht entstehet in der Fettigkeit des Wassers, sondern sie glomm wie ein angezündet hitzig Eisen, das noch nicht recht glühend ist und ist noch gar dunkel; oder als wenn du einen sehr harten Stein ins Feuer würfest und ließest den gleich in der großen Hitze liegen, wie lange du wolltest, so würde er doch nicht glühend. Das machts, er hat zu wenig Wasser.

123. Also zündete nun die Hitze das vertrocknete Wasser an, und das Licht konnte sich nicht mehr erheben und anzünden, denn das Wasser war vertrocknet und ward von dem Feuer oder großen Hitze vollend verzehret.

124. Nicht der Meinung, daß darum der Geist des Wassers sei aufgefressen worden, welcher in allen sieben Qualitäten wohnet, sondern seine Qualität oder Oberquelle ward verwandelt in eine dunkele, hitzig und saure Qualität.

125. Denn allhie an dem Orte hat die saure Qualität ihren ersten Ursprung und Anfang genommen, welche nun auch auf diese Welt geerbet ist, welche im Himmel in Gott auf solche Weise gar nicht ist und auch in keinem Engel. Denn sie ist und bedeut das Haus der Trübsal und Elendes, ein Vergessung des Guten.

126. Als nun dieses geschah, so rieben sich die Quellgeister ineinander nach Art und Weise, wie ich droben bei der Figur des siebenfachen Rades vermeldet habe. Denn sie pflegen also ineinander aufzusteigen und einander zu kosten oder sich miteinander zu infizieren, davon das Leben und die Liebe entstehet.

127. Nun aber war in allen Geistern nichts denn eitel hitzige, feurige, kalte und harte Verderbung. Also kostete ein böser Quell den andern, davon ward der ganze Corpus also gar grimmig, denn die Hitze war wider die Kälte und die Kälte wider die Hitze.

128. Weil denn nun das süße Wasser vertrocknet war, so fuhr die bittere Qualität, welche von dem ersten Blitze entstanden und geboren ward, als sich das Licht anzündete, in dem Corpus auf durch alle Geister, als wollte sie den Leib zerstören, wütete und tobete als die ärgeste Gift.
129. Und davon ist die erste Gift entstanden, darinnen wir armen Menschen nun in dieser Welt auch zu käuen haben und dadurch der bitter giftige Tod ins Fleisch kommen ist.

130. Nun in diesem Wüten und Reißen ward nun das Leben im Luzifer geboren, das ist sein liebes Söhnlein im Zirkel des Herzens. Was nun das für ein Leben oder liebes Söhnlein wird gewesen sein, gebe ich einer vernünftigen Seelen zu bedenken.

131. Denn wie der Vater war, so ward auch nun sein Sohn, als nämlich ein finster, herber, kalter, harter, bitter, hitziger, saurer, stinkichter Quellbrunn, und die Liebe stund in der bittern Qualität in ihrem Durchdringen und Schmecken. Die ward eine Feindschaft aller Quellgeister im Leibe des hochmütigen Königes. [...]

Aus: Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang, (248-249, 252-255, 260-264, 269-272, 13. Kapitel)
Herausgegeben von Gerhard Wehr
insel taschenbuch it 1411

Wie aus Luzifer, dem schönsten Engel im Himmel, der gräulichste Teufel geworden ist
3. Nun merke: Als sich nun Luzifer also greulich verderbet, so waren alle seine Quellgeister eine Feindschaft wider Gott, denn sie qualifizierten alle viel anders als Gott, und war eine ewige Feindschaft zwischen Gott und dem Luzifer.

4. Nun möchte einer sagen: Wie lang ist denn Luzifer im Lichte Gottes gestanden? - Die Tiefe: Als der königliche Leib des Luzifer zusammenkorporieret ward, in derselben Stunde zündete sich auch das Licht im Luzifer an. Denn alsbald seine Quellgeister in der Erbauung des Corpus anfingen zu qualifizieren und sich zu gebären, wie der Natur Recht war, so ging der Blitz des Lebens im Herzen im süßen Quellwasser auf. So war der königliche Leib schon fertig und fuhr der Geist im Herzen von dem Lichte aus durch den Mund in das Herze Gottes.

5. Da war er ein überaus schöner Fürst und König, und dem göttlichen Wesen gar lieb und angenehm, und ward mit gar großen Freuden empfangen. Desgleichen fuhr auch der Geist vom Herzen in alle Quelladern des Corpus und zündete alle sieben Geister an. Da ward der königliche Leib augenblicklich glorifizieret und stund da als ein König Gottes in unerforschlicher Klarheit, welche das ganze Himmelsheer übertraf.

6. Nun in diesem hellen und lichten Blitze wurden alsbald die sieben Quellgeister angestecket, als wie man ein Feuer ansteckt. Denn sie erschraken vor der grausamen Klarheit ihres Geistes, und wurden in dem ersten Blitze oder Anblicke flugs hochtriumphierend, erheblich, stolz und zuviel freudenreich, und bewegten sich zu höherer Geburt.

7. So sie aber in ihrem Sede [Platz] wären blieben sitzen und hätten qualifizieret, wie sie von Ewigkeit getan hatten, so hätte ihnen das hohe Licht nichts geschadet. Denn sie waren nicht neue Geister aus etwas anders gemacht, sondern es waren die alten Geister, die keinen Anfang hatten gehabt, die in Gott waren ewig gewesen, und wußten wohl der Gottheit und der Natur
Recht, wie sie wallen sollten.

8. Auch als Gott den Corpus zusammenfigurierte, so tötete er nicht zuvorhin die Quellgeister, sondern er figurierte den Leib des Königs Luzifer aus dem Kern des Besten zusammen, darinnen die allerbeste Wissenschaft war.

9. Sonst, wo die Qualitäten wären vorhin tot gewesen, so hätten sie eines neues Lebens bedurft, und wäre im Zweifel, ob der Engel könnte ewig bestehen.

10. Vernimms nur recht: Gott schuf darum Engel aus sich selber, daß sie härter und derber zusammenkorporieret wären als die Figuren, welche durch das Qualifizieren der Geister Gottes in der Natur aufgingen und auch durch der Geister Bewegen wieder vergingen, daß ihr Licht in ihrer Härtigkeit sollte heller scheinen, und daß der Ton des Corpus hell tönete und schallete, damit die Freudenreich in Gott größer würde. Das war die Ursache, daß Gott Engel schuf.

11. Daß aber gesagt wird, der Engel habe ein neu Licht geboren oder einen neuen Geist, ist also zu verstehen:

12. Als die Quellgeister härter zusammenkorporieret waren, so schien das Licht viel heller im Corpus und aus dem Corpus als vorhin im Salitter. Denn es ging viel ein hellerer Blitz im Corpus auf als vorhin, weil der Salitter dünne war.

13. Darum wurden auch die Quellgeister stolz und vermeinten, sie hätten viel ein schöner Söhnlein oder Licht als der Sohn Gottes war. Darum wollten sie auch sehrer [stärker] qualifizieren und sich erheben, und verachteten das Qualifizieren in Gott ihrem Vater, sowohl auch die Geburt Gottes des Sohnes, und auch den Ausgang Gottes des Hl. Geistes, und vermeinten, sie wolltens tun. Weil sie also herrlich zusammenkorporieret wären, so wollten sie auch herrlich und prächtig aufsteigen und sich sehen lassen als die schönste Himmelsbraut.

14. Sie wußten wohl, daß sie nicht der ganze Gott wären, sondern wären ein Stück, davon. So wußten sie auch wohl, wie weit sich ihre Allmacht erstreckte. Aber sie wollten nicht mehr das Alte, sondern wollten höher sein als der ganze Gott, und vermeinten, sie wollten ihr Revier über die ganze Gottheit über alle Königreiche haben.

15. Darum erhuben sie sich, in willens, den ganzen Gott zu regieren. Es sollten alle Formen und Bildungen in seiner Qualifizierung aufgehen. Er wollte der Herr der Gottheit sein und kein anderer sollte neben ihm Herr sein.

16. Das ist nun die Wurzel des Geizes, Neides, Hoffarts und Zornes, denn in dem grimmen Qualifizieren ging der Zorn auf und brannte wie Hitze und kalt Feuer, dazu bitter wie Gallen.

17. Denn die Quellgeister hatten keinen Trieb von außen in sich, sondern der Trieb zur Hoffart erhub sich im Corpus im Rat der sieben Quellgeister. Die vereinigten sich, daß sie wollten alleine Gott sein.

18. Weil sie es aber in ihrem alten Sede nicht konnten anfangen und ins Werk bringen, so heuchelten sie miteinander. Sie wollten sich erheben wider die Geburt Gottes und wollten in der höchsten Tiefe qualifizieren, so würde ihnen nichts können gleich sein, sintemal sie der mächtige Fürst in Gott wären. [...]

28. Siehe, der König Luzifer ist das Haupt in seinem ganzen Revier gewesen, und ist ein gewaltiger Herr gewesen, und ist aus dem Kern seines ganzen Reviers geschaffen worden, und hat durch seine Erhebung wollen sein ganzes Revier anzünden, daß alles hätte sollen also brennen und qualifizieren, wie er in seinem Corpus.

29. Ob nun gleich die Gottheit außer seinem Corpus hätte wollen sänftig gegen ihn qualifizieren und ihn erleuchten und zur Buße vermahnen, so war doch nun kein ander Wille im Luzifer, denn daß er wollte über den Sohn Gottes herrschen und das ganze Revier anzünden, und wollte auf eine solche Weise selber der ganze Gott sein über alle englische Heere.

30. Wenn nun das Herze Gottes mit seiner Sanftmut und Liebe gegen den Luzifer stürmete, so verachtete ers nur und meinte, er wäre viel besser; und stürmete hinwieder mit Feuer und Kälte in harten Donnerschlägen gegen den Sohn Gottes und meinete, er müßte ihm untertänig sein, er wäre Herr, denn er verachtete das Licht des Sohnes Gottes.

31. Sprichst du nun: Wie hat er solche Macht gehabt? Ja, er hat sie gehabt, denn er ist ein groß Teil der Gottheit gewesen und dazu aus dem Kern; denn hat sich auch an den König und Großfürsten Micha-El gerieben, ihn zu verderben, welcher endlich mit ihm gestritten hat und ihn überwunden, indem die Kraft Gottes in Luzifers Reiche auch heftig wider ihren König gestritten hat, bis er endlich von seinem königlichen Stuhle als ein Überwundener ist gestoßen worden. Apok. 12, 8.9.

32. Sprichst du nun: Gott hätte ihm sollen sein Herze erleuchten, daß er hätte Buße getan. Er wollte auch kein ander Licht annehmen, denn er verachtete das Licht des Sohns Gottes, welches außer seinem Corpus leuchtete, dieweil er so ein blitzend Licht in ihm hätte, und erhub sich je länger je sehrer, bis sein Wasser gar vertrocknete und verbrannte und sein Licht gar verlosch; da war es geschehen.

33. Nun möchte einer sagen: Wie kommts dann, daß auf diesmal alle seine Engel mitfielen? Wie der Herr gebot, also taten auch alle seine Untertanen. Als er sich erhub und wollte Gott sein, so sahen solches auch seine Engel und taten alle wie ihr Herr, und taten alle, als wollten sie die Gottheit stürmen. Denn sie waren ihm alle untertänig, und er regierte in allen seinen Engeln, denn er war aus dem Kern des Salitters geschaffen, daraus seine Engel allesamt waren geschaffen, und war aller seiner Engel Herz und Herr.

34. Darum taten sie alle wie er und wollten alle im Primat der Gottheit sitzen und mit ihrem Herrn im ganzen Revier gewaltig regieren über die ganze göttliche Kraft. Es war alles ein Wille bei ihnen, und ließen ihnen den nicht nehmen.

35. Nun sprichst du; Hat denn der ganze Gott solches vor der Zeit der Erschaffung der Engel nicht gewußt, daß es werde also zugehen? Nein, denn wenn es Gott vor der Zeit der Erschaffung der Engel gewußt hätte, so wäre es ein ewiger vorgetzlicher Wille gewesen, und wäre keine Feindschaft wider Gott, sondern Gott hätte ihn wohl anfänglich zu einem Teufel geschaffen.

36. So aber hat ihn Gott zu einem Könige des Lichtes geschaffen. Und da er ungehorsam ward und wollte über den ganzen Gott sein, so speiete ihn Gott von seinem Stuhl und schuf inmitten unserer Zeit einen andern König aus derselben Gottheit, daraus der Herr Luzifer war geschaffen; - verstehe es recht: aus dem Salitter, der außer dem Corpus des Königs Luzifer war - und setzte ihn auf den königlichen Stuhl Luzifers und gab ihm Macht und Gewalt, wie Luzifer vor seinem Fall hatte, und derselben König heißt Jesus Christus und ist Gottes und des Menschen Sohn.

Aus: Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang, (S.273-276, 278-280 14. Kapitel)
Herausgegeben von Gerhard Wehr
insel taschenbuch it 1411


Die Satans-Litaneien

von Charles Baudelaire

Du, der du aller Engel schönster, klügster Geist, Gott,
den das Los verriet und welchen niemand preist,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

O Fürst in der Verbannung, dem man Unrecht tat,
Und der, besiegt, sich stärker noch erhoben hat,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Allwissender, der alles Verborgene durchschaut,
Du großer König, Heiler, dem Menschenangst vertraut,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, der die Parias selbst, vom Aussatze verheert,
Durch Liebe noch die Lust des Paradieses lehrt,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, der du mit dem Tod, der alten Buhlerin,
Die Hoffnung zeugtest, diese liebenswerte Närrin!

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, der bei dem Geächteten jenen Blick entflammt,
Womit er alles Volk rings ums Schafott verdammt,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, der du weißt, wo in der geizigen Erde Falten
Die Edelsteine ruhn, die Gott uns vorenthalten,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, dessen klare Augen den Grund gesehen haben,
Wo alle Arten von Metallen sind begraben,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, der den Abgrund zudeckt mit seiner großen Hand
Dem Schlafwandler, der hinirrt an der Dächer Rand,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, der du den Betrunkenen, vom Pferdehuf erfaßt,
Auf wunderbare Weise noch gerettet hast,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, der zum Trost der Menschen, die der Schmerz bedrängt,
Uns lehrte, wie man Schwefel mit Salpeter mengt,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du Listiger, der Krösus sein Zeichen aufgedrückt,
Das die gemeine Stirn des Unbarmherzigen schmückt,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du, der es allen Mädchen in Aug und Herz geschrieben,
Daß sie die Wunden ehren und den Plunder lieben,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Du Leuchte der Erfinder und Stütze der Bedrängten,
Beichtvater der Verschwörer und Tröster der Gehenkten,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!

Wahlvater derer, die Gottvater angeklagt
Und zornig aus dem irdischen Paradies verjagt,

O Satan, sei mir gnädig in meiner tiefen Not!
Aus: Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen.
Übersetzung von Monika Fahrenbach-Wachendorff, Nachwort von Hartmut Köhler
Reclams Universalbibliothek Nr. 5076 (S.130-132)
© 1992, 1998 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Satan, der Dreimalgroße
von Charles Baudelaire

An den Leser
Torheit, Sünde, Geiz und Irrtum zehren
An unserem Leib, besetzen unseren Geist;
Und jeder seine lieben Skrupel speist,
Wie Bettelleute Ungeziefer nähren.

Verstockkte sind wir, die nur lau bereun,
Doch weenn es lohnt, auch manches eingestehn.
Dann munter auf dem Sumpfweg weitergehn
Und glauben, Tränen waschen alles rein.

Satan, der Dreimalgoße, wiegt allzeit
Auf Bösem weich gebettet das Gemüt.
Und das Metall der Willenskraft verglüht
Durch dieses Alchmisten Fertigkeit.

Der Teufel hält die Fäden, die uns leiten!
Wir finden Lust an widerlichen Dingen,
Die täglich uns der Hölle näherbringen
,
Furchtlos, durch üblen Dunst und Dunkelheiten.

Lüstlingen gleich, die gierig schmatzend küssen
Von alten Huren die zerquälten Brüste,
Stehlen wir hastig unerlaubte Lüste,
Die wir wie Apfelsinen pressen müssen.

Und wie von Würmern, die sich wimmelnd drängen,
Wird von Dämonen unser Hirn verschlungen,
Mit unserm Atem fließt in unsre Lungen
Der unsichtbare Tod mit Klagesängen.

Wenn die Gewalt, das Gift, der Dolch und Brand
Noch nicht das Jammerleben, das wir führen,
Auf dem Entwurf mit hübschen Mustern zieren,
So. weil die Kühnheit unsrer Seele schwand!

Doch unter Panthern und Schakalen aller Arten,
Den Affen, Geiern, Schlangen, die sich winden;
Den Ungeheuern, die wir heulend finden.
Kreischend und knurrend in des Lasters Garten.

Ist eins vor allen hässlich und gemein!
Zwar schreit es nicht und scheint sich kaum zu regen,
Doch würd es gern die Welt in Trümmer legen
Und schlänge gähnend sie in sich hinein;

Die Langeweile ist's! Das Auge tränenreich
Raucht sie die Wasserpfeife, träumt vom Blutgericht,
Kennst du das heikle Ungeheuer nicht,
- Scheinheiliger Leser - Bruder, du - mir gleich!
Aus: Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen.
Übersetzung von Monika Fahrenbach-Wachendorff, Nachwort von Hartmut Köhler
Reclams Universalbibliothek Nr. 5076 (S.5-6)
© 1992, 1998 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Satan Fall in John Milton’s »verlorenem Paradies« (1. Buch 30 - 170)
Zuerst — denn dir verhüllt der Himmel nichts,
Noch auch der Hölle Triften — sag, was war‘s,
Das unsre großen Urerzeuger einst,
In ihrem Glück vom Himmel hoch begünstigt,
Bewog, von ihrem Schöpfer abzufallen
Und einer einzigen Beschränkung wegen
Ihm seinen Willen frech zu übertreten —
Die sonst die Herren dieser Welt gewesen?
Wer wiegelte zuerst sie zu der schnöden
Empörung auf? Die Schlange war‘s, der Wurm,
Des Höllenlist, durch Neid und Rachsucht einst
Gestachelt, unsre Menschenmutter trog,
Als ihn sein Stolz vom Himmel ausgestoßen
Mit seinem ganzen Heer rebellischer Engel,
Mit deren Hilfe er sich selbst getrachtet
Hoch über Seinesgleichen zu erheben,
Ja, mit dem Allerhöchsten sich zu messen,
Wär‘ er dawider. Mit ehrgeizigem Ziel
Heillos begann er Krieg im Himmel, Kampf
Gen Gottes einzigen Thron und Monarchie:
Ein eitler Schlag. Denn der Allherrscher schleudert
Als Feuerbrand ihn häuptlings aus dem Himmel,
Gestürzt, gesengt, hinunter grausig tief
Ins bodenlose Nichtsein; dort zu wohnen
In Ketten von Demant und Feuerqualen,
Der Allmacht in die Schranken durfte fordern.
Neunmal die Zeit, die Tag und Nacht durchmißt
Den Sterblichen, lag scheußlich seine Schar
Mit ihm besiegt, im Feuerschlund sich windend,
Zermalmt, obgleich unsterblich. Doch sein Los
Birgt größte Pein noch ihm, denn ach, es foltert
Ihn der Gedanke ans verlorne Glück
Und ewige Strafe. Rundum sendet er
Die Blicke seiner unheilvollen Augen,
Die höchste Not und Peinigung bezeugten,
Mit hartem Stolz und stetem Haß gemischt;
Zugleich erblickt er, weit wie Engel sehen,
Die Schreckenswelt um ihn, so öd und wild,
Entsetzliches Gefängnis rundumher,
Wie Feueressen lodernd, doch nicht Licht,
Vielmehr sichtbares Dunkel wirkend, welches
Nur Klagenswertes zu entdecken half,
Des Grams Regionen, weherfüllte Schatten,
Wo Ruh und Friede nimmer weilen mag,
Die Hoffnung nicht, die sonst zu allen kommt,
Nur Qual, die endlos drängt; die Feuerfluten
Nährt immer-brennend Schwefel, unverzehrt.
Den Ort hat ewige Gerechtigkeit
Bereitet für Rebellen, ihnen Haft
Bestimmt in tiefster Nacht und zugeteilt,
Ein Raum weitab von Gott und Himmelslicht,
Dreimal vom Zentrum fort zum Weltenpole.
O wie ungleich dem Ort, von dem sie fielen!
Bald sieht er die Gefährten seines Falls
Dort, überwallt von Feuersturmesstrudeln,
Und neben ihm sich wälzend sieht er einen,
An Macht nach ihm am größten und an Bosheit,
Den lang seither noch Palästina kannte
Und Beelzebub hieß. Zu welchem Satan —
Denn so nennt man den Erzfeind in dem Himmel —,
Das grause Schweigen kühnlich brechend, sprach:

»Wenn du es bist — doch ach, wie tief gesunken!
Wie anders nun, als einst im schönen Reich
Des Lichts, in transzendenten Glanz gekleidet,
Myriaden Glänzender du überstrahltest!
Bist du es, den ein gegenseitig Band
Einträchtigen Ziels und Rates, gleiche Hoffnung
Und gleiches Wagnis zu der großen Tat
Mit mir vereinte, einst? Dich hat nun gleiches
Unglück und Weh mit mir vereinigt auch.
In welchen tiefen Schlund, von welcher Höhe
Du hier gefallen bist, um soviel stärker
Erwies sich er mit seinem Donnerschlag:
Wer ahnte schon den Ingrimm seiner Waffen?
Doch nicht um dieser willen, noch was sonst
Der mächtige Sieger uns in seiner Wut
Zufügen kann, werd ich je Reue zeigen,
Noch irgend ändern, ob verändert zwar
In äußerem Glanze, jenen festen Sinn
Und des geschmähten Wertes edlen Stolz,
Der mit den Mächtigsten zum Kampf mich führte
Und zu dem bittern Ringen mit mir brachte
Ein unzählbares Volk bewehrter Geister,
Die‘s wagten, seine Herrschaft nicht zu mögen,
Mich aber mehr, und seine besten Kräfte
Mit Gegenkräften wagten anzugreifen
In zweifelhaftem Waffengange auf
Des Himmels weitem Plan, und seinen Thron
Erschütterten. Wenn auch die Schlacht verloren,
Alles ist nicht verloren. Denn der Wille,
Der unbesiegbar ist, des Rachsinns Eifer,
Zeitloser Haß, Mut, der sich nie ergibt,
Noch unterwirft, noch was sonst unbezwinglich,
Das soll sein Zorn nicht, noch Gewalt durch ihn,
Als höchste Glorie, mir je entreißen.
Sich beugen und um Gnade flehn auf Knien
Und dessen Macht vergöttern, der noch neulich
Den Schrecken dieses Arms sein Königreich
Bedrohen sah, das wäre wahrlich feig,
Das wäre Schimpf und Schande, tiefer noch
Als dieser Sturz, denn unser Schicksal will‘s,
Daß Götterkraft und himmlische Substanz
Uns nicht vergehen können; da wir auch
Durch das Erleben dieses Tags nicht schlechter
Gewappnet stehn und an Voraussicht wir
Recht viel gelernt, so dürfen wir uns jetzt
Mit beßrer Hoffnung auf Erfolg entschließen,
Ewig und unversöhnlich Krieg zu führen,
Sei‘s durch Gewalt, durch List, mit unserm Feind,
Der nun frohlockt und, siegesübermütig,
Allein beherrscht des Himmels Tyrannei.«
So sprach der Abgefallne, leidend zwar,
Doch prahlend laut, obgleich er von Verzweiflung
Zutiefst geplagt. Ihm nun antwortet drauf
Sein kühner, ebenbürtiger Genoss’:
»O Fürst, o Haupt gekrönter Mächte, die
Die Reihen schlachtbereiter Seraphim
Anführten unter dir und Schreckenstaten
Vollbrachten, furchtlos, und den ständigen König
Des Himmels hart bedrängten, seine Hoheit,
Ob durch Macht, Zufall oder Schicksal sie
Sich aufrecht hält, an ihm erproben wollten.
Ich seh‘s zu gut, mich reut der bittern Stunde,
Die in verruchtem, raschem Niedergang
Den Himmel uns verlor und all das Heer
In gräßlicher Zerstörung so zugrunde
Gerichtet, wofern Engel und Gewalten
Verderben können; denn es bleibt der Geist
Unüberwindlich, Lebenskräfte strömen
Alsbald zurück, auch bei erloschnem Ruhm,
Da dauernd Elend unser einstig Glück
Hat gar verschlungen. Doch wie, wenn nun er,
Der uns besiegt (und den ich jetzt an Stärke
Allmächtig glaube, da ein Minderer nicht
So starke Macht wie unsere je bezwungen),
Uns unversehrt doch diesen unsern Geist

Aus: John Milton, Das verlorene Paradies
Aus dem Englischen übertragen und herausgegeben von Hans Heinrich Meier
Reclams Universalbibliothek Nr. 2191 (S.7-10)
© 1968 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Dostojewskis satirisch-ernstgemeinte Teufelsphantasien
Der Teufel. Iwan Fjodorowitschs Fiebertraum
»So glaub‘s doch nicht, wenn du‘s nicht willst«, schlug der Gentleman, leise auflachend, freundlich vor. »Was wäre denn das für ein Glaube, den man erzwingen wollte? Zudem helfen doch Beweise in Glaubensdingen niemals, besonders keine materiellen. Thomas glaubte nicht darum, weil er den auferstandenen Christus sah, sondern weil er schon vorher zu glauben gewünscht hatte. Da haben wir jetzt zum Beispiel die Spiritisten . . . ich habe sie sehr gern . . . denk nur, sie sind überzeugt, daß sie dem Glauben nützen, weil die Teufel ihnen aus jener Welt ihre Hörner zeigen. ,Das ist doch schon ein materieller Beweis dafür, daß es jene Welt gibt‘, heißt es. Jene Welt und materielle Beweise — oje, oje! Und schließlich, selbst wenn der Teufel bewiesen wäre, so bliebe es doch noch ungewiß, ob damit auch Gott bewiesen sei? Ich möchte mich als Mitglied in eine idealistische Gesellschaft aufnehmen lassen, werde dann dort Opposition machen. ,Ich bin ein Realist‘, würde ich sagen, ,aber kein Materialist‘, hehe!«

»Höre«, sagte Iwan Fjodorowitsch und erhob sich plötzlich von seinem Platz. »... Ich bin jetzt ganz wie .. . es scheint mir, daß ich phantasiere ... selbstverständlich tue ich das.., im Fieber... du kannst dort reden, was du willst, mir ist alles gleich! Du wirst mich heute nicht mehr so in Wut bringen, wie das vorige Mal. Nur schäme ich mich irgendeiner ... Ich werde im Zimmer umhergehen ... Zuweilen sehe ich dich nicht, und dann höre ich nicht einmal deine Stimme, ganz wie das vorige Mal, aber ich errate immer irgendwie, was du da brummst, denn du bist ich; ich, ich rede selbst, und nicht du! Nur weiß ich nicht, ob ich das vorige Mal schlief, oder ob ich dich im Wachen sah? Ich werde mir ein nasses Tuch auf die Stirn legen, vielleicht vergehst du dann...«

Iwan Fjodorowitsch ging in die Ecke, nahm ein Handtuch, tauchte es in kaltes Wasser und begann dann mit dem nassen Tuch um den Kopf im Zimmer auf und ab zu schreiten.

»Es gefällt mir, daß wir uns so ohne weiteres auf Du und Du gestellt haben«, begann wieder der Gast.

»Dummkopf!« Iwan lachte. »Soll ich etwa anfangen, zu dir ,Sie‘ zu sagen? Ich bin jetzt guter Laune, nur in der Schläfe fühle ich noch einen Schmerz. . . und unter dem Scheitelbein . . Aber philosophiere bitte nicht, wie neulich. Wenn du dich von hier nicht fortpacken kannst, so schwatz wenigstens etwas Amüsantes. Kram doch deine Klatschgeschichten heraus, du bist doch ein Schmarotzer, da wärst du ja beim Klatschen in deinem Element. — Daß man so einen Alpdruck nicht loswerden kann, das ist doch wirklich ...! Aber ich fürchte dich nicht, ich werde dich überwinden! Man wird mich nicht in die Irrenanstalt bringen!«

»C‘est charmant: ,ein Schmarotzer‘. Ja, ich bin in meiner Art gerade das, was ich bin! Was bin ich denn sonst auf der Erde, wenn nicht ein Schmarotzer? Übrigens — bei der Gelegenheit: ich höre dich und, offen gestanden, ich wundere mich ein wenig: bei Gott, es scheint, daß du allmählich anfängst, mich für ein Etwas, für etwas in der Tat Vorhandenes zu halten, und nicht nur für eine Ausgeburt deiner Phantasie, worauf du das letzte Mal so hartnäckig bestandest... «

»Keinen Augenblick akzeptiere ich dich als reale Wirklichkeit!« fuhr Iwan ihn fast jähzornig an. »Lüge bist du, meine Krankheit bist du, ‘du bist nichts als ein Fiebergespinst! Nur weiß ich nicht, womit ich dich vernichten könnte ... Ich sehe schon, man wird sich eine Zeitlang quälen müssen. Du bist meine Halluzination. Du bist die Verkörperung meines Ich, übrigens nur eines Teiles meines Ich. . . meiner Gedanken und Gefühle, aber nur der niedrigsten und dümmsten. Von diesem Gesichtspunkt aus könntest du mich sogar interessieren, wenn ich nur Zeit hätte, mich mit dir abzugeben.. . «

»Erlaube, erlaube, ich werde dich sofort überführen! Vorhin, bei der Straßenlaterne, als du plötzlich Aljoscha anfuhrst mit den Worten: ,Das hast du von ihm erfahren! Woher weißt du, daß er zu mir kommt?‘ — damit meintest du doch mich. Folglich glaubtest du doch eine kleine Sekunde lang, glaubtest du also doch, daß ich wirklich bin«, sagte der Gentleman mit weichem Lachen.

»Ja, das war eine natürliche Schwäche ... aber trotzdem habe ich nicht an dich glauben können. Ich weiß nicht, schlief ich das vorige Mal, oder ging ich umher? Vielleicht sah ich dich nur im Traum und war gar nicht wach?«

»Aber warum warst du denn vorhin so unfreundlich zu ihm, zu Aljoscha, meine ich? Er ist doch ein lieber Junge; ich bin vor ihm noch wegen des Staretz Sossima schuldig.«

»Schweig! Kein Wort von Aljoscha! Wie wagst du das überhaupt, du Lakai!« Iwan Fjodorowitsch lachte wieder.

»Du schimpfst und lachst dabei — das ist ein gutes Zeichen. [...]

»Indem ich dich beschimpfe — schimpfe ich mich selbst!« sagte Iwan und lachte wieder kurz auf. »Du bist ich, ich selbst, bloß mit einer anderen Fratze. Du sprichst genau das, was ich schon bei mir denke... und bist überhaupt nicht imstande, mir etwas Neues zu sagen!«

»Wenn meine Worte mit deinen Gedanken übereinstimmen, so gereicht mir das natürlich nur zur Ehre«, antwortete der Gentleman zuvorkommend und doch mit persönlicher Würde.

»Bloß nimmst du immer nur meine schlechten Gedanken, und vor allem — die dummen. Dumm und gemein bist du. Furchtbar dumm bist du. Nein, ich kann dich nicht ertragen! Was soll ich tun, was soll ich tun?« murmelte Iwan wutknirschend.

»Mein Freund, ich will immerhin Gentleman sein und auch als solcher behandelt werden«, begann der Gast in einem Anfall echt schmarotzerhaften, schon im voraus nachgebenden und gutmütigen Ehrgefühls. »Ich bin arm, aber ... das heißt, ich will nicht behaupten, daß ich sehr ehrenwert sei, aber . . es wird doch in der Gesellschaft gewöhnlich als Axiom angenommen, daß ich ein gefallener Engel sei. Aber, bei Gott, ich kann mir noch immer nicht vorstellen, auf welche Weise ich einmal ein Engel hätte sein können. Wenn ich aber wirklich so etwas gewesen sein sollte, dann muß das doch schon so lange her sein, daß es keine Sünde mehr sein kann, wenn ich‘s vergessen habe. Jetzt ist es mir nur um den Ruf eines anständigen Menschen zu tun, und ich lebe wie sich‘s gerade ergibt, indem ich mich bemühe, angenehm zu sein. Ich liebe die Menschen aufrichtig — o, man hat mich in vielen Dingen unglaublich verleumdet! Hier, hienieden, wenn ich zeitweilig wieder einmal zu euch übersiedle, fließt mein Leben dahin, als ob es tatsächlich etwas wäre, und das ist es gerade, was mir am meisten gefällt. Denn ich leide doch gleichfalls, ganz so wie du, unter dem Phantastischen, und darum liebe ich euren irdischen Realismus. Hier bei euch ist alles fest umrissen, hier gibt es Formeln, hier gibt es Geometrie, bei uns dagegen gibt es nichts als immer nur irgendwelche unbestimmten Gleichungen! Hier gehe ich umher und träume. Ich liebe das Träumen. Und zudem werde ich hier auf Erden abergläubisch, — bitte lach nicht: gerade das gefällt mir, daß ich abergläubisch werde. Ich nehme hier alle eure Gewohnheiten an: es macht mir Spaß, in die öffentliche Badestube zu gehen — kannst du dir das vorstellen? — und ich liebe es, mit Kaufleuten und Popen Schwitzbäder zu nehmen. Mein Lieblingstraum ist, mich zu verkörpern — aber endgültig und unwiderruflich — in irgendeine dicke, zweieindrittel Zentner schwere Kaufmannsfrau und an alles zu glauben, woran sie glaubt. Mein Ideal ist: in die Kirche zu gehen und dort aus reinem Herzen vor einem Heiligenbilde eine Kerze aufstellen zu können. Bei Gott, so ist es. Dann hätten meine Leiden ein Ende. Ach, richtig, und dann habe ich noch an etwas Gefallen gefunden, das ist: mich hier bei euch zu kurieren. Im Frühling herrschten die Pocken, da ging ich denn ins Findelhaus und ließ mich gegen die Pocken impfen, — nein, wenn du wüßtest, wie zufrieden ich an jenem Tage war! Ich spendete sogar zehn Rubel für unsere malträtierten slavischen Brüder! ... Aber du hörst mir ja gar nicht zu. Weißt du. du bist heute gar nicht wie sonst.« Der Gentleman verstummte für eine Weile. »Ich weiß, du bist gestern zu jenem Doktor gegangen ... nun, wie steht es mit deiner Gesundheit? Was hat dir der Doktor denn gesagt?«


»Dummkopf!« schnitt Iwan kurz ab.

»Dafür bist du doch so klug. Willst du wieder schimpfen? Ich habe ja nicht gerade aus Teilnahme gefragt, sondern nur so. Nun, meinetwegen, brauchst ja nicht zu antworten. Jetzt kommt wieder die schöne Jahreszeit, wo das Rheuma zu zwicken anfängt . . . «

»Dummkopf«, sagte Iwan nochmals.

»Das ist wohl alles, scheint es, was du zu sagen weißt?

Ich aber holte mir im vorigen Jahr solch einen Rheumatismus, daß ich noch jetzt an ihn zurückdenken muß.«

»Kann denn der Teufel auch Rheumatismus haben?«

»Warum denn nicht, wenn ich mich zuweilen verkörpere. Verkörpere ich mich, so muß ich auch alle Folgen auf mich nehmen. Satanas sum et nihil humanum a me alienum puto.«

»Wie, was? Satanas sum et nihil humanum ... das ist nicht dumm für einen Teufel! «

»Freut mich, daß ich es dir endlich recht gemacht habe [...]

»Du bist dumm, ganz furchtbar dumm!« sagte Iwan widerspenstig. »Sei doch wenigstens etwas klüger, wenn du fügst, sonst werde ich nicht mehr zuhören. Du willst mich durch Realismus besiegen, willst mich überzeugen, daß du bist. Ich aber will nicht glauben, daß du bist! Und ich werde es auch nicht! «

»Aber ich lüge doch gar nicht, das ist doch alles wahr. Leider pflegt die Wahrheit fast immer wenig geistreich zu sein. Du erwartest, wie ich sehe, entschieden etwas Großes und vielleicht sogar Wundervolles von mir. Das ist sehr schade, denn ich gebe doch nur das, was ich kann...«


»Philosophiere nicht, Esel! «

»Wo ist denn da Philosophie, wenn meine ganze rechte Seite wie gelähmt war, und ich nur noch krächzend ach und weh stöhnen konnte! Ich ging natürlich sofort zu allen Ärzten: die Krankheit festzustellen, verstehen sie vorzüglich, den ganzen Prozeß erzählen sie dir wie an den Fingern her, schön, aber kurieren — das gibt‘s nicht. Da stieß ich bei der Gelegenheit auch auf so einen von den begeisterten Studenten. Der sagte mir: ,Wenn Sie auch sterben müssen, so werden Sie dafür doch nachher ganz genau wissen, an welcher Krankheit Sie gestorben sind!‘ Und dann noch diese ihre neue Angewohnheit, zu Spezialisten zu schicken: ,Wir stellen nur die Diagnose‘, heißt es, ,aber fahren Sie doch zu dem und dem Spezialisten, der wird Sie dann schon kurieren‘. Der frühere Doktor, der alle Krankheiten kurierte, ist heutzutage ganz und gar verschwunden, aber ganz, sag ich dir, jetzt gibt‘s nur noch Spezialisten, die fortwährend in den Zeitungen annoncieren. Nehmen wir an, deine Nase ist krank. Schön, man schickt dich nach Paris; dort, heißt es, ist ein europäischer Spezialist, der nur Nasen kuriert. Du kommst nach Paris, er untersucht deine Nase: ,Ich kann Ihnen‘, sagt er, ,nur das rechte Nasenloch kurieren, denn die linken Nasenlöcher kuriere ich nicht, das ist nicht meine Spezialität, aber fahren Sie doch, wenn ich mit Ihnen fertig bin, nach Wien, dort wird Ihnen ein besonderer Spezialist das linke Nasenloch kurieren.‘ Was tun? Ich griff zu den Volksmitteln. Ein alter deutscher Doktor riet mir, mich im Dampfbade oben auf der Schwitzbank mit Honig und Salz abzureiben. Ich ging natürlich, allein schon um ein übriges Mal in die Badestube zu kommen, oder richtiger einzig und allein darum, schmierte mich vom Nacken bis zum Hacken kräftig ein, aber von Nutzen — keine Spur. In meiner Verzweiflung schrieb ich an den Grafen Mattei nach Mailand, der schickte mir ein Buch und Tropfen, — na, Gott mit ihm. Und stell dir vor: ,,Hoffs Malzextrakt“ half schließlich! Ich kaufte ihn ganz zufällig, halb aus Versehen, trank anderthalb Glas, und weg war alles, wie mit der Hand, ich hätte sofort tanzen können. Ich beschloß sogleich, ihm meinen Dank durch die Zeitung zu übermitteln. Jawohl: das Gefühl der Dankbarkeit wollte in mir zu Wort kommen. Und nun, was glaubst du wohl, daraus entstand wiederum eine neue Geschichte: In keiner einzigen Redaktion wollte man meine ,Danksagung‘ annehmen! ,Es würde sich doch zu reaktionär ausnehmen‘,. hieß es, ,niemand wird daran glauben, le diable n‘existe point. Lassen Sie es doch anonym drucken.‘ Nun, dachte ich, was ist denn das für ein Dank, wenn er anonym gesagt wird? Ich scherzte noch mir dem Büropersonal: ,Nur an Gott zu glauben‘, sagte ich, ,ist in unserem Jahrhundert rückständig, ich aber bin doch der Teufel, an mich kann man doch!‘ — ,Sehr wohl‘, sagten sie, ,wer glaubt denn nicht an den Teufel, aber es geht trotzdem nicht, es könnte der Tendenz schaden. Es sei denn, daß wir es als Scherz brächten?‘ Nun, als Scherz, was hätte denn das für einen Witz? So ist denn nichts gedruckt worden. Und wirst du‘s mir glauben, das liegt mir noch immer auf dem Herzen. Selbst meine besten Gefühle, wie zum Beispiel die Dankbarkeit, sind mir formell verboten, und zwar einzig und allein wegen meiner sozialen Stellung,«

»Fängst du schon wieder mit deiner Philosophie an?« Iwan knirschte.

»Gott bewahre mich davor! Aber es geht doch nicht so, man muß sich doch zuweilen auch ein bißchen beklagen dürfen. Ich bin ein verleumdeter Mensch. Da sagst du mir nun in einem fort, ich sei dumm. Daran erkennt man sogleich, daß du noch ein junger Mann bist. Mein Freund, es kommt nicht auf den Verstand allein an. Ich habe Von Natur ein gutes Herz und ein heiteres Gemüt — ,,Ich habe ja doch auch schon etliche Vaudevilles...‘ Du scheinst mich ja entschieden für einen altgewordenen Chlestakóff zu halten, indessen ist mein Schicksal weitaus ernster. Durch irgendeine vorzeitliche Bestimmung, die ich eigentlich niemals habe verstehen können, bin ich dazu ausersehen zu ,verneinen‘, während ich doch aufrichtig gut und zum Verneinen ganz unbegabt bin. ,Nein, geh hin und verneine‘, heißt es da, ,ohne Verneinung gäbe es keine Kritik. Was aber wäre denn das für eine Zeitung, in der es keine kritische Abteilung gibt?
Ohne Kritik gäbe es nichts als ,Hosianna‘. Fürs Leben aber ist ,Hosianna‘ allein zu wenig, dieses ,Hosianna‘ muß vorher unbedingt durch den Schmelzofen der Zweifel gegangen sein‘, nun, und so weiter in dem Ton. Übrigens mische ich mich in diese ganze Sache nicht hinein, denn, schließlich, was geht‘s mich an: nicht ich habe geschaffen, folglich trage auch nicht ich die Verantwortung. Nun also, da hat man denn den Sündenbock ausgesucht, ihn gezwungen, in der ,kritischen Abteilung‘ zu schreiben, und so gab‘s dann Leben. Wir durchschauen diese Komödie: ich, zum Beispiel, verlange für mich einfach und geradezu Vernichtung. ,Nein, du sollst leben‘, heißt es da, ,denn ohne dich würde es nichts geben. Wenn alles auf der Welt vernünftig wäre, so würde ja nichts geschehen. Ohne dich würde sich nichts ereignen, es ist aber nötig, daß sich was ereigne.‘ Und so verbeiße ich denn meinen Ärger und diene, damit es Geschehnisse gibt, und schaffe auf Befehl Unvernünftiges. Die Menschen nehmen diese ganze Komödie für etwas Ernsthaftes, sogar bei all ihrem unbestreitbaren Verstand. Darin besteht denn auch ihre Tragödie. Nun, und sie leiden natürlich, aber... immerhin leben sie doch dafür, leben sie realiter, und nicht nur in der Phantasie; denn gerade das Leiden — das eben ist ja das Leben. Was wäre es denn ohne Leiden für ein Vergnügen; alles würde sich in ein endloses Gebet verwandeln. Zwar wäre das heilig, dafür aber auf die Dauer doch recht langweilig. Nun, und ich? Ich leide, aber ich lebe doch nicht. Ich bin das X in einer unbestimmten Gleichung. Ich bin irgendein Phantom des Lebens, das alle Enden und Anfänge verloren, und schließlich sogar selbst vergessen hat, wie es sich nennen soll. Du lachst, nein, du lachst nicht, du ärgerst dich schon wieder. Du ärgerst dich fortwährend, du verlangst immer nur Kluges, ich aber kann dir nur sagen, daß ich dieses ganze überirdische Leben, alle Titel und Ehren hingeben würde, nur um mich in die Seele einer zweieindrittel Zentner schweren Kaufmannsfrau verwandeln und Gott Kerzen stiften zu können.«

»Also auch du glaubst nicht mehr an Gott?« fragte Iwan mit gehässigem Lachen.

»Das heißt, wie soll ich dir das sagen, wenn du nur im Ernst... «


»Gibt es einen Gott oder gibt es keinen?« fuhr Iwan ihn wiederum mit wilder Verbissenheit an.

»Ah, so fragst du im Ernst? Mein Lieber, bei Gott, ich weiß es nicht. Sieh, da habe ich ein großes Wort ausgesprochen.«

»Du weißt es nicht und siehst doch Gott? Nein, du bist nicht ein Ding für sich, du bist — ich, du bist ich und sonst nichts! Schmutz bist du, nichts als meine Phantasie bist du!«

»Das heißt, wenn du willst, bin ich mit dir ganz derselben... Philosophie, das wäre der richtige Ausdruck, und auch sonst hätte es damit seine Richtigkeit. »Je pense, donc je suis“, das weiß ich bestimmt, was aber das übrige um mich herum betrifft, alle diese Welten, Gott, und sogar den Satan selbst, — das alles ist für mich nicht bewiesen, ob es an und für sich, sozusagen selbständig besteht, oder einzig und allein meine Emanation ist, die folgerichtige Entwicklung meines Ich, das zeitlich und individuell existiert ... mit einem Wort: ich breche lieber kurz ab, denn es scheint, daß du sogleich aufspringen und handgreiflich werden willst.«

»Könntest du nicht lieber irgendeine Anekdote erzählen!« fragte Iwan krankhaft gequält.

»Das könnte ich durchaus. Ich habe gerade so eine Anekdote, die gut zu unserem Thema paßt, oder vielmehr keine Anekdote, sondern eher eine Legende. Da wirfst du mir nun Unglauben vor: ,du siehst und doch glaubst du nicht‘. Aber, mein Freund, ich bin ja nicht allein so, dort bei uns sind doch jetzt alle ganz konfus geworden, und das nur infolge eurer Wissenschaft. Solange es bloß Atome gab, fünf Sinne, vier Elemente, nun, da hielt sich alles noch irgendwie im Leim. Atome gab es ja auch in der Alten Welt. Als man aber bei uns erfuhr, daß ihr dort bei euch das ,chemische Molekül‘ und das ,Protoplasma‘ entdeckt hattet, und‘ weiß der Teufel was sonst noch, da fühlte man sich bei uns sozusagen wie begossen und wurde kleinlaut. Der denkbar größte Blödsinn hub an. Vor allem: Aberglauben, Klatsch! Klatsch gibt es doch bei uns ebensoviel wie bei euch, sogar noch ein wenig mehr; und zu guter Letzt die Denunziationen! Bei uns gibt es doch auch so eine Abteilung zur Kenntnisnahme gewisser ,Nachrichten‘. Nun also, diese verrückte Legende, noch aus dem Mittelalter —aus unserem, nicht aus eurem —, und denk nur, selbst bei uns glaubt niemand an sie, außer den allerdicksten Kaufmannsfrauen, — das heißt wiederum unsere Kaufmannsfrauen, nicht eure. Alles, was es bei euch gibt, gibt es auch bei uns — das will ich dir mal aus purer Freundschaft aufdecken, obgleich es eines unserer Geheimnisse und euch mitzuteilen verboten ist. Also, diese Legende handelt vom Paradiese. Es war einmal, heißt es, hier bei euch auf Erden so ein Denker und Philosoph, der ,alles verneinte, Gesetze, Gewissen, Glaube‘, vor allen Dingen aber — das zukünftige Leben. Er starb, glaubte unmittelbar in Finsternis, Tod und Nichtsein zu geraten, aber, siehft du wohl, da ist vor ihm — das zukünftige Leben. Er wunderte sich und ward ungehalten. ,Das widerspricht meinen Überzeugungen‘, sagte er. Nun, und dafür wurde ihm dann der Prozeß gemacht, und er wurde verurteilt.. . das heißt, sieh mal, du mußt mich entschuldigen, ich gebe doch nur das wieder, was ich gehört habe, und es ist ja nur eine Legende.. Also, man verurteilte ihn zu folgendem: in der Finsternis eine Quadrillion Kilometer zu durchwandern (bei uns rechnet man doch jetzt auch nach Kilometern), und erst wenn er diese Quadrillion Kilometer hinter sich hat, soll ihm das Paradiesestor geöffnet und alles verziehen werden...«

»Aber was habt ihr in jener Welt sonst noch für Qualen, außer dieser Quadrillion?« unterbrach ihn Iwan, plötzlich ganz eigentümlich belebt.
»Was für Qualen? Ach, frage lieber nicht danach! Früher gab es noch so dies und das, jetzt dagegen hat man sich fast nur auf die abstrakten, auf die moralischen Qualen verlegt, so — ,Gewissensbisse‘ und diesen ganzen Schwindel. Das ist gleichfalls von euch übernommen, infolge der ,Milderung‘ eurer Sitten. Und wer hat dabei gewonnen? Gewonnen haben nur die Gewissenlosen, denn was können ihnen Gewissensbisse anhaben, wenn in ihnen überhaupt kein Gewissen vorhanden ist? Dafür geht es jetzt den anständigen Leuten um so schlechter, die noch Gewissen und Ehre im Leibe haben... Das sind so Reformen auf unvorbereitetem Boden, die dazu noch nach fremden Einrichtungen kopiert werden, — nichts als Schaden kommt dabei heraus! Da wäre doch das frühere Feuerlein weit angebrachter ... Nun also, dieser zur Quadrillion Verurteilte stand, sah und legte sich dann quer auf den Weg hin: ,Ich will nicht gehn, aus Prinzip werde ich nicht gehn!‘ Nimm die Seele eines aufgeklärten russischen Atheisten und mische sie mit der Seele des Propheten Jonas, der drei Tage und drei Nächte lang im Bauche des Walfischs schmollte, — da hast du den Charakter dieses Denkers, der sich quer über den Weg legte.«

»Auf was legte er sich denn dort hin?«

»Nun, es wird doch wahrscheinlich etwas dagewesen sein, auf was man sich hinlegen konnte. Du lachst doch nicht?«

»Bravo!« rief Iwan, immer noch in derselben lebhaften Spannung. Er hörte bereits mit auffallendem Interesse zu. »Nun, was? und liegt er auch jetzt noch da?«

»Das ist‘s ja, daß er nicht mehr liegt. Er lag fast tausend Jahre lang, dann stand er plötzlich auf und ging.«

»So ein Esel!« rief Iwan unwillkürlich aus und lachte nervös auf, schien aber dabei immer noch alle Sinne wie krampfhaft anzuspannen, um sich über etwas Bestimmtes klar zu werden oder zu kombinieren. »Kommt denn das nicht auf dasselbe hinaus, ob man ewig liegt oder eine Quadrillion Kilometer geht? Das wäre doch ein Marsch von ungefähr einer Billion Jahren!«
»Sogar noch viel mehr. Schade, ich habe keinen Bleistift und kein Papier bei mir, sonst könnte man es sofort ausrechnen. Aber er ist ja schon längst angelangt, und hier erst beginnt die Anekdote.«

»Wie das — angelangt? Wo hat er denn die Billion Jahre hergenommen? «


»Du denkst nun wieder bloß an unsere jetzige Erde!
Aber diese Erde hat sich doch vielleicht schon billionenmal wiederholt. Nun, sie hatte sich eben ausgelebt, ist vereist, ist gesprungen, auseinandergeplatzt, zerfallen, zerstäubt, hat sich in ihre Elemente aufgelöst, dann ward wieder ,eine Feste zwischen den Wassern‘, und so weiter, dann wieder ein Komet, wieder eine Sonne, aus der Sonne wieder eine Erde, — aber diese Entwicklung hat sich doch vielleicht schon unzähligemal wiederholt, endlos, und immer genau in ein und derselben Form, alles bis aufs Tüpfelchen genau so wie es war. Mordslangweilig, sage ich dir.. .«

»Schön, schön, aber was geschah dann, als er ankam?« drängte Iwan weiter.

»Tja, kaum hatte sich ihm das Paradies erschlossen, kaum war er eingetreten, — versteh: noch war er keine zwei Sekunden im Paradiese, und das nach der Uhr berechnet, nach der Uhr, (wiewohl sich seine Uhr in seiner Tasche, meiner Meinung nach, inzwischen auch schon in ihre Elemente hätte auflösen müssen), — also, wie gesagt, noch war er keine zwei Sekunden im Paradiese, als er schon ausrief, daß man für diese zwei Sekunden nicht nur eine Quadrillion, sondern quadrillionmal Quadrillionen durchwandern könne, auch wenn man diese womöglich noch in die quadrillionste Potenz erhöbe! Mit einem Wort, er sang sein ,Hosianna‘, verstand aber darin nicht maßzuhalten, so daß dort einige von etwas vornehmerer Gesinnungsart ihm in der ersten Zeit nicht einmal die Hand reichen wollten. Der war ihnen denn doch zu ungestüm zu den Konservativen übergegangen. Eine russische Natur. Wie gesagt: eine Legende. Als was gekauft, als das verkauft. Das also wäre noch so ein Beispiel, was für Auffassungen von diesen Dingen dort bei uns in Umlauf sind.«

»Jetzt habe ich dich erwischt!« rief Iwan plötzlich mit geradezu kindlicher Freude aus, als habe er sich endlich einer bestimmten Sache erinnert. »Diese Anekdote von den Quadrillion Jahren, — die habe ich ja selbst erfunden! Ich war damals siebzehn Jahre alt, ich war noch auf dem Gymnasium. . . ich hatte damals diese Anekdote verfaßt und erzählte sie darauf einem Mitschüler, Kor6wkin hieß er, das war in Moskau. . . Diese Anekdote ist so charakteristisch, daß ich sie nirgendwoher hätte übernehmen können! Ich hatte sie nur fast vergessen. .. aber jetzt habe ich mich ihrer unbewußt wieder erinnert, — sie ist mir ganz von selbst wieder eingefallen, und nicht du hast sie mir erzählt! Wie man sich eben zuweilen einer Sache unbewußt wieder erinnert, wie einem plötzlich tausend Dinge einfallen, selbst wenn man zum Schafott geführt wird.., sie ist mir im Traum wieder eingefallen. Und dieser Traum bist du! Ja, nichts als mein Traum bist du, selbständig existierst du überhaupt nicht!

Der Gentleman lachte:
»Gerade die Heftigkeit, mit der du mich ablehnst, sagt mir, daß du trotzdem an mich glaubst.«

»Nicht im geringsten! Nicht ein Hundertstel glaube ich!«

»Aber ein Tausendstel doch. Die homöopathischen Portiönchen sind ja vielleicht gerade die stärksten. Gestehe nur, daß du, nun, sagen wir, ein Zehntausendstel doch glaubst.«

»Keinen Augenblick!« fuhr Iwan jähzornig auf. »Übrigens... wünschte ich, an dich glauben zu können!« fügte er plötzlich sonderbar hinzu.
»Oho! Das ist mir mal ein Eingeständnis... Aber ich bin gutmütig, ich werde dir auch hierbei helfen. Also höre: ich habe dich erwischt, nicht du mich! Ich habe dir absichtlich deine eigene Anekdote erzählt, die du so gut wie vergessen hattest, damit du jeglichen Glauben an mich verlörest.«

»Du lügst! Der Zweck deines Erscheinens ist, mich zu überzeugen... daß du wirklich bist.«

»Eben. Aber das Schwanken, das Zweifeln, die Unruhe, das Ringen des Glaubens mit dem Unglauben, — das ist doch für einen gewissenhaften Menschen, wie du zum Beispiel, mitunter eine solche Qual, daß man sich lieber erhängen möchte. Gerade weil ich weiß, daß du ein Körnchen Glauben an mich hast, flößte ich dir jetzt eine gehörige Portion Unglauben ein, indem ich dir diese Anekdote erzählte. Ich lenke dich jetzt zwischen Glauben und Unglauben abwechselnd hin und her, und verfolge dabei natürlich meinen besonderen Zweck. Wie gesagt: eine neue Methode. Denn sobald du endgültig jeden Glauben an mich verloren haben wirst, wirst du sofort anfangen, mir ins Gesicht zu versichern, daß ich kein Traum sei, sondern wirklich existiere. Ich kenne dich doch. Und dann werde ich eben mein Ziel erreichen. Mein Ziel aber ist edel. Ich werde nur ein winziges Körnchen Glauben in dich werfen, und daraus wird eine Eiche erwachsen, — und noch dazu solch eine Eiche, daß du, mit diesem Baume in der Brust, dich noch zu den ,Vätern-Einsiedlern und den lasterlosen Weibern‘ wirst gesellen wollen, denn im geheimen willst du das sehr, gar sehr! Wirst noch Heuschrecken essen und dich in die Wüste schleppen! «

»Ah! So mühst du Nichtsnutz dich um mein Seelenheil?«


»Man muß doch wenigstens irgendeinmal auch ein gutes Werk tun. Aber ärgern tust du dich, ärgern! wie ich sehe.« [...]


»Laß mich in Ruh! Du klopfst in meinem Hirn wie ein Alpdruck, der nicht loszuwerden ist«, stöhnte Iwan wie ein Kranker in völliger Kraftlosigkeit vor seiner Vision. »Du langweilst mich, du bist unerträglich und qualvoll! Viel würde ich drum geben, wenn ich dich hinauswerfen könnte!«

»Ich rate dir nachmals, mäßige deine Ansprüche, verlange von mir nicht ,alles Erhabene und Schöne‘, und du wirst sehen, wie freundschaftlich wir uns miteinander einleben werden«, sagte der Gentleman eindringlich. »Du ärgerst dich ja im Grunde nur deswegen über mich, weil ich dir nicht irgendwie in rotem Lichte, ,donnernd und blitzend‘ und mit glühenden Schwingen erschienen bin, sondern mich in so bescheidener Gestalt vorgestellt habe. Du bist gekränkt, erstens in deinen ästhetischen Gefühlen und zweitens in deinem Stolz: ,Wie‘, denkst du, ,wie wagt zu einem so großen Mann ein so schäbiger Teufel zu kommen?‘ Nein, in dir steckt doch noch diese romantische Ader, die schon Belinskij so verspottet hat. Was soll man da tun, junger Mann! Als ich mich vorhin zu dir aufmachte, da dachte ich schon einen Augenblick daran, mich zum Scherz als verabschiedeten Wirklichen Staatsrat vorzustellen, der im Kaukasus gedient hat, mit dem persischen Orden des Löwen und der Sonne am Frack. Aber, offen gestanden, mir fehlte der Mut dazu, denn du hättest mich doch zweifellos allein schon dafür verprügelt, daß ich gewagt habe, mir nur besagten Ordensstern des Löwen und der Sonne an den Frack zu heften, und nicht mindestens den Polarstern oder den Sirius. Und immer wieder wirfst du mir vor, ich sei dumm. Aber, du lieber Gott, ich habe ja gar nicht die Prätention, mich an Geist mit dir zu messen. Als Mephistopheles dem Faust erschien, da bezeugte er von sich, daß er das Böse wolle, doch stets das Gute schaffe. Nun, das mag er halten, wie es ihm beliebt, bei mir dagegen ist es gerade umgekehrt. ich bin vielleicht der einzige Mensch in der ganzen Natur, der die Wahrheit liebt und aufrichtig das Gute will. ich war zugegen, als das am Kreuz gestorbene Wort zum Himmel auffuhr und mit sich die Seele des ihm zur Rechten verschiedenen Schächers emportrug. Ich hörte das Freudejauchzen der Cherubim, die jubelnd ,Hosianna‘ sangen, und den Donnerschrei des Entzückens der Seraphim, von dem der Himmel und das ganze Gebäude der Welten erbebten. Und sieh, ich schwöre dir bei allem, was heilig ist, ich wollte schon in den Chor einstimmen, wollte mit allen Engeln aufjauchzen: ,Hosiannal‘ Schon drängte es aus der Brust, schon wollte es sich von der Zunge losreißen.., ich bin doch, wie du weißt, sehr sensibel und künstlerisch empfänglich. Aber die gesunde Vernunft — o, das ist die unseligste Eigenschaft meiner Natur — hielt mich auch hier in den pflichtschuldigen Grenzen zurück, und ich verpaßte den Augenblick! Denn was, dachte ich in derselben Sekunde, was würde die Folge meines ,Hosianna‘ sein? Es würde sofort alles auf der Welt erlöschen, und keinerlei Ereignisse würden sich mehr zutragen. Und so war ich denn einzig und allein aus Pflichtbewußtsein in meinem Dienst und infolge meiner sozialen Stellung gezwungen, das Gute in mir zu ersticken in so einem Augenblick und bei den Abscheulichkeiten zu bleiben. Die Ehre des Guten nimmt jemand ganz nur für sich allein in Anspruch, mir dagegen ist ausschließlich das Unheilstiften zugewiesen. Ich bin aber nicht neidisch auf die Ehre, als Schnorrer auf Kosten anderer zu leben, ich bin nicht ehrgeizig. Warum ward von allen Geschöpfen der Welt nur ich allein den Flüchen aller anständigen Leute geweiht und sogar ihren Fußtritten, denn, wenn ich mich verkörpere, muß ich mitunter auch diese Folgen auf mich nehmen. Ich weiß ja, daß es hierbei ein Geheimnis gibt, aber dieses Geheimnis will man mir um keinen Preis aufdecken, denn es wäre möglich, daß ich dann, wenn ich erraten hätte, um was es sich handelt, auch ,Hosianna‘ brülle, und darauf verschwände sofort das notwendige Minus, und auf der ganzen Welt höbe Vernünftigkeit an, damit aber hätte selbstverständlich alles ein Ende, sogar die Zeitungen und sonstigen Blätter, denn wer würde dann noch auf welche abonnieren? Ich weiß ja, daß ich mich zu guter Letzt aussöhnen, einmal auch meine Quadrillion zu Ende gehen und das Geheimnis erfahren werde. Bis dahin aber — schmolle ich, verbeiße meinen Arger und erfülle meine Bestimmung, das ist: Tausende zu verderben, auf daß sich einer rette. Zum Beispiel, wieviel Seelen hieß es da verderben, wieviel ehrenhafte Reputationen verunglimpfen, nur um den einen gerechten Hiob zu ergattern, mit dem man mich damals, zu Olims Zeiten, so gemein beschummelt hat! Nein, solange das Geheimnis noch nicht aufgedeckt ist, gibt es für mich zwei Wahrheiten: eine, die dort bei ihnen und mir vorerst völlig unbekannt ist, und dann die andere, meine Wahrheit. Und noch weiß man nicht, welche von beiden sauberer sein wird. . . Bist du eingeschlafen?«

»Warum nicht gar!« stöhnte Iwan erbost. »Alles, was es nur Dummes in meiner Natur gibt, was ich schon längst überwunden, in meinem Geist durch- und durchgekaut und wie Aas fortgeworfen habe, — das trägst du mir wieder vor, als wäre es etwas Neues!«

»Also war‘s wieder nicht recht! Und ich hoffte bereits, dich schon allein mit der literarischen Fassung zu gewinnen: dieses ,Hosianna‘ im Himmel zum Beispiel, das nahm sich doch wirklich gar nicht so uneben aus? Und jetzt zum Schluß dieser sarkastische Ton à la Heine, — wie, du findest das nicht?«

»Nein, ein solcher Lakai bin ich nie gewesen! Wie hat denn nur meine Seele einen solchen Lakaien wie dich hervorzubringen vermocht?«

»Mein Freund, ich kenne einen ganz prächtigen und liebenswertesten russischen Junker: einen jungen Denker und großen Liebhaber der Literatur und aller schönen Künste, den Autor eines vielversprechenden Poems, das »Der Großinquisitor« betitelt ist. . . Nur um ihn allein war s mir zu tun!«

»Ich verbiete dir, auch nur ein Wort vom «Großinquisitor« zu sagen!« unterbrach ihn Iwan zornig, jäh errötend vor Scham.

»Nun, aber wie steht‘s denn mit der «Geologischen Umwälzung«? Erinnerst du dich noch? Das ist mir mal ein Poemchen, das muß ich sagen!«

»Schweig! — oder ich schlage dich tot!«

»Wen, mich willst du totschlagen? Nein, erlaub schon, daß ich mich ausspreche. Deswegen bin ich ja überhaupt gekommen, um mir dieses Vergnügen zu leisten. O, ich liebe über alles diese feurigen Schwärmereien meiner stolzen, jungen, vor Lebensdurst bebenden Freunde!


,Da gibt es nun diese sogenannten neuen Menschen‘, so dachtest du noch im vorigen Frühjahr, noch bevor du dich dann hierher aufmachtest; ,sie haben die Absicht, alles zu zerstören und wieder mit der Menschenfresserei des Uranfangs zu beginnen. Die Schafsköpfe, warum haben sie mich nicht um Rat gefragt! Meiner Ansicht nach ist es gar nicht nötig, zuerst mit dem mühsamen Niederreißen anzufangen, das ist ja ganz überflüssig! Man brauchte doch einzig und allein die Gottesidee in der Menschheit zu zerstören, und alles würde nach Wunsch gehen! Das ist es, nur das ist es, womit man beginnen muß! O, diese Blinden, die überhaupt nichts begreifen! Hat sich die Menschheit erst einmal durchweg von Gott losgesagt (und ich glaube daran, daß auch diese Periode, als Parallele zu den geologischen Perioden, einmal eintreten wird), so wird auch die ganze frühere Weltanschauung und vor allem die ganze frühere Sittlichkeit schon von selbst fallen, auch ohne Menschenfresserei, und dem anhebenden Neuen überall Platz machen. Die Menschen werden sich zusammentun, um vom Leben alles zu nehmen, was es nur herzugeben vermag, jedoch unbedingt zum Zweck des Glücks und der Freude einzig und allein hier in dieser Welt. Der Mensch wird sich erhöhen durch den Geist göttlichen, titanischen Stolzes, und dann wird der Mensch-Gott [Gottmensch] auftreten. Indem der Mensch zu jeder Stunde durch seine Willenskraft und die Wissenschaft die Natur bereits ohne Grenzen besiegt, wird er eben dadurch zu jeder Stunde einen solchen Hochgenuß empfinden, daß ihm dieser alle früheren Hoffnungen auf himmlische Wonnen ersetzen wird. Ein jeder wird wissen, daß er vollkommen sterblich ist, ohne Auferstehung, und wird den Tod empfangen stolz und ruhig wie ein Gott. Schon aus Stolz wird er einsehen, warum er nicht dawider zu murren braucht, daß das Leben nur ein Augenblick ist, und er wird seinen Bruder lieben bereits ohne die Verheißung einer Belohnung dafür. Die Liebe wird sich nur mit der Dauer des Lebensaugenblicks begnügen, aber allein schon das Bewußtsein ihrer Kürze wird ihr Feuer um ebensoviel verstärken, um wieviel sie vordem durch die Hoffnung auf jenseitige und unendliche Liebe verdünnt und verflacht wurde...‘ nun, und so weiter, und so weiter in dieser Art. Ganz allerliebst!«

Iwan saß da, hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und blickte zu Boden, doch allmählich begann er, am ganzen Körper zu zittern. Die Stimme sprach weiter:

»Die Frage besteht jetzt also nur darin, dachte mein junger Denker: ob es möglich ist, daß eine solche Periode jemals anbricht, oder ob das ausgeschlossen ist? Wenn sie anbräche, so wäre alles gelöst, und die Menschheit würde sich endgültig einrichten. Da dies aber, in Anbetracht der in der Menschheit eingewurzelten Dummheit, vielleicht auch in tausend Jahren nicht ganz durchzuführen sein wird, so steht es jedem, der schon jetzt die Wahrheit erkennt, auch jetzt bereits frei, sich völlig nach eigenem Gutdünken einzurichten, also nach neuen Grundsätzen. In diesem Sinne ist ihm ,alles erlaubt‘. Und damit noch nicht genug, denn:
selbst wenn diese Periode niemals anbrechen sollte, so ist es doch, da es ja Gott und Unsterblichkeit sowieso nicht gibt, diesem neuen Menschen vollkommen erlaubt, Menschgott zu werden, wenn auch nur er allein auf der ganzen Welt es wird. Und der kann sich dann in diesem neuen Rang selbstverständlich leichten Herzens über jede sittliche Schranke des früheren Knechtmenschen hinwegsetzen, wenn es nötig sein sollte. Für einen Gott gibt es kein Gesetz! Wohin Gott sich stellt — dort ist der Platz schon Gottes. Wohin ich mich stellen werde, dort wird sofort der erste Platz sein . . .
»Alles ist erlaubt« und damit — basta! Das alles ist ja sehr nett; nur fragt es sich, sollte man meinen, wozu er, wenn er schon beschwindeln will, noch die Sanktion der Wahrheit braucht? Aber so ist unser heutiger Russe: ohne Sanktion kann er sich nicht einmal zu Betrügereien entschließen, dermaßen hat er die Wahrheit liebgewonnen ...
Aus: Fjodor M. Dostojewski, Die Brüder Karamasoff (S.1038-1043, 1046-1055, 1057-1062) Aus dem Russischen von E. K. Rashin. Mit einem Nachwort von Ilma Rakusa
© 1906, 1985 Piper Verlag GmbH, München (Serie Piper 402) Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Piper Verlages Gmbh, München

Der Satan der Dichter

Der Satan der italienischen und engländischen Dichter mag poetischer sein; aber der deutsche Satan ist satanischer; und insofern könnte man sagen, der Satan sei eine deutsche Erfindung. Gewiss ist er ein Favorit deutscher Dichter und Philosophen. Er muss also wohl auch sein Gutes haben, und wenn sein Charakter in der unbedingten Willkürlichkeit und Absichtlichkeit, und in der Liebhaberei am Vernichten, Verwirren und Verführen besteht, so findet man ihn unstreitig nicht selten in der schönsten Gesellschaft. Aber sollte man sich bisher nicht in den Dimensionen vergriffen haben? Ein großer Satan hat immer etwas Ungeschlachtes, und Vierschrötiges; er paßt höchstens nur für die Prätensionen auf Ruchlosigkeit solcher Karikaturen, die nichts können und mögen als Verstand affektieren. Warum fehlen die Satanisken in der christlichen Mythologie? Es gibt vielleicht kein angemessneres Wort und Bild für gewisse Bosheiten en miniature, deren Schein die Unschuld liebt; und für Jene reizend groteske Farbenmusik des erhabensten und zartesten Mutwillens, welche die Oberfläche der Größe so gern zu umspielen pflegt. Die alten Amorinen sind nur eine andre Race dieser Satanisken.
Aus: Friedrich Schlegel, Kritische und theoretische Schriften Auswahl und Nachwort von Andreas Huyssen (S.124 aus »Athenäums«-Fragmente)
Reclams Universalbibliothek Nr. 9880 © 1978 Philipp Reclam jun., Stuttgart. Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages