Max Ferdinand Scheler (1874 – 1928)

  Deutsch-jüdischer Philosoph, Psychologe und Soziologe, der 1899 vom jüdischen Glauben zum Katholizismus übertrat. 1919 wurde Scheler als Professor für Philosophie und Soziologie an die Kölner Universität berufen. Seit 1928 lehrte er in Frankfurt a. M. Max Scheler gilt als Begründer der philosophischen Anthropologie und war neben Edmund Husserl und Martin Heidegger einer der wichtigsten Köpfe der Phänomenologie, distanzierte sich jedoch von der Methode der Reduktion zugunsten einer unmittelbaren Wesensschau. Er engagierte sich für einen im Geist der platonisch-augustinischen Liebesidee interpretierten weltoffenen Katholizismus. In Überschreitung der formalistischen Ethik Kants entwickelte er eine materiale Wertethik sowie eine Metaphysik der Person. Als »Person« betrachtet er denjenigen Mensch, der in Freiheit die (objektiven) Werte ergreift. Das Wertvollsein einer Sache wird für Scheler nicht durch einen intellektuellen, sondern durch einen emotionalen Akt erfasst (»intentionales Fühlen«). 1922/23 distanzierte er sich öffentlich vom Katholizismus und näherte sich der Gedankenwelt Hegels. Seit 1923/24 richtete sich seine Aufmerksamkeit dann zunehmend auf anthropologische, soziologische und metaphysische Fragestellungen, insbesondere auf Probleme der Wissenssoziologie. Die 1928 erschienene Abhandlung »Die Stellung des Menschen im Kosmos« ist Kernstück seiner unvollendet gebliebenen Anthropologie.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis

Die göttliche Alliebe
Das augustinische Willensprimat ist faktisch Liebessprimat!
Von allen guten Dingen ist das beste die Liebe selbst!
Das Werden der «Gottheit» zu einem «Gotte»
  Pantheismus

Christus
Über die in Christus fleischgewordene Gottesliebe

Die göttliche Alliebe
Mögen die Liebenswürdigkeiten von der göttlichen Alliebe aus gesehen durch den Akt dieser Liebe geprägt und geschaffen sein: Des Menschen Liebe prägt und schafft sie nicht. Sie hat ausschließlich ihre gegenständliche Forderung anzuerkennen und sich der an sich, aber an sich »für« den Menschen bestehenden, auf sein besonderes Wesen hingeordneten Rangabstufung der Liebenswürdigkeiten zu unterwerfen. Nur darum gibt es ein als richtig und falsch charakterisiertes Lieben, da des Menschen faktische Neigungen und Liebesakte mit der Rangordnung der Liebenswürdigkeiten übereinstimmen können und ihr widerstreiten — wir können auch sagen: sich mit der Liebe, mit der Gott schon die Idee der Welt resp. ihren Gehalt liebte, ehe er sie schuf, und mit der er sie jede Sekunde forterhält, eins oder geschieden und im Gegensatz fühlen und wissen können. Stürzt der Mensch in seinem faktischen Lieben oder in der Aufbauordnung seiner Liebesakte, in Vorziehen und Nachsetzen, diese an sich bestehende Ordnung um, so stürzt er — was an ihm ist — gleichzeitig die göttliche Weltordnung der Intention nach selbst um. Und wo immer er sie also umstürzt, da stürzt auch seine Welt als möglicher Erkenntnisgegenstand und seine Welt als Willens-, Handlungs- und Wirkfeld notwendig nach.
Aus: Max Scheler, Die Grammatik der Gefühle . Das Emotionale als Grundlage der Ethik, (dtv 30770, S.85-86)
Ausgewählt und mit einem Vorwort herausgegeben von Paul Good
© 1975 Deutscher Taschenbuchverlag (www.dtv.de)
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Deutschen Taschenbuchverlags

Das augustinische Willensprimat ist faktisch Liebessprimat!
Von der mystischen Erbauungsliteratur abgesehen, der spezifisch philosophischer Sinn mangelt, finden wir einzig bei Augustinus und der augustinischen Tradition bis zu Malebranche und Blaise Pascal ernsthafte Anfänge, das christliche Grunderlebnis über die Beziehung von Liebe und Erkenntnis auch im Zusammenhang mit außerreligiösen Problemen begrifflich zu fassen. Es ist nicht richtig, wenn man Augustin eine Lehre vom «Willensprimat» (in Gott und Mensch) nachgesagt hat, ja ihn in dieser Hinsicht geradezu zu einem Vorgänger der Scotisten machte. Was man bei Augustin Willensprimat nennt, ist faktisch Liebesprimat, Primat des Liebesaktes sowohl vor der Erkenntnis als vor dem Streben und Wollen, ist zugleich Primat der interessenehmenden Akte, als niedrigerer Regungen der «Liebe», vor den wahrnehmenden, vorstellenden, erinnernden und Denkakten; d. h. vor allen jenen Akten, die Bild- und Bedeutungsinhalte («Ideen») vermitteln. Keiner Lehre steht Augustin ferner als den Lehren der Scotisten und des Descartes, dass die Ideen des Guten und Schlechten erst Setzungen und Geboten göttlichen Willens ihren Sinn und ihre Bedeutung verdankten; daß die Wesenheiten und Ideen der Dinge dem Dasein der Dinge nicht vorangingen, sondern folgten; oder dass die Ideen gar nur — wie bei den späteren Scotisten, z. B. Wilhelm von Occam — nur menschliche Gemächte seien, denen in der Gegenstandssphäre nichts entspräche (Nominalismus) — alles Lehren, die der Satz vom Primate des Willens im Geiste mit strenger Folgerichtigkeit aus sich hervortreiben muss. Im Satze der späteren Scotisten, die in die moderne Philosophie überleiten, hat sich der schrankenlose Arbeitsgeist des modernen Bürgertums gegenüber einer kontemplativ-intellektualen Priesterkaste zuerst seine begriffliche Form gegeben. Auch Augustins «volo ergo sum» darf durch die Wahl des schlechten Ausdrucks «volo» nicht darüber hinwegtäuschen, dass Liebe und Interessenehmen in letzter Linie: Gerichtetheit nicht auf die Glückseligkeit als Gefühl — wie häufig falsch interpretiert wird —, sondern auf das «Heil» der eigenen und der fremden Seele als die untrennbare Einheit von vollkommener Persongüte und Seligkeit, für ihn die elementarste Grundtendenz des menschlichen Geistes ist; der gegenüber Vorstellungen und Begriffe nur Stationen der fortwährenden Bewegung der in Gott und Welt immer tiefer eindringenden Liebe darstellen — gleichwie Flämmchen eines fortlaufenden Feuers. Im Verhältnis zur Liebe ist alles eigentliche «Streben» und «Wollen» von Augustin nur als inneres und äußeres Ausdrucks- und Werkorgan für das jeweilige Stadium ihrer — der Liebe — jeweiligen Vollendung angesehen worden So folgen also Wollen und Vorstellen bei Augustin gleichmäßig der Liebe als einer dritten ursprünglichsten Einheitsquelle alles Bewusstseins. Dies aber geschieht so, dass die Liebe an erster Stelle das Erkennen und erst durch dieses vermittelt das Streben und Wollen bewegt. Das Verhältnis von Erkennen und Wollen ist also ganz dasselbe wie bei Thomas Aquinas, und dies im äußersten Gegensatz zu allen scotistischen Lehren des «Primates des Willens über den Verstand».

Dem entspricht es, dass bei Augustin auch im Wesen der Gottheit die Liebe den letzten Wesenskern ausmacht, dass die Liebe selbst den «Ideen», die er (im platonischen Sinne in seine Lehre aufnehmend) als «Gedanken Gottes» ansieht, gleichzeitig aber als Musterbilder für den schaffenden Willen begreift, noch vorhergeht und sie determiniert. So wird die Schöpfung «aus Liebe» und «nach Ideen» der grundlegende Schöpfungsgedanke seiner Theologie. Zum ersten Mal ist damit der Gedanke der schöpferischen Natur der Liebe rein und ohne die romantisch platonische Reduktion des jeweils Neuen im Schaffen auf bloße Wiederkehr eines Bestehenden, auf bloße Erhaltung von Form und Gestalt verkündet. In sekundärer Weise aber erweist sich die Liebe Gottes tätig in der göttlichen Erlösungstat in Christo, deren Folge also hier nur die intellektuale Selbstoffenbarung Gottes in Christo ist. Endlich auch in der freien grundlosen Begnadung einiger (Erwählter), während die übrigen dem Spruch des Gesetzes verfallen bleiben, das auf Grund des Sündenfalls und der Erbsünde alle zu ewigen Strafen verdammt. Auch die Gnadenwahllehre Augustins ist also nur eine der Folgen seiner Lehre vom Primat der Liebe vor aller rational abmessenden Gerechtigkeit; diejenige Folge, die sich unter der biblischen Voraussetzung von Sündenfall, Erbsünde, und des Satzes, dass sich nach dem Gesetze alle durch Sündenfall und Erbsünde des ewigen Todes schuldig gemacht haben, notwendig ergab.
Aus: Max Scheler, Liebe und Erkenntnis (Lehnen Verlag, Dalp Taschenbücher 316, S. 24-25)

Von allen guten Dingen ist das beste die Liebe selbst!
Die Umformung der Idee Gottes und seines Grundverhältnisses zu Welt und Mensch ist nicht der Grund, sondern die Folge dieser Bewegungsumkehr der Liebe. Jetzt ist Gott für die Liebe der Dinge kein ewiges, ruhendes Ziel — gleich einem Sterne — mehr, das die Welt bewegt, wie «das Geliebte den Liebenden bewegt», sondern sein Wesen selbst wird Lieben und Dienen und daraus folgend erst Schaffen, Wollen, Wirken. An Stelle des ewigen «ersten Bewegers» der Welt tritt der «Schöpfer», der sie «aus Liebe» schuf. Das Ungeheure für den antiken Menschen, das nach seinen Axiomen schlechthin Paradoxe, soll sich in Galiläa begeben haben: Gott kam spontan herab zum Menschen und ward ein Knecht und starb am Kreuz den Tod des schlechten Knechts! Sinnlos wird nun der Satz, man solle die Guten lieben, die Bösen hassen, den Freund lieben, den Feind hassen. Es gibt ja keine Idee eines «höchsten Gutes» mehr, die einen Inhalt hätte jenseits und unabhängig vom Akte der Liebe selbst und ihrer Bewegung! Von allen guten Dingen ist das beste die Liebe selbst! Nicht ein Sachwert, sondern ein Aktwert, der Wert der Liebe selbst als Liebe — nicht als das, was sie wirkt und leistet, sondern so, daß alle Leistungen nur als Symbole und Erkenntnisgründe ihres Seins in der Person gelten — ist nun das «summum bonum» [»das höchste Gut«] . Und so wird Gott von selbst zur «Person», die keine «Idee des Guten», keine «formvolle Ordnung », keinen Logos
[»göttliches Wort, göttliche Vernunft«] mehr über sich, sondern nur mehr unter sich hat — als Folge seiner Liebestat. Und er wird selbst «liebender Gott» — ein hölzernes Eisen für den antiken Menschen, eine «unvollkommene Vollkommenheit»! Wie scharf hat dies die neuplatonische Kritik hervorgehoben, dass Lieben als «Bedürfen» und «Streben» «Unvollkommenheit» anzeige, die von der Gottheit auszusagen falsch, vermessen und Sünde sei! Aber auch dies ist eine große Neuerung: Nach der christlichen Vorstellung ist Liebe ein sinnlicher Akt des Geistes (kein bloßer Gefühlszustand wie für die Modernen), aber gleichwohl kein Streben und Begehren, und noch weniger ein Bedürfen.
Aus: Max Scheler: Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, (Klostermann S.39)

Das Werden der «Gottheit» zu einem «Gotte»
Nehmen wir ein paar Haupttypen der religiösen Ideen, die sich der Mensch von dem Verhältnis zwischen sich und einem obersten Grund-Sein der Dinge gebildet hat, und beschränken wir uns dabei auf die Stufe des abendländisch-kleinasiatischen Monotheismus. Da finden wir Vorstellungen wie die, dass der Mensch einen «Bund» mit Gott schloß, nachdem Gott ein Volk bestimmter Art zu dem seinigen erkoren hatte. (Älteres Judentum.) Oder: Der Mensch erscheint je nach der Struktur der Gesellschaft als «Sklave Gottes», der mit List und niedriger Prostration sich vor ihm niederwirft, ihn durch Bitten und Drohungen oder mit magischen Mitteln zu bewegen suchend. In etwas höherer Form erscheint er sich als der «getreue Knecht» des obersten souveränen «Herrn». Die höchste und reinste Vorstellung, die in den Grenzen des Monotheismus möglich ist, erreicht die Idee der «Kindschaft» aller Menschen im Verhältnis zu Gott-«Vater», vermittelt durch den wesensgleichen «Sohn», der den Menschen Gott in seinem inneren Wesen verkündigt und selber mit göttlicher Autorität ihnen gewisse Glaubensmeinungen und Gebote vorschreibt. Alle Ideen solcher Art müssen wir für unsere philosophische Betrachtung des Verhältnisses des Menschen zum obersten Grunde zurückweisen; müssen es schon darum, weil wir die theistische Voraussetzung leugnen: einen geistigen, in seiner Geistigkeit allmächtigen persönlichen Gott. Für uns liegt das Grundverhältnis des Menschen zum Weltgrund darin, dass dieser Grund sich im Menschen — der als solcher sowohl als Geist- wie als Lebewesen nur je ein Teilzentrum des Geistes und Dranges des «Durch-sich-Seienden» ist — ich sage: sich im Menschen selbst unmittelbar erfasst und verwirklicht.

Es ist der alte Gedanke Spinozas, Hegels und vieler anderer: Das Urseiende wird sich im Menschen seiner selbst inne in demselben Akte, in dem der Mensch sich in ihm gegründet schaut. Wir müssen nur diesen bisher viel zu einseitig intellektualistisch vertretenen Gedanken dahin umgestalten, dass dieses Sich-gegründet-Wissen erst eine Folge ist der aktiven Einsetzung unseres Seinszentrums für die ideale Forderung der Deitas und des Versuches, sie zu vollstrecken und in dieser Vollstreckung den aus dem Urgrunde werdenden «Gott» als die steigende Durchdringung von Geist und Drang allererst mitzuerzeugen.

Der Ort dieser Selbstverwirklichung, sagen wir: gleichsam jener Selbstvergottung, die das Durch-sich-seiende-Sein sucht und um deren Werden willen es die Welt als eine «Geschichte» in Kauf nahm — das eben ist der Mensch, das menschliche Selbst und das menschliche Herz. Sie sind der einzige Ort der Gottwerdung, der uns zugänglich ist — aber ein wahrer Teil dieses transzendenten Prozesses selbst. Denn obzwar alle Dinge im Sinne einer kontinuierlichen Kreation in jeder Sekunde aus dem Durch-sich-seienden-Sein hervorgehen aus der funktionellen Einheit des Zusammenspiels von Drang und Geist, so sind doch erst im Menschen und seinem Selbst diese beiden — uns erkennbaren — Attribute des Ens per se lebendig aufeinander bezogen. Der Mensch ist ihr Treffpunkt, und in ihm wird der Logos, «nach» welchem die Welt gebildet ist, mitvollziehbarer Akt. Von vornherein also ist nach unserer Anschauung Mensch- und Gottwerdung gegenseitig aufeinander angewiesen. So wenig der Mensch zu seiner Bestimmung gelangen kann, ohne sich als Glied jener beiden Attribute des obersten Seins und dieses Seins sich selbst einwohnend zu wissen, so wenig das Ens a se ohne Mitwirkung des Menschen.

Geist und Drang, die beiden Attribute des Seins, sie sind, abgesehen von ihrer erst werdenden gegenseitigen Durchdringung — als Ziel —, auch in sich nicht fertig: sie wachsen an sich selbst eben in diesen ihren Manifestationen in der Geschichte des menschlichen Geistes und in der Evolution des Lebens der Welt.

Man wird mir sagen und man hat mir in der Tat gesagt, es sei dem Menschen nicht möglich, einen unfertigen Gott, einen werdenden Gott zu ertragen. Meine Antwort darauf ist, daß Metaphysik keine Versicherungsanstalt ist für schwache, stützungsbedürftige Menschen. Sie setzt bereits einen kräftigen, hochgemuten Sinn im Menschen voraus. Darum ist es auch wohlverständlich, daß der Mensch erst im Laufe seiner Entwicklung und seiner Selbsterkenntnis zu jenem Bewußtsein seines Mitkämpfertums, seines Miterwirkens der Gottheit kommt. Das Bedürfnis der Bergung und der Stützung auf eine außermenschliche und außerweltliche Allmacht, die mit Güte und Weisheit identisch gesetzt wird, ist zu groß, als daß es in Zeiten der Unmündigkeit nicht alle Dämme des Sinnes und der Besinnung durchbrochen hätte. Wir setzen an die Stelle jener halb kindlich, halb schwächlich distanzierenden Beziehung des Menschen zur Gottheit, wie sie in den objektizierenden und darum ausweichenden Beziehungen der Kontemplation, der Anbetung, des Bittgebetes gegeben sind, den elementaren Akt der persönlichen Einsatzes des Menschen für die Gottheit, die Selbstidentifizierung mit ihrer geistigen Aktrichtung in jedem Sinne. Das letzte wirkliche «Sein» des Durch-sich-Seienden ist nicht gegenstandsfähig — so wenig wie das Sein einer Fremdperson. Man kann an seinem Leben und seiner geistigen Aktualität teilhaben nur durch Mitvollzug, nur durch den Akt des Einsatzes und der tätigen Identifizierung. Zur Stützung des Menschen, zur bloßen Ergänzung seiner Schwächen und Bedürfnisse, die es immer wieder zu einem «Gegenstande» machen wollen, ist das absolute Sein nicht da.

Wohl aber gibt es auch für uns eine «Stützung»: es ist die Stützung auf das gesamte Werk der Wertverwirklichung der bisherigen Weltgeschichte, so weit es das Werden der «Gottheit» zu einem «Gotte» bereits gefordert hat. Nur suche man in letzter Linie nie theoretische Gewissheiten, die diesem Selbsteinsatz vorhergehen sollen. Erst im Einsatz der Person selbst ist die Möglichkeit eröffnet, um das Sein des Durch-sich-Seienden auch zu «wissen».

Aus: Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, (Bouvier Verlag , S.90-93)

Pantheismus
Das Gedanken- und Gefühlssystem des Pantheismus beruht irgendwie auf der Gleichung Gott = Welt. Sein erster Irrtum ist schon die ungeprüfte Voraussetzung, dass die Vielheit der Dinge, Kräfte, Beziehungen, die uns Menschen umringen, eine Welt (nicht beliebig viele Welten, wie sie seit Demokrit jeder logisch konsequente Materialismus lehrte) und dass sie ferner eine Welt (nicht ein Chaos), also ein sinnvoll geordnetes Ganzes zusammen ausmachen. Denn diese Annahme ist selber schon gestützt auf die Einheit und Weltüberlegenheit eines einzigen Schöpfer-Gottes. Nicht nur historisch lässt sich erweisen die Wahrheit des Wortes von Christoph v. Sigwart, es sei eine Frucht des philosophischen Monotheismus gewesen, dass man nicht mehr kausal berührungslose Bezirke des Seienden anzuschauen meinte (wie solche Darstellung jedem echten Polytheismus entspricht), sondern ein einziges, allseitig zusammenhängendes, geordnetes Weltganzes: auch sachIich und logisch gilt, dass die Annahme einer Einheit und Einzigkeit der Welt aus der Annahme eines einzigen Schöpfergottes allererst folgt. (Auch darum lässt sich nicht ganz so leicht Gottes Dasein als bloße oberste Ursache der »Welt« beweisen, wie man gemeinhin annimmt.)

Die Welt ist Welt (und nicht Chaos) und die Welt ist eine Welt nur, wenn und weil sie Gottes Welt ist - wenn und weil derselbe unendliche Geist und Wille in allem Seienden tätig und kräftig ist. Genau wie die Einheit der Menschennatur in letzter Linie nicht in aufweisbaren Naturmerkmalen des Menschen, sondern in seiner Gottesebenbildlichkeit und die Menschheit als Ganzes nur eine Menschheit ist, wenn alle Personen und Gliedteile vermöge ihrer Verknüpfung mit Gott auch untereinander rechtlich und moralisch verbunden sind, so ist auch die Welt nur um Gottes Einheit willen eine Welt.

Der Pantheismus, der den Weltcharakter des Seienden und die Einzigkeit der Welt schon setzt unabhängig von Gott, begeht nur denselben Irrtum auf gröbere Weise, den auch diejenigen begehen, die von einer schon vorausgesetzten Einheit und Einzigkeit eines Weltbestandes auf das Dasein Gottes schließen. Darum verstehen wir gut, dass der Pantheismus überall, wo er in der Geschichte auftritt, nie ein Anfang, stets ein Ende ist, nie das Morgenrot einer neuen Glaubenssonne, stets nur das Abendrot einer untergehenden. Er beruht stets darauf, dass man Folgen einer religiös positiven Denkweise für Weltbetrachtung und Weltgefühl noch festhält, deren Gründe und Wurzeln man vergaß. Es ist daher meist die Denkweise reifer, synthetischer, abschließender Kulturzeitalter, und er kann als solche Denkweise von wunderbarem Edelsinn und heiterster harmonischer Größe sein.

Der pantheistische Gott ist immer ein oft schöner und warmer Nachglanz theistischen Glaubens — ein Satz, den wenige so tief erkannt haben, wie Schopenhauer, der den ganzen Pantheismus seiner Epoche (Fichtes, Schellings, Hegels) als einen Rest theistischer Glaubensweise begriff — freilich ihn eben darum so herb verspottete. In Zeitaltern katastrophaler Geschichtswendungen und Neugeburten versagt der Pantheismus nicht nur vor der Vernunft — vor der er immer versagt — sondern auch als Befriedigungsform religiöser Bedürfnisse. Er versagt in sogearteten Zeitaltern auch vermöge seines Ausgleichs- und Harmonisierungsstrebens, das dem Moralischen Entweder-Oder, das solche Zeitalter zur Erlebnisform haben, keinen Raum gewährt.

Der Pantheismus kann seine Gleichung von Gott und Welt von einer zuvor gegegebenen Weltidee oder von einer zuvor gegebenen Gottesidee aus gewinnen. Hegel schon hatte das neue tiefere Verständnis der spinozistischen Philosophie, das im Streite Jacobis mit Lessing über Spinoza zuerst herauszubilden sich anschickte, das klar und reif geworden war schon in Novalis Wort von dem »gotttrunkenen Spinoza«, in die Formel gefasst, dass Spinozas Lehre so wenig
»Atheismus« sei (wie mit Friedrich dem Großen das 18. Jahrhundert gemeint hatte), dass diese Lehre vielmehr eine Art Akosmismus darstelle. Trunken von Gott übersah der jüdische Apostat das Eigenrecht, die Eigenmacht, das substantielle Dasein der Welt. Seine Identifizierung ist die Identifizierung der Welt mit Gott, nicht Gottes mit der Welt. Und dieselbe Richtung des pantheistischen Denkens und Fühlens glühte auf zu den waghalsigen Träumen G. Brunos und hielt sich im Grunde auch im mehr dynamisch und historisch gearteten Vernunftpantheismus der deutschen spekulativen Schule. Hegel und die dem »Meister« genauer folgende Hegelsche »Rechte« z. B. dachte nicht daran, die Gottheit Christi zu leugnen — im Sinne der Renan, Strauß, Feuerbach und der späteren »liberalen Theologie«. Sie hielten vielmehr Anschauung und Gefühlsgehalt der Inkarnationslehre und des Satzes von der Consubstanzialität fest, setzten aber (praktisch) Christus zu einem bloßen Lehrer herab, der eine der Menschenseele überhaupt zukommende Beziehung zu Gott zuerst in sich erkannte.

An Stelle der personalen Erlösertat Christi also tritt eine bloße Erkenntnis; an Stelle der Zweinaturenlehre und der göttlichen Erhabenheit Christi über alle Menschen tritt die Negation der selbständigen Menschennatur und die (vermeintliche) Erhebung aller Menschen zu eben derselben Gottessohnschaft, die Christus nur zuerst erkannt hätte. So wurde ihnen die christliche Religion nur das »vollendete Selbstbewußtsein Gottes im Menschen«.

Wie grundfalsch der Pantheismus in jeder seiner Formen ist: man muss doch innerhalb der Pantheismen eine edle und eine gemeine Form unterscheiden. Und diese Formen fallen zusammen mit der wesentlich akosmistisch und der wesentlich atheistisch gerichteten Form. Diese Unterscheidung ist an erster Stelle eine Unterscheidung der dynamischen Bewegungsrichtung, durch die der Geist zu der Gleichung Welt = Gott gelangt. Macht man diese Unterscheidung, so ergibt sich für die Entfaltungsrichtung des Pantheismus bis zu Beginn des Weltkrieges: Der Pantheismus tendierte mehr und mehr von seiner edlen Form zu seiner gemeinen Form, vom Akosmismnus zum Atheismus. Ganz offenkundig ist dies für den sog. Monismus (Häckels, Ostwalds usw.) und seiner Anhängerschaft. Es ist darüber kein Wort zu verlieren.

Aber der Satz gilt doch auch (wenn auch weniger leicht sichtbar und weniger roh) für die höher gearteten philosophischen Gedanken- und Glaubenssysteme, die sich nach dem Zeitalter des Materialismus ausbildeten, gilt also auch für Ideensysteme, wie jene Fechners, Paulsens, W. Wundts — bis zur letzten Fadenscheinigkeit, die der idealistisch gewandte pantheistische Gottesgedanke in den mannigfachen Lehren unserer akademischen Philosophie vom Bestande oder (bei anderen) von der bloßen »Geltung« und Weltvoraussetzung eines sog. »Bewu
sstseins überhaupt« angenommen hatte. Auch diese Lehren, die — historisch — zurückgehen auf Kants Vernunfttheorie, insbesondere auf seine Lehre von der transzendentalen synthetischen Apperzeption (auch der Pantheismus J.G.Fichtes in seiner Frühperiode und das Gedankensystem Hegels waren von ihr ausgegangen) besitzen das sichere Kennzeichen des Pantheismus: die geistige Individualität des Menschen wird entweder wie bei Averroes nur in die Beschränkung verlegt, die der Leib dem identischen erkennenden Subjekt in allen Menschen setzt, oder sie wird verlegt in den bloßen zufälligen phänomenalen Inhalt des empirischen Bewusstseins.

Diese Entwicklungsrichtung des Pantheismus darf nicht Wunder nehmen. Der Pantheismus konnte — über einzelne Einspänner hinaus — die religiöse Formulierung der Substanz der deutschen Bildung gleichsam ausdrücken, so lange das geistige Leben der Nation einseitig und traumverloren zugewandt war einer idealen geistigen Welt als der wahren Heimat des mit dem »Menschen« verwechselten Deutschen, — so lange die Nation sich an erster Stelle als Kulturnation wusste und fühlte; so lange es ferner noch eine »Kunst und Wissenschaft« gab, von der man noch mit einigem Sinn meinen konnte, es besitze schon Religion, wer sie besitze, und nur die von der kulturellen Aristokratie Ausgeschlossenen hätten sich nach Goethes bekanntem Spruch dem Diktum zu fügen: »Wer diese beiden nicht besitzt der habe Religion!« Denn wie diese Kunst eine in sich wenig differenzierte Ideenkunst war, so war diese »Wissenschaft« synthetische Bildungswissenschaft von stark theologischer Färbung (frühere protestantische Theologen waren auch die meisten der deutschen spekulativen Philosophen). Von der Kunst und der bis aufs äußerste differenzierten Arbeits- und Forschungswissenschaft unserer Zeit ähnliches zu sagen, wäre nicht nur falsch — was ja auch der Goethesche Satz ist — es wäre absurd und lächerlich. Verebben also
diese pantheistischen deutschen Traditionen in unsere Welt, so müssen sie wie von selbst zu einer bunt beschwingten Lüge werden — zu einer Form, aller Realität illusionistisch aus dem Wege zu gehen.

Schon aus dieser inneren Zusammengehörigkeit heraus des deutschen idealistischen und akosmistischen Pantheismus mit einer in jedem Betrachte überwundenen Kulturstufe des deutschen Volkes läßt sich ermessen, daß die mannigfachen Restaurationsversuche dieser Gedankensysteme innerhalb unserer akademischen Philosophie weder eine echte Förderung und feste Begründung der Philosophie noch der Religion in Aussicht stellen. Ob diese Versuche gemacht werden in bezug auf Fichte, ob auf Hegel oder Schelling, ist dabei ganz gleichgültig. Ein neuer lebendiger Anschauungs- und Denkkontakt mit den Tatsachen und Gegenständen der Philosophie — den Wesenskonstanten des Universums, ihrer Ordnung und ihrem Zusammenhang — wird durch solchen Traditionalismus prinzipiell gehindert, ebenso sehr eine Verwertung des an der Geschichte der Menschheit seit dieser Epoche enthüllten Wesensgehaltes der Welterfahrung für die Religion.

Dazu muss diese Art künstlich restaurativer Philosophie das philosophische Forschen absperren von aller Zusammenarbeit der Philosophen verschiedener Völker. Denn die national deutsche Bindung liegt tief in der Natur dieser Philosophie als historischem Gebilde. Aber nationale Bindung überhaupt liegt außerdem im Wesen des Pantheismus als einer Bildungsreligion als solcher — ganz gleichgültig, ob er national sein will oder nicht. Und nicht minder liegt die soziologische Form der »Philosophenschule« als Ort ihres möglichen Auftretens im Wesen dieser Pantheismen als geschlossener Systemphilosophien.

Das philosophische System als Ideal einer Philosophie in dem Sinne, wie es die Denker der deutschen Spekulation anstrebten, haben wir aber sofort preisgegeben, wenn wir in der Theorie der Erkenntnis zur Verneinung des Satzes kommen, es mache die Vernunft (als Inbegriff alles Akt-Apriori) selber ein geschlossenes System aus; wenn wir vielmehr behaupten, es gäbe eine Funktionalisierung der Wesensanschauungsgehalte und damit ein wahres Wachstum des menschlichen Geistes an und in seiner Geschichte — ein Wachstum, das von aller Häufung zufälliger Erfahrungstatsachen auf einer je gegebenen Stufe der gegenständlich sinnvollen apriorischen Aktgefüge dieses Geistes grundlegend verschieden ist. Dies aber ist unsere Behauptung — die anderwärts die genauere Begründung empfangen soll. Das »System« als Form ist selber eine Folge des transzendentalen Subjektivismus all dieser inhaltlich verschiedenen Systeme. Insofern ist schon die Systemform — die alle Kooperation auf dem Boden der Philosophie im Grunde ausschließt — die Kooperation der Generationen in der Zeit, wie die Kooperation der Denkergruppen, — die Folge einer inhaltlichen Behauptung dieser Philosophien, die ihnen gemeinsam zugrunde liegt.

Wächst der menschliche Geist als solcher — nicht also nur die Ansammlung seiner Erfindungen und Leistungen — zwar nicht durch, aber an der Geschichte seiner realen verschiedenen Träger, nämlich an der Erschließung neuer und neuer Wesensanschauungen, und ist diese Art Wachstum unabhängig von der etwaigen biologischen Konstanz oder Änderung der menschlichen Naturgattung, so ist eine ideal wahre Philosophie als System überhaupt nicht zu erwarten. Ja man darf dann sagen, dass eine Systemphilosophie falsch schon ist als Systemphilosophie resp. auf Grund dieser Form — ganz gleichgültig, wie ihr Inhalt sei — oder ein »Wille zur Lüge«, wie Nietzsche einmal sehr glücklich gesagt hat.

Aber noch eine andere, sehr charakteristische Entwicklungsrichtung weist das pantheistische Denken auf. Um trotz der unermesslichen Flut der neuen Realität der ablaufenden Geschichte selbst und nicht weniger der Realitäten, die Natur- und Geschichtswissenschaft entdeckten und erforschten, die Beziehung Welt = Gott gegen den Theismus und Atheismus zu erhalten, musste in die Idee des pantheistischen Weltgrundes eine immer zunehmende Reihe irrationaler, ungöttlicher, ja schließlich widergöttlicher Faktoren aufgenommen werden.

Schon bei Hegel — dem Romantiker der Logik — musste Bewegung und Widerspruch, Werden und Entwicklung (wenn er es auch nicht Wort haben will) in die Idee Gottes mit hineingenommen werden, wenn sich die Weltgeschichte als Prozeß der Explication der Gottesidee darstellen lassen sollte, als den dieser Geschichtspantheist sie auffaßt. Nach dem Versagen der Revolution von 1848 und den Enttäuschungen der folgenden restaurativen Periode, die Schopenhauers zuerst ganz unbeachtetes Werk in die Massen der Gebildeten einführen half, wurde der Pantheismus — unter Erhaltung des monistischen Grundirrtums — so gar vorübergehend Pandämonismus.

Denn nicht ein Gott — auch
kein pantheistischer — sondern ein finsterer Dämon ist der »Wille« Schopenhauers. Aber er blieb doch noch Pandämonismus unter christlichen oder doch der christlichen Ethik ähnlichen Wertungsvoraussetzungen, d. h.: der von Schopenhauer behauptete Weltgrund — jener blinde, ewig ruhelose »Drang« zu Sein und Leben, den er »Wille« nennt — galt dem einsamen Denker, der mit einem Beine noch im alten humanistischen, mit dem anderen schon im neuen realistischen Deutschland stand, noch als ein Schlechtes, Wildes, Furchtbares, also durch Verneinung des Willens zum Leben in Askese und Vision zu Überwindendes.

Erst Nietzsche und — nur in etwas abgeschwächter und gallischer Form — Henri Bergson wagten es, eben dasselbe, was schon Schopenhauer als seinen Weltgrund erlebt und geschaut hatte, — jene drängende, gierige, dämonische, immer neue und immer buntere Gestalten des Daseins aufwirbelnde Macht als Weltgrund nicht pessimistisch zu beklagen, resigniert zu dulden oder asketisch zu fliehen gleich Schopenhauer — sondern zu bejahen, zu bejubeln und vom Menschen zu fordern, er solle sich restlos hineinstürzen in diese Macht — im Kopfsprung wie in einen reißenden Strom. Dazu musste das Wertsystem natürlich grundlegend geändert werden, also alle christliche Moral ebensowohl wie alle humanitristische grundsätzlich verneint werden. Diese neue Wertsetzung — nicht die metaphysische Konzeption als solche unterscheidet Nietzsche von Schopenhauer. Den »dionysischen Pessimismus«— ästhetisch und historisch, aber milde und apraktisch auch in Jakob Burckhardt und in Nietzsches Freund Erwin Rhode als Geschichtsauffassung gegenwärtig — hat Nietzsche einmal als sein »ipsissi mum« bezeichnet. Eben das, was Schopenhauer christlich beweinte, wird nun dionysisch bejubelt.

Bergsons
»Elan vital« und dessen »schöpferische Entwicklung«— im Grunde nur ein logischer Widerspruch, da Entwicklung und Schöpfung wesensverschieden sind — ist als der genaueste philosophische Ausdruck des »esprit nouveau« in Frankreichs Jugend vor dem Kriege, diesem dionysischen Pessimismus, mindestens sehr ähnlich — nicht nur als irrationalistischer Pantheismus, sondern auch im neuen positiven Wertakzent, den beide Ideen besitzen. Endlich hatte auch E. von Hartmann, der den pantheistischen Gedanken vom logischen Standpunkte aus und gemessen an der Fülle und Breite, in der bei ihm die ganze Geschichte der Weltanschauung und Philosophie verarbeitet wird, am tiefsten und umfassendsten — aber ohne metaphysische Originalität — formulierte, schon vor dem Auftreten Nietzsches und Bergsons, einen absolut blinden dynamischen Faktor in seine von den Merkmalen des Bewusstseins der Liebe, der Güte entkleidete Idee Gottes aufnehmen müssen, um die pantheistisch-monistische Gleichung gegen Theismus und Atheismus zu halten. Aber das Werk des allzugelehrten synkretischen Denkers wurde nie lebendig und wirksam und darf hier — wo seine rein philosophischen, sehr erheblichen Verdienste auf anderen Gebieten nicht zu würdigen sind - übergangen werden.

Sieht man philosophische Denkrichtungen nicht nur an auf ihren Wahrheitswert, sondern auch als Indices historischer Lebensentwicklung, so kann man aus dieser Entfaltungsrichtung pantheistischen Denkens mancherlei erfahren. Zuerst sieht man, wie sehr der pantheistische Gott mit sich reden Iäßt — mehr als einem Gotte ziemt Er schmiegt sich den wechselnden Strömungen des historischen Lebens an - wie die »Gebildeten«, die Träger dieser »Bildungsreligion« sind —; er macht bald ein starr geometrisches, bald ein werdetrunken fröhliches, bald ein traurig leidendes und leidenschaftsgepeitschtes, bald ein im Leiden und in der Hingabe an die Leidenschaft noch dionysisch jauchzendes Gesicht. Jede Würde und Erhabenheit über Zeit und Mode, die selbst polytheistischen Göttern zukam, fehlt diesem sich ewig wandelnden Proteus. Wir sehen ferner, wie in diesem Prozesse das pantheistische Denken, die pantheistische Seelenhaltung sich selbst zu verzehren anschickt. Der Pantheismus des 19. Jahrhunderts ist nicht nur ein Proteus, er ist auch seine eigene Selbstauflösung. Pantheismus, Pandämonismus, Pansatanismus - und Selbstverbrennung in des Weltkriegs Flammen: dies ist sein Lauf
. S.11ff.
Aus: Max Scheler. Vom Ewigen im Menschen, Erster Band, Religiöse Erneuerung Halbband II, Leipzig 1923, Der neue Geist Verlag / Dr. Peter Reinhold