Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775 – 1854)
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Deutscher Philosoph, der aufgrund
einer Sondergenehmigung schon im Alter von 16 Jahren Philosophie an der Tübinger Universität studierte und im Tübinger Stift mit
Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich
Hölderlin dasselbe Zimmer bewohnte. In der Wohngemeinschaft wurde
eine Freundschaft gegründet, die in ihrer schicksalhaften geistesgeschichtlichen
Bedeutung in der jüngeren Zeit beispiellos ist. Bereits 1798 wurde Schelling durch Goethe als Professor nach Jena berufen und war dort eng mit dem Kreis der Romantiker verbunden. 1803 heiratete er Caroline Michaelis und nahm einen Ruf nach Würzburg an. Nach 1806 wirkte er in München, wo er Franz Xaver von Baader
begegnete und sich unter seinem Einfluss verstärkt dem Christentum
zuwandte. Weitere Stationen: 1820—26 in
Erlangen, 1827 wieder in München und
seit 1841 in Berlin, wo er der Ausbreitung der linken Hegelschule entgegenwirken sollte. Von Johann Gottlieb Fichte ausgehend, entwarf Schelling nach natur- und kunstphilosophischen Ansätzen ein System des absoluten
Idealismus, das Geist und Natur. Subjekt und Objekt usw. als im Absoluten ununterschieden (»indifferent«) und nur in der Entwicklung des Absoluten zu Gegensätzen auseinandergelegt
darstellt (Identitätsphilosophie). Später,
insbesondere seit 1841, sucht er dieses System zu ergänzen durch eine »positive« Philosophie der lebendigen
Existenz« (im Gegensatz zur »negativen«,
bloß logischen Theorie Hegels). Diese ging schließlich
in eine Religionsphilosophie über, deren Ziel die Erkenntnis Gottes aus seinem Wirken ist (Philosophie der Mythologie
und Offenbarung). In Schellings Religionsphilosophie sind die Inspirationen
Jakob Böhmes zu spüren. Unmittelbare Einflüsse gingen
von Schelling u. a. auf Arthur
Schopenhauer, Eduard von Hartmann, Henri Bergson, den Altkatholizismus und die Erlanger Theologenschule aus. Über Sören Aabye Kierkegaard wirkt
er auch auf die Existenzphilosophie. Durch die Übertragung des Begriffs
des Organischen auf den gesellschaftlichen Bereich wurde er zum Vorläufer organologischer Gesellschaftsmodelle. |
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Inhaltsverzeichnis
Über
das Wesen der menschlichen Freiheit
Die Einheit
von Licht und Dunkel
Da nichts vor oder außer Gott ist, so muss er
den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophien;
aber sie reden von diesem Grund als einem bloßen Begriff, ohne ihn zu
etwas Reellem und Wirklichem zu machen. Dieser Grund seiner Existenz, den Gott
in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d. h. sofern er existiert; denn
er ist ja nur der Grund seiner Existenz, Er ist die N a t u r — in Gott;
ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiednes Wesen. Analogisch
kann dieses Verhältnis durch das der Schwerkraft und des Lichtes in der
Natur erläutert werden. Die Schwerkraft geht vor dem Licht her als dessen
ewig dunkler Grund, der selbst nicht actu ist, und entflieht in die Nacht, indem
das Licht (das Existierende) aufgeht. Selbst das Licht löst das Siegel
nicht völlig, unter dem sie beschlossen liegt. Sie ist eben darum weder
das reine Wesen noch auch das aktuale Sein der absoluten Identität, sondern
folgt nur aus ihrer Natur; oder i s t sie, nämlich in der bestimmten Potenz
betrachtet: denn übrigens gehört auch das, was beziehungsweise auf
die Schwerkraft als existierend erscheint, an sich wieder zu dem Grunde, und
Natur im allgemeinen ist daher alles, was jenseits des absoluten Seins der absoluten
Identität liegt. Was übrigens jenes Vorhergehen betrifft, so ist es
weder als Vorhergehen der Zeit nach, noch als Priorität des Wesens zu denken.
In dem Zirkel, daraus alles wird, ist es kein Widerspruch, daß das, wodurch
das Eine erzeugt wird, selbst wieder von ihm gezeugt werde. Es ist hier kein
Erstes und kein Letztes, weil alles sich gegenseitig voraussetzt, keins das
andre und doch nicht ohne das andre ist. Gott hat in sich
einen innern Grund seiner Existenz, der insofern ihm als Existierenden
vorangeht; aber ebenso ist Gott wieder das Prius des Grundes, indem
der Grund, auch als solcher, nicht sein könnte, wenn Gott nicht actu
existierte.
Auf dieselbe Unterscheidung führt die von den Dingen ausgehende Betrachtung.
Zuerst ist der Begriff der Immanenz völlig zu beseitigen, inwiefern etwa
dadurch ein totes Begriffensein der Dinge in Gott ausgedrückt werden soll.
Wir erkennen vielmehr, dass der Begriff des Werdens der einzige der Natur
der Dinge angemessene ist. Aber sie können nicht werden in Gott, absolut
betrachtet, indem sie toto genere, oder
richtiger zu reden, unendlich von ihm verschieden sind. Um von Gott geschieden
zu sein, müssen sie in einem von ihm verschiednen Grunde werden. Da aber
doch nichts außer Gott sein kann, so ist dieser Widerspruch nur dadurch
aufzulösen, daß die Dinge ihren Grund in dem haben, was in Gott selbst
nicht Er selbst ist, d. h. in dem, was Grund seiner
Existenz ist. Wollen wir uns dieses Wesen menschlich näherbringen, so können
wir sagen: es sei die Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet,
sich selbst zu gebären. Sie ist nicht das Eine selbst, aber doch
mit ihm gleich ewig. Sie will Gott, d. h. die unergründliche
Einheit gebären, aber insofern ist in ihr selbst noch nicht die
Einheit. Sie ist daher für sich betrachtet auch Wille;
aber Wille, in dem kein Verstand ist, und darum
auch nicht selbständiger und vollkommener Wille, indem der Verstand eigentlich
der Wille in dem Willen ist. Dennoch ist sie ein Willen
des Verstandes, nämlich Sehnsucht und Begierde desselben; nicht
ein bewußter, sondern ein ahndender Wille, dessen Ahndung der Verstand
ist. Wir reden von dem Wesen der Sehnsucht an und für sich betrachtet,
das wohl ins Auge gefaßt werden muss, ob es gleich längst durch
das Höhere, das sich aus ihm erhoben, verdrängt ist, und obgleich
wir es nicht sinnlich, sondern nur mit dem Geiste und den Gedanken erfassen
können. Nach der ewigen Tat der Selbstoffenbarung
ist nämlich in der Welt, wie wir sie jetzt erblicken, alles Regel,
Ordnung und Form; aber immer liegt noch im Grunde das Regellose, als könnte
es einmal wieder durchbrechen, und nirgends scheint es, als wären Ordnung
und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses
zur Ordnung gebracht worden.
Dieses ist an den Dingen die unergreifliche Basis der Realität, der nie
aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht
in Verstand auflösen lässt, sondern ewig im Grunde bleibt. Aus
diesem Verstandlosen ist im eigentlichen Sinne der Verstand
geboren. Ohne dies vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der
Kreatur; Finsternis ist ihr notwendiges Erbteil. Gott allein — Er selbst der Existierende — wohnt im reinen Lichte, denn er allein ist
von sich selbst. Der Eigendünkel des Menschen sträubt sich
gegen diesen Ursprung aus dem Grunde, und sucht sogar sittliche Gründe
dagegen auf. Dennoch wüßten wir nichts, das den Menschen mehr antreiben
könnte, aus allen Kräften nach dem Lichte zu streben, als das Bewußtsein
der tiefen Nacht, aus der er ans Dasein gehoben worden. Die weibischen Klagen,
dass so das Verstandlose zur Wurzel des Verstandes, die Nacht zum Anfang
des Lichtes gemacht werde, beruhen zwar zum Teil auf Mißverstand der Sache
(indem man nicht begreift, wie mit dieser Ansicht die Priorität des Verstandes
und Wesens dem Begriff nach dennoch bestehen kann); aber sie drücken das
wahre System heutiger Philosophen aus, die gern fumum ex fulgore machen
wollten, wozu aber selbst die gewaltsamste Fichtesche Präzipitation nicht
hinreicht. Alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ans Licht; das Samenkorn muss in die Erde versenkt werden und in der Finsternis sterben,
damit die schönere Lichtgestalt sich erhebe und am Sonnenstrahl sich entfalte.
Der Mensch wird im Mutterleibe gebildet; und aus dem Dunkeln
des Verstandlosen (aus Gefühl, Sehnsucht, der herrlichen Mutter
der Erkenntnis) erwachsen erst die lichten Gedanken. So also müssen wir die ursprüngliche Sehnsucht uns vorstellen, wie
sie zwar zu dem Verstande sich richtet, den sie noch nicht erkennt, wie wir
in der Sehnsucht nach unbekanntem namenlosem Gut verlangen, und sich ahndend
bewegt, als ein wogend wallend Meer, der Materie des Platon gleich, nach dunkelm
ungewissem Gesetz, unvermögend etwas Dauerndes für sich zu bilden.
Aber entsprechend der Sehnsucht, welche als der noch dunkle Grund die erste
Regung göttlichen Daseins ist, erzeugt sich in Gott selbst eine innre reflexive
Vorstellung, durch welche, da sie keinen andern Gegenstand haben kann als Gott,
Gott sich selbst in einem Ebenbilde erblickt. Diese Vorstellung ist das erste,
worin Gott, absolut betrachtet, verwirklicht ist, obgleich nur in ihm selbst;
sie ist im Anfange bei Gott, und der i n Gott gezeugte Gott selbst.
Diese Vorstellung ist zugleich der Verstand — das W o r t jener Sehnsucht,
und der ewige Geist, der das Wort in sich und zugleich die unendliche Sehnsucht
empfindet, von der Liebe bewogen, die er selbst ist, spricht das Wort aus, daß
nun der Verstand mit der Sehnsucht zusammen freischaffender und allmächtiger
Wille wird und in der anfänglich regellosen Natur als in seinem Element
oder Werkzeuge bildet. Die erste Wirkung des Verstandes in ihr ist die Scheidung
der Kräfte, indem er nur dadurch die in ihr unbewußt, als in einem
Samen, aber doch notwendig enthaltne Einheit zu entfalten vermag; so wie im
Menschen in die dunkle Sehnsucht, etwas zu schaffen, dadurch Licht tritt, daß
in dem chaotischen Gemenge der Gedanken, die alle zusammenhängen, jeder
aber den andern hindert hervorzutreten, die Gedanken sich scheiden und nun die
im Grunde verborgen liegende, alle unter sich befassende Einheit sich erhebt;
oder wie in der Pflanze nur im Verhältnis der Entfaltung und Ausbreitung
der Kräfte das dunkle Band der Schwere sich
löst und die im geschiedenen Stoff verborgne Einheit entwickelt wird.
Weil nämlich dieses Wesen (der anfänglichen Natur) nichts anders ist
als der ewige Grund zur Existenz Gottes, so muss
es in sich selbst, obwohl verschlossen, das Wesen Gottes gleichsam als einen
im Dunkel der Tiefe leuchtenden Lebensblick enthalten, Die Sehnsucht aber, vom
Verstande erregt, strebt nunmehr, den in sich ergriffnen Lebensblick zu erhalten,
und sich in sich selbst zu verschließen, damit immer ein Grund bleibe.
Indem also der Verstand, oder das in die anfängliche Natur gesetzte Licht,
die in sich selbst zurückstrebende Sehnsucht zur Scheidung der Kräfte
(zum Aufgeben der Dunkelheit) erregt, eben in dieser Scheidung aber die im Geschiedenen
verschlossene Einheit, den verborgnen Lichtblick, hervorhebt, so entsteht auf
diese Art zuerst etwas Begreifliches und Einzelnes, und zwar nicht durch äußre
Vorstellung, sondern durch wahre E i n - B i l d u n g, indem das Entstehende
in die Natur hineingebildet wird, oder richtiger noch, durch Erweckung, indem
der Verstand die in dem geschiedenen Grund verborgne Einheit oder Idea hervorhebt.
Die in dieser Scheidung getrennten (aber nicht völlig auseinandergetretenen)
Kräfte sind der Stoff, woraus nachher der Leib konfiguriert wird; das aber
in der Scheidung, also aus der Tiefe des natürlichen Grundes, als Mittelpunkt
der Kräfte entstehende lebendige Band ist die Seele. Weil der ursprüngliche
Verstand die Seele aus einem von ihm unabhängigen Grunde als Inneres hervorhebt,
so bleibt sie eben damit selbst unabhängig von ihm, als ein besondres und
für sich bestehendes Wesen.
Es ist leicht einzusehen, daß bei dem Widerstreben der Sehnsucht, welches
notwendig ist zur vollkommnen Geburt, das allerinnerste Band der Kräfte
nur in einer stufenweise geschehenden Entfaltung sich löst; und bei jedem
Grade der Scheidung der Kräfte ein neues Wesen aus der Natur entsteht,
dessen Seele um so vollkommner sein muß, je mehr es das, was in den andern
noch ungeschieden ist, geschieden enthält. Zu zeigen, wie jeder folgende
Prozeß dem Wesen der Natur näher tritt, bis in der höchsten
Scheidung der Kräfte das allerinnerste Zentrum aufgeht, ist die
Aufgabe einer vollständigen Naturphilosophie. Für den gegenwärtigen
Zweck ist nur folgendes wesentlich. Jedes der auf die angezeigte Art in der
Natur entstandnen Wesen hat ein doppeltes Prinzip in sich, das jedoch im Grunde
nur ein und das nämliche ist, von den beiden möglichen Seiten betrachtet.
Das erste Prinzip ist das, wodurch sie von Gott geschieden, oder wodurch sie
im bloßen Grunde sind; da aber zwischen dem, was im Grunde, und dem, was
im Verstande vorgebildet ist, doch eine ursprüngliche Einheit stattfindet,
und der Prozess der Schöpfung nur auf eine innere Transmutation oder
Verklärung des anfänglich dunkeln Prinzips
in das Licht geht (weil der Verstand oder das in
die Natur gesetzte Licht in dem Grunde eigentlich nur das ihm verwandte, nach
innen gekehrte Licht sucht): so ist das seiner Natur nach dunkle
Prinzip eben dasjenige, welches zugleich in Licht verklärt
wird, und beide sind, obwohl nur in bestimmtem Grade, eins in jedem Naturwesen.
Das Prinzip, sofern es aus dem Grunde stammt und dunkel ist, ist der Eigenwille
der Kreatur, der aber, sofern er noch nicht zur vollkommnen Einheit mit dem
Licht (als Prinzip des Verstandes) erhoben ist (es nicht fasst), bloße
Sucht oder Begierde, d. h. blinder Wille ist. Diesem
Eigenwillen der Kreatur steht der Verstand als Universalwille entgegen, der
jenen gebraucht und als bloßes Werkzeug sich unterordnet. Wenn aber endlich
durch fortschreitende Umwandlung und Scheidung aller Kräfte der innerste
und tiefste Punkt der anfänglichen Dunkelheit in einem Wesen ganz in Licht
verklärt ist, so ist der Wille desselben Wesens zwar, inwiefern es ein
Einzelnes ist, ebenfalls ein Partikularwille, an sich aber, oder als das Zentrum
aller andern Partikularwillen, mit dem Urwillen oder dem Verstande eins, so dass aus beiden jetzt ein einiges Ganzes wird.
Diese Erhebung des allertiefsten Centri in Licht geschieht in keiner der uns
sichtbaren Kreaturen außer im Menschen. Im Menschen ist die ganze
Macht des finstern Prinzips und in ebendemselben zugleich die ganze
Kraft des Lichts. In ihm ist der tiefste Abgrund
und der höchste Himmel, oder beide
Centra.
Der Wille des Menschen ist der in der ewigen Sehnsucht verborgne Keim des nur
noch im Grunde vorhandnen Gottes; der in der Tiefe verschlossene göttliche
Lebensblick, den Gott ersah, als er den Willen zur Natur fasste. In ihm
(im Menschen) allein hat Gott die Welt geliebt; und ebendies Ebenbild Gottes
hat die Sehnsucht im Centro ergriffen, als sie mit dem Licht in Gegensatz trat.
Der Mensch hat dadurch, daß er aus dem Grunde entspringt (kreatürlich
ist), ein relativ auf Gott unabhängiges Prinzip in sich; aber dadurch,
dass eben dieses Prinzip — ohne dass es deshalb aufhörte
dem Grunde nach dunkel zu sein — in Licht verklärt ist, geht zugleich
ein Höheres in ihm auf, der G e i s t. Denn der ewige Geist spricht die
Einheit oder das Wort aus in die Natur. Das ausgesprochene (reale) Wort aber
ist nur in der Einheit von Licht und Dunkel (Selbstlauter und Mitlauter). Nun sind zwar in allen Dingen die beiden Prinzipien,
aber ohne völlige Konsonanz wegen der Mangelhaftigkeit des aus dem Grunde
Erhobenen. Erst im Menschen also wird das in allen andern Dingen noch zurückgehaltne
und unvollständige Wort völlig ausgesprochen. Aber in dem ausgesprochnen
Wort offenbart sich der Geist, d. h. G o t t als actu existierend.
Indem nun die Seele lebendige Identität beider Prinzipien ist, ist sie
Geist; und Geist ist in Gott. Wäre nun im Geist des Menschen die Identität
beider Prinzipien ebenso unauflöslich als in Gott, so wäre kein Unterschied,
d. h. Gott als Geist würde nicht offenbar. Diejenige Einheit, die in Gott
unzertrennlich ist, muss also im Menschen zertrennlich sein, — und
dieses ist die Möglichkeit des Guten und des Bösen. S.70-77
Die
Selbstoffenbarung Gottes ist eine bewusste und sittlich-freie Tat
Wäre uns Gott ein bloß logisches Abstraktum, so müsste
dann auch alles aus ihm mit logischer Notwendigkeit folgen; er selbst wäre
gleichsam nur das höchste Gesetz, von dem alles ausfließt, aber ohne Personalität und Bewusstsein davon.
Allein wir haben Gott erklärt als lebendige Einheit von Kräften; und
wenn Persönlichkeit nach unserer früheren Erklärung auf der Verbindung
eines Selbständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis beruht, so
nämlich, dass diese beiden sich ganz durchdringen und nur Ein Wesen
sind, so ist Gott durch die Verbindung des idealen Prinzips in ihm mit dem (relativ
auf dieses) unabhängigen Grunde, da Basis und Existierendes in ihm sich
notwendig zu Einer absoluten Existenz vereinigen,
die höchste Persönlichkeit; der auch, wenn die lebendige Einheit beider
Geist ist, so ist Gott, als das absolute Band derselben, Geist im eminenten
und absoluten Verstande. So gewiss ist es, dass nur durch das Band
Gottes mit der Natur die Personalität in ihm begründet ist,
da im Gegenteil der Gott des reinen Idealismus, so gut wie der des reinen Realismus,
notwendig ein unpersönliches Wesen ist, wovon der Fichtesche und Spinozische
Begriff die klarsten Beweise sind.
Allein weil in Gott ein unabhängiger Grund von Realität und daher zwei gleich ewige Anfänge der Selbstoffenbarung sind, so muss auch Gott nach seiner Freiheit in Beziehung auf beide betrachtet
werden.
Der erste Anfang zur Schöpfung ist die Sehnsucht
des Einen, sich selbst zu gebären, oder der Wille
des Grundes.
Der zweite ist der Wille der Liebe, wodurch das
Wort in die Natur ausgesprochen wird, und durch den Gott
sich erst persönlich macht.
Der Wille des Grundes kann daher nicht frei sein in dem Sinne, in welchem es
der Wille der Liebe ist. Er ist kein bewusster oder mit Reflexion verbundener
Wille, obgleich auch kein völlig bewusstloser, der nach blinder mechanischer
Notwendigkeit sich bewegte, sondern mittlerer Natur, wie Begierde oder Lust,
und am ehesten dem schönen Drang einer werdenden Natur vergleichbar, die
sich zu entfalten strebt, und deren innere Bewegungen unwillkürlich sind (nicht unterlassen werden können), ohne dass sie doch sich in ihnen
gezwungen fühlte.
Schlechthin freier und bewußter Wille aber ist der Wille der Liebe, eben
weil er dies ist; die aus ihm folgende Offenbarung ist Handlung und Tat. Die
ganze Natur sagt uns, daß sie keineswegs vermöge einer bloß
geometrischen Notwendigkeit da ist; es ist nicht lautere reine Vernunft in ihr,
sondern Persönlichkeit und Geist (wie wir den vernünftigen Autor vom
geistreichen wohl unterscheiden); sonst hätte der geometrische Verstand,
der so lange geherrscht hat, sie längst durchdringen und sein Idol allgemeiner
und ewiger Naturgesetze mehr bewahrheiten müssen, als es bis jetzt geschehen
ist, da er vielmehr das irrationale Verhältnis der Natur zu sich täglich
mehr erkennen muss.
Die Schöpfung ist keine Begebenheit, sondern eine Tat. Es gibt keine Erfolge
aus allgemeinen Gesetzen, sondern Gott, d.h. die
Person Gottes, ist das allgemeine Gesetz, und alles,
was geschieht, geschieht vermöge der Persönlichkeit Gottes; nicht
nach einer abstrakten Notwendigkeit, die wir im Handeln nicht ertragen würden,
geschweige Gott. In der nur zu sehr vom Geist der Abstraktion beherrschten Leibnizischen
Philosophie ist die Anerkennung der Naturgesetze als sittlich-, nicht aber geometrisch
-notwendiger, und ebensowenig willkürlicher Gesetze, eine der erfreulichsten
Seiten. »Ich habe gefunden,« sagt Leibniz, »daß die
in der Natur wirklich nachzuweisenden Gesetze doch nicht absolut demonstrabel
sind, was aber auch nicht notwendig ist. Zwar können sie auf verschiedene
Art bewiesen werden; aber immer muß etwas vorausgesetzt werden, das nicht
ganz geometrisch notwendig ist. Daher sind diese Gesetze der Beweis eines höchsten,
intelligenten und freien Wesens gegen das System absoluter Notwendigkeit. Sie
sind weder ganz notwendig (in jenem abstrakten Verstande), noch ganz willkürlich,
sondern stehen in der Mitte als Gesetze, die von einer über alles vollkommenen
Weisheit abstammen«. Das höchste Streben der dynamischen Erklärungsart
ist kein anderes als diese Reduktion der Naturgesetze auf Gemüt, Geist
und Willen.
Um jedoch das Verhältnis Gottes als moralischen Wesens zur Welt zu bestimmen,
reicht die allgemeine Erkenntnis der Freiheit in der Schöpfung nicht hin;
es fragt sich noch außerdem, ob die Tat der Selbstoffenbarung in dem Sinne
frei gewesen, daß alle Folgen derselben in Gott vorgesehen worden. Auch
dieses aber ist notwendig zu bejahen; denn es würde der Wille zur Offenbarung
selbst nicht lebendig sein, wenn ihm nicht ein anderer auf das Innere des Wesens
zurückgehender Wille entgegenstünde; aber in diesem an-sich-Halten
entsteht ein reflexives Bild alles dessen, was in dem Wesen implicite enthalten
ist, in welchem Gott sich ideal verwirklicht, oder, was dasselbe ist, sich in
seiner Verwirklichung zuvor erkennt. So muß also doch, da eine dem Willen
zur Offenbarung entgegenwirkende Tendenz in Gott ist, Liebe und Güte oder
das Communicativum sui überwiegen, damit eine Offenbarung sei;
und dieses, die Entscheidung, vollendet erst eigentlich den Begriff derselben
als einer bewussten und sittlich-freien Tat. S.113-116
[...]
Der
Quell der Traurigkeit
In dem göttlichen Verstande ist ein System, aber
Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben, und darin liegt auch
allein die Antwort auf die Frage, um deren willen dies vorausgeschickt worden,
wegen der Möglichkeit des Bösen in bezug auf Gott. Alle Existenz fordert
eine Bedingung, damit sie wirkliche, nämlich persönliche Existenz
werde. Auch Gottes Existenz könnte ohne eine solche nicht persönlich
sein, nur daß er diese Bedingung in sich, nicht außer sich hat.
Er kann die Bedingung nicht aufheben, indem er sonst sich selbst aufheben müsste;
er kann sie nur durch Liebe bewältigen und sich zu seiner Verherrlichung
unterordnen. Auch in Gott wäre ein Grund der Dunkelheit, wenn er die Bedingung
nicht zu sich machte, sich mit ihr als eins und zur absoluten Persönlichkeit
verbände. Der Mensch bekommt die Bedingung nie in seine Gewalt, ob er gleich
im Bösen danach strebt; sie ist eine ihm nur geliehene, von ihm unabhängige;
daher sich seine Persönlichkeit und Selbstheit nie zum vollkommnen Aktus
erheben kann. Dies ist die allem endlichen Leben anklebende Traurigkeit, und
wenn auch in Gott eine wenigstens beziehungsweise unabhängige Bedingung
ist, so ist in ihm selber ein Quell der Traurigkeit, die aber nie zur Wirklichkeit
kommt, sondern nur zur ewigen Freude der Überwindung dient. Daher der Schleier
der Schwermut, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche
Melancholie alles Lebens. Freude muß Leid haben, Leid in Freude verklärt
werden. Was daher aus der bloßen Bedingung oder dem Grunde kommt, kommt
nicht von Gott, wenn es gleich zu seiner Existenz notwendig ist. Aber es kann
auch nicht gesagt werden, daß das Böse aus dem Grunde komme, oder
daß der Wille des Grundes Urheber desselben sei. Denn das Böse kann
immer nur entstehen im innersten Willen des eignen Herzens, und wird nie ohne
eigne Tat vollbracht. S.118f. [...]
Der
Wille zur Schöpfung ist ein Wille zur Geburt des Lichtes
Wer daher behauptete, Gott selbst habe das Böse gewollt, müsste
den Grund dieser Behauptung in der Tat der Selbstoffenbarung als der Schöpfung suchen, wie auch sonst oft gemeint worden, derjenige,
der die Welt gewollt, habe auch das Böse wollen müssen. Allein daß
Gott die unordentlichen Geburten des Chaos zur Ordnung gebracht und seine ewige
Einheit in die Natur ausgesprochen, dadurch wirkte er vielmehr der Finsternis
entgegen, und setzte der regellosen Bewegung des verstandlosen Prinzips das
Wort als ein beständiges Zentrum und ewige Leuchte entgegen. Der
Wille zur Schöpfung war also unmittelbar nur ein Wille zur Geburt des Lichtes,
und damit des Guten; das Böse aber kam in diesem Willen weder als
Mittel, noch selbst, wie Leibniz sagt, als Conditio sine qua non der
möglich größten Vollkommenheit der Welt in Betracht. Es war
weder Gegenstand eines göttlichen Ratschlusses, noch und viel weniger einer
Erlaubnis. Die Frage aber, warum Gott, da er notwendig vorgesehen, daß
das Böse wenigstens begleitungsweise aus der Selbstoffenbarung folgen würde,
nicht vorgezogen habe, sich überhaupt nicht zu offenbaren, verdient in
der Tat keine Erwiderung. Denn dies hieße ebensoviel als, damit kein Gegensatz
der Liebe sein könne, soll die Liebe selbst nicht sein, d. h. das Absolut-Positive
soll dem, was nur eine Existenz als Gegensatz hat, das Ewige dem bloß
Zeitlichen geopfert werden. Dass die Selbstoffenbarung in Gott, nicht als
eine unbedingt willkürliche, sondern als eine sittlich—notwendige
Tat betrachtet werden müsse, in welcher Liebe und Güte die
absolute Innerlichkeit überwunden, haben wir bereits erklärt. So denn
also Gott um des Bösen willen sich nicht geoffenbart, hätte das Böse
über das Gute und die Liebe gesiegt. Der Leibnizische Begriff des Bösen
als Conditio sine qua non kann nur auf den Grund angewendet werden,
dass dieser nämlich den kreatürlichen Willen (das mögliche
Prinzip des Bösen) als Bedingung errege, unter welcher allein der Wille
der Liebe verwirklicht werden könne. Warum nun Gott den Willen des Grundes
nicht wehre oder ihn aufhebe, haben wir ebenfalls schon gezeigt. Es wäre
dies ebensoviel, als dass Gott die Bedingung seiner Existenz, d. h. seine
eigne Persönlichkeit, aufhöbe. Damit also das Böse nicht wäre,
müsste Gott selbst nicht sein.
Eine andre Gegenrede, welche aber nicht bloß diese Ansicht, sondern jede
Metaphysik trifft, ist diese, dass, wenn auch Gott das Böse nicht
gewollt habe, er doch in dem Sünder fortwirke und ihm die Kraft gebe, das
Böse zu vollbringen. Dieses ist denn mit der gehörigen Unterscheidung
ganz und gar zuzugeben. Der Urgrund zur Existenz wirkt auch im Bösen fort,
wie in der Krankheit die Gesundheit noch fortwirkt, und auch das zerrüttetste,
verfälschteste Leben bleibt und bewegt sich noch in Gott, sofern er Grund
von Existenz ist. Aber es empfindet ihn als verzehrenden Grimm, und wird durch
das Anziehen des Grundes selbst in immer höhere Spannung gegen die Einheit,
bis zur Selbstvernichtung und endlichen Krisis, gesetzt. S.122ff.
Endabsicht
der Schöpfung
Nach allem diesem bleibt immer die Frage übrig: endet
das Böse und wie? Hat überhaupt die Schöpfung eine Endabsicht,
und wenn dies ist, warum wird diese nicht unmittelbar erreicht, warum ist das
Vollkommne nicht gleich von Anfang? Es gibt darauf keine Antwort als die schon
gegebene: weil Gott ein Leben ist, nicht bloß ein Sein. Alles Leben aber
hat ein Schicksal, und ist dem Leiden und Werden untertan. Auch diesem also
hat sich Gott freiwillig unterworfen, schon, da er zuerst, um persönlich
zu werden, die Licht- und die finstre Welt schied. Das Sein wird sich nur im
Werden empfindlich. Im Sein freilich ist kein Werden; in diesem vielmehr ist
es selber wieder als Ewigkeit gesetzt; aber in der Verwirklichung durch Gegensatz
ist notwendig ein Werden.
Ohne den Begriff eines menschlich leidenden Gottes, der
allen Mysterien und geistigen Religionen der Vorzeit gemein ist, bleibt
die ganze Geschichte unbegreiflich; auch die Schrift unterscheidet Perioden
der Offenbarung, und setzt als eine ferne Zukunft die Zeit, da Gott Alles in
Allem, d. h. wo er ganz verwirklicht sein wird. Die erste Periode der Schöpfung
ist, wie früher gezeigt worden, die Geburt des Lichts. Das Licht oder das
ideale Prinzip ist als ein ewiger Gegensatz des finstern Prinzips das schaffende
Wort, welches das im Grunde verborgene Leben aus dem Nichtsein erlöst,
es aus der Potenz zum Aktus erhebt. Über dem Wort gehet der Geist auf,
und der Geist ist das erste Wesen, welches die finstre und die Lichtwelt vereiniget
und beide Prinzipien sich zur Verwirklichung und Persönlichkeit unterordnet.
Gegen diese Einheit reagiert jedoch der Grund und behauptet die anfängliche
Dualität, aber nur zu immer höherer Steigerung und zur endlichen Scheidung
des Guten vom Bösen. Der Wille des Grundes muss in seiner Freiheit
bleiben, bis daß alles erfüllt, alles wirklich geworden sei. Würde
er früher unterworfen, so bliebe das Gute samt dem Bösen in ihm verborgen.
Aber das Gute soll aus der Finsternis zur Aktualität erhoben werden, um mit Gott unvergänglich zu leben; das Böse
aber von dem Guten geschieden, um auf ewig in das Nichtsein verstoßen
zu werden. Denn dies ist die Endabsicht der Schöpfung, daß, was nicht
für sich sein könnte, für sich sei, indem es aus der Finsternis,
als einem von Gott unabhängigen Grunde, ins Dasein erhoben wird. Daher
die Notwendigkeit der Geburt und des Todes. Gott gibt die Ideen, die in ihm
ohne selbständiges Leben waren, dahin in die Selbstheit und das Nichtseiende,
damit, indem sie aus diesem ins Leben gerufen werden, sie als unabhängig
existierende wieder in ihm seien.
Der Grund wirkt also in seiner Freiheit die Scheidung und das Gericht, und eben damit die vollkommne Aktualisierung Gottes. Denn das
Böse, wenn es vom Guten gänzlich geschieden ist, ist auch nicht
mehr als Böses. Es konnte nur wirken durch das (mißbrauchte) Gute,
das ihm selbst unbewusst in ihm war. Es genoss im Leben noch der Kräfte
der äußern Natur, mit denen es versuchte zu schaffen, und hatte noch
mittelbaren Anteil an der Güte Gottes. Im Sterben aber wird es von allem
Guten geschieden, und bleibt zwar zurück als Begierde, als ewiger Hunger
und Durst nach der Wirklichkeit, aber ohne aus der Potentialität heraustreten
zu können. Sein Zustand ist daher ein Zustand des Nichtseins, ein Zustand
des beständigen Verzehrtwerdens der Aktivität, oder dessen, was in
ihm aktiv zu sein strebt. Es bedarf darum auch zur Realisierung der Idee einer
endlichen allseitigen Vollkommenheit keineswegs einer Wiederherstellung des
Bösen zum Guten (der Wiederbringung aller Dinge); denn das Böse ist
nur bös, inwiefern es über die Potentialität hinausgeht; auf
das Nichtsein aber, oder den Potenzzustand reduziert, ist es, was es immer sein
sollte, Basis, Unterworfenes, und als solches nicht mehr im Widerspruch mit
der Heiligkeit noch der Liebe Gottes.
Das Ende der Offenbarung ist daher die Ausstoßung des Bösen vom Guten,
die Erklärung desselben als gänzlicher Unrealität. Dagegen wird
das aus dem Grunde erhobene Gute zur ewigen Einheit mit dem ursprünglichen
Guten verbunden; die aus der Finsternis ans Licht Gebornen schließen sich
dem idealen Prinzip als Glieder seines Leibes an, in welchem jenes vollkommen
verwirklicht und nun ganz persönliches Wesen ist. Solange die anfängliche
Dualität dauerte, herrschte das schaffende Wort in dem Grunde, und diese
Periode der Schöpfung geht durch alle hindurch bis zum Ende. Wenn aber
die Dualität durch die Scheidung vernichtet ist, ordnet das Wort oder das
ideale Prinzip sich und das mit ihm eins gewordene reale gemeinschaftlich dem
Geist unter, und dieser, als das göttliche Bewusstsein, lebt auf gleiche
Weise in beiden Prinzipien; wie die Schrift von Christus sagt: Er muss
herrschen, bis dass er alle seine Feinde unter seine Füße lege.
Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod (denn der Tod war nur notwendig
zur Scheidung, das Gute muss sterben, um sich vom Bösen, und das Böse,
um sich vom Guten zu scheiden). Wenn aber alles ihm untertan sein wird, alsdann
wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles untergetan hat, auf
dass Gott sei Alles in Allem. Denn auch der Geist ist noch nicht das Höchste;
er ist nur der Geist, oder der Hauch der Liebe. Die Liebe aber ist das Höchste.
Sie ist das, was da war, ehe denn der Grund und ehe das Existierende (als getrennte) waren, aber noch nicht war als Liebe, sondern — wie sollen wir es
bezeichnen?
Wir treffen hier endlich auf den höchsten Punkt der ganzen Untersuchung.
Schon lange hörten wir die Frage: wozu soll doch jene erste Unterscheidung
dienen, zwischen dem Wesen, sofern es Grund ist und inwiefern es existiert?
Denn entweder gibt es für die beiden keinen gemeinsamen Mittelpunkt: dann
müssen wir uns für den absoluten Dualismus erklären. Oder es
gibt einen solchen: so fallen beide in der letzten Betrachtung wieder zusammen.
Wir haben dann Ein Wesen für alle Gegensätze, eine absolute Identität
von Licht und Finsternis, Gut und Bös und alle die ungereimten Folgen,
auf die jedes Vernunftsystem geraten muss, und die auch diesem System vorlängst
nachgewiesen sind. S.124-127
Der
anfängliche Ungrund
Was wir in der ersten Beziehung annehmen, haben wir bereits erklärt: es
muss vor allem Grund und vor allem Existierenden, also überhaupt
vor aller Dualität, ein Wesen sein; wie können wir es anders nennen
als den Urgrund oder vielmehr
Ungrund? Da es vor allen
Gegensätzen vorhergeht, so können diese in ihm nicht unterscheidbar
noch auf irgendeine Weise vorhanden sein. Es kann daher nicht als die Identität,
es kann nur als die absolute Indifferenz beider bezeichnet werden. Die meisten,
wenn sie bis zu dem Punkt der Betrachtung kommen, wo sie ein Verschwinden aller Gegensätze erkennen müssen, vergessen, daß
diese nun wirklich verschwunden sind, und prädizieren sie wieder als solche
von der Indifferenz, die ihnen doch eben durch ein gänzliches Aufhören
derselben entstanden war. Die Indifferenz ist nicht ein Produkt der Gegensätze,
noch sind sie implicite in ihr enthalten, sondern sie ist ein eignes von allem
Gegensatz geschiednes Wesen, an dem alle Gegensätze sich brechen, das nichts
anderes ist als eben das Nichtsein derselben, und das darum auch kein Prädikat
hat als eben das der Prädikatlosigkeit, ohne dass es deswegen ein
Nichts oder ein Unding wäre. [...]
Das Wesen des Grundes wie das des Existierenden kann nur das v o r allem Grunde
Vorhergehende sein, also das schlechthin betrachtete Absolute,
der Ungrund. Er kann es aber (wie bewiesen) nicht anders sein, als indem
er in zwei gleich ewige Anfänge auseinandergeht, nicht daß er beide
zugleich, sondern dass er in jedem gleicherweise, also in jedem das Ganze,
oder ein eignes Wesen ist. Der Ungrund teilt sich aber in die zwei gleich ewigen
Anfänge, nur damit die zwei, die in ihm, als Ungrund,
nicht zugleich oder Eines sein konnten, durch Liebe eins werden, d. h. er teilt sich nur, damit Leben und Lieben sei und persönliche
Existenz. S.127f.
Das Geheimnis der Liebe
Denn Liebe ist weder in der Indifferenz, noch wo Entgegengesetzte verbunden
sind, die der Verbindung zum Sein bedürfen, sondern (um ein schon gesagtes
Wort zu wiederholen) dies ist das Geheimnis der Liebe, dass sie solche
verbindet, deren jedes für sich sein könnte und doch nicht ist, und
nicht sein kann ohne das andre. Darum so wie im Ungrund die Dualität wird,
wird auch die Liebe, welche das Existierende (Ideale) mit dem Grund zur Existenz
verbindet. Aber der Grund bleibt frei und unabhängig von dem Wort bis zur
endlichen gänzlichen Scheidung. Dann löst er sich auf, wie im Menschen,
wenn er zur Klarheit übergeht und als bleibendes Wesen sich gründet,
die anfängliche Sehnsucht sich löst, indem alles
Wahre und Gute in ihr ins lichte Bewusstsein erhoben wird, alles
andre aber, das Falsche nämlich und Unreine, auf
ewig in die Finsternis beschlossen, um als ewig dunkler Grund der Selbstheit,
als Caput mortuum seines Lebensprozesses und als Potenz zurückzubleiben,
die nie zum Aktus hervorgehen kann. Dann wird alles dem Geist unterworfen:
in dem Geist ist das Existierende mir dem Grunde zur Existenz eins; in ihm sind
wirklich beide zugleich, oder er ist die absolute Identität beider. Aber über dem Geist ist der anfängliche Ungrund, der nicht mehr Indifferenz
(Gleichgültigkeit) ist, und doch nicht Identität beider Prinzipien,
sondern die allgemeine, gegen alles gleiche und doch von nichts ergriffene Einheit,
das von allem freie und doch alles durchwirkende Wohltun, mit Einem Wort die
Liebe, die Alles in Allem ist. S.129f.
Aus: F. W. J. Schelling: Über das Wesen der menschlichen
Freiheit Einleitung und Anmerkungen von Horst Fuhrmann Reclams Universalbibliothek
Nr. 8913 (S.113-130)
© 1964 Philipp Reclam jun., Stuttgart . Veröffentlichung auf Philos-Website
mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages
Die Weltalter 1)
Bruchstück
(Aus dem handschriftlichen Nachlass)
1)Weltalter soll so viel bedeuten wie Äonen, Perioden der göttlichen Selbstoffenbarung. Schelling denkt dabei nach Maßgabe der drei Dimensionen der Zeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) An eine Zeit vor , in und nach der Welt Urzeit , diese Welt, die künftige Welt).
Unser Bruchstück (Buch I) behandelt nur die Zeit vor der Welt, Urzeit, Vergangenheit. In einem der nicht gedruckten Entwürfe sagt Schelling: Warum wäre unmöglich, dass der dunkle Begriff der Welt vorangehenden Ewigkeit sich noch in Zeiten auflöste, gerade wie dem gewöhnlichen Auge als unbestimmter Schimmer vorschwebende Nebelsterne für das bewaffnete Auge sich noch in einzelne Lichter auflösen? Das zweite Buch, Die Gegenwart, von dem nur ein unbedeutender Anfang auf einigen Konzeptblättern hinterlassen worden, sollte mit einer Geschichte (Philosophie) der Natur beginnen und in einer Geschichte der Geisterwelt sich fortsetzen, das dritte Buch von der Zukunft der Dinge handeln. Ideen zum dritten Buche werden wir in dem Gespräch Clara vermuten dürfen.
Anmerkung von Prof. Dr. Ludwig Kuhlenbeck (Herausgeber des Buches: Die Weltalter, S.227)
Einleitung
Das Vergangene wird gewusst, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet [gemeint ist: geahnt, erahnt].
Das Gewusste wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird weisgesagt.
Die bisher geltende Vorstellung von der Wissenschaft war, dass sie eine bloße Folge und Entwicklung eigener Begriffe und Gedanken sei. Die wahre Vorstellung ist, dass es die Entwicklung eines lebendigen, wirklichen Wesens ist, die in ihr sich darstellt.
Es ist ein Vorzug unserer Zeiten, dass der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden, und zwar, wie wohl behauptet werden darf, auf eine Art, dass sie es nicht leicht wieder verlieren kann. Es ist nicht zu hart, dass, nach dem einmal geweckten dynamischen Geist, jedes Philosophieren, das nicht aus ihm seine Kraft nimmt, nur noch als ein leerer Missbrauch der edlen Gabe zu sprechen und zu denken angesehen werden kann.
Das Lebendige der höchsten Wissenschaft kann nur das Urlebendige sein, das Wesen dem kein anderes vorausgeht, also das älteste der Wesen .2)
2) Der wahre Gegenstand der positiven Philosophie ist Gott. Die positive Philosophie will aber nicht den Begriff Gottes konstruieren (transzendentes Ideal der negativen rationalen Philosophie), sondern a posteriori, d. h. auf Grund der Erfahrung (Offenbarung) erkennen.
Anmerkung von Prof. Dr. Ludwig Kuhlenbeck (Herausgeber des Buches: Die Weltalter, S.227)
Dieses Urlebendige, da nichts vor und außer ihm ist, von dem es bestimmt werden möchte, kann sich inwiefern es sich entwickelt, nur frei, aus eignem Trieb und Wollen, rein aus sich selber, aber eben darum nicht gesetzlos, sondern nur gesetzmäßig entwickeln. Es ist keine Willkür in ihm; es ist eine Natur im vollkommensten Verstande des Worts, wie der Mensch der Freiheit unbeschadet und ebendieser wegen eine Natur ist.
Nach dem die Wissenschaft dem Gegenstand nach zur Objektivität gelangt ist, so scheint es eine natürliche Folge, dass sie dieselbe auch der Form nach suche.
Warum war oder ist dies bis jetzt unmöglich? Warum kann das Gewusste auch der höchsten Wissenschaft nicht mit der Geradheit und Einfalt wie jedes anderes Gewusste erzählt werden? Was hält sie zurück, die geahndete goldne Zeit, wo die Wahrheit zur Fabel und die Fabel zur Wahrheit werden.
Dem Menschen muss ein Prinzip zugestanden werden, das außer und über der Welt ist; denn wie könnte er allein von allen Geschöpfen den langen Weg von der Gegenwart bis in die tiefste Nacht der Vergangenheit zurück verfolgen, er allein bis zum Anfang der Zeiten aufsteigen, wenn in ihm nicht ein Prinzip vom Anfang der Zeiten wäre? Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich, hat die menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung. In ihr liegt die höchste Klarheit aller Dinge, und nicht sowohl wissend ist sie als vielmehr selber die Wissenschaft.
Aber nicht frei ist im Menschen das überweltliche Prinzip noch in seiner uranfänglichen Lauterkeit, sondern an ein anderes geringeres Prinzip gebunden. Dieses andere ist selbst ein gewordenes und darum von Natur unwissend und dunkel; und verdunkelt notwendig auch das höhere, mit dem es verbunden ist. Es ruht in diesem die Erinnerung aller Dinge, ihrer ursprünglichen Verhältnisse, ihres Werdens, ihrer Bedeutung. Aber dieses Urbild der Dinge schläft in der Seele als ein verdunkeltes und vergessenes, wenngleich nicht völlig ausgelöschtes Bild. Vielleicht würde es nie wieder erwachen, wenn nicht in jenem dunkeln selber die Ahndung und die Sehnsucht der Erkenntnis lägen. Aber unaufhörlich von diesem angerufen um seine Veredlung, bemerkt das Höhere, dass das Niedere ihm nicht beigegeben ist, um von demselben gefesselt zu bleiben, sondern damit es selbst ein anderes habe, in welchem es sich beschauen, darstellen und sich verständlich werden könne. Denn in ihm liegt alles ohne Unterscheidung, zumal, als Eins; in dem andern aber kann es, was in ihm Eins ist. Unterscheidbar machen, aussprechen, auseinanderlegen. – [Es ist also im Menschen eines, das wieder zur Erinnerung gebracht werden muss, und ein anderes, das es zur Erinnerung bringt; eines, in dem die Antwort liegt auf jede Frage der Forschung, und ein anderes, das diese Antwort aus ihm hervorholt; dieses andere ist frei gegen alles und vermag alles zu denken, aber es wird durch jenes Innerste gebunden, und kann ohne die Einstimung dieses Zeugen nichts für wahr halten. Das Innerste ist ursprünglich gebunden und kann sich nicht entfalten; aber durch das andere wird es frei und eröffnet sich gegen dasselbe.] Darum verlangen beide gleich sehr nach der Scheidung, jenes, damit es seine ursprüngliche Freiheit heimkehre und sich offenbar* werde, dieses, damit es vom ihm empfangen könne und ebenfalls, obgleich auf ganz andere Art, wissend werde.
*Damit es in sein ursprüngliches und eingeborenes Wissen wieder versetzt.
Diese Scheidung, diese Verdoppelung unserer selbst, dieser geheime Verkehr in welchem zwei Wesen sind 3) , ein fragendes und ein antwortendes, ein unwissendes, das aber die Wissenschaft, und ein wissendes, das aber sein Wissen nicht weiß, dieses stille Gespräch, diese innere Überredungskunst, das eigentliche Geheimnis des Philosophen, ist es, von welcher die äußere, darum Dialektik genannt, das Nachbild, und wo sie zur bloßen Form geworden, der leere Schein und Schatten ist.
3) Vergl. hierzu Giordano Bruno, »An die Anfangsgründe des Weltalls« (Bd 4 meiner Übersetzungen, S. 16 und Bd. 6, S, 29, 253), ferner Goethes Faust:
»Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust!
Die eine will sich von der andern trennen!« usw.
Anmerkung von Prof. Dr. Ludwig Kuhlenbeck (Herausgeber des Buches: Die Weltalter, S.228)
Also erzählt wird seiner Natur nach alles Gewusste; aber das Gewusste ist hier kein von Anbeginn fertig daliegendes und vorhandenes, sondern ein aus dem Innern durch einen eigentümlichen Prozess immer erst entstehendes. Durch innerliche Scheidung und Befreiung muss das Licht der Wissenschaft aufgehen, ehe es leuchten kann. Was wir Wissenschaft nennen, ist nur erst Streben nach dem Wiederbewusstwerden, also mehr noch ein Trachten nach ihr, als sie selbst; aus welchem Grund ihr unstreitig von jenem hohen Manne des Altertums der Name Philosophie beigelegt worden ist. Denn die von Zeit zu Zeit gehegte Meinung, die Philosophie durch Dialektik endlich in wirkliche Wissenschaft verwandeln zu können, die vollkommenste Dialektik für die Wissenschaft selber anzusehen, verrät nicht wenig Eingeschränkheit, da ja eben das Dasein und die Notwendigkeit der Dialektik beweist, dass sie noch keineswegs wirkliche Wissenschaft ist. 4)
4) Gegen Hegel, der für Schelling als letzter Ausläufer der rein spekulativen, rationalistischen Philosophie gilt. Vergl. auch Schopenhauer, »Neue Paralipomena«, (Reclams Univ.-Bibl., IV, S.71): »Die Hegelsche Weisheit ist, dass die Welt ein kristallisierter Syllogismus sei.«
Anmerkung von Prof. Dr. Ludwig Kuhlenbeck (Herausgeber des Buches: Die Weltalter, S.228)
Der Philosoph indes befindet sich hierbei in keinem andern Fall als der andere Historiker auch. Denn auch dieser muss, was er zu wissen verlangt, den Aussagen alter Urkunden oder der Erinnerung lebender Zeugen abfragen, und es bedarf vieler Scheidungskunst oder Kritik, um das Falsche von dem Wahren, das Irrige vom Rechten in den erhaltenen Überlieferungen zu sondern. Auch bedarf er gar sehr jene Scheidung in sich selbst, wohin das gehört, was man zu sagen pflegt, er müsse sich von den Begriffen und Eigenheiten seiner Zeit freizumachen suchen, und noch vieles andere, wovon hier zureden zu weitläufig wäre.
Alles, schlechthin alles, auch das von Natur Äußerliche, muss uns zuvor innerlich geworden sein, ehe wir es äußerlich oder objektiv darstellen können. Wenn im Geschichtsschreiber nicht selbst die alte Zeit erwacht, deren Bild er uns entwerfen will, so wird er nie wahr, nie anschaulich, nie lebendig darstellen. Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innerer Sinn zu Hilfe käme? Was sie bei so vielen ist, die zwar das meiste von allem Geschehenen wissen, aber von eigentlicher Geschichte nicht das Geringste verstehen. Nicht menschliche Begebenheiten allein, auch die Geschichte der Natur hat ihre Denkmäler, und man kann wohl sagen, dass sie auf ihrem weiten Schöpfungsweg keine Stufe verlassen, ohne etwas zur Bezeichnung zurückzulassen. Diese Denkmäler der Natur liegen großteils offen dar, sind vielfach durchforscht, zum Teil wirklich entziffert, und doch reden sie uns nicht, sondern bleiben tot, ehe jene Folge von Handlungen und Hervorbringungen dem Menschen innerlich geworden. Also bleibt alles dem Menschen unfasslich, bevor es ihm selbst innerlich geworden, d. i. auf eben jenes Innerste seines Wesens zurückgeführt worden, das für ihn gleichsam der lebendige der Wahrheit ist.
Nun haben von jeher einige gemeint, es sei möglich, jenes Untergeordnete (das äußere Werkzeug) ganz beiseite zu setzen, und alle Zweiheit in sich aufzuheben, so dass wir gleichsam nur innerlich seien und ganz im Überweltlichen leben, alles unmittelbar erkennend. Man kann die Möglichkeit einer solchen Versetzung des Menschen in sein überweltliches Prinzip und demnach einer Erhöhung der Gemütskräfte ins Schauen schlechthin leugnen? Ein jedes physisches und moralisches Ganzes bedarf zu seiner Erhaltung von Zeit zu Zeit der Reduktion auf seinen innersten Anfang. Der Mensch verjüngt sich immer wieder und wird neuselig durch das Einheitsgefühl seines Wesens. In eben diesem schöpft besonders der Wissenschaftssuchende beständig frische Kraft; nicht der Dichter allein, auch der Philosoph hat seine Entzückungen. Er bedarf ihrer, um durch das Gefühl der unbeschreiblichen Realität jener höheren Vorstellungen gegen die erzwungenen Begriffe einer leeren und begeisterungslosen Dialektik verwahrt zu werden. Ein anderes aber ist, die Beständigkeit dieses anschauenden Zustandes verlangen, welches gegen die Natur und Bestimmung des jetzigen Lebens streitet. Denn wie wir sein Verhältnis zu dem vorhergehenden ansehen mögen, immer wird es darauf zurückkommen, dass, was in diesem Unteilbarerweise zusammen war, in ihm entfaltet und teilweise auseinandergelegt werde. Wir leben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d. h. es muss stückweise, nach Abteilungen und Abstufungen erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion geschehen kann.
Darum wird auch der Zweck im bloßen Schauen nicht erreicht. 5)
5) Gegen Plotin und ähnliche Theosophen.
Anmerkung von Prof. Dr. Ludwig Kuhlenbeck (Herausgeber des Buches: Die Weltalter, S.228)
Denn im Schauen an und für sich ist kein Verstand. In der äußern Welt sieht ein jeder mehr oder weniger das Nämliche, und kann es doch nicht aussprechen. Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente; eine Reihe aufeinander folgender Prozesse, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife; diesen Verlauf in der Pflanze z. B. sieht der Bauer so gut als der Gelehrte und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht auseinander halten, nicht gesondert, nicht in ihrer wechselseitigen Entgegensetzung betrachten kann. Ebenso kann der Mensch jene Folge von Begriffen, wodurch aus der höchsten Einfalt des Wesens zuletzt die unendliche Mannigfaltigkeit erzeugt wird, in sich selbst durchlaufen und unmittelbar gleichsam erfahren, ja, genau zu reden, muss er sie in sich erfahren. Aber alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist an und für sich stumm, und bedarf eines vermittelnden Organs, um zum Aussprechen zu gelangen. Fehlt dieses dem Schauenden, oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so verliert er das ihm notwendige Maß, er ist eins mit dem Gegenstand und für jeden dritten wie für den Gegenstand selber; eben darum nicht Meister seiner Gedanken und im vergeblichen Ringen das Unaussprechliche dennoch auszusprechen ohne alle Sicherheit; was er trifft, das trifft er, ohne es fest vor sich hinzustellen und im Verstande gleichsam als in einem Spiegel wieder beschauen zu können.
Also um keinen Preis aufzugeben ist jenes beziehungsweise äußere Prinzip; denn es muss alles erst zur wirklichen Reflexion gebracht werden, damit es zur höchsten Darstellung gelangen könne. Hier geht die Grenze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der Wissenschaftsliebende keusch zu bewahren suchen wird. Die erste hat an Tiefe, Fülle und Lebendigkeit des Inhalts vor der letzten geradeso gut voraus, als der wirkliche Gegenstand vor seinem Bilde, die Natur vor ihrer Darstellung voraus hat; und allerdings bis zur Unvergleichbarkeit geht diese Verschiedenheit, wenn eine tote das Wesen in Formen und Begriffen suchende Philosophie zur Vergleichung genommen wird. Daher die Vorliebe inniger Gemüter für sie, die ebenso leicht erklärbar ist, als die Vorliebe für die Natur im Gegensatz der Kunst. Denn diesen Vorzug haben die theosophischen Systeme vor allen bisher geltenden, dass in ihnen wenigstens eine Natur ist, wenn auch eine ihrer selbst nicht mächtige, in den anderen dagegen nichts als Unnatur und eitel Kunst. Aber sowenig Natur der recht verstandenen Kunst, so wenig ist die Fülle und Tiefe des Lebens recht verstandener Wissenschaft unerreichbar; nur allmählicher gelangt sie dazu, mittelbarer und durch stufenmäßiges Fortschreiten, so dass der Wissende immer von seinem Gegenstande verschieden, dagegen dieser auch von ihm getrennt bleibt und Objekt einer besonnenen, ruhig genießenden Beschauung wird.
Hindurchgehen also durch Dialektik muss alle Wissenschaft. Eine andere Frage aber ist, ob nie der Punkt kommt, wo sie frei und lebendig wird, wie im Geschichtsschreiber das Bild der Zeiten, bei dessen Darstellung er seiner Untersuchungen nicht mehr gedenkt? Kann nie wieder die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden, dass die Wissenschaft, da sie der Sache und der Wortbedeutung nach Historie ist, es auch der äußeren Form nach sein könnte, und der Philosoph, dem göttlichen Platon gleich, der die ganze Reihe seiner Werke hindurch dialektisch ist, aber im Gipfel und letzten Verklärungspunkt aller historisch wird, zur Einfalt der Geschichte zurückzukehren vermöchte?
Unserem Zeitalter schien es vorbehalten, zu dieser Objektivität der Wissenschaft wenigstens den Weg zu öffnen. Solange diese sich auf das Innerliche, Ideale beschränkt, fehlt es ihr an dem natürlichen Mittel äußerer Darstellung. Jetzt ist, nach langen Verirrungen, die Erinnerung an die Natur und an ihr vormaliges Einssein mit ihr der Wissenschaft wieder geworden. Aber dabei blieb es nicht. Kaum waren die ersten Schritte, Philosophie mit Natur wieder zu vereinigen, geschehen, als das hohe Alter des Physischen anerkannt werden musste, und wie es, weit entfernt, das letzte zu sein, vielmehr das Erste ist, von dem alle, auch die Entwicklung göttlichen Lebens, anfängt .*
*Wie es auch das Letzte in Ansehung der Würde, das Erste sei in Ansehung aller Entwicklung.
Nicht mehr von der weiten Ferne abgezogener Gedanken beginnt seitdem die Wissenschaft, um von diesem zum Natürlichen herabzusteigen; sondern umgekehrt, vom bewusstlosen Dasein des Ewigen anfangend, führt sie es zur höchsten Verklärung in einem göttlichen Bewusstsein hinauf. Die übersinnlichsten Gedanken erhalten jetzt physische Kraft und Leben, und umgekehrt wird Natur immer mehr der sichtbare Ausdruck von den höchsten Begriffen. Eine kurze Zeit, und die Verachtung, womit ohnedies nur noch die Unwissenden auf alles Physische herabsehen, wird aufhören, und noch einmal wahr werden das Wort: Der Stein, den die Bauleute verworfen, ist zum Eckstein geworden. Dann wird die so oft vergebens gesuchte Popularität von selbst sich ergeben. Dann wird zwischen der Welt des Gedankens und der Welt der Wirklichkeit kein Unterschied mehr sein. Es wird eine Welt sein, und der Friede des goldenen Zeitalters zuerst in der einträchtigen Verbindung aller Wissenschaften sich verkünden.
Bei diesen Aussichten, welche die gegenwärtige Schrift auf mehr als eine Weise zu rechtfertigen suchen wird, darf sich wohl ein oft überlegter Versuch hervorwagen, der zu jener künftigen objektiven Darstellung der Wissenschaft einige Vorbereitung enthält. Vielleicht kommt der noch, der das größte Heldengedicht singt, im Geiste umfassend, wie von den Sehern der Vorzeit gerühmt wird, was war , was ist und was sein wird . Aber noch ist diese Zeit nicht gekommen. Wir dürfen unsere Zeit nicht verkennen. Verkündiger derselben, wollen ihre Frucht nicht brechen, ehe sie reif ist, noch die unsrige verkennen. Noch ist sie eine Zeit des Kampfs. Noch ist des Untersuchens Ziel nicht erreicht. Nicht Erzähler können wir sein, nur Forscher, abwägend das Für und Wider jeglicher Meinung, bis die rechte feststeht, unzweifelhaft, für immer gewurzelt.
F.W.J. Schelling, Die Weltalter, Druck und Verlag von Philipp Reclam jun., Leipzig, S. 15 – 25
Die Philosophie der Offenbarung
Die Quelle
alles Seins sprudelt im Wollen (10.
Vorlesung)
Die erste Forderung an den, der zur Philosophie angeleitet zu werden verlangt,
ist, dass er sich über das vorhandene und schon bestehende Sein hinweg
an die Quelle alles Seins versetze.
Hierauf kann er nun, wie der Schüler im Faust,
antworten:
An dieser Quelle will ich
gerne hangen,
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
Nämlich wie soll ich es anstellen, diese Quelle des
Seins selbst zu denken, meiner Vorstellung von ihr einen wirklichen Inhalt
zu geben? Denn ich sehe wohl: alle diejenigen Begriffe, durch welche wir das
schon vorhandene Sein bestimmen,
müssen auf die Quelle des Seins unanwendbar
sein. Ein Mittel zu ihrer Bestimmbarkeit ist jedoch gegeben. Denn obgleich vor
und außer allem Sein gedacht, ist sie doch nicht ohne Bezug
auf das Sein.
Die Quelle des Seins ist zu bestimmen als das allerdings
noch nicht Seiende, aber, das sein wird.
Das nächste Verhältnis aber dieses noch nicht Seienden, das
jedoch der Voraussetzung nach sein wird, zu dem Sein, ist: das Seinkönnende
zu sein, wobei ich bitte, diesen Begriff nicht so zu denken, wie er von
zufälligen Dingen gebraucht wird; es ist nicht ein abhängiges oder
bedingtes, sondern das unbedingte Seinkönnende hier gemeint.
»Das, was sein wird, ist das unmittelbar ohne alle Vermittlung sein Könnende« heißt: es bedarf, um in das Sein zu gelangen, nichts als des bloßen
Wollens.
Zu diesem Begriff des Wollens sind wir schon darum berechtigt, weil jedes Können
eigentlich nur ein ruhender Wille ist, sowie jedes Wollen nur ein wirkend gewordenes.
Können. Man unterscheidet in der Philosophie
potentia und
actus. Die Pflanze in statu
potentiae - im Stande
der bloßen Möglichkeit - ist
der Keim; die sich entwickelnde, oder auch die schon entwickelte Pflanze ist
die Pflanze in actu.
Nun aber ist das Seinkönnende, von dem hier
die Rede ist, nicht eine solche bedingte,
es ist die unbedingte potentia
existendi, es ist das, was
unbedingt und ohne weitere Vermittlung a
potentia ad actum übergehen kann.
Nun kennen wir aber keinen andern Übergang a
potentia ad actum als im Wollen.
Der Wille an sich ist die
Potenz kat'
exochên, das Wollen
der Aktus kat'exochên.
Der Übergang a
potentia ad actum ist überall
nur Übergang vom Nichtwollen zum Wollen.
Das unmittelbar Seinkönnende also ist dasjenige,
was, um zu sein, nichts bedarf, als eben vom Nichtwollen
zum Wollen überzugehen. Das Sein besteht ihm
eben im Wollen; es ist in seinem Sein
nichts anderes als Wollen. -
Kein wirkliches Sein ist ohne ein wirkliches, wie immer näher modifiziertes,
Wollen denkbar. Daß irgend etwas ist, also das Sein irgend eines Dings
erkenne ich nur daran, daß es sich behauptet, daß es anderes von sich ausschließt,
daß es jedem anderen, in es einzudringen oder es zu verdrängen Suchenden Widerstand entgegensetzt.
Das absolut Widerstandlose nennen wir Nichts.
Was Etwas ist, muss
widerstehen. Das Wort Gegenstand selbst, mit dem wir das Reelle in unserer
Erkenntnis bezeichnen, sagt eigentlich nichts als
Widerstand oder ist ebensoviel
als Widerstand. Widerstand aber liegt eigentlich bloß im Wollen, nur der Wille ist das eigentlich Widerstehende, und zwar das
unbedingt Widerstandsfähige in der Welt, daher
eigentlich das Unüberwindliche.
Selbst Gott, darf man sagen,
kann den Willen nicht anders als durch ihn selbst besiegen.
Die Unterschiede, die wir zwischen den Dingen wahrnehmen,
bestehen nicht darin, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, daß einige absolut willenlos,
andere dagegen mit Willen begabt oder wollend
sind. Der Unterschied besteht nur in der Art
des Wollens. Z.B. der sogenannte tote Körper will eigentlich nur sich, er ist von sich selbst
gleichsam erschöpft und eben darum impotent nach außen, wenn er nicht
exzitiert wird, er ist von sich gesättigt (so muß
er also ein Leeres sein), von sich selbst erfüllt, daher er auch
nichts weiter ist als eben der erfüllte Raum, d.h.
die erfüllte Leere, das erfüllte Wollen, denn alles Wollen
ist eigentlich eine Leere, ein Mangel, gleichsam ein Hunger; der tote Körper
besteht durch ein bloß selbstisches, an sich selbst sich erschöpfendes
und schon darum blindes Wollen. Der tote Körper
hat genug an sich, und will nur sich. Das Tier, schon die lebendige Pflanze,
der man ja einen Lichthunger zuschreibt, will etwas
außer sich, der Mensch will etwas über sich. Das Tier ist durch sein Wollen außer
sich gezogen, der Mensch im wahrhaft menschlichen Wollen
über sich gehoben.
Der Unterschied zwischen dem bloß
natürlichen Widerstand, den ein Körper dem auf ihn Eindringenden
leistet, und den ein menschlicher Wille dem Zwang
oder selbst den reizendsten Lockungen entgegensetzt,
der Unterschied dieses Widerstandes ist nicht ein
Unterschied der Kraft selbst; wie ließe sich
dies denken? Die Kraft ist in beiden dasselbe, in beiden Wille, nur daß im bloß natürlichen Widerstand blinder
Wille, im moralischen Widerstand freier,
besonnener Wille ist, der ja übrigens da, wo die Kraft eines starken,
ausgesprochenen Charakters hinzukommt, selbst die Natur eines gleichsam blinden
annimmt, und mit derselben Sicherheit und Entschiedenheit wie ein blinder wirkt. –
Also Wille ist überall und in der ganzen Natur von der tiefsten bis zur
höchsten Stufe. Wollen ist
die Grundlage aller Natur. Jenes ursprünglich
Seinkönnende aber, dem der Übergang vom
nicht Sein zum Sein nur ein Übergang vom nicht Wollen zum Wollen ist,
kann in seinem Sein
auch nichts anderes sein als eben ein
aktiv gewordener, gleichsam entzündeter Wille. Nichtwollen
ist ein ruhendes, Wollen ein entzündetes
Feuer, wie wir selbst im gemeinen Leben von einem Feuer
des Wollens, der Begierde reden. Das ursprüngliche
Sein besteht daher bloß in einem entzündeten Wollen; überall,
wo ein zuvor ruhendes, insofern bloß potentielles
und unfühlbares Sein sich fühlbar macht, jede
erste Seins-Entstehung, namentlich in der organischen Natur, ist Entzündung
oder von Entzündung begleitet.
Alle diese Erläuterungen waren bloß nötig, um den Sinn und das
ganze Gewicht jener ersten Bestimmung einzusehen, der Bestimmung: das, was vor
dem Sein, ist oder das, was
sein wird (dieses eigentlich noch
völlig Unbestimmte, das wir eben erst zu bestimmen suchen),
ist das unmittelbar Seinkönnende. Nachdem nun aber erklärt
ist, was unter dem unmittelbar Seinkönnenden zu verstehen ist, läßt
sich leicht einsehen (hiermit gehe ich zu einer neuen
Bestimmung über), daß, auf diese Weise bestimmt, das, was
vor dem Sein ist, nicht eigentlich ein zu sein
oder nicht zu sein Freies,
und also (da es bei ihm bloß um
Sein und Nichtsein sich handelt) überhaupt kein Freies sein könnte.
Ich sage: wenn das, was sein wird,
nichts anderes als das unmittelbar
Seinkönnende ist, so kann es nicht das
frei in das Sein sich Bewegende
sein. Denn einer solchen unmittelbaren potentia
existendi ist es vielmehr natürlich
sich in das Sein zu erheben; sie hätte eigentlich gar keine
Wahl, ins Sein überzugehen oder nicht überzugehen; sie wäre
durch nichts vom Sein abgehalten oder abzuhalten, ja wir müßten uns
wundern, sie nicht schon immer übergegangen zufinden; wir könnten
sie eigentlich als potentia
existendi, wir könnten sie eben
darum als das, was sein wird, nicht
festhalten, sie wäre schon immer Seiendes, und zwar, wie leicht einzusehen,
blind Seiendes. Denn es ist einleuchtend, daß jener Wille,
wenn er sich einmal erhoben, einmal entzündet hat, nicht
mehr sich selbst gleich ist. Er ist nicht mehr, was
sein und nicht sein kann, sondern was
sein und nicht sein konnte.
Ein größerer Umsturz läßt sich nicht denken.
Alles, von dem wir sagen, daß es sein und nicht sein konnte,
ist nur ein zufällig
Seiendes, aber eben dem
zufällig Seienden wird sein Sein zur Notwendigkeit,
d.h. es ist das nicht mehr nicht sein Könnende, in
diesem Sinn also das notwendig Seiende.
Wie der Mensch ein anderer ist vor der
Tat, gegen die er sich noch frei verhält, und nach vollbrachter
Tat, wo diese für ihn selbst zur Notwendigkeit wird, sich gegen ihn umwendet
und nun ihn sich unterwirft, so
ist das unmittelbar Seinkönnende im Sein nicht
mehr reines Wesen (Wesen
ist eben das, was sich noch kein Sein zugezogen, was noch unbefangen ist mit
dem Sein - frei gegen das Sein) - so also ist das unmittelbar Seinkönnende
im Sein nicht mehr das vom Sein freie, Sein-lose Wesen,
sondern es ist das mit dem Sein gleichsam Geschlagene und Behaftete, das außer
sich, nämlich das außer
seinem Können Gesetzte, das sich selbst gleichsam verloren hat und
nicht mehr in sich selbst zurück kann, das außer
sich Seiende in demselben Sinn, in welchem man von einem Menschen
sagt, er sei außer sich, nämlich seiner selbst nicht mächtig,
er habe sein Können verscherzt. Mit nichts (im Vorbeigehen
zu sagen) soll der Mensch sparsamer sein als mit seinem Können,
denn darin besteht seine wahre Kraft und Stärke, und was er als Können
in sich bewahrt, das eben ist sein unsterblicher,
sein nicht zu verlierender Schatz, aus dem er schöpfen, aber den
er nicht erschöpfen soll.
Das unmittelbar Seinkönnende außer sich, d.h. außer seinem
Können, gesetzt, ist also das seiner selbst Ohnmächtige,
Besinnungslose, to
existamenon, das durch eine
falsche Ekstasis außer sich Gesetzte
und in diesem schlechten Sinn Existierende.
Das unmittelbar Seinkönnende, inwiefern es
dies ist, ist noch Quelle des
Seins, hat es sich aber einmal in das Sein erhoben,
so ist es zwar Seiendes, aber das aufgehört
hat Quelle des Seins zu sein, und auch nicht wieder
dahin zurück kann; es heißt hier: facilis
descensus Averni; sed revocare gradum -
das eben wäre ihm unmöglich. Es ist jetzt
das nicht mehr nicht
sein Könnende. Aber die eigentliche
Freiheit
besteht nicht im sein-, nicht
im sich äußern-, sondern im nicht sein-,
im sich nicht äußern-Können, wie
man den Besonnenen mehr erkennt an dem, was er nicht tut, als an dem, was er
tut. Als das, was es ist, als reines Seinkönnendes,
könnte es sich im wirklichen Sein niemals habhaft werden. Es ist
also immer nur das aufKosten seiner selbst, d.h. mit Verlust seiner selbst,
Seiende. Es ist auf eine Spitze gestellt, wo es sich gleichsam keinen Augenblick
erhalten kann.
Wir könnten also selbst dies,
wovon wir ausgegangen sind, daß
der Anfang das Seinkönnende ist, daß also das
Seinkönnende Ist, selbst dieses Könnten wir
nicht mit Entschiedenheit aussprechen.
Das, was sein wird, ist
das Seinkönnende und ist es auch nicht. Es
ist's nämlich, wenn es sich nicht
bewegt, nicht erhebt in das Sein, es ist's nicht, nämlich es ist's
nicht so, daß es nicht auch das Gegenteil, das blindlings
Seiende sein könnte. Wenn es aber Einmal kann,
warum ist es nicht von jeher übergegangen, da es ihm
natürlich ist sich in das Sein zu bewegen, wenn es nicht
durch einen entgegengesetzten Willen davon abgehalten
ist?
Da es also bloß, oder für
sich, oder absolut
gesetzt, gar nicht festzuhalten ist, so würden wir es gar nicht mehr als
Seinkönnendes antreffen, wir würden es gleich nur finden im Sein,
als ein Sein, das seinen eignen Anfang verschlungen, sich
selbst als Wille, als Ursache vernichtet hätte - als Sein, dem wir
eben darum selbst keinen Anfang wüßten.
Wenn wir also das, was sein wird, als solches
denken, wenn wir es überhaupt
als Seinkönnendes festhalten,
setzen wollen (was zunächst unsere Absicht ist),
so können wir es nicht bloß
als das Seinkönnende denken, wir müssen aussprechen, daß es
mehr ist als nur dieses. Indem
wir sagten: das, was sein wird, oder das Wesen (denn das
Wesen ist noch außer und über dem Sein) indem wir sagten:
das Wesen ist unmittelbar das Seinkönnende, haben wir uns nicht anheischig
gemacht, daß es nicht mehr als dieses sein soll. Nun entsteht aber die
Frage, was es denn außerdem sein könnte; und davon jetzt!
Wir haben es also primo
loco gesetzt als das nur Seinkönnende
- in beiderlei Sinn, als nicht Seiendes
und ferner als das nur übergehen Könnende - als solches
hat es ein unmittelbares Verhältnis
zum Sein.
Ein solches unmittelbares Verhältnis kann nun aber nicht zum zweitenmal
gesetzt werden. Sein nächstes Verhältnis zum Sein wird schon nur ein
mittelbares sein können. Wenn es primo
loco, d.h. in seinem unmittelbaren,
unvermittelten Verhältnis zum Sein, das Seinkönnende
ist, so wird es secundo
loco nur als das
nicht Seinkönnende zu bestimmen sein. Damit wird aber nichts gesagt
sein, wenn wir es nicht sogar als das Gegenteil
des Seinkönnenden bestimmen. Das Gegenteil des Seinkönnenden,
welches insofern das nicht
seiende ist - das Gegenteil des Seinkönnenden ist
aber das rein Seiende.
Um sich dieses ganz deutlich zu machen, überlegen Sie
Folgendes:
Wir hatten das, was vor dem Sein
ist, bestimmt als das Seinkönnende. Nun zeigte
sich aber das Seinkönnende als das für sich nicht Festzuhaltende,
als die eigentliche
natura anceps. Eben darum gingen wir
zu einer zweiten Bestimmung über. Der Sinn
oder die Absicht unseres Übergangs war also, das Seinkönnende
als Seinkönnendes festzuhalten, es vor dem Übertritt
in das Sein zu bewahren. Wir wollen es als Seinkönnendes,
heißt: wir wollen, daß es als
potentia pura, als reines
Können, als Können ohne
Sein stehen bleibe.
Dies kann es aber nur, wenn es zum Ersatz gleichsam des Seins, das es annehmen,
sich zuziehen könnte, und
das also ein bloß zugezogenes sein würde, wenn zum Ersatz dieses
zufälligen Seins Es selbst auch an und für sich schon, d.h. ohne sein
Zutun, das rein Seiende ist. Als
das bloß Seinkönnende
würde es vor allem Denken, oder, wie die deutsche Sprache vortrefflich
sich ausdrückt, unvordenklicher Weise in das Sein übergehen; es kann
also nicht bloß Seinkönnendes
sein, oder es bleibt nur insofern als Seinkönnendes stehen, als
es in diesem Stehenbleiben ebensowohl das rein,
d.h. das unendliche,
von keinem Können begrenzte Seiende
ist. –
Dies ist also ein neuer Punkt unserer Entwicklung, wobei ich nur noch eine Bemerkung
über den Gang der Philosophie einstreuen will, daß nämlich jedes
Moment dieser Bewegung erst vollkommen verstanden wird im Weggehen von demselben,
ungefähr wie der Mensch einen früheren Moment seines Lebens besser
begreift, wenner ihn verlassen hat und in einen folgenden übergegangen
ist, als in jenem Moment, weswegen man eben in der Philosophie, wo die rechte
Idee nur sukzessiv erzeugt werden kann, das Ganze
erwarten muß, um das Einzelne vollkommen zu verstehen.
Die erste Schwierigkeit nun, die Sie bei
diesem Übergang finden müssen, wird unstreitig folgende sein. Sie
werden mich fragen: Wie
kann eben das, von dem wir annehmen, es sei vor
und über dem Sein
- oder wie kann eben das, von dem wir bisher gar nicht anders gesprochen haben,
als von einem vor und über
dem Sein zu Denkenden, wie kann eben dieses dennoch zugleich als das
rein Seiende bestimmt werden?
Hierauf will ich nun also Folgendes bemerken: nämlich
1. daß wir überhaupt
nicht gemeint sein konnten, das, was vor und über
dem Sein gedacht wird, darum als das überall
nicht und auf keine Weise Seiende
zu denken. Es ist nur gegen das später hervortretende Sein als nichts,
in sich aber nicht nichts, es ist nur nicht indem Sinn, wie das, was
nachher sein wird. Schon das Seinkönnende ist ja eben darum, weil
es dies ist, nicht nichts, es ist das nicht
actu Seiende, es ist nur das nicht
außer sich, aber darum
nicht das auch in sich nicht Seiende,
es ist vielmehr gerade das nur in
sich, das bloß urständlich, nicht gegenständlich
Seiende. Es Ist, wie ein Wille ist, der
sich noch nicht geäußert hat, der also nach
außen auch = 0 ist, von dem daher niemand weiß, der niemand
gegenständlich ist, also es Ist, wie der urständliche
Wille, der Wille vor seiner
Äußerung auch ist.
Wir könnten für diese Art
des Seins, zu großer Erleichterung des Verständnisses, wohl
ein eignes Wort, anstatt des jetzt zu allen Arten des Seins promiscue angewendeten
Worts Sein, brauchen, wenn nicht leider in der deutschen Sprache das alte Verbum
Wesen außer Gebrauch gekommen
wäre (es findet sich nur noch in der vergangenen
Zeit - in der Form gewesen), wir könnten jenes ungegenständliche
Sein, das darum nicht ein völliges nicht Sein, sondern eben nur
das noch bloß urständliche ist, das
rein Wesende nennen.
Und so wäre dann dagegen das Sein dessen, was wir das
rein Seiende nennen, das rein
seiende Sein.
2. Wie nun aber (und
dies ist der zweite Punkt meiner Erläuterung), gleichwie, oder gerade
ebenso, wie das bloß Seinkönnende,
soweit es dies ist, gegen das wirkliche
Sein als nichts
ist - gerade ebenso ist auch das rein
Seiende, in dem Sinn, wie wir es nehmen, gegen das actu
Seiende als nichts,
denn das actu Seiende
ist kein rein Seiendes,
eben weil es eben a
potentia ad actum übergegangen
ist. Es hat also an der Potenz eine Negation in sich
- es ist nicht rein positiv,
denn die Potenz, die ihm vorausging, ist die Negation
des Seins, das es jetzt hat,
diese Negation kann es aber nicht loswerden, es bleibt immer das
aus negativ positiv gewordene, d.h. es hat das Negative zu seiner immerwährenden
Voraussetzung. Dagegen das rein Seiende
(in unserem Sinn) ist das positiv seiende, in dem gar nichts von einer
Negation ist. Wenn nun das actu
Seiende nicht das rein Seiende
ist, so folgt, daß umgekehrt das rein Seiende nicht
das actu
Seiende
ist - und daß es sich gegen das actu
Seiende
vielmehr ebenfalls als nichts, geradeso wie das bloß
Seinkönnende verhält.
Da es wesentlich ist, daß dieser Begriff des rein
Seienden gleichsam ganz durchsichtig sei, so will ich ihn noch von einer
andern Seite darstellen.
Wir haben früher das bloß Seinkönnende
verglichen mit einem noch ruhenden, d.h. nicht
wollenden Willen. Der Wille, der nicht will, ist allerdings
als nichts; insofern entsteht
jedes Wollen, jede Begierde wie aus dem Nichts. Wenn
eine Begierde in uns entsteht, so ist auf einmal ein Sein da, wo vorher keines
war. Deswegen fühlen wir uns von einer Begierde bedrängt, denn sie
nimmt einen Raum ein, der vorher frei war, in dem wir uns frei fühlten,
und wir atmen gleichsam auf, wenn wir diese Begierde wieder loswerden. In
dem Seinkönnenden liegt der Keim einer Begierde, eines Wollens. Das
Seinkönnende ist der wollen
könnende Wille: als der bloß wollen
könnende ist er also als nichts. Wenn nun der nur
noch nicht wollende,
aber wollen könnende Wille als
nichts ist, so muß der nicht wollen
könnende Wille noch mehr dem nichts gleich sein. Nun gerade dies
ist das Verhältnis zwischen dem Seinkönnenden
und dem rein Seienden.
Das sein Könnende ist = (ist
gleich) dem wollen könnenden Willen,
das rein Seiende ist =
(ist gleich) dem völlig
willen- und begierdelosen, dem ganz gelassenen Willen,
denn es hat das Sein nicht zu wollen,
weil es das von selbst, d.h. das an und für sich, gleichsam ohne
sich selbst Seiende ist. Das rein
Seiende steht also sogar noch entfernter von dem
wirklichen Sein als das Seinkönnende, welches
gleichsam in der unmittelbaren Opportunität zu dem aktuellen Sein ist
(um einen Ausdruck der Ärzte zu entlehnen); darum haben wir auch
zuerst von dem Seinkönnenden
und hernach erst von dem rein
Seienden gesprochen, denn diese ganze Folge bestimmt sich nach der
Nähe oder Entfernung von dem wirklichen Sein.
Das Seinkönnende aber ist das Nächste,
das rein
Seiende ist das Entferntere vom Sein. Denn
da in diesem keine Potenz ist
so ist leicht einzusehen, daß es erst in
statum potentiae gesetzt werden müßte,
um a potentia ad actum
überzugehen.
Es setzt also, um actu
sein zu können, etwas voraus, von dem es in
statum potentiae gesetzt,
d.h. von dem es in seinem Sein negiert wird. Es
ist also auch nicht das
unmittelbar sein Könnende,
nämlich actu sein
Könnende, das Seinkönnende selbst aber setzt nichts voraus,
um actu zu
sein, eben weil es selbst Potenz
ist.
Wir hätten ebenso gut umgekehrt den Begriff des rein
Seienden deduzieren können aus dem Begriff des
bloß mittelbar sein Könnenden. Das, was sein
wird, muß natürlich Einmal oder zuerst das unmittelbar sein Könnende
sein. Wenn es aber nicht bloß
das Seinkönnende ist, so kann es dann in der
nächstfolgenden Bestimmung nicht wieder das
unmittelbar, sondern nur das bloß mittelbar
Seinkönnende sein. Was ist denn aber das nur
mittelbar Seinkönnende? Antwort:
das, in dem kein Können, keine Potenz, das
also purus actus ist.
Dieses, um a
potentia ad actum überzugehen,
also um wirklich zu sein, muß erst in potentiam
gesetzt werden, da es von
sich selbst nicht Potenz ist.
Bei Gelegenheit dieser Bestimmung kann nun aber eine Inzidentfrage entstehen,
die zwar nicht jetzt gleich im vollständigen Zusammenhang sich beantworten
läßt, die ich aber doch nicht zurückweisen wollte, weil sie
doch den einen oder andern hätte bedenklich machen können.
Man könnte also fragen: wie ist es möglich,
das, was sein wird, auf einer zweiten Stufe, als
das rein, unendlich, gleichsam willenlos
Wollende zu denken ?
Die Schwierigkeit ist nämlich diese. Jedes Wollen,
in welchem das Wollende sich selbst will, ist eo
ipso schon nicht ohne einen Übergang
a potentia ad actum
zu zu denken, denn was
sich selbst will, geht von sich
selbst als bloße Potenz oder Möglichkeit zu sich selbst als Aktus.
Das rein Wollende also, in dem
kein solcher Übergang ist,
kann eben darum nur dasjenige sein, das schlechterdings
nicht sich will, also, da es doch ein Wollendes
ist, ein anderes als sich will.
Das rein Wollende darf nicht
sich wollen, es muß ein absolut unselbstisches
Wollen sein, sein Weg geht also von ihm selbst hinweg auf ein anderes.
Woher nun aber dieses andere? Es ist leicht hierauf zuantworten.
Überlegen Sie Folgendes.
Das, was sein wird, inwiefern es bloß das
Seinkönnende, also das Nächste am Sein
ist, dem also nichts weder im Sein
noch in der Möglichkeit
zum Sein zuvorkommt, hat insofern nichts vor
sich - es fehlt ihm an der Supposition jedes Wollens, nämlich daß
man etwas habe, das man
wollen könne, es ist ganz bloß
in diesem Betracht, und es erscheint insofern als die Armut, die
Bedürftigkeit selbst, es kann also nur sich
als sich, als dieses
wollen, wenn es will, und darum
ist ihm eigentlich bestimmt, nicht zu
wollen, reines Können, Nichtwollen, bloßer Wille
zu bleiben.
Ganz anders aber verhält es sich mit eben demselben, nämlich mit dem,
was sein wird, inwiefern es nicht
das bloß Seinkönnende, sondern das rein
Seiende ist. Denn als dieses,
als das rein Seiende, hat es allerdings
Sich als das bloß Seinkönnende
vor sich, es hat also etwas, das es wollen
kann, ohne sich als sich zu wollen. Man
könnte nämlich freilich sagen: wenn es Sich
als das Seinkönnende will, so will es ja doch
auch sich selbst. Ganz richtig. Aber es
will nicht Sich als Sich, es will nicht Sich als das
rein Seiende (mit einem solchen auf sich
selbst zurückgehenden Willen würde es sich selbst alsrein seiendes
verderben), - es will nicht Sich als das rein
Seiende, sondern Sich als das Seinkönnende,
und demnach als ein anderes. Ja es ist ihm
nur eben dadurch,
daß es Sich als das Seinkönnende vor
sich hat, gegeben, das
rein Seiende oder, was dasselbe ist, das rein
Wollende zu sein, das im Wollen
nicht Sich als Sich zu wollen braucht.
Der Wille, der nichts vor
sich hat, wenn er nicht reiner Wille bleibt, kann nur
selbstisch sein. Das Unselbstische ist nicht
primo loco
zu denken. So viel also, um die etwa aufzuwerfende Frage vorläufig zu beantworten.
Denn wie nun, oder auf welche Weise das, was sein wird, als
das rein Seiende sich als das Seinkönnende
will, dies werde ich erst in einer demnächst folgenden Erörterung
vollkommen deutlich machen können. Vor jetzt war es hauptsächlich
bloß darum zu tun, zu zeigen, daß das rein
Seiende, oder im völlig parallelen Ausdruck, das
rein und unendlich Wollende noch immer gegen das
actu
Seiende, actu
Wollende sich
als Überseiendes verhalte, daß es also kein
Widerspruch sei, wenn wir sagen: das, was sein wird - eben dasjenige also, welches
das Seinkönnende ist, dasselbe
ist in einer zweiten Stufe der Betrachtung das rein Seiende.
Jetzt aber gehen wir zu andern Fragen über. Bis jetzt haben wir bloß
diese Begriffe des Seinkönnenden und des rein
Seienden und ihr Verhältnis zueinander erörtert. Ich
weiß wohl, daß diese Erörterung besonders für den, der
zuerst zur Philosophie kommt, oder auch vielleicht die Denk- und Redeweise einer
ganz anderen Philosophie gewohnt ist, nicht leicht zu verstehen ist, und daß
eine solche nicht eigentlich fortschreitende, sondern bei Begriffsbestimmungen
sich verweilende Erörterung überhaupt nichts Anziehendes hat. Denn
ihr Anziehendes erhält jede eigentlich erst durch die Folge, indem man
sieht, wozu diese Begriffe gebraucht werden, wohin sie führen, und eine
Entwicklung insbesondere, die ihren Gegenstand als einen zukünftigen
behandelt, die gleich nur von dem ausgeht, was sein wird
(was also soweit noch bloß im Begriff
vorhanden ist, denn das Wort Begriff wird zwar sehr mannigfaltig, d.h.
sehr konfus, gebraucht - aber hat etwas Eigentümliches, unter anderem z.B.
dem Wissen oder der Erkenntnis Entgegengesetztes, kurz der Begriff als Begriff
ist nur der Begriff des noch nicht Seienden, des Zukünftigen.
– »Das, was sein wird«, ist also der Begriff par
excellence,
und die bisher entwickelten Bestimmungen sind nur Bestimmungen dieses Begriffs
kat' exochên,
d.h. sie sind selbst die Begriffe par excellence, und außer denen es keine
anderen gibt - doch davon wird später ausführlich
die Rede sein - ), aber eine Entwicklung, die in
diesem Sinn vom Begriff ausgeht, also dem bloß
Zukünftigen, jetzt noch nicht Seienden zusteuert,
wird besonders schwer gefunden, weil der Lernende sich vorkommt, als würde
er gleichsam im Dunkel geführt, in dem er nicht sieht, wo die Sache hinaus
will - und das ist doch, sagt man, ein billiges und gerechtes Verlangen, daß
man, um sich Mühe zu geben, erst wisse, wohin der Weg führe.
Allein, meine Herrn, teils soll man eben an den Begriffen und deren Bestimmungen
selbst sich erfreuen lernen, dadurch erst zeigt einer, daß er Geschmack
an der Philosophie hat, daß ihn die Erörterung der Begriffe an sich
interessiert, auch wenn er noch nicht weiß, wozu sie dienen oder wohin
sie führen, teils muß man die Ungeduld, die gern gleich das Ziel
sehen möchte, zu mäßigen wissen; schon
Aristoteles sagt: der Lernende muß glauben, d.h. nicht er muß
immerfort und gleichsam ewig nur glauben, aber er muß glauben, solange
er noch der Lernende ist, d.h. bis er vollständig unterrichtet ist, bis
das Ziel mit ihm erreicht ist.
Glauben Sie nur auch - vertrauen
Sie auf den Erfolg, ich werde die Idee, um die es zu tun ist
(der erreichte Gegenstand des Begriffs ist die Idee),
ich werde nicht ablassen, ehe ich Ihnen
diese Idee vollkommen deutlich gemacht habe. Dazu müssen Sie mir aber Zeit
gönnen, - mir zugeben, daß ich nicht sprungweise, sondern nur Schritt
vor Schritt gehe.
Jetzt aber sind wir an einen Punkt gekommen, wo unsere Erörterung allmählich
aus dem dichten Wald in eine freiere, offene Gegend hervortritt. Zwei Fragen
stehen nun zunächst vor uns. Ich wiederhole zuerst den Satz, bei dem wir
noch immer stehen. Eben das oder dasselbe,
was seiner ersten Bestimmtheit nach das Seinkönnende ist, ist in einem
zweiten Begriff oder in einer zweiten Bestimmung jenes absoluten
Begriffs das rein Seiende.
Bis jetzt habe ich nur die zwei Extreme dieses Satzes, wie man sich in der Logik
ausdrückt, d.h. die beiden in ihm verbundenen Begriffe - den Begriff des
Seinkönnenden und den des rein
Seienden erklärt. Jetzt wird es darauf ankommen, die Verknüpfung,
die copula selbst,
die Art der hier behaupteten Identität
zu erklären. Wenn ich sage, dasselbe, was das Seinkönnende,
dasselbe ist auch, wiewohl diverso
respectu, in einem andern Anblick,
ist eben dieses auch das rein Seiende: - was bedeutet
hier dieses ist? Indem ich sage, dasselbe, was
das Seinkönnende, (dasselbe,
wiewohl nicht als dasselbe) ist auch das
rein Seiende, so drücke ich hiermit eine Identität
aus zwischen dem unmittelbar Seinkönnenden
und dem rein Seienden. Wie ist diese Identität zu verstehen? Denn
bekanntlich gibt es sehr verschiedene Arten, sich eine Identität zwischen
zwei übrigens voneinander Unterschiedenen zu denken.
Mit der Beantwortung dieser Frage wird es schon um vieles lichter werden. Dann
werden wir zur zweiten Frage schreiten können, zu der Frage: was denn nun
eigentlich mit diesem Fortgang von dem Seinkönnenden
zu dem rein Seienden gewonnen sei; und von da werden nur noch wenige
Schritte sein - zu der Idee selbst.
Um nun also gleich zu der ersten Frage überzugehen, wie ist in dem Satz:
das Seinkönnende ist auch das rein Seiende, dieses
ist, wie ist die hier behauptete Identität zu verstehen? Denn allerdings
könnte die Verknüpfung auf verschiedene Weise gedacht werden.Z.B.
so, daß das, was sein wird -
dieses Subjekt eines noch zukünftigen Seins,
wie wir es auch nennen können, daß dieses Subjekt
zweimal gesetzt wäre, einmal als Seinkönnendes,
das andere Mal als rein Seiendes,
so daß diese zwei Gestalten seines Wesens
zwar sich gegenseitig ergänzten (das Seinkönnende
z.B. nicht festzuhalten wäre ohne das rein Seiende), aber daß
sie - außereinander wären.
Aber so ist es durchaus nicht gemeint. Die Identität
muß vielmehr im strengsten Sinn
genommen werden, als substantielle Identität.
Die Meinung ist nicht, daß das Seinkönnende
und das rein Seiende, jedes als
ein für sich Seiendes, d.h. jedes als Substanz,
gedacht werde (denn Substanz ist, was für sich selbst
außer einem andern besteht). Sie sind nicht selbst Substanz, sondern
nur Bestimmungen des Einen Überwirklichen.
Die Meinung ist also nicht, daß das Seinkönnende
außer dem rein Seienden sei, sondern die Meinung
ist, daß eben dasselbe, d.h. eben dieselbe Substanz, in ihrer Einheit,
und ohne darum zwei zu werden, das Seinkönnende und
das rein Seiende sei. Wir setzen nicht 1+1, sondern
wir setzen immer nur Eins, aber dieses Eine, das darum, weil es das Seinkönnende
und ebensowohl auch das Seiende ist, nicht aufhört
Eines zu sein, dieses Eine ist eben in seiner Einheit
das Seinkönnende und das rein Seiende, also gewissermaßen
das Gegenteil seiner selbst. Nun werden Sie aber
fragen, wie es möglich sei, daß die zwei nicht
außereinander seien, d.h. daß sie sich nicht ausschließen.
Es liegt mir also ob zu zeigen, daß sie des Gegensatzes
unerachtet sich doch in der Tat nicht
ausschließen.
Ich habe schon bemerkt, daß diese Bestimmungen dessen, was
sein wird, und das insofern
vor und über dem Sein ist, daß diese Bestimmungen sich gleichwohl
nur auf das künftige
Sein beziehen. Können wir nun zeigen, daß sie sich zu dem
künftigen, d.h. zu dem wirklichen
Sein, ganz gleich verhalten, so haben wir
eben damit gezeigt, daß sie auch einander gleich
sind und sich nicht ausschließen.
Nun haben wir aber das Erste im Grunde schon gezeigt. Wir haben gezeigt, daß
nicht bloß das nur Seinkönnende,
sondern ganz ebenso auch das rein Seiende
gegen das künftige Seiende sich
als nichts verhalten.
Nun schließt aber wohl ein Etwas das andere Etwas von sich aus, aber was
selbst nichts ist, kann auch von nichts anderem ausgeschlossen werden. Schon
hieraus also erhellt die gegenseitige Nichtausschließlichkeit
jener beiden Begriffe, und daß das bloß
sein Könnende und das rein Seiende
nur Bestimmungen Eines und desselben, nicht aber
zwei für sich selbst Seiende sind.
Um jedoch diesen abstrakten Beweis anschaulicher zu machen, wollen wir ihn noch
von einigen Seiten weiter ausführen.
Ich habe schon gezeigt, daß wir das Seinkönnende,
sofern es bloß dieses ist, also nicht ins wirkliche
Sein übergeht, als den nicht wollenden
Willen bestimmen können - das rein Seiende
dagegen als das rein und bloß, als das gleichsam willenlos
Wollende, als Wollen, dem
kein Wille vorhergeht.
Nun habe ich aber zugleich gezeigt, daß das rein
und gleichsam unendlich Wollende ebensowenig
eigentlich will, nämlich
ebensowenig von Nichtwollen zu Wollen übergeht,
als das nicht Wollende. Das
unendlich Wollende ist daher wie das nicht
Wollende.
Das Gemeinschaftliche beider ist, nicht a
potentia ad actum, von
Nichtwollen zu Wollen überzugehen. Der nicht
wollende Wille ist bloße Potenz, und
geht insofern nicht zum Aktus über, der bloß
und unendlich wollende ist
bloßer Aktus,
und geht insofern auch nicht von Potenz zu Aktus
über, und wenn wir die Wirklichkeit überall nur da, wo ein solcher
Übergang stattfindet, empfinden und erkennen, so ist das
Seinkönnende und das rein Seiende eine
völlig gleiche Überwirklichkeit, und
wegen dieser völlig gleichen Lauterkeit schließen
sie sich auch untereinander nicht aus. Ich bediente mich hier des Ausdrucks
Lauterkeit, gewissermaßen als gleichbedeutend
mit Überwirklichkeit. Ich will diese Gelegenheit benutzen, an etwas
zu erinnern, was Ihnen den ganzen
gegenwärtigen Standpunkt deutlich zu machen dienen kann.
Alle Unlauterkeit (und jeder
von uns fühlt in allem endlichen Sein etwas Unlauteres, d.h. etwas Gemischtes
und Getrübtes), alle Unlauterkeit
aber kommt nur davon, daß in das, was bloß
Potenz sein sollte,
Aktus, oder in das, was bloß
Aktus (purus
actus) sein sollte,
etwas von Potenz (von Nichtaktus,
von nicht Sein) gesetzt ist. In diesem Fall werden Aktus
und Potenz gegenseitig voneinander beschränkt
und getrübt, wo aber jedes in seiner Reinheit,
da ist auf beiden Seiten gleiche Unendlichkeit
und völlig gleiche Lauterkeit.
Alles, was ein Seiendes
ist, ist ein aus Potenz und Aktus,
aus Sein und nicht Sein Gemischtes,
es ist weder rein Potenz, noch rein
Aktus, sondern beides zugleich, und
zwar ist jedes Seiende beides zugleich in einer andern
Weise. Darum schließt das eine Seiende das andere aus,
aber weder das rein Seinkönnende, das lautere
Potenz, noch das rein Seiende, das lauterer Aktus,
ist ein Seiendes.
Also schließen sich diese nicht aus. Eben diese Nichtausschließlichkeit
zu zeigen, war die Absicht des zuletzt Vorgetragenen. Weil dies aber ein höchst
wesentlicher Punkt ist, will ich das Nämliche noch von einer andern Seite
darstellen.
Wir haben das, was sein wird,
zuerst bestimmt als das sich in sich selbst zum Sein erheben, oder, wie wir
auch sagten, sich zum Sein entzünden Könnende,
also überhaupt als das sich erheben
Könnende. (Denken Sie's nur in dem
Sinn des Ausspruchs: »Wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget
werden«.)
Das rein Seiende ist das sich
nicht in actum erheben
Könnende, weil es schon Aktus ist.
Aber das bloß sich erheben Könnende
und das sich nicht erheben Könnende
= 1 (sie
können also in einer und derselben Substanz gedacht werden). Wir
können auch sagen: das unmittelbar Seinkönnende
ist das nur selbstisch sein Könnende.
Nun aber das selbstisch bloß sein Könnende,
nicht Seiende, ist wie das Unselbstische.
Dies muß Ihnen klar sein.
Also das selbstisch bloß sein Könnende
schließt das Unselbstische nicht von sich
aus. Bis dahin ist ja in beiden eine völlig
gleiche Selbstlosigkeit. Das, was selbstisch
nur sein könnte, ist soweit noch in
gleicher Unselbstigkeit wie das seiner Natur nach Unselbstische - das
gar nicht selbstisch sein Könnende. Beide
werden
sich erst ungleich, wenn jenes in das wirkliche
Sein übergeht, solange es in
statu merae potentiae bleibt,
ist es, was das andere. Beide sind also auch nicht
außereinander, sondern das selbstisch sein
Könnende ist in dem seiner Natur nach Unselbstischen
ohne alle Störung und ohne alle erkennbare Differenz.
Als das rein Seiende ist das Wesen
der von sich weggehende, nicht sich selbst
wollende Wille, der Wille, der sich
seiner selbst nicht annimmt oder der nicht
das Seine sucht, der eben darum auch als unvermögend
erscheint, wie ein Mensch, dessen Wesen lautere Liebe, reines,
sich selbst nicht versagen könnendes Wohlwollen wäre, wie ein solcher
in einer widerspruchsvollen Welt notwendig als unkräftig und gleichsam
widerstandlos erscheinen würde.
Wir haben das rein Seiende erklärt als das
rein oder unendlich Wollende.
Aber relativ auf sich selbst ist dieses unendlich Wollende
auch ein nicht Wollendes, denn
es will ja nicht sich selbst, relativ
auf sich selbst ist es also dem nur nicht Wollenden,
dem bloß wollen Könnenden, d.h. also das
rein Seiende ist dem Seinkönnenden gleich.
Das rein Wollende ist als nichts,
eben weil es sich seiner selbst nicht annimmt, sich selbst nicht gelten macht,
aber das sich selbst bloß wollen Könnende
ist auch als nichts, inwiefern es sich nicht wirklich
will. Das rein Seiende ist
eben darum, weil es dies ist, das zu sein Unvermögende;
sollte es sein, nämlich
actu
sein, so müßte es erst ex
actu in non actum, in potentiam,
d.h. in sich selbst zurücktreten. Dies vermag es aber von
sich selbst nicht. Es kann nicht von sich selbst Nichtaktus
werden. Dazu bedarf es eines Widerstandes.
Wenn aber auch das rein Seiende sich als
das von sich selbst zu sein Unvermögende verhält,
so ist es doch von dem bloß sein Könnenden
nicht zu unterscheiden, denn das
bloß sein Könnende ist wie das nicht
sein Könnende. Wenn also dasselbe
das Seinkönnende ist und auch
das rein Seiende, so ist es diese
nicht mit gegenseitiger Ausschließung, so daß diese untereinander
sich ausschlössen, sondern es ist das eine
und das andere in substantieller Identität.
Es ist Zweiheit in der Einheit, d.h.
es ist zwei, und ist doch dabei substantiell nur Eins, und es ist Einheit
in der Zweiheit, d.h. es ist substantiell nur Eins,
ohne darum weniger zwei zu sein. Die Zweiheit ist nicht außer der Einheit
und die Einheit nicht außer der Zweiheit.
Das stillste und das tiefste Meer ist auch das am meisten sich empören
könnende, aber das stille und das sich empören könnende sind
nicht zwei Meere, sondern nur ein und dasselbe Meer.
Der gesundeste Mensch trägt die Möglichkeit der Krankheit in sich,
aber der gesunde Mensch und der krank sein könnende Mensch sind nicht zwei
verschiedene Menschen, sondern nur ein und der nämliche Mensch, der eine
schließt den andern nicht aus.
Ganz ebenso demnach sind das Seinkönnende
und das rein Seiende nicht zwei verschiedene Subjekte,
sondern nur Ein Subjekt; das eine ist nicht das andere, und dennoch ist das
eine, was das andere ist, nämlich dieselbe Substanz. Das
Seinkönnende als solches ist nicht
das rein Seiende, und
das rein Seiende nicht das Seinkönnende, und
dennoch ist das eine, was das andere, jedes nämlich ist dieselbe Substanz.
–
Hauptresultat: Die Identität,
welche wir zwischen dem Seinkönnenden und dem rein
Seienden setzen, ist nicht von der Art
derjenigen Einheit oder Verknüpfung, die zwischen Elementen stattfindet,
die Teile eines und desselben Ganzen sind; denn das,
was sein wird, ist nicht einem Teile nach das Seinkönnende
und einem andern Teile nach das rein Seiende, sondern das
ganze Subjekt oder die ganze Substanz ist das Seinkönnende, und dieselbe
ganze Substanz ist das rein Seiende, wie derselbe ganze Mensch der krank
sein Könnende und der gesund Seiende ist; umgekehrt also:
das Seinkönnende ist nicht ein Teil von
dem Ganzen, sondern es ist selbst das Ganze, und ebenso ist das rein Seiende
nicht ein Teil von dem Ganzen, sondern selbst das Ganze. S.204-222
Aus: F. W. J. Schelling Philosophie der Offenbarung, Erster Band, Wissenschaftliche
Buchgesellschaft Darmstadt