Arthur
Schopenhauer (1788 – 1860)
>>>Gott
Inhaltsverzeichnis
Alles, was wir eigentlich von
Jesus Christus wissen . . .
Sogar Jesus Christus hat ein
Mal die Unwahrheit gesagt
Die Bejahung und Verneinung des
Willens zum Leben im Christentum
Ist Christus
der ALLERVERNÜNFTIGSTE Mensch gewesen . . .
Ähnlichkeiten
zwischen Buddhismus und Christentum
Gott
Alles, was
wir eigentlich von Jesus Christus wissen . . .
... wie Alles, was wir von Jesus Christus eigentlich wissen, die Stelle im Tacitus
ist, (Annales lib. 15, cap.44)
Aus: Arthur Schopenhauer: Parerga und Paralipomena
, Kleine philosophische Schriften II (S.456), Sämtliche Werke, Band V,
suhrkamp taschenbuch wissenschaft 665
Tacitus:
Annalen XV, 44
Aber nicht menschliche Hilfe, nicht freigebige Spenden des Princeps oder Sühnemittel
für die Götter konnten das schlimme Gerücht aus der Welt schaffen,
der Brand sei auf Befehl gelegt worden. Und so schob Nero, um dieses Gerücht
zu ersticken, die Schuld auf andere und verhängte über die, die durch
ihr schändliches Gebaren verhaßt waren und im Volksmund ,,Christianer
hießen, die ausgesuchtesten Strafen. Dieser Name leitete sich von Christus
ab, der unter der Regierung des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus
hingerichtet worden war. Der für den Augenblick unterdrückte verhängnisvolle
Aberglaube griff von neuem um sich, nicht nur in Judäa, wo dieses Übel
entstanden war, sondern auch in Rom, wo alle Scheußlichkeiten und Abscheulichkeiten
aus der ganzen Welt zusammenströmen und freudigen Anklang finden. Und so
wurden zuerst die Personen verhaftet, die sich als Christen bekannten, dann
aufgrund von deren Aussagen ein weiterer großer Personenkreis, und sie
wurden nicht nur des Verbrechens der Brandstiftung, sondern auch des Hasses
gegen das Menschengeschlecht für schuldig befunden. Und mit den Todgeweihten
trieb man noch seinen Spott. Man hüllte sie in Tierhäute und ließ
sie von Hunden zerfleischen, oder sie wurden, ans Kreuz geschlagen und für
den Flammentod bestimmt, nach Tagesschluß als Beleuchtung für die
Nacht.
Aus: Tacitus, Annalen XI-XVI
Übersetzung und Anmerkungen von Walter Sontheimer
Reclams Universalbibliothek Nr. 2458 (S.191f.)
© !967 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages
Sogar
Jesus Christus hat ein Mal die Unwahrheit gesagt
... endlich daß sogar Jesus Christus ein Mal absichtlich die Unwahrheit
gesagt hat (Joh. 7, 8-11)
Aus: Arthur Schopenhauer, Kleinere Schriften (S.582)
Arthurs Schopenhauers Werke in fünf Bänden nach den Ausgaben letzter
Hand, herausgegeben von Ludger Lütkehaus, Band III
Veröffentlicht als Haffmans Taschenbuch 1123
Johannes
7, Vers 7 bis 11
07 Die Welt kann euch nicht hassen. Mich aber haßt
sie, denn ich bezeuge von ihr, daß ihre Werke böse sind
08 Geht ihr hinauf zum Fest! Ich will nicht hinaufgehen zu diesem Fest, denn
meine Zeit ist noch nicht erfüllt.
10 Das sagte er und blieb in Galiläa.
11 Als aber seine Brüder hinaufgegangen waren zum Fest, da ging auch er
hinauf, nicht öffentlich, sondern heimlich.
Die
Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben im Christentum
Nicht, dem Satz vom Grunde gemäß, die Individuen, sondern die Idee
des Menschen in ihrer Einheit betrachtend, symbolisiert die Christliche Glaubenslehre
die NATUR, die BEJAHUNG DES
WILLENS ZUM LEBEN, IM ADAM, dessen auf uns vererbte Sünde, d.h.
unsere Einheit mit ihm in der Idee, welche in der Zeit durch das Band der Zeugung
sich darstellt, uns Alle des Leidens und des ewigen Todes teilhaft macht: dagegen
symbolisiert sie die GNADE, die VERNEINUNG
DES WILLENS, die ERLÖSUNG, im menschgewordenen Gotte, der, als frei
von aller Sündhaftigkeit, d.h. von allein Lebenswillen, auch nicht, wie
wir, aus der entschiedensten Bejahung des Willens hervorgegangen seyn kann,
noch wie wir einen Leib haben kann, der durch und durch nur konkreter Wille
Erscheinung des Willens, ist; sondern von der reinen Jungfrau geboren, auch
nur einen Scheinleib hat. Dieses letztere nämlich nach den Doketen, d.i.
einigen hierin sehr konsequenten Kirchenvätern. Besonders lehrte es Appelles,
gegen welchen und seine Nachfolger sich Tertullian erhob. Aber auch selbst Augustinus
kommentirt die Stelle, Röm. 8, 3: »Deus
filium suum misit in similitudinem carnis peccati« [Gott
sandte seinen Sohn in Gestalt des sündigen Fleisches], also: »Non
enim caro peccati erat, quae non de carnali delectatione nata erat: sed tamen
inerat ei similitudo catnis pecati, quia mortalis caro erat«
[Es war nämlich nicht sündiges Fleisch, da es
nicht aus Fleischeslust geboren war: aber es besaß dennoch Ähnlichkeit
mit dem sündigen Fleische, da es ja sterbliches Fleisch war] (Liber
83, quaestion. qu. 66). Derselbe lehrt in seinem Werke, genannt
opus imperfectum, 1, 47, daß die Erbsünde Sünde und
Strafe zugleich sei. Sie sei schon in den neugeborenen Kindern befindlich, zeige
sich aber erst, wenn sie herangewachsen. Dennoch sei der Ursprung dieser Sünde
von dem Willen des Sündigenden herzuleiten. Dieser Sündigende sei
Adam gewesen; aber in ihm hätten wir alle existiert: Adam ward unglücklich
und in ihm seien wir alle unglücklich geworden. — Wirklich ist die
Lehre von der Erbsünde (Bejahung des Willens) und von der Erlösung
(Verneinung des Willens) die große Wahrheit, welche den Kern des Christentums
ausmacht; während das Übrige meistens nur Einkleidung und Hülle,
oder Beiwerk ist. Demnach soll man Jesum Christum stets Im Allgemeinen auffassen,
als das Symbol, oder die Personifikation, der Verneinung des Willens zum Leben;
nicht aber individuell, sei es nach seiner mythischen Geschichte in den Evangelien,
oder nach der ihr zum Grunde liegenden, mutmaßlichen, wahren. Denn weder
das Eine, noch das Andere wird leicht ganz befriedigen. Es ist bloß das
Vehikel jener ersteren Auffassung, für das Volk, als welches stets etwas
Faktisches verlangt. — Daß in neuerer Zeit das Christentum seine
wahre Bedeutung vergessen hat und in platten Optimismus ausgeartet ist, geht
uns hier nicht an.
Es ist ferner eine ursprüngliche und evangelische Lehre des Christentums,
welche Augustinus, mit Zustimmung der Häupter der Kirche, gegen die Plattheiten
der Pelagianer verteidigte, und welche von Irrtümern zu reinigen und wieder
hervorzuheben LUTHER zum Hauptziel seines Strebens machte, wie er dies in seinem
Buche »De servo arbitrio«
ausdrücklich erklärt, — die Lehre nämlich, daß der
WILLE NICHT FREI IST, sondern dem Hange zum Bösen
ursprünglich untertan; daher seine Werke stets sündlich und mangelhaft
sind und nie der Gerechtigkeit genug tun können; daß also endlich
keineswegs diese Werke, sondern der Glaube allein selig macht; dieser Glaube
selbst aber nicht aus Vorsatz und freiem Willen entsteht, sondern durch GNADENWIRKUNG,
ohne unser Zutun, wie von Außen auf uns kommt. — Nicht nur die vorhin
erwähnten, sondern auch dieses letztere echt evangelische Dogma gehört
zu denen, welche heut zu Tage eine rohe und platte Ansicht als absurd verwirft,
oder verdeckt, indem sie, trotz Augustin und Luther, dem Pelagianischen Hausmannsverstande,
welches eben der heutige Rationalismus ist, zugetan, gerade diese tiefsinnigen.
dem Christentum im engsten Sinn eigentümlichen und wesentlichen Dogmen
antiquiert, hingegen das aus dem Judentum stammende und beibehaltene, nur auf
dem historischen Wege dem Christentum verbundene Dogma allein festhält
und zur Hauptsache macht. — Wir aber erkennen in der oben erwähnten
Lehre die dem Resultat unserer Betrachtungen völlig übereinstimmende
Wahrheit. Wir sehen nämlich, daß die lichte Tugend und Heiligkeit
der Gesinnung ihren ersten Ursprung nicht in der überlegten Willkür
(den Werken), sondern in der Erkenntnis (dem Glauben) hat: gerade wie wir es
auch aus unserem Hauptgedanken entwickelten. Wären es die Werke, welche
aus Motiven und überlegtem Vorsatz entspringen, die zur Seligkeit führten;
so wäre die Tugend immer ein kluger, methodischer, weitsehender Egoismus;
man mag es drehen wie man will. — Der Glaube aber, welchem die Christliche
Kirche die Seligkeit verspricht, ist dieser: daß, wie wir durch den Sündenfall
des ersten Menschen der Sünde Alle teilhaft und dem Tode und Verderben
anheimgefallen sind, wir auch Alle nur durch die Gnade und Übernahme unserer
ungeheuern Schuld, durch den göttlichen Mittler, erlöst werden, und
zwar dieses ganz ohne unser (der Person) Verdienst; da Das, was aus dem absichtlichen
(durch Motive bestimmten) Tun der Person hervorgehen kann, die Werke, uns nimmermehr
rechtfertigen kann, durchaus und seiner Natur nach nicht, eben weil es ABSICHTLICHES,
durch ( Motive herbeigeführtes Tun, opus operatum
[verrichtetes Werk], ist. In diesem
Glauben liegt also zuvörderst, daß unser Zustand ein ursprünglich
und wesentlich heilloser ist, der ERLÖSUNG aus welchem wir bedürfen;
sodann daß wir selbst wesentlich dem Bösen angehören und ihm
so fest verbunden sind, daß unsere Werke nach dem Gesetze und der Vorschrift,
d.h. nach Motiven, gar nie der Gerechtigkeit genug tun, noch uns erlösen
können; sondern die Erlösung nur durch Glauben, d.i. durch eine veränderte
Erkenntnisweise, gewonnen wird, und dieser Glaube selbst nur durch die Gnade,
also wie von Außen, kommen kann: dies heißt, daß das Heil
ein unserer Person ganz fremdes ist, und deutet auf eine zum Heil notwendige
Verneinung und Aufgebung eben dieser Person. Die Werke, die Befolgung des Gesetzes
als solchen, können nie rechtfertigen, weil sie immer ein Handeln auf Motive
sind. LUTHER verlangt (im Buche »De libertate
Christiana«), daß, nachdem der Glaube eingetreten, die
guten Werke ganz von selbst aus ihm hervorgehen, als Symptome, als Früchte
desselben; aber durchaus nicht als an sich Anspruch auf Verdienst, Rechtfertigung,
oder Lohn machend, sondern ganz freiwillig und unentgeltlich geschehend. —
So ließen auch wir der immer klarer werdenden Durchschauung des principii
individuationis [das Prinzip der Indviduation, d.h,
der Existenzgrund der Einzelwesen] zuerst nur die freie Gerechtigkeit,
dann die Liebe, bis zum völligen Aufheben des Egoismus, und zuletzt die
Resignation, oder Verneinung des Willens, hervorgehen.
Aus: Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung
I, (S.520-524)
Arthurs Schopenhauers Werke in fünf Bänden nach den Ausgaben letzter
Hand, herausgegeben von Ludger Lütkehaus, Band I
Veröffentlicht als Haffmans Taschenbuch 1121
Wenn gleich das Christentum, im Wesentlichen, nur Das gelehrt
hat, was ganz Asien damals schon lange und sogar besser wußte; so war
dasselbe dennoch für Europa eine neue und große Offenbarung, in Folge
welcher daher die Geistesrichtung der Europäischen Völker gänzlich
umgestaltet wurde. Denn es schloß ihnen die metaphysische Bedeutung des
Daseins auf und lehrte sie demnach hinwegsehen über das enge, armselige
und ephemere Erdenleben, und es nicht mehr als Selbstzweck, sondern als einen
Zustand des Leidens, der Schuld, der Prüfung, des Kampfes und der Läuterung
betrachten, aus welchem man, mittelst moralischer Verdienste, schwerer Entsagung
und Verleugnung des eigenen Selbst, sich emporschwingen könne zu einem
bessern, uns unbegreiflichen Dasein. Es lehrte nämlich die große
Wahrheit der Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben, im Gewande der Allegorie,
indem es sagte, daß durch Adams Sündenfall der Fluch Alle getroffen
habe, die Sünde in die Welt gekommen, die Schuld auf Alle vererbt sei;
daß aber dagegen durch Jesu Opfertod Alle entsühnt seien, die Welt
erlöst, die Schuld getilgt und die Gerechtigkeit versöhnt. Um aber
die in diesem Mythos enthaltene Wahrheit selbst zu verstehen, muß man
die Menschen nicht bloß in der Zeit, als von einander unabhängige
Wesen betrachten, sondern die (Platonische) Idee des Menschen auffassen, welche
sich zur Menschenreihe verhält, wie die Ewigkeit an sich zu der zur Zeit
auseinandergezogenen Ewigkeit; daher eben die, in der Zeit, zur Menschenreihe
ausgedehnte ewige Idee MENSCH durch das sie verbindende Band der Zeugung auch
wieder in der Zeit als ein Ganzes erscheint. Behält man nun die Idee des
Menschen im Auge; so sieht man, daß Adams Sündenfall die endliche,
tierische, sündige Natur des Menschen darstellt, welcher gemäß
er eben ein der Endlichkeit, der Sünde, dem Leiden und dem Tode anheim
gefallenes Wesen ist. Dagegen stellt Jesu Christi Wandel, Lehre und Tod die
ewige, übernatürliche Seite, die Freiheit, die Erlösung des Menschen
dar. Jeder Mensch nun ist, als solcher und potentia,
sowohl Adam als Jesus, je nachdem er sich auffaßt und sein Wille
ihn danach bestimmt; in Folge wovon er sodann verdammt und dem Tode anheimgefallen,
oder aber erlöst ist und das ewige Leben erlangt. —
Aus: Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung
II, (S.729-730)
Arthurs Schopenhauers Werke in fünf Bänden nach den Ausgaben letzter
Hand, herausgegeben von Ludger Lütkehaus, Band II
Veröffentlicht als Haffmans Taschenbuch 1122
Ist
Christus der ALLERVERNÜNFTIGSTE Mensch gewesen . . .
Gemäß der Liebe zur architektonischen Symmetrie mußte die theoretische
Vernunft auch einen Pendant haben. Der inteflectus practicus
der Scholastik, welcher wieder abstammt vom vovg aqaxnxog [denn
die Vernunft ist einerseits praktisch, andererseits theoretisch] des
Aristoteles gibt das Wort an die Hand. Jedoch wird hier etwas ganz Anderes damit
bezeichnet, nicht wie dort die auf Technik gerichtete Vernunft; sondern hier
tritt die praktische Vernunft auf als Quell und Ursprung der unleugbaren ethischen
Bedeutsamkeit des menschlichen Handelns, so wie auch aller Tugend, alles Edelmuts
und jedes erreichbaren Grades von Heiligkeit. Dieses Alles demnach käme
aus bloßer VERNUNFT und erforderte nichts, als diese. Vernünftig
handeln und tugendhaft, edel, heilig handeln wäre Eines und dasselbe: und
eigennützig, boshaft, lasterhaft handeln wäre bloß unvernünftig
handeln. Inzwischen haben alle Zeiten, alle Völker, alle Sprachen beides
immer sehr unterschieden und gänzlich für zweierlei gehalten, wie
auch noch bis auf den heutigen Tag alle Die tun, welche von der Sprache der
neuem Schule nichts wissen, d.h. die ganze Welt mit Ausnahme eines kleinen Häufchens
Deutscher Gelehrten: jene alle verstehen unter einem tugendhaften Wandel und
einem vernünftigen Lebenslauf durchaus zwei ganz verschiedene Dinge. Daß
der erhabene Urheber der Christlichen Religion, dessen Lebenslauf uns als das
Vorbild aller Tugend aufgestellt wird, der ALLERVERNÜNFTIGSTE Mensch gewesen
wäre, würde man eine sehr unwürdige, wohl gar eine blasphemierende
Redensart nennen, und fast eben so auch, wenn gesagt würde, daß seine
Vorschriften nur die beste Anweisung zu einem ganz VERNÜNFTIGEN
LEBEN enthielten. Ferner daß, wer diesen Vorschriften gemäß,
statt an sich und seine eigenen zukünftigen Bedürfnisse zum voraus
zu denken, allemal nur dem größeren gegenwärtigen Mangel Anderer
abhilft, ohne weitere Rücksicht; ja, seine ganze Habe den Armen schenkt,
um dann, aller Hilfsmittel entblößt, hinzugeben, die Tugend, welche
er selbst geübt, auch Anderen zu predigen; dies verehrt Jeder mit Recht:
wer aber wagt es als den Gipfel der VERNÜNFTIGKEIT
zu preisen? Und endlich, wer lobt es als eine überaus VERNÜNFTIGE
Tat, daß Arnold von Winkelried, mit überschwänglichem
Edelmut, die feindlichen Speere zusammenfaßte, gegen seinen eigenen Leib,
um seinen Landsleuten Sieg und Rettung zu verschaffen?
Aus: Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung
I, (S.652-653)
Arthurs Schopenhauers Werke in fünf Bänden nach den Ausgaben letzter
Hand, herausgegeben von Ludger Lütkehaus, Band I
Veröffentlicht als Haffmans Taschenbuch 1121
Ähnlichkeiten
zwischen Buddhismus und Christentum
Eine ganz äußerliche
und zufällige Ähnlichkeit des Buddhaismus mit dem Christentum ist
die, daß er im Lande seiner Entstehung nicht herrschend ist, also Beide
sagen müssen: vates inpropriapatria
honore caret. [ein Prophet gilt nichts
in seinem eigenen Vaterlande, Johannes, 4, 44]
Wollte man, um jene Übereinstimmung mit den indischen
Lehren zu erklären, sich in allerlei Konjekturen ergehn; so könnte
man annehmen, daß der evangelischen Notiz von der Flucht nach Ägypten
etwas Historisches zum Grunde läge und daß Jesus,
von Ägyptischen Priestern, deren Religion indischen Ursprungs gewesen ist,
erzogen, von ihnen die indische Ethik und den Begriff des
Avatars [ind.:
Verkörperung eines Gottes auf Erden] angenommen hätte und nachher
bemüht gewesen wäre, solche daheim den jüdischen Dogmen anzupassen
und sie auf den alten Stamm zu pfropfen. Gefühl eigener moralischer und
intellektueller Überlegenheit hätte ihn endlich bewogen, sich selbst
für einen Avatar zu halten und demgemäß
sich des Menschen Sohn zu nennen, um anzudeuten, daß er mehr, als ein
bloßer Mensch sei. Sogar ließe sich denken, daß, beider Stärke
und Reinheit seines Willens, und vermöge der Allmacht,
die überhaupt dem Willen als Ding an sich zukommt und die wir aus dem animalischen
Magnetismus
und den diesem verwandten magischen Wirkungen kennen, er auch vermocht hätte,
sogenannte Wunder
zu tun, d.h. mittelst des metaphysischen Einflusses des Willens zu wirken; wobei
denn ebenfalls der Unterricht der Ägyptischen Priester ihm zu Statten gekommen
wäre. Diese Wunder hätten dann nachher die Sage vergrößert
und vermehrt. Denn ein eigentliches Wunder wäre
überall ein dementi, welches die Natur sich selber gäbe.
Inzwischen wird es uns nur unter
Voraussetzungen solcher Art einigermaßen erklärlich, wie
Paulus, dessen Hauptbriefe doch wohl echt sein müssen,
einen damals noch so kürzlich, daß noch viele Zeitgenossen desselben
lebten, Verstorbenen ganz ernstlich als inkarnierten Gott und als Eins mit dem
Weltschöpfer darstellen kann; indem doch sonst ernstlich gemeinte Apotheosen
[Erhebung eines Menschen zu Gott]
dieser Art und Größe vieler Jahrhunderte bedürfen, um
allmählich heranzureifen.
Daß überhaupt unsern Evangelien irgend ein
Original, oder wenigstens Fragment, aus der Zeit und Umgebung Jesu
selbst zum Grunde liege, möchte ich schließen gerade aus der
so anstößigen Prophezeiung des Weltendes und der glorreichen Wiederkehr
des Herrn in den Wolken, welche Statt haben soll, noch bei Lebzeiten Einiger,
die bei der Verheißung gegenwärtig waren. Daß nämlich
diese Verheißungen unerfüllt geblieben, ist ein überaus verdrießlicher
Umstand, der nicht nur in späteren Zeiten Anstoß gegeben, sondern
schon dem Paulus und Petrus
Verlegenheiten bereitet hat, welche in des Reimarus
sehr lesenswertem Buche »vom Zwecke Jesu
und seiner Jünger« §§.42—44 ausführlich
erörtert sind. Wären nun die Evangelien, etwa hundert Jahre später,
ohne vorliegende gleichzeitige Dokumente verfaßt; so würde man sich
wohl gehütet haben, dergleichen Prophezeiungen hinein zu bringen, deren
so anstößige Nichterfüllung damals schon am Tage lag. Eben so
wenig würde man in die Evangelien alle jene Stellen hineingebracht haben,
aus welchen Reimarus sehr scharfsinnig Das konstruiert,
was er das Erste System der Jünger nennt und wonach ihnen Jesus
nur ein weltlicher Befreier der Juden war; wenn nicht die Abfasser der
Evangelien auf Grundlage gleichzeitiger Dokumente gearbeitet hätten, die
solche Stellen enthielten.
Denn sogar eine bloß mündliche Tradition unter
den Gläubigen würde Dinge, die dem Glauben Ungelegenheiten bereiteten,
haben fallen lassen. Beiläufig gesagt, hat Reimarus
unbegreiflicherweise die seiner Hypothese vor allen
andern günstige Stelle Joh. 11, 48
übersehn, insgleichen auch Matth.27,
V. 28—30; Luk.23, V. 1—4, 37, 38. und
Joh. 19, V. 59—22.
Wollte man aber diese Hypothese ernstlich geltend machen
und durchführen; so müßte man annehmen, daß der religiöse
und moralische Gehalt des Christentums von alexandrinischen, der indischen und
Buddhaistischen Glaubenslehren kundigen Juden zusammengestellt und dann ein
politischer Held, mit seinem traurigen Schicksale, zum Anknüpfungspunkt
derselben gemacht sei, indem man den ursprünglich irdischen Messias in
einen himmlischen umschuf. Allerdings hat Dies sehr viel gegen sich.
Aus: Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena
II, (S.336-337)
Arthurs Schopenhauers Werke in fünf Bänden nach den Ausgaben letzter
Hand, herausgegeben von Ludger Lütkehaus, Band V
Veröffentlicht als Haffmans Taschenbuch 1125