Baruch (Benedictus) Spinoza (1632 – 1677)




In Amsterdam geborener jüdischer Philosoph,
der aus einer
portugiesischen Familie stammte und bei der Amsterdamer jüdischen Gemeinde die übliche biblisch-talmudische Ausbildung durchlief. 1656 wurde Spinoza wegen seiner abweichenden Lehren ausgeschlossen. Spinoza hatte Verbindung mit Robert Boyle, Christiaan Huyghens und Gottfried Wilhelm Leibniz. Unter dem Einfluss der jüdischen und christlichen Scholastik, der Stoa und des Neuplatonismus, der Renaissancephilosophie (Giordano Bruno) und v. a. des Rationalismus (René Descartes), schuf Spinoza einen pantheistischen Substanzmonismus. Seine Metaphysik, Anthropologie, Erkenntnis- und Affektenlehre entwickelte er in erster Linie in dem 1662 entstandenen Hauptwerk: »Ethica ordine geometrico demonstrata« (Ethik, nach geometrischer Methode dargestellt). Danach ist Gott die einzige, unteilbare, unendliche Substanz; ihr kommen unendlich viele Attribute zu, von denen nur Denken und Ausdehnung erkennbar sind. Gott und die Natur als schaffendes (natura naturans) und als Seinsprinzip (natura naturata) sind ein und dasselbe (Deus sive natura; Pantheismus), da alles, was ist, aus der einen Substanz notwendig folgt. Alle endlichen Erscheinungen (Dinge und Ideen) sind Modi (Daseinsweisen) der einen Substanz. Als Ursache seiner selbst
(causa sui) ist Gott zugleich die »innebleibende« Ursache aller Dinge. Ein jenseitiger Gott lässt sich daher ebenso wenig denken wie ein der absoluten Substanz nicht integriertes [Einordnung eines Gliedes in ein Ganzes] Ding. Die Grundlage der spinozischen Ethik ist die Affektenlehre, die sich auf die Idee der Selbsterhaltung gründet. Das Streben nach dieser ist das Fundament der Tugend. Höchstes Gut und höchste Tugend ist die geistige Liebe zu Gott (amor Dei intellectualis), die zugleich für den Menschen die höchste Seligkeit darstellt. Spinozas Gedanken beeindruckten nicht nur die Philosophie des Deutschen Idealismus und der Romantik zutiefst, sondern u. a. auch Goethe und Schiller.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Aus: Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt

Erster Teil, Zweiter Teil

Bemerkenswertes aus den Briefen
Über das Verhältnis zwischen Gott, Attribut und Substanz,
Über Definition, Erfahrung und ewige Wahrheiten,
Über das Wesen von Substanz, Modus, Ewigkeit, Dauer und Unendlichem,
Verursacht Gott das Böse und an was findet er Wohlgefallen oder Mißfallen,
Der menschliche Geist ist Teil eines unendlichen Verstandes,
Gott ist das einzige Wesen, das notwendig existieren muss,
Die Welt ist nicht durch Zufall entstanden,
Gott selbst können wir uns nicht vorstellen, aber an seinen Attributen erkennen
Wie Gott aus freier Notwendigkeit handelt und die menschliche Willensfreiheit nur in der Einbildung besteht,
Über pantheistische Weltsicht, Wunder und Jesus Christus

Über das Buch Hiob Theologisch-politischer Traktat

Christus
Die Weisheit Gottes hat in Christo menschliche Natur angenommen
Der Mund Gottes
Der Lehrer des Sittengesetzes


Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt
ETHIK - Erster Teil
Definitionen
6. Unter Gott verstehe ich das unbedingt unendliche Wesen, d.h. die Substanz, welche aus unendlich vielen Attributen besteht, von denen ein jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt

Erläuterung: Ich sage »unbedingt« und nicht »in seiner Gattung« unendlich. Denn von dem nur in seiner Gattung Unendlichen können wir unendlich viele Attribute verneinen; zur Wesenheit des unbedingt Unendlichen aber gehört alles, was Wesenheit ausdrückt und keinerlei Verneinung in sich schließt. (S.4 I . Teil)

Lehrsätze
L e h r s a t z 11. Gott oder die Substanz, welche aus unendlich vielen Attributen besteht, deren jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, existiert notwendig. (S.11 I . Teil)

L e h r s a t z 14. Außer Gott kann es eine Substanz weder geben, noch kann eine solche begriffen werden.

B e w e i s. Da Gott das unbedingt unendliche Wesen ist, von dem (nach Definition 6) kein Attribut, das die Wesenheit einer Substanz ausdrückt, verneint werden kann, und da Gott (nach Lehrsatz 11) notwendig existiert, so müßte eine Substanz außer Gott, wenn es eine solche gäbe, durch irgend ein Attribut Gottes erklärt werden, und dann würden zwei Substanzen von dem selben Attribut existieren, was (nach Lehrsatz 5) ungereimt ist; und demnach kann keine Substanz außerhalb Gottes sein, und folglich auch keine begriffen werden. Denn könnte sie begriffen werden, so müßte sie notwendig als existierend begriffen werden; das ist aber (nach dem ersten Teil dieses Beweises) ungereimt. Also kann außerhalb Gottes keine Substanz sein und keine begriffen werden. W. z. b. w.

F o l g e s a t z 1: Hieraus folgt ganz klar, z. daß Gott einzig ist, das heißt (nach Definition 6), daß es in der Natur der Dinge nur Eine Substanz gibt, und daß diese unbedingt unendlich ist, wie wir in der Anmerkung zu Lehrsatz 10 schon angedeutet haben.

F o l g e s a t z 2: Es folgt 2., daß ein ausgedehntes Ding und ein denkendes Ding entweder Attribute Gottes sind, oder (nach Grundsatz 1) Affektionen von Attributen Gottes
. (S.15-16 I . Teil)

L e h r s a t z 15. Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein noch begriffen werden.

B e w e i s . Außer Gott gibt es (nach Lehrsatz 4) keine Substanz und kann keine begriffen weiden, das heißt (nach Definition 3), kein Ding, das in sich ist und durch sich begriffen wird. Modi [Daseinsformen] aber können (nach Definition 5) ohne eine Substanz weder sein noch begriffen werden; sie können mithin nur in der göttlichen Natur sein und nur durch sie begriffen werden. Nun gibt es (nach Grundsatz 1) nichts als Substanzen und Modi. Folglich kann nichts ohne Gott sein oder begriffen werden. W. z. b. w.

A n m e r k u n g . Manche bilden sich ein, Gott bestehe wie der Mensch aus Körper und Seele, und sei den Leidenschaften unterworfen; aus dem bisher Bewiesenen geht indessen zur Genüge hervor, wie weit sie von der wahren Erkenntnis Gottes entfernt sind. Doch gehe ich auf sie nicht weiter ein: denn alle, die über die göttliche Natur ein wenig nachgesonnen haben, verneinen die Körperlichkeit Gottes. Sie beweisen das auch sehr gut damit, daß man unter Körper stets eine Größe versteht, die lang, breit und tief und durch eine bestimmte Gestalt begrenzt ist, was von Gott, als dem unbedingt unendlichen Wesen auszusagen, so ungereimt wäre, wie nur möglich. (S.16 I . Teil)

L e h r s a t z 16. Aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur muß unendlich vieles auf unendlich viele Weisen folgen (d.h. alles, was Objekt des unendlichen Verstandes sein kann)

B e w e i s. Dieser Lehrsatz muß jedem einleuchten, der bedenkt, daß der Verstand aus der gegebenen Definition eines jeden Dinges mehrere Eigenschaften erschließt, die in der Tat aus ihr (das heißt aus der Wesenheit des Dinges) notwendig folgen, und um so mehr Eigenschaften, je mehr Realität die Definition des Dinges ausdrückt, das heißt je mehr Realität die Wesenheit des definierten Dinges in sich schließt. Da nun die göttliche Natur (nach Definition 6) unbedingt unendlich viele Attribute hat, deren jedes wieder unendliche Wesenheit in seiner Gattung ausdrückt, so muß folglich aus ihrer Notwendigkeit unendlich vieles auf unendlich viele Weisen (das heißt alles, was Objekt des unendlichen Verstandes sein kann) notwendig folgen.. W. z. b. w.

Folgesatz 1: Hieraus folgt, daß Gott die bewirkende Ursache aller Dinge ist, die Objekt des unendlichen Verstandes sein können.

Folgesatz 2: Es folgt zweitens, dass Gott Ursache durch sich ist, nicht Ursache durch Zufall.

Folgesatz 3: Es folgt drittens, dass Gott die unbedingt erste Ursache ist. (S.21 I . Teil)

Lehrsatz 17. Gott handelt nur nach den Gesetzen seiner Natur und von niemand gezwungen.

B e w e i s. Daß allein aus der göttlichen Natur oder (was das selbe ist) allein aus den Gesetzen der göttlichen Natur unendlich vieles unbedingt folge, haben wir soeben im Lehrsatz 16 gezeigt; und im Lehrsatz 15 haben wir bewiesen, daß nichts ohne Gott sein noch begriffen werden könne, sondern daß alles in Gott sei; deswegen kann nichts außerhalb Gottes sein, wovon er zum Handeln bestimmt oder gezwungen würde, und folglich handelt Gott allein nach den Gesetzen seiner Natur und von niemandem gezwungen. W. z. b. w.

Folgesatz 1:
Hieraus folgt erstens, daß es keine Ursache gibt, die Gott von außen oder von innen zum Handeln antreibt, außer der Vollkommenheit seiner Natur.

Folgesatz 2:
Es folgt zweitens, daß Gott allein eine freie Ursache ist. Denn nur Gott allein existiert (nach Lehrsatz 11 und Folgesatz 1 zu Lehrsatz 14) kraft der bloßen Notwendigkeit seiner Natur, und nur er handelt (nach dem vorigen Lehrsatz) kraft der bloßen Notwendigkeit seiner Natur. Und folglich ist (nach Definition 7) nur er allein eine freie Ursache. W. z. b. w. (S.21-22 I . Teil)

Lehrsatz 18. Gott ist die inbleibende, aber nicht die übergehende Ursache aller Dinge.


B e w e i s . Alles, was ist, ist (nach Lehrsatz 15) in Gott und muß durch Gott begriffen werden, und folglich ist (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 16) Gott die Ursache der Dinge, die in ihm sind, was das erste ist. Sodann kann es außerhalb Gottes (nach Lehrsatz 14) keine Substanz geben , das heißt (nach Definition 3) kein Ding, das außerhalb Gottes in sich ist. Gott ist also die inbleibende Ursache aller Dinge, aber nicht die übergehende. (S.24-25 I . Teil)

Lehrsatz 19.
Gott oder alle Attribute Gottes sind ewig.


B e w e i s. Gott ist nämlich (nach Definition 6) die Substanz, die (nach Lehrsatz 11) notwendig existiert, das heißt (nach Lehrsatz 7) zu deren Natur es gehört, zu existieren, oder (was das selbe ist) aus deren Definition das Existieren selbst folgt; und somit ist er (nach Definition 8) ewig. Unter Gottes Attributen sodann ist das zu verstehen, was (nach Definition 4) die Wesenheit der göttlichen Substanz ausdrückt, das heißt das, was zur Substanz gehört: genau das, sage ich, müssen die Attribute selbst in sich schließen. Nun aber gehört zur Natur der Substanz (wie ich eben auf Grund von Lehrsatz 7 bewiesen habe) die Ewigkeit; folglich muß ein jedes ihrer Attribute die Ewigkeit in sich schließen, und somit sind alle ewig. W. z. b. w.
(S.25 I . Teil)

L e h r s a t z 20. Die Existenz Gottes und seine Wesenheit sind ein und dasselbe.

B e w e i s. Gott und seine sämtlichen Attribute sind (nach dem vorigen Lehrsatz) ewig, das heißt (nach Definition 8) jedes seiner Attribute drückt Existenz aus. Die selben Attribute Gottes, die (nach Definition 4) das Gottes ewige Wesenheit darstellen, stellen somit zugleich seine ewige Existenz dar; das heißt eben das, was Gottes Wesenheit ausmacht, macht zugleich seine Existenz aus, und folglich ist diese und seine Wesenheit ein und das selbe. W. z. b. w.

F o l g e s a t z 1 :
Hieraus folgt erstens, daß Gottes Existenz wie seine Wesenheit eine ewige Wahrheit ist.

F o l g e s a t z 2 : Es folgt zweitens, daß Gott oder alle Attribute Gottes unveränderlich sind. Denn wenn sie sich hinsichtlich ihrer Existenz veränderten, müßten sie sich auch (nach dem vorigen Lehrsatz) hinsichtlich ihrer Wesenheit verändern, das heißt (wie sich von selbst versteht) aus wahren falsche werden, was ungereimt ist
. (S.25-26 I . Teil)

L e h r s a t z 24. Die Wesenheit der von Gott hervorgebrachten Dinge schließt die Existenz nicht ein.


B e w e i s . Dies erhellt aus Definition 1. Denn ein Ding, dessen Natur (für sich betrachtet) die Existenz einschließt, ist Ursache seiner selbst, und existiert allein infolge der Notwendigkeit seiner Natur.

F o l g e s a t z : Hieraus folgt, daß Gott nicht nur die Ursache dafür ist, daß die Dinge zu existieren anfangen, sondern auch dafür, daß sie im Existieren beharren, oder (um mich eines scholastischen Ausdrucks zu bedienen), daß Gott die Ursache des Seins der Dinge ist. Denn, ob die Dinge nun existieren oder ob sie nicht existieren, wir finden, so oft wir ihre Wesenheit betrachten, daß diese weder Existenz noch Dauer in sich schließt, und folglich kann ihre Wesenheit weder die Ursache ihrer Existenz, noch die Ursache ihrer Dauer sein, sondern nur Gott, zu dessen Natur allein (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 14) die Existenz gehört. (S.28 I . Teil)

L e h r s a t z 25. Gott ist nicht nur die bewirkende Ursache der Existenz, sondern auch der Wesenheit der Dinge.

B e w e i s .
Verneint man dieses, so wäre demnach Gott nicht die Ursache der Wesenheit der Dinge; und somit könnte (nach Grundsatz 4) die Wesenheit der Dinge ohne Gott begriffen werden: aber das ist ungereimt. Folglich ist Gott die Ursache auch der Wesenheit der Dinge. W. z. b. w. (S.28-29 I . Teil)

L e h r s a t z 29. In der Natur der Dinge gibt es nichts Zufälliges, sondern alles ist kraft der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken.

B e w e i s . Alles, was ist, ist (nach Lehrsatz 15) in Gott: Gott aber kann nicht ein zufälliges Ding genannt werden, denn er existiert (nach Lehrsatz 11) notwendig und nicht zufällig. Die Modi [Daseinsformen] der göttlichen Natur sind (nach Lehrsatz 16) aus ihr ebenfalls notwendig und nicht zufällig gefolgt; und zwar entweder sofern die göttliche Natur (nach Lehrsatz 21) unbedingt oder sofern sie (nach Lehrsatz 22) als auf gewisse Weise modifiziert betrachtet wird. Ferner ist Gott nicht nur (nach Folgesatz zu Lehrsatz 24) die Ursache dieser Modi, sofern sie einfach existieren, sondern auch (nach Lehrsatz 26), sofern sie als zu irgendeinem Wirken bestimmt betrachtet werden. Wenn sie (nach dem selben Lehrsatz) von Gott nicht bestimmt worden sind, ist es unmöglich und nicht zufällig, daß sie sich selbst zu nicht bestimmten, und umgekehrt, wenn sie von Gott bestimmt sind, so ist es unmöglich, nicht bloß zufällig, daß sie sich zu nicht bestimmten machen. Demnach ist alles kraft der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, nicht nur überhaupt zu existieren, sondern auch, um auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken, und es gibt nichts Zufälliges. W. z. b. w. (S.31-32 I . Teil)

L e h r s a t z 32. Der Wille kann nicht eine freie Ursache genannt werden, sondern nur notwendige.

B e w e i s : Der Wille ist nur ein gewisser Modus des Denkens, wie der Verstand; und daher kann jedes einzelne Wollen (nach Lehrsatz 28) nur dann existieren und zum Wirken bestimmt werden, wenn es von einer anderen Ursache bestimmt wird und diese wiederum von einer andern und so weiter ins Unendliche. Nimmt man den Willen als unendlich an, so muß er ebenfalls zum Existieren und Wirken bestimmt werden, und zwar von Gott; nicht sofern er die unbedingt unendliche Substanz ist, sondern (nach Lehrsatz 23) sofern er das Attribut hat, das die unendliche und ewige Wesenheit des Denkens ausdrückt. Wie der Wille also auch begriffen werden mag, ob als endlich oder als unendlich, in jedem Fall erfordert er eine Ursache, durch die er zum Existieren und Wirken bestimmt wird; und folglich kann er (nach Definition 7) nicht eine freie Ursache genannt werden, sondern nur notwendige oder gezwungene. W. z. b. w.

F o l g e s a t z 1 : Hieraus folgt erstens, daß Gott nicht aus Freiheit des Willens handelt.

F o l g e s a t z 2 : Es folgt zweitens, daß sich Wille und Verstand zur Natur Gottes ebenso verhalten wie Bewegung und Ruhe, und überhaupt wie alle Naturdinge, die ja (nach Lehrsatz 29) alle von Gott bestimmt werden müssen, auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken. Denn der Wille bedarf, wie alles Übrige, einer Ursache, durch die er bestimmt wird, auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken. Und wenn auch aus einem gegebenen Willen oder Verstand unendlich vieles folgt, so kann man deswegen doch nicht sagen, dass Gott aus Freiheit des Willen handle, so wenig wie man der Folgen aus Bewegung und Ruhe halber (denn auch aus diesen folgt unendlich vieles) sagen kann, Gott handle aus Freiheit der Bewegung und Ruhe. Demnach gehört der Wille nicht mehr zu Gottes Natur, wie die übrigen Naturdinge, verhält sich zu ihr genauso wie Bewegung und Ruhe und alles übrige, was, wie ich gezeigt habe, aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgt und von ihr bestimmt wird, auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken. (S.33-34 I . Teil)

L e h r s a t z 33. Die Dinge konnten auf keine andere Weise und in keiner andern Ordnung von Gott hervorgebracht werden, als sie hervorgebracht sind.

B e w e i s : Alle Dinge sind nämlich aus der gegebenen Natur Gottes (nach Lehrsatz 16) notwendig gefolgt und kraft der Notwendigkeit der Natur Gottes (nach Lehrsatz 29) be¬stimmt, auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken. Wenn die Dinge daher von anderer Natur sein oder auf andere Weise zum Wirken hätten bestimmt werden können, so daß die Ordnung der Natur eine andere wäre, so könnte auch die Natur Gottes eine andere sein, als sie jetzt ist; und mithin müßte dann (nach Lehrsatz 11) diese andere ebenfalls existieren, und folglich könnte es zwei oder mehr Götter geben, was (nach Folgesatz 1 zu Lehrsatz 14) ungereimt ist. Demnach konnten die Dinge auf keine andere Weise und in keiner anderen Ordnung usw. W. z. b. w. (S.34-35 I . Teil)

L e h r s a t z 34 . Die Macht Gottes ist seine Wesenheit selbst.

B e w e i s : Denn aus der bloßen Notwendigkeit seiner Wesenheit folgt nämlich, daß Gott (nach Lehrsatz 11) Ursache seiner selbst und (nach Lehrsatz 16 und dessen Folgesatz) aller Dinge ist. Folglich ist die Macht Gottes, kraft deren er selbst und alles ist und handelt, seine Wesenheit selbst. (S.38-39 I . Teil)

L e h r s a t z 35. Alles, von dem wir begreifen, daß es in Gottes Gewalt besteht, ist mit Notwendigkeit.

B e w e i s : Alles nämlich, was in Gottes Gewalt steht, muß (nach dem vorigen Lehrsatz) in seiner Wesenheit so einbegriffen sein, daß es daraus notwendig folgt; und demnach ist es mit Notwendigkeit. W. z. b. w. (S.39 I . Teil)

L e h r s a t z 36. Es existiert nichts, aus dessen Natur nicht eine Wirkung folgte

B e w e i s : Alles, was existiert, drückt (nach Folgesatz zu Lehrsatz 25) die Natur oder die Wesenheit Gottes auf gewisse und bestimmte Weise aus , das heißt (nach Lehrsatz 34) alles, was existiert, drückt die Macht Gottes, die aller Dinge Ursache ist, auf gewisse und bestimmte Weise aus; und demnach muß (nach Lehrsatz 16) aus allem irgendeine Wirkung folgen. W. z. b. w.
(S.39 I . Teil)

ETHIK - Zweiter Teil
L e h r s a t z 1. Das Denken ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein denkendes Ding.

B e w e i s :
Die einzelnen Gedanken, oder dieser und jener Gedanke, sind (nach Folgesatz zu Lehrsatz 25 des I. Teils) Modi, die Gottes Natur auf gewisse und bestimmte Weise ausdrücken. Demnach kommt Gott (nach Definition 5 des 1. Teils) ein Attribut zu, dessen Begriff alle einzelnen Gedanken in sich schließen, und durch das sie auch begriffen werden. Folglich ist das Denken eins von den unendlich vielen Attributen Gottes, das Gottes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt (siehe Definition 6 des I. Teils) oder Gott ist ein denkendes Ding. W. z. b. w.

A n m e r k u n g : Dieser Lehrsatz erhellt auch daraus, daß wir den Begriff eines unendlichen denkenden Wesens bilden können. Nämlich je mehreres ein denkendes Wesen denken kann, desto mehr Realität oder Vollkommenheit enthält es nach unseren Begriffen. Ein Wesen also, das un¬endlich vieles auf unendlich viele Weisen denken kann, ist notwendig an Kraft des Denkens unendlich. Da wir sonach, indem wir das Denken allein ins Auge fassen, den Begriff eines unendlichen Wesens bilden, so ist das Denken (nach Definition 4 und 6 des I. Teils) notwendig eins von den unendlich vielen Attributen Gottes, wie wir wollten. (S.51-52 II . Teil)

L e h r s a t z 2. Die Ausdehnung ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein ausgedehntes Ding.

B e w e i s : Der Beweis dieses Satzes wird ebenso geführt wie der des vorigen. (S.52 II . Teil)

L e h r s a t z 3. In Gott gibt es notwendig eine Idee von seiner Wesenheit und von allem, was aus seiner Wesenheit notwendig folgt.

B e w e i s : Gott kann nämlich (nach Lehrsatz 1 dieses Teils) unendlich vieles auf unendlich viele Weisen denken, oder (was (nach Lehrsatz 16 des I. Teils das selbe ist) er kann die Idee von seiner Wesenheit und von allein bilden, was notwendig aus dieser folgt. Alles aber, was in Gottes Gewalt steht, ist mit Notwendigkeit (nach Lehrsatz 35 des I. Teils). Folglich gibt es notwendig eine solche Idee und (nach Lehrsatz 15 des I. Teils) nur in Gott. W. z. b. w.

A n m e r k u n g : Die große Menge versteht unter Gottes Macht Gottes freien Willen und sein Recht auf alles, was ist, was deswegen gemeiniglich als zufällig angesehen wird. Denn man sagt, Gott habe die Gewalt, alles zu zerstören und in Nichts zu verwandeln. Ferner vergleicht man sehr oft Gottes Macht mit der Macht der Könige. In den Folgesätzen 1 und 2 zu Lehrsatz 32 des I. Teils haben wir dies jedoch widerlegt und in Lehrsatz 16 des I. Teils gezeigt, daß Gott mit der selben Notwendigkeit handelt, mit der er sich selbst erkennt, das heißt: so wie aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgt (wie alle einstimmig annehmen), daß Gott sich selbst erkennt, so folgt auch mit der selben Notwendigkeit, daß Gott unendlich vieles auf unendlich viele Weisen tut. Sodann haben wir im Lehrsatz 34 des I. Teils gezeigt, daß Gottes Macht nichts sonst sei als Gottes tätige Wesenheit, und daher ist es uns ebenso unmöglich zu denken, Gott handle nicht, als Gott sei nicht. Wenn ich dies weiter verfolgen dürfte, könnte ich hier zeigen, daß jene Macht, die die große Menge Gott andichtet, nicht nur eine bloß menschliche ist (was zeigt, daß die große Menge Gott nur als Menschen oder nach dem Bilde eines Menschen begreift), sondern sogar Ohnmacht einschließt. (S.52-53 II . Teil)
Aus: Baruch de Spinoza, Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt, Philosophische Bibliothek Band 92, Felix Meiner Verlag, Hamburg

Bemerkenswertes aus den Briefen
Über das Verhältnis zwischen Gott , Attribut und Substanz
2. Brief: An Heinrich Oldenburg (16. August 1661)
[...] Ich will also beginnen, kurz von Gott zu sprechen. Ich definiere ihn als ein Wesen, das aus unendlichen Attributen besteht, von denen jedes unendlich ist oder, in seiner Art, höchst vollkommen. Dabei ist zu bemerken, daß ich unter Attribut alles das verstehe, was durch sich und in sich begriffen wird, so daß sein Begriff nicht den Begriff eines anderen Dinges in sich schließt. So wird z. B. die Ausdehnung durch sich und in sich begriffen; dagegen die Bewegung nicht, denn sie wird in einem anderen begriffen und ihr Begriff schließt die Ausdehnung in sich. Daß aber die obige Definition von Gott die richtige ist, geht daraus hervor, daß wir unter Gott das höchst vollkommene und schlechthin unendliche Wesen verstehen. Daß aber ein solches Wesen existiert, ist leicht aus dieser Definition zu beweisen; da es aber hier nicht am Platze ist, will ich den Beweis übergehen.

Was ich aber hier beweisen muß, um Ihrer ersten Frage Genüge zu tun, ist das Folgende.

Erstens, daß in der Natur der Dinge keine zwei Substanzen existieren können, ohne daß sie ihrem ganzen Wesen nach verschieden wären.

Zweitens, daß eine Substanz nicht hervorgebracht werden kann, sondern daß es vielmehr zu ihrem Wesen gehört zu existieren.

Drittens, daß jede Substanz unendlich oder, in ihrer Art, höchst vollkommen sein muß.

Ist dies bewiesen, so werden Sie, sehr geehrter Herr, leicht einsehen können, wohin ich ziele, wenn Sie nur dabei meine Definition von Gott im Auge behalten; darum werde ich nicht ausführlicher darüber zu reden brauchen. Um es aber klar und kurz zu beweisen, habe ich nichts Besseres finden können, als es auf geometrische Art darzutun und Ihrer Kritik zu unterbreiten. Ich schicke es Ihnen darum hier als Beilage und sehe Ihrem Urteil darüber entgegen. S.3f. [...]

Über Definition, Erfahrung und ewige Wahrheiten
10. Brief an Simon de Vries (Frühjahr 1663)
Sie fragen mich, ob wir der Erfahrung bedürfen, um zu wissen, ob die Definition eines Attributes richtig ist. Darauf erwidere ich, daß wir der Erfahrung nur bedürfen bei solchem, was sich aus der Definition eines Dinges nicht erschließen läßt, wie z. B. die Existenz der Modi, die ja aus der Definition eines Dinges nicht erschlossen werden kann, nicht aber bei solchem, dessen Existenz von seinem Wesen nicht unterschieden ist und darum aus seiner Definition erschlossen wird. Ja keine Erfahrung wird uns jemals einen Aufschluß darüber geben können, denn die Erfahrung lehrt nichts über das Wesen der Dinge; das Höchste, was sie bewirken kann, ist, daß sie unseren Geist bestimmt, bloß über bestimmte Wesenheiten der Dinge nachzudenken. Da aber die Existenz der Attribute von ihrem Wesen nicht unterschieden ist, so werden wir ihr auch durch keine Erfahrung nahe kommen können.

Sie fragen weiter, ob auch die Dinge oder die Affektionen der Dinge ewige Wahrheiten sind? Ich sage: ja. Wenn Sie mir entgegenhalten, warum ich sie nicht ewige Wahrheiten nenne, so erwidere ich: um sie nach allgemeinem Gebrauch zu unterscheiden von solchen Wahrheiten, die nicht ein Ding oder die Affektion eines Dinges erklären, wie z. B. der Satz: »Aus nichts wird nichts.« Diese und ähnliche Lehrsätze werden eben schlechthin ewige Wahrheiten genannt, womit man nichts anderes zum Ausdruck bringen will, als daß sie ihren Sitz nicht außerhalb des Geistes haben usw. S.40f.

Über das Wesen von Substanz, Modus, Ewigkeit, Dauer und Unendlichem
12. Brief an Ludwig Meyer (20. April 1663)
[...] Die Frage über das Unendliche ist allen stets sehr schwierig, ja unlösbar erschienen, und zwar aus dem Grunde, weil man nicht unterschied zwischen dem, was seiner Natur zufolge oder vermöge seiner Definition sich als unendlich darstellt, und dem, was keine Grenzen hat, aber nicht vermöge seines Wesens, sondern vermöge seiner Ursache; ferner aus dem Grunde, weil man auch keinen Unterschied machte zwischen dem, was unendlich heißt, weil es keine Grenzen hat, und dem, dessen Teile wir, auch wenn es begrenzt ist und wir sein Maximum und sein Minimum haben, nicht mit irgendeiner Zahl vergleichen und durch sie erklären können; endlich aus dem Grunde, weil man keinen Unterschied gemacht hat zwischen dem, was wir allein erkennen, aber uns nicht vorstellen können, und dem, was wir uns auch vorstellen können. Hätte man, sage ich, darauf acht gehabt, dann wäre man nicht, wie aus dem gleich zu Sagenden erhellen wird, in eine solche Menge von Schwierigkeiten geraten. Denn dann hätte man klar eingesehen, welches Unendliche in keine Teile zerlegt werden oder keine Teile haben kann, welches dagegen wohl und ohne Widerspruch. Dann hätte man ferner eingesehen, welches Unendliche ohne Widerspruch größer als ein anderes gedacht werden kann und welches nicht. Dies wird aus dem sogleich zu Sagenden klar hervorgehen.

Damit dies leichter geschehen kann, muß ich aber zuvor diese vier Begriffe kurz auseinandersetzen: Substanz, Modus, Ewigkeit und Dauer.

Was ich von der Substanz bemerken will, ist:

erstens, daß zu ihrem Wesen die Existenz gehört, d. h. daß es bloß aus ihrem Wesen und ihrer Definition folgt, daß sie existiert, wie ich Ihnen schon früher, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, mündlich und ohne die Hilfe anderer Lehrsätze bewiesen habe;

zweitens, was aus dem ersten folgt, daß die Substanz nicht mehrfach, sondern daß nur eine einzige von derselben Natur existiert;

drittens endlich, daß jede Substanz nicht anders als unendlich gedacht werden kann.

Die Affektionen der Substanz nenne ich Modi; ihre Definition kann, sofern sie nicht die Definition der Substanz selber ist, keine Existenz in sich schließen. Darum können wir sie auch, wenn sie gleich existieren, doch als nicht existierend denken. Daraus folgt weiter, daß wir, sobald wir bloß das Wesen der Modi, aber nicht die Ordnung der ganzen Natur ins Auge fassen, nicht daraus daß sie jetzt existieren, darauf schließen können, daß sie später existieren oder nicht existieren werden oder früher existiert oder nicht existiert haben: Daraus geht klar hervor, daß wir die Existenz der Substanz durchaus verschieden von der Existenz der Modi denken. Daher kommt der Unterschied von Ewigkeit und Dauer. Unter dem Begriff der Dauer können wir nämlich nur die Existenz der Modi erklären, die der Substanz aber nur unter dem Begriff der Ewigkeit usw., des unendlichen Teilhaftseins der Existenz oder (dem Latein zum Trotz) des Seins.

Aus alledem geht klar hervor, daß wir die Existenz und die Dauer der Modi, sobald wir, wie es gewöhnlich geschieht, bloß ihr Wesen, aber nicht die Ordnung der Natur ins Auge fassen, nach Belieben (und zwar ohne darum unsern Begriff von ihnen irgendwie aufzuheben) bestimmen daß wir sie kleiner oder größer denken, und sie in Teile zerlegen können; Ewigkeit und Substanz aber lassen, weil sie nur unendlich gedacht werden können, nichts derart zu, ohne daß zugleich ihr Begriff aufgehoben würde.

Daher reden alle die ganz einfältig, um nicht zu sagen wahnwitzig, die die ausgedehnte Substanz aus real verschiedenen Teilen oder Körpern bestehen lassen. Das wäre ganz dasselbe, als wollte jemand aus der bloßen Addition oder Zusammenhäufung von vielen Kreisen ein Viereck oder Dreieck oder etwas anderes seinem ganzen Wesen nach Verschiedenes zusammensetzen. Darum fällt auch der Haufe von Argumenten, mit denen die Philosophen gemeinhin die Begrenztheit der ausgedehnten Substanz darzutun suchen, in sich zusammen; denn alle diese Argumente setzen voraus, daß die körperliche Substanz aus Teilen besteht. Auf dieselbe Weise konnten auch andere Leute, nachdem sie sich eingeredet hatten, daß die Linie sich aus Punkten zusammensetze, viele Argumente beibringen, um darzutun, daß die Linie nicht ins Unendliche teilbar sei.

Wenn Sie aber fragen, warum wir von Natur aus so geneigt sind, die ausgedehnte Substanz zu teilen, so erwidere ich darauf: weil wir die Quantität auf zwei Arten denken, nämlich abstrakt oder oberflächlich, sofern wir sie mit Hilfe der Sinne im Vorstellungsvermögen haben, oder aber als Substanz, was bloß durch den Verstand geschieht. Fassen wir daher die Quantität ins Auge, sofern sie im Vorstellungsvermögen ist, wie es am häufigsten und leichter geschieht, so erscheint sie teil­bar, begrenzt, aus Teilen bestehend und vielfältig. Fassen wir sie aber so ins Auge, wie sie im Verstande ist, und begreifen wir die Sache, wie sie an sich ist, was sehr schwierig ist, dann erscheint sie, wie ich Ihnen eben zur Genüge bewiesen habe, unendlich, unteilbar und einzig.

Weil wir ferner Dauer und Quantität beliebig bestimmen können, sofern wir sie nämlich als von der Substanz losgelöst denken, und sie von dem Modus, durch den sie von den ewigen Dingen herkommen, scheiden, so entsteht Zeit und Maß, die Zeit nämlich, um die Dauer, das Maß, um die Quantität so zu bestimmen, daß wir sie möglichst leicht vorstellen können. Daraus ferner, daß wir die Affektionen der Substanz von der Substanz selbst trennen und sie zur Erleichterung des Vorstellens in Klassen bringen, entsteht die Zahl, mit der wir diese Affektionen bestimmen.

Daraus ist klar zu ersehen, daß Maß, Zeit und Zahl nur Modi des Denkens oder eigentlicher des Vorstellens sind. Kein Wunder, daß alle, die den Naturvorgang mit ähnlichen, zudem schlecht verstandenen Begriffen verstehen wollten, sich so wunderlich verfangen haben, daß sie sich zum Schluß gar nicht mehr herauswinden konnten, als indem sie alles zerrissen und selbst den unsinnigsten Unsinn zu Hilfe nahmen. Denn es gibt vieles, an das man mit dem Vorstellungsvermögen auf keine Weise, sondern bloß mit dem Verstande heran kann, z. B. Substanz, Ewigkeit u. a.; wenn man das mit derartigen Begriffen, die bloße Hilfsmittel des Vorstellungsvermögens sind, erklären will, dann tut man nichts anderes, als wenn man sich Mühe gibt, mit seinem Vorstellungsvermögen unsinniges Zeug auszudenken.

Auch die Modi der Substanz selbst werden nie richtig erkannt werden können, wenn man sie mit derartigen Gedankendingen oder Hilfsmitteln des Vorstellungsvermögens verwechselt. Denn wenn wir dies tun, trennen wir sie vor. der Substanz und von dem Modus, durch den sie von der Ewigkeit herkommen, ohne welche sie doch nicht richtig erkannt werden können.

Damit Sie das klarer sehen, nehmen Sie folgendes Beispiel: Wenn jemand die Dauer abstrakt dächte, sie mit der Zeit verwechselte und anfinge, sie in Teile zu zerlegen, dann könnte er nie und nimmer erkennen, wie beispielsweise eine Stunde vergehen kann. Denn damit eine Stunde vergeht, müßte erst ihre Hälfte vergehen und dann die Hälfte des Restes und dann wieder die Hälfte von dem übrigen Teil des Restes, und wenn man so fort bis ins Unendliche immer die Hälfte vom übrigen abziehen würde, dann könnte man nie bis ans Ende der Stunde kommen. Deshalb haben viele, die nicht gewohnt sind, Gedankendinge von realen Dingen zu unterscheiden, zu behaupten gewagt, daß sich die Dauer aus Momenten zusammensetze, und sind so in die Scylla gefallen, da sie die Charybdis meiden wollten. Denn die Dauer aus Momenten zusammensetzen ist gerade so viel wie die Zahl aus einer bloßen Addition von Nullen.

Da nun aus dem Gesagten sich klar ergibt, daß weder Zahl noch Maß noch Zeit, als welche bloße Hilfsmittel des Vorstellungsvermögens sind, unendlich sein können (denn sonst wäre die Zahl nicht Zahl, das Maß nicht Maß, die Zeit nicht Zeit), so wird damit auch der Grund klar, aus dem viele, die diese drei mit den Dingen selbst verwechselten, aus der Unkenntnis der wahren Natur der Dinge das wirklich Unendliche geleugnet haben. Aber wie kläglich ihre Schlußfolgerungen sind, das können die Mathematiker beurteilen, die sich durch Gründe von solcher Art nicht stutzig machen lassen bei Sachen, die sie selbst klar und deutlich begreifen. Sie haben nicht nur vieles gefunden, das sich durch keine Zahl erklären läßt, woraus sich schon das Unvermögen der Zahlen, alles zu erklären, ergibt; vielmehr haben sie auch vieles, das sich mit keiner Zahl vergleichen läßt, sondern jede mögliche Zahl übersteigt. Und doch ziehen sie daraus nicht den Schluß, daß derartige Dinge wegen der Menge ihrer Teile jede Zahl übersteigen, sondern nur deswegen, weil eben die Natur der Dinge nicht ohne offenbaren Widerspruch die Zahl zuläßt; S.45ff. [...]

Verursacht Gott das Böse und an was findet er Wohlgefallen oder Missfallen
23, Brief an Wilhelm von Blyenberg (13. März 1665)
Ich behaupte also erstens, daß Gott schlechthin und tatsächlich die Ursache ist von allem, was Wesen hat, es sei auch, was es sei. Wenn Sie mir nun beweisen könnten, daß das Böse, der Irrtum, die Verbrechen usw. etwas ist, das Wesen ausdrückt, dann will ich Ihnen vollkommen zugeben, daß Gott die Ursache der Verbrechen, des Bösen, des Irrtums usw. ist. Mir scheint, ich habe zur Genüge gezeigt, daß alles, was die Form des Bösen, des Irrtums, des Verbrechens ausmacht, nicht in etwas besteht, was Wesen ausdrückt, und daß man daher nicht sagen kann, Gott sei die Ursache davon. Der Muttermord des Nero z. B. war, soweit er etwas Positives enthielt, kein Verbrechen, denn dieselbe äußere Handlung tat und dieselbe Absicht, seine Mutter zu töten hatte auch Orestes, und doch wird dieser nicht, wenigstens nicht so wie Nero angeklagt. Worin bestand also das Verbrechen Neros? Nur darin, daß er durch diese Tat sich undankbar, unbarmherzig und ungehorsam erwies. Nun ist es sicher, daß nichts davon irgend Wesen ausdrückt und daß darum Gott nicht die Ursache gewesen ist, auch wenn er die Ursache der Handlung und der Absicht Neros war.

Dann möchte ich Ihnen hier bemerken, daß wir, solange wir als Philosophen sprechen, nicht die theologischen Ausdrucksweisen gebrauchen dürfen. Denn weil die Theologie Gott durchgehends und nicht ohne Grund als einen vollkommenen Menschen vorstellt, so ist es infolgedessen angemessen, daß es in der Theologie heißt, Gott begehre etwas, Gott empfinde Unwillen über das Tun der Gottlosen und freue sich an dem der Frommen. In der Philosophie aber erkennt man klar, daß man jene Attribute, die den Menschen vollkommen machen, Gott so wenig zuschreiben und andichten kann, als man das, was den Elefanten und den Esel vollkommen macht, den Menschen zuschreiben wollte; hier haben diese und ähnliche Worte keine Stelle und können hier nicht ohne die vollste Verwirrung unsrer Begriffe gebraucht werden. Um daher philosophisch zu sprechen, darf man nicht sagen, daß Gott von jemandem etwas verlangt und ebensowenig, daß ihm etwas mißfällig oder angenehm ist. Das sind alles menschliche Attribute, die bei Gott nicht Platz haben.

Schließlich hätte ich Ihnen gerne bemerkt, daß zwar das Tun der Frommen (d. h. derer, die eine klare Idee von Gott haben, nach der all ihr Tun und Denken sich bestimmt) und der Gottlosen (d. h. derer, die eine Idee von Gott nicht besitzen, sondern bloß Ideen von den irdischen Dingen, nach denen sich ihr Tun und Denken bestimmt) und schließlich aller, die existieren, von Gottes ewigen Gesetzen und Ratschlüssen notwendig herkommt und beständig von Gott abhängig ist; daß sich aber gleichwohl das Tun jener und dieser nicht nach Graden, sondern dem Wesen nach voneinander unterscheidet. Denn wenn auch eine Maus gerade so wie ein Engel, und Trauer gerade so wie Freude von Gott abhängig sind, so kann doch eine Maus nicht eine Art Engel und Trauer nicht eine Art Freude sein. Damit meine ich auf Ihre Einwände geantwortet zu haben (wenn ich Sie recht verstanden habe, denn bisweilen habe ich Zweifel, ob die von Ihnen gezogenen Schlüsse nicht verschieden sind von dem Thema, das Sie zu beweisen unternehmen).

Das wird aber noch klarer, wenn ich auf dieser Grundlage auf die gestellten Fragen antworte.

Die erste ist, ob Totschlagen Gott gerade so angenehm ist, wie Almosen spenden?

Die zweite ist, ob Stehlen im Hinblick auf Gott gerade so gut ist wie rechtschaffen sein?

Die dritte endlich ist, ob im Falle eines Gemüts, mit dessen besonderen Charakter es nicht im Widerstreit, sondern im Einklang wäre, den Lüsten zu gehorchen und Verbrechen zu verüben, ob es darin, wie gesagt, einen Grund für die Tugend gäbe, der es bewegen könnte, das Gute zu tun und das Böse zu lassen ?

Auf die erste Frage gebe ich zur Antwort, daß ich (philosophisch gesprochen) nicht weiß, was Sie mit den Worten »Gott angenehm sein« meinen. Wenn Sie mich fragen, ob Gott nicht diesen haßt, jenen aber liebt, ob nicht der eine Gott beleidigt, der andre ihm Gunst erweist, so antworte ich: nein. Wenn aber die Frage ist, ob die Menschen, die totschlagen und die Almosen geben, nicht gleich gut und vollkommen sind, da antworte ich wiederum: nein.

Auf die zweite Frage habe ich zu sagen: wenn »gut im Hinblick auf Gott« bedeutet, daß der Rechtschaffene Gott etwas Gutes erweist, und der Dieb etwas Böses, dann antworte ich, daß weder der Rechtschaffene noch der Dieb in Gott Wohlgefallen oder Unwillen hervorzurufen vermag. Wenn aber die Frage ist, ob beider Tun, soweit es etwas Reales und von Gott Verursachtes ist, gleich vollkommen ist, so sage ich, wenn wir bloß die Handlungen ins Auge fassen und ihre Art und Weise, dann kann es sein, daß beide gleich vollkommen sind. Wenn Sie mich aber fragen, ob ein Dieb und ein Rechtschaffener gerade so vollkommen und glücklich sind, so antworte ich: nein. Denn unter einem Rechtschaffenen verstehe ich jemanden, der beständig wünscht, daß jeder das Seine besitze, welcher Wunsch, wie ich in meiner Ethik (die noch nicht herausgegeben ist) beweise, bei den Frommen notwendig aus der klaren Erkenntnis, die sie von sich und von Gott haben, hervorgeht. Und da nun der Dieb einen derartigen Wunsch nicht hat, so entbehrt er notwendig der Erkenntnis Gottes und seiner selbst, d. h. des Vor nehmsten, was uns zu Menschen macht. Wenn Sie trotzdem weiter fragen, was Sie bewegen könnte, lieber dieses Werk, welches ich Tugend nenne, zu tun als etwas anderes, so sage ich: ich kann ja nicht wissen, welches Mittel Gott unter den unendlich vielen anwendet, um Sie zu diesem Werk zu bestimmen. Es könnte sein, daß Gott Ihnen klar seine Idee eingeprägt hätte, so daß Sie die Welt aus Liebe zu ihm vergäßen und die anderen Menschen wie sich selbst liebten, und es ist einleuchtend, daß ein derartiger Gemütszustand mit allem an deren, was man böse nennt, im Widerstreit ist und darum nicht bei ein und demselben Subjekt sich finden kann. Übrigens ist hier nicht der Platz, die Grundlagen der Ethik auseinanderzusetzen, sowie alles, was ich sage, zu beweisen, weil ich bloß dabei bin, Ihnen auf Ihre Fragen die Antwort zu geben und sie von mir abzuwenden und abzuhalten.

Was endlich die dritte Frage angeht, so hat diese einen Widerspruch zur Voraussetzung; es ist gerade so, als wollte mich jemand fragen: wenn es zu jemandes Natur besser paßte, daß er sich aufhinge, ob es da Gründe für ihn gebe, sich nicht aufzuhängen? Aber gesetzt, es wäre möglich, daß es eine derartige Natur gäbe, dann sage ich (ganz gleich ob ich die Willensfreiheit zugebe oder nicht): wenn jemand findet, daß er am Galgen besser leben kann als an seiner Tafel, dann würde er sehr dumm handeln, wenn er nicht hinginge sich aufzuhängen. Wer klar einsähe, daß er auf dem Wege des Verbrechens in Wahrheit vollkommener und besser sein Leben und Wesen genießen könnte als auf dem Wege der Tugend, der wäre auch ein Tor wenn er es nicht täte. Denn die Verbrechen wären Tugend in Beziehung auf so eine verkehrte menschliche Natur. S.123ff.

Der menschliche Geist ist Teil eines unendlichen Verstandes
32. Brief an Heinrich Oldenburg (10. November 1665)
[...] Sie sehen also, aus weichem Grunde und den Grund, warum ich den menschlichen Körper als einen Teil der Natur betrachte. Was aber den menschlichen Geist angeht, so halte ich ihn ebenfalls für einen Teil der Natur. Ich nehme nämlich an, daß es in der Natur auch eine unendliche Möglichkeit des Denkens gibt, die, insofern sie unendlich ist, die ganze Natur objektiv in sich enthält und deren Gedanken in derselben Weise erfolgen wie die Natur als ihr Vorgestelltes.

Dann nehme ich den menschlichen Geist an als dieselbe Denkmöglichkeit, aber nicht sofern sie unendlich ist und die ganze Natur begreift, sondern als endlich, nämlich sofern sie nur diesen menschlichen Körper begreift, und in diesem Betrachte nehme ich den menschlichen Geist als einen Teil eines unendlichen Verstandes. S.148 [...]

Gott ist das einzige Wesen, das notwendig existieren muss
35. Brief an Johannes Hudde (16. April 1666)
Um nun zur Sache zu kommen, will ich zuvörderst kurz dartun, welche Eigenschaften ein Wesen haben muß, das notwendige Existenz in sich schließt:

1. Es muß ewig sein; denn wenn man ihm eine bestimmte Dauer zuerkennen wollte, so müßte man dieses Wesen außerhalb der bestimmten Dauer als nicht existierend oder als nicht eine notwendige Existenz einschließend begreifen. Das aber würde ein Widerspruch mit seiner Definition sein.

2. Es muß einfach sein, nicht aus Teilen zusammengesetzt. Denn diese Teile, die es zusammensetzen, müßten der Natur und der Erkenntnis nach früher sein als das, was aus ihnen zusammengesetzt ist. Das kann aber bei etwas, das seiner Natur nach ewig ist, nicht der Fall sein.

3. Man muß es nicht als begrenzt, sondern als unendlich begreifen können. Denn wenn die Natur dieses Wesens begrenzt wäre und auch als begrenzt begriffen würde, so wäre diese Natur als außerhalb ihrer Grenzen nicht existierend begriffen. Das widerstreitet gleichfalls seiner Definition.

4. Es muß unteilbar sein. Wäre es nämlich teilbar, so könnte es in Teile entweder von derselben oder von ver­schiedener Natur geteilt werden; in diesem Falle aber würde es zerstört und könnte so nicht existieren, was der Definition entgegen ist. Im ersteren Falle hingegen würde jeder beliebige Teil eine an sich notwendige Existenz einschließen, und auf diese Weise könnte das eine ohne das andere existieren und folglich begriffen werden und demgemäß könnte man jene Natur als eine endliche verstehen, was nach dem Vorausgegangenen der Definition zuwiderläuft. Daraus ist zu ersehen, daß wir, wenn wir einem derartigen Wesen irgendeine Unvollkommenheit zuschreiben wollten, sogleich in einen Widerspruch verfielen. Denn bestünde die Unvollkommenheit, die wir einer solchen Natur zuschreiben woll­ten, in irgendeinem Fehler oder in irgendwelchen Grenzen, die eine derartige Natur besäße, oder in einer Veränderung, die sie aus Mangel an Kräften von äußeren Ursachen erleiden müßte, jedenfalls werden wir dadurch immer darauf zurückgeführt werden, daß eben die Natur, die notwendige Existenz in sich schließt, nicht existiert oder nicht notwendig existiert. Darum schließe ich:

5. Alles, was notwendige Existenz einschließt, kann keine Unvollkommenheit in sich haben, sondern muß bloße Vollkommenheit ausdrücken.

6. Ferner, da es nur aus der Vollkommenheit kommen kann, daß ein Wesen aus eigenem Genügen, aus eigner Kraft existiert, so folgt daraus, wenn wir annehmen, daß ein Wesen, das nicht alle Vollkommenheiten ausdrückt, aus seiner Natur heraus existiert, daß wir dann auch annehmen müssen, auch jenes Wesen existiere, das alle Vollkommenheiten in sich faßt. Denn wenn ein mit minderer Macht begabtes Wesen aus eigenem Genügen existiert, wieviel mehr existiert dann ein mit größerer Macht begabtes.

Um nun endlich zur Sache zu kommen, so behaupte ich, daß es nur ein einziges Wesen geben kann, dessen Existenz zu seiner Natur gehört, nämlich bloß das Wesen, das alle Vollkommenheiten in sich hat und das ich Gott nennen will. Denn wenn man ein Wesen annimmt, zu dessen Natur die Existenz gehört, so kann dieses Wesen keine Unvollkommenheit in sich schließen, sondern muß alle Vollkommenheit ausdrücken (gemäß Satz 5). Und darum muß die Natur jenes Wesens Gott zugehören (dessen Existenz wir nach Satz 6 annehmen müßten), weil er alle Vollkommenheiten und keine Unvollkommenheiten in sich hat. Außer Gott kann ein solches Wesen nicht existieren; denn wenn es außer Gott existierte, dann existierte ein und dieselbe Natur, die notwendige Existenz einschließt, doppelt. Das ist aber nach dem obigen Beweis widersinnig. Es ist also nichts außer Gott, vielmehr ist es einzig Gott, der notwendige Existenz in sich schließt. Was zu beweisen war. S.157ff.

Die Welt ist nicht durch Zufall entstanden

54. Brief an Hugo Boxel (Oktober 1674)
[...] Das zwingt mich, bevor ich Ihre angeführten Gründe einer Prüfung unterziehe, noch kurz meine Meinung über diesen Satz darzulegen, ob die Welt durch Zufall geschaffen ist. Meine Antwort ist diese: wie es gewiß ist, daß zufällig und notwendig zwei entgegengesetzte Begriffe sind, so ist es offenbar, daß derjenige, der die Welt für eine notwendige Wirkung der göttlichen Natur erklärt, von vorneherein eine Entstehung der Welt durch den Zufall verneint, während der hingegen, der behauptet, Gott hätte die Schöpfung der Welt auch unterlassen können, dabei, mit anderen Worten freilich, versichert, sie sei durch Zufall entstanden; denn sie hat ja von einem Willensentschluß ihren Ausgang genommen, der auch hätte unterbleiben können. Weil aber diese Annahme und diese Meinung vollkommen sinnlos ist, wird im allgemeinen einstimmig zugegeben, daß Gottes Wille ewig und niemals indifferent war, und aus diesem Grunde muß man auch notwendig zugeben, wohlgemerkt, daß die Welt die notwendige Wirkung der göttlichen Natur ist. Ob man das nun Wille, Verstand oder mit welchem Namen man es immer nennt, so kommt es im Grunde darauf hinaus, daß man ein und dieselbe Sache mit verschiedenen Namen bezeichnet. Wenn man die Leute fragt, ob Gottes Wille nicht vom menschlichen Willen verschieden ist, so antworten sie, der eine habe mit dem anderen nicht mehr als den Namen gemein, wobei sie meist noch zugeben, daß Gottes Wille, Verstand, Wesen oder Natur ein und dasselbe ist, wie ich denn auch, um nicht die göttliche Natur mit der menschlichen Natur zu vermengen, Gott keine menschlichen Eigenschaften wie Willen, Verstand, Aufmerksamkeit, Gehör usw. zuschreibe. Darum sage ich, wie ich eben schon gesagt habe, daß die Welt eine notwendige Wirkung der göttlichen Natur und daß sie nicht durch Zufall entstanden ist.

Ich denke, das genügt, um Sie davon zu überzeugen, daß die Meinung derer, die behaupten (wenn es wirklich solche gibt), die Welt sei durch Zufall entstanden, meiner Meinung ganz und gar entgegengesetzt ist. S.218f. [...]

Gott selbst können wir uns nicht vorstellen, aber an seinen Attributen erkennen
56. Brief an Hugo Boxel (Herbst 1674)
[...] Sie sagen des weiteren, wenn ich bei Gott den Akt des Sehens, Hörens, Aufmerkens, Wollens usw. als in ihm eminent vorhanden bestreite, so sei es Ihnen unklar, was für einen Gott ich habe. Ich habe danach den Eindruck, als glaubten Sie, es gebe keine größere Vollkommenheit, als die sich mit den erwähnten Attributen ausdrücken lasse. Das wundert mich nicht, denn ich glaube, wenn ein Dreieck nur reden könnte, würde es geradeso sprechen, Gott sei eminent dreieckig, und ein Kreis, die göttliche Natur sei in eminentem Sinne kreisförmig, und auf diese Weise würde jeder seine Attribute Gott zuschreiben und Gott sich ähnlich machen und das übrige würde ihm häßlich erscheinen. [...]

Auf Ihre Frage, ob ich von Gott eine so klare Idee habe wie vom Dreieck, antworte ich: ja. Fragen Sie mich aber, ob ich von Gott eine so klare Vorstellung habe wie vom Dreieck, so antworte ich: nein. Denn Gott können wir nicht vorstellen, wohl aber erkennen. Hier ist noch zu bemerken, daß ich nicht sage, daß ich Gott vollkommen erkenne, sondern nur, daß ich einige seiner Attribute, aber nicht alle und nicht den größten Teil von ihnen erkenne, und es ist gewiß, daß mich die Unkenntnis der meisten nicht hindert, von einigen von ihnen Kenntnis zu haben, Als ich die Elemente des Euklid studierte, erkannte ich auch erst, daß die drei Winkel des Dreiecks gleich zwei Rechten sind, und ich begriff diese Eigenschaft des Dreiecks klar, auch wenn ich über viele andre noch in Unkenntnis war. S.229f. [...]

Wie Gott aus freier Notwendigkeit handelt und die menschliche Willensfreiheit nur in der Einbildung besteht
58. Brief an G. H. Schuller (Herbst 1674)
[...] Ich nenne also ein Ding frei, wenn es nur aus der Notwendigkeit seiner Natur existiert und handelt; gezwungen aber, wenn es von einem andren Dinge bestimmt wird, in einer gewissen bestimmten Weise zu existieren und zu handeln. Gott z. B. existiert notwendig zwar und dennoch frei, weil er allein aus der Notwendigkeit seiner Natur existiert. So begreift Gott in freier Weise sich selbst und alle Dinge überhaupt, weil es allein aus der Notwendigkeit seiner Natur folgt, daß er alles begreift. Sie sehen also, daß ich die Freiheit nicht in den freien Willen, sondern in die freie Notwendigkeit setze.

Aber wir wollen zu den geschaffenen Dingen herabsteigen, die alle von äußeren Ursachen bestimmt werden, auf eine gewisse, bestimmte Weise zu existieren und zu handeln. Um das klar zu verstehen, wollen wir ein sehr einfaches Ding ins Auge fassen. Ein Stein empfängt durch eine äußere Ursache, die ihn stößt, ein gewisses Quantum von Bewegung, durch welches er dann, auch wenn der Anstoß der äußeren Ursache aufhört, notwendig fortfährt sich zu bewegen. Das Verharren des Steines in der Bewegung nun ist gezwungen, nicht weil es notwendig ist, sondern weil es durch den Anstoß der äußeren Ursache definiert werden muß. Und was hier vom Stein gilt, das gilt von jedem besondern Dinge, wie zusammengesetzt und zu Vielfachem fähig man es sich auch denken mag, daß nämlich jedes Ding von einer äußeren Ursache bestimmt wird, auf eine gewisse bestimmte Weise zu existieren und zu wirken.

Denken Sie sich nun, bitte, der Stein denke, indem er fortfährt, sich zu bewegen, und er wisse, daß er nach Möglichkeit in der Bewegung zu verharren strebt. Dieser Stein wird sicherlich, da er sich doch nur seines Strebens bewußt und durchaus nicht indifferent ist, der
Meinung sein, er sei vollkommen frei und verharre nur darum in seiner Bewegung, weil er es so wolle. Und das ist jene menschliche Freiheit, auf deren Besitz alle so stolz sind und die doch nur darin besteht, daß die Menschen sich. ihres Begehrens bewußt sind, aber die Ursachen, von denen sie bestimmt werden, nicht kennen. So hält sich das Kind für frei, wenn es nach Milch begehrt, der Knabe, wenn er im Zorne die Rache, der Furchtsame, wenn er die Flucht will. Auch der Betrunkene glaubt, er rede aus freiem Entschluß seines Geistes, wenn er Dinge sagt, die er später im nüchternen Zustande lieber verschwiegen haben wollte. So glauben die Leute im Fieberwahn, die Schwätzer und andre von der Sorte, sie handelten nach freiem Entschluß ihres Geistes, und sie glauben nicht, daß sie von einem Anstoß getrieben werden. Und da dieses Vorurteil allen Menschen eingeboren ist, machen sie sich nicht leicht davon los. Denn die Erfahrung lehrt uns zwar genug und übergenug, daß die Menschen zu nichts so wenig imstande sind als dazu, ihre Begierden zu mäßigen, und daß sie oft, eine Beute widerstrebender Affekte, das Bessere sehen und dem Schlechteren folgen, und doch glauben sie frei zu sein, und zwar deshalb, weil sie manches nur oberflächlich begehren und ihre Begierde danach leicht durch die Erinnerung an etwas anderes herbeigeführt wird, dessen wir uns oft erinnern.

Hiermit habe ich, wenn ich nicht irre, meine Meinung über die eingebildete menschliche Freiheit genugsam auseinandergesetzt. Danach lassen sich die Einwürfe Ihres Freundes leicht beantworten. Denn wenn er in Übereinstimmung mit Descartes sagt, der sei frei, der nicht von einer äußeren Ursache gezwungen wird, so gebe ich zu: wenn er unter einem gezwungenen Menschen den versteht, der gegen seinen Willen handelt, so sind wir in manchen Dingen in keiner Weise gezwungen und haben in dieser Hinsicht einen freien Willen. Wenn er aber unter gezwungen den versteht, der zwar nicht gegen seinen Willen, aber doch notwendig handelt (wie ich oben dargelegt habe), so bestreite ich, daß wir irgendwie frei sind. S.235ff. [...]

Über pantheistische Weltsicht, Wunder und Jesus Christus
73. Brief an Heinrich Oldenburg (Nov. - Dez. 1675)
[...] Um aber über die drei von Ihnen angeführten Stücke offen meine Ansicht Ihnen mitzuteilen, will ich folgendes sagen.
Was das erste angeht, so habe ich über Gott und Natur eine ganz andere Meinung, als jene, die von den modernen Christen gewöhnlich vertreten wird. Ich fasse nämlich Gott als die immanente und nicht als die äußere Ursache aller Dinge. Ich behaupte eben, daß alles in
Gott lebt und webt,
geradeso wie Paulus und vielleicht auch alle antiken Philosophen, wenn auch in anderer Weise,
und ich darf wohl auch sagen, wie alle alten Hebräer, soweit man aus manchen freilich vielfach verfälschten Traditionen schließen darf. Wenn es aber Leute gibt, die meinen, der Theologisch-politische Traktat gehe davon aus, daß Gott und die Natur (worunter sie eine Masse oder eine körperliche Materie verstehen) eines und dasselbe seien, so sind sie ganz und gar im Irrtum.

Was ferner die Wunder angeht, so bin ich im Gegenteil überzeugt davon, daß die Gewißheit der göttlichen Offenbarung bloß auf der Weisheit ihrer Lehre, aber nicht auf Wundern, d. h. auf der Unwissenheit beruhen kann, wie ich es ausführlich genug im 6. Kapitel von den Wundern dargetan habe. Ich habe dem hier bloß noch hinzuzufügen, daß der Hauptunterschied, den ich zwischen Religion und Aberglauben mache, darin besteht, daß dieser auf die Unwissenheit, jene aber auf die Weisheit sich gründet. Darin sehe ich auch den Grund, warum sich die Christen nicht durch Glauben und Liebe und die übrigen Früchte des Heiligen Geistes, sondern allein durch ihre Meinungen von den andern unterscheiden, weil sie eben wie alle allein auf Wunder, d. h. auf die Unwissenheit sich stützen, die doch der Quell alles Schlechten ist, und weil sie damit ihren Glauben, ihren wahren Glauben in Aberglauben verkehren. Ob jemals die Könige zugeben werden, daß man gegen dieses Übel das richtige Heilmittel anwendet, bezweifle ich sehr.

Um endlich über das dritte Stück meiner Meinung klareren Ausdruck zu geben, sage ich, daß es zum Heile nicht schlechthin notwendig ist, Christus nach dem Fleische zu erkennen, daß es aber etwas ganz anderes ist mit jenem ewigen Sohn Gottes, d. h. mit Gottes ewiger Weisheit, die sich in allen Dingen und am meisten im menschlichen Geiste und von allem am meisten in Christo Jesu kundgetan hat. Denn ohne diese Weisheit kann niemand in den Stand der Seligkeit kommen, denn sie allein lehrt, was wahr und was falsch, was gut und was böse ist. Und weil diese Weisheit wie gesagt sich durch Jesum Christum am meisten kundgetan hat, so haben seine Jünger sie verkündigt, wie sie ihnen von ihm offenbart worden ist, und gezeigt, daß sie sich des Geistes Christi mehr als die anderen rühmen konnten. Wenn übrigens einige Kirchen des weiteren behaupten, Gott habe menschliche Natur angenommen, so habe ich ausdrücklich bemerkt, daß ich nicht weiß, was sie damit sagen. Ja, offen gestanden, scheint mir, was sie sagen, gerade so unsinnig, als wenn mir jemand sagen wollte, der Kreis habe die Natur des Quadrats angenommen.

Ich glaube, das genügt, um deutlich zu machen, was ich über jene drei Stücke denke. Ob das freilich den Beifall der Ihnen bekannten Christen finden wird, das werden Sie besser beurteilen können. Leben Sie wohl! S.276f.
Aus: Baruch de Spinoza, Briefwechsel, Philosophische Bibliothek Band 96a, Felix Meiner Verlag, Hamburg