Johannes Tauler (um 1300 – 1361)
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Deutscher
Mystiker und Prediger. 1315
tritt Tauler in Straßburg ins Dominikanerkloster ein. Nach dem üblichen 12-jährigen Studium wirkt er als Prediger und Seelsorger in Straßburg, Köln und Basel. Auf der Höhe
seines Lebens ist er der bedeutendste und berühmteste Prediger seiner
Zeit. Meister Eckart, den er um
1320 wohl noch persönlich in Straßburg kennen gelernt
hat, ist sein großes Vorbild. Taulers höchstes
Bestreben ist, einen praktikablen Weg aufzuzeigen, auf dem der Mensch zur
wunderbaren Gottesempfängnis gelangen kann. Sein Hauptthema: Wie
vereinige ich das Tiefste in mir mit dem Tiefsten außer mir. Das
Tiefste in uns ist für ihn das Gemüt (Gemuete),
in dem das Gotteserlebnis selbst provoziert werden kann und das Tiefste
außer uns ist der göttliche Grund (Grunt), der sich jedem menschlichen Einfluss entzieht. Die Gottheit ist das Einfaltige.
Um sich mit ihr schon zu Lebzeiten vereinigen zu können, muss der Mensch
über alle geschaffene Bilder, Formen und Erscheinungen hinauskommen
und sozusagen – als Gott in Gott - in
sein eigenes Nichts
(Ungeschaffenheit) sinken, aus dem er ursprünglich
kommt. Als echte Werke gelten nur seine etwa 80 Predigten - denen auch die
folgenden Ausschnitte entnommen sind - und einige Briefe. Siehe auch Wikipedia und Heiligenlexikon |
Inhaltsverzeichnis
Die
Überformung Vom Wesen Gottes Vom unerschaffenen Grunde Der hohe Meister |
Im
Gedenken an Meister Eckhard Vom gottförmigen Menschen Der Abgrund der Liebe Worauf es ankommt |
Die
Überformung
Die übernamenlose Gottheit hat nirgends eine eigentliche Wirkungsstätte
als im Grunde der allertiefsten Selbstvernichtung. Denn so schreiben die Meister:
wenn eine neue Form werden soll, so muß notwendig die alte erst verderben,
und weiter: wenn das Kind im Mutterleibe empfangen wird, so ist es zuerst eine
bloße Materie. Danach wird der Materie eine tierische
Materie eingegossen, so daß sie lebt wie ein Tier. Darauf, nach der festgesetzten
Zeit, schafft Gott eine vernünftige Seele und gießt sie hinein. Und schließlich vergeht die ganze erste Form der So-Beschaffenheit [Individualität]: die Wirksamkeit, die Denkfähigkeit, die Größe, die Farbe. Dies
muß alles ganz von dannen, nur eine lautere, bloße Materie bleibt.
Also sage ich: soll hier der Mensch überformt werden mit dem überweslichen
Wesen, so müssen all die Formen notwendig fort, die man in allen Kräften
je empfing. Das Erkennen, das Wissen, das Wollen, das Wirken, der Gegensatz
zwischen Subjekt und Objekt, das Empfinden, das Eigenwesen. Da St.
Paulus nichts sah, da sah er Gott. Das ist auch der Grund, weshalb Elias
den Mantel vor die Augen tat, als der Herr kam.
Hier werden alle starken Felsen zerbrochen; alles worauf der Geist ruhen möchte,
das muß hier alles ab. Und wenn all diese Formen entwerden, dann – in einem Blick – wird der Mensch überformt.
In dieser Weise mußt du vorwärts gehen. Und darum spricht der himmlische
Vater zu ihm. »Du sollst mich Vater nennen und sollst
nicht aufhören hineinzugehen«, immer
vorwärts hinein, je höher, desto tiefer versinken in den unerkannten
und ungenannten Abgrund, über alle Weise, Bilder und Formen, über
alle Kräfte sich selber verlieren und sich völlig hierin einbilden
– so bleibt in dieser Verlorenheit nichts als ein Grund, der wesentlich
auf sich selber steht, ein Wesen, ein Leben, ein Überall. Und von
diesem Zustand kann man wohl sagen, man werde erkenntnislos, liebelos, wirkungslos
und geistlos. Und zwar nicht von natürlicher Eigenheit, sondern infolge
der Überformung, die der Gottesgeist dem geschaffenen Geiste aus seiner
freien Güte und wegen der unergründlichen Verlorenheit und Gelassenheit
des geschaffenen Geistes gegeben hat. Von diesen Menschen kann man wohl sagen,
daß Gott sich in ihnen erkenne, liebe und genieße;
denn er ist nichts als Leben, Sein und Wirken.
Aus: Deutsche Frömmigkeit, Stimmen deutscher Gottesfreunde, Eine Auswahl aus den Schriften deutscher Mystiker, S.67-68
Herausgegeben von Walter Lehmann. Verlegt bei Eugen Diederichs/Jena
Vom
Wesen Gottes
[…] Nun kann der Mensch in den Eigenschaften Gottes in wirkender
Weise sein Gemüt spiegeln, wenn er nämlich betrachtet, daß Gott
ein lauteres Wesen ist, das aller Wesen Wesen ist, und daß er doch keins
von allen Dingen ist. Alles, was ist und was Wesen ist und Wesen hat und gut
ist, darin ist Gott.
St. Augustin sagt:»Siehst
du einen guten Menschen, einen guten Engel, einen guten Himmel, so ziehe den
Menschen ab, ziehe ab den Engel und Himmel, und was dann bleibt, das ist das
Wesen des Guten, das ist Gott; denn er ist alles in allen Dingen und doch weit über allen Dingen.« Alle Kreaturen haben wohl Gutes, haben
wohl Liebe: sie sind aber nicht das Gute und die Liebe usw. Sondern Gott ist
das Wesen des Guten, der Liebe und alles dessen, was man Wesen nennen kann.
Dem soll sich der Mensch entgegenhalten und hineinversinken mit all seinen Kräften
in wirkender, völliger, anschauender Weise, so daß seine Nichtigkeit
ganz empfangen und erneuert werde und im göttlichen Wesen, das allein Wesen,
Leben und Wirken in allen Dingen ist, Wesen annehme.
Sodann sehe der Mensch die Eigenschaft der eigenen Einigkeit des Wesens an,
denn Gott ist im letzten Ende die Einfaltigkeit: in ihm wird alle Mannigfaltigkeit
geeinigt und in einigem Einwesen einfaltig. Sein Wesen ist sein Wirken, sein
Erkennen, sein Belohnen, sein Lieben, sein Richten, alles Eins, seine Barmherzigkeit,
seine Gerechtigkeit: dahinein gehe und trage deine unbegreiflich große
Mannigfaltigkeit, damit er sie in seinem einfaltigen Wesen einfaltige.
Sodann sehe der Mensch die unaussprechliche Verborgenheit Gottes an, wie Moses sagt: »Wahrlich, Herr, du bist ein verborgener Gott.« (vergl. Jes. 45, 15). Er ist in allen Dingen weit verborgener als irgendein
Ding sich selbst im Grunde der Seele ist, verborgen allen Sinnen und innen im
Grunde völlig unerkannt. Dahinein dringe mit allen Kräften, weit über
die Gedanken, über deine äußerliche Auswendigkeit, die sich
selbst und aller innerlichen Inwendigkeit so fern und fremd wie ein Tier ist,
das den Sinnen lebt, nichts weiß noch fühlt noch empfindet; senke
dich hinein, verbirg dich in der Verborgenheit vor allen Kreaturen und vor alle
dem, das dem Wesen fremd und ungleich ist. Dies alles soll nicht in bildlicher
oder nur gedanklicher Weise geschehen, sondern in wesentlicher, wirkender Weise,
mit allen Kräften und Begehrungen, über die Sinne, in empfindlicher
Weise.
Sodann mag der Mensch die Eigenschaft der göttlichen Einöde in der
stillen Einsamkeit ansehen, in der nie ein Wort dem Wesen nach und nach wesentlicher
Weise gesprochen, noch ein Werk gewirkt ward; so still ist es da, so heimlich
und so einsam. Da ist nichts als lauter Gott. Dahinein kam nie etwas Fremdes,
keine Kreatur, Bild oder Weise.
Diese Einöde meinte unser Herr, da er durch den Propheten Joel sprach: »Ich will die Meinen in die Einöde führen,
und da will ich ihnen zu Herzen sprechen.« Die Einöde ist
seine stille einsame Gottheit: dahinein führt er alle die, die für
das Einflüstern Gottes empfänglich werden sollen, nun und in der Ewigkeit.
Und in die einsame, stille, freie Gottheit trage deinen freien einsamen Grund,
in die Einöde Gottes den Grund, der da voll verwachsenen Unkrauts ist,
leer von allem Guten und voll wilder Tiere, nämlich deiner viehischen,
tierischen Sinne und Kräfte.
Sodann sieh an die göttliche Finsternis, die vor
unaussprechlicher Klarheit für allen Verstand, für Engel und Menschen,
finster ist, wie der Glanz der Sonne in ihrem Rade für das schwache Auge
eine Finsternis ist: denn aller geschaffener Verstand verhält sich von
Natur zur Klarheit wie der Schwalben Auge sich zur klaren Sonne verhält:
sie müssen da zurückgeschlagen werden in ihr Nicht-Erkennen und in
ihre Blindheit, sofern sie geschaffen und Kreaturen sind. Dagegen halte deine
abgründige Finsternis, die, allen wahren Lichts beraubt, alles Lichts ermangelt,
und laß den Abgrund der göttlichen Finsternis sich selbst allein
bekannt und allen unbekannt [bleiben]. Der Abgrund, unerkannt, ungenannt, selig,
wird mehr geliebt, und reizt die Seelen mehr als alles, was sie in der ewigen
Seligkeit vom göttlichen Wesen erkennen können.
Aus: Deutsche Frömmigkeit, Stimmen deutscher Gottesfreunde, Eine Auswahl aus den Schriften deutscher Mystiker, S.68-70
[…]
Herausgegeben von Walter Lehmann. Verlegt bei Eugen Diederichs/Jena
Vom
unerschaffenen Grunde
Die Weite, die sich in dem Grunde darbietet, hat weder Bild noch Form noch Weise,
hat weder ein Hier noch ein Da; denn es ist ein unergründlicher Abgrund,
schwebend in sich selbst, ohne Grund; es ist geradeso wie die Wasser ebben und
fluten: jetzt sinken sie in einen Abgrund und es scheint, als sei überhaupt
kein Wasser da; über eine kleine Weile aber rauscht es herauf, als ob es
alle Dinge ertränken wolle. Es geht in einen Abgrund,
und in diesem ist Gottes Wohnung eigentlich viel mehr als im Himmel oder in
allen Kreaturen; wer hierhinein gelangen könnte, der fände da wahrlich
Gott und fände sich einfaltig in Gott, denn von diesem Grunde scheidet
Gott sich nie; ihm wäre Gott gegenwärtig, und die Ewigkeit wird hier
empfunden und gefühlt, und es gibt da weder Vorhergehen noch Nachfolgen. In diesen
Grund vermag kein geschaffenes Licht zu reichen noch zu leuchten, sondern Gottes
Wohnung und seine Stätte ist hier allein. Diesen Abgrund vermögen
alle Kreaturen nicht zu erfüllen oder zu ergründen; sie können
ihm nicht genügen noch ihn befriedigen, niemand vermag es als nur Gott
mit all seiner Unermeßlichkeit. In diesen Abgrund gehört allein der
göttliche Abgrund. Abyssus abyssum invokat. Dieser Grund – man muß nur fleißig darauf achtgeben –
leuchtet in die Kräfte unter sich und neigt und reizt die obersten und
die untersten hin zu ihrem Beginn und Ursprung, wenn nur der Mensch darauf achtgäbe
und bei sich selber bliebe und der lieblichen Stimme gehorsam wäre, die
in der Einöde, in diesem Grunde, ruft und alles immer besser dahinleitet.
In dieser Einöde ist es so einsam, dass nie ein Gedanke dahinein kann.
Nein, nein, all die vernunftreichen Gedanken, die je ein Mensch über die
heilige Dreifaltigkeit dachte, womit etliche ja viel umgehen, von denen kann
keiner hierhinein. Nein, nein, denn dies ist so innig, so weit, so weit, und
es hat weder Raum noch Zeit. Es ist einfaltig und ohne Unterschied, und wer
recht hineingerät, dem ist, als sei er hier schon ewig gewesen und als
sei er eins mit ihm, obgleich es nicht mehr als ein Augenblick ist, aber solche
Blicke empfinden und zeigen sich als eine Ewigkeit; dies erhellt und ist ein
Zeugnis dafür, dass der Mensch in seiner Unerschaffenheit
ewig in Gott war. Als er in ihm war, da war der Mensch Gott in Gott.
St. Johannes schreibt: »Alles, was
gemacht ist, das war Leben in ihm.« Dasselbe, was der Mensch nun
in seine Geschaffenheit ist, das ist er in seiner Ungeschaffenheit ewiglich
in Gott gewesen, ein »istiges« Wesen mit ihm. Und solange der Mensch,
nachdem er nun aus dem Ursprung, aus der Ungeschaffenheit in seine Geschaffenheit
geflossen ist, nicht in die Lauterkeit kommt, solange kommt er nicht wieder
in Gott; wenn nicht alle Neigung, Anhaftung und Selbstgefälligkeit, alles,
was – durch ein Besitzen – den Grund verunreinigt hat, völlig
heraus ist, und wenn nicht alles, was der Mensch in Geist oder in Natur je mit
Lust und Willen besaß, oder was je in Unordnung in ihn fiel und von ihm
mit Wissen und Willen empfangen wurde, so völlig ausgetilgt wird wie bei
seinem Ausfluß, so kommt er nicht wieder in den Ursprung. Ja, damit ist
der Lauterkeit noch nicht Genüge getan, der Geist muß zunächst
mit dem Licht der Gnade überformt werden. Und wer die Überformung
völlig erreichte und in rechter Ordnung in seinen innigen Grund eingekehrter
Mensch wäre, dem könnte es wohl gelingen, daß ihm in diesem
Leben ein Blick höchster Überformung zuteil würde, obwohl sonst
niemand in Gott kommen noch Gott erkennen kann als in dem ungeschaffenen Lichte,
und das ist Gott selbst. »Domine in lumine tuo videbimus
lumen.« Wer nun oft in seinen innigen Grund kehrte und darin vertraut
wäre, dem würde mancher edle Blick von dem inwendigen Grunde zuteil,
durch den ihm noch klarer und offenbarer würde, was Gott ist, als seinen
leiblichen Augen die sichtbare Sonne ist.
Diesem Grund waren die Heiden vertraut und verschmähten gänzlich vergängliche
Dinge und gingen dem Grunde nach. Und da kamen die großen Meister wie Proklus und Platon und gaben davon eine klare Unterscheidung denen, die diesen
Unterschied nicht so recht finden konnten. St. Augustin sagt, daß Platon
das Evangelium in principio schon völlig ausgesprochen
habe bis an das Wort: fuit homo missus a Deo, wenn
auch freilich mit verborgenen, überdeckten Worten. Auch fanden sie die
Unterscheidung der heiligen Dreifaltigkeit. Kinder, das kam alles aus dem inwendigen
Grunde, dem lebten sie und seiner warteten sie. Das ist eine große Schmach
und Schande, daß wir armes, zurückgebliebenes Volk, die wir Christen
sind und so große Hilfe haben, nämlich die Gnade Gottes und den heiligen
Glauben und das heilige Sakrament und sonstige große Hilfe, daß
wir gerade wie blinde Hühner umhergehen, und selbst nicht erkennen noch
was in uns ist und davon gar nichts wissen. Das macht unsre große Mannigfaltigkeit
und Auswendigkeit, und daß wir so viel mit den Sinnen wirken, und unsre
Satzungen, die Vigilien und Psalter und dergleichen Dinge, die uns aufhalten,
daß wir nie in uns selbst kommen können.
Aus: Deutsche Frömmigkeit, Stimmen deutscher Gottesfreunde, Eine Auswahl aus den Schriften deutscher Mystiker, S.76-78
Herausgegeben von Walter Lehmann. Verlegt bei Eugen Diederichs/Jena
Der
hohe Meister
Unser Herr sprach: »Ich bitte dich, daß wir
eins werden gleich wir eins sind.« Diese Einigung geschieht auf
zweierlei Weise: innerlich und äußerlich, mittelbar und unmittelbar,
im Geiste und der Natur. Dies wird oft falsch verstanden, denn die göttliche
Natur duldet keine Hinzufügung. Die Vernunft vermag nicht einmal die Einigung
zu begreifen, wie die Seele mit dem Leibe vereinigt ist und wie sie wirkt und
sich bewegt in der Hand, in dem Fuße oder in deinen eigenen Gliedern -,
wie sollte denn der Mensch die göttliche Einigung verstehen? Die hineinkommen,
die wirken außerhalb der Geschaffenheit in Ungeschaffenheit, außerhalb
der Mannigfaltigkeit in Einfaltigkeit, sie bleiben in Frieden im Unfrieden und
sinken mit einem liebevollen Begehren in den Grund und tragen Gott alle Dinge
wieder hinauf, wie sie ewiglich in ihm gewesen sind und er sie in liebreichem
Sinne gehabt hat. Dies führt näher als das Gebet, weit näher,
hierhin können die nicht kommen, die in ihrer natürlichen Vernunft
aufgewachsen sind und in ihre eigene Sterblichkeit gebannt sind und ihren Sinnen
gelebt haben, die kommen nicht hinzu.
Im übrigen belehrt euch und spricht ein lieblicher Meister, und den versteht
ihr nicht. Er sprach aus der Ewigkeit, und ihr vernahmt es nach der Zeit. Liebe
Kinder, habe ich euch nun zuviel gesprochen, Gott ist es nicht zuviel, aber
ihr sollt es mir vergeben, ich will mich gerne bessern. Ein hoher Meister sprach
von diesem Sinne ohne Weise und Wege, das erfassen viele Leute mit dem äußeren
Sinne und werden vergiftete Menschen, und darum ist es hundertmal besser, daß man mit Weisen und Wegen dazu komme.
Aus: Deutsche Frömmigkeit, Stimmen deutscher
Gottesfreunde, Eine Auswahl aus den Schriften deutscher Mystiker, S.78-79
Herausgegeben von Walter Lehmann. Verlegt bei Eugen Diederichs/Jena
Im Gedenken an Meister Eckhart
Christus ist der Weg und die Wahrheit. Er ist das Leben und die Tür, durch
die man im Durchbruch durch die Natur gehen soll.
Die diesen Weg gehen, über solche Leute hat der Papst keine Gewalt, denn
Gott selbst hat sie befreit. Über solche Menschen kommt kein Verdruß.
Ihr Wesen ist nach dem obersten Teil über der Zeit, und nach dem untersten
Teil sind sie frei und gelassen. Wie auch die Dinge kommen, sie stehen in einem
wesentlichen Frieden, wenn auch der äußere Mensch viel und bitter
zu leiden haben mag. Das sind selige Menschen. Wo man sie findet, soll man sie
loben. Aber ich fürchte, sie sind sehr dünn gesät.
»Selig die Augen, die da sehen, was ihr sehet.« Die seligen Augen bedeuten den wunderbaren Adel, der in der besonderen
Verwandtschaft liegt, die Gott in den Grund der Seele gelegt hat. Von diesem
inwendigen Adel haben viele Meister gesprochen, darunter auch
Meister Eckehart. Der nennt es einen »Funken in der Seele«; und dieser
Funke, geschieht ihm recht, fliegt in einem Nu bis dahin, wohin ihm kein Verstand
folgen kann; denn dieser Funke ruht nicht eher, als bis er in den Urgrund
eingedrungen ist, aus dem er geflogen kam, als er noch in seiner Ungeschaffenheit
darinnen verborgen war.
Vom
gottförmigen Menschen
Wenn der Mensch sich Gott hingeben will, so soll er sich in eine grundlose Willenlosigkeit
ergeben. Denn der Mensch besteht, recht besehen, aus drei Menschen: sein tierischer
Mensch, nach den Sinnen, sein vernünftiger Mensch, und sein oberster Mensch,
sein gottförmiger, gottgebildeter Mensch. In diesen obersten, inwendigen
Menschen soll er sich kehren und sich mit ihm vor den göttlichen Abgrund
legen.
Soll der Mensch auswendig wie inwendig ein gelassener, ein gottförmiger
Mensch (nach der Sprache des Pseudo-Areopagiten
Dionysios) werden, so muß er sein Schiff lein weit auf
die Seehöhe hinausfahren. das heißt: der Mensch muß dahin kommen,
wo alles von ihm abfällt, was die unteren Kräfte begreifen können.
Was also bleibt dem gottförmigen Menschen? Ihm bleibt eine Seele voll Gott
und ein Leib voll Leiden. Da schaut Gott so oft mit seinen Blicken in den Grund,
daß alles Leiden dem Menschen zu klein wird. Und bei dem schauenden Eindringen
Gottes leuchtet dem Menschen mit einem solchen Blick (das Wissen) ein,
was er tun soll, wofür er bitten oder was er vielleicht predigen soll.
Auf solche Weise wird der Mensch in seiner Abgeschiedenheit wohlerfahren und
ein edel gottförmiger Mensch. Dies muß aber mit dem Lichte der Wahrheit
gar wohl durchhellt werden, denn manch Ding schaut oft so aus, daß man
wähnt, Gott sei damit gemeint, kommt man aber auf den rechten Grund, so
findet man‘s ganz anders.
Ein Meister spricht hierüber höher als der andere. Sie sagen, das
Gemüt der Seele sei gar edel, es sei unausgesetzt tätig, der Mensch
schlafe oder wache, er wisse es oder nicht; es hat (über-
oder unterbewußt) ein gottförmiges, endloses, ewiges
Rückstarren in Gott. Wie dem auch sei. wohl aber erkennt es sich als Gott
in Gott. wiewohl dennoch geschaffen. (Siehe auch unten!)
Es gibt drei Hierarchien der Engel zu je drei Chören Diese Hierarchien
haben jede eine unterschiedliche Beziehung zu den drei Stufen, die im Menschen
sind. Die eine Stufe ist der äußere Mensch, die zweite der vernünftige
Mensch, die dritte der edle, gottförmige, das ist: der allerinnerste, verborgene
Mensch. Auf diesen gottgebildeten, gottförmigen Menschen wirkt die dritte
Hierarchie.
Der
Abgrund der Liebe
Liebe Kinder, die großen Pfaffen und Meister der Lehre disputieren darüber,
ob Erkenntnis oder Liebe mehr und edler sei. Wir aber wollen lieber sprechen
von den Meistern des Lebens. Wenn wir dahin kommen, dann werden wir aller Dinge Wahrheit wohl erkennen.
Um die Liebe haben die Meister viel disputiert, ob nämlich die Erkenntnis
höher sei oder die Liebe. Es ist aber darüber kein Zweifel, daß
die Liebe um vieles nützlicher und verdienstlicher ist als die Erkenntnis.
Denn die Liebe geht dort hinein, wo die Erkenntnis draußen bleiben muß.
Die Liebe bedarf keiner großen, subtilen Erkenntnis, sondern nur eines
lauteren Innewerdens.
St. Dionysius
(areopagita) sprach: Gott ist alles das nicht, was man nennen, verstehen
oder begreifen kann. Da wird der Geist dermaßen gelassen, daß, wollte
Gott ihn da völlig zunichte machen (und könnte
er zunichte werden), er aus Liebe zu dem Nichts, in das er so ganz
versunken ist, es gerne würde. Denn er weiß nichts, er liebt nichts
und schmeckt nichts, denn das Eine.
Kinder, was glaubt ihr, mit welcher Liebe Gott den Menschen lieben würde,
der ihm Raum gäbe, sein edles Werk und sich selbst in ihm darzustellen.
Welche Liebe wäre wohl so groß? Das geht über alles menschliche
Verständnis, ja weit über der Engel Verstehen. Denn ein solcher Mensch
würde geliebt mit der Liebe, mit welcher der himmlische Vater seinen eingeborenen
Sohn liebt. Daß der Mensch so geschaffen ist, das geht In einen Abgrund.
Nun kommen etliche unwissende Leute und tun so, als ob sie es ganz durchschaut hätten, und reden herrlich von dem, von dem alle Kreaturen doch nicht reden können. Eya, liebe Kinder! Unterwindet euch da nicht zu hoher Weisheit! Lasset die großen Pfaffen darüber studieren und disputieren, sie müssen wohl Erlaubnis haben, in solcher Unwissenheit zu stammeln, damit sie nicht gar mit Ketzern ins Gedränge kommen. Aber euch sei es verboten.
Notwendig zur Beichte gehören nur Todsünden. Die täglichen
Verfehlungen fallen ab durch Reue. Hätte der Mensch keine Reue, so soll
er eben Reue üben über diesen Mangel an Reue. Und hat man kein Verlangen,
so soll man nach Verlangen verlangen und Liebe um Liebe bitten. Vor allem soll
man sich in tätiger Liebe üben, das ist über alle Maßen
nützlich und fruchtbar.
Aus: Johannes Tauler, Vom gottförmigen Menschen,
Eine Auswahl aus den Predigten
Neu durchgesehen und nebst einer Einführung in Begriff und Wesen der Mystik
besorgt von Friedrich Alfred Schmid Noerr
Reclams Universalbibliothek Nr. 7871 (S.68-72) 1955 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages
Worauf
es ankommt
Liebes Kind, willst du dies nun erreichen, so achte mit Fleiß auf diese
drei Punkte:
Das eine ist, dass du Gott und die Ehre Gottes und nicht vom Deinigen lauter
und bloß im Sinne hast in allen Dingen.
Das zweite: in all deinen Werken und Ausgängen gib fleißig auf dich
selbst Acht, und blicke mit Beharrung in dein unergründliches Nichts und
gib Acht, womit du umgehst, und was in dir ist.
Das dritte: gib nicht Acht auf das, was außer dir ist, und was dir nicht
befohlen ist, das maße dir nicht an, und laß alle Dinge auf sich
selbst beruhen: das Gute lass gut sein, was böse ist, berichtige nicht
und frage nicht danach; kehre dich in den Grund und bleibe dabei, und achte
auf die väterliche Stimme, die in dir ruft: die ruft dich in sich und gibt
dir solchen Reichtum, dass, wäre es nötig, ein solcher Mensch allen
Pfaffen genug gäbe, so klar wird der erfasste Mensch begabt und erleuchtet.
Liebes Kind, und wenn du auch alles vergisst, was wir gesagt haben, so behalte
nur diese beiden Pünktlein, so erreichst du diese Dinge.
Das eine ist: dass du lauter, inwendig und auswendig, bis auf den Grund, klein
seiest, nicht dem Scheine nach oder mit Worten, sondern mit Wahrheit in all
deinem Verstehen: so sei Nichts in deinem Grunde und in deinen Augen, ohne jede
Ummäntelung.
Das zweite: habe wahre, göttliche Liebe, nicht was wir Liebe nennen in
sinnlicher Weise. sondern in wesentlicher Weise, ein allerinwendigstes Gottlieben;
das ist nicht ein einfältiges, auswendiges, sinnliches Gott-im-Sinne-haben,
wie man gewöhnlich meint, Gott im Sinne haben, sondern es ist ein ansehendes
Im-Sinne-haben, mit dem Gemüt, ein »gemütliches« Im-Sinne-haben,
wie einer es hat, der in die Wette läuft oder wie ein Schütze, der
schießen will. S. 348f.
Aus: Jakob Studer, Für alle Tage, Ein christliches Lesebuch, Fretz &
Wasmuth Verlag AG. Zürich