Quintus Septimius Florens Tertullian (160 – 225)

  Lateinischer Kirchenschriftsteller. Tertullian wurde in Karthago als Sohn eines römischen Zenturios geboren, der in der dortigen Garnison stationiert war. In seiner Vaterstadt studierte er Rhetorik. Tertullian war der geistvollste und vielleicht tiefste unter den lateinischen Schriftstellern seiner Zeit. Seine stilvollendeten Werke, die sich mit dem Streben nach christlicher Vollkommenheit befassen, zeigen seine Neigung zum sittlichen Rigorismus. Sie behandeln u. a. praktische Fragen des Gemeindelebens (Ehe, Gebet, Buße, Martyrium). Als leidenschaftlicher, juristisch geschulter, stoisch gebildeter Denker suchte er stets die strengste gesetzliche Entscheidung, die er mit Scharfsinn und Realismus biblisch zu begründen suchte. Grundbegriffe der späteren abendländischen Theologie (Natur, Gnade, Verdienst, Dreieinigkeit) sind bei ihm vorgeprägt. Im hohen Alter trat er einer Gruppe bei - die von den Irrlehren des Montanus verführt – sich durch mystisch-rigoristische Auffassungen von der Christengemeinde ausgeschlossen hatte. Weitere Texte von Tertullian sind in älterer deutscher Übersetzung online in der »Bibliothek der Kirchenväter« von Gregor Emmenegger, Departement für Patristik und Kirchengeschichte an der Universität Fribourg, eingestellt.

Siehe auch Wikipedia, Kirchenlexikon und Heiligenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Über die Geduld
Über die Spiele

Über die Geduld

I. Vor Gott dem Herrn muss ich es gestehen: Ich weiß sehr wohl, dass ich voll Verwegenheit, wo nicht voll Anmaßung handle, wenn ich mich erdreiste, über die Geduld zu schreiben. Denn ich selbst — als ein Mensch ohne jede gute Eigenschaft — bin außerstande, Geduld zu üben. Und doch sollte man bei denen, die den Beweis für eine Sache führen oder gar deren Vertretung übernehmen wollen, zuvor mindestens etwas von der Ausübung derselben bemerken können. Das Beispiel des eigenen Wandels sollte so beharrlichen Ermahnungen die rechte Richtung geben, damit nicht, die Worte ob des Mangels an Taten schamrot werden. Ach, wenn doch wenigstens die Schamröte Heilung brächte! Wenn doch die Beschämung, selbst nicht getan zu haben, was wir anderen zu tun so dringend anraten, uns selbst eine Lehre sein könnte!

Aber vielleicht wird es eine Art von Trost sein, über das, was zu genießen uns selbst nicht gegeben ist, wenigstens zu disputieren — so etwa, wie auch Kranke nicht aufhören können, vom Glück der Gesundheit zu reden, solange diese sie flieht. So muß auch ich Armer, der ich immer wieder an der Fieberhitze der Ungeduld krank liege, nach der Gesundheit seufzen, die einfach in der Geduld besteht; ich muß darum bitten, muß darüber reden, mich danach sehnen; und angesichts meiner Gebresten will ich mich daran erinnern, daß gute Gesundheit im Glauben so leicht nicht zu erlangen ist und noch weniger das rechte Wohlbefinden in der Zucht des Herrn, solange nicht die Geduld hilfreich zur Seite steht.

So hoch ist die Geduld über alle unsere von Gott gewollten Werke gesetzt, daß niemand eine Vorschrift zu erfüllen imstande ist, niemand ein Gott wohlgefälliges Werk auszuführen vermag, solange er ohne Geduld bleibt. Sogar die, denen sie gänzlich fehlt, erkennen ihre Vortrefflichkeit an und nennen sie die höchste aller Tugenden.

Auch die Philosophen, von denen man meint, sie lebten nur für die Weisheit, setzen die Geduld an die bevorzugte Stelle; bei all ihrer sonstigen Uneinigkeit, bei all ihrer Vorliebe für einander widerstreitende Schulen, entgegengesetzte Meinungen und Systeme begegnen sie einander alle in schwärmerischem Preisen der Geduld und sehen diesen einen Gegenstand ihrer Studien als das einzige Feld an, in welchem sie einander friedlich begegnen... und mit der Geduld tragen sie auch ihre Weisheit vollkommen zur Schau...

II. Was aber uns Christen zur Ausübung der Geduld veranlaßt, ist nicht nur ein Zurschautragen von unbeteiligtem Gleichmut, wie etwa die Zyniker dies aus Verstellung tun oder sonst nur die Stumpfsinnigen aus Mangel an Bewußtsein, sondern gerade das ist für uns die göttliche Eigentümlichkeit der himmlischen Lehre und ihres Lebensreichtums, daß Gott selbst sie vor uns und für uns übt, sie unserem Wachsein vorhält und den Lichtglanz des Tages gleichmäßig über Gerechte und Ungerechte ausgießt.. . so sehr, daß viele nur deswegen nicht an den Herrn glauben, weil sie so lange Zeit hindurch von Seinem Zorn gegen diese Welt nichts merken.

Dies ist freilich eine Art göttlicher Geduld, die weit, weit außerhalb menschlicher Reichweite liegt. Sozusagen eine transzendente Geduld, vielleicht nur als eine solche verständlich, die in den höheren Regionen waltet, nur aus überirdischem Geist vollziehbar. Wie aber steht es mit jener Art von Geduld, welche durch Gott unter den Menschen auf dieser Erde offenbar gemacht worden ist, so daß sie gewissermaßen mit Händen zu greifen war?

Gott ließ es sich gefallen, im Mutterschoße geboren zu werden. So erwartete Er also den Zeitpunkt. Geboren, ertrug Er es, heranzuwachsen. Herangewachsen, verlangte Er, nicht erkannt zu werden. Er verhinderte Seinen eigenen Ruhm. Er ließ sich von Seinem Knecht taufen. Ja sogar die Angriffe des Versuchers wies er nur mit Worten ab. Dann verwandelte sich der Herr in einen geduldigen Lehrer, der den Menschen zeigte, wie die beleidigte Geduld vollständig zu versöhnen sei und wie die Menschen dadurch sogar dem Tod entgehen können. Er stritt nicht. Er schrie nie zurück. Niemand hörte Seine Stimme auf den Gassen. Das geknickte Rohr zerbrach Er nicht, und den glimmenden Docht löschte Er nicht aus. Die Propheten hatten nicht gelogen: Gott selbst, der Seinen Geist und Seine ganze Geduld in Seinen Sohn gelegt hatte, gab Ihn als Zeugnis. Jeden, der Ihm anhangen wollte, nahm Er auf. Keine Tafel und kein Dach verschmähte Er je. Er machte selbst den Diener bei der Fußwaschung Seiner Schüler...

V. Vielleicht ist es angebracht und auch nicht nutzlos, wenn wir unsere Erörterungen von den notwendigen Grundwahrheiten des Glaubens ausgehen lassen. Wortreichtum mag sonst tadelnswert sein — in Sachen der Erbauung gereicht er niemandem zum Vorwurf. Und so scheint es uns angemessen, da doch von einer Tugend hier die Rede ist, nun auch ihr Gegenbild zu betrachten, So wird das, wonach man trachten soll, in helleres Licht gesetzt werden, wenn erst dargelegt ist, was deswegen folgerichtig zu meiden wäre.

Was also die Ungeduld betrifft — überlegen wir einmal, ob sie nicht vielleicht, so wie die Geduld in Gott, als das Gegenteil davon etwa in unserem bösesten Feind erzeugt und von diesem empfunden und verbreitet werde. Daraus wird auch erhellen, wie sehr sie vor allem dem Glauben widerstrebt. Sicherlich, was sein Dasein dem Widersacher Gottes verdankt, das kann dem Eigentum Gottes kaum sehr günstig sein. Unter dem Eigentum bestehen dieselben Feindschaften wie unter seinen Besitzern. Wenn Gott die höchste Güte ist, so ist der Teufel gewiß die größte Bosheit. Eben durch ihre Gegensätzlichkeit lassen sie uns erkennen, daß keiner dem anderen Vorschub leistet. Ja, es kann überhaupt nicht möglich scheinen, daß vom Schlechten etwas Gutes käme, ebensowenig wie es möglich ist, daß aus dem Guten etwas Schlechtes stamme. Ich finde tatsächlich den Ursprung der Ungeduld im Teufel selbst.

Denn daß Gott der Herr alle Dinge, die Er geschaffen hat, Seinem Ebenbilde, dem Menschen, unterwarf, das hat jener schon damals nur mit Unwillen ertragen. Hätte er es geduldig hingenommen, so hätte er keinen Schmerz darüber empfinden können, und wenn er keinen Schmerz empfunden hätte, so wäre auch kein Neid gegenüber dem Menschen in ihm erwacht. Er betrog den Menschen nur, weil er ihn beneidete, er hatte ihn aber beneidet, weil er Schmerz empfand, und er empfand Schmerz sicher nur deshalb, weil er jenes nicht hatte geduldig ertragen können. Wie dieser Engel des Verderbens im Anfang war, ob zuerst schlecht, dann ungeduldig, oder erst ungeduldig, dann schlecht, brauche ich nicht erst zu untersuchen; denn es ist offenbar, daß eines zusammen mit dem anderen begonnen hat... Was also der Teufel zuerst gefühlt hat und womit er den ersten Schritt zur Sünde tat, ebendasselbe — die Ungeduld — ruft er seinerseits zuhilfe, nunmehr durch eigene Erfahrung über die Reizmittel zur Sünde genügend belehrt; dadurch kann er den Menschen ins Verderben treiben... Der Mensch war voll Unschuld, Gott und dem Nächsten ein Freund, ein Bewohner des Paradieses. Sobald er aber der Ungeduld unterlegen war, hörte er auf, an Gott Gefallen zu finden — er hörte auf, die himmlischen Dinge tragen zu können. Und von da an war der Mensch der Erde überantwortet, von den Augen Gottes verstoßen; er fing an, der Ungeduld leicht zugänglich zu werden für alles, was Gott mißfällt. Denn da die Fruchtbarkeit des Weibes aus der Saat des Teufels sofort eine böse geworden war, gebar sie alsbald einen Sohn des Zornes...

Das war die Wiege der Ungeduld, damals befand sie sich gleichsam noch in ihren Kindertagen. Aber welches Wachstum erlangte sie alsbald! Doch wenn sie die erste Sünde war, so ist das weiter kein Wunder, denn daraus folgt nur, daß sie — weil die erste — notwendig auch jede andere Sünde ins Dasein ruft, so daß aus ihrer Fülle allein die verschiedenen Flußläufe der Verbrechen alle ihren Ausgang nehmen... Mag jemand aus Feindschaft oder Raubes wegen einen Mord begehen, immer ging dem voraus, daß er ein ungeduldiger Sklave entweder des Zornes oder des Neides, also der Habsucht geworden war. Welcher von diesen Antrieben auch immer sich melden mag, er könnte ohne Mangel an Geduld sich gar nicht weiterentwickeln. Wer hat je Ehebruch begangen, außer wenn er den Trieb zur Lust nicht mehr geduldig ertragen konnte? ... Und auch das Preisgeben der weiblichen Keuschheit um Geld ist doch nur durch ein ungeduldiges Verlangen nach Gewinst veranlaßt.

So viel über die Laster, die als Hauptsünden vor dem Herrn gelten. Im ganzen genommen, ist aber jede Sünde auf Rechnung der Ungeduld zu setzen. Das Böse ist nur die mangelnde Geduld im Guten. Der Unzüchtige hat keine Geduld mehr, Keuschheit zu üben, der Unehrliche keine mehr für die Rechtschaffenheit, der Gottlose keine mehr für Frömmigkeit, der Unruhige keine mehr für ein stetig stilles Leben... Um schlecht zu werden, dazu gehört für jeden, wer immer er sei, nichts weiter, als daß er im Guten nicht mehr zu verharren vermag...

Ist es nicht offenkundig, daß das Volk Israel den Herrn fortwährend durch seine Ungeduld beleidigt hat? Uneingedenk des Armes, der es aus den Plagen Ägyptens herausgezogen hatte, begehrte es voll Ungeduld von Aaron Götzenbilder zu Führern... es hatte das notwendige Fernweilen des Moses, der mit dem Herrn redete, voll Ungeduld nicht länger ertragen wollen.., um uns nicht in Einzelheiten zu verlieren: Sie sind stets nur durch die Sünde der Ungeduld in ihr Verderben gerannt. Wie hätten sie sonst Hand an ihre Propheten legen können? Sie hatten schließlich nicht einmal mehr zum Zuhören Geduld genug! Und zuletzt haben sie sich an den Herrn selbst vergriffen — sie hatten nicht Geduld genug, ihn auch nur zu sehen. Hätten sie Geduld gehabt — sie wären gerettet worden.

VI. Also ist es die Geduld, die dem Glauben vorangeht und die ihm nachfolgt. Abraham glaubte an Gott, und es wurde ihm von Gott zur Gerechtigkeit angerechnet. Allein, seine Bewährung empfing auch der Glaube Abrahams erst durch Ausharren. Denn ihm ist befohlen worden, seinen Sohn zu opfern — ich möchte nicht sagen, zur Erprobumg seines Glaubens, sondern zu dessen vorbildlicher Bezeugung. Gott wußte recht wohl, wen er als gerecht anzusehen hatte. Abraham hörte einen so ungeheuren Auftrag, dessen Ausführung Gott selbst nicht einmal wollte, geduldig an. Aber nicht nur dies — er würde ihn auch vollzogen haben, wenn das wirklich Gottes Wille gewesen wäre. Mit Recht ist er also ein Gesegneter zu nennen, weil er gläubig war, und mit Recht ein Gläubiger, weil er seine Geduld bezeugte.

Deshalb hat auch der Offenbarungsglaube, durch diese Geduld also verklärt, dem Gesetz die Gnade hinzugefügt, als er durch den Samen Abrahams — der Christus ist — unter die Heiden ausgebreitet wurde, deshalb hat er auch die Geduld als seinen stärksten Beistand zur Erweiterung und Vervollständigung des Gesetzes an die Spitze gestellt; an der Lehre der Gerechtigkeit hatte einzig und allein noch die Geduld gefehlt, denn in den alten Zeiten forderte man ja noch Auge um Auge, Zahn um Zahn und vergalt Böses mit Bösem. Es konnte noch keine Geduld auf Erden geben, weil Geduld erst aus der Vollkommenheit des Glaubens entsteht. Bis dahin hatte sich Ungeduld immer noch die Gelegenheiten zunutze gemacht, die das Gesetz ihr ließ. Leicht konnte sie sich entzünden, denn der Herr der Geduld und ihr Lehrer für die Menschen war noch nicht unter uns erschienen. Nachdem Er aber gekommen war und die Gnade des Glaubens um die Geduld vermehrt hatte, ist es nun nicht mehr erlaubt, irgend jemanden auch nur mit Worten zu verletzen, ja nicht einmal, ihn einen Narren zu schelten.

Wenigstens nicht, ohne sich der Gefahr des göttlichen Gerichts auszusetzen. Verboten ist der Zorn, verpönt der Unmut, die freche Hand wird zurückgehalten, die giftige Zunge durch Verachtung gelähmt. Das Gesetz hat mehr gewonnen als verloren, da Christus es so aussprach: »Liebet eure Feinde, segnet jene, die euch fluchen, und bittet für eure Verfolger damit ihr euch alle als Kinder eures himmlischen Vaters erkennet.« Du siehst also, was für einen Vater wir uns durch die Geduld erwerben. In diesem einen Grundgesetz ist die ganze Lehre von der Geduld zusammengefaßt; nun erst ist Böses zu tun überhaupt nicht mehr erlaubt — auch nicht einmal mit guten Gründen.

VII. Aber gehen wir weiter die Hauptveranlassungen der Ungeduld durch. Zu allen werden uns die Vorschriften des Herrn genau die betreffende Antwort geben. Wenn etwa unsere Seele durch Verlust von Hab und Gut beunruhigt ist, so finden wir uns fast auf jeder Seite der Heiligen Schrift zur Weltverachtung ermahnt. Gibt es eine dringendere Aufforderung, Geld und Gut zu verachten, als die Erinnerung an die Tatsache, daß der Herr selbst ohne jeglichen Besitz irgendwelcher Reichtümer gefunden wird? Immer wieder erklärt Er die Armen für gerecht und verdammt die Reichen als solche. Er gab uns also als Mittel, Verluste erträglich zu machen, den Abscheu vor dem Reichtum im voraus, Er zeigte uns durch Seine eigene Entäußerung von allen Reichtümern, wie wenig etwaige Einbußen daran für uns Gewicht haben sollten.

Wir müssen es ohne Klagen geduldig ertragen, wenn uns verkürzt oder ganz entzogen wird, was wir überhaupt nicht begehren sollten, weil der Herr es nie begehrt hat. Daß die Habsucht die Wurzel aller Übel sei, hat uns der Heilige Geist durch den Mund des Apostels verkündet. Bilden wir uns doch nicht ein, diese Habsucht bestehe bloß in der Begierde nach fremdem Eigentum! Auch was unser zu sein scheint, gehört uns doch in Wahrheit sehr wenig, weil alles Gott gehört und auch wir Ihm gehören. Wenn wir bei einem erlittenen Verlust Ungeduld verspüren, so fallen wir daher in eine Schuld, die mit der Habsucht nahe verwandt ist, denn wir betrüben uns über den Entzug von etwas, das uns nicht einmal wirklich gehört. Wenn wir die Abwesenheit von eigentlich fremdem Gut so schwer ertragen, ist das nicht so, als ob wir ungeduldig nach fremden Gut Verlangen trügen? Wer sich von der Ungeduld über Verluste packen läßt, sündigt dadurch fast gegen Gott selbst, denn er stellt das Irdische höher als das Himmlische. Unsere Seele, dieses Geschenk des Herrn, hat sich dann offenbar von der Liebe zu zeitlichen Dingen verwirren lassen.

Seien wir immer bereit, Irdisches zu verlieren, bewahren wir uns lieber die himmlischen Güter! Wenn ich mir die Geduld als Gewinn erwerbe, dann mag die ganze übrige Welt für mich verloren sein. Wer es nicht über sich bringt, einen kleinen, etwa durch Nachlässigkeit, Diebstahl, oder Gewalt entstandenen Schaden mit Gleichmut zu ertragen, der wird schwerlich schnell genug sein Hab und Gut angreifen, wenn es sich darum handelt, durch Almosen seinem Nächsten beizuspringen... Gelassenheit bei Verlusten ist eine gute Vorübung im Schenken. Wer sich nicht vor Verlusten fürchtet, der ist auch beim Geben nie unwirsch und zögert nicht. Wie will einer, der zwei Röcke hat, einen davon dem Nackten anbieten, wenn er nicht imstande war, dem auch noch den Rock zu geben, der ihm den Mantel stahl? Wie sollen wir uns mit dem Mammon der Ungerechtigkeit Freunde erwerben, wenn wir diesen Mammon so lieben, daß wir seinen Verlust nicht ohne Murren der Ungeduld ertragen? Aber dann werden wir eben mit dem Zugrundegegangenen auch selbst zugrunde gehen...

VIII. Besitzen wir doch auch unseren Körper und sogar unsere Seele in dieser Welt nur als Zielscheibe für alle Beleidigungen! Unterziehen wir uns aber diesen Beleidigungen mit Geduld, wie sollten wir uns da noch durch Verluste von viel geringeren Dingen verletzt oder gekränkt fühlen? Die Geduld eines Dieners Christi sollte bei größeren Versuchungen in Standhaftigkeit geübt und bewährt sein, als daß er die Schande erleben dürfte, seine Geduld bei Kleinigkeiten zu Fall kommen zu lassen.

Vor Herausforderungen, wenn uns jemand durch Tätlichkeiten reizt, haben wir das Mahnwort des Herrn: »Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, so halte ihm auch noch die linke hin.« Denn durch Geduld sollen wir es bewirken, daß alle Nichtswürdigkeit ermüdet. Wie schwer ein Schlag durch die Wucht des Schmerzes auch sein mag, wie sehr der Schimpf auch brennen mag, alles wird ja doch noch schwerer vom Herrn geahndet. Durch deine Gelassenheit schlägst du den Nichtswürdigen nur noch kräftiger, denn er wird dann durch Den geschlagen werden, um dessentwillen du gelassen bleiben kannst. Wo eine giftige Zunge sich in Flüchen oder Schmähungen ergeht, dort erinnere du dich an das Wort des Herrn:

»Wenn sie euch fluchen, so freut euch doch!«
Der Herr selbst ist vor dem Gesetze zum Verfluchten geworden — und doch ist Er allein der Gesegnete. So folgen wir denn dem Herrn als seine Knechte, lassen wir uns geduldig verfluchen, damit wir zu Gesegneten werden! Würde ich ein gegen mich ausgestoßenes unverschämtes oder nichtswürdiges Wort nicht gleichmütig genug anhören, dann wäre alsbald die natürliche Folge unvermeidlich, daß ich entweder die Bitterkeit zurückgebe oder mich in stillem Ärger selbst verzehre. Wenn ich aber den schlüge, der mir geflucht hat, wie könnte ich da noch darauf Anspruch erheben, die Lehre des Herrn befolgt zu haben, die besagt, daß der Mensch weniger durch die Unreinheit der Gefäße beschmutzt werden kann als durch das, was aus seinem Mund ausgeht — und daß jedes törichte Wort, jede überflüssige Schärfe eine bleibende Schuld darstellt? Daraus ist zu entnehmen, daß der Herr selbst uns ermahnt, auch das geduldig von anderen zu erleiden, was Er uns zu tun verbietet.

Hier noch ein Wort über den Triumph der Geduld.. Jedes Unrecht — gleichgültig, ob in Worten oder in Taten — nimmt bald ein Ende, wenn es auf Geduld trifft, es wird zunichte, kraftlos wie ein Geschoß, das gegen einen Felsen geschleudert wird und an dessen Härte abprallt. Ohnmächtig fällt es herab, wirkungslos, und zuweilen wütet es sogar durch den bloßen Rückstoß gegen den, der es abschleuderte. Man beleidigt doch nur in der Absicht~ zu verletzen, denn der Erfolg des Beleidigers besteht ausschließlich im Schmerz des Beschuldigten. Wenn du also seinen Zweck dadurch vernichtest, daß du dich über solches nicht betrübst, dann kann die Folge davon nur sein, daß der andere sich ärgert: nämlich über sein Verfehlen des Zweckes. Du bleibst dann nicht nur schadlos — was dir allein schon genügen müßte —, sondern du kannst dann auch noch die Freude fühlen, daß dein Feind sich verrechnet hat — sein Ärger wird so zu deiner Sicherheit und schützt dich. Dies ist der Nutzen, den uns die Geduld gewährt.

XII. . . . Die Liebe, dieses höchste Geheimnis des Glaubens, dieses Kleinod des christlichen Bekenntnisses, wird nur erlernt durch die Schule der Geduld allein. Darum empfiehlt sie auch der Apostel mit allen Kräften, die ihm der Heilige Geist verleiht, und sagt: »Die Liebe ist großmütig« — denn sie hat sich die Geduld zu eigen gemacht. »Sie ist gütig« — denn Geduld kann nichts Böses tun. »Sie beneidet nie« — und gerade das ist die Eigentümlichkeit der Geduld. »Sie ist auch nicht übermütig« — denn aus der Geduld hat sie echte Bescheidenheit geschöpft. Liebe, die sich die Geduld zu eigen gemacht hat, »ist auch nie aufgeblasen, nie unbescheiden« — denn das alles paßt nicht zur Geduld. Liebe, der die Geduld vermählt ist, »sucht auch nicht das Ihrige« — sie ist nie eigensüchtig — denn sie gibt das Ihrige freudig hin, falls es dem anderen nicht schadet. »Sie läßt sich auch niemals reizen« — denn dann hätte sie ja der Ungeduld Raum gegönnt! Deswegen schließt der Apostel diesen Satz mit den Worten: »Die Liebe erträgt alles, sie duldet alles« (1. Kor. 13, 2—7) — natürlich, weil es eben zu ihrem Wesen gehört, Geduld zu üben.

E chte Liebe wird also mit Recht niemals aufhören. Alles übrige mag ein Ende nehmen und vergehen. Die Liebe nicht.

Erschöpfen mag sich die Gabe der Sprachen, die Gabe der Wissenschaft, die Gabe der Weissagung. Was dann aber bleibt, und ewiglich bleibt, das ist der Glaube, die Hoffnung und die Liebe. Der Glaube, den Christi Geduld zum Leben erweckt hat. Die Hoffnung, die durch menschliche Geduld zu blühen nicht aufhört. Und die Liebe, die nach der Anleitung und dem lebendigen Vorbild Gottes stets die Geduld als treue Magd und Begleiterin mit sich führt.

XV. . . . Wo immer also der Geist Gottes herabsteigen mag, dort ist die Geduld seine unzertrennliche Begleiterin. Würden wir ihr nicht zugleich mit dem Geiste bei uns Einlaß gewähren, würde dann letzterer bei uns verweilen? Nein, ich glaube nicht, daß er dann bei uns auch nur einen Augenblick lang bleiben könnte. Ohne seine stete Begleiterin und Dienerin muß er sich ja zu jeder Zeit und an jedem Ort beengt fühlen. Was immer sein Widersacher unternehmen mag an Bösem, an Verruchtem — wie sollte er es ohne Geduld zu ertragen vermögen, er allein? Denn gerade das notwendigste Hilfsmittel zu jedem Ertragen ginge ihm dann ab.

Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band I, Die Väter der Kirche . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.71-80) Holle Verlag , Darmstadt

Über die Spiele
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(1) Auf wie viele Arten sollen wir jetzt noch darlegen, daß nichts von dem, was mit den Schauspielen zu tun hat, Gott wohlgefällig ist oder daß sich für einen Diener Gottes nichts schickt, was Gott nicht wohlgefällig ist?

(2) Wenn wir aufgezeigt haben, daß all das um des Teufels willen eingerichtet und aus dem Arsenal des Teufels ausgerüstet ist — denn alles, was nicht Gottes ist oder was Gott mißfällt, ist des Teufels —, dann wird das das Blendwerk des Teufels sein, dem wir im Zeichen des Glaubens abschwören.

(3) An einer Sache aber, der wir abschwören, dürfen wir uns weder in Wort noch Tat, weder durch direktes Zuschauen noch durch gedankliches Vorausblicken darauf beteiligen. Schwören wir sonst nicht wieder (dem Glauben) ab und zerbrechen das Siegel, indem wir unser Zeugnis ihm gegenüber aufheben? Sollen wir am Ende etwa ausgerechnet von den Heiden eine Antwort (auf unsere Frage) erwarten? Nun gut, sie sollen uns informieren, ob es Christen erlaubt ist, an Schauspielen teilzunehmen. Es ist aber gerade diese Haltung, an der sie am ehesten erkennen, daß jemand Christ geworden ist: an seiner Weigerung, Schauspiele zu besuchen.

(4) Daher leugnet offensichtlich derjenige seinen Glauben, der das beseitigt, woran er erkannt wird. Welche Hoffnung aber bleibt einem Menschen dieses Schlages? Niemand läuft ins Lager der Feinde über, ohne seine Waffen fortgeworfen, ohne seine Fahnen verlassen und seinen Treueeid gegenüber seinem Fürsten gebrochen zu haben — und ohne fest entschlossen zu sein, mit jenen zu leben oder zu sterben.

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(1) Oder wird jener Mensch in der Zeit seine Gedanken auf Gott richten, in der er sich dort befindet, wo nichts von Gott ist? Frieden wird er, vermute ich, in seiner Seele haben, wenn er sich für einen Wagenlenker ereifert, Sittsamkeit wird er lernen, wenn er von den Schauspielern gefesselt ist.

(2) Ganz im Gegenteil: Bei dem ganzen Schauspielwesen wird man auf kein größeres Ärgernis stoßen als gerade jenen allzu sorgfältigen Putz von Frauen und Männern. Gerade die gemeinsame Teilnahme, gerade die Einigkeit oder Uneinigkeit bei den Gunstbezeugungen (gegenüber den Akteuren) fachen die Funken lüsterner Leidenschaften durch den engen Umgang miteinander an.

(3) Überhaupt denkt niemand, wenn er zu einem Schauspiel geht, an etwas anderes, als gesehen zu werden und andere zu sehen. Jener Mensch aber wird, während der Tragödienschauspieler mit lauter Stimme Ausrufe ertönen läßt, an die Ausrufe eines Propheten denken, und während die Melodien eines weichlichen Flötenspielers erklingen, wird er sich auf einen Psalm besinnen, und während die Athleten am Werk sind, wird jener von sich geben, man dürfe nicht zurückschlagen.

(4) Er wird sich also auch an die Verpflichtung zur Barmherzigkeit erinnern, während er gebannt seinen Blick auf die Bisse der Bären und die »Schwämme« der Netzkämpfer richtet. Möge Gott solch eine Leidenschaft für ein mörderisches Vergnügen von den Seinen fernhalten!

(5) Denn was ist das für ein Verhalten, wenn man von der Versammlung Gottes zur Versammlung des Teufels eilt, vom Himmel in den Schweinestall, wie es im Sprichwort heißt? Wenn man dieselben Hände, die man zu Gott erhoben hat, kurz darauf durch Beifallklatschen für einen Schauspieler ermüden läßt? Wenn man aus demselben Mund, mit dem man das »Amen« zum Sakrament ausgesprochen hat, seiner Bewunderung für einen Gladiator Ausdruck gibt und irgendeinem anderen »für immer und ewig« zuruft, was nur Gott und Christus gebührt?

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(1) Warum also sollten solche Menschen nicht auch für Dämonen zugänglich werden? Denn es ist tatsächlich — der Herr ist Zeuge — das schlimme Beispiel jener Frau vorgekommen, die ins Theater gegangen und von dort dämonenbesessen zurückgekehrt ist.

(2) Als nun der unreine Geist beim Exorzismus beschuldigt wurde, daß er es gewagt habe, sich an einer gläubigen Christin zu vergreifen, da antwortete er standhaft: »Und zwar habe ich das völlig zu Recht getan; ich habe sie auf meinem Terrain gefunden.«

(3) Auch hinsichtlich einer anderen Frau ist verbürgt, daß ihr, nachdem sie einem Tragödienschauspieler zugehört hatte, in der nächsten Nacht ein Leichentuch im Traum gezeigt worden sei — wobei der Name des Tragöden vorwurfsvoll genannt wurde —, und daß sie fünf Tage später nicht mehr am Leben gewesen sei.

(4) Wie viele weitere anschauliche Beweise haben sich in der Tat von solchen Menschen ergeben, die vom Herrn dadurch abgefallen sind, daß sie beiden Schauspielen mit dem Teufel gemeinsame Sache gemacht haben! »Denn niemand kann zwei Herren dienen«. Was hat das Licht mit der Finsternis gemein? Was hat das Leben mit dem Tode zu tun?

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(1) Wir müssen diese Versammlungen und Massenansammlungen von Heiden schon deshalb hassen, weil dort der Name Gottes gelästert wird, weil dort Tag für Tag gefordert wird, Löwen auf uns zu hetzen, weil von dort aus Verfolgungen beschlossen werden und von dort Versuchungen ausgehen.

(2) Was willst du machen, wenn du in jener hin- und herwogenden Flut gottloser Begeisterungsschreie gefangen bist? Nicht daß du dort etwas von seiten der Menschen erleiden könntest — keiner erkennt dich als Christen — aber bedenke, was mit dir im Himmel geschieht!

(3) Denn zweifelst du daran, daß in jenem Augenblick, da der Teufel in der Versammlung wütet, alle Engel vom Himmel herabschauen und jeden einzelnen brandmarken, der eine Gotteslästerung von sich gegeben, der sie gehört hat, der seine Zunge und der seine Ohren dem Teufel gegen Gott geliehen hat?

(4) Wirst du also nicht lieber die Sitzplätze der Feinde Christi fliehen, jenen Sitz von Seuchen und geradezu die darüberliegende Luft, die von den frevelhaften Schreien verpestet ist? Mag da auch manches süß, angenehm und harmlos, manches sogar anständig sein — niemand mischt Gift mit Galle und Nieswurz, sondern er schüttet diese verderbenbringende Substanz in gut gewürzte, wohl schmeckende und zumeist süße Leckerbissen. So gießt auch der Teufel den tödlichen Trank, den er braut, über ausgesprochen angenehme und höchst willkommene Gaben Gottes.

(5
) Deshalb sieh alles dort — gleich, ob es tapfer oder anständig, wohlklingend, harmonisch oder geschmackvoll ist — ebenso an wie Honigguß, der von einem vergifteten Pfannkuchen herabtropft, und stelle deinen Gaumengenuß nicht über die Gefahr, die in der Süße liegt.

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(1) Sollen seine (des Teufels) Gäste sich an süßen Speisen dieser Art satt essen; Ort und Zeit und der Gastgeber gehören ihnen. Unser Gast-, unser Hochzeitsmahl ist jetzt noch nicht. Wir können mit jenen nicht an einem
Tisch sitzen, weil jene das auch nicht mir uns können: Die Sache läuft in umgekehrter Reihenfolge ab. Jetzt frohlocken jene, und wir sind arg bedrängt.

(2) »Die heidnische Welt«, so steht geschrieben, »wird sich freuen, ihr werdet traurig sein.« Laßt uns also traurig sein, solange sich die Heiden freuen, damit wir uns freuen können, wenn sie begonnen haben, traurig zu sein, auf daß wir nicht, wenn wir uns mir ihnen gemeinsam freuen, mit ihnen auch gemeinsam trauern müssen.

(3)
Genußsüchtig bist du, Christ, wenn du auch in dieser Welt Vergnügen begehrst, oder vielmehr ein ziemlicher Dummkopf, wenn du das für Vergnügen hältst.

(4) Bestimmte Philosophen haben diesen Begriff (»Vergnügen«) auf innere Ruhe und Frieden des Gemüts bezogen; darin finden sie ihre Freude, darin finden sie Zerstreuung, ja sogar ihren Ruhm. Du, mein Freund, sehnst dich nach den Wendemarken des Circus, nach der Bühne, nach dem Staub und nach der Arena?

(5) Ich wollte, du sagtest es frei heraus: Wir können nicht ohne Vergnügen leben, die wir mit Vergnügen sterben sollen? Denn was haben wir für ein anderes Verlangen als das des Apostels: Diese Welt zu verlassen und beim Herrn aufgenommen zu werden? Unser Vergnügen ist da, wo auch unser Verlangen ist.

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(1) Wenn du es nun noch für richtig hältst, diese Lebenszeit mit Vergnügungen zu verbringen, warum bist du dann so undankbar, daß du dich mir so vielen und bedeutenden Genüssen, wie sie dir von Gott gewährt wer­den, nicht zufrieden gibst und sie dir nicht vergegenwärtigst? Denn was ist angenehmer als die Versöhnung mir Gott, dem Vater und Herrn, als die Enthüllung der Wahrheit, als die Erkenntnis der Irrtümer und als die Verzeihung für so große früher begangene Sünden?

(2) Welcher Genuß kann größer sein als die Geringschätzung gerade des Genusses, als die Verachtung der ganzen heidnischen Welt, als die wahre Freiheit, als ein reines Gewissen, als ausreichend(es) Leben,204 als die Abwesenheit von Todesfurcht,

(3) als daß du die Götter der Heidenvölker mit Füßen trittst, daß du die Dämonen vertreibst, daß du Heilungen bewirkst, daß du dich um Erleuchtungen bemühst und daß du für Gott lebst? Das sind die Genüsse, das sind die Schauspiele der Christen: Sie sind heilig, ewig und unentgeltlich. In ihnen finde du deine Circusspiele : Betrachte den Lauf der Welt, die dahinrinnende Zeit, zähle die durchmessenen Runden der Zeit, warte auf den Wendepunkt der Vollendung, tritt für die Gemeinschaften der Kirchen ein, erhebe dich beim Zeichen Gottes, stehe aufrecht zur Trompete des Engels, rühme dich der Siegeszweige des Martyriums!

(4) Wenn du an der Bühnenliteratur Gefallen findest — wir haben genug Literatur, genug Verse, genug Lebensweisheiten, auch genügend Lieder und Stimmen — und zwar keine Dichtungen, sondern Wahrheiten, keine komplizierten Fiktionen, sondern ungekünstelte Aufrichtigkeit.

(5) Willst du Faust- und Ringkämpfe? Es gibt sie — nicht unbedeutende, und in großer Zahl: Schau dir an, wie die Unzucht von der Keuschheit niedergeworfen, die Treulosigkeit von Treu und Glauben geschlagen, grausame Härte von der Barmherzigkeit niedergeschmettert und die freche Anmaßung von der Bescheidenheit in den Schatten gestellt wird! Und so sehen bei uns die Wettkämpfe aus, in denen wir die Siegeskrone erhalten. Willst du aber auch noch Blut? Dann hast du das Blut Christi.

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(1) Was für ein Schauspiel aber steht uns demnächst bevor — die Wiederkehr des nunmehr nicht mehr in Frage gestellten, des nunmehr stolzen, nunmehr triumphierenden Herrn! Was wird das für ein Jubilieren der Engel, was für ein Ruhm der wiederauferstehenden Heiligen sein! Was für eine darauf folgende Herrschaft der Gerechten! Was für eine Stadt, das Neue Jerusalem!

(2) Aber es kommen gewiß noch andere Schauspiele, jener letzte und endgültige Tag des Gerichts, jener Tag, der für die Heiden so unerwartet kommt, jener Tag, den sie verspottet haben, wenn diese so gealterte Welt und ihre so vielen Generationen von einem einzigen Feuer verzehrt werden.

(3) Was für ein umfassendes Schauspiel wird das dann sein! Was soll ich da bestaunen? Worüber soll ich lachen? Worauf soll sich meine Freude, soll sich mein Jubel richten, wenn ich dabei zuschaue, wenn so viele Könige, deren Aufnahme in den Himmel uns verkündet wurde, gemeinsam mit Jupiter selbst und ihren eigenen Zeugen in tiefster Finsternis laut aufstöhnen? Desgleichen die Beamten, die eine führende Rolle bei der Verfolgung des Namens des Herrn gespielt haben — wenn sie in Flammen zergehen, die noch grausamer sind als diejenigen, mit denen sie voller Hohn gegen die Christen gewütet haben.

(4) Wen sehe ich außerdem? Jene weisen Philosophen, wie sie rot werden in Gegenwart ihrer Schüler, die gemeinsam mit ihnen brennen. Sie redeten ihnen ein, Gott kümmere sich um nichts, und behaupteten entweder, es gebe gar keine Seelen, oder diese würden in ihre früheren Körper nicht zurückkehren. Und dann die Dichter, wie sie vor dem Richterstuhl nicht eines Rhadamanthus oder eines Minos, sondern demjenigen Christi, mit dem sie nicht gerechnet haben, zittern?

(5) Dann werden die Tragöden noch vernehmlicher zu hören sein, weil sie natürlich bei ihrem eigenen Unglück noch stimmgewaltiger sind; dann wird man die Schauspieler gut erkennen können — sie werden dann durch das Feuer noch viel lockerer sein —; dann wird der Wagenlenker zu sehen sein, wie er am ganzen Körper rot auf seinem lodernden Wagen steht; dann wird man die Athleten betrachten können — nicht in ihren Ringschulen, sondern im Feuer, in das sie geschleudert wurden; es sei denn, ich will diese Leute nicht einmal dann sehen, weil es mir lieber ist, meinen Blick unersättlich auf diejenigen zu richten, die gegen den Herrn gewütet haben.

(6) »Der hier«, werde ich dann sagen, »ist jener Sohn eines Zimmermanns oder einer Dirne, der Sabbatschänder, der Samariter, jener, der den Teufel im Leib hat. Der hier ist es, den ihr von Judas gekauft habt, der hier ist es, der mit Rohrstock und Fäusten geschlagen und durch Anspeien seiner Würde beraubt worden ist, dem man Galle und Essig zu trinken gegeben hat; der hier ist es, den seine Jünger heimlich weggenommen haben, damit es heißen kann, er sei auferstanden, oder den der Gärtner beiseite geschafft hat, damit seine Salatköpfe nicht durch die große Zahl der Besucher Schaden nähmen.«

(7) So etwas anzuschauen, über so etwas zu jubeln: Welcher Praetor oder Consul, Quaestor oder Priester wird dir das mit seiner Freigebigkeit bieten können? Und doch haben wir das alles schon in gewisser Weise bildlich vor Augen, da es sich der Geist dank des Glaubens vorzustellen vermag. Und im übrigen: Was sind das für Dinge, »die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und die in keines Menschen Herz gekommen sind«? Angenehmere, denke ich doch, als Circus, Theater, Amphitheater und jedes Stadion.

De spectaculis
24
(1) Quot adhuc modis perorabimus, nihil ex his quae spectaculis deputantur placitum deo esse aut congruens servo dei quod deo placitum non sit?


(2) Si omnia propter diabolum instituta et ex diaboli rebus instructa monstravimus (nihil enim non diaboli est quicquid dei non est vel deo displicet), hoc erit pompa diaboli, adversus quem in signaculo fidei eieramus.


(3) Quod autem eieramus, neque facto neque dicto neque visu neque prospectu participare debemus. Ceterum nonne eieramus et rescindimus signaculum rescindendo testationem eius? Numquid ergo superest, ut ab ipsis ethnicis responsum flagitemus? Illi nobis iam renuntient, an liceat Christianis spectaculo uti. Atquin hinc vel maxime intelligunt factum Christianum, de repudio spectaculorum.





(4) Itaque negat manifeste qui per quod agnoscitur tollit. Quid autem spei superest in eiusmodi homine? Nemo in castra hostium transit nisi
proiectis armis suis, nisi destitutis signis et sacramentis principis sui, nisi pactus simul perire.



25
(1) An ille recogitabit eo tempore de deo positus illic ubi nihil est de deo? Pacem, opinor, habebit in animo contendens pro auriga, pudicitiam ediscet attonitus in mimos.



(2) Immo in omni spectaculo nullum magis scandalum occurret quam ille ipse mulierum et virorum accuratior cultus. Ipsa consensio, ipsa in favoribus aut conspiratio aut dissensio inter se de commercio scintillas libidinum conflabellant.




(3) Nemo denique in spectaculo ineundo prius cogitat nisi videri et videre. Sed tragoedo vociferante exclamationes ille alicuius prophetae retractabit et inter effeminati tibicinis modos psalmum secum comminiscetur, et cum athletae agent, ille dicturus est repercutiendum non esse.




(4) Poterit ergo et de misericordia moneri defixus in morsus ursorum et spongias retiariorum. Avertat deus a suis tantam voluptatis exitiosae cupiditatem!



(5) Quale est enim de ecclesia dei in diaboli ecclesiam tendere, de caelo, quod aiunt, in caenum? Illas manus quas ad deum extuleris postmodum laudando histrionem fatigare? Ex ore, quo Amen in Sanctum protuleris, gladiatori testimonium reddere, ... alii omnino dicere nisi deo et Christo?





26
(1) Cur ergo non eiusmodi etiam daemoniis penetrabiles fiant? Nam et exemplum accidit domino teste eius mulieris, quae theatrum adiit, et inde cum daemonio rediit.


(2) Itaque in exorcismo cum oneraretur immundus spiritus, quod ausus esset fidelem aggredi, constanter: »et iustissime quidem« inquit »feci: in meo eam inveni.«


(3) Constat et alii linteum in somnis ostensum eius diei nocte, qua tragoedum audierat, cum exprobratione nominato tragoedo nec ultra quintum diem eam mulierem in saeculo fuisse.



(4) Quot utique et alia documenta cesserunt de his qui cum diabolo apud spectacula communicando a domino exciderunt. »Nemo enim potest duobus dominis servire.« »Quid luci cum tenebris? Quid vitae et morti ?«



27
(1) Odisse debemus istos conventus et coetus ethnicorum, vel quod illic nomen dei blasphematur, illic in nos quotidiani leones expostulantur, inde persecutiones decernuntur, inde temptationes emittuntur.


(2) Quid facies in illo suffragiorum impiorum aestuario reprehensus? Non quasi aliquid illic pati possis ab hominibus (nemo te cognoscit Christianum), sed recogita, quid de te fiat in caelo.


(3) Dubitas illo enim momento, quo diabolus in ecclesia furit, omnes angelos prospicere de caelo et singulos denotare, quis blasphemiam dixerit, quis audierit, quis linguam, quis aures diabolo adversus deum ministraverit?


(4) Non ergo fugies sedilia hostium Christi, illam cathedram pestilentiarum ipsumque aerem qui desuper incubat scelestis vocibus conspurcatum? Sint dulcia licebit et grata et simplicia, etiam honesta quaedam. Nemo venenum temperat felle et elleboro, sed conditis pulmentis et bene saporatis, et plurimum dulcibus id mali inicit. Ita et diabolus letale quod conficit rebus dei gratissimis et acceptissimis imbuit.



(5) Omnia illic seu fortia seu honesta seu sonora seu canora seu subtilia perinde habe ac stillicidia mellis de lucunculo venenato nec tanti gulam facias voluptatis quanti periculum per suavitatem.



28

(1) Saginentur eiusmodi dulcibus convivae sui: et loca et tempora et invitator ipsorum est. Nostrae coenae, nostrae nuptiae nondum sunt. Non possumus cum illis discumbere, quia nec illi nobiscum: vicibus disposita res est. Nunc illi Iaetantur, nos conflictamur.




(2)
»Saeculum« inquit »gaudebit, vos tristes eritis.« Lugeamus ergo, dum ethnici gaudent, ut, cum lugere coeperint, gaudeamus, ne pariter nunc gaudentes tunc quoque pariter lugeamus



(3) Delicatus es, Christiane, si et in saeculo voluptatem concupiscis, immo nimium stultus, si hoc existimas voluptatem.


(4) Philosophi quidam hoc nomen quieti et tranquillitati dederunt, in ea gaudent, in ea avocantur, in ea etiam gloriantur. Tu mihi metas et scaenam er pulverem et harenam suspiras?



(5) Dicas velim: non possumus vivere sine voluptate, qui mori cum voluptate debemus? Nam quod est aliud votum nostrum quam quod et apostoli, exire de saeculo et recipi apud dominum? Hic voluptas, ubi et votum.


29
(1) lam nunc si putas delectamentis exigere spatium hoc, cur tam ingratus es, ut tot et tales voluptates a deo contributas tibi satis non habeas neque recognoscas? Quid enim iucundius quam dei patris et domini reconciliatio, quam veritatis revelatio, quam errorum recognitio, quam tantorum retro criminum venia?




(2)
Quae maior voluptas quam fastidium ipsius voluptatis, quam saeculi totius contemptus, quam vera libertas, quam conscientia integra, quam vita sufficiens, quam mortis timor nullus,


(3) quod calcas deos nationum, quod daemonia expellis, quod medicinas facis, quod revelationes petis, quod deo vivis? Haec voluptates, haec spectacula Christianorum sancta perpetua gratuita; in his tibi circenses ludos interpretare, cursus saeculi intuere, tempora labentia, spatia peracta dinumera, metas consummationis exspecta, societates ecclesiarum defende, ad signum dei suscitare, ad tubam angeli erigere, ad martyrii palmas gloriare.



(4) Si scaenicae doctrinae delectant, satis nobis litterarum est, satis versuum est, satis sententiarum, satis etiam canticorum, satis vocum, nec fabulae, sed veritates, nec strophae, sed simplicitates.



(5)
Vis et pugilatus et luctatus? praesto sunt, non parva et multa. Aspice impudicitiam deiectam a castitate, perfidiam caesam a fide, saevitiam a misericordia contusam, petulantiam a modestia adumbratam, et tales sunt apud nos agones, in quibus ipsi coronamur. Vis autem et sanguinis aliquid? Habes Christi.




30

(1) Quale autem spectaculum in proximo est adventus domini iam indubitati, iam superbi, iam triumphantis! Quae illa exultatio angelorum, quae gloria resurgentium sanctorum! Quale regnum exinde iustorum! Qualis civitas nova Hierusalem!



(2) At enim supersunt alia spectacula, ille ultimos et perpetuus iudicii dies, ille nationibus insperatus, ille derisus, cum tanta saeculi vetustas et tot eius nativitates uno igni haurientur.



(3)
Quae tunc spectaculi latitudo! Quid admirer? Quid rideam? Ubi gaudeam, ubi exultem, tot spectans reges, qui in caelum recepti nuntiabantur, cum Iove ipso et ipsis suis testibus in imis tenebris congemescentes? Item praesides persecutores dominici nominis saevioribus quam ipsi flammis saevierunt insultantes contra Christianos liquescentes?





(4) Quos praeterea? Sapientes illos philosophos coram discipulis suis una conflagrantibus erubescentes, quibus nihil ad deum pertinere suadebant, quibus animas aut nullas aut non in pristina corpora redituras adfirmabant? Eriam poetas non ad Rhadamanthi nec ad Minonis, sed ad inopinati Christi tribunal palpitantes?



(5) Tunc magis tragoedi audiendi, magis scilicet vocales in sua propria calamitate; tunc histriones cognoscendi, solutiores multo per ignem; tunc spectandus auriga in flammea rota totus ruber; tunc xystici contemplandi, non in gymnasiis, sed in igne iaculati, nisi quod ne tunc quidem illos velim visos, ut qui malim ad eos potius conspectum insatiabilem conferre, qui in dominum desaevierunt.





(6)
Hic est ille, dicam, fabri aut quaestuariae filius, sabbati destructor, Samarites et daemonium habens; hic est quem a Iuda redemistis, hic est ille harundine et colaphis diverberatus, sputamentis dedecoratus, felle et aceto potatus; hic est, quem clam discentes subripuerunt, ut surrexisse dicatur, vel hortulanus detraxit, ne lactucae suae frequentia commeantium adlaederentur.





(7)
Ut talia spectes, ut talibus exultes, quis tibi praetor aut consul aut quaestor aut sacerdos de sua liberalitate praestabit? Et tamen haec iam quodammodo habemus per fidem spiritu imaginante repraesentata. Ceterum qualia illa sunt, quae nec oculus vidit nec auris audivit nec in cor hominis ascenderunt? Credo, circo et utraque cavea et omni stadio gratiora.


Aus: Quintus Septimus Tertullian, De spectulatis. Über die Spiele. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Karl-Wilhelm Weeber
Reclams Universalbibliothek Nr. 8477 (S.72-87) © 1988 Philipp Reclam jun., Stuttgart . Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlags