Hans Thoma (1839 – 1924)

  Deutscher Maler aus Bernau im Schwarzwald, der mit Vorliebe Porträts, Stillleben, Landschaften und in seiner Frankfurter Zeit (1877 - 1899) auch allegorische, religiöse und mythologische Darstellungen in naturalistischem Stil malte. Seit 1899 war Thoma Akademieprofessor und Leiter der Kunsthalle in Karlsruhe. Nachfolgende Texte stammen aus Briefen an Freunde und Tagebüchern.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
 

Inhaltsverzeichnis

Ewigkeit
Rätselhaftes
Offenbarung
Selbstbesinnung
  Genie, Wahnsinn, Übermensch und Herrenmoral
Trost im Christentum
Aufgaben und Gefahren der Phantasie
 

Ewigkeit
Der Augenblick ist oft so schwer zu verstehen wie die Ewigkeit. Wenn einem das klar ist, wirft man die Flinte nicht so schnell ins Korn. Ich konnte sie überhaupt nie hineinwerfen, weil meist gerade kein Korn da war. S. 29

Rätselhaftes
Wenn ich nur die Hälfte wär von dem, was ich bin – nicht der Künstler, nicht durch die Phantasie schaffend, sondern nur die andere Hälfte von mir, der Schwarzwaldbauer, der nüchterne, kühle, so wäre ich damit auch genug gewesen. Das ist etwas Rätselhaftes an mir, diese beiden verschiedenen Richtungen, die nebeneinander bestehen. S. 29f.

Es hat in mir gemalt, ich hab’ ni(ch)t anders gekonnt. S. 31

Es war die Zeit der goldnen Schlüsselblumen, aus dem bräunlich grünen Boden leuchtete der blaue Enzian, im Hintergrund die schneebedeckten Bäume wie aus Kristall gebaut; es war mir von Herzen wohl, so allein in dieser großen Natur, ich hatte unvergessliche Eindrücke. Es war mir, als ob ich die Natur in ihrem geheimsten Wesen verstehen könnte, das lässt sich aber nicht beschreiben, wohl auch nicht malen, wie es mir war. So muss wohl ein jeder solche Eindrücke mit ins Grab nehmen, und alle Rätsel bleiben ungelöst.

Bei herannahender Dämmerung stand ich an einem Wiesenabhang voll Schlüsselblumen, der Wind wühlte durch die Blumen, sie bewegten sich zitternd. Ein Wonnegefühl - mit ahnungsvollem Grauen gemischt - bemächtigte sich meiner Seele. Es schien mir, als wäre ich vereinigt mit dem Geiste der Welt. Es war kein Denken und Beobachten, mehr ein inneres Gefühl des Lebens, des Daseins, der Einheit der Natur
. «Wenn die Blümlein draußen zittern und die Abendlüfte wehn.» -

Das Unaussprechliche und Unausgesprochene ist ja das Element der bildenden Kunst. – […]

Es waren prachtvolle Junitage, und auf einem einsamen Hügel in der herrlichsten Blumenpracht sah ich zur Mittagsstunde den schlafenden Pan … Ich wurde von der ruhigen Hingebung der ganzen Natur wahrhaft ergriffen. Ob ich es malen kann, wie ich es gefühlt?

In der Dämmerung stand ich an einem Wiesenhang voll Schlüsselblumen. Der Wind wehte in den Blumen; sie bewegten sich zitternd. Da war es mir, als ob ein liebliches Geheimnis durch die Blumen hinwehte, ein unbeschreibliches Stück Poesie, oder Lebensahnung. Ich fühlte das, was überirdisch ist.
S. 35f.

Offenbarung
Seltene, sogenannte malerische Motive gibt es gerade nicht in Bad Dürrheim; es sind große Eindrücke, die man nicht nur so abmalen kann.
Ich will Ihnen einen solchen, mir unvergesslichen Eindruck verraten, den man freilich nicht malen und auch nicht beschreiben kann. – Man müsste alle Künste, wie Gott sie uns gegeben hat, zusammenfassen, wenn man diesen Eindruck beschreiben oder deuten will. –


Es kann am besten sein, jedes behält solche Eindrücke für sich, und er beziehe sie vom lieben Gott selber; sie sind billig zu haben: gehen Sie einmal in einer dunklen, sternenklaren Nacht auf die Wiese vors Haus hinaus, entfernt von Häusern und Bäumen, um freien Horizont zu haben; dann heben Sie Ihre Augen auf zu den Sternen, die ich noch nie so groß und klar gesehen habe als in einer Hochsommernacht auf der Hochebene der Baar bei Dürrheim. Es war mir, als stünde ich allein zwischen den Sternen, als spräche die Herrlichkeit Gottes gleichmäßig verständlich zu den Sternen, zu mir. –

Gott ist allgegenwärtig und vermag sich uns überall zu offenbaren; aber man gedenkt gerne des irdischen Ortes und der Zeit, wo er dies getan hat. –
So gedenke ich immer an Dürrheim und an seinen großen Sternenhimmel, den mir Gott gezeigt hat. Diesen Sternenhimmel können Sie gut sehen vom Parterre aus, wo Sie die Blumen gepflückt haben, welche Sie so freundlich waren, mir zu schicken – Dürrheimer Blumen! –

Möge Gott Ihnen seine Wunder offenbaren; dazu sind Künstler auf der Welt. –
S. 40f.

Selbstbesinnung
Ich habe tief in das Leben hineingesehen; seine Macht habe ich stark empfinden müssen; denn ich wäre ja nicht Künstler, wenn ich nicht mit allen Sinnen am Leben hinge. –


Man muss doch einmal wieder Zeit haben, sich zu besinnen,
dass man ein Mensch ist und nicht nur eine Maschine, die nur von außen in Bewegung gesetzt wird. Man muss wieder einmal den großen Zusammenhang der ganzen Natur empfinden und ahnen; dann lernt man auch wirkliche Leiden und traurige Geschicke wieder leichter tragen. Mir ist jetzt, seit ich zwei Monate in der Oberursler Einsamkeit bin, zumute, als ob ich anfinge, geistig wieder gesund zu werden, in dem ich mich wieder auf mich selbst besinne und alle Anhängsel von außen, wie be- und gerühmt sein zu wollen, und das Strebertum, was seit einigen Jahren so unbemerkt mich umgarnt hat, wie kranke Schuppen von mir abfallen lasse. –

Wie tut mir jetzt die Stille so wohl, das Verborgensein, die Einsamkeit; aus dieser heraus wird mir die Welt wieder lieb und auch die Menschen. Die geistige Einsamkeit macht, dass ich wieder viel lieber mit Menschen umgehe; sie macht mich nicht finster und mürrisch, sondern heiter. Denn diese Einsamkeit ist mein Glück. Seit ich wieder einsam bin, sehe ich so vieles in der Natur, und jeder Tag ist mir hier bedeutungsvoll; das Kleine und Große ist wichtig in der Natur, und die Welt wird mir wieder voll Herrlichkeiten, wie sie es mir in früheren Zeiten öfters war und wie ich sie in letzter Zeit leider nicht mehr so rein sehen konnte. –
S. 41f.

Genie, Wahnsinn, Übermensch und Herrenmoral
Der Umstand, dass ich jetzt mehr mit den anderen Malern verkehre als früher, zeigt mir, dass es recht viele Talente gibt, die, wenn auch nicht zu etwas Selbständigem kommen, so doch am richtigen Platze unter ein wenig Leitung – oder auch in gemeinsamem Schaffen Vortreffliches leisten könnten; aber man hat ja in unserer Zeit zu viel vom Individuum geredet, und da ist kaum mehr eine Möglichkeit, dass ein größerer Wille als Einheit anerkannt wird; - ein jeder will ein Individuum auf eigene Hand sein. –

Unsre Ausstellungen bezeugen genug den Verfall der bildenden Kunst.


Es tut so wohl, in unserer Zeit solche Persönlichkeiten zu wissen – wo so gar viele meinen, sie seien nichts, wenn sie sich nicht wie
Titanen,
Übermenschen, Herrennaturen und dergl. gebärden. – [richtet sich offensichtlich gegen Nietzsche!]

Die da meinen, ein Künstler müsse ein recht unruhiger Lärmmacher sein, der seiner Umgebung lästig fällt. Dann sei er ein Genie. Denn, so sagen sie: «Genie ist Wahnsinn» - also je verrückter, desto näher beim Genie. –

So blödsinnige Aussprüche wie obiger, sind leider gar schädlich; denn sie sind nicht wahr. –

Waren wohl Leonardo da Vinci, Michelangelo,
Raffael, Dürer wahnsinnig? Es zeigt sich gerade in ihren Werken das schönste Maß, der ordnendste Verstand. War Bach wahnsinnig? Dieser Schöpfer, der Form im Chaos schafft! Alle diese Genies sind das Gegenteil vom Wahnsinn; sie sind Normalmenschen. –
S. 44f.

Man freut sich doch, in der Zeit unseres kritischen Meinungswirrwars so einer einfachen, in sich gefestigten Menschenseele zu begegnen, vor der all die Phrasen von «Herrenmoral» und von «Allzuvielem» hohl zusammenfallen, weil sie meist auf Hochmut aufgebaut sind.

Vielleicht kann das beste Wesen der Menschennatur an den Seelen sich am meisten entwickeln, kann am meisten gesunden, die in edler, aufopfernder Liebe in dieser «Sklavenmoral» dienen gelernt haben, die den Persönlichkeitskultus sozusagen gar nicht kennen, die in treuer Pflichterfüllung ein fröhliches Gemüt zu bewahren wissen. Man kann wohl sagen, dass ja doch das Bestehen des Menschengeschlechtes und seine sittliche Ordnung auf solchen still schaffenden Naturen beruht, und ich glaube, dass jedes Mal in ernsten Zeiten, die über ein Volk kommen, die still aufgespeicherte Kraft solcher «Knechtsnaturen» es sein wird, welche die Gesundung herbeiführt.

Doch darüber darf man nicht viel sagen, sonst baut sich gar leicht auch darauf eine schwülstige Theorie auf, die zerstörend wirkt. Man soll gute Geister nicht «berufen»; sie brauchen Stille, um zu wirken.
S. 49f.

Trost im Christentum
Ich finde Trost im Christentum; denn ich stand selbst wochenlang unterm Kreuz von Golgatha. Aber doch ist mir klar geworden, dass man mit dem Christentum, das nur die Duldung der Leiden predigt, nur das Fügen lehren will unter das Unabänderliche, das über uns verhängt ist, nicht weit kommt. Diese Ergebung schwächt nur, und zu nichts braucht man mehr Kraft als zum Leiden. […]

Ein gutes, liebes Wort ist ja immer ein Lichtstrahl, der von Seele zu Seele geht, und wir Sterblichen tun gut daran, dass der, der Licht hat, dem, welchem es sich durch Dunst und Nebel verhüllt, einen Strahl zusendet. –
S. 46f.

Aufgaben und Gefahren der Phantasie
Der jetzige Landaufenthalt hat mich… wieder ganz auf die Landschaft hingewiesen, so dass mir der Raum, in dem das Menschendasein sich abspielt, malerisch wichtiger ist als der einzelne Mensch. Es schwebt mir etwas vor, als könnte die gemalte Landschaft ein Stück Welt sein, in dem man die Unendlichkeit ahnt, so dass sie mehr sein Raum als das, was sie meist erscheint, als ein Stück interessanter Gegend, oder als eine Stimmung, die sie ausdrückt, und auch als eine Traumphantasie. Die Alltäglichkeit, wie der Himmel sich über die Erde wölbt, wie das Licht der Quell alles Lebendigen ist, ist mir jetzt wichtiger geworden als alle Erfindungen, welche die Phantasiearbeit hervorbringen kann. Das Sonntagskind Phantasie sollte in der Kunst gar nicht arbeiten; man sollte es in den Hütten, welche der Verstand in der Kunst ihm baut, nur anschauen oder nur ahnen. Oder die Phantasie sollte in der Kunst wie ein unantastbares Kapital, ein unveräußerliches Gut ruhen, und im sicheren Besitzgefühl dieses Hortes mag der Verstand seine Kunstgebäude heitern Spiels aufführen. Der behüteten Phantasie ist das Alltägliche selbst das Schöne, so dass sie ihm Psalmen singen kann, wie z. B. «Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, ein Tag sagt es dem andern, und eine Nachtwache tut’s kund der anderen.»

Die überreizte, selbständig sein wollende Phantasie, wie sie so oft in der Kunst sich zeigt, führt zur Ungesundheit, zur Unzufriedenheit; sie möchte die Grundbegriffe des Daseins umändern; sie langweilt sich in der Welt, wie Gott sie einmal gemacht hat, und möchte sich eine andere erschaffen. Dadurch wird sie hochmütig, und Luzifers Fall tritt ein, denn der muss immer fallen vor dem ruhig ewigen unabänderlichen Gott.

… Man (muss) auch im künstlerischen Schaffen, wenn man alt und reif genug wird, sich und seine Eigenart selbst überwinden, so dass man gewissermaßen nur noch ein Werkzeug ist, geleitet von der Hand des Schöpfers. Das ist eigentlich ein Reifwerden; das Persönliche verliert sich, auch der Künstlerhochmut stirbt ab, und man wird zu einem demütigen Werkzeug, mit dem die Hand Gottes spielt.
S. 48f.
Aus: Hans Thoma, Leben und Kunst. Aus Briefen und Tagebüchern ausgelesen von Hubert Schrade. Verlag Albert Langen / Georg Müller München 1941