Christoph August Tiedge (1752 – 1841)

   Deutscher Schriftsteller, der insbesondere mit Johann Wilhelm Ludwig Gleim befreundet war, dem er sein Lehrgedicht über die Unsterblichkeit »Urania« gewidmet hat, das zu den meistgelesenen Werken seiner Zeit gehörte.

Siehe auch Wikipedia
 

Urania

An meinen Gleim
zum zweiten April 1801.

Zum Opfer Dir, dem Edeln, Weisen,
Den heut' in Emmas Hain ein schöner Altar ehrt,
Und Lieder, welche Dich Urania gelehrt,
Mehr, als des Freundes Lieder, preisen;
Dir, Freund, der zwischen zwei Unsterblichkeiten steht,
Mit einem Kranz, den in geweihten Stunden,
Vom Hauche der Begeistrung angeweht,
Die Muse Halladats um Deine Stirn gewunden;
O Dir, Du Sänger Gottes, weiht
Sich dieses Lied von Gott und der Unsterblichkeit.

Tiedge.

]Zweiter Gesang
Vorüberfliegend sind die Gestalten der Zeitlichkeit; und ihr fordern wir das Geheimnis der Ewigkeit ab?

Wir sind dem Irrtum unterworfen; doch eben hierin beruht der hohe Rang des Menschen, dass er bestimmt ist, die tiefe Fülle der Erkenntnis zu ahnen und empor zu dringen von Stufe zu Stufe, deren jede ihren beseligenden Gesichtskreis hat. Eine solche Beseligung würde er verlieren, wenn er eine der Stufen überspränge: und so hebt sich der Wunsch, die volle Wahrheit zu umfassen, von selbst auf. Wie hoch immer der Mensch sich aufschwingen mag in den Ordnungen der Geisterwelt: auch höhere Geister erschöpfen die Fülle der Erkenntnis nicht. Das Gebiet der Wahrheit ist unendlich; die Beherrschung desselben muss einem unendlichen Geiste zukommen. Der, durch die Selbstständigkeit der Vernunft gewonnene Glaube an Gott ist dem Menschen so unentbehrlich, gehört so sehr zu seinen innersten, wesentlichen Bedürfnissen, dass eben diese, in unserem tiefsten Sein gegründete Unentbehrlichkeit ein höchstes, ein
Ursein voraussetzt.

Lebhaft spricht dies höchste Bedürfnis durch die Stimme des Gewissens uns an, in dem Gebiete der Tugend, und äußert sich besonders tiefergreifend in dem Gefühlen der Teilnehmung an dem Kampfe des Rechts, mit welchem aus den Anfechtungen die sittliche Würde hervor geht. – Blicken wir in die frühesten Tage der Menschheit zurück: und wir sehen, wie mit dem ersten Erwachen des Bewusstseins, in des Menschen Brust der Glaube an ein höchstes Wesen erwachte, den späterhin in bestimmteren Formen das Ägyptische Priestertum pflegte. Ohne diesen Glauben – welche Aussicht des Lebens! Welches Geschenk die Vernunft! Warum empört es uns, die Tugend leiden zu sehen? Dürfen wir von dem Zufalle Gerechtigkeit erwarten? Von der Naturwelt kann die Anerkennung dessen, was recht ist, nicht gefordert werden. Von einem Gott ist Herstellung und Ausgleichung zu erwarten. Nur unter dieser Voraussetzung, die sich so unmittelbar, so unwillkürlich uns aufdringt, die uns so unentbehrlich ist, sind die zufälligen Leiden der Tugend als ihr Triumph anzusehen; und jede Ansicht des Lebens heitert sich auf. Diesem angeborenen geistigen Lebensbedürfnisse, dieser innigsten Mahnung, die aus des Bewusstseins heiligster Tiefe tönt, schallet aus der uns umgebenden Schöpfung die Stimme der Natur entgegen, besonders wenn sie uns zur Betrachtung des gestirnten Himmels empor ruft. Ohne den Glauben an Gott gerät die Vernunft mit sich selbst in Widerspruch, und die Erscheinungen der Natur sind leere Träume. Selbst höhere Geister können diesen Glauben nicht entbehren.

Gott
Lass untergehn die wandelnden Gestalten,
Die bunt und irrend durch einander ziehn!
Am inneren Leben, Freund, lass sich die Hoffnung halten!
Wir bleiben, die Gestalten fliehn.

Doch sprich, warum beschwören unsre Klagen
Den eilenden Vorüberflug der
Zeit,
Vor uns zu stehen und zu sagen
Den Inhalt einer
Ewigkeit.

In’s Heiligtum zu schau’n, ins Heiligtum der Klarheit:

Der Reiz umzaubert uns; allein
Die Wahrheit darf den Durst nach Wahrheit
Nicht
löschen, ihn nicht töten; nein,
Entflammen soll sie tief in uns den Geist des Strebens,
Und auf dem Ozean des klippenvollen Lebens
Der ferne Lichtblick eines
Pharus sein.

In labyrinthischen Gewirren
Schwankt ungewiss der Mensch dahin:
Und dies, dies ist sein Rang; nur
er, der diesen Sinn
Für Recht und Licht empfing, der hohe Mensch kann irren.

Wie aber darf die Bum’ im Kranz,
Wie darf sie selbst der Kranz sein wollen?
Genug, auch sie gehöret zu dem Glanz,
In welchem Sonnenstaub und Sonne flutend rollen,
Von einer Kraft erfüllt, die durch das Ganze webt.
Hoch trägt den Menschen diese Wesensfülle,
um die der Geist der feierlichen Stille,
Wie eine dunkle Weihung, schwebt.

Dank der verborgnen Hand, der unsre Tag entquillen,
Dass sie das Licht von fern uns ahnen ließ!
Nicht der Besitz, nur das Enthüllen,
Das leise Finden ist süß.

Vom Nebeltal hinauf zur reinern Sonnehelle
Führt uns ein Gang, der jede Lebensstelle
Mit ihrem eignen Himmel ziert.
Gewönn’ ein Herz, das eine solche Sphäre,
Solch einen Himmelsraum
verlöre,
Wohin der Stufengang von Sein zu Sein uns führt?

Es sei, dass du ein Mal durch jene Sonnenferne
Zur Welt des Sirius hinüber flogst:
O, dann verschmähtest du das Heil auf unsrem Sterne;
Dann schliefe, was du
hier erzogst,
Dann schliefe noch verhüllt im Kerne,
Der Gartenhain, voll Blumenphantasie,
Voll stiller, süßer Laubenkühle;
Und – was nur dieser Sinnenkreis verlieh –
Die ganze kleine Welt, voll lieblicher Gefühle,
Sie wäre nicht, und würde nie.

Und wie, wenn dir die Wahrheit es vergönnte,
Dass ihren vollen Kreis dein Blick umfassen könnte:
Was würd’ es um die Wahrheit sein?
Verdiente sie das Glutgeloder
Des hoch entflammten Wunsches? Nein!
Sie ganz zu fassen, müsst’ ihr Umfang
kleiner – oder
Du, Mensch, müsstest
größer sein.
Und dies, dies forderst du; allein
Wie groß? Das ist die schwere Frage. –
»Hinauf ! hinauf! Zu eines Engels Glanz!« –
Auch dahin folgt dir deine Klage:
Kein
Engel fasst die Wahrheit ganz;
Er strebt, wie du, der tiefen Fülle näher,
Und ahnet immer nur von fern den Sonnenthron.
Die Wahrheit weiß von keinem Lieblingssohn:
Auch du bist ihr geliebter Späher;
Und was du wünschest, hast du schon;
Hast einen dunkeln Tag, voll Bürgschaft hellrer Tage;
Die spricht ein holdes Wort zur Wehmut deiner Klage:
Nur diese Bürgschaft macht das Leben lebenswert;
Sie schmiegt sich an die Ruh des stillen Tugendkreises,
Der, tief in seinem Schoß, ein leises
Vollendungsahnen heilig nährt.

Schau hin! Dort liegt das All, wie eine reiche Dichtung.
Vollendung nirgend, reges Wandeln nur
Durch die, mit Welten übersäte Flur.
Vollendung unsers Seins, was wäre sie? Vernichtung!
Sich selbst erschöpfender Genuss!
Vom Tode rettet ihn auch nicht der Überfluss.

So flögst du dann umsonst von einer Sonnewende
Bis zu der andern, vom
Nadir
Bis zum
Zenit hinauf: o Freund, dein Auge fände
Nur größer immer das Gewirr,
Und immer weiter hin und weiter hin das Ende,
Jedoch das Lösungswort des großen Rätsels nie!

Wer mag das große Buch des Weltenraums entsiegeln?
Vor welchem Geist erscheint die Wahrheit klar und rein?
Von dem sie ausgeht, Freund, wie Weltensonnenschein;
In einem höchsten Schaun muss sich die Wahrheit spiegeln;
Enthüllt erscheinet sie vor einem höchsten Sein.
Ein Ursein ist, worin sich alles Sein entfaltet,
Aus einem
Ursein tritt gestaltet
Ein jedes Sein hervor in das Gebiet der Zeit:
Dies Ursein nennst du Gott: er waltete und waltet
In Lieb’ und Recht, in Licht und Herrlichkeit. –
»In Liebe, Licht und Recht?« – so fragt die düstre Klage –
»Wer«, ruft sie aus, »wer mag, Verzweiflung dir entfliehn?
Gebieten Lieb’ und Recht, dass tränenvolle Tage
Zerstörend hin durch unsre Hütten ziehn? – «


»Es ist kein Gott!«
– Mit tausend Übeln ringend,
Stürzt der gequälte Mensch in’s öde
Nichts hinab;
Und schweigend fliegt die Zeit, sich auf und niederschwingend
Hin über ein weit ausgeworfenes Grab!
»Es ist kein Gott!« – so schrein aus dumpfen Hallen
Des Jammers Klagen auf, und schallen
Durch das Gewölbe der Natur. –
Es tönt mir nach von der verheerten Flur!
Da zog das Unheil hin um eingestürzte Hütten!
Und durch das Leben ging der große Meuchelmord
Allgegenwärtig hier und dort,
Flog eine Furie, Verderben aus zu schütten!
Das Heiligste verhöhnte wilder Spott! –
O Harmonie der Welten! ist ein Gott?
Ist ein Gericht, und darf’s der Frevel so verhöhnen? –
Da scholl es, wie ein Ruf, zu meinen Klagetönen:
»Still! rechte nicht! der Eingeschränktheit Sohn
Wird nur berührt vom nachbarlichen Ton;
Das Ganze wird das Einzelne versöhnen. –«
»Was ist das Ganze?« fragt das tief zerrissne Herz,
»Ich kenn’ es nicht, ich bin von seinem Schutz verlassen!«
Und
auf zum Himmel blickt der starre Schmerz,
Den Gott des Rechtes will er fassen. –
Ach! führet denn kein Laut im Menschen auf die Spur,
Den Heiligen zu glauben, ihn zu ahnen?
Kein Wink in der uns rings umwaltenden Natur,
Um unserm Blick den Weg hinauf zu ihm zu bahnen?

Wahr ist es, unser Blick erreicht ihn nie,
Die sinnende Vernunft verlanget Offenbarung;
Sie schwingt sich forschend auf, und forschend wandelt sie
Durch’s offene Gebiet der schweigenden Erfahrung.
Sie fragt die Möglichkeit; die Antwort ist:
»Vielleicht.«
»Ach! nur vielleicht!« Sie fragt das Leben,
Sie fragt den
Tod, der um das Leben schleicht;
Und keins vermag, die Antwort ihr zu geben,
Vor der die Nacht der Zweifel sich erhellt.

So lass uns denn zur Tugend fliehen!
Sie offenbart uns eine Geisterwelt,
Die Welt der Kraft, die Welt der Lebensharmonien,
Die fern ein höchstes
Sein uns vor die Seele stellt.
Wir würden nie die Dunkelheit verklagen,
Die uns umgibt, verriete nicht
Den Schatten unsrer Nacht ein Licht,
Das, hinter diesen Erdentagen,
Wie durch zerrissne Wolken bricht.

Ein Strahl von diesem Licht fällt in das innre Leben;
Mir ist ein Gott in’s Herz gegeben,
Ein Ahnungssinn, der meinen Geist
Unwiderstehlich hin nach jener Höhe reisst,
Dahin, wo wandellos, in unerschaffner Fülle,
Die Wahrheit wohnen muss, ein ewig fester Wille:
Und dieser Will’ ist Gott, der hohe Weltengeist,
Begreiflich nur sich selbst, sich selbst erscheinend waltet
Sein Wille dort in einem reinen Licht,
In welchem sich vor ihm die Geisterwelt entfaltet.

Was heilig ist, das Wort von
Pflicht und Recht, ist nicht
Im Buche der Natur zu lesen.
Ein feierlicher Ruf des innern Menschen spricht:
»Sohn der Natur, du bist ein Sohn der Pflicht!«
Vor diesem Rufe beugt sich tief mein ganzes Wesen:
Gott ist es, der durch ihn zu meinem Geiste spricht.

Ob auch die Lebensbahn im Nebelmeer verschwimme:
Gesichert leitet uns das Wort der innern Stimme.
Sie ruft empor den Geistesblick,
Empor von den befangnen Sinnen;
Sie tönet laut in uns von Innen
Hinaus in die Natur und hallt aus ihr zurück.

Was weint in uns, wenn still und rührend
Die Unschuld kämpft mit Mangel, Hohn und Spott?
Was jauchzt in uns, wenn triumphierend
Die Tugend siegt? –
Der Glaub’ an Gott!
Was spricht, wie Geisterruf, zum Harme?
Was wirft den Zweifler selbst, wenn ihn kein Tross mehr hält,
Wenn er schon aus dem Arm der letzten Hoffnung fällt,
Dem
Aberglauben in die Arme?
Der Glaub’ an Gott und an die Geisterwelt!
Der
Aberglauben selber ist ein Schatten,
Den innre
Wahrheit auf das Leben warf;
Er borgt von ihr die Kraft, den Frieden zu erstatten,
Den unvertilgbar das Gemüt bedarf.

Lass unsern Blick in jenes Morgengrauen
Der frühern Welt hinüber schauen:
Da finden wir sie schon, des Glaubens leise Spur;
Da trägt es mütterlich, so zart, wie das Erbarmen,
Die holde, pflegende Natur
Die junge Menschheit auf den Armen;
Ihr Zögling schaut umher auf der geschmückten Flur:
Wer hat die Kränze dort und hier aufgehangen? –
Und betend streckt er seine Hand
Nach der Natur, die wild ihm zugewandt,
Mit Mutterlächeln auf den Wangen,
Von frischer Blumenluft umweht,
An seinem Wiegenlager steht,
Wo, sie in duftig grünen Hallen
Ein Paradies ihm schuf, ein reiches Paradies,
Und Abends ihn von ihren Nachtigallen
In weichen Schlummer singen ließ.
Ihn weckt der Tag; und mit der Morgensonne
Erwacht in ihm die stille Seelenwonne,
Die freudig Gottes Licht erkennt,
Und ohne Namen ihm das hohe Wesen nennt.

Dem Menschen ist, zur Pilgerschaft durchs Leben,
Ein Gottgefühl, ein Ruf des Glaubens mitgegeben,
Der, wo er schrecklich ihn auch missverstand,
Doch nie und nirgend ganz aus seinem Busen schwand.
Der Glaube war’s, der laut das Taggestirn begrüßte:
Schau Isis Priester dort, wie betend er sich weiht!
Die Sonne kommt, sie tritt aus ihrer heil’gen Wüste: –
Ja, das ist Gottes Herrlichkeit!
Das Höchste hat dem Seher sich verkündet,
Das Heiligste, wonach die
Seele ringt.
Horch! sein Gesang, vom Gottesgefühl entzündet,
Wie Feuer bricht er aus; der Hymnen Chorus singt:

»In Flammen naht sich Gott. Empfangt ihn Morgentöne!
Fall’ an sein Herz, Natur, mit einem Wonnelaut!
Auf! schmücke dich mit deiner ganzen Schöne,
Du, seine hochbegabte Braut!

Sie strömt auf dich herab, die königliche Feier,
Die hochzeitfestlich deinen Gott umfängt!
Verhülle dich in den Vermählungsschleier,
Der strahlenreich von seinen Schultern hängt!

Ruf ihm entgegen! Dort durch leuchtende Gefilde
Des blauen Äthers wandelt er.
Schau! Wie das Licht von seinem Flammenschilde,
So geht Entzücken vor ihm her.

Die Himmel, die in seinem Glanze schwimmen,
Umfeiern seinen wundervollen Gang.
Ihr Morgenlüfte, werdet Stimmen!
Ihr Bäum’ und Bäche, Harfenklang!« –

So, Freund, begeisterte der Glaube die Altäre
Des dunklen Heiligtums am Nil der alten Welt,
Und, o tröstend spricht sein Wort zur frommen Zähre,
Die von der Tugend Wange fällt!

Es sei kein Gott, die Tugend ein verhasster,
Ein öder Lebenszwang, der jede Freud’ entwürzt;
Ein Himmel sei die Lust, der Gott darin das Laster;
Die Menschenwürde sei von ihrem Thron gestürzt:
O! dann ist nirgend Licht und Leben,
Der Mensch ein dumpfes Sein, um das Phantome schweben,
Und Schatten fahren wild durch stumme Wüsten hin,
es herrscht ein blindes Heer zerstörender Gewalten,
Das große Traumgesicht der Welt ist ohne Sinn,
Und zwecklos wogt in uns ein Chaos von Gestalten,
Und was Bedeutung lügt, täuscht zur Vernichtung hin.
Es ruft in uns ein Trieb, der Trieb, empor zu ringen,
Dem sich das Herz nicht entretten kann;
Und Laster ist es, sich der Tugend auf zu dringen;
Das Streben der Vernunft, den Knoten zu entschlingen,
Ist Torheit! Torhei
t klagt und staunt den Zufall an.

So hat das Göttliche des Menschen keine Rechte,
Dem Rechte sich zu nah’n? ihm gläubig zu vertrau’n?
Ist, was uns himmlisch dünkt, von irdischem Geschlechte?
Sind wir in der Not, sind wir des Zufalls Knechte ? –
Ach! immer dunkler wälzt das Grau’n
Herauf die schwarzen Mitternächte,
Die unsern heil’gen Stern, den Thron
Des Rechtes, zu verschlingen drohn.
Allein dies Grau’n, dies Widerstreben,
Dem Zufall sich dahin zu geben,
Erschüttert deinen Geist, wenn dich ein Missklang irrt,
Um dein Gemüt empor zu einem Gott zu heben,
Der einst das Recht versöhnen wird.

Du siehst: das Laster schwelgt bei lauten Jubelchören,
Die Tugend darbt, die Unschuld wird verkannt,
Der Frechheit folgt das Glück, die Wahrheit wird verbannt,
Die Weisen bau’n am Heil, dass Narren es zerstören!
Hier ist es, wo dein Herz auflodernd sich empört! –
Vernunftlos, wie er ist, wie mag er dich empören,
Der Zufall, der da wild den Gang des Rechtes stört?
Verklagst du so die Blindheit eines Blinden?
Doch nein! du kannst dich hier dem Glauben nicht entwinden:
Dass einer Welt des Rechts die Tugend angehört,
Die hier im Drang der Welt sich göttlich frei entfaltet.
Ja, mächtig wie ein Lebenstrieb
Hält dich der Glaube fest: dass eine Gottheit waltet,
Die ihren Namen tief ins Herz der Tugend schrieb.
Uns ward ein Sinn des Rechts, und Trieb nach Lebenswonne;
Und dieser Doppelstrahl, der in dies Dasein fällt,
Verleugnet nicht die ferne Sonne,
Die einen höhern Kreis erhellt.

Es ist ein Gott! und sieh! die Nebel sind zerflossen
Vor diesem Sonnenstrahl; ein großer Lebenstag,
Ein Auferstehungstag ist ausgegossen,
Wo dumpfe Mitternacht, voll Todesgeister, lag.
O Mensch! vermisse diesen glauben,
Und fühle, was dein Heiligstes vermisst!
Du würdest die Vernunft selbst ihres Lichts berauben:
Gott ist, weil eine Tugend ist!
Vernimm ihr leises Wort! es wird an
Hera mahnen;
Und selbst ihr seufzendes
Warum
Ist nur ein ernstres Himmelsahnen:
Ihr ist die Mitternacht nicht stumm.

Die Tugend leitet uns, wo irre Träume grübeln;
Sie führet uns durch dieses
Labyrinth,
Das uns mit täuschenden Geweben überspinnt;
Sie zeugt von Gott, Trotz allen Erdenübeln,
Die nur Triumphgepräng’ in ihren Zuge sind.
Und Heil und Heiligkeit sind zwo verwandte Flammen ;
Sie flammen hoch durch das Gebiet der Zeit,
Und neigen ewig sich durch die Unendlichkeit,
Und fallen dort in einem Geist zusammen;
Und dieser Geist ist
Gott, kann Gott nur sein.
Kein Endlicher mag sich zu dieser Höh erheben;
Die höchste Seligkeit, das reinste Geistesleben
Sind in sich,
durch sich Eins; Gott fasset sie allein.

Das wär’ ein Wahn, ein Traum, was ich so warm umfasse?
Was sich vor dem Geiste so dunkelhell enthüllt?
Was meinen reinsten Sinn so rein, so tief erfüllt? –
Nein, jenes Weltall ist die große Körpermasse,
Wohinter sich eine Welt der Geister sich verhüllt.
Und diese Geisterwelt ist die erhabne Seele,
Der Sinn des großen Alls, voll Gott und Götterart;
Was göttlich ist, gehört zu dieser großen Seele,
Die sich dem stillen Sinn der Ahnung offenbart.
Du kannst sich dieser Ahnung nicht berauben;
Dein Zweifel selbst verrät dir ihre leise Spur;
Sie spricht durch die Natur zum Glauben,
Der Glaube spricht von ihr zu der Natur.

Ja, die Natur! magst du sie selbst empfinden?
Du trägst in dir ein Bild von einer Körperwelt;
Dies Bild empfindest du, nicht, was sie selbst enthält;
Doch ohn’ ihr
Sein und Wesen zu ergründen,
Zu fassen,
wie sie ist: du glaubst an ihre Welt,
Da, wo die Morgensterne schweben,
Da spricht dein großes Sein, Unendlichkeit, uns an.
Ein Reich der Herrlichkeit, das ist, und nicht begann.
Ist denn die Geisterwelt entfernter unserm Leben?
In uns fängt sich für uns das Reich der Geister an.
Der höchste Geist ist Gott, und du wirst seiner inne,
Wenn tief der reine Sinn der Tugend dich entzückt.
Hier ist sein Heiligtum, und dort im Reich der Sinne
Ist er durch Weltnatur und Weisheit ausgedrückt.

Den Hohen, Tiefverborgnen schleiert
Die Nacht in ihr geweihtes Dunkel ein.
Der offne Tag, die Luft voll Lerchenstimmen, feiert
Sein großes, wunderbares Sein.
Und eifernd predigt ihn diese hehre Wolkenstimme,
Die von den Wölbungen des Himmels niederschallt.
Von ihm begeistert, rauscht der Wald;
Von Gott erzählt die Luft, die an des Baches Krümme
Hinunter spielt, und leis’ um Angerblumen girrt
Ihn zu verkünden, hat der Wurm auch eine Stimme,
Der kleine Wandrer dort, der durch den Mooswald irrt.
Wo Hera feierte, dort in den Heiligtumen
Des Felsentals, vernimm das stille Wort der Au’n!
Dort lies – sie spricht von Gott – die heilige Schrift der Blumen!
Es wandelt in des Haines Grau’n,
Und kündet mit weihevollem Schauer
Dem Zweifler an, der durch die Wildnis klagt,
Und jeden Halm im Tale seiner Trauer
Nach einer Gottheit dieses Tempels fragt.
Doch er vernimmt noch nicht, was ihm die Blume sagt.
An seinem Herzen ging, mit wildem Grimme,
Der Tod vorbei, und riss, mit kaltem Spott,
Ein teures Leben weg; und eine dumpfe Stimme
Der Wüste seufzet auf: Verhängnis, bist du Gott? – –

Freund, es ist Nacht. Die dunklen Lebensspuren
Behorcht die stille Luft; das Haingeflüster nur
Erzählt des Tages Ruh dem Hirtental der Flur.
Dort oben ziehen leuchtende Naturen
Hin über die verschattete Natur.
Das Leben träumt; schon feiert die tiefe Stille
Das glänzende Gedankenfest,
Wo sich die Wahrheit gern, in ihrer keuschen Hülle,
Den Huldigungen überlässt,
Die sich vor der Gottheit neigen;
Und ein geheimnisvolles Schweigen
Beherrscht und weihet unser Fest.
Es weihet den Triumph der hehren Sternenfeier;
Und sie, mit ihrer Ruh und ihrem Silberkranz,
Die Nacht, die heilige, entfaltet ihren Schleier,
Und lässt ihn über diesen Glanz
Und diesen Pomp vom Thron der Gottheit nieder wallen.
Sie, die Unendlichkeit, reißt ihre Tempelhallen
Zum Gottesdienst der Welten auf.
O schau! wie Zug an Zug sich dränget!
So groß, und doch so still! Ein Geist der Stille hänget
In diesem Tempelraum die Flammenkronen auf!
Ein Geist der Stille führt den wunderbaren Reigen,
Dies wandelnde, dies weite Labyrinth.
Sieh doch den Aufwand! sieh die Zeugen,
Vor welchen unser Fest beginnt!

Erhabne Nacht, lass deine Strahlen schimmern!
Führ’ alle deine Sonnen auf!
Das Irdische vollendet seinen Lauf;
Es richtet an den wüsten Trümmern
Der eingesunkenen Zeit die Ewigkeit sich auf.
Vor allen sei Orion eingeladen!
Er prang’ einher in seinem Weltenchor!
Dort schauen selbst die traurigen
Hyaden,
Aus ihrem düstern Nebelflor,
In stiller Heiterkeit hervor.
Es heben sich der lieblichen
Plejaden
Bekränzte Häupter schön empor.
Dort ruht der Schwan; und leise Töne gleiten
Um seine Silberbrust, wie ein Gesang der Zeit,
Der still und still verhallt; er ruht auf Dunkelheiten,
Wie eine glänzende Unsterblichkeit.
Da schwimmt der Halbmond hin, und Ätherlüfte fächeln
Um seine goldne Stirn, von Dämmerung sanft umgraut.
Er ist in diesem Ernst das schöne, stille Lächeln,
Womit die Nacht sich selbst in ihrer Hoheit schaut.
O! lass die Erd’ in ihrer Wolkenhülle,
Mit ihrem kleinen Stolz und ihrem niedern Ruhm!
Auf! folge mir zu jener Weltenfülle!
Dort öffnet uns ein Gott ein tiefes Heiligtum.
Da lass mich dir die Stellen zeigen,
Wo die Unendlichkeit zu meinem Geiste sprach,
Und ein erhabnes Fest, umglänzt von Sphärenreigen,
Hervor aus tausend Morgenröten brach.

Ich war dem Tropfen Gegenwart entronnen,
Und offen lag vor meinem Geiste nun
Der Lebensozean, an dessen Ufer Sonnen,
Wie ausgeworfene Kiesel, ruhn.
Die Milchbahn streckte weit, durch unermessne Fluren,
Die tausend Arme wundervoll hinaus.
Dort drückte seine hellen Spuren
Verweilender das Wandeln Gottes aus.
Da blitzten, wie von Götteridealen
Unsterbliche Gedankenstrahlen
In meinem tiefsten Leben auf.
Verklärter schwebten Monde hin und Erden;
Aus Schattenhallen gingen sie herauf;
In Morgensternen sah ich Abendsterne werden;
Die Schatten blühten selbst zu Lichtgestalten auf.
Gestirne zogen dort in weit entfernten Gleisen;
Sie drangen bleich herauf mit ihren Nebelau’n,
Wie Geister, die aus öden Lebenskreisen
Nach einer hellern Sonne schau’n.
Sanft dämmert das Licht der Dioskuren,
Halb überschattet, halb erhellt,
Gleich den, im Menschen tief verschlungenen Naturen
Der Lichtwelt und der Schattenwelt.
Ich sah den Strahlenkranz im Haar der Jungfrau schweben;
Sie trat hervor, die reiche Himmelsbraut,
Mit glänzendem Gefolg umgeben.
Die Lyra tönte sanft, wie Äolsharfen-Laut;
Die Ätherstille ging in Harmonien über.
Es wehten Lieder von der Flur
Des festlichen Arkturs herüber;
Und rötlich blinkte der Arktur,
Als wär’ er überblüht mit lauter Rosenkronen.
Hier ist es, wo, im Schoß der lieblichsten Natur,
Die Sympathie`n der schönen Seelen wohnen.
Dort zitterte, halb licht, ein Sterngewölk empor.
Es wand aus fernen, düstern Räumen
Sich, wie ein Auferstehungstag, hervor,
Der kaum erwacht aus dunkeln Lebensträumen.
Nun stürzte Sirius sich in die Huldigung
Der Feiernacht, wie eine hehre,
Auflodernde Begeisterung,
Mit seiner ganzen Glut, mit seinem Flammenmeere.
In tiefen Nächten schwamm der ferne Uranus,
Den seine Monde kalt erhellten,
Weit hinterm Jupiter und allen Sonnenwelten,
Und doch mit Herrlichkeit und vollem Überfluss
Von Lebenskräften, ausgestattet.
Und näher säuselte der Hain,
Der meine Venus überschattet,
Dies liebliche Gestirn. Da wehn die Lüfte rein
Den Quell des Lebens an, der unter Myrtendecken,
Voll Harmonie, den Durst der heißen Sehnsucht löscht,
Und selig alle dunklern Flecken
Hinweg von guten Seelen wäscht.
Die Erde zog dahin mit ihren Grüften;
Aus jeder frischen Gruft schlug eine Flamm’ empor,
Die in den reinen Ätherdüften
Des weiten Lebens sich verlor. –

So schwang mein Geist sich auf zum Gottesdienst der Sphären.
Und dieser Gottesdienst verkündet keinen Gott? –
Bei jenen flammenden Altären
Im Tempel der Natur! hier ist, hier herrscht ein Gott!
Sein Odem ist die Kraft der ewigen Gewalten,
Das Leben dieses Raums, die Seele der Gestalten!
Dort betet die Vernunft: »
Erhabener, du bist!
Bist nahe dem beseelten Staube! –
Ja wenn den Heiligen die Grübelei vermisst:
Dort findet ahnend ihn der Glaube,
Der die Vernunft der Tugend ist.«

Es sei kein Gott und tot sind diese Himmelsflammen;
Sie haben hin durch deine Nacht geblitzt;
Und Trümmer baun den wüsten Thron zusammen,
Auf welchem einsam nur und stumm der Tod noch sitzt.
Es sei kein Gott, von dem die Welten stammen:
Im Schoß des Zufalls ist der Lichttag aufgewacht;
Der weise Zufall rief, in aller ihrer Pracht,
Die tausend Sonnen hin in diese Glanzgefilde,
Damit aus tausend Sonnen –
Eine Nacht,
Des Nichtseins große Nacht sich bilde,
Und die Natur, die holde Pflegerin,
Auf deren Schoß wir einst in Schlummer fallen,
Sie fragt umsonst:
Woher? Wohin? – –
Nein, Gottes Finger schrieb an diese Ätherhallen
Mit heller Flammenschrift:
Ich bin ! –
Dies ist die Schrift, an die auch Engel glauben.
Wie weit der Kreis auch sei, den Engel überschaun:
Sie haben weiter noch zu glauben.
Darfst du dem Zweifel mehr, als einer Welt vertraun?

Lass vor den Wundern dieser offnen Hallen,
In heilger Ruhe lass uns niederfallen!
Anbeten, tief anbeten und lass uns ihn!
Die Stufe seines Throns, die Erde, wo wir knien,
Umschwebt die Nacht mit ihren Schauern;
Und sie ergreifen uns, wie das erhabne Trauern
Der Sehnsucht: heiliger ihn anzubeten, ihn,
Den Weltengeist, der sich zum Wurme neigend,
Den Wurm, wie seine Welten zählt,
Den Unerschaffenen, den jede Schöpfung schweigend
Dem Herzen nennet, dem er fehlt.

So find’ ihn dann im großen Weltenstrome,
Wo Schöpfung sich an Schöpfung knüpft,
Und im lebendigen Atome,
Der, kaum gesehn, im Lichtstrahl hüpft:
Ein Gott bevölkerte die unermessnen Weiten
Mit Geistern, angestrahlt von seiner Göttlichkeit.
Vor ihm ist keine Zeit, uns gab er Raum und Zeiten;
Er wandelte still dahin durch seine Ewigkeiten;
Sein großer Schatten fällt durch das Gebiet der Zeit.

Vernimm sein unbeschränktes Walten:
Gedanken Gottes sind die hehren Weltgestalten;
An seiner Kraft und Herrlichkeit
Entbrannten jene Sonnenflammen,
Ihr Lichtquell fort und fort ist Gott,
Durch ihn und in ihm hält der Weltenbund zusammen:
Die große Welteneinheit ist Gott.
Doch zeugt dein Leben mehr, als alle Huldigungen
Der ewigen Natur, von Gott!
O, glaub’ es dir, und den Versicherungen
Der Welten dort:
es ist ein Gott!
Ja, glaub’ es dir, der innern stillern Mahnung!
In dir, in dir, da spricht ein tiefes Wort der Ahnung
Zu deinem Geist:
es ist ein Gott!

So steht der Mensch in dieser Tempelrunde
Der Schöpfung da, und trägt ein hohes Priestertum,
Umringt von Gottes heil’ger Kunde,
Von seines großen Namens Ruhm. –
Doch still! – nichts Menschliches von Gott wag’ auszusagen!
Lass demutsvoll an unsre Brust uns schlagen,
Und sprechen:
Gott ist Gott – und groß, und klein
Ist nur der Mensch in Tun und Sein!

Sei dann mit Dunkelheit des Pilgers Pfad umschleiert!
Natur und Tugend, hin zur Gottheit führen sie.
Der Tugend öffnet sich das Reich der Harmonie;
Gott ist das hohe Lied des Tempels, wo sie feiert,
Und die Natur der Melodie!

Es ist ein Gott! der Tugend verbürgendes Leben
Verkündet ihn; sie wäre nicht, wäre kein Gott.
Ihr ist das Wort der innigsten Weihe gegeben;
Sie spricht es aus:
Es ist ein Gott!

Sie zeuget laut, sie ruft es hinaus in die Ferne,
Hinaus, in die, mit Welten umblühete Flur.
Es ist ein Gott! antworten die ewigen Sterne
Durch das Gewölbe der Natur.

Der stille Geist, der innerste, seligste Friede
Vertraut dem Hain das hohe Geheimnis von Gott;
Und leise spricht, im flötenden Nachtigallliede,
Der Hain es nach:
Es ist ein Gott!

Der Erde Druck, die heiligen Übel des Lebens
Erhöhn den Geist, erheben die Seele zu Gott.
Die Tugend kämpft, und fordert den Sieg nicht vergebens;
Sie triumphiert:
Es ist ein Gott! S. 26-49
Aus: Urania. Ein Gedicht in sechs Gesängen von C. A. Tiedge, Wien 1825, Gedruckt und verlegt bey Chr. Fr. Schade
Die Rechtschreibung ist behutsam an die heutige Schreibweise angepasst worden