Ferdinand Tönnies (1855 - 1936)

Deutscher Soziologe und Philosoph, der mit seinem 1887 verffentlichten Grundlagenwerk »Gemeinschaft und Gesellschaft« zu den Begründern der Soziologie als Einzelwissenschaft in Deutschland zählt. Seine Unterscheidung der Begriffe »Gemeinschaft« und »Gesellschaft« hat auf die Entwicklung der Soziologie einen wesentlichem Einfluss ausgeübt. Weitere Hauptwerke sind: »Das Wesen der Soziologie« (1907) und »Einführung in die Soziologie« (1931) .


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und Kirchenlexikon

Über die allgemeinen Probleme der Philosophie
Was mein Verhältnis zu den allgemeinen Problemen der Philosophie betrifft, so nehme ich keine eigene und neue Weisheit für i n Anspruch. Wenn die tiefe Verwunderung den Anfang des philosophierens bedeutet, so ist für mich die noch tiefere auch Ende. Die Lehren Bergsons von der Intuition und der Dauer haben mir nichts Neues gesagt. Im Systeme Spinozas, wenn es richtig ausgelegt und erweitert wird, finde ich die Weltanschauung, worin ein Denken, das von den Naturwissenschaften ausgeht, aber ihre Bedingtheit und ihre Grenzen erkennt, also auch sich selber und den menschlichen Geist zu ergründen sich angelegen sein lässt, immer wieder ausmünden muss. In der Richtung auf Psychologie dient mir Schopenhauer, in der Grundlegung der Logik neben Kant auch Hegel, im Ausblick auf Kosmologie Spencer und etwa auch W undt, zur Ergänzung Spinozas, wie ich alle diese Denker verstehe. Zu lebhafter Freude gereichte mir, in dem jüngst erschienenen Buche »Die Philosophie des reinen Idealismus. Eine Weltanschauungslehre« von Otto Kröger (Bonn 1921 ) eine Denkungsart kraftvoll und schön ausgeprägt zu finden, die ich als meiner eigenen sehr nahe verwandt auch anerkennen würde, wenn sie anstatt des reinen Idealismus das Beiwort des reinen Realismus führte. (Der Verfasser sagt in der Vorrede, er sei nicht Berufsgelehrter, sondern stehe im wirtschaftlichen Leben, er ist schleswig-holsteinischer Landwirt, auch als solchem gehört ihm meine, des Landsmannes und Berufsgelehrten Sympathie.)

Während der letzten Jahre habe ich öfter und lieber als früher, mit den Tatsachen der Ewigkeit und Unendlichkeit mich beschäftigt; das Rätsel des Ich ist es zugleich, das mir keine Ruhe lässt. Wenn ich mich längst zuvor und in der Tat schon in früher Jugend, als Anhänger der ewigen Wiederkunft bekannt habe, so lege ich jetzt zwar auf eine solche Formel weniger Wert, aber um so mehr versenke ich mich in den Gedanken und die Anschauung der unerschöpflichen und unausdenkbaren Natur, für die es ein Kinderspiel ist, das Schauspiel unserer Weltgeschichte, und vollends das meines individuellen Daseins - eines Sandkornes - unendlich oft und mit beliebigen Modifikationen zu wiederholen; die über alle Zerstörungen und Neuschöpfungen mit majestätischem Lächeln hinwegschreitet und die in meinem Sein, in meinem Geiste, einen schmalen matten Strahl ihres Wesens aus sich entlassen hat, dessen rasches Verschwinden nicht mehr bedeutet, als die Beschattung eines Sonnenstrahls, der durch das Fenster meines Gartenhäuschens auf diese Tafel fällt.

Ich glaube, dass die klar und besonnen Denkenden aller Religionen zu einer Pflege und Verehrung des Allgeistes , den ich gern mit dem Apostolicum den heiligen Geist nenne, sich vereinigen sollten, auch die Vertreter des sogenannten Monismus würden wohl daran tun, von dem poetischen und anderen künstlerischen Gehabe . der religiösen, zumal der christlichen Überlieferung, so viel in sich aufzunehmen und pietätvoll gelten zu lassen, um über die kahlen Formeln einer rein wissenschaftlichen und doch auch nicht erschöpfend wissenschaftlichen Ansicht sich zu erheben; mit der energetischen Naturphilosophie Ostwalds dürfte das recht wohl in Harmonie zusammenklingen. Dass wir die Schranken des Christentums aller Bekenntnisse durchbrechen, von der Religion des Sohnes zur Religion des Geistes fortschreiten müssen, aber alles Edle, Schöne und Gute der christlichen Religion, vor allem ihre geistliche Musik, ja ihre gesamte Kunst, auch die Kunst der Seelenführung und ihre ethische Erfahrung, ehren und retten sollten, um unser Gemüt auch in ihrem Sinne zu erheben und zu erbauen. während wir eine wahrere und weitere Weltanschauung ausbilden - das ist eine Überzeugung, die sich mit zunehmendem Alter und Studium immer tiefer in meinem Herzen befestigt hat . S.232 - 234
Aus: Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Herausgegeben von Dr. Raymund Schmidt. Dritter Band: G. Heymans / Wilhelm Jerusalem / Götz Martius / Fritz Mauthner / August Messer / Julius Schultz / Ferdinand Tönnies. Leipzig / Verlag von Felix Meiner / 1922