Johann Peter Uz (1720 – 1796)

  Deutscher Dichter, der 1739 – 1743 in Halle Jura studierte und später auch eine juristische Laufbahn einschlug, die ihn letztlich wohl auch von der Dichtkunst wegführte. Seine Gedichte waren stilistisch zunächst der deutschen Anakreontik zugehörig, einer literarischen Richtung, die nach dem altgriechischen Lyriker Anakreon genannt ist, und die in der Lyrik des Rokokos als Hauptmotive Liebe, Freude an der Welt und am Leben zum Ausdruck bringen wusste. Später neigte er sich mehr dem ernsten Odenstil in der Manier Klopstocks zu. Die folgenden Gedichte stammen aus dieser Periode.

Siehe auch Wikipedia

 

Inhaltsverzeichnis

Theodizee
Lob des Höchsten
Gott, ein Erretter
Dank
Preis des Höchsten
Der allgegenwärtige Gott

  Erinnerung des letzten Gerichts
Der Erlöser
Die Strafgerichte Gottes
Demütigung vor Gott
Gott, der Gesetzgeber
Gott, der Weltschöpfer
 

Theodizee
Mit sonnenrothem Angesichte
Flieg ich zur Gottheit auf! Ein Strahl von ihrem Lichte
Glänzt auf mein Saitenspiel, das nie erhabner klang.
Durch welche Töne wälzt mein heiliger Gesang,
Wie eine Fluth von furchtbarn Klippen,
Sich strömend fort und braust von meinen Lippen!

Ich will die Spötter niederschlagen,
Die vor dem Unverstand, o Schöpfer! dich verklagen:
Die Welt verkündige der höhern Weisheit Ruhm!
Es öffnet Leibnitz mir des Schicksals Heiligthum;
Und Licht bezeichnet seine Pfade,
Wie Titans Weg vom östlichen Gestade.

Die dicke Finsterniß entweiche,
Die aus dem Acheron, vom stygischen Gesträuche
Mit kaltem Grausen sich auf meinem Wege häuft,
Wo stolzer Thoren Schwarm in wilder Irre läuft,
Und auch der Weise furchtsam schreitet,
Oft stille steht und oft gefährlich gleitet.

Die Risse liegen aufgeschlagen,
Die, als die Gottheit schuf, vor ihrem Auge lagen:
Das Reich des Möglichen steigt aus gewohnter Nacht.
Die Welt verändert sich, mit immer neuer Pracht,
Nach tausend lockenden Entwürfen,
Die eines Winks zu schnellem Seyn bedürfen.

Der Sextus einer bessern Erden
Zwingt nicht Lucretien, durch Selbstmord groß zu werden:
An keinem Dolche starrt ihr unbeflecktes Blut.
Das leichenvolle Rom, der Schauplatz feiger Wuth
Und viehischer Domitiane,
Herrscht unverheert in einem schönern Plane.

Doch Dämmerung und kalte Schatten
Gehn über Welten auf, die mich entzücket hatten:
Der Schöpfer wählt sie nicht! Er wählet unsre Welt,
Der Ungeheuer Sitz, die, Helden beygesellt,
In ewigen Geschichten strahlen,
Der Menschheit Schmach, das Werkzeug ihrer Qualen.

Eh ihn die Morgensterne lobten,
Und auf sein schaffend Wort des Chaos Tiefen tobten,
Erkohr der Weiseste den ausgeführten Plan:
Und wider seine Wahl will unser Maulwurfs-Wahn
In stolzer Blindheit Recht behalten,
Und eine Welt im Schoos der Nacht verwalten?

Von welcher Sonne lichtem Strahle
Weicht meine Finsterniß! Wie, wann aus feuchtem Thale
Der frühe Wandersmann auf hohe Berge dringt,
Schnell eine neue Welt vor seinem Aug entspringt,
Und Reiz die grosse Weite zieret,
Wo sich der Blick voll reger Lust verlieret:

Denn Fluren, die von Bluhmen düften,
Gefilde voll Gesangs und heerdenvolle Triften,
Und hier crystallne Fluth, vom grünen Wald umkränzt,
Dort ferner Thürme Gold, das durch die Wolken glänzt,
Begegnen ihm, wohin er blicket:
So wird mein Geist auf seinem Flug entzücket.

Ich habe mich empor geschwungen!
Wie groß wird mir die Welt! die Erde flieht verschlungen:
Sie macht nicht mehr allein die ganze Schöpfung aus!
Welch kleines Theil der Welt ist Rheens finstres Haus!
Und, Menschen! welche kleine Heerde
Seyd ihr nur erst auf dieser kleinen Erde!

Gönnt gleiches Recht auf unserm Balle
Geschöpfen andrer Art! Ihr Schöpfer liebt sie alle:
Die Weisheit selbst entwarf der kleinsten Fliege Glück.
Ihr Schicksal ist bestimmt so gut, als Roms Geschick
Und als das Leben einer Sonne,
Die glänzend herrscht in Gegenden der Wonne.

Seht, wie in ungemessner Ferne
Orion und sein Heer, ein Heer bewohnter Sterne,
Vor seinem Schöpfer sich in lichter Ordnung drängt.
Er sieht, er sieht allein, wie Sonn an Sonne hängt,
Und wie zum Wohl oft ganzer Welten
Ein Uebel dient, das wir im Staube schelten.

Er sieht mit heiligem Vergnügen
Auf unsrer Erde selbst sich alle Theile fügen,
Und Ordnung überall, auch wo die Tugend weint:
Und findet, wann sein Blick, was bös' und finster scheint,
Im Schimmer seiner Folgen siehet,
Daß, was geschieht, aufs beste stets geschiehet.

Es leide mit gepriesnem Muthe
Die Gattinn Collatins! Es keimt aus ihrem Blute
Die Freyheit eines Volks, die einst Catone zeugt:
Bis kühne Tyranney, vom Laster groß gesäugt,
Die spätverlassne Tugend rächet,
Und Rom durch Rom bestraft und strafend schwächet.

Entkräftet in verdienten Ketten,
Wie soll sich Latium vor fremdem Joche retten?
Sieh! das entmannte Rom verfällt in Schutt und Graus.
Der kalte Norden speyt ein Volk der Wilden aus,
Das durchs Verhängniß überwindet,
Im Finstern saß und Licht und Wahrheit findet.

Die ihr ein Stück vom Ganzen trennet,
Vorn Ganzen, das ihr bloß nach euerm Winkel kennet;
Verwegen tadelt ihr, was Weise nicht verstehn.
O könnten wir die Welt im Ganzen übersehn,
Wie würden sich die dunkeln Flecken
Vor unserm Blick in grössern Glanz verstecken!

Soll Welten alles Böse fehlen?
So musste nie den Staub der Gottheit Hauch beseelen;
Denn alles Böse quillt bloß aus des Menschen Brust:
So muß der Mensch nicht seyn: welch grösserer Verlust!
Die ganze Schöpfung würde trauern,
Die Tugend fliehn und ihren Freund bedauern.

Ihr Weisen! hättet nie entzücket,
Die ihr die Schöpfung mehr, als hundert Sonnen, schmücket,
Und Ordnung herrschte nicht im Reiche der Natur,
Die niemals flüchtig springt, und stuffenweise nur
Auf ihrer güldnen Leiter steiget,
Wo sich der Mensch auf mittlern Sprossen zeiget.

Vom Wurme, der voll grössrer Mängel
Auf schwarzer Erde kreucht, und vom erhabnen Engel
Sind Menschen gleich entfernt, und beyden gleich verwandt.
Ihr freyer Wille fehlt, ihr himmlischer Verstand
Entflieget nie der engen Sphäre:
Stets fesselt ihn des Leibes träge Schwere.

Es rauschen laute Spöttereyen
Um mein verachtend Ohr: viel stolze Klugen schreyen
Dem armen Sterblichen des Willens Freyheit ab.
Die Sklaven! welche das, was weise Güte gab,
Der Menschheit Vorrecht, nicht erkennen,
Und, gleich dem Vieh, sich dessen unwerth nennen!

Verzärtelt eure Leidenschaften;
So herrschen sie zuletzt: sie bleiben ewig haften;
Ein diamantnes Band knüpft sie an euer Herz.
Der freygeborne Geist erblickt, nicht ohne Schmerz,
Sich endlich in verjährten Banden,
Und ist ein Knecht, weil er nicht wiederstanden.

In allen Ordnungen der Dinge,
Die Gott als möglich sah, war Menschenwitz geringe:
Der Mensch war immer Mensch, voll Unvollkommenheit.
Durch Tugend soll er sich aus dunkler Niedrigkeit
Zu einem höhern Glanz erheben,
Unsterblich seyn, nach einem kurzen Leben.

Mein Schicksal wird nur angefangen,
Hier, wo das Leben mir in Dämmrung aufgegangen:
Mein Geist bereitet sich zu lichtern Tagen vor,
Und murrt nicht wider den, der mich zum Staub erkohr,
Mich aber auch im Staube liebet,
Und höhern Rang nicht weigert, nur verschiebet.

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 162 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 104972 (vgl. Uz-SW, S. 135 ff.)]

Lob des Höchsten
Zu Sions Höhen hin, erhebt auf Engelschwingen
Mich diese glänzende Gestalt?
Am Teiche Siloa soll ich dem Herrn lobsingen,
Im dunkeln Cedernwald?

Hier, wo Isai Sohn von heiligem Vergnügen,
Von Gott entzückt, von Gott allein
Zur güldnen Harfe sang? Und alle Winde schwiegen,
Und horchend schwieg der Hayn!

Ihr Cedern, schweigt umher, und rauschet nur vom weiten!
Denn meine ganze Seele glüht.
Ihm will ich singen, ihm, dem Herrn, auf neuen Saiten,
Dem Herrn ein hohes Lied!

O Herr, wer ist dir gleich, Gott über alle Götter,
Allein Gott, herrlich, weise, mild,
Gerecht, auch wann du zürnst, und im entflammten Wetter
Dein Grimm die Erde schilt!

Du, du allein bist groß! Was kann der Staub dir geben?
Es stimme meiner Saiten Klang
Ins Lied der Engel ein, und auch mein ganzes Leben
Sey dir ein Lobgesang!

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 223 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105033 (vgl. Uz-SW, S. 179 ff.)]

Gott, ein Erretter
Finsterniß und schnelle Wetter
Brechen über mich herein;
Und ich sehe keinen Retter,
Keiner Hoffnung blassen Schein.
Deine schweren Donner rauschen,
Gott! vom weiten wider mich:
Aber meine Feinde lauschen;
Mein Verfolger freuet sich.

Sehet! sprechen, die mich hassen,
Unser Netz hat ihn gefällt!
Ja, er liegt und liegt verlassen,
Dem wir lange nachgestellt!
Deine Tücke, schwarze Rotte,
Sind mir wenig fürchterlich!
Ich erzittre nur vor Gotte:
Gott ist aber wider mich!

O entsetzlicher Gedanke,
Sich von Gott verfolget sehn!
Wag ichs, in verwegnem Zanke,
Den Allmächtigen zu schmähn?
Seine schrecklichsten Gerichte
Sind gerecht: was wend ich ein?
O vor seinem Angesichte
Sind die Engel selbst nicht rein!

Will ich mich der Straf entziehen:
Wie umsonst ist meine Flucht!
Mag ein Sterblicher entfliehen,
Den des Höchsten Auge sucht?
Heere, Lager, Scepter, Krone
Schützen den Verbrecher nicht:
Auch beym schimmerreichen Throne
Findet Gott den Bösewicht.

Herr! Mit kindlichem Vertrauen
Hang ich dennoch fest an dir,
O wie sollte mir noch grauen?
Vater, du verzeihest mir!
Ich verfluche meine Sünden,
Die mir deinen Schutz entwandt!
Laß dich finden, laß dich finden,
Wie dich stets die Reue fand!

Wenn der Blitz in deinen Händen
Von entbranntem Zorne schnaubt:
Läßt er sich durch Reue wenden,
Und verschont ein schuldig Haupt.
Du bist nicht ein Mensch, der zürne,
Herr, auf wen? Auf mattes Laub?
Du, der Schöpfer der Gestirne,
Du bist Gott, und ich bin Staub!

Ach! daß ich dich zu beflügeln,
Tag der Hülfe, nicht vermag!
Glänze bald auf unsern Hügeln!
Brich doch an, erseufzter Tag!
Knirscht vor Unmuth, meine Feinde!
Eure Bosheit fällt mich nicht:
Denn ich habe Gott zum Freunde!
Gott ist meine Zuversicht!

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 229 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105039 (vgl. Uz-SW, S. 184 ff.)]

Dank
Der Herr ist gut! Ihr Himmel, höret
Und jauchzt mir nach: Der Herr ist gut!
Er hat mein Leid in Lust verkehret!
Gott ists, der große Dinge thut!

Zu ihm, von dem wir Hülfe haben,
Zu Gott rief ich in meiner Noth,
Als große Wasser mich umgaben,
Und keine Hand mir Hülfe both.

Verderben hatte seinen Rachen
Schon wider mich weit aufgethan:
Ich sah den stolzen Spötter lachen,
Gott aber sah mich huldreich an;

Sah Fluthen über Fluthen schwellen,
Und rettete mit starker Macht
Mich mitten durch die schwarzen Wellen
Und alle Schrecken banger Nacht.

Gott ist mit mir! Was kann mir schaden?
Was kann mir Staub und Asche thun?
Wie gut ists, aller Sorg entladen,
Herr, unter deinen Flügeln ruhn!

Ich preise dich, Fels meiner Stärke,
Gott, meine Zuflucht, mein Panier!
Wenn ich auf deine Führung merke,
Wie weis' und göttlich ist sie mir!

Du führtest mich auf dunkeln Wegen,
Verbargst vor mir dein Angesicht,
Und warest doch bey mir zugegen,
Und in der Finsterniß mein Licht.

Ihr güldnen Seile treuer Liebe,
Zieht mich zu meinem Schöpfer hin!
Wie schäm ich mich der niedern Triebe,
Der ich dem Höchsten theuer bin!

Ich fliehe des Verächters Pfade,
Der, im Gewühl der Welt verstrickt,
Den Herrn vergißt, und seine Gnade,
Die Hülfe, die er ihm geschickt.

Ich aber will den spätsten Tagen
Des großen Retters in der Noth,
Des weisen Vaters Güte sagen,
Das Lob des Gottes Zebaoth!

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 232 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105042 (vgl. Uz-SW, S. 186 ff.)]

Preis des Höchsten
Wer sollte dich, o Gott, dich, Ewiger, nicht preisen,
Um dessen güldnen Thron unsterblich Lob erschallt,
Der ganzen Schöpfung Lob, das in unzählbarn Weisen
Von tausend Welten widerhallt?

O Schöpfer, hör auch mich von deiner Güte lallen!
Was wär ich, dein Geschöpf, erhieltest du mich nicht?
Ich wäre schon vorlängst, wie mürber Thon, zerfallen,
Der in des Töpfers Händen bricht.

Was unser Gott gemacht, das will er auch erhalten!
Er wacht für seine Welt; er, er vermag allein,
Was seine Güte schuf, mit Weisheit zu verwalten:
Gott wacht! Wie ruhig kann ich seyn!

Mehr Gutes fließt uns zu, von seinen milden Händen,
Als Böses uns verfolgt, und Gutes vor uns flieht.
Ach! daß die Sterblichen ihr stolzes Nichts empfänden!
Vorn Herrn geschiehet, was geschieht.

Mit Nacht bekleidet, fliegt von Gottes lichtem Throne,
Das ernste Schicksal aus, und ist ihm unterthan.
Er macht, was ihm gefällt, aus dem beseelten Thone:
Sein Rathschluß ist nicht unser Wahn.

Die Tage gleiten hin, und Jahre folgen Jahren:
Er spricht, so kommen sie, sie fliehen, wenn er winkt;
Und müssen wechselnd sich mit Glück und Unglück paaren,
Wies ihm, dem Herrn, am besten dünkt.

Er zürnt! Ihr Sünder bebt! Er kömmt in schnellen Wettern,
Die rothen Blitze glühn in seiner starken Hand.
Der Höchste macht sich auf, die Stolzen zu zerschmettern,
Und legt ihr Leben in den Sand.

Von Zwietracht angeführt, würgt über tausend Leichen
Der blutbespritzte Krieg, wann ihm die Rache ruft.
Der Hunger ächzt ihm nach: Die Flügel fauler Seuchen
Vergiften die geschwärzte Luft.

Doch wann Gott gnädig ist, erheitern sich die Zeiten;
Dann scherzt auf sichrer Flur der Friede, der entwich:
Bekränzt mit Bluhmen, geht ihm Ueberfluß zur Seiten,
Und alles lacht und freuet sich.

Erhebe dich, o Herr, die Rotte zu zerstören,
Die sagt: es ist kein Gott! es laut und spottend sagt,
Und, Schöpfer, wider dich, die Schöpfung zu empören,
Die Welten aufzuwiegeln wagt!

Ihr Netz berücke nicht die Seelen deiner Frommen!
Verflucht sei ihre List, verflucht ihr schnöder Spott!
Es müsse nie dein Lob von meinen Lippen kommen!
Du bist mein König und mein Gott.

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 234 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105044 (vgl. Uz-SW, S. 187 ff.)]

Der allgegenwärtige Gott
Allgegenwärtiger! ich bin
Dir nicht verborgen, wo ich bin,
Wollt auch auf schnellen Schwingen
Mich an die fernsten Meere hin
Die Morgenröthe bringen.

Flieg' ich zum Himmel hoch empor,
Mich unter seinem Sternenchor
Im Glanze zu verstecken:
So bist du da, ziehst mich hervor,
Und Schande wird mich decken.

Steig' ich vor deinem Zorn hinab
Ins Haus der Finsterniß, das Grab:
Du bist auch da zugegen,
Und schwingest deinen Richterstab
Auf schauervollen Wegen.

Der alles schuf, ist überall!
O fürchterlicher Donnerschall
In aller Sünder Ohren!
Sie furchten keinen Ueberfall:
Nun zittern sie, die Thoren!

Der Gott des Himmels ist so nah?
Das Heiligste der Wesen sah,
Was wir im Herzen dachten?
Was in verschwiegner Nacht geschah,
Wann wir und Satan wachten?

Wir Narren haben wohl gedacht,
Du würdest uns, o Mitternacht,
Mit schwarzen Flügeln decken!
Umsonst! Gott wacht um uns, er wacht
Mit allen seinen Schrecken!

Noch keines Herzens böser Rath,
Ihr Sünder, keine schnöde That
Ist seinem Aug entronnen!
Er kennet den geheimen Pfad
Des Staubes und der Sonnen.

O gehe nicht, Herr, ins Gericht,
Wenn wider die gelobte Pflicht
Wir, deine Knechte, handeln!
Laß uns vor deinem Angesicht
In frommer Ehrfurcht wandeln!

Daß deinem Auge nichts entflieht,
Was war, und ist, und einst geschieht,
Sey meine Ruh und Freude!
Ein Gott, der alles weis und sieht,
Der sieht auch, wenn ich leide.

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 237 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105047 (vgl. Uz-SW, S. 189 ff.)]

Erinnerung des letzten Gerichts
Herr, sieh, ich bin verdrossen,
Zu thun, was dir gefällt!
Mein Herz hinkt unentschlossen
Noch zwischen Gott und Welt.
Mich drücken schnöde Ketten
Und alter Sünden Sklaverey:
Verzeuch nicht, mich zu retten,
Und mach, o Gott, mich frey!

Geh auf in meiner Seele,
Geh auf mit vollem Glanz!
Damit ich dich erwähle,
So zeige dich mir ganz!
Wie schrecklich du dem Sünder,
O heiligstes der Wesen, seyst,
Du Vater deiner Kinder,
Vollkommner höchster Geist!

Sollt in gewohnten Sünden,
Eh ich versöhnet bin,
Dein großer Tag mich finden,
O Gott, wo flöh ich hin:
Wann unter Ungewittern
Die Berge taumeln, wie vom Wind,
Und Erd und Himmel zittern,
Und Sonnen finster sind!

Ringt jammernd eure Hände,
Die ihr auf Erden lebt!
Sie fühlt ihr kommend Ende,
Sie ängstet sich und bebt.
Sie rauchen angezündet,
Die Wohnungen der Missethat,
Da der die Welt gegründet,
Sich ihr als Richter naht.

Er kömmt, und Blitze röthen
Den Arm des Menschensohns!
Herr! deine Blicke tödten
Die Feinde deines Throns:
Und Erd und Himmel fliehet
Vor deinem furchtbarn Angesicht,
Und wer nach ihnen siehet,
Sieht ihre Stäte nicht.

Ihr neuen Himmel, schweiget!
Der Sünder wird verklagt;
Und sein Gewissen zeuget,
Das an der Seele nagt,
Er bebt, er weicht zurücke:
Weh ihm! die ganze Hölle glüht
In seinem finstern Blicke,
Der seinen Richter flieht.

Was helfen Ruhm und Siege?
Was hilft dem Sünder itzt
Des Marmors feile Lüge,
Die auf dem Grabmaal blitzt,
In dieser großen Scene,
Wo der sich unter Engel mischt,
Der eine fromme Thräne
Dem Armen abgewischt?

Wann die verdammte Rotte,
Verfolgt vom Donner, eilt,
Und, ewig fern von Gotte,
Gequält und lästernd heult:
Am Tage deiner Rache,
Gott! Mittler! nimm dich meiner an,
Und führe meine Sache,
Wie du am Kreuz gethan!

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 240 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105050 (vgl. Uz-SW, S. 191 ff.)]

Der Erlöser
Ich irr um traurige Cypressen,
Am leichenvollen Golgatha:
Wie kann ich schweigen und vergessen,
Was hier zu meinem Heil geschah?
Denn nicht das Blut von tausend Rindern
Ward hier vergossen, sondern Blut,
Das ganzen Welten Gutes thut,
Des Mittlers zwischen Gott und Sündern.

Ich will, ich muß von Jesu singen!
Aus Liebe kam er auf die Welt.
Die Wahrheit flog mit güldnen Schwingen
Ihm göttlich strahlend beygesellt:
Als Finsterniß der dicksten Schatten
Noch über allen Völkern lag,
Und auch die Weisen keinen Tag,
Kaum eine schwache Dämmrung hatten.

Ihr Völker, in Judäens Gränzen
Erscheint ein wunderbares Licht!
Des Jordans weiße Fluthen glänzen,
Wie von der Sonnen Angesicht.
Ich sehe Cedern sich vergülden,
Die Cedern auf dem Libanon!
Der neue Morgen schimmert schon
Den allerdunkelsten Gefilden.

Gott kömmt vom Himmel, euch zu lehren:
Seht, wie vor ihm die Erde schweigt!
Die Heiden drängen sich, zu hören,
Da sich der große Lehrer zeigt.
Er lehret uns die Gottheit kennen,
Und ladet uns zum neuen Bund:
Durch ihn darf unser scheuer Mund
Gott wieder unsern Vater nennen.

Da unser schuldiges Geschlechte
Dem Tode heimgefallen war:
Stellt sich der einzige Gerechte
Zum Opfer der Versöhnung dar.
Verlohren waren Adams Kinder!
Der Sohn des Gottes Zebaoth
Erniedrigt sich zum Kreuzestod,
Und stirbt für abgefallne Sünder.

Er stirbt! Und war aus Gott gebohren!
Weg, Zweifel, der mir Jesum raubt!
Wie grimmig zischt vor meinen Ohren
Die Natter schwellend um dein Haupt!
Ich bete, Herr, vor dir im Staube!
Du redest, und ein himmlisch Licht
Strahlt sieghaft mir ins Angesicht:
Du redest, und, o Gott, ich glaube!

Wie? Der für mich am Kreuz erblaßte,
Eröffnete des Tauben Ohr,
Rief, die des Todes Arm umfaßte,
Allmächtig aus dem Grab hervor,
That über menschliches Vermögen;
Und dieser sollte Mensch allein,
Nicht Gott, nicht mein Erlöser seyn,
Und hundert Wunderwerke lögen?

Er ists, er kann sich nicht verhehlen,
Er ist es, Gott von Ewigkeit!
Ich schwör es bey den großen Seelen,
Den Märtyrern der alten Zeit,
Die sich nach diesem Jesu nannten,
Und mit erhabnem Heldenmuth
Auch auf der Folter, in der Glut,
Verfolgter Christen Gott bekannten!

Verehrt, verehrt ihn, alle Lande!
Der Jesus, der im Grabe liegt,
Zerbricht des Todes ehrne Bande,
Lebt ewig, und sein Glaube siegt.
Sein Glaube, diese zarte Pflanze,
Grünt aus verströmtem Blut hervor,
Und hebt im Sturm das Haupt empor,
Mit immer ungeschwächtem Glanze.

Was lehnen wüthende Nerone
Sich wider den Meßias auf?
Ihr Ungeheuer auf dem Throne;
Tyrannen, sammelt euch zu Hauf!
Wo seyd ihr? Doch sie sind verschwunden;
Und alle Heiden müssen sehn,
Daß Menschen Gott nicht widerstehn,
Und unser Jesus überwunden.

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 245 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105055 (vgl. Uz-SW, S. 194 ff.)]

Die Strafgerichte Gottes
Gott ist die Liebe selbst, und seine Menschenhuld
Ist reich an schonender Geduld.
Doch wann die Erde sich empöret,
Und allen Lastern dienstbar fröhnt,
Entbrennt sein Eifer, und verzehret
Den Sünder, der ihn höhnt.

Die furchtbarn Plagen stehn auf seinen Wink bereit,
Zum Dienste der Gerechtigkeit:
Der Krieg im blutigen Gewande
Geht würgend aus auf sein Geboth:
Die Pest fliegt über ganze Lande,
Begleitet von dem Tod.

Es zittert die Natur, wann sich der Höchste regt:
Die Erde bebt und wird bewegt,
Wenn auf den Fittigen der Winde
Gott unter schwarzen Wolken geht,
Und eines ganzen Volkes Sünde
Vor seinem Antlitz steht.

Ein Ungewitter braust, mit ungestümem Lauf,
Auch über uns vom Herrn herauf!
Gott Zebaoth will uns vernichten!
Doch laßt uns ihm entgegen gehn,
Und seinen drohenden Gerichten
Durch Buße widerstehn!

O schone, schone noch! Vertilg uns nicht, als Feind,
Gott, unser Schöpfer, unser Freund!
Du dürstest nicht nach unserm Blute:
Nimmt aber Bosheit überhand,
So besserst du mit schärfrer Ruthe
Ein ungehorsam Land.

So ruchlos ist die Welt, als herrschte Gott nicht hier!
Ihr Sünder, soll er seyn, wie ihr,
Und schweigen, da die Unschuld schreyet,
Und ihr den Armen unterdrückt,
Der Unzucht euch zu Sklaven weihet,
Und euch mit Schande schmückt?

Der Allerheiligste, den ganze Rotten schmähn,
Soll eure Gräuel schweigend sehn,
Wann ihr das Recht um Geld verhandelt,
Euch mit der Wittwen Erndte speist;
Wann jeder Frevel nackend wandelt,
Und nicht mehr Frevel heißt?

Erwartet ihr von Gott, in ganz verderbter Zeit,
Nur Güte, nicht Gerechtigkeit?
Die Erde soll sein Lob verkünden;
Er offenbart sich durch die Welt:
Ihr aber habt, mit schwarzen Sünden,
Der Schöpfung Reiz entstellt!

Entwaffnet seinen Grimm! Der Bogen liegt gespannt,
In seiner aufgehobnen Hand.
Bald holt er, mit entflammten Pfeilen,
Euch auf dem Wege Sodoms ein:
Dann werdet ihr um Hülfe heulen,
Und wird kein Helfer seyn.

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 249 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105059 (vgl. Uz-SW, S. 197 ff.)]

Demüthigung vor Gott
Darf sich der arme Mensch erheben,
Vor dir, Allmächtiger, der Staub?
Bor dir, der alles ihm gegeben,
Worauf er pocht, als einen Raub?

Und kannst du ihm nicht wieder nehmen,
Was du ihm gabst, und er vergißt,
Damit der stolze Staub sich schämen
Und fühlen müsse, was er ist?

Du ziehst dem aufgeblasnen Reichen
Den Purpur seiner Hoheit aus,
Und setzest ihn zu einem Zeichen,
Ihn und sein übermüthig Haus.

Du hauchest rosenvolle Wangen
Am frühen Morgen zürnend an,
Und noch vor Abend ist vergangen,
Was tausend mit Entzücken sahn.

Das Leben steht in deinen Händen:
Nach deinem Winke würgt der Tod;
Und würgt auch zwischen Marmorwänden
Und beym Altar, und eh er droht.

Auch mich ruft einst die finstre Höhle!
Doch bis die irdne Hütte bricht,
Entzeuch, ich flehe, meiner Seele
Den Funken deiner Gottheit nicht!

Nimm, wenn ich eine Welt gewönne,
Nimm nicht mein himmlisch Vorrecht hin,
Daß ich dich menschlich preisen könne,
So lang ich unter Menschen bin!

Erhalte mir, was du gegeben!
Denn diese Seele mit Verstand,
Und was ich habe, Leib und Leben,
Hab ich aus deiner Vaterhand.

So sing ich jeden neuen Morgen,
So sing ich, wann die schwarze Nacht
Den Schauplatz der Natur verborgen,
Und nur das Heer des Himmels wacht.

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 255 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105065 (vgl. Uz-SW, S. 201 ff.)]

Gott, der Gesetzgeber
Menschen, hört mit ehrfurchtvollem Schweigen!
Gott will selbst von seinem Throne steigen:
Betet an vor ihm! Er spricht.
Auch das Meer, das schon mit schnellem Grimme
Brüllend schwillt, gehorchet seiner Stimme,
Wenn sie donnert: stürme nicht!

Staub, den ich gebildet und beseelet,
Und aus Huld zu weisem Glück erwählet,
Höre, Mensch, ich rede dir!
Hab ich dir nicht, was du hast, gegeben?
Hast du nicht den Funken, dieses Leben,
Das du athmest, nur von mir?

Bin ichs nicht, der Sonnenschein und Regen
Gütig giebt, und dich mit mildem Segen
Aus der Erde Schoose nährt?
Der dein Vieh auf kräuterreichen Weiden
Dir erhält, dir ungezählte Freuden,
Alle, die du hast, gewährt?

Und was ists, das ich dagegen fodre?
Liebe nur! die reinste Liebe lodre
Gegen mich in jeder Brust!
Jedermann, der Erdkreis soll es hören!
Jedermann verläugne mir zu Ehren
Sich und alle seine Lust!

Seufzest du bey meinen Foderungen?
Reichthum, Ehr und Lob von feilen Zungen,
Dieser Tand betrübt dich nun?
Was aus Pflicht du nicht verweigern könntest,
Solltest du, wenn du dir Gutes gönntest,
Selber dir zu Liebe thun.

Kann der Geist, gefesselt an der Erden,
Sich mir nahn? Gereinigt muß er werden,
Und was irdisch ist, verschmähn.
Denn befleckt durch niedre schnöde Triebe,
Kann er mich, den würdigsten der Liebe,
Mich den heiligsten, nicht sehn:

Kann er nicht an jenen Ort gelangen,
Wo vor mir die reinen Geister prangen,
Reiner, als das Sonnenlicht,
Und, mit Glanz und Herrlichkeit umgeben
Höchstbeglückt erhabnen Freuden leben,
Die kein Wechsel unterbricht.

Denn, o Mensch, so groß ist meine Güte,
Daß ich dir, beglückt zu seyn, gebiethe,
Nicht beglückt nur in der Zeit.
Wolltest du für deinen Gott nicht bluten?
Er vergilt nur wenige Minuten
Dir mit einer Ewigkeit.

Höchster Gott, Beherrscher meiner Tage!
Dir gelobt Gehorsam, ohne Klage,
Dir, Herr, dein Geschöpf, dein Knecht.
Du bist weis', auch wann du mich betrübest;
Du gebeutst, o Vater, weil du liebest;
Die Gebote sind gerecht:

Wann, verhüllt von einer lichten Wolke,
Du im Thal die Niedrigsten vom Volke
Lehrst, von Menschenhuld belebt:
Oder, wann in schwarzen Ungewittern
Du gebeutst, und die Gefilde zittern,
Und der Sinai erbebt.

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 263 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105073 (vgl. Uz-SW, S. 206 ff.)]

Gott, der Weltschöpfer
Zu Gott, zu Gott flieg auf, hoch über alle Sphären!
Jauchz ihm, weitschallender Gesang,
Dem Ewigen! Er hieß das alte Nichts gebähren;
Und sein allmächtig Wort war Zwang.
Ihm, aller Wesen Quelle, werde
Von allen Wesen Lob gebracht,
Im Himmel und auf Erde
Lob seiner weisen Macht!

Von ihrer hohen Bahn, in jener lichten Ferne,
Jauchzt ihm die Sonne freudig zu:
Du machtest mich! du Gott! Und ringsumher die Sterne,
Das Heer des Himmels; machtest du!
Sein Lob, ihr schimmerreichen Schaaren,
Tönt auf der dunkeln Erde nach,
Von Wesen, die nicht waren,
Und wurden, als er sprach:

Als Neigung, wohlzuthun, und weitere Gebiethe,
Noch mehr Geschöpfe zu erfreun,
Dich, Weisester, bewog, zu Wundern deiner Güte,
Der Schöpfer einer Welt zu seyn;
Und aus dem Licht, in dem du wohnest,
Zu Sterblichen hervor zu gehn,
Vom Himmel, wo du thronest,
Und Engel vor dir stehn.

Du wolltest dich, als Gott, der öden Tiefe zeigen,
Die, unermeßlich ausgestreckt,
Zu deinen Füßen lag, mit fürchterlichem Schweigen
Und schauervoller Nacht bedeckt.
Du breitetest, Herr, deine Hände
Weit aus durchs düstre leere Feld,
Und zeichnetest das Ende
Der ungebohrnen Welt.

Du riefst ihr, und sie kam! O welche Wunder drangen
Jetzt aus dem fruchtbarn Schoos des Nichts!
Der Sonnen zahllos Heer, die ihrem Schöpfer sangen,
Bestieg den güldnen Thron des Lichts:
Und jede herrscht in ihrer Sphäre,
Wo ihren flammenden Palast
Du im crystallnen Meere,
Du, Gott, gegründet hast.

Ihr Himmel, öffnet euch, daß ich bewundernd preise,
Wie Sonn an Sonne friedlich gränzt,
Und, ewig unverwirrt im angewiesnen Kreise,
Doch weit gebiethend, jede glänzt!
Umsonst! die schwindelnden Gedanken,
Verlohren in dem großen Blick,
Entfliehen in die Schranken
Der niedern Welt zurück.

Auch sie, die Erde, war bejahrtem Nichts entrissen,
Doch ungestalt und wüst, und wild,
Ein roher Klumpen noch, in kalten Finsternissen
Und schwarzen Fluthen eingehüllt.
Gott schalt die Wasser, und sie flohen,
Und wälzten sich im Donner fort,
Vor ihres Herrschers Drohen,
An den bestimmten Ort.

Mit Brausen sammelten die furchtbarn Oceane
Sich nach dem Winke seiner Hand;
Es rauschten Flüsse hin, vertheilt nach weisem Plane:
Die Erde wurde festes Land,
Sie drohte nun mit Felsenstücken
Und rauhen Bergen schon empor,
Und stieg, mit breitem Rücken,
Aus Wassern schwer hervor.

Hoch über Sonnen stund ihr Schöpfer, dem sie leben,
Und eine sah er an, und sprach:
Der Erde hab ich dich zur Königinn gegeben;
Zeuch sie durch sanfte Bande nach:
Daß du, ihr leuchtend, sie erfreuest,
Und sanfte Klarheit in der Nacht
Dem stillen Monde leihest,
Den ich für sie gemacht!

Wie war dir, Erde, nun, da dich zum erstenmale
Der Sonne glänzend Antlitz fand,
Da deine Königinn, auf einem lichten Strahle,
Den liebreizvollen Tag dir fand?
Er kam! die güldnen Locken flogen,
Gezähmt durch einen Bluhmenkranz:
Die jungen Stunden zogen
Ihn auf zum Frühlingstanz.

Schon schmückte fettes Gras die Fluren, alles grünte:
Vor seinem Schöpfer prangte schon
Der Bluhmen bunt Geschlecht: die Rose nur verdiente
Den holden Purpur und den Thron.
Sie tranken vom beperlten Thaue;
Sie hauchten in die laue Luft,
Auf kräuterreicher Aue,
Gesunden Balsamduft.

Die Bäume kamen auch: die frische Pfirsich glühte,
Schon reifend für des Menschen Mund.
Ein schlanker Baum trat auf in silberweißer Blüthe,
Der bald mit Gold befruchtet stund.
Die düstern Eichenwälder hatten
Sich über Höhen ausgestreckt,
Mit angenehmen Schatten
Schon Thäler überdeckt.

Nun war die Erde schön, geschmückt auf allen Seiten,
Werth einer Gottheit Sitz zu seyn.
Noch war sie, o zu früh, zu früh verflogne Zeiten?
Von kriegrischer Verwüstung rein,
Die, auf den Wink verfluchter Ehre,
Das Antlitz der Natur verderbt,
Und Felder, selbst die Meere
Mit Menschenblute färbt.

Sie both, noch unentweiht, aus ihres Schöpfers Fülle,
Die Schätze des Vergnügens dar:
Doch allenthalben war noch eine todte Stille,
Da nichts lebendiges noch war.
Gott sprach, und die Gebirge bebten,
Und Meer und Erde regten sich,
Und neue Wesen lebten:
Die todte Stille wich!

Das Volk der kalten Fluth, die schuppenreichen Heere
Bezogen ihr beschilftes Haus,
Der Wallfisch breitete sich im beschäumten Meere,
Gleich einer wüsten Insel, aus.
Hier flog mit goldgefleckten Schwingen,
Dort kroch, vom Auge kaum entdeckt,
Schön, gleich den größten Dingen,
Das künstliche Insekt.

Hoch auf zur Sonne flog der Adler aus den Feldern:
Zum stillsten Busch entwich und sang
Die süsse Nachtigall: in schattenreichen Wäldern
War braunes Wild, das brüllend sprang.
Bestäubte Mähnen schüttelnd, wühlten
Sich Löwen aus der Erde los;
Und sanfte Lämmer spielten
Um ihrer Mutter Schoos.

Du hast mit reichem Strom das Leben ausgegossen,
Bis in die kleinste Felsenkluft!
O Schöpfer! Gütigster! Wie viele Stimmen flossen
Dir dankend in der heitern Lust,
Und drängten sich, in tausend Weisen,
Ein lieblich wild vermischtes Chor!
Dich, ihren Herrn, zu preisen,
Zu deinem Thron empor!

Bald kam zur frohen Schaar, der Zeuge deiner Größe,
Der Mensch, den du zuletzt gemacht,
Damit ein Wesen wär, das mit Vernunft genöße,
Was deine Huld hervorgebracht.
Ihm, deinem Bilde, wurde Leben,
Aus deinem lebensreichen Mund,
Und die Vernunft gegeben:
Er fühlte sich und stund:

Ein wunderbar Geschöpf, das, wie die dümmsten Thiere,
Sich Nahrung aus der Erde gräbt,
Und wie der Engel denkt; halb, wie die dümmsten Thiere,
Vergeht, und halb unsterblich lebt:
Geschaffen, daß es vor dir wandle,
Dir unterwürfig, aber frey
Nach weisen Pflichten handle,
Dich lob' und glücklich sey!

Er stammelte dein Lob mit dankbarem Gemüthe,
So bald er dacht' und froh empfand,
Und überall dich sah, dich, o du höchste Güte,
Dich am bestrahlten Himmel fand,
Dich auf der bluhmenvollen Fläche,
Dich im gewürzten Myrrhenduft,
Im Murmeln kühler Bäche,
Dich in der Frühlingsluft!

Dich loben, Herr, ist Pflicht! Dein Ruhm schallt ungezwungen
Von meinem dankbarn Saitenspiel.
Dein Ruhm erschalle laut von aller Menschen Zungen,
Bis an der Erde letztes Ziel;
In ewig trauernden Gefilden,
Und wo die Sonne sanft regiert,
Und wo verbrannte Wilden
Sie zu dem Schöpfer führt!

[Uz: Sämtliche poetische Werke, S. 266 ff.Digitale Bibliothek Band 75: Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke, S. 105076 (vgl. Uz-SW, S. 209 ff.)]