Paul Marie Verlaine (1844 – 1896)

Französischer Dichter, der seine Frau wegen einem leidenschaftlichen Liebesverhältnis mit dem zehn Jahre jüngeren Lyriker Arthur Rimbaud verließ und mit diesem durch Nordfrankreich, England und Belgien vagabundierte. Das Verhältnis fand ein jähes Ende, als er Rimbaud in Brüssel durch Revolverschüsse verletzte. Während seines anschließenden Gefängnisaufenthalts entdeckte Verlaine ein religiöses Verlangen in sich, die in der Gedichtesammlung »Sagesse« ihren poetischen Ausdruck fand, welche zur besten religiösen Lyrik Frankreichs zählt.

Siehe auch Wikipedia, Kirchenlexikon und Projekt Gutenberg

Getroffen
Mein Gott, Du hast mit Liebe mich getroffen!
Noch zittert nach die klaffend-tiefe Wunde.
Mein Gott, Du hast mit Liebe mich getroffen!

Mein Gott, Dein Gnadenstrahl hat mich entzündet!
Im Donnergrollen glüht noch nach sein Brennen.
Mein Gott, Dein Gnadenstrahl hat mich entzündet!

Mein Gott, ich hab`erkannt, daß alles eitel,
und Deiner Glorie Glanz füllt mir die Seele!
Mein Gott, ich hab`erkannt, daß alles eitel!

Ertränk` mein Herz in Deines Weines Fluten,
laß ankern mich im Brote Deiner Engel!
Ertränk` mein Herz in Deines Weines Fluten!

Hier ist mein Blut, das niemals ich vergossen,
hier ist der Leib, unwürdig Deiner Leiden!
Hier ist mein Blut, das niemals ich vergossen!

Hier meine Stirn, die nur erröten konnte:
Nimm sie zum Schemel Deiner Füße!
Hier meine Stirn, die nur erröten konnte!

Die Hände hier, die niemals tätig waren,
des Weihrauchs Duft auf Kohlenglut zu streuen!
Die Hände hier, die niemals tätig waren!

Hier ist mein Herz, das nur vergebens pochte:
laß zucken es im Zorn der Schädelstätte!
Hier ist mein Herz, das nur vergebens pochte!

Die Füße hier, leichtfertig träge Wanderer,
wo’s gilt, dem lauten Gnadenruf zu folgen!
Die Füße hier, leichtfertig träge Wanderer!

Hier meine Stimm’, ein Klang voll Trotz und Lüge
Für jede Mahnung ernster Reu und Buße!
Hier meine Stimm’, ein Klang voll Trotz und Lüge!

Die Augen hier, des blinden Irrtums Leuchten,
statt zu erlöschen in Gebet und Tränen!
Die Augen hier, des blinden Irrtums Leuchten!

Weh mir, Du Gott des Opfern und Vergebens:
so tief ist meines Undanks finstrer Brunnen!
Weh mir, Du Gott des Opfern und Vergebens!

Du Gott der Heiligkeit, Du Gott der Schrecken,
weh mir, wie schwarz der Abgrund meiner Sünden!
Du Gott der Heiligkeit, Du Gott der Schrecken!

Du Gott des Glücks der Freude und des Friedens!
All meine Angst, all meine tör’gen Fehler –
Du Gott des Glücks der Freude und des Friedens -:

Sie sind Dir offenbar, Du weißt es alles,
und daß ich ärmer bin als irgendeiner:
Sie sind Dir offenbar, Du weißt es alles –

Doch was ich hab’, mein Gott, es sei Dein eigen! S.338ff.
Aus: Gott in uns. Die Mystik der Neuzeit. Von Otto Karrer, Verlag „Ars sacra“ Josef Müller, München