Svami Vivekananda, eigentlich Narendranath Datta (1863 – 1902)

  Indischer Mystiker, der ein Schüler Ramakrishnas war: 1897 gründete er die »Ramakrishna-Mission«. Vivekananda verbindet den Glauben an einen persönlichen Gott mit dem an den unpersönlichen Gott, dem er selbst als Advaitist mehr zuneigt. Wohl sei, so etwa sagt er gelegentlich, das Sich-Verlassen auf Gott wunderbar und für viele Menschen ein Bedürfnis, aber, so meint er, das Ziel der meisten Menschen wird die große Erkenntnis der eigenen Verantwortung und Kraft sein, die im Gedanken des Unpersönlichen liegt: »Welche Kraftquelle ist die Vorstellung des unpersönlichen Gottes. Ist aller Aberglaube über Bord geworfen und steht der Mensch auf eigenen Füßen, in der Erkenntnis, dass er das unpersönliche Sein der Welt ist, was kann ihn da noch schrecken? ... Der Tod ist ihm Spiel. Er steht im Glanze der eigenen Seele, des Unendlichen, Geburtlosen, Zeitlosen, Unvergänglichen.« Als Weg zu dem vergeistigten höheren Leben, das Vivekananda anstrebt, erscheint ihm — wie er meint, im Einklang mit der Forderung Christi, erst das Reich Gottes zu erstreben, dann werde alles andere dem Menschen zufallen — die in der Selbstversenkung vollzogene Verbindung mit Gott. »Alles kommt zu dem, der sich um nichts sorgt«

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Ramakrishna Mission Delhi

Ramakrishna Mission Delhi

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Inhaltsverzeichnis
Gott
Der Weg zur Freiheit
Ursymbole der Menschheit

Der Weg zum vergeistigten Leben

Gott
Gott ruht auf seinem eigenen königlichen Selbst. Wir alle versuchen mit ihm eins zu sein. Aber wir bauen unser Sein auf die Natur, auf die Kleinigkeiten des täglichen Lebens, auf Geld, Ruhm, menschliche Liebe und auf alle wechselnden Erscheinungsformen, die uns in Fesseln schlagen. Wenn die Natur in Schönheit leuchtet, worauf beruht dann dieser Glanz? Auf Gott und nicht auf Sonne, noch Mond, noch Sternen.

Wo Licht ist, gleichviel ob in der Sonne oder in unserem eigenen Bewusstsein, Er ist es.
Sein Licht erstrahlt und leuchtet in allem.
So ist Gott Beweis an sich, unpersönlich, allwissend, der Kenner und Meister der Natur, der Herr aller Dinge. Er ist Ursache aller Anbetung und Verehrung, die seinem Willen entsprechend vor sich geht, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Ich gehe einen Schritt weiter. Das, worüber sich alle wundern, das, was wir »böse« nennen, geschieht auch zu seinen Ehren. Auch das ist ein Teil der Freiheit. Ja, ich will sogar dies Gewaltige behaupten, daß der Antrieb zu allen bösen Taten jene Freiheit ist. Sie mag missleitet sein und mißbraucht werden, aber sie war da. Es gibt weder Leben noch Antrieb, hinter dem nicht diese Freiheit steht. Freiheit kreist im Herzen des Weltalls. So wird der Gottesbegriff in den Upanishaden dargestellt. Manchmal erhebt er sich nicht darüber empor und gibt uns einen Gottesbegriff, von dem wir zuerst bestürzt sind — daß unser innerstes Sein mit Gott gleich sei. Er, der uns Leben gibt, ist unsere innere Kraft. Seiner Glut entstammt das Leben; selbst im grässlichsten Tod offenbart sich seine Macht. Er, dessen Maske der Tod ist, besitzt auch die andere Maske, die Unsterblichkeit. Könnt ihr einen noch höheren Begriff fassen?

Der Weg zur Freiheit
So schmal wie die Schneide eines Messers ist der Weg zur Freiheit und lang, schwer und mühselig zu durchqueren. Die Weisen haben das wieder und immer wieder bekundet. Doch lasse dich weder von Schwäche noch Mißerfolgen binden. Die Upanishaden erklären: »Stehe auf, erwache und halte nicht inne, bis du das Ziel erreicht hast! « Dann werden wir gewiss den Pfad finden. Der Mensch wird dann Herr über Götter und Dämonen. Wir dürfen niemand als uns selbst um unseres Elends willen anklagen. Glaubst du, daß man dir nur einen Becher Gift reicht, wenn du nach Nektar suchst? Der Göttertrank ist für jeden Suchenden da. Gott selbst sagt uns: Verlaß all die bisherigen Wege und gib die Kämpfe auf! Suche bei mir Zuflucht! Ich werde dich zum Ufer tragen, fürchte dich nicht! Das steht in allen heiligen Schriften der Welt geschrieben. Dieselbe Stimme lehrt uns beten: »Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden, denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit! « Es ist schwer, sehr schwer! Ich sage mir: »Jetzt gleich will ich meine Zuflucht zu Dir nehmen, Gott, Deiner Liebe will ich alles opfern, und auf Deinen Altar will ich alles legen, was gut und wertvoll ist. Meine Sünden, meine Sorgen, meine Taten, Gutes und Böses, ich will es Dir opfern. Nimm sie hin und ich will es Dir ewig danken!« Ich bete: »Dein Wille geschehe!« und im nächsten Augenblick tritt eine Versuchung an mich heran, und ich gerate in Wut. Das Ziel aller Religionen ist das gleiche, nur die Sprache der Lehrer ist verschieden. Die Forderung ist, das falsche Ich abzutöten, damit das wahre Ich, Gott, herrsche. »Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir«, sagen die hebräischen Schriften. Gott allein muss uns erfüllen. Wir müssen sagen: »Nicht ich, sondern Du!« Dann sollten wir uns von allem lösen und in Gott eingehen. Es ist vielleicht ein mühseliges Ringen, vielleicht strauchelt manchmal der Fuß. Dann strecken wir unsere Hand nach der All-Mutter aus. Wir können nicht alleine stehen. — Das Leben ist Unendlichkeit. »Dein Wille geschehe!« Fortwährend lehnt sich der verräterische Geist dagegen auf. Dennoch müssen wir es uns wieder und immer wieder vorhalten, wenn wir das niedere Selbst besiegen wollen. Wir können nicht einem Verräter und Gott dienen. Für alle gibt es Erlösung, nur für den Verräter nicht. Und wir sind Verräter gegen unser eigenes Selbst, wenn wir nicht der Stimme unseres höheren Selbstes gehorchen. Komme, was wolle, wir müssen unseren Körper und Geist dem Höchsten übergeben. »Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.«

Ursymbole der Menschheit
In jeder Religion gibt es drei Gebiete: die Weltanschauung, die Götterlehre und die Gebräuche. Die Lehre von der Weltanschauung ist natürlich das Wesen jeder Religion. Die Götterlehre erläutert und versinnbildlicht sie durch Erzählungen aus dem mehr oder weniger sagenhaften Leben großer Männer, Erzählungen und Fabeln wunderbarer Begebenheiten und dergleichen. Die Gebräuche geben der Weltanschauung eine noch gröbere Form, so daß ein jeder sie fassen kann. Die Gebräuche sind die in sichtbare Form umgewandelte Weltanschauung. Die Gebräuche sind Karma. Sie sind in jeder Religion notwendig, weil die meisten Menschen nicht rein geistige Dinge verstehen können, bevor sie innerlich dazu reif sind. Der Mensch glaubt leicht, alles verstehen zu können, aber wenn er seine Lebensanschauung in dies umsetzen will, erfährt er, daß man in geistige Dinge nur sehr schwer eindringen kann. Darum sind Sinnbilder eine große Hilfe für uns, und wir können nicht davon absehen, uns etwas sinnbildlich klarzumachen. Seit undenklichen Zeiten wurden Sinnbilder von allen Religionen gebraucht. In gewissem Sinn können wir nur in Sinnbildern denken. Worte sind wiederum nur Sinnbilder unserer Gedanken. Das ganze Weltall ist ein Sinnbild und Gott ist die verborgene Wesenheit dahinter. Diese Art der Versinnbildlichung ist nicht einfach Schöpfung des Menschen. Menschen einer Religionsgemeinschaft setzen sich nicht hin und klügeln dann bestimmte Sinnbilder für ihre Religion aus. Die Sinnbilder der Religion wachsen von selbst. Woher käme es sonst, daß im Geist fast aller Völker bestimmte Sinnbilder mit bestimmten Vorstellungen verbunden sind? Einige Sinnbilder sind allgemein vorherrschend. Viele glauben vielleicht, daß das Kreuz erst als ein Sinnbild in Verbindung mit dem Christentum auftauchte. Aber tatsächlich bestand es vor dem Christentum, vor Moses und bevor die Veden bekannt wurden, bevor es irgendwelche Aufzeichnungen gab. Das Kreuz ist wohl schon bei den Azteken Mexikos und den Phöniziern vorhanden gewesen. Bei allen Rassen scheint das Kreuz ein heiliges Zeichen gewesen zu sein. Auch das Sinnbild des gekreuzigten Heilands, eines Menschen, der am Kreuze hängt, scheint fast allen Völkern bekannt gewesen zu sein.

Ein anderes in der ganzen Welt bekanntes Sinnbild ist der Kreis. Das allgemeinste aller Sinnbilder ist das Tau- oder Hakenkreuz (Svastika). Früher glaubte man, daß es die Buddhisten über die Welt verbreitet hätten; aber es hat sich herausgestellt, daß es lange vor den Buddhisten bei einigen Völkern üblich war. Es ist im alten Babylon und in Ägypten gefunden worden. Was beweist das alles? All diese Sinnbilder können nicht von bestimmten Menschen vereinbart gewesen sein. Es muß einen anderen Grund für ihr Auftreten geben, eine natürliche Verbindung zwischen ihnen und dem menschlichen Geist. Auch die Sprache ist nicht die Folge einer Vereinbarung. Sie entstand nicht so, daß Menschen darin übereinkamen, bestimmte Vorstellungen durch bestimmte Worte auszudrücken. Es gab überhaupt nie eine Vorstellung ohne ein entsprechendes Wort oder ein Wort ohne die entsprechende Vorstellung. Vorstellungen und Worte sind ihrer Natur nach unzertrennlich. Die Sinnbilder können sich in Klang- oder Farbenbildern äußern. Taubstumme Menschen müssen mit anderen als tönenden Sinnbildern denken. Jeder Gedanke des Geistes hat eine ihm entsprechende Form. Das wird im Sanskrit — nâmarupa — Name und Form genannt. In den Sinnbildern der Gebräuche haben wir einen Ausdruck der religiösen Gedanken der Menschheit. Man kann leicht sagen, daß kein Bedürfnis für religiöse Gebräuche, Kirchen und Sinnbilder vorliegt. Jedes Kind redet heutzutage schon davon. Aber ist es nicht klar, daß diejenigen, die im Tempel beten, in vieler Hinsicht von denen verschieden sein müssen, die dort nicht beten wollen? Es ist nicht weise, religiöse Gebräuche und Sinnbilder vollständig unbeachtet zu lassen.

Der Weg zum vergeistigten Leben
Nimmt das Hangen am Alten überhand, tritt Rückschritt ein. Der Sieg der Entwicklung heißt Fortschritt. Das kann ich an meinem eigenen Körper am besten beobachten. Wir lassen uns aber zuwenig Zeit für uns selbst und weilen mit unsern Gedanken zuviel bei den Fehlern des Nächsten. Doch braucht die Beherrschung des Körperlichen nicht unsere ganze Zeit auszufüllen. Wir müssen unsere Seele frei machen und die Freiheit ist die Fackel, mit der wir die Dunkelheit durchdringen, sie abschütteln, ja verabscheuen. Das Ziel ist das Überbewußtsein. Ist das erreicht, wird der Mensch göttlich, frei. Und dem Geist, der geübt ist, alles zu überwinden, wird das Weltall allmählich seine Geheimnisse lösen. Das Buch der Natur wird ihm immer klarer, bis er das Ziel erlangt und vom Tal des Lebens und Todes dahin gelangt, wo es weder Tod noch Leben gibt, und wo er das Wirkliche weiß und das Wirkliche wird.

Dazu gehört ein ruhiges und friedvolles Leben. Wer sich den ganzen Tag für die Notdurft des Lebens abhetzen muß, hat wenig Zeit für höhere Ziele. Vielleicht wird er in einem anderen Leben unter günstigeren Umständen geboren. Wer aber ernsthaft strebt, wird auch die schwierigen Verhältnisse überwinden. Wonach jemand von ganzer Seele verlangt, das erhält er; denn der Wunsch schafft den Körper. Wäre kein Licht, würden die Augen nicht sein. Der Schall schuf die Ohren. In hunderttausend Jahren mögen wir wohl noch mehr Organe haben, um Elektrizität und andere Kräfte wahrzunehmen. — Ein ruhevoller Geist hat keine irdischen Wünsche. Sie entstehen nur, wenn ihnen von außen her die Erfüllung winkt. Ein friedvolles, ruhiges, unserer Entwicklung günstiges Leben muss kommen, sobald das Verlangen danach erwacht. Das mag nach tausend Jahren geschehen. Aber es gibt einen Unterschied im Wünschen. Der Meister sagt: »Verlangst du nach Gott, mein Kind, so wird Gott zu dir kommen.« Der Schüler verstand den Meister nicht ganz. Eines Tages badeten beide im Fluß, und der Meister sagte: »Tauche unter.« Der Knabe tat es. Sofort war der Meister über ihm und hielt ihn unter Wasser, bis der Knabe erschöpft war. Dann ließ er ihn frei.
»Was empfandest du da unten?« »Das Verlangen nach einem Atemzug.« »Ersehnst du Gott ebenso stark?« »Nein.« »Erst wenn du das tust, wirst du Gott finden.«

Das Eine, ohne das wir nicht leben können, muß uns werden. Um Yogi zu sein, muss man frei sein. Wer nach einem behaglichen und bequemen Leben verlangt und dabei gleichzeitig das Selbst in sich erleben will, ist dem Narren gleich, welcher den Fluss durchqueren will und nach einem Krokodil greift, weil er es für einen Balken hält. »Suchet nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.« Alles kommt zu dem, der sich um nichts sorgt. Glück ist einer Koketten ähnlich. Sie ist gleichgültig gegen den, der nach ihr verlangt; aber sie liegt dem zu Füßen, der sich nicht um sie kümmert. Geld fließt dem zu, der sich darum bemüht. Auch Ruhm fällt ihm zu, bis es zu Last und Unruhe wird. Alles kommt zum Herrn. Der Sklave erhält niemals etwas. Herr ist der, der allein trotzt, der nicht an kleinen, närrischen Dingen der Welt hängt. Lebt für ein Ideal und nur für dieses! Laßt es so groß, so ernst sein, daß da kein Platz, keine Zeit für etwas anderes bleibt.

Viele Leute verwenden all ihre Kraft, Zeit, Hirn und Körper darauf, reich zu werden. Von morgens bis abends sind sie an der Arbeit. Von hundert sterben neunzig bei diesem Versuch, und diejenigen, die Reichtum erwerben, verstehen nicht, sich daran zu freuen. Ich sage nicht, der Versuch, reich zu werden, sei schlecht! Er ist wunderbar! Warum? Weil er zeigt, dass jemand mit derselben Kraft um Freiheit kämpfen kann, wie ein anderer um Geld. Sterben wir, müssen wir Reichtum und alles andere aufgeben. Und wieviel Kraft verwenden wir trotzdem darauf! Sollten wir nicht tausendmal mehr Kraft daransetzen, das zu erreichen, was niemals schwindet, was immer bleibt? Unsere eigenen guten Taten, unser eigener Wert sind die einzigen Freuden, die uns über das Grab hinaus folgen. Alles andere wird mit dem Körper· zurückgelassen.

Der wirkliche Wunsch nach einem Hochziel ist der erste große Schritt; alles andere ist dann leicht. Das fand der indische Geist heraus. In Indien gehen die Menschen in alle Weiten, um Wahrheit zu finden. Hier im Westen wird alles so leicht gemacht und darum ist es so schwer. Nicht Wahrheit, sondern Entwicklung ist das Ziel. Kampf ist die große Lehre. Bedenkt! Kampf ist die Wohltat des Lebens! Wir müssen durch ihn hindurch — gibt es einen Weg zum Himmel, so führt er durch die Hölle; das ist Notwendigkeit. Hat die Seele mit Hemmnissen gerungen, hat sie den Tod tausendmal getroffen und hat doch nichts vermocht, sie vom Vorwärtskämpfen abzuschrecken — dann kommt sie als ein Riese hervor und lacht über das Ziel, für das sie kämpfte, und findet, wieviel größer sie ist als ihr Vorbild. Ich, mein eigenes Selbst ist das Ende, sonst nichts! Und was wäre meinem eigenen Selbst vergleichbar? Kann ein Klumpen Gold meiner Seele ersehntes Vorbild sein? Gewiß nicht! Meine Seele ist das höchste Ziel. Meine eigene wahre Natur zu verwirklichen, ist mein einziges Lebensziel.

Nichts ist nur schlecht. Der Teufel hat ebenso seine Berechtigung wie Gott, sonst wäre er nicht da. Durch die Hölle kommen wir zum Himmel. Auch unsere Fehler sind notwendig. Vorwärts! Seht nicht zurück, wenn ihr etwas Unrechtes tatet. Glaubt ihr, ihr könntet sein, was ihr heute seid, wenn ihr keine Fehler gemacht hättet? Segnet eure Fehler. Sie sind eure unerkannten Engel gewesen. Gesegnet sei die Qual, gesegnet das Glück! Sorgt nicht um euer Los. Haltet am Ziel fest. Vorwärts und seht nicht zurück auf kleine Fehler. Auf diesem Schlachtfeld muss der Staub unserer Fehler hoch aufwirbeln. Mögen diejenigen, die zu zart besaitet sind und ihn nicht vertragen können, zurücktreten.

Der ernste Entschluss, so zu kämpfen, ist hundertfach größer als derjenige, etwas zum Leben Gehöriges zu gewinnen, und ist die erste Vorbereitung. Mit ihm verbunden muß Selbstversenkung sein. Sie ist am wichtigsten. Versenkt euch in euch selbst. Der in sich versunkene Mensch ist mit Gott am meisten verbunden. Selbstversunkenheit ist der einzige Augenblick im Leben des Alltags, in dem wir überhaupt nicht körperlich sind — die Seele denkt, frei von allem Stoff, nur an sich, der wunderbaren Berührung der All-Seele.

Der Körper ist unser Freund und Feind zugleich. Wer kann den Anblick des Elends ertragen? Aber wer kann nicht ruhig die Schilderung desselben auf einem Gemälde betrachten? Weil es nicht wirklich ist, stellen wir uns nicht ihm gleich. Wir sehen es eben nur als Gemälde. Auf einer Leinwand dargestellt, vermögen wir sogar das furchtbarste Elend zu bewundern und die Malweise, die Größe des Künstlers zu preisen. Das Geheimnis ist, losgelöst, Zuschauer zu sein.


Weder Atmen noch körperliche Leibesübungen haben einen Zweck, bevor ihr nicht zu der Vorstellung gekommen seid:
»Ich bin Zuschauer!« »Ich bin Geist! Mich kann nichts Äußeres berühren.« Erwachen böse Gedanken, bietet ihnen Trutz, wiederholt: ich bin Geist, ich bin Zuschauer, bin immer glückselig! Ich bin in dem Bildersaal: das Weltall. Ich schaue auf die Bilderfolgen. Alle Bilder sind schön, ob gut, ob schlecht, und ich sehe die wunderbare Kunst, die unendlich verschiedenen Lichtwirkungen des großen Malers. Keine Willensäußerung noch Wunsch ist da. Er ist alles! Er — Sie —, die Mutter spielt und wir sind Puppen, die ihr in diesem Spiel helfen. Jetzt kleidet sie einen in das Gewand eines Bettlers, dann in das eines Königs, im nächsten Augenblick in das Gewand eines Heiligen und dann wieder in das eines Teufels. Um der Mutter, dem Geist, im Spiel zu helfen, ziehen wir die verschiedenen Gewänder an.

Ist das Kind im Spiel versunken, hört es den Ruf der Mutter nicht. Hat es das Spiel beendet. wird es zur Mutter eilen ohne ein »Nein«. Wir haben Augenblicke im Leben, wo wir fühlen, das Spiel ist beendet. Dann hat all unser Spielzeug, Männer, Frauen, Kinder, Reichtum, Name, Ruhm — Freude und Schimmer des Lebens —, Strafe und Erfolg keinen Wert mehr. Alles wird nichtig und das Leben einem Schauspiel gleich. Wir fühlen nur den unendlichen Gleichklang weitergehen — endlos, zwecklos —, wohin, wissen wir nicht. Nur das Eine wissen wir: unser Spiel ist (getan) aus.

Zitiert aus: Vivekânanda, Ein Lebensbild und 9 Vorträge, 1921, S.26f., 30f., 51f.,
Enthalten in: Die Söhne Gottes, Aus den heiligen Schriften der Menschheit, (S.88ff.)
Auswahl und Einleitungen von Gustav Mensching, R. Löwit . Wiesbaden