(Benjamin) Frank(lin) Wedekind (1864 - 1918)

 

Deutscher Dramatiker, Lyriker und Schauspieler, der für die Veröffentlichung eines missliebigen politischen Gedichts im »Simplicissimus« wegen »Majestätsbeleidigung« zu drei Monaten Festungshaft verurteilt wurde. In seinen expressionistischen Dramen prangerte Wedekind die Heuchelei der lebens- und triebfeindlichen bürgerlichen Moral an und provozierte diese ungeniert, indem er einer lebensbejahenden und sexuell freizügigen Lebensweise das Wort redete. .
Sein
bekanntestes Werk mit sadomachistischen Zügen ist wohl »Lulu«, das
auch heute immer noch gerne auf deutschen Bühnen aufgeführt wird und auch bereits mehrmals verfilmt wurde.

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Inhaltsverzeichnis
Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte
Im Heiligen Land
Liebe
Trost


Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte
I
Ich, der ich Ich bin,
Der Allgewaltige,
Ich bin der Verborgen
e,
Der dich zu seiner
Lust geschaffen hat.
Denn meine Freuden
Sind deine Schmerzen,
Denn mein Leben
Ist dein Tod.
II
Dein Eigen sollst du nicht nennen,
Nicht Erde, nicht Feuer, nicht Wasser,
Nicht Pferd, nicht Hund,
Nicht Vater, nicht Mutter,
Nicht Mann, nicht Weib, nicht Kind.
III
Deine Jagd nach Beute
Sollst du nicht Arbeit schmähn,
Denn besser, dem Jäger
Fehle die Beute,
Als daß sich der Jäger
Erjagen läßt
Und er genährt werde
Um seiner Arbeit willen.
IV
Züchtige den Körper nicht
Um der Seele willen,
Um des Körpers willen jedoch
Züchtige die Seele.
Denn deine Seele fürchte
Den seelischen Schmerz.
Deines Körpers Schmerzen aber
Sind deine herrlichsten Opfer.
V
Ich, der ich Ich bin,
Ich schuf den Menschen,
Damit er stirbt.
Ich, der ich Ich bin,
Schenkte dir Wollust,
Auf daß du den Tod
Nicht fürchtest,
Der du an deinem Tod
Deine Wollust sättigest.
Wehe dem, der seine Wollust
Sättigt an schlechterer Kost.
Er wird in der Dunkelheit
In Fäulnis zergehn.
VI
Halte die Spiele
Der Kinder heilig
Und störe sie nicht.
Denn in ihnen ist weder
Torheit noch Müßiggang.
VII
Du sollst nicht in Wollust lieben,
Sondern in Kraft
Und Selbstgefühl.
Du sollst nicht im Dunkeln lieben,
Sondern im Licht.
Wehe der Liebe,
Die an den Blicken
Der Menschen stirbt.
Denn wie deine Liebe,
So deine Kinder.
Wer aber im Dunkeln liebt,
Der lebt auch im Dunkeln.
S.59f.
Aus: Frank Wedekind, Gedichte und Lieder. Herausgegeben von Gerhard Hay.. Reclams Universalbibliothek Nr. 8578, © 1989 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Im Heiligen Land
Der König David steigt aus seinem Grabe,
Greift nach der Harfe, schlägt die Augen ein
Und preist den Herrn, daß er die Ehre habe,
Dem Herrn der Völker einen Psalm zu weihn.
Wie einst zu Abisags von Sunem* Tagen
Hört wieder man ihn wild die Saiten schlagen,
Indes sein hehres Preis- und Siegeslied
*1. Könige 1, 1-4

Wie Sturmesbrausen nach dem Meere zieht.
Willkommen, Fürst, in meines Landes Grenzen,
Willkommen mit dem holden Eh'gemahl,
Mit Geistlichkeit, Lakaien, Exzellenzen
Und Polizeibeamten ohne Zahl.
Es freuen rings sich die historischen Orte
Seit vielen Wochen schon auf deine Worte,
Und es vergrößert ihre Sehnsuchtspein
Der heiße Wunsch, photographiert zu sein.

Ist denn nicht deine Herrschaft auch so weise,
Daß du dein Land getrost verlassen kannst?
Nicht jeder Herrscher wagt sich auf die Reise
Ins alte Kanaan. Du aber fandst,
Du sei'st zu Hause momentan entbehrlich;
Der Augenblick ist völlig ungefährlich;
Und wer sein Land so klug wie du regiert,
Weiß immer schon im voraus, was passiert.

Es wird die rote Internationale,
Die einst so wild und ungebärdig war,
Versöhnen sich beim sanften Liebesmahle
Mit der Agrarier sanftgemuten Schar.
Frankreich wird seinen Dreyfus froh empfangen,
Als wär' auch er zum Heil'gen Land gegangen.
In Peking wird kein Kaiser mehr vermißt,
Und Ruhe hält sogar der Anarchist.

So sei uns denn noch einmal hoch willkommen
Und laß dir unsere tiefste Ehrfurcht weihn,
Der du die Schmach vom Heil'gen Land genommen,
Von dir bisher noch nicht besucht zu sein.
Mit Stolz erfüllst du Millionen Christen;
Wie wird von nun an Golgatha sich brüsten,
Das einst vernahm das letzte Wort vom Kreuz
Und heute nun das erste deinerseits.

Der Menschheit Durst nach Taten läßt sich stillen,
Doch nach Bewund'rung ist ihr Durst enorm.
Der du ihr beide Durste zu erfüllen
Vermagst, sei's in der Tropenuniform,
Sei es in Seemannstracht, im Purpurkleide,
Im Rokokokostüm aus starrer Seide,
Sei es im Jagdrock oder Sportgewand,
Willkommen, teurer Fürst, im Heil'gen Land!
Hieronymus S.50ff.
Aus: Frank Wedekind, Gedichte und Lieder. Herausgegeben von Gerhard Hay.. Reclams Universalbibliothek Nr. 8578, © 1989 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Liebe
Mit hebräischen Buchstaben geschrieben
Es hielten die menschlichen Triebe
Einst einen großen Kongreß.
Sie stritten sich um die Ehre,
Wer wohl der Stärkste wäre,
Denn niemand wußte es.

Die Liebe war nicht zugegen.
Und als dies alle entdeckt,
Da schrien die menschlichen Triebe:
»Herrje, wo bleibt nur die Liebe!
Nein, wo die Liebe nur steckt.«

Ein geiziges Weib trat zum Altar.
Dort stand ein Misanthrop.
Und als sie zusammenkamen,
Sie sprachen Ja und Amen,
Der Pfarrer die Händ' erhob.

Die Liebe hatte die beiden
Von allen Trieben befreit.
Zurück blieb einzig die Liebe,
Drum hatten die anderen Triebe
Auch so viel übrige Zeit.

Sie hockten noch immer beisammen
Und hielten großen Kongreß.
Nun ward die Vernunft erhoben,
Sie sei als die Stärkste zu loben,
Doch niemand glaubte es. S.35f.
Aus: Frank Wedekind, Gedichte und Lieder. Herausgegeben von Gerhard Hay. Reclams Universalbibliothek Nr. 8578, © 1989 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages

Trost
Der Tod kommt bald und sicher,
Hält stets sich in der Näh‘.
Er ist ein fürchterlicher
Tröster im Erdenweh.

Ich hasse ihn nicht aus Liebe,
Ich liebe ihn heiß aus Haß.
Wenn man unsterblich bliebe,
Wie grauenvoll wäre das!

Des Fressens und Weitergebens
Urewige Wiederkehr
Als höchsten Ertrag des Lebens
Ertrag‘ ich nicht länger mehr.
S.28
Aus: Frank Wedekind, Gedichte und Lieder. Herausgegeben von Gerhard Hay. Reclams Universalbibliothek Nr. 8578, © 1989 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages