Wilhelm Weitling - eigentlich Wilhelm Christian Weidling - (1808 – 1871)

   Deutscher Frühsozialist, der sich 1836 in Paris der deutschen Geheimgesellschaft »Bund der Gerechten« anschloss, der die Befreiung und Erneuerung Deutschlands auf der Grundlage sozialer und politischer Freiheit, Gleichheit und Einheit bewirken wollte. Im Auftrage des Bundes veröffentlichte er seine erste programmatische Schrift »Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte«, in der er den Plan einer Gesellschaft entwickelt, die auf einer allgemeinen Gleichbehandlung, freiwilliger Arbeitspflicht, Gütergemeinschaft und Nächstenliebe fußt. 1839 nahm er an Louis-Auguste Blanquis missglücktem Aufstand teil. Danach wirkte er für den »Bund der Gerechten« in der Schweiz, wo er seine Schrift »Das Evangelium eines armen Sünders« verfasste und veröffentlichte, in der er seine Theorien mit Bibelstellen belegte. Wegen Anstiftung zum Verbrechen gegen das Eigentum, Anreizung zum Aufruhr, Erregung öffentlichen Ärgernisses und Religionsstörung wurde er daraufhin zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. 1846 kam es zu einem Treffen mit Marx und Engels in Brüssel, das mit einem irreparablen Zerwürfnis endete, weil er von Marx der »Religiosität und Systemsucht« beschuldigt wurde. Weitling avancierte mit seinen Schriften zum ersten deutschen Theoretiker des Kommunismus.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
 

Das Evangelium eines armen Sünders
Inhaltsübersicht
Einleitung (S. I—IV)
Glauben und Wissen — Hoffnung — Liebe — Was ist die Bibel — Der Zimmermann und seine Brüder — Unglauben und Zweifel —Gleichnisse und Wortspiele — Zeichen und Wunder — Das Abendmahl soll ein Liebesmahl sein.
Jesus lehrt die Abschaffung des Eigentums (S. 61—65).

Jesus lehrt die Abschaffung der Erbschaft (S. 65—70).
Jesus lehrt die Abschaffung des Geldes (S. 71—74).
Jesus lehrt die Abschaffung der Strafen (S. 74—78).
Das Prinzip der Lehre Jesu über die Gemeinschaft der Arbeiten und Genüsse (S. 79—82).
Das Prinzip Jesu ist das Prinzip der Freiheit und Gleichheit (S. 83—85).
Opfer, die Jesus für die Verbreitung der Gemeinschaft nötig hält (S. 85—96).
Der fehlende Jesus — Der Umgang mit Sündern — Jesus reist mit sündigen Weibern und Mädchen im Land herum und wird von ihnen unterstützt.
Jesus verleugnet die Familie (S. 116—119).
Jesus predigt den Krieg (S. 120—126).
Jesus hat keinen Respekt vor dem Eigentum (S. 126—133).

Einleitung
Arme Sünder und Sünderinnen! dies Evangelium ist für euch; machet daraus ein Evangelium der Freiheit.

Ihr alle, deren Glaube wankt und deren Wissen noch auf keiner festen Basis ruht, deren Hoffnungsanker auf dem Meer des Zweifels den Grund verliert, kommt und schöpft daraus neuen Mut und neue Hoffnung.

Wenn auch die Deutungen und Auslegungen der Pfaffen und Vorrechtler jeden Funken Liebe für das kirchliche Evangelium in eurer Brust ausgelöscht haben, so weiset doch dieses nicht verächtlich zurück; es ist von keinem Heiligen, keinem Pfaffen, keinem Frommen oder Tugendhaften, sondern von einem Sünder.

Wenn ihr in euren Zweifeln der Rechtfertigung, und in den Stürmen eurer Leidenschaften des Trostes und der Hoffnung bedürft, wenn ihr euch nach einem besseren Leben sehnt, und der Herr Pfarrer euch dazu keine befriedigenden Ratschläge gibt, wenn euch derselbe bei den Leiden, die euch zu Boden drücken, auf Demut und Entsagung verweist, und die Befriedigung eurer Bedürfnisse und Begierden auf den Himmel vertröstet, so haltet ihm dies Evangelium vor.

Wenn euch armen Sündern bei den Tempelreinigungsversuchen einige Münzen der umgeworfenen Wechslertische an den Fingern hängen bleiben und sie euch deswegen vor ihre Gerichtshöfe zur Rechenschaft ziehen, so haltet ihnen dies Evangelium vor.

Wenn man, ohne Rücksicht auf eure von der Arbeit gehärteten Hände zu nehmen, euch euer Glas Wein oder Branntwein mit bitteren Vorwürfen vergällt, so schlaget dies Evangelium auf; ihr werdet darin einen finden, der die Freuden der Tafel auch nicht verschmähte, einen Freund der Zöllner und der Sünder, vor welchem wohl die Moral eurer Gegner verschrumpfen wird.

Mit verschwenderischen Händen hast du deine köstliche Salbe verschüttet, büßende Magdalena! Sünderin mit den schmachtenden Augen! Du ließest die frevelnden Hände des kleinen Liebesgottes in den Schönheitsknospen deines Frühlings wühlen und setztest ihm nur schwachen Widerstand entgegen. Du schwächtest die Leidenschaften, indem du ihnen Sieg auf Sieg gewährtest; Königin der Leidenschaften, du hast sie jetzt besiegt.

Lass andere immerhin sich mit dem Mantel der Scheinheiligkeit decken, und sich mit Frömmigkeit, Unschuld und Keuschheit brüsten, sie haben noch die Proben zu bestehen. in welchen du die Fähigkeit der Tugend gerettet hast, ohne die der Leidenschaft zu verlieren. Du hast viel arme Sünder gemacht, Magdalena! Wenn dich das Vorurteil drob verachtet, so schlage ihnen dies Evangelium auf und sprich:

Wir haben viel geliebt, uns wird auch viel verziehen werden.

Kommet alle her, die ihr arbeitet, die ihr mühselig beladen. arm, verachtet, verspottet und unterdrückt seid; wenn ihr Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen wollt, dann wird dies Evangelium euren Mut von neuem stählen und eure Hoffnung frische Blüten treiben.

Dann wird es die bleichen Wangen der Sorge wieder färben und in das Auge des Kummers einen schönen Strahl der Hoffnung werfen.

Der Vorurteile finstere Nebel wird es dann zerstreuen, und einen zündenden Strahl der Liebe in die verschlossenen Herzen werfen.

Die entmutigten schwachen Herzen wird es stärken, und in das Hirn des Zweiflers die Macht der Überzeugung gießen.

Auf die Stirn des Verbrechers wird es den Kuss der Verzeihung drücken, und die finsteren Mauern ihrer Kerker mit einem Schein der Hoffnung lichten.

Den Mammonszauber wird es dann vernichten, und dem Heer der Armen und der Sünder das Reich der Freiheit laut verkünden.

Der Glauben wird es aus seinem Irrtum reissen, die Bahn der Hoffnung lichten, und der Liebe und der Freiheit Glut in aller Sünder Herzen schütten. So geschehe es!


Jesus lehrt die Abschaffung des Eigentums
Die Abschaffung des Eigentums, dieses für die Verwirklichung der Gemeinschaft der Arbeiter und der Güter unentbehrliche Mittel, war es eben, was die öffentliche Erklärung und Verbreitung dieser Lehre damals so sehr erschwerte, weil die vornehmen Römer und Juden, die Priester, Leviten und Sadduzäer alle ein Interesse hatten, diese Grundsätze im Keime zu ersticken. Weil wir nun heute in der Gesellschaft, wiewohl unter anderen Namen, noch die gleichen Klassen haben, eben darum auch wird diese verlangte Abschaffung des Eigentums heute immer noch wie eine anempfohlene, freiwillige, nicht verpflichtende Entsagung ausgedeutet, so sehr und so deutlich auch trotz der miteingeschlichenen Wortverkleidungen alle Bibelstellen den ersten Lehrsatz beweisen. Konnte sich Jesus wohl deutlicher ausdrücken als Lukas 14.

V. 33 Wer nicht allem entsagt, was er hat, kann nicht mein Jünger sein.

Ein noch kräftigerer Beweis für die Abschaffung des Eigentums ist die Antwort, die Jesus dem Reichen gab, der ihn frug:

Math. 19, V. 16. Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu verdienen?

V. 17. Jesus sprach, was heißt du gut, Niemand ist gut, denn der alleinige Gott.
V. 18. Du weißt die Gebote wohl: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst kein falsches Zeugnis reden, du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.
V. 19. Er aber sprach: Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.
V. 20. Da Jesus das hörte, sprach er zu ihm: Es fehlt dir noch eins. Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen. so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach.
V. 23. Da er aber das hörte, ward er traurig, denn er war sehr reich.
V. 24. Da aber Jesus sah, dass er traurig war geworden, sprach er: Wie schwerlich werden die Reichen in das Reich Gottes kommen.
V. 25. Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme.


Dass die ersten Christen auch wirklich in diesem Sinne zu handeln sich zur Pflicht machten, finden wir in

Apostelgesch. 2, V. 44. Alle aber, die da gläubig geworden waren, wohnten beieinander und hielten alle Dinge gemein.
Sie aßen und tranken, wohnten, arbeiteten und wirtschafteten also mitsammen, hatten also keine besonderen Kassen, sondern eine Kasse, keine besonderen Interessen, sondern ein Interesse.


V. 45. Ihre Güter und Habe verkauften sie, und teilten sie aus unter alle, nach dem jedermann not war.
Kap. 4, V. 32. Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern, dass sie seine wären, sondern es war ihnen alles gemein.

V. 34. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wie viele ihrer waren, die da Acker oder Häuser hatten, verkauften sie dieselben und brachten das Geld des verkauften Guts.

Wer noch deutlichere Beweise darüber verlangt, dass das Geld des verkauften Eigentums wirklich in die Gemeinschaft der Güter aller gegeben werden musste, und dieser Verkauf nicht allein zu freiwilligen Almosen bestimmt war, der lese das folgende Kapitel.

V. 1.
Ein Mann aber mit Namen Ananias, samt seinem Weibe Saphira, verkauften ihre Güter.
V. 2. Und entwandte etwas vom Gelde mit Wissen seines Weibes und brachte einen Teil und legte es zu der Apostel Füßen.

Das Zurückbehalten eines Teiles des für den Verkauf seiner Güter erhaltenen und in die Gemeinschaft gegebenen Geldes wird also hier als ein Diebstahl betrachtet, indem es heißt: und er entwandte etwas.

Ohne das Prinzip der Gütergemeinschaft anzunehmen, könnte man nicht sagen, dass, wenn er nicht den ganzen Ertrag seiner Güter hergebe, er etwas entwendet habe.


V. 3
. Petrus aber sprach: Ananias, warum hat der Satan dein Herz erfüllet, dass du dem heiligen Geist lügest, und entwendest etwas vom Gelde des Ackers.



Wie schwer ist es dem Reichen? Hier wird also das Zurückbehalten des Geldes wiederum als Diebstahl qualifiziert und, wie wir V. 5 und 10 gesehen, mit dem Tode bestraft.

Strenger konnte die Abschaffung des Eigentums nicht zur Bedingung gemacht werden, als damals den angehenden Christen; die heutigen Kommunisten, selbst die in die stärksten Extreme eingehenden, würden in ähnlichen Fällen nicht strenger sein können. Eigentümer! dir ist es heute so wohl in deinen vier Pfählen, wie dem Slowaken in seinem mit Speck geriebenen Hemde, welches dieser nie wäscht und wechselt. So wenig wie dieser den Genuss der reinen Wäsche kennt, so wenig kennst du den Genuss der Gemeinschaft alles Eigentums. Würde man das Privateigentum gewaltsam abschaffen wollen, so würdest du dich vielleicht ebenso dagegen setzen, wie sich einstens die Eltern der Einimpfung der Schutzblattern widersetzten. Allein, so wie dieses Vorurteil sich geändert hat, so wird auch jenes und zwar viel leichter sich ändern; die große Masse der kleinen Eigentümer, die letzteren besonders aus Liebe zur Wahrheit, sehen schon die Vorteile der Ge¬meinschaft ein, und diejenigen, die noch nicht daran gedacht haben, bringt eine richtige Erklärung der Gemeinschaft leicht so weit.

Die heutige Gesellschaft gleicht mit ihrem Eigentumsbegriff Schiffbrüchigen, von denen ein jeder sich noch wohlfühlt, wenn es ihm gelingt, im Strudel einen Balken zu erwischen, besonders wenn er sieht, wie seine Nachbarn verzweifelnd gegen die Wogen des Elends kämpfen; aber würden jene drum wohl verweigern, sich mit diesen in ein Schiff aufnehmen zu lassen, das zu ihrer aller Rettung herbeieilt?

Nun, und du reicher Eigentümer, was meinst du? Du weißt heute deines Herrn Willen, getraust du dir wohl ihn noch einmal zu fragen: Herr, was muss ich tun, um das Reich Gottes zu erwerben? Und wenn er dir sagte, teile deine Güter mit den Armen, würdest du ihm dann nicht wieder ebenso den Rücken kehren, wie damals jener.n das
Reich Gottes einzugehen! Das wussten unsere Pfaffen wohl, drum haben sie aus dem Nadelöhr ein Scheunentor gemacht: das Kamel bückt sich ein wenig vor dem Machwerk der Pfaffen und huscht neben dem Reitpferde Gottes hinein.


Jesus lehrt die Abschaffung der Erbschaft
Lukas 12, V. 13. Es sprach aber einer aus dem Volke zu ihm: Meister! Sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile.
V. 14. Er aber sprach zu ihm: Mensch! Wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?

Wir sehen hieraus, wie falsch der Begriff der Lehre Christi vom Volke aufgefasst wurde. Einem Mann, welcher die Gemeinschaft der Güter lehrte, mutete man zu, sich um die Teilung einer Erbschaft unter zwei Brüdern zu bekümmern und zwischen ihnen Recht zu sprechen.

V
. 15. Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz, denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.

Dies verstehen heute noch gar viele nicht, so arg ist das Volk durch die Manöver geblendet worden. Fragt doch, ob man nicht von seinem Gelde und von seinen Gütern leben kann. Ei freilich kann man davon leben; man braucht nicht einmal zu arbeiten. Das ist sonderbar, denn Geld und Güter sind doch tote Dinge, die nichts schaffen, und doch muss man, um zu leben, Gegenstände verbrauchen. Die Erhaltung des Lebens ist also nur durch den Verbrauch von Bedürfnissen möglich, diese aber können nur durch etwas Lebendiges geschaffen werden, mithin kann denn doch niemand von seinem Gelde und seinen Gütern leben, ohne zu arbeiten. und wenn er sagt, dass er dies kann, so ist er entweder ein Dummkopf oder ein Betrüger; ein Dummkopf, wenn er nicht einsieht, dass er nur darum ohne Arbeit leben kann, weil er den andern die Benutzung eines Teils seiner Güter und seines Geldes unter der Bedingung erlaubt, dass dafür von ihren Arbeiten soviel für ihn abfällt, um gemächlich oder im Überflusse mit davon zehren zu können; ein Betrüger ist er, wenn er dies einsieht, und dennoch das arme Volk in der Blindheit zu lassen sich bemüht, um desto behaglicher und sicherer in träger Ruhe oder unnützer Beschäftigung seines saueren Fleißes Früchte zu verschwei¬gen. Niemand also lebt von seinen Gütern, als durch die Arbeit anderer Menschen.

Viel Geld und Güter haben, heißt also viel Mittel haben, andere durch Gewalt, List und Trug für sich mit arbeiten zu machen, um entweder weniger als sie, oder gar nicht zu arbeiten, oder besser als sie zu leben. Geld und Güter sind also nichts als Müßiggänger- und Gutsehmeckerprivilegien, für die wir armen Sünder die Kosten bestreiten müssen: die Übertragung dieser abscheulichen, unmoralischen, unchristlichen Gewohnheiten von den Eltern auf die Kinder nennt man Erbschaft. Gut, lassen wir‘s dabei, aber enterben wir auch niemand, sondern machen wir, dass unsere Nachkommen diese ganze schöne Erde mit allen Gebäuden und Vorräten gemeinschaftlich erben, dann bedarf es keiner Erbschlichter mehr, die doch auch nur vom Betrug leben und ihre Zeit besser anwenden würden, wenn sie den Weibern beim Waschen und Kochen behilflich wären.

Jesus sagte hier den Jüngern wegen dieser Erbschaftsfrage ein Gleichnis.


V. 16. Es war ein reicher Mann, des Feld hatte wohl getragen.
V. 17. Und er gedachte bei ihm selbst, und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, da ich meine Früchte hinsammle.
V. 18. Und sprach: Das will ich tun. Ich will meine Scheunen abbrechen und große bauen, ich will darin sammeln alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter.
V. 19. Und ich will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre, habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut.
V. 20. Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und wes wird es sein, das du bereitet hast?


Nämlich: wem wird es gehören, was du gesammelt hast?

V. 21. Also geht es, wer ihm Schätze sammelt und ist nicht reich in Gott.
V. 22. Er aber sprach zu seinen Jüngern: Darum sage ich euch:Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen sollt, auch nicht für euren Leib, was ihr antun wollt.
V. 23. Das Leben ist mehr, denn die Speise und der Leib mehr, denn die Kleidung.
V. 24. Nehmet wahr der Raben; sie säen nicht, sie ernten auch nicht, haben auch keine Keller noch Scheunen, und Gott ernährt sie doch. Wie viel aber seid ihr besser als die Vögel?
V. 29. Darum auch ihr, fraget nicht darnach, was ihr essen, oder was ihr trinken sollt, und fahret nicht hoch her.
V. 31. Doch trachtet nach dem Reiche Gottes, so wird euch das alles zufallen.


Dieses Gleichnis enthält folgende Lehre: Jetzt, wo einige den Kummer und die Sorgen um die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens nicht kennen, weil sie mittelst des Geldes und des Eigentums pfiffig die Früchte unserer Arbeit für sich und ihre Familien aufzuspeichern wussten, wodurch wir dem Kummer und der Sorge um unsere Existenz noch mehr in die Klauen fielen, jetzt, wo die Propaganda für die Verbreitung der Lehre unserer Befreiung durch Kummer und Sorgen bedeutend gehindert wird, jetzt sollen wir, so viel es nur immer möglich ist, Kummer und Sorgen für den andern Tag an den Nagel hängen.

Jaget doch einmal die Ängstlichkeit um euer spießbürgerliches Fortkommen zu allen Teufeln. Ihr allein könnt mit euren geringen Mitteln ja doch nicht zu bedeutendem Geld und Gütern kommen. Sorget darum nicht, bei wem und für wen ihr morgen arbeiten werdet, wenn ihr nicht freiwillig hungern wollt, so werdet ihr nicht verhungern. Sorget nicht um ein Etablissement, die Verwirklichung der Gemeinschaft der Güter, das sei unser Etablissement. Wir wollen uns nicht einzeln, sondern wir wollen uns alle mitsammen etablieren, wenn ihr nur wollt; nichts ist leichter als das. Sorget nicht um die Mittel zur Heirat, die Mädchen und Weiber sollen Geduld haben und zuwarten, dann sparen wir wenigstens die Heiratssporteln und brauchen auch keine Verbindung gegen unsere Neigung einzugehen.

Nicht wahr, Mädchen, ihr könnt noch warten? Mit der Heirat gewiss, wenn nicht mit der Freundschaft und Liebe. So liebet und versüßet uns den letzten schönen Kampf. Sorget nicht, wie ihr eure Schulden bezahlen werdet; am jüngsten Freiheitstage werden alle Schulden auf einmal getilgt sein. Sorget auch nicht um die Zukunft, um eure alten Tage, sondern wer noch kein graues Haar hat, der nehme sich vor, alle 14 Tage wenigstens einen seiner Mitmenschen für das Prinzip der Gemeinschaft der Güter zu bekehren, bevor er ein graues Haar bekommt. Das ist die beste Sparkasse, in die ihr für euer Alter einlegen könnt, damit könnt ihr in kurzer Zeit zum Ziele kommen. Sorget also um all diesen Kram nicht, sondern:

V. 31.
Trachtet nach dem Reiche Gottes, so wird euch dies alles zufallen.

Versteht ihr das wohl? Es ist alles so klar, so deutlich, so handgreiflich! Schauen wir darum nicht immer oben hinauf, in die blauen Lüfte, wenn vom Reich Gottes die Rede ist; hier unten ist auch ein Reich Gottes zu erobern. Wenn wir dies nicht für möglich halten und für die Begründung desselben aufzutreten nicht den Mut haben, wie wollen wir denn das ewige Leben erhaschen können, was doch auf keinen Fall für feige Sklavenseelen bestimmt ist, denn sonst möchte sich mancher dafür bedanken.

Fasset Mut, enterbte Sünder, euch ist ein schönes Reich beschieden. Sehet um euch die wogenden Felder, die fruchtschweren Bäume, die zierlichen Straßen und Gebäude, die Schiffe auf den Meeren, Flüssen und Seen, die Landstraßen und Eisenbahnen, auf welchen die Produkte der verschiedenen Klimas mit Blitzesschnelle auftauchen, das zahllose Vieh auf den Weiden, die gefüllten Magazine, Speicher und Keller, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Grunde der Gewässer, die Kräuter auf den Alpenhöhen und das Erz in den Schachten der Erde; die Weisheit eurer Vormünder, der Reiz der Erkenntnis, die Erhabenheit der Einsicht, die Pracht der Künste, die Erheblichkeiten der Wissenschaften, die Akademien, Turnplätze, Festvergnügungen: Alles dies, alles ist von Gottes- und Rechtswegen euer aller gemeinschaftliches Erbe. Fordert es wieder zurück von den Betörten, die sich und euch und euren Nachkommen die Zwangsjacke der Erbschaft im Narrenhause des persönlichen und Standeseigentums anlegten; fordert es wieder zurück von diesen närrischen Narrenhütern, und lasst euch nicht länger von ihnen am Narrenseil herumführen. Es sind betrogene Betrüger, die nicht den Mut der Aufopferung haben. Sie haben falsche Münzen bekommen, und geben sie falsch wieder aus, einige wissentlich, andere unwissentlich. Das ist die Erbschaft.

Solange ihr nun nicht den Mut habt, zu verlangen, was euch gehört, so lange werden sie euch auch nicht geben, was sie und ihre Vorfahren sich zugeeignet; ihr selbst würdet einen solchen für närrisch halten, der dies jetzt allein täte. Also an uns ist es zu handeln, an uns armen Sündern. Lasst uns der Dirne das Bad ausgießen.


Jesus lehrt die Abschaffung des Geldes
Es ist nicht zu verlangen, dass die Geheimnisse des essäischen Bundes* damals alle Tiefen der heutigen kommunistischen Lehre vollständig aufgefasst, noch dass Jesus in Seinen eigenen Ideen die seiner Bundesmitglieder bedeutend überragt habe.
*eine jüdische Geheimsekte. Jesus war nach der Darstellung Weitlings, Mitglied und verbreitete ihre Lehren. Auf ihre Unterstützung führt Weitling die Wunder zurück.

Der Kommunismus, wie er damals unter der Gestalt der essäischen Schule, die sich später die christliche Schule nannte, erschien, war den Bedürfnissen seiner Zeit und den Fortschritten der Wissenschaften in derselben anpassend und deshalb in der Form vielleicht dem babouvistischen** am ähnlichsten, insofern nämlich, als dieser letzterer noch wenig Form angelegt hatte, ebenso wenig wie der essäische.
Über die Wiederaufnahme der Lehren Babeufs vgl. Einleitung S. XVIff.

Alle diese Lehren, die der Essäer, der Christen und Kommunisten, sind über eines einverstanden, nämlich über das Prinzip der Gemeinschaft der Arbeiten und der Güter. Die Organisation dieser Gemeinschaft, sowie die Mittel zur Ausführung derselben, dies waren immer diejenigen Fragen, nach deren Lösung am meisten geforscht wurde und noch geforscht wird.

Weder von Jesus, noch von den Essäern ist uns ein Organisationsplan bekannt geworden, den hatten sie, wie zu vermuten ist, entweder sehr unvollkommen oder gar nicht angefertigt.

Dass in einer Gemeinschaft der Arbeiten und der Güter. wenn diese die Einwohner eines ganzen Landes begreifen, das Beibehalten des heutigen Geldsystems eine Unmöglichkeit ist, wenigstens unter der Form von heute, scheint ausgemacht; dass aber Jesus das Volk nicht positiv auf die Abschaffung des Geldes im allgemeinen aufmerksam machte, war entweder, um dadurch die schwachen Begriffe desselben nicht zu verwirren, oder, weil er selber noch nicht wusste, was an die Stelle des Geldes zu setzen sei.

Sage man den mit den Tagesbegebenheiten unbekannten Bauern eines von Städten entfernten Landstrichs: das Geld müsse abgeschafft werden, so wird man sehen, welchen Unglauben und Zweifel diese Behauptung selbst heute noch bei vielen unter ihnen erregen wird, ohne dass sie deswegen gegen das Prinzip selbst wären. Es ist nicht zu erwarten, dass ein jeder, der sich für das Prinzip der Gemeinschaft erklärt, auch die Möglichkeit schon vorher studiert habe. Wer einsieht, dass in der heutigen Organisation der Gesellschaft schlechte Ordnung gehalten wird, wer einsieht, dass es darin für alle besser sein könnte, wenn jeder angehalten wäre, in seinen Arbeiten und Genüssen mit den übrigen im Gleichgewicht zu bleiben, wer für sich keine besseren und keine schlechteren Verhältnisse will, als für alle anderen Menschen, wer das was er will, für alle auf gleiche Weise will, der ist ein Christ, der ist ein Kommunist.

So war auch Jesus ein Kommunist, er lehrte das Prinzip der Gemeinschaft, sowie die Notwendigkeit dieses Prinzips; die Verwirklichung desselben, und die Form, unter welcher es verwirklicht werden würde, überließ er der Zukunft. Möglicherweise, dass man im essäischen Bunde über alles dies einverstanden war, doch wurde der Plan einer christlichen Republik damals nicht gegeben.

Wenn nun auch Jesus nicht ausdrücklich die Worte:
»Das Geld muss abgeschafft werden« ausgesprochen hatte, so hat er doch gesagt: ihr sollt es nicht bei euch tragen, es nicht sammeln, es denen geben, die nichts haben u. s. w. Das aber ist augenscheinlich nur für die Apostelzeit und während der Übergangsperiode anwendbar. Wenn ich das Geld nicht bei mir tragen und nicht sammeln soll, und wenn ich viel habe, es andern, die mir abborgen wollen, geben muss, dann ist es besser, man schafft es ganz ab, wenn es in einer vollkommeneren Gesellschaft überflüssig wird; ohne dieses ist überhaupt keine wahre Gemeinschaft, keine Harmonie und Freiheit für alle in der Gesellschaft denkbar. In nachfolgenden Stellen spricht sich Jesus deutlich über diesen Punkt aus:

Math. 10, V. 9.
Ihr sollt nicht Gold noch Silber, noch Erz in euren Gürteln haben.
Math. 6, V. 19. Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden,da sie der Rost und die Motten fressen und da die Diebe nachgraben und stehlen.
V. 24. Niemand kann zweien Herren dienen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.


So kannte Jesus auch die inneren Triebe der menschlichen Seele und wusste recht gut, dass Geld und Eigentum zu Verbrechen und Gräuel führte; dies beweist er in:

V. 21. Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.

Wenn die Menschen ihre Schätze zu Privateigentum machen, so muss einer gegen den andern im Aufsuchen dieser Schätze feindlich verfahren, indem ihre Interessen einander entgegen laufen, dadurch scheuet die Freundschaft, und die Liebe verwundet sich; machen die Menschen dagegen gemeinschaftliches Interesse, so lebt und webt einer für den andern, indem das Herz seine Neigung in den Schatz legt, der allen ist, ist der gegenseitige Beistand die nächste Folge davon. Die Abschaffung des Geldes ist also die natürliche Aufhebung der Vergehen.

Trotz diesen christlichen Bibelsprüchen und der eifrigen Verbreitung derselben, nimmt die Gewalt und Macht des Mammons unter uns immer mehr überhand. Zahlreiche Heere von Mammonsdienern haben sich unter dem Namen Kapitalisten über diese Erde gelagert und fordern unter dem Namen Zins die besten Produkte derselben. Fragt sie einmal, warum sie als Christen Zins verlangen, warum sie vorgehen vom Zins zu leben, während es doch ausgemacht ist, dass niemand vom Zins, sondern nur durch Befriedigung der Bedürfnisse des Lebens leben kann, welche ohne Arbeit niemand anders sich verschaffen kann, als indem er andere um ihren Teil listiger Weise mit dem Pfänderspiel der geprägten Stücke betrügt. Der Christ soll nicht Zins fordern.

Luk. 6, V. 35. Doch aber liebet eure Feinde; tut wohl und leihet, dass ihr nichts dafür hoffet; so wird euer Lohn groß sein. und werdet Kinder des Allerhöchsten sein. Denn er ist gütig über die Undankbaren und Boshaften.

Jesus lehrt die Abschaffung der Strafen
Dieses spricht sich klar und deutlich in folgender Stelle aus:

Math. 5, V. 38. Ihr habt gehört, dass da gesagt ist: Aug um Aug und Zahn um Zahn.
V. 39. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar.
V. 40. Und so jemand mit dir rechten will, und deinen Rock neh¬men, dem lass auch den Mantel.
V. 41. Und so dich jemand nötigt, mit ihm eine Meile zu gehen, so gehe zwei mit ihm.
V. 42. Geb dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem, der dir abborgen will.
V. 43. Ihr habt gehört, dass gesagt ist, du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.
V. 44. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.


Daraus geht hervor, dass nach den Grundzügen des Christentums der Christ weder Gesetze machen, noch Strafen dekretieren kann, weil Gesetze und Strafen nur gegen solche angewandt werden, welche sich feindselig gegen die Individuen der Gesellschaft stellen. Diese aber sollen nicht mehr bestraft werden, sondern die Ursachen sollten weggeräumt werden, durch welche sie zu Feinden der Gesellschaft werden.

Darüber finden wir noch mehr sehr deutlich ausgesprochene Stellen:

Math. 7, V. 1. Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.

Jesus sagte also hier nicht, wie dies unter uns zur Regel geworden ist: Vergehe dich gegen niemanden, damit du von niemanden bestraft wirst, sondern: Richte niemanden, damit man dich nicht wieder richte.

V. 12. Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen; das ist das Gesetz und die Propheten.

Dies aber ist nur in de
r Gemeinschaft der Güter möglich, darum ist ohne dieselbe gar kein Christentum im Prinzip herzustellen.

Lukas 7, V. 47. Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebet (gesündigt), welchem aber wenig vergeben wird, der liebet (sündigt) wenig.

Man lese das Gleichnis von dem verlorenen Sohn,
Lukas 15. Dieser hat sein Gut mit Prassen durchgebracht und kam, als er ins Elend geriet, wieder zu seinem Vater zurück, welcher ihm vor Freuden ein Festmahl bereitete, was er dem andern ordnungsliebenden fleißigen Sohne nie bewilligt hatte. Als ihm dieser darüber Vorwürfe machte, sagte der Vater zu ihm:

V. 31. Mein Sohn, du bist allzeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein.
V. 32. Du sollst aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser, dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wieder gefunden.


Math. 18 fragt Petrus Jesus, wie oft er denn seinem Nächsten verzeihen müsse, ob siebenmal genüge.

V. 22. Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern siebenzigmal siebenmal.

Auch in Bezug auf diesen Lehrsatz der
Abschaffung der Gesetze und Strafen, passten die Schriftgelehrten und Pharisäer die Gelegenheit ab, um Jesum eine Schlinge zu legen. Sie brachten ein auf frischer Tat, auf dem Ehebruch betretenes Weib vor ihn geschleppt, wohl wissend, dass er dieselbe nicht verurteilen würde, und also sich vor den Augen des Volkes einer Gesetzlosigkeit oder Lästerung des Gesetzes werde zu Schulden kommen lassen müssen. Sie sagten ihm

Joh. 8, V. 5:
Moses hat uns ein Gesetz geboten, solche zu steinigen. was sagst du?

Nun bückte sich
Jesus, statt aller Antwort, nieder und schrieb mit den Fingern auf die Erde, sehr wahrscheinlich. um Zeit zur Beantwortung dieser kritischen Frage zu gewinnen; dann sagte er:

V. 7. Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

Auf diese Antwort gingen sie, einer nach dem andern, hinaus und ließen Jesus mit dem Weibe allein. Dieses frug er nun, ob sie von niemandem verdammt worden sei; nun gut, so verdamme ich dich auch nicht.

Am deutlichsten spricht sich die
Abschaffung der Gesetze und Strafen in der Lehre Jesu aus, Math. 18, wo er sagt:

V. 15. Sündiget aber dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Hört er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen.

Das »strafe ihn zwischen dir und ihm« will hier offenbar heißen: mache ihm unter vier Augen Vorstellungen über sein Unrecht, mache ihm Vorwürfe, strafe ihn mit Worten u. s. w. Wäre dies nicht der Sinn der Worte, so würde es nicht im Nachsatz heißen können: höret er dich u. s. w.; dies geht auch aus den folgenden Worten hervor:

V. 16. Höret er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, auf dass alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund.
V. 17. Höret er dich nicht, so sage es der Gemeinde, höret er die nicht, so halte ihn für einen Heiden und Zöllner.

Die Versöhnung sollte doch also immer durch Verständigung zustande kommen, nie sollte man zu Gericht sitzen und strafen; der höchste Ort war die Anklage vor der Gemeinde und die höchste Strafe der Starrköpfigen, sie für Heiden oder Zöllner zu halten, d. h. mit ihnen allen Verkehr abzubrechen. Dies nahm jedoch Jesus selber niemals streng, denn, wie bekannt, pflegte er mit Heiden und Zöllnern Umgang. Wenn seine Lehre nicht durchweg Liebe und Verzeihung hauchte, wenn er für Beibehaltung der Gesetze und Strafen gewesen wäre, so hätte er keine Feindesliebe predigen, und nicht sagen können: Mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht; ebenso wenig hätte er die Nächstenliebe als alleiniges Gesetz aufstellen können und sagen: alle Gesetze seien darin enthalten, dies sei das Gesetz und die Propheten.

Das Prinzip der Lehre Jesu ist die Gemeinschaft der Arbeiten und Genüsse
Math. 6 V. 25. Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht für euern Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr, als die Speise und der Leib mehr, denn die Kleidung.

Ist aber, muss sich der Leser fragen, solch ein sorgenloses Leben ohne die Gemeinschaft der Arbeiten und Genüsse möglich? Nein! Dies vergisst oder beseitigt man immer bei allen Bibelauslegungen, und doch kann nur dadurch der Sinn der schwierigsten Lehrsätze Christi klar und deutlich aufgefasst werden.

V. 34. Darum sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeder seine Plage habe.

Übrigens hatten diese beiden Stellen wohl mehr Bezug auf die damaligen Lebensverhältnisse der Apostel, als auf die Gesamtheit der Bekenner der Lehre Jesu, denn die Apostel arbeiteten nicht mehr viel in ihren Handwerken und wurden auf ihren Reisen nach der damaligen Sitte überall gastlich aufgenommen. Folgende Stelle war indes an das ganze Volk adressiert, als dieses Johannes, den Täufer, frug, was es tun müsse.

Lukas 3: V. 11. Er antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat, und wer Speise hat, der tue auch so.

Dafür würden sich aber die meisten unserer frommen Christen wohl bedanken. Was meinst du, Leser?

Wie wir nun heute in der Bibel nach den Stellen suchen. welche mit unserer Überzeugung in Harmonie stehen, also auch damals Jesu. So las er einst in der Schule zu Nazareth die Stelle aus dem Propheten Jesaias, wo es heißt:


Lukas 4, V. 18. Der Geist des Herrn ist bei mir, derhalben er mich gesalbt hat und gesandt zu verkünden das Evangelium DEN ARMEN, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, DASS SIE LOS SEIN SOLLEN, und den Blinden das Gesicht, und den Zerschlagenen, dass sie FREI UND LEDIG sein sollen.

Sehr deutlich gibt Jesus aber die Vorteile der Gemeinschaft,
Lukas 18, zu verstehen, wo es heißt:

V. 29. Wahrlich ich sage Euch: Es ist niemand, der ein Haus verlässt, oder Eltern, oder Brüder, oder Weib, oder Kinder um des Reiches Gottes willen.
V. 30. Der es nicht vervielfältigt wieder empfange in DIESER ZEIT, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.

Hier ist gar keine zweideutige Auslegung mehr möglich, denn Jesus spricht sowohl von dieser Zeit, als auch von der zukünftigen, und sagt ausdrücklich, dass alles, was ein jeder verlasse, ihm vielfältig in dieser Zeit wieder ersetzt werden wird.

Nur in der Gemeinschaft der Arbeit und der Güter und der in derselben zu bewirkenden Ökonomie ist es möglich, den allgemeinen Wohlstand so zu heben, dass jeder einzeln nach der Einrichtung derselben mehr Freiheit, mehr Genüsse und weniger Mühe hat, als vor derselben mit seinen Häusern, Geld und Gütern.

Auf welche Weise nun die freiwillig verlassenen Güter vielfältig in dieser Zeit mitgenommen werden können, war schwerer zu erklären und wäre noch schwerer verstanden worden, das können heute noch Millionen nicht fassen; was sie fassen können, ist, dass man recht gut den Überfluss des einen nehmen könnte, um ihn den Armen zu geben; das aber wäre nur zweckmäßig, wenn von Lebensmitteln, Kleidern und Möbeln die Rede ist, aber Handwerkzeug, Geld, Grund und Boden kann in der Gemeinschaft nicht verteilt werden; ersteres
(der Überfluss) wird unnütz und abgeschafft, und letzteres (Hab und Gut) gehört allen gemeinschaftlich und niemand besonders.

Aber unsere Reichen, welche heute die gesellschaftliche Ordnung leiten, wollen in diesen ihnen sauer schmeckenden Apfel nicht beißen. Sie haben mit ihren Rechtsgelehrten und Gottesgelehrten ein Recht geschaffen, welches mir den Geschmack daran verleiden oder verehren soll. Das war damals wie heute; auch damals besetzten sie alle Lehrstellen aus ihnen, und in ihrem Interesse, wie damals, so macht man auch heute dem Volke ein X für ein U. Die Akten unserer Diplomaten, Regenten, Advokaten, sowie überhaupt der ganzen regierenden Schreiberklasse wimmeln davon. Diese nannte Jesus damals die Masse der Schriftgelehrten, inbegriffen die Ausleger der mosaischen Gesetze; heute können wir überhaupt die aller bestehenden Gesetze dazu rechnen. Von diesen sagt Jesus:


Lukas 11, V. 46. Wehe euch Schriftgelehrten! denn ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten, und ihr rühret sie mit keinem Finger an.
V. 52. Wehe euch Schriftgelehrten! die ihr den Schlüssel der Erkenntnis habt. Ihr kommet nicht hinein, und wehret denen, so hinein wollen.

Seht ihr, so steht es heute noch immer und wird auch, trotz ihrer trügerischen Freiheitsphrasen so bleiben, so lange ihr für die Leitung eurer öffentlichen Angelegenheiten Leute wählt, die eure Mühen nicht teilen, die besser leben und besser leben wollen, als ihr. Sie werden immer nur für ihre Interessen regieren und nicht für das eure. Zur Begründung eures gesellschaftlichen Glückes bedürft ihr der Diplomaten- und Advokatenkniffe nicht, die werden nur zu euren Nachteilen angewandt. Wollt ihr eine Verbesserung euerer Lage, so müsst ihr Leute in die Regierung wählen, welche eine Besserung ihrer eigenen Lage bedürfen, und ihnen zur Pflicht machen, ihr eigenes Wohl nur in dem eurigen zu begründen. Wählet niemanden, der nicht den Mut hat, alle seine Güter zum Wohle des Staates herzugeben; wer das nicht will, den könnt ihr zur Leitung euerer Angelegenheiten nicht brauchen. Machet einmal den Versuch und stellet diesen Grundsatz auf. Bearbeitet alle eure arbeitenden Mitbürger für diesen Grundsatz. Ihr seid ja die ungeheure Mehrzahl; es kommt nur darauf an, euch zu verständigen, euch zu beraten. Wenn heute nur in einer Gegend einer dafür wäre, und alle acht Tage einen andern dafür gewönne, und dieser dann wieder ebenso, so wäre bis in einem Jahre die ganze Gegend dafür und dann habt ihr gewonnen. Nicht wahr, so gehts, also fangt an.

Das Prinzip Jesu ist das Prinzip der Freiheit und Gleichheit
Hierüber kann nicht der mindeste Zweifel mehr obwalten: Man nehme nur Math. 20 zur Hand, wo man klar und deutlich ausgesprochen findet:

V. 25. Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Ihr wisset, dass die weltlichen Fürsten herrschen und die Oberherren haben Gewalt.
V. 26. So SOLL ES NICHT SEIN UNTER EUCH, sondern, so jemand will gewaltig sein unter euch, der sei euer Diener.
V. 27. Und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht.

Ebenso deutlich heißt es Math. 23:

V. 8. Aber ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen, denn einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder.
V. 11. Der Größte unter euch soll euer Diener sein.
V. 12. Denn wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget, und wer sich selbst erniedriget, der wird erhöhet.

Aus diesem geht hervor, dass die Monarchie mit dem Christentum unvereinbar ist, oder deutlicher, dass ein Christ nicht Monarch sein kann. Desgleichen geht daraus hervor, dass in einer christlichen Republik niemand sich eine politische Gewalt anmaßen, noch dieselbe annehmen darf, denn der Christ soll weder ein Recht, noch eine Gewalt. noch einen Befehl über seine Mitmenschen ausüben, der Christ soll gar kein Amt annehmen, in welchem er gezwungen ist, zu richten und zu strafen, wenigstens soll er es nur in der Absicht annehmen, das Regieren, Befehlen. Strafen u. s. w. dadurch aufhören zu machen.

Ferner soll in einer christlichen Republik niemand vornehm, niemand gering, niemand Herr oder Knecht sein, noch sich Meister nennen, oder sonst Ehrentitel sich beilegen lassen. Dies haben zu Zeiten der Reformation die Wiedertäufer* wohl begriffen, welche, obwohl sie in den damaligen Kriegen dem Einflusse der Reichen, verbunden mit dem Egoismus und der Einseitigkeit einiger Reformatoren, unterlagen, dennoch bis auf den heutigen Tag an einigen damals aufgestellten Grundsätzen festhielten. So nehmen sie z. B. gar kein öffentliches, obrigkeitliches Amt an, welches es auch sei; sie beschwören nicht werden nicht Kaufleute, Wirte und Soldaten, und glauben von Jesus, dass er nicht Gottes Sohn gewesen sei, sondern der Heiligste von allen Heiligen.
* eine in der Reformationszeit weit verbreitete religiöse Sekte mit sozialen Zielsetzungen. Sie kam in Münster zur Herrschaft (1534/35).

Ein anderer ihrer damaligen Grundsätze war der: Kein Christ kann mit gutem Gewissen irgend ein Eigentum, welches es auch sei, besitzen; sondern alles, was jeder einzelne besitzt, muss in die Gemeinschaft gegeben werden.

Diese Wiedertäufer, welche zur Zeit der Reformation den großen Bauernkrieg hervorriefen, den Dr. Wilhelm Zimmermann (1807—1548) in seiner »Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges« so ausführlich geschichtlich bearbeitet hat, waren, wie ihr Prinzip, so verleumdet und ihre Ansichten so bei dem Volke verdächtigt worden, dass man sie bis auf heute als durchweg überspannte Köpfe betrachtete. Erst Zimmermann hat der Geschichte mit unsäglichem Fleiß und Mühen den damaligen Schleier gelüftet; und an die Stelle des Abscheues, der auf den Männern der damaligen Bewegung lag, tritt nun Bewunderung, während der Glanz mancher gepriesenen Reformatoren, besonders Luthers, sich in diesem Flammen-Spiegel der kühn veröffentlichten, aus dem Dunkel alter Dokumente hervorgezogenen Wahrheit bedeutend trübt.

Opfer, die Jesus für die Verbreitung der Gemeinschaft nötig hält.
Als jemand begeistert von der Lehre Jesu, diesem das Anerbieten machte, ihm zu folgen, sagte er zu ihm, Luk. 9:

V. 58. Die Füchse haben ihre Gruben, und die Vögel des Himmels ihre Nester, aber des Menschensohn hat nicht so viel, darauf er sein Haupt lege.
V. 59. Und er sprach zu einem andern, folge mir nach! Der sprach aber: Herr erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
V. 60. Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben. Gehe aber hin und verkündige das Reich Gottes.
V. 61. Und ein anderer sprach: Herr ich will dir nachfolgen, aber erlaube mir zuvor, dass ich einen Abschied mache. mit denen, die in meinem Hause sind.
V. 62. Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt, und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.


Mithin hielt Jesus nur einen Menschen, der aus Liebe zum Prinzip schon mit allen Banden der Familie, des häuslichen Wohllebens und der alten Gewohnheiten gebrochen hatte, für geschickt zur Verbreitung der neuen Lehre. Denen, welche sich hierin bewährt hatten, empfahl er folgende Lebensregel:

Lukas 10, V. 4. Traget keinen Beutel, noch Tasche, noch Schuhe. und grüßet niemand auf der Straße.

Obwohl sie bei den Leuten Steuern sammelten und für ihren Unterhalt zur Verbreitung der Lehre Geld nahmen — wo dies freiwillig geboten wurde — so hatte doch keiner einen Beutel für sich, oder sollte ihn wenigstens nicht haben, indem alles gesammelte Geld von Judas getragen wurde, welcher der Kassierer der wandernden Gemeinde war.

Da Jesus und die Apostel arm waren, so hätte man annehmen können, sie hätten nur vom Bettel gelebt, und in unserer Zeit hätte man dieser Art Lebenswandel auch so genannt; allein damals war die Gastfreundschaft noch sehr im Gebrauch, und die Bedürfnisse dieser Männer sehr gering. Dass also das Zehren vom Gute anderer, sowie das Anfragen um Herberge bei ihnen nicht als eine Bettelei oder eine Bitte betrachtet werden kann, beweiset wohl das:
Grüßet niemanden auf der Straße, sowie:

V. 7.
In demselben Hause aber bleibet, esset und trinket was sie haben; denn ein Arbeiter ist seines Lohnes wert. Ihr sollt nicht von einem Hause zum andern gehen.

Solche Regeln empfiehlt Jesus denen, die nichts haben, er wollte aber nicht, dass sie erbetteln sollen, was sie bedürfen. Von der andern Seite rät er denen, die haben, folgendes an:

Lukas 34, V. 11.
Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machest, so lade nicht deine Freunde, deine Brüder, noch deine Bekannten und Nachbarn, die da reich sind, auf dass sie dich nicht etwa wieder laden, und dir vergolten werde.
V. 13. Sondern, wenn du ein Mahl machest, so lade die Armen, die Krüppel, die Lahmen, die Blinden.

Mit welcher Kraft und Energie Jesus das Apostelamt, für die Verbreitung der Lehre, der er sich weihte, ergriffen, welchen festen kühnen Mut und welche Ausdauer die Überzeugung der Notwendigkeit derselben in ihm erregt hatte, spricht sich in folgenden Stellen aus, wo er das Volk, das ihm nachfolgte, anredete, und ihm vorstellte, dass die Sache, an der es teilnehmen zu wollen scheine, keineswegs eine so leichte Aufgabe sei. Es heißt Lukas 14:

V. 26. So jemand zu mir kommt, und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kind, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.
V. 27. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.
V. 28. Wer ist aber unter euch, der einen Turm bauen will, und sieht nicht zuvor und überschätzt die Kosten, ob er es habe auszuführen.
V. 29. Auf dass nicht, wo er den Grund geleget habe, und kann es nicht hinausführen, alle, die es sehen, anfangen seiner zu spotten.

Wer also vor der ungeheuren Arbeit des Turmbaues zurückschreckt, wer sich sagt: das erlebe ich doch nicht mehr, oder: es ist unmöglich, dazu die nötigen Arbeiter, das nötige Material zusammen zu bringen; überhaupt, wem nicht am Aufbau dieses Turmes mehr gelegen ist, als an allen persönlichen Genüssen, Gütern und Freuden dieser Welt, der gehe auf die Seite, damit er den andern Arbeitern nicht im Wege steht.

Bei einer so wichtigen Arbeit werden natürlich viele müde werden, viele den Mut zur Arbeit verlieren, manche den Plan des Baues nicht begreifen, die angeordneten Arbeiten kritisieren, andere Zwecke unterschieben, oder gar vernachlässigen. Alles dieses darf die nicht abschrecken, denen es um die Vollendung des Ganzen zu tun ist, die ihr Glück, ihre Ehre, ihre Hoffnung nur darin suchen und nirgends anders verfolgen wollen.

Der Eifer, mit welchem die Arbeit im ersten Enthusiasmus angegriffen wird, ist gar groß, man meint, es solle wie durch einen Zauber vollendet werden, jedoch allmählich ermüden und verzweifeln manche und entmutigen dadurch andere.

Alle solche Leute können den großen Bau doch nicht verhindern, die Kraft nicht brechen, die in dem Kern der Individuen lebt, welche die Vorsehung gleichsam selbst zu Baumeistern und Leitern einer so großartigen Arbeit bestimmte.

So fasste Jesus den Plan des großen Werkes auf. Er stellte jedem die große Schwierigkeit der Sache vor, wohl wissend, dass es bei der Verbreitung der Lehre weniger auf die Menge, als auf die Kraft und Energie seiner Jünger ankomme.

Über die Verwirklichung seines zukünftigen Reiches sprach Jesus überhaupt dem Volke viel in Gleichnissen, die recht gut verständlich sind, wenn man nur die Worte: »Das Himmelreich ist gleich« nicht wörtlich nimmt, sondern sie ungefähr so übersetzt: Mit der Verbreitung zur Herstellung des Reiches Gottes auf Erden geht es ,wie mit u. s. w. Wollte man z. B. wörtlich nehmen: Das Reich Gottes ist gleich einem Sauerteige, so würde doch darin schwerlich ein vernünftiger Sinn zu finden sein, denn das Reich Gottes selbst kann doch unmöglich mit einem Sauerteige verglichen werden; sage ich aber: Mit der Propaganda zur Herstellung des Reiches Gottes geht es wie mit einem Sauerteige, den ein Weib nahm und vermengte ihn unter drei Scheffel Mehl, bis es ganz durchsäuert war, so versteht man schon leichter, dass eben wie dieser Sauerteig nach und nach den ganzen Teig durchsäuert, dies eben auch der Fall mit der Propaganda einiger tüchtiger Apostel sei, welche auch nach und nach das ganze Volk für ihre Lehre gewinnen können. Math. 13, V. 33. Eben auf diese Weise sind alle Gleichnisse Jesu über die Einführung des Reiches zu deuten; das mit dem Senfkorn z.B., Math. 13, V. 31.

So wie nämlich das Senfkorn das kleinste unter den Samen ist, und doch daraus eine Pflanze hervorschießt, die ihre Zweige weit verbreitet, ebenso kann ein einfacher schlichter Mensch eine anerkannte oder unwiderlegbare Wahrheit ebenfalls weit verbreiten.

Das Gleichnis vom verborgenen Schatz. Math. 23.

V. 44. Abermal ist gleich das Himmelreich einem verborgenen Schatz im Acker, welchen ein Mensch fand, und verbarg ihn, und ging hin vor Freuden über denselben und verkaufte alles was er hatte, und kaufte den Acker.

Wer also für die Gründung eines neuen Reiches sich begeistert, wem dieser Enthusiasmus kommt, der verkauft alles was er hat, der opfert alles für die Erreichung dieses Zieles.

Ebenso das Gleichnis von der Perle.

V. 46. Und da er eine köstliche Perle fand, ging er hin und verkaufte alles was er hatte, und kaufte dieselbe.

Die Ansicht Jesu, auf welche Weise die für die Gründung eines besseren Reiches nötige Propaganda zu machen sei, spricht sich in folgendem aus:

V. 47.
Abermal ist gleich das Himmelreich einem Netz, das ins Meer geworfen ist, damit man allerlei Gattung fanget.
V. 48. Wenn es aber voll ist, so ziehen sie es heraus an das Ufer, setzen und lesen die Guten in ein Gefäß zusammen, aber die Faulen werfen sie weg.

Dies heißt so viel als: Machet jetzt vor allem tüchtige Propaganda und wackelt nicht lange herum, ob der oder jener tauglich sei oder nicht; mit diesen langen Prüfungen dürft ihr eure Zeit nicht verlieren. Ihr möget nun prüfen, wie ihr wollt, nachsehen, so oft und so genau ihr wollt, so werdet ihr immer Faule darunter finden. Also lasst das Suchen, bis alles voll ist, d. h. bis alles für die Sache ist, dann ist es immer noch Zeit, für die Leitung des Ganzen eine geeignete Wahl zu treffen.

Sehr schön ist das Gleichnis vom Sämann, Math. 13, V. 3 bis 8. Wir wollen die Auslegung desselben von Jesus hören.

V. 19. Wenn jemand das Wort von dem Reich höret und nicht versteht, so kommt der Arge und reißt es hin, was da gesäet ist in sein Herz, und der ist es, der an dem Wege gesäet ist.
V. 20. Der aber auf das Steinige gesäet ist, der ist es, wenn jemand das Wort höret und dasselbe bald aufnimmt mit Freuden.
V. 21. Aber er hat nicht Wurzel in ihm, sondern er ist wetterwendisch; wenn sich Trübsal und Verfolgung erhebt um des Wortes willen, so ärgert er sich bald (so verliert er den Mut).
V. 22. Der aber unter den Dornen gesäet ist, der ist es, wenn jemand das Wort höret, und die Sorge dieser Welt und der Betrug des Reichtums erstickt das Wort und bringet nicht Frucht.
V. 23. Der aber in das gute Land gesäet ist, der ist es, wenn jemand das Wort höret, und verstehet es und dann auch Frucht bringet; und etlicher trägt hundertfältig, etlicher aber sechzigfähig, etlicher dreißigfältig.

Machet also tüchtig Propaganda für das Reich Gottes, wenn auch hie und da ein Unverständiger sich wieder betören lässt, wenn auch mancher Wetterwendische den Mut verliert, wenn auch Leiden und Trübsal die Tatkraft vieler unserer Brüder lähmen; das alles darf uns nicht hindern, wenn wir unsern Vorteil, nämlich den Vorteil aller, verstehen.

So groß die Opfer waren, die Jesus für die Verwirklichung seiner Lehre nötig hielt, ebenso streng waren auch die Lebensregeln, die er während der Propagandazeit und der Übergangsperiode anempfahl. Lukas 14.

V. 8. Wenn du von jemand geladen bist zur Hochzeit, so setze dich nicht oben an, dass nicht etwa ein ehrlicherer denn du, von ihm geladen sei.
V. 9. Sondern setze dich unten an, auf dass, wenn da kommt, der dich geladen hat, spreche zu dir: Freund rücke hinauf; dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tische sitzen.


Diese Stelle bezieht sich heute auf alle diejenigen, welche durch ihr Geld, ihren Rang und ihre Ämter mehr geehrt werden als andere Leute, die an diesem Kram keinen Teil haben. Jene richten sich auch unter einander schon so ziemlich nach dieser Anstandsregel, wo sie aber mit letzteren in Berührung, nehmen sie darauf keine Rücksicht. Diese letzteren aber sind auch zum gemeinschaftlichen Mahle berufen, und wenn sie einst dabei erscheinen, so wird man ihnen sagen: Freunde, rückt hinauf!

Treibet euer Blut nicht stärker zum Herzen, wenn ihr auf den Straßen die abgeschabten Hüte und Kappen dieser armen schlechtgekleideten Letzten vor den glänzenden Fil¬zen der Reichen sich rücken und sinken sehet?

Spiegelt sich nicht der Unwille in euern Blicken, wenn ihr sehet, wie dieses Hut- und Kappenziehen immer zuerst von den ärmlicher Gekleideten des Volkes ausgeht, und oft von dem andern kaum durch die Handbewegung erwidert wird?

Wohl zeugt der freundliche Wechsel der Grüße von einer guten herzlichen Gemütsart; aber ekelhaft und widerlich wird es durch den Unterschied von arm und reich. Es sind Bettelkomplimente, die der stupide Arme vor der reichen Kleidung macht, in welcher er den reichen Mann vermutet. Das Kompliment gilt sehr oft wirklich nur der Kleidung, nicht dem Mann, um so schlichter diese ist, umso schwächer rückt man die Kappe; nehmt einen Bündel auf den Rücken, so fällt es niemand mehr ein, vor euch den Hut zu ziehen.

Tell beugte sich nicht vor dem sammetnen Federhut des Geßlers, eure schäbigen Kappen aber werden durch jedes glänzende Stück Tuch, durch jeden Pariser Modefrack in Bewegung gesetzt, ohne dass oft nur euer Wedeln erwidert wird. Das ist in Monarchien wie in Republiken, in Deutschland wie in der Schweiz, so.
Aber so sollte es nicht sein. Wer zu stolz ist, euren Händedruck hinzunehmen, vor dem sollt ihr auch die Kappen nicht ziehen.

Glaubt nicht, dass die reichen Leute euch dieser demütigen Kappenmanöver wegen mehr achten. In Frankreich ist man seit der ersten Revolution darüber hinaus gekommen; die schönen Fracks werden dort nicht mehr von den groben Kitteln angewedelt, und doch werden selbst die ärmsten Klassen in Frankreich von keinem andern Volk der Erde an Höflichkeit im geselligen Umgang übertroffen. Das arme arbeitende Volk ist daselbst zum Bewusstsein gekommen, und wartet nun mit Schmerzen der Stunde, wo es heißen wird: Freunde, rückt herauf!

Eine andere Lebensregel für die Zeit der Propaganda und Übergangsperiode gibt Jesus in:

V. 12.
Und er sprach zu dem, der ihn geladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machest, so lade nicht deine Freunde, noch deine Brüder, noch deine Nachbarn, die da reich sind; auf dass sie nicht etwa wieder laden und dir vergolten werde.
V. 13. Sondern wenn du ein Mahl machest, so lade die Armen, die Krüppel, die Lahmen, die Blinden.
V. 14. So bist du selig, denn sie haben es dir nicht zu vergelten, es wird dir aber vergolten werden in der Auferstehung des Gerechten.

Denn sie haben es dir nicht zu vergelten! Wir sollen uns daher für empfangene Wohltaten nicht bedanken. Die Dankbarkeit ist ein Gefühl der Schwäche, welches aus dem Zustand der Armut, des Elends, der Unterwürfigkeit, der Demut und Ergebung in den Willen und die Kräfte anderer hervorgeht.

Der freie Mann bedankt sich für nichts, und fordert für nichts Dankbarkeit von andern.

Weil es sich nach dem Prinzipe der Gemeinschaft von selbst versteht, dass man hilft, wo Hilfe nötig ist, und tafelt, wo Überfluss ist; darum haben die, denen geholfen und mitgeteilt wird, sich nicht dafür zu bedanken. Wenn uns der Reiche von seinem Überfluss zukommen lässt, so erspare er uns die Dankbarkeit, weil dieser der Ausdruck des Gefühls unserer Abhängigkeit ist, an welches sich der nach gemeinschaftlicher Freiheit Strebende ungern erinnert, nur die Sklaven alter Vorurteile bedienen sich derselben im Gefühle ihrer Schwäche noch.

Freilich werden unsere Reichen sich vor solcher Tafelgesellschaft von Lahmen, Krüppeln und Blinden, und besonders vor ihrer Unterhaltung bedanken; selbst angenehmere Arme ziehen sie nicht gerne an ihre Tafeln, ohne dass damit eine andere Spekulation, irgend ein anderes Gelüste befriedigt wird. Und doch verlangt der radikale, revolutionäre Jesus von ihnen diese Opfer, ein Beweis, wie streng er dem Prinzip der Gemeinschaft ergeben war.

Im Theater an der Wien spielte Scholz, der Komiker in dem Stücke: »Zu ebener Erde und erster Stock« die Rolle des armen Tandler. In diesem Stücke kommt eine interessante Stelle vor, die nämlich, wo das Theater in zwei Hälften geteilt wird, zu gleicher Zeit zwei Bühnen vorstellt, eine über der andern. Oben wird ein großes Gastmahl gehalten, während unten der arme Tandler mit seinen Kindern nichts anderes zu Mittag hat, als ein Stück trocken Brot, in demselben Augenblick, wo oben die Champagnergläser klirren und die Gäste jubeln, beten unten die Kinder schweigend, mit gefalteten Händen über dem trockenen Brot. Scholz sagte in demselben interessanten Augenblick: Oben gehts heute lustig her; wenn die Reichen zu ihren Festen immer die Armen einladen möchten, dann hätten wir alle genug zu essen. — Ein Mann beklatschte diese Worte, aber das Volk schwieg, denn es verstand sie nicht. Ist es möglich!

Darum wollen wir nicht warten, bis uns die Reichen zu ihren Festen einladen, hat uns doch Jesus schon eingeladen; wir wollen kommen und Platz nehmen, denn das Mahl ist bereit.

Das Mahl ist bereit, die gütige Mutter Natur hat für alle gedeckt, das Prinzip der Gemeinschaft kann, wenn ihr wollt, verwirklicht werden. Der Herr (die Kraft der Wahrheit und Überzeugung) hat seine Knechte (die Verkünder und Lehrer der kommunistischen Freiheit) ausgesandt, um das Volk zum Mahle einzuladen. Aber die ersten, welche geladen wurden, wurden mutlos, als sie sahen, dass das Gastmahl der Propaganda sich nicht schnell genug füllte, andere scheuten die Opfer und Mühen, die für die Propaganda nötig waren; die materiellen, persönlichen Interessen beschäftigten sie bald mehr, als das durch die Propaganda allgemeine Interesse. Ich habe zu tun, um mir Kleider zu schaffen, um meine Schulden zu bezahlen, um ein Etablissement zu gründen, ich habe viel Lauferei und Geldkosten der Heirat oder der Kinder wegen. So sagten viele und blieben auf halbem Wege zurück, andern die Arbeit allein überlassend. Sie haben ihren Lohn dahin, denn wahrlich, diese geistige, stille, bewusstvolle Selbstbelohnung in der Brust derjenigen, welche ausharren bis ans Ende, kennen sie nicht. Diese Belohnung ist das Abendmahl, was sie nicht schmecken werden.

Weil nun diese, von welchen man soviel für die gute Sache erwartete, lau wurden, weil man sich wirklich nicht einmal auf die scheinbar Besten verlassen konnte, so lasst uns nun sie alle ohne Unterschied in das Gasthaus der Propaganda, zum nahe bevorstehenden gemeinschaftlichen Mahle rufen, damit das Haus voll werde.
Kameraden! alte Kampfgenossen! Indem ich einen tiefen Blick zurückwerfe auf alle gebrachten Opfer, auf alle gemachten Anstrengungen, wird mir das Herz so voll, so schwer; die Augen drohen überzugehen vor Bewunderung, Liebe und Freude.

Wenn nicht die Geschichte verschiedene Tatsachen und Charakterzüge aus dem Leben eurer Propaganda aufzeich¬nen wird, so wird diese knickerige, furchtsame Welt Mühe haben, daran zu glauben. Aber der Lohn dafür in der eigenen Brust ist euch auch um Königreiche nicht feil. Alle, die nicht ausharren bis ans Ende werden diesen Lohn nicht schmecken.

Jesus verleugnet die Familie

Der Begriff einer Brüderschaft aller Menschen hatte bei Jesus eine solche Ausdehnung erhalten, dass der Familienbegriff ganz darin verschwand. Wir haben mehrere äußerst auffallende Beispiele dieser Verleugnungen der Verwandtschaften und Familien.

So will jemand, den er auffordert ihm nachzufolgen, vorher seinen Vater begraben.

»Lasst die Toten die Toten begraben«, sagte er ihm. Ein anderer, der gleichfalls ihm nachfolgen will, möchte vorher von den Seinen Abschied nehmen. Jesus verwies es ihm: Alles dieses, Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Kinder, Freunde und Anverwandte, alles soll vergessen werden, und zwar so schnell, dass der Jünger sich gar nicht mehr die Mühe nehmen soll, ihnen etwas von der Absicht zu sagen, oder Abschied von ihnen zu nehmen.

Als Jesus einst in einem Hause saß und lehrte, meldete man ihm an, dass seine Mutter und seine Brüder draußen seien und nach ihm fragen; Lukas 3:

V. 33.
Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder!
V. 34. Und er sah rings um sich auf die Jünger, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe dies ist meine Mutter und meine Brüder.
V. 35. Denn wer Gottes Wille tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.


Einen anderen Beweis, wie weit Jesus sich von allen Banden der Familie losgemacht hatte, um sich mehr der Allgemeinheit zu weihen, liefert Math. 23, wo er sagt:

V. 9. Und sollt niemanden Vater heißen, denn einer ist Euer Vater, der im Himmel ist.


Diese starke Verleugnung der Familie hat ihren Grund in den Familienverhältnissen Jesu selbst. Als uneheliches Kind der Maria, der armen Magd, war er unter den Vorurteilen der damaligen Zeit von seinen Landsleuten verachtet. Joseph, der Zimmermann hatte durch die Heirat der Maria diesen Flecken von der Stirne Jesu nicht zu löschen vermocht, welchen das dumme Volk darauf zu sehen hartnäckig sich einbildete. Mancher bittere Hohn mag ihm in seinen Kinderjahren darüber zu Ohren gekommen sein; was Wunder also, wenn Jesus, ein vaterloser Waise, lieber ein Kind Gottes, des Vaters aller Menschen, zu werden sich bemühte, als fortwährend den Zustand anerkennen wollte, welcher schon in der Geburt, mit Hilfe des Vorurteils, Tausenden Ehre und Schande. Vor- und Nachteile zu bringen befähigt ist?

Indem Jesus die Nachteile des Vorurteils fühlte, sah er die Notwendigkeit ein sie zu bekämpfen. Nicht in Griechenland auf hohen Schulen hatte Jesus, wie einige Schriftsteller meinen, die Nichtigkeit der Vorurteile studiert, nein, als Zimmermann ist er von seinem zwölften bis zum dreißigsten Jahre auf Schulen der Erfahrung gegangen.

Wenn nun schon die Geschichte der kurzen Zeit nach seinem dreißigsten Jahre von Gastmählern, von Zechgelagen und Umgang mit Weibern erwähnt, was meint ihr wohl, was uns die in der Vergessenheit begrabenen schönsten Lebensjahre Jesu für Szenen des Schmerzes, der Freude, des Hasses und der Liebe aufweisen würden? Welche merkwürdig wichtige Erfahrungen waren notwendig, um selbst das Band der Familie dem Begriff der Allgemeinheit zu opfern. Vergesset nicht, dass, wenn Jesus die Familie bekämpfte, es die durch die Interessen, durch Erbschaft, Eigennutz und Hoffnung auf Gewinn zusammengehaltenen Familie war, dieser Herd der gesellschaftlichen Verdorbenheit, in welchem sich alle Laster nisten, um sich von Geschlecht zu Geschlecht zu verbreiten. Tyrannei, Geiz, Habsucht, Neid, Verleumdung, Heuchelei, Falschheit, Untreue, Prügelei, alle diese scheußlichen Laster des Interesses nähren sich in der heutigen durch das Interesse zusammengehaltenen Familie. Liebe und Freundschaft, diese wenigen Gefühle bedürfen der Familie nicht, um sich zu finden, aber die wahre natürliche Familie kann nur durch sie gegründet werden; diese bedarf aber der Erbschaft, der Hoffnung auf Gewinn und Interesse nicht, wie unsere heutigen Familienverbindungen.

Bloß wer sich einigermaßen um das Wohl der Menschheit bekümmert hat, wird gefunden haben, dass diese Vorliebe, die man zu der heutigen engherzigen Familie hegt, allmählich verschwindet, je nachdem die Liebe für alle Menschen in seinem Herzen Platz genommen hat. Auf diese Weise ist die Gleichgültigkeit Jesu gegen seine Anverwandten leicht erklärlich, indem er der größte Menschenfreund war. In seinem Gottesreiche, welches er predigte, ist die allgemeine Liebe erst für jedermann eine Möglichkeit, was eben in dem heutigen Zustand derselben nur eine Seltenheit, nur ein Schein dieses Naturgesetzes ist, weil es durch naturwidrige Einrichtungen in ihrem Keim erstickt wird.

Lasst uns also die Familie, der wir angehören, mehr lieben, als uns selbst; aber die Menschheit, diese große Familie, sei uns mehr wert, als alle vereinzelten Familien.

Jesus predigt den Krieg
Joh. 18, V. 36. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, aber nun ist mein Reich nicht von dieser Welt.

Dies antwortete Jesus dem Pilatus, als dieser ihn fragte, ob er der Juden König sei. Auf diese Worte stützten sich die Orthodoxen, um von hier aus das ganze christliche Prinzip in die Region der Ideale hinüber zu spiegelfechten, und nur auf Erden eine den politischen Zuständen und der Diplomatie passende Form zu lassen, in welcher sich Armut und Elend fortwährend auf den Himmel vertrösten, und so die natürlichen Begehrlichkeiten einiger recht gut zum Vorteil der Unnatürlichkeiten Anderer bändigen und zügeln lassen. Aber Jesus stand hier vor Gericht, und ich habe schon in den Gleichnissen und Wortspielen gezeigt, wie viel Vorsicht gebraucht wurde, um in den Wortkämpfen dem Extrem, nämlich der Überantwortung vor dem Richter, zu entgehen; sollte deswegen Jesus hier auf ein¬mal alle Vorsicht beseitigt haben, um sich jede Möglichkeit zur Rettung, die mit seinem Prinzip vereinbar war, und demselben förderlich gewesen wäre, abzuschneiden? Nein, das hat er nicht, und seine Antwort: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt«, ist nur eine notwendige Verkleidung seiner Ansichten, denn, fügte er bei: sonst würden meine Diener darum kämpfen; aber NUN ist mein Reich nicht von dieser Welt. Das Wörtchen »nun« ist in dieser Stelle von großer Bedeutung. Aber nun (weil sie nicht kommen und kämpfen) ist mein Reich nicht von dieser Welt.

Jesus sah natürlich wohl ein, dass die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, nicht allein durch lehren und predigen zu lösen sei. Er wusste recht gut, dass zwischen der Lehre und der Praxis derselben das Schwert lag, welches nicht um¬gangen werden konnte; auch hatte er gar keine Furcht vor diesem Schwerte, vor diesem Kampfe, denn er pries ihn selber zu wiederholten Malen an.

Lukas 22, V. 35
Und er sprach zu ihnen: So oft ich euch gesandt habe ohne Beutel, ohne Tasche und ohne Schuhe, habt ihr auch je Mangel gehabt? Sie sprachen: Nie keinen.
V. 36 Da sprach er zu ihnen: Aber nun, wer einen Beutel hat, der nehme ihn, desselben gleichen auch die Tasche. Wer aber nicht hat, der verkaufe sein Kleid, und kaufe ein Schwert.


Aus diesen Stellen lässt sich jeder Widerstand gegen die gesellschaftliche Unordnung, gegen die Tyrannei des Eigentums und die Bedrückung, die mittels des Geldsystems ausgeübt wird, rechtfertigen. Bisher riet Jesus seinen Jüngern beständig die Verzichtung auf Geld, Kleider und son¬stiges Eigentum an, denn er wusste, dass, während er die Freiheit zu lehren hatte, es den Jüngern schon der gegen sie in Ausübung kommenden Gastfreundschaft wegen an nichts fehlen würde; auch hatte der essäische Bund ein Interesse, den Mann im Notfalle zu unterstützen, damit er desto kräftiger auftreten könne, und nicht durch Sorge um die Existenz mehr für seine und seiner Jünger Person als für die allgemeine Sache zu kämpfen genötigt sei.

Nun aber, da er seinen Tod und alle Verfolgungen, die kommen würden, vor Augen sah, da er sah, dass man der Lehre in der Öffentlichkeit ein Ende machen wollte, nun wollte er auch — wenn einmal der aufgeführte Bau zerstört, die kleine Herde zerstreut werden sollte — dass Extrem gegen Extrem gesetzt werde, wo immer damit etwas zu hoffen sei. Wer also nun einen Beutel oder eine Tasche hat, wer Aussichten hat auf seinen Lebensunterhalt und die Mittel dazu, der nehme sie, und wer dies nicht hat, wer so arm ist, dass er nicht einmal Tasche und Beutel besitzt, der verkaufe auch noch sein Kleid und kaufe ein Schwert. Der also, welcher von nun an keinen Beutel und kein Schwert hat, um dieselben nach dem Beispiel der Übrigen füllen zu können, der dulde keinen Mangel und keine Entbehrung mehr, der setze die Geduld auf die Seite, kaufe ein Schwert und sehe zu wie er das Fehlende bekomme.

Schon bei der Aussendung der Jünger sagte Jesus von denen, welche seine Jünger nicht aufnehmen und ihre Reden nicht hören wollten, Math. 10:

V. 15. Wahrlich ich sage euch: dem Lande der Sodomer und Gomorrer wird es am jüngsten Gericht erträglicher gehen, denn solcher Stadt.

Diesen Städten aber ging es doch schlecht genug; sie wurden beide durch Feuer und Erdbeben zerstört, und kaum die Spur blieb von ihnen und ihren Einwohnern übrig. Ferner sagt Jesus, Lukas 12:

V. 49.
Ich bin gekommen, dass ich ein Feuer anzünde auf Erden: was wollte ich lieber, denn es brennte schon.
V. 51. Meinet ihr, dass ich gekommen sei, Frieden zu senden auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht.

Mathäus gibt im 10. Kap. seines Evangeliums dieselbe Stelle wieder, jedoch mit einem anderen Schluss, wie folgt:

V. 14. Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen sei, Frieden zu senden; ich bin nicht gekommen Frieden zu senden, sondern das Schwert.


In diesen Stellen spricht sich der revolutionäre Zimmermann deutlich genug aus. Er war nicht so dumm und einfältig, dem ohnehin schon armen Volke Demut, Entbehrung und Entsagung zu predigen, wie es heute die meisten seiner Ausleger machen, und an eine Belohnung im Jenseits für solche feige Entbehrungen zu glauben; er war nicht der Heuchler, der die Armen eines vorgespiegelten überirdischen Glücks wegen mit seiner Lehre um das zeitliche Glück betrügen wollte. Er wusste wohl, dass die Vorrechtler, denen er den Krieg noch mit Worten machen musste, dadurch nicht vollends besiegt werden würden. Er müsste blind an Verstand und Geist gewesen sein, wie so viele gutmütige Philister heute, um dies nicht einzusehen.

Er sah den Krieg, Aufruhr, Raub und Zwietracht im Gefolge seiner Lehre und macht schon voraus darauf aufmerksam. Nur so lange predigte er den Frieden, als man das Predigen nicht zu verhindern suchte; als er aber durch die Vorrechtler Verfolgungen dulden musste, hielt er mit den strengsten Mitteln nicht mehr zurück. Diese Stellung wollen auch wir annehmen. So lange man uns im Einklang mit den bestehenden Gesetzen erlaubt, auf dem Wege der Überzeugung unserer Lehre Eingang zu verschaffen, so lange wollen wir innerhalb der Schranken dieser Gesetze uns verhalten; gehen aber unsere Gegner über die Gesetze hinaus, welche sie selbst machten, dann müssen wir auch ihnen auf den neuen Kampfplatz folgen. Lasset den Mut nicht sinken, wenn ich euch sage, wir wollen auf dem gesetzlichen Wege der Überzeugung dahin gelangen. Der Verfasser dieses Buches sagt auch dies weder aus Furcht vor den Regierenden, noch aus Feigheit, sondern weil derselbe überzeugt ist, dass man es z. B. in der Schweiz mittels des Veto dahin bringen kann, und dass alsdann dieser Weg besser ist, als der des Aufruhrs und der Gewalt, wobei immer viel von den vorhandenen Gütern zerstört wird.

Du Leser schüttelst ungläubig den Kopf; dass es je durch das Veto dahin komme, ist dir nicht wahrscheinlich? ich will versuchen es dir durch folgendes begreiflich zu machen.

Wenn ich bei jemandem, der nach meiner Voraussetzung schwer begreifen würde, Propaganda machen will, so sage ich ihm ungefähr: du arbeitest früh und spät und be¬kommst so wenig dafür, dass du dich nicht einmal hinreichend mit deiner Familie sättigen, nötig kleiden und anständig beherbergen kannst; du hast gar keine sorgenfreie Zukunft vor dir, indem dir das tägliche Brot nicht zugesichert ist, deine ganze Existenz hängt vom reinen Zufall ab, sobald dir der Geld- und Gutsmann deine Arbeit entzieht, oder du krank wirst, so musst du und die deinigen Not leiden, kaum dass man euch mit Verachtung von den reichen Gottesgaben kleine Überreste, Brosamen, die von der Reichen Tische fallen, unter hundert Zurechtweisungen zuwirft; während der da drüben recht angenehm und im Überflusse mit seiner Familie herrlich und in Freuden lebt, ohne dass er oder einer der Seinigen dafür zu arbeiten braucht. Alles, was sie zur Befriedigung ihrer tausendfältigen Bedürfnisse nötig haben, bekommen sie auf den leisesten Wink, mit allem Gehorsam von uns armen Leuten zugestellt... Ist das Recht? ... Nein! wird da ein jeder antworten: das ist nicht Recht! —

Würdest du nicht froh sein, wenn das einmal anders würde? —

Ja, freilich, wird hier wieder ein jeder antworten. Mithin ist doch also die große Mehrzahl, kurz alle Übervorteilten, nach endlicher Einsicht für eine Änderung der Dinge, ohne die vermöglichen Menschenfreunde zu berühren, deren es auch gibt, welche das Los ihrer leidenden Mitmenschen erleichtern und alles Elend und allen Jammer abzuschaffen sich bemühen. Es fehlt doch also weiter nichts, als einem jeden, der ein tüchtiger Propagandist ist, zu sagen: Komm, und schließe dich an uns an, wir wollen mitsammen beraten, auf welche Weise die wirksamste Propaganda zu machen und wie unserem betrübten Zustande, in dem wir uns befinden, am bäldesten und besten könne abgeholfen werden? —

Z. B. Getraust du dir wohl alle Monate einen Mitmenschen für unser Prinzip zu gewinnen? Mit der größten Leichtigkeit, wird er antworten. — Glaubst du wohl, dass von denen die du gewinnst, auch ihrerseits alle Monate jeder einen für die Sache finden oder gewinnen könne? Das ist gar nicht schwer, wenn man nur will; denn wenn ich wüsste, dass wir dadurch binnen kurzem zum Ziele kommen könnten, so wollte ich alle meine übrige Zeit daran wenden, um Propaganda zu machen, und mir wäre alsdann nicht bange, alle Wochen ein paar zu finden. So! meinst du? Nun ich will nur alle Monate auf einen rechnen, den jeder dazu bringt, das macht, wenn du heute ganz allein anfingest, bis in 8 Monaten über zweimalhundertsechzigtausend Mann, welche, wenn sie in kleinen Familienkreisen zusammenkommen, und mit einander in Verbindung stehen, nach 18 Monaten ganz allein mit dem Veto durchdringen können. Wir bedürfen also der Putsche nicht zur Verwirklichung unseres Prinzips, hört ihr‘s? Aber für den Fall, dass man, um uns entgegenzuwirken, die Freiheit der Presse, der Personen und Meinungen zu beschränken versuchen sollte, für den Fall, dass man uns verhinderte, uns miteinander über die Mittel zur Verbesserung unserer Lage zu beraten, für den Fall müssen wir alle denkbaren Mittel in Reserve halten; hört ihr‘s?

Jesus hat keinen Respekt vor dem Eigentum

Dieses ist leicht begreiflich. Ein Mann, welcher sich sein Leben lang mit der Lösung der sozialen Frage beschäftigt, welcher mit eben dieser Materie zu schaffen hat, verfährt dabei nach den Grundsätzen seiner Überzeugung; ein Mann, welcher die Gemeinschaft der Güter und der Arbeiten als Heilmittel aller gesellschaftlichen Gebrechen und als notwendige Grundlage seiner neuen gesellschaftlichen Ordnung annimmt, und in seinen Folgen die Überflüssigwerdung des Geldes, der Strafanstalten u. s. w., konnte mit eben diesem gesetzlich beschützten Eigentum bloß nach seiner Art verfahren. Dies war Jesus, welcher ausdrücklich sagte, dass er gekommen sei, den Armen das Evangelium (die Freiheit) zu predigen; ein solcher konnte natürlich keinen Respekt vor dem Eigentum haben, denn dieser Eigentumsbegriff war es ja gerade, welcher die Verwirklichung der Lehre, die er verkündet, am hinderlichsten in den Weg trat, welche diejenigen nach und nach arm gemacht hatte, welchen zu helfen und zu raten er aufgetreten war.

Jeder Angriff gegen das Eigentum, der von den Kleinen. den Armen, der von unten nach oben ausging, musste natürlich von ihm entschuldigt, nicht aber verdammt werden. und zwar schon deshalb, weil er ja selbst gegen alles Richten und Strafen war, wenigstens dachte er sich nach menschlichen Gesetzen jede Strafe als ein begangenes Unrecht.

Hören wir nun seine Ansicht über den Diebstahl:

Math. 5. V. 40. Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem lasse auch den Mantel.

Nun ihr christlichen Eigentümer von heute, ihr christlichen Juristen und ihr juristischen Christen, was sagt ihr zu der Stelle? Und du Volk, haben sich deine Begriffe dar¬über, bevor du diese Erklärung fandest, nicht immer verwirrt? Lachen und Unglauben erregten in unseren verkehrten, absichtlich verfälschten Auslegungen der Evan¬gelien diese Stellen, welche nur denen verständlich sind, die einen tiefen Blick in die sozialen Fragen und den zu ihrer Lösung und Verwirklichung der letzteren anzuwendenden Mittel geworfen haben.

Denke man sich hier zu¬erst eine solche Zukunft, wo es kein Geld mehr gibt, wo die Verwaltung die Verteilung der Arbeiten und Genüsse eines ganzen Volkes leitet; wo alle unnützen Arbeiten wegfielen und niemand absichtlich faulenzen könnte, weil er die Gelegenheit dazu nicht hätte, und alsdann auch nicht wie heute zu essen erhielt; denke man sich, dass die Erziehung die Jugend zu allgemein rechtschaffenen Menschen heranbildet, dass gegen eine kurze tägliche Arbeit man seine Existenz zugesichert bekäme; denke man, dass in kranken Tagen man viel besser versorgt und verpflegt würde, als man sich heute eine Idee macht; denke man, dass keine Arbeit und keine Arbeiter verachtet und jedermann gleich geehrt ist; ja, denke man sich recht in einen solchen Zustand hinein, den Christus und die heutigen Kommunisten für möglich halten, so wird man finden, dass man darin keine Handlung mehr Diebstahl nennen, dass darin der Diebstahl zur Unmöglichkeit wird, dass Rohheit, Trunksucht, Faulheit u. s. w. in einer solch eingerichteten Gesellschaft naturgemäß ganz weichen würden, und nur Lachen, nicht aber Ärger und Verdruss für jemanden erregen würde.

Denn was macht es mir alsdann, wenn mein Nachbar kommt, um mir meinen Rock oder Stiefel, oder sonst was zu stehlen, ich lasse mir von der Verwaltung aus den Magazinen, wenn ich es nötig habe, gleich wieder andere Stiefel und einen anderen Rock geben; denn dann ist die Knauserei von heute verschwunden, wo, wenn dies einem Soldaten passierte, man ihn ein langes Verhör bestehen ließ, und ihn dann noch obendrein einsperrte; das alles fällt dann mit den Faulenzerarmeen der Eigentümer, oder wie sie alle heißen, die heute das Volk ernähren muss, sowie mit den tausenderlei unnützen Arbeiten, die diesen Faulenzerarmeen zur Befriedigung ihrer Phantasie, zur Sicherung ihrer Vorrechte, zur Erhaltung des Bestehenden, dienen, ganz und gar weg, und wie würde man den Nachbar auslachen, wenn der statt zwei Paar Stiefeln nun mit den gestohlenen drei Paar dastehen, und einen Rock mehr im Schrank hätte. Dies nehme ihm ja nur ganz unnützerweise den Platz in den Möbeln weg, anziehen kann doch immer ein jeder nur ein Paar Stiefel, und ob er sie auch zu drei oder vier Paar zusammenstiehlt, deshalb muss er doch nach wie vor seine Zeit arbeiten, wie alle andern, und kann für die Stiefel weder Geld noch Leckerbissen noch sonst etwas bekommen, weil jeder Stiefel bekommt, aber nichts dafür zu vergeben hat.

Wer nun für die Herbeiführung eines solchen Zustandes arbeitet, der muss sich natürlich denken, so lange das unwissende Volk noch Respekt vor dem hat, was die Ursache seiner Armut geworden ist, mittelst dem es gelang, ihm die Früchte seines Fleißes und seiner Mühen zu stehlen, ohne dass es von ihm bemerkt wurde, so lange dieser Respekt vor dem Eigentum noch existiert, wird es unmöglich anders werden.

Nun sagte freilich Jesus den Armen nicht: »Gehet hin und stehlet«, denn er wusste wohl, dass diese dann in ihrer Dieberei oft ebenso ungerecht mit ihren Nebenmenschen verfahren würden. als jene, welche heute aus reiner Volks- und Nächstenliebe, aus purem Patriotismus das Volk bestehlen müssen. weil jeder in diesem Wirrwarr vereinzelt dasteht, und wenn er auch wollte, es allein doch nicht hindern könnte, sondern er sagte den Besitzenden gleichsam:
»erhebet kein Geschrei, wenn euch der Arme bestiehlt, denn er würde nicht stehlen, wenn er es nicht brauchte, wenn ihm seine mühsame Arbeit das Nötigste zusicherte. Wenn ihr nicht mehr gehabt hättet, als er, so hätte man euch nicht bestehlen können.« Dies ist wenigstens in den Worten zu verstehen, wo Jesus in Lukas 6 sagt:

V. 30.
Wer dir das Deine nimmt, dem fordere es nicht wieder.


Folglich hat der Christ kein Recht den Dieb zu bestrafen. weil, so lange es noch Diebe gibt, auch das Christentum unter uns nicht praktisch geworden ist. Ihr habt also von niemanden, der euch das Eurige nimmt, dasselbe wieder zurückzufordern; aber ihr könnt dem, der mehr hat als ihr, das was er auch auf irgend eine Weise gestohlen hat, wieder abnehmen, denn jetzt leben wir noch nicht im Zustande des Christentums, sondern im Zustande des Kriegs, der persönlichen Interessen. Erst wenn die Armen klüger und die Besitzenden verständiger geworden sind, werden wir uns aus diesem Labyrinth herausarbeiten.

Jetzt sehen die meisten noch nicht über den Unflat dieser Menge Parteiinteressen hinaus, die Blicke jeder Familie, so reich oder so arm sie ist, sind nur auf die zusammengekratzten Haufen gerichtet, nicht ahnend, dass sie, wenn auch noch so reich, dennoch bei allgemeiner Aufgebung dieser verfluchten Haufen viel besser und viel sittlicher, glücklicher und ruhiger leben würden.

Sie sind blind gleich dem alten Tobias.

Hier bedarf es einer recht bitteren Fischgalle; das Haufensammeln muss erschwert und das Heilighalten des Eigentums beseitigt werden.
So lange das arme und arbeitende Volk vor denen, welche seiner Arbeit Früchte zu Haufen gesammelt haben, kriechend, bittend und bettelnd um Arbeit, um Fürbitte oder gar um ein Almosen fleht, so lange in ihrer Brust nicht das Bewusstsein erwacht, von dem was sie sind, so lange wird es jedem glücklichen Ehrgeizigen als eine völlige Maschine dienen. Lange Predigten lassen sich mit diesem Volke nicht anstellen, denn es hat keine Zeit sie anzuhören, und wir keine Gelegenheit sie ihnen zu machen. Wir müssen also das Buch für sie benützen, was in allen Häusern liegt, und welches noch immer in großem Zutrauen geblieben ist, nämlich die Bibel. Die nun erzählt uns zwar oft vom Almosengeben, weil dies in den jetzigen Zuständen natürlich immer eine schöne Handlung ist, die von gutem Herzen zeugt; allein wir sollen uns nicht auf diese Almosen verlassen, und sollen im größten Elende lieber alles tun, nur nicht betteln. Jesus deutet dies selber an indem er sagt:

Lukas 11:V. 10. Denn wer da bittet, der nimmt, und wer da suchet, der finde
t.

Er sagt also nicht: wer bittet erhält, sondern der nimmt. In diesem Kapitel wird ein Gleichnis gegeben von jemandem, dessen Freund um Mitternacht kommt, um drei Brote zu leihen. Der andere, wird angenommen, habe keine Lust aufzustehen, um sie ihm zu geben, so wird er sie ihm doch geben müssen, wenn er fortfährt, sie von ihm zu verlangen.

V. 8. Ich sage euch, und ob er nicht aufsteht, und gibt ihm darum, dass er sein Freund ist, so wird er doch um seines unverschämten Geilens willen aufstehen, und ihm geben, wie viel er bedarf.

So versteht Jesus das Bitten, und darum sagt er auch, wer da bittet, der nimmt. Er hätte auch ebenso gut sagen können: wer da nimmt, der bittet.

Joh. 16, V. 24, sagt Jesus ebenfalls: bittet, so werdet ihr nehmen.

Lukas im 16. Kap. gibt Jesus das Gleichnis vom ungerechten Haushalter, der im gerechten Verdacht stand, seines Herrn Güter durchgebracht zu haben. Dieser letztere forderte Rechenschaft von ihm, und er sann auf Mittel, seine Existenz zu sichern, da er wusste, dass er infolge derselben Amt und Brot verlieren werde. Er beschloss also, mit dem Gute seines Herrn sich, so lange er noch im Amte sei, Freunde zu machen, damit sie ihn nach seiner Absetzung zu sich in ihre Häuser aufnähmen. Er ließ zu diesem Ende jedem Gläubiger seines Herrn von der Summe, die erstere dem letzteren schuldeten, herunter, und ließ ihn auf dem Schuldbrief um so viel weniger anmerken. Dieses Verfahren des ungerechten Haushalters lobte nun der Herr, und Jesus sagte nun am Schlusse dieses Gleichnisses seinen Jüngern:

V. 9. Und ich sage euch auch, machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf dass, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.

Hieraus lässt sich nun wieder manche Handlung rechtfertigen; so wie Jesus das Gleichnis erklärt, kann man nur darunter verstehen, dass man überall in jedem Verhältnis trachten soll zu Geld und Gut zu kommen, um dasselbe auf eine nützliche Weise anzuwenden.

Das Gleichnis war also wahrscheinlich nicht allein für seine Jünger, welche arm waren, also auch keinen ungerechten Mammon hatten, sondern für die reichen Zuhörer gemacht, denen er sagte:

V. 11. So ihr nun in dem ungerechten Mammon nicht treu seid, wer will euch das Wahrhaftige vertrauen?
V. 12. Und so ihr dem Fremden nicht treu seid, wer will euch geben dasjenige, was euer ist?


Wer nun also in dem Fremden, in der Verteilung der Produkte, die er nicht hervorgebracht, in dem Genuss der Früchte, die er sich ohne Arbeit verschaffte, in der Benützung der Kräfte anderer u. s. w., kurz in allem, was ihm nicht persönlich durch Fleiß und Bedürfnis eigen ist, nicht treu, das heißt nicht gerecht ist, nicht darin für andere dasselbe Verhältnis hergestellt wissen will, als für sich, der verlange auch nicht, dass man ihm gebe, was sein ist, also noch weniger, dass man das Seinige respektiere. Hätte aber Jesus demnach nur seine Jünger in der Rede des V. 9 gemeint, so wäre dies offenbar eine Aufforderung, sich auf irgend eine ungerechte Weise Geld und Gut zuzueignen, und es auf ungerechte Weise zu verteilen.

V. 14. Das alles hörten die Pharisäer auch, die waren geizig und spotteten sein.


Und dies alles werden sie nun auch lesen und sagen: Aus der Bibel lässt sich alles machen, was man will.

Wohl ihr Herren, ihr habt‘s bewiesen, ihr habt ein Evangelium der Tyrannei, der Bedrückung und der Täuschung daraus gemacht, ich wollte eines der Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft, des Wissens, der Hoffnung und der Liebe daraus machen, wenn es dies nicht schon wäre. Wenn jene sich irrten, so geschah es aus persönlichem Interesse; wenn ich mich irre, so geschieht es aus Liebe für die Menschheit, meine Absicht ist bekannt, und die Stellen, aus denen ich schöpfe, angemerkt. Der Leser mag nun lesen, prüfen, urteilen und glauben was er will. Amen. S. 322-360
Kröner Stuttgart, Kröners Taschenausgabe Band 223, Der Frühsozialismus. Ausgewählte Quellentexte von Babeuf, Blanc, Cabet, Fourier, Owen, Saint-Simon, Weitling. Herausgegeben und eingeleitet von Thilo Ramm