Ernst Wolf (1902 - 1971)
In Prag geborener deutscher evangelischer Theologe, der nach seinem Studium in Wien, Rostock und Leipzig seit 1925 Privatdozent in Rostock und seit 1931 Professor in Halle war. Seit 1945 lehrte er als Professor für Dogmengeschichte und systematische Theologie in Göttingen. Wolf stand der dialektischen Theologie Karl Barths nahe und war führendes Mitglied der Bekennenden Kirche.

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Inhaltsverzeichnis

Die christliche Rede von Gott
Unsterblichkeit?

Die christliche Rede von Gott
Die Frage, ob sich die «andere» Wirklichkeit mit den Kategorien und Begriffen unserer Wirklichkeit beschreiben lasse, ist doppelsinnig formuliert. Sie fragt dem Wortlaut nach entweder nach einer einer etwaigen uns in die Hand. gegebenen Möglichkeit einerseits oder einem Verhalten der «anderen» Wirklichkeit uns gegenüber andererseits. Natürlich ist sie hier zunächst im Sinn der ersten Fassung gemeint. Und da ist sie mit einem Nein zu beantworten. Die Begriffssprache einer von uns ausgehenden Beschreibung der «anderen» Wirklichkeit gelangt im besten Fall zur Herausstellung von Chiffren, in denen menschliche Selbsterfahrung in der Besinnung auf den Grund des eigenen Tuns und der inneren Verfassung oder in der leidvollen Auseinandersetzung mit der Welt und deren Schranken der Endlichkeit sich in einem Akt des über sich Hinausgreifens ausspricht, um einen Halt des «Woher» oder eine Instanz zu gewinnen, vor der Anklage erhoben wird. «Gott» wird dann z. B. «der Ausdruck für das Phänomen des gewissensmäßigen, getrosten, überzeugten Handelnkönnens». Oder die «Chiffre Jesus» ist in dieser Sicht, wie man meint, nur ein Ausdrucksmittel der neutestamentlichen Autoren für eine bestimmte religiöse Existenzerfahrung, dafür etwa, dass ich «wirklich Leben habe». Diese Chiffren haben, genau besehen, nur einen symbolischen Wert und im Grunde eine mystische Struktur. Sie können, wo sie als Chiffren erkannt sind, nicht mehr für sich selbst ernst und wörtlich genommen werden. Sie sind ablösbar, können ausgewechselt oder preisgegeben werden.

Auf der Basis einer solchen Rede vom «Göttlichen» in Chiffren stehen um deren symbolischer oder mythischer Struktur willen auch mannigfache Versuche, in Richtung der Frage nach dem «Wesen» das mit ihnen Gemeinte durch Begriffe zu erläutern, die dem kategorialen Bereich unserer Wirklichkeit entnommen sind. Das gilt für die ganze Weite der religionsgeschichtlichen Erscheinungswelt.

Für die Rede des christlichen Glaubens von Gott hingegen gilt als ermöglichende Voraussetzung, dass sie «im Angesicht Gottes» geschieht, dass er selbst ihr Subjekt bleibt, d. h., dass er sich unter die Aussagebedingungen des partikularen Seienden «unserer» Wirklichkeit begibt, sofern von ihm in menschlicher Sprache gesprochen werden kann, weil hier nicht neutral über ihn geredet wird, sondern indirekt in Form des Zeugnisses von seinen Taten in gehorsamer, anbetender Verkündigung seines Willens. Den Hintergrund dafür bildet nicht die Unterscheidung zweier Wirklichkeiten, sondern die Frage nach der Wahrheit der einen Wirklichkeit, von der her auch die Erkenntnis von Wahrheiten in «unserer» Welt lebt. Die Grundform der christlichen Rede von Gott ist hier die personale Rede, für die die zwischenmenschliche Ich-Du-Beziehung die Kategorien abgibt. Aber nicht als Begründung der Personalität der Gottesbeziehung im Personsein des Menschen, von dem man dann zum Personsein Gottes aufstiege, sondern als Ausdruck für das Widerfahrnis des Angesprochenwerdens von Gott, und zwar als Mensch innerhalb jener Gemeinschaft, in der Gott sich zum Du des Menschen setzt und den Menschen zum Du für sich beruft. Offenbarung als Grundvoraussetzung der Rede christlichen Glaubens von Gott ist im Bezug von Personen bestimmbar. Personales Sein ist Sein in Beziehung, und zwar in Beziehung, die im Ereignis des Ich-Du-Verhältnisses erfahren wird. Diese personale Redeweise, die dann in analogischer Anwendung Kategorien «unserer» Wirklichkeit gebraucht, um von Gottes Willen zu sprechen und so seinen ewigen Willen als schöpferische Liebe zu begreifen (die auch das Gericht einschließt), ist für die christliche Rede von Gott ebenso notwendig wie unüberbietbar. Über sie kann nicht hinausgegangen werden zu einer Beschreibung das Wesens der anderen Welt als eines jenseitigen Seins; sie ist notwendig, weil sie ihren Grund hat in der Art von Begegnung, die der, den christliches Reden als Gott bezeugt, für seine Selbstkundgabe, eine Selbstoffenbarung gewählt hat. Alles hängt hier an dem unableitbaren Entstehungsgrund christlichen Glaubens im Handeln Gottes, daran, dass die «andere» Wirklichkeit es sich gefallen lässt, indirekt oder analogisch sich den Möglichkeiten unseres Redens von ihr zu übergeben. Dieses Reden ist von da aus in bestimmter Weise dann eben als «wörtliche Aussage» zu verstehen.
S.77-79
Aus: Die Antwort der Religionen, Eine Umfrage mit 31 Fragen von Gerhard Szczesny bei »Glaubensfachleuten« der großen Bekenntnisge-meinschaften Judentum, Katholizismus, Protestantismus, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH , Reinsbek bei Hamburg 1971
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau Claudia Szczesny-Friedmann, München

Unsterblichkeit?
Für die biblische, christliche Sicht des Menschen ist menschliches Leben nicht unsterblich, sondern vielmehr der Herrschaft, ja der Strafherrschaft des Todes unterworfen. Das Wort Unsterblichkeit kommt im Alten Testament gar nicht, im Neuen nur zweimal vor und meint hier nicht eine «Eigenschaft» des Menschen. Vielmehr gehört das allgemeine Sein-zum-Tode ebenso wie die gefährliche Freiheit eines Über-sich-selbst-Verfügens auch in biblischer Sicht zu den Existenzialien des Menschen. Jenes meint die Grenze, dieses den Grund seiner in Anspruch genommenen, immer zugleich auch schon verwirkten Herrschaft über sein Schicksal. Gott «allein» kommt nach dem Neuen Testament (1. Tim. 6, 16) «Unsterblichkeit» zu — und dem Menschen wird nach 1. Kor. 15, 53 «Unsterblichkeit», «unvergängliches Wesen» als eine künftige Gabe Gottes verheißen, als die Herausnahme aus der Todesherrschaft. Für die realistische Rede der Bibel ist der Mensch also sterblich, d. h., er existiert als ganzer, mit Leib und Seele, die wohl unterschieden, aber nicht getrennt werden können, innerhalb der ihm gesetzten zeitlichen Frist, wie nicht vorher, so auch nicht nachher. Mit dem Tode steht der eine ganze Mensch, der die Seele seines Leibes und der Leib seiner Seele ist, an der Grenze, die er nicht überschreiten kann, es sei denn, dass der eine unsterbliche Gott ihm als sein Jenseits und seine Zukunft begegnet, als Rettung und ihm zugesprochenes Leben. Sofern die biblische Botschaft zentral dem Menschen in seinem Sein «vor Gott» gilt, kommt hier die Frage des Bestehens vor Gott zur Sprache: die Frage, ob dieser Gott auch seine, des Menschen, Hoffnung ist in der Entscheidung zwischen «ewigem Tod» als der bleibenden Feindschaft wider Gott oder «ewigem Leben» als der Erwähltheit durch Gott, in der dem sterblichen Menschen die Zukunft von Gottes «Unsterblichkeit» zugesprochen wird. Dass der christliche Glaube Jesus Christus als den zur Mitte hat, der für den Menschen gestorben ist, seine Schuld und als deren Folge seinen ewigen Tod auf sich nehmend, und der für ihn auferstanden ist, ihm damit «ewiges Leben» schenkend, entnimmt die Menschheitsfrage nach der «Unsterblichkeit der Seele» der breiten Gefahrenzone spekulativer Erörterung und verweist den Glauben — freilich nur den Glauben — an eine gewisse, ganz zuversichtliche, ganz ernste, ganz freudige Hoffnung auf Gott als die den Menschen rettende, ihm in Christus gegenwärtige Zukunft. S.96f.
Aus: Die Antwort der Religionen, Eine Umfrage mit 31 Fragen von Gerhard Szczesny bei »Glaubensfachleuten« der großen Bekenntnisgemeinschaften Judentum, Katholizismus, Protestantismus, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH , Reinsbek bei Hamburg 1971
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung von Frau Claudia Szczesny-Friedmann, München