Georg Friedrich Eduard William Wrede (1859 – 1906)

  Deutscher evangelisch-lutherischer Theologe, der 1877-1879 in Leipzig (bei Karl Friedrich August Kahnis und Adolf von Harnack) sowie 1879-1881 in Göttingen Theologie studierte. In seiner Göttinger Zeit wurde er vor allem von Albert Eichhorn, Paul de Lagarde sowie von seinen akademischen Lehrern Albrecht Ritschl und Hermann Schultz beeinflusst. Wrede gab der Leben-Jesu- Forschung entscheidende Impulse. Paulus war für ihn der zweite Stifter der christlichen Religion, der »ohne Zweifel gegenüber dem ersten im ganzen sogar den stärkeren - nicht den besseren - Einfluss geübt« hat.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon
 

Der Einfluss des Paulus auf die christliche Lehre
Aus: Paulus 1905
Rein menschlich-sittliche Maßstäbe zur Beurteilung der Frömmigkeit, wie sie Jesus handhabt, kann es für Paulus gar nicht geben (95). Jesus weiß von dem, was für Paulus das ein und alles ist - nichts ... Paulus andrerseits zeigt sicher eine Reihe Berührungspunkte mit den Sprüchen Jesu. Aber all dergleichen gehört bei ihm zu den Dingen zweiter Ordnung, der Kern seines Evangeliums liegt anderswo (94). Den Glauben hatte er durch eine »Offenbarung« gewonnen; infolge dieser Umstände vermochte er die Erscheinung Jesu mit Ideen von Christus aufzufassen, die ganz unabhängig vom Menschen Jesus entstanden waren (96). Alles ist damit gesagt, dass er das Christentum zur Erlösungsreligion gemacht hat ... Wer die Religion beschreiben will, die in den Sprüchen und Gleichnissen Jesu lebt, kann gar nicht darauf verfallen, von Erlösungsreligion zu sprechen ... Die ganze Neuerung des Paulus ist darin beschlossen, wie er diese Heilstatsachen, die Menschwerdung, den Tod und die Auferstehung Christi, zum Fundamente der Religion gemacht hat. Will man den Charakter der Anschauung bezeichnen, so lässt sich der Ausdruck Mythus nicht vermeiden (103). Im wesentlichen ist er im Vergleich mit Jesus eine neue Erscheinung, so neu, wie es bei einem großen gemeinsamen Untergrunde nur möglich ist ... Das Lebenswerk und Lebensbild Jesu hat die paulinische Theologie eben nicht bestimmt ... Gleich in den ersten Jahrzehnten, die das entstehende Christentum erlebt, ist also ein großer Sprung in der Entwicklung der Religion selbst festzustellen (95). Aus all dem folgt nun durchaus, dass Paulus als der zweite Stifter des Christentums zu betrachten ist ... Denn Paulus hat nachweislich, wenn auch nicht ohne eine gewisse Vorbereitung, zuerst die Ideen in das Christentum eingeführt, die in seiner Geschichte bisher die mächtigsten und einflussreichsten gewesen sind ... Dieser zweite Stifter der christlichen Religion hat ohne Zweifel gegenüber dem ersten im ganzen sogar den stärkeren - nicht den besseren - Einfluss geübt (104).
Enthalten in: Textbuch zur deutschen systematischen Theologie und ihrer Geschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert, Band I 1530 – 1934 von Richard H. Grützmacher 4.Auflage, 1955 C. Bertelsmann Verlag Gütersloh (S.264-266)