Joseph Freiherr von Eichendorff (1788 – 1857)

  Deutscher Dichter, der aus einer katholischen Adelsfamilie stammte, begann 1805 in Halle ein juristisches Studium, das er nach Studienaufenthalten in Heidelberg (Bekanntschaft mit Josef von Görres, Achim von Arnim, vermutlich auch Clemens Brentano), Paris und Berlin (Umgang mit Adam Müller, Arnim und Brentano) 1812 in Wien beendete, wo er sich insbesondere Friedrich Schlegel anschloss. Eichendorff war Teilnehmer der Freiheitskriege (1813 – 1815) und trat 1817 in den preußischen Staatsdienst ein, aus dem er 1844 durch Pensionierung ausschied. Seine Gedichte sind ein später Höhepunkt der deutschen romantischen Lyrik und zeichnen sich durch eine volksliedhafte Schlichtheit aus, in der Natureindrücke seelisch widergespiegelt werden.

Siehe auch Wikipedia und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Das Gebet, Gebet 1810, Der frohe Wandersmann, Andeutungen (Ahnung und Gegenwart), Wegweiser, Weltlauf, Will‘s Gott!,
Mahnung, Schöpfung



Das Gebet
Wen hat nicht einmal Angst befallen,
Wann Trübnis ihn gefangen hält,
Als müßt‘ er ewig rastlos wallen
Nach einer wunderbaren Welt?
All‘ Freunde sind lang fortgezogen,
Der Frühling weint in einem fort,
Eine Brücke ist der Regenbogen
Zum friedlich sichern Heimats-Port.

Hinauszuschlagen in die Töne,
Lockt dich Natur mit wilder Lust,
Zieht Minne holde, Frauenschöne
Zum Abgrund süß die sel‘ge Brust —
Den Tod siehst du verhüllet gehen
Durch Lieb‘ und Leben himmelwärts,
Ein einzig Wunder nur bleibt stehen
Einsam über dem öden Schmerz.

Du seltner Pilger, laß dich warnen!
Aus ird‘scher Lust und Zauberei,
Die Freud- und Leidvoll dich umgarnen,
Strecke zu Gott die Arme frei!
Nichts mehr mußt du hienieden haben,
Himmlischbetrübt, verlassen, arm,
Ein treues Kind, dem Vater klagen
Die ird‘sche Lust, den ird‘schen Harm.

Es breitet diese einz‘ge Stunde
Sich über‘s ganze Leben still,
Legt blühend sich um deine Wunde,
Die niemals wieder heilen will.
Treu bleibt der Himmel stets den Treuen,
Zur Erd‘ das Ird‘sche niedergeht,
Zum Himmel über die Wüsteneien
Geht ewig siegreich das Gebet.
S.74

Gebet 1810
Was soll ich, auf Gott nur bauend,
Schlechter sein, als all‘ die Andern,
Die, so wohlbehaglich schauend,
Froh dem eigenen Nichts vertrauend,
Die gemeine Straße wandern?

Warum gabst Du mir die Güte,
Die Gedanken himmelwärts,
Und ein ritterlich Gemüte,
Das die Treue heilig hüte
In der Zeit treulosem Scherz?

Was hast Du mich blank gerüstet,
Wenn mein Volk mich nicht begehrt,
Keinem mehr nach Freiheit lüstet,
Daß mein Herz, betrübt, verwüstet,
Nur dem Grabe zugekehrt? —

Laß die Ketten mich zerschlagen,
Frei zum schönen Gottesstreit
Deine hellen Waffen tragen,
Fröhlich beten, herrlich wagen,
Gib zur Kraft die Freudigkeit!
S.113f.

Der frohe Wandersmann
Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.

Die Trägen, die zu Hause liegen,
Erquicket nicht das Morgenrot,
Sie wissen nur vom Kinderwiegen
Von Sorgen, Last und Not um Brot.

Die Bächlein von den Bergen springen,
Die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
Was sollt‘ ich nicht mit ihnen singen
Aus voller Kehl‘ und frischer Brust?

Den lieben Gott laß ich nur walten;
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd‘ und Himmel will erhalten,
Hat auch mein‘ Sach‘ auf‘s Best‘ bestellt!
S.226

Andeutungen (Ahnung und Gegenwart)
1. Freiheit
Frei, ihr Kanaillen, sag‘ ich, sollt ihr sein,
Doch nicht, wie ihr es wollt, ihr Dumme, Blinde,
Versunken in des Aberglaubens Schein,
Nein, so wie ich‘s heut‘ eben dienlich finde.

2. Gleichheit
Wie? Niedrig wir, ihr hoch; wir arm, ihr reich?
Planierend schwirrt die Schere dieser Zeit;
Seid niedrig, arm, wie wir, so sind wir gleich
Und die Misere wird doch etwas breit.

3. Weltgeschichte
Inmitten steht die Sonn‘ und wandelt nicht,
Ringsum sehnsüchtig kreisen die Planeten,
Die deckt heut Nacht, die will der Morgen töten,
Doch ewig heiter strahlt das ew‘ge Licht.

4. Tagesgeschichte
Es rast der Sturm in der Historie Blättern,
Und jeder schnappt sich schnell draus sein Fragment.
Doch deutle nur! Der Herr in Zorneswettern
Geht über dich hinweg und führt‘s zu End.

5. Wunder über Wunder
Du wunderst wunderlich dich über Wunder,
Verschwendest Witzespfeile, blank geschliffen.
Was du begreifst, mein Freund, ist doch nur Plunder,
Und in Begriffen nicht mit einbegriffen
Ist noch ein unermeßliches Revier,
Du selber drin das größte Wundertier
.
S.238f.

Wegweiser
»Jetzt mußt du rechts dich schlagen,
Schleich‘ dort und lausche hier,
Dann schnell drauf los im Jagen, —
So wird noch was aus dir.«

Dank! Doch durch‘s Weltgetümmel,
Sagt mir, ihr weisen Herrn,

Wo geht der Weg zum Himmel?
Dies eine wüßt‘ ich gern.
S.299

Weltlauf
Was du gestern frisch gesungen,
Ist doch heute schon verklungen
Und bei‘m letzten Klange schreit
Alle Welt nach Neuigkeit.

War ein Held, der legt‘ verwegen
Einstmals seinen blut‘gen Degen
Als wie Gottes schwere Hand
Über das erschrockne Land.

Mußt‘s doch blühn und rauschen lassen
Und den toten Löwen fassen
Knaben nun nach Jungen-Art
Ungestraft an Mähn‘ und Bart.

So viel Gipfel als da funkeln
Sah‘n wir abendlich verdunkeln,
Und es hat die alte Nacht
Alles wieder gleich gemacht.

Wie im Turm der Uhr Gewichte
Rucket fort die Weltgeschichte,
Und der Zeiger schweigend kreist,
Keiner rät, wohin er weist.

Aber wenn die eh‘rnen Zungen
Nun zum letztenmal erklungen,
Auf den Turm der Herr sich stellt,
Um zu richten diese Welt.

Und der Herr hat nichts vergessen,
Was geschehen wird er messen
Nach dem Maß der Ewigkeit—
O wie klein ist doch die Zeit!
S.340

Will‘s Gott!
Kein Zauberwort kann mehr den Ausspruch mildern,
Das sündengraue Alte ist gerichtet,
Da Gott nun selbst die Weltgeschichte dichtet
Und auf den Höhen zürnend Engel schildern:

Die Babel bricht mit ihren Götzenbildern
Ein junger Held, der mit dem Schwerte schlichtet,
Daß Stein auf Stein, ein Trümmerhauf, geschichtet,
Die Welt vergeht in schauerndem Verwildern.

Doch eins, das hastig alle übersehen,
Das Kreuz, bleibt auf den Trümmern einsam stehen;
Da sinkt ins Knie der Held, ein Arbeitsmüder,

Und vor dem Bild, das alle will versöhnen,
Legt er dereinst die blut‘gen Waffen nieder
Und läßt den neuen Bau den freien Söhnen
. S.451

Mahnung
Was blieb dir nun nach allen Müh und Plagen?
So viel der Ehre dir die Welt gespendet,
Es treibt vom stolzen Ziele, kaum geendet,
Nach neuem Ziel dich neues Unbehagen.

Hättst du zu ihm, von dem die Himmel sagen,
Den kleinsten Teil der Liebe nur gewendet,
Die du an eitel Hoffart hast verschwendet,
Du würdest jetzt nicht rettungslos verzagen.

Wohl liebt die Welt, den Günstling zu erheben,
Doch wenn du glaubst, im Siegesschmuck zu prangen,
Sind‘s Ketten nur, die rasselnd dich umfangen.

Laß eh‘s zu spät, von dem verlornen Leben;
Gott wartet deiner noch, in seinen Armen,
Da find‘st du, was die Welt nicht kennt, Erbarmen.
S.470f.

Schöpfung
Als des Allmächtgen Schöpfungswort
Des alten Chaos Nacht durchtönte
Da rollten plötzlich 1000 Welten,
Von 1000 Sonnen hell umstrahlt,
Und rosig stieg der erste Tag empor

Doch einsam in dem weiten Raum‘
Der Schöpfung stand er da, der Schöpfer,
Tief unter sich der Welten Donner,
Und rot und ödenähnlich war
Der Schöpfung Gang, und blindes Streben ihm.

Da hauchte er — und erdwärts glomm
Belebend seiner Flamme Funken,
Den Mond der Sonne seines Glanzes! —
Zum Wohnsitz gab dem Sohne er
Ein sinnlich Tier — und so entstand der Mensch.

Empor sich ringend himmelwärts
Das Urlicht wieder zu umarmen,
Von Sinnlichkeit gehemmt im Fluge,
Schwebt zwischen Erd‘ und Himm‘l er nun:
Das hohe Band, das Gott um Welten knüpft.

Gesetzen folgen Sonnen, Erd‘ und Tier
Sinnlos ohn‘ Denken, und ohn‘ Handeln.
Mit Eisenarm umfaßt Naturen
Notwendigkeit, die ewig fest,
Der Sonne Ruh, den Welten Lauf gebeut.

Mit Kraft knüpft jedoch diese hier
Ans Allerheiligste, ans Höchste —
Verborgne hehre Sympathie
Aus Schönheit rings um uns entsprießend
Wir fühlen es und ahnen staunend — Gott
. S.492f.
Enthalten in: Joseph von Eichendorff, Sämtliche Gedichte und Versepen, Insel Verlag