Franz von Assisi (1182 - 1226)
Franziskus, eigentlich Giovanni Bernadone, genannt Francesco [»Franzose«]

Italienischer Mystiker, Ordensstifter und Heiliger, der sein Leben ganz in den Dienst der Nachfolge Christi stellte und seit 1209 als apostolischer Wanderprediger umherzog. Bald schlossen sich ihm Gefährten an, die er zu zweit als Prediger oder Krankenpfleger aussandte. Für ihr Zusammenleben verfasste er eine besondere aus Abschnitten des Evangeliums bestehende und 1210 von Innozenz III. mündlich gutgeheißene Regel. In den nächsten Jahren bildeten sich in ganz Italien, seit 1219 auch in nahezu allen europäischen Ländern franziskanische Bruderschaften (Franziskaner). 1212 gründete seine Jugendfreundin Klara von Assisi den Zweiten Orden (Klarissinnen), 1221 ein Dritter Orden (Terziaren). Nachdem Franziskus schon 1220 die Ordensleitung abgegeben hatte, zog er sich in die Alverner Berge (bei Arezzo) zurück; dort empfing er am 17. 9. 1224 die Wundmale Christi.. Von ihm sind einige lateinische Predigten (»Laudes«) und sein berühmter »Sonnengesang« (»Il cantico di frate sole«, 1224) — eines der ersten Zeugnisse italienischer Sprachkunst – erhalten. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts waren die »Fioretti di San Francesco, (Blümlein des heiligen Franziskus, Legenden um sein Leben und seine Wundertaten) weit verbreitet. Franziskus gehört zu den wenigen Heiligen des Mittelalters, die schon bald nach ihrem Tod nicht nur als Einzelgestalt, sondern auch mit ihrer Legende dargestellt wurden (Oberkirche von San Francesco in Assisi; Bardikapelle von S. Croce in Florenz).
— Heiliger (Tag: 4. 10.), Schutzheiliger Italiens

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Inhaltsverzeichnis
Der Sonnengesang
Worte der Belehrung und Ermahnung
Interpretation des Vaterunsers
Bitte für die Königin der heiligen Weisheit, der heiligen Liebe und der heiligsten Tugenden
Lobpreis des allmächtigen Gottes

>>>Christus
Von dem Leibe des Herrn
Von der Ehrfurcht gegen den Leib des Herrn

Der Sonnengesang
Höchster, allmächtiger, gütiger Herr,
Dein ist der Preis und der Ruhm und die Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Allerhöchster, gebühren sie,
Und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.

Gepriesen seist du, Herr, mit allen deinen Kreaturen;
Besonders mit der edlen Schwester Sonne,
Die uns den Tag bewirkt und uns erleuchtet durch ihr Licht.
Und schön ist sie und strahlt in großem Glanze. Von dir, o Allerhöchster, ist sie Sinnbild.

Gepriesen seist du, Herr, durch den Bruder, den Mond und durch die Sterne;
Am Himmel hast du sie gebildet köstlich, hell und schön.

Gepriesen seist du, Herr, durch den Bruder, den Wind,
Auch durch die Luft und Wolken, durch heitere und jede Witterung,
Durch welche du Erhaltung schenkest deinen Kreaturen.

Gepriesen seist du, Herr, durch den Bruder, das Wasser,
Das nützlich ist gar sehr, demütig, kostbar und keusch.

Gepriesen seist du, Herr, durch unsern Bruder, das Feuer,
Durch welches du die Nacht erleuchtest.
Und es ist schön und freudespendend, stark und mächtig.

Gepriesen seist du, Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde,
Die uns ernährt und regiert
Und mannigfache Früchte trägt und bunte Blumen und Kräuter.

Gepriesen seist du, Herr, durch jene, die aus Liebe zu dir verzeihen
Und Schwachheit und auch Trübsal leiden. Selig, die in Frieden dulden,
Weil sie von dir, o Allerhöchster, einst gekrönet werden.

Gepriesen seist du, Herr, durch unsern Bruder, den leiblichen Tod,
Dem nie ein Lebender entrinnen kann.
Weh‘ jenen, die in schwerer Sünde sterben!
Glückselig jene, die in deinen heiligen Willen sind ergeben,
Denn ihnen wird der zweite Tod kein Leides tun.

Lobet und preiset den Herrn und danket ihm
Und dienet ihm mit großer Demut!

Aus: Die Schriften des Heiligen Franziskus von Assisi«. Neue deutsche Übersetzung nebst Einleitung und Anmerkungen von P. Maternus Rederstorff O.F.M., Generallektor der Philosophie, Apost. Pönitenziar an der Lateranbasilika, Rom. S.174/5, © 1910 Verlag Friedrich Pustet Regensburg, Rom, New York und Cincinnati
Auch enthalten in: Franz von Assisi, Ausgewählte Texte. Herausgegeben von Hans Christian Meiser S.123, Goldmann Taschenbuch 11047


Worte der Belehrung und Ermahnung
Von dem vollkommenen und dem unvollkommenen Gehorsam
Der Herr sagt im Evangelium: »Wer nicht allem entsagt, was er besitzt, kann mein Jünger nicht sein« (Luk. 14,33); und: »Wer seine Seele retten will, der wird sie verlieren« (Matth. 16,23). Jener verläßt alles, was er besitzt, und verliert seinen Leib und seine Seele, der sich selbst vollständig dem Gehorsam in die Hände seines Obern übergibt. Alles, was er tut und spricht, sofern er nur weiß, daß es gut ist und dem Willen seines Obern nicht zuwider, ist wahrer Gehorsam. Und wenn auch der Untergebene manchmal Besseres und seiner Seele Nützlicheres erkennt, als das, was ihm der Vorgesetzte befiehlt, so soll er seinen Willen Gott zum Opfer bringen, die Befehle seines Vorgesetzten aber soll er mit allem Fleiß ausführen. Denn das ist wahrer und liebevoller Gehorsam, der Gott und dem Nächsten gefällt.

Wenn aber der Vorgesetzte dem Untergebenen etwas befiehlt, was gegen sein Gewissen wäre, so braucht er nicht zu gehorchen; jedoch soll er deshalb seinen Obern nicht verlassen. Und wenn er durch seine Handlungsweise von andern Verfolgung zu leiden hat, so soll er sie noch mehr wegen Gott lieben. Denn, wer es vorzieht, eher Verfolgung zu leiden, als sich von seinen Brüdern zu trennen, der bleibt im vollkommenen Gehorsam; denn er gibt seine Seele für seine Brüder (Vgl. Joh. 15,13). Es gibt in der Tat viele Ordensleute, die unter dem Scheine, Besseres zu erkennen, als das, was ihre Vorgesetzten befehlen, hinter sich schauen (Vgl. Luk. 9,62) und zu dem Auswurfe ihres eigenen Willens zurückkehren (Vgl. Sprichw. 26,11). Diese sind Mörder, und durch ihre bösen Beispiele richten sie viele Seelen zugrunde.

Daß niemand sich das Amt eines Obern anmaßen soll
»Ich bin nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen« (Matth. 20,28), sagt der Herr. Jene, die über andere gesetzt sind, sollen sich ihres Amtes nicht mehr rühmen, als wenn sie dazu bestimmt wären, ihren Mitbrüdern die Füße zu waschen. Und je mehr sie verwirrt werden durch den Verlust ihrer Würde als durch den Auftrag, die Füße zu waschen, desto mehr setzen sie ihre Seele der Gefahr aus.

Daß niemand sich rühmen soll, außer im Kreuze des Herrn
Betrachte, o Mensch, die Würde, zu welcher dich der Herr erhoben hat; denn dem Leibe nach hat er dich geschaffen und gebildet nach dem Ebenbilde seines geliebten Sohnes, und dem Geiste nach hat er dir sein eigenes Bildnis eingeprägt (Vgl. 1, Mos. 1,26). Und alle Geschöpfe, die unter dem Himmel sind, dienen ihrem Schöpfer, erkennen ihn und gehorchen ihm auf ihre Weise besser als du. Die bösen Geister ebenfalls haben ihn nicht gekreuzigt, aber du hast ihn mit ihnen gekreuzigt und du kreuzigst ihn immer noch, indem du den Lastern und den Sünden frönst. Weswegen kannst du dich also rühmen? Denn, wenn du auch so klug und so weise wärest, daß du dir alle Wissenschaften angeeignet hättest, und wenn du fähig wärest, alle Sprachen zu verstehen und mit großem Scharfsinne die himmlischen Dinge zu durchforschen, so könntest du dich alles dessen nicht rühmen. Ein einziger böser Geist hat ja von den himmlischen Dingen mehr gewußt und weiß jetzt noch mehr von den irdischen Dingen, als alle Menschen zusammen, wenn auch vielleicht irgendein Mensch vom Herrn selber eine besondere Kenntnis der höchsten Weisheit erhalten hätte. Desgleichen, wenn du an Schönheit und Reichtum all die übrigen Menschen übertreffen, Wunder wirken und sogar die Teufel austreiben würdest, so wäre dies alles außer dir gelegen, es wäre nicht dein eigen und du könntest dich desselben nicht rühmen. Nur in einem Dinge können wir uns rühmen, nämlich in unseren Schwachheiten (Vgl. 2. Kor. 12,5) und in dem täglichen Tragen des Kreuzes unseres Herrn Jesu Christi.

Von der Nachfolge des Herrn
Brüder, haben wir alle acht auf unsern guten Hirten, der, um seine Schafe zu retten, den Kreuzestod erlitten hat. Die Schafe des Herrn sind ihm nachgefolgt in Trübsal, Verfolgung und Schmach, in Hunger und Durst, in Krankheit und Versuchung und in anderen Heimsuchungen (Vgl. Joh. 10,11; Hebr. 12,2; Joh. 10,4; Röm. 8,35). Für all dies haben sie das ewige Leben empfangen. Darum ist es eine große Schande für uns Diener Gottes, daß wir Ehre und Ruhm ernten wollen, indem wir die Werke der Heiligen auf dem Lehrstuhle und auf der Kanzel verkündigen.

Daß die Wissenschaft mit guten Werken verbunden sein soll
Der Apostel sagt: »Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig« (2. Kor. 3,6). Jene werden durch den Buchstaben getötet, die nur die Worte wissen wollen, um unter den andern weiser zu erscheinen, und um große Reichtümer zu erwerben, die sie alsdann ihren Verwandten und Freunden hinterlassen können. Und jene Ordensleute werden durch den Buchstaben getötet, die dem Geiste der heiligen Schriften nicht folgen wollen, sondern sich nur bestreben, deren Wortlaut zu wissen und sie andern zu erklären. Und jene sind durch den Geist der heiligen Schriften belebt, die nicht einfach dem Buchstaben nach den Text auslegen, sondern durch Wort und Beispiel das Gelernte dem allerhöchsten Herrn, von dem alles Gute kommt, wieder zurückgeben.

Die Sünde der Scheelsucht soll man meiden
Der Apostel sagt: »Niemand kann sagen: Herr Jesus, außer im Heiligen Geiste« (1. Kor. 12,3); und: »Keiner ist es, der Gutes tut, kein einziger« (Psalm 52,4). Wer immer also seinen Bruder beneidet, um des Guten, das der Herr in demselben redet und wirkt, begeht gleichsam die Sünde der Gotteslästerung, weil er den Allerhöchsten selbst beneidet, der alles Gute redet und wirkt.

Von der Nächstenliebe
Der Herr sagt im Evangelium: »Liebet eure Feinde; tuet Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, welche euch verfolgen und verleumden« (Matth. 5,44). Jener liebt wahrhaftig seinen Feind, der nicht trauert über das von ihm erlittene Unrecht, sondern der aus Liebe zu Gott sich betrübt über die von seinem Bruder begangene Sünde, und der so durch Werke ihm seine Liebe offenbart.

Von der körperlichen Abtötung
Viele, die da sündigen oder ein Unrecht zu leiden haben, beschuldigen den bösen Feind oder den Nächsten. Dies ist aber nicht recht; denn ein jeder hat seinen Feind in seiner Gewalt, seinen Leib nämlich, durch den er sündigt. Darum ist glücklich jener Diener, der einen solchen Feind stets unter seiner Botmäßigkeit gefangen hält und sich weise vor ihm in acht nimmt; denn während er so handelt, wird kein anderer, weder ein sichtbarer noch ein unsichtbarer Feind, ihm zu schaden imstande sein.

Daß niemand sich durch böses Beispiel verführen lassen soll
Dem Diener Gottes soll nichts mißfallen als die Sünde. Wenn jemand auf irgendeine Weise gesündigt hat und der Diener Gottes aus einem andern Grunde, als aus Liebe sich aufregt und entrüstet, so häuft er die Schuld auf sich selber (Röm. 2,5). Jener Diener Gottes, der sich um nichts aufregt und entrüstet, lebt recht und ohne Sünde. Und glücklich, wer nichts für sich zurückbehält, sondern dem Kaiser gibt, was des Kaisers, ist und Gott, was Gottes ist (Matth. 22,21).

Wie der Geist des Herrn erkannt wird
Auf folgende Weise kann man erkennen, ob der Diener Gottes den Geist des Herrn besitzt. Wenn nämlich, da der Herr durch ihn etwas Gutes wirkt, das Fleisch, das ein Feind alles Guten ist, sich deshalb nicht erhebt, sondern wenn er im Gegenteil sich in seinen eigenen Augen verächtlicher dünkt und geringer als alle übrigen Menschen.

Von der Geduld
Solange dem Diener Gottes alles nach Wunsch geht, kann man nicht erkennen, wieviel Geduld und Demut er besitzt. Wenn aber die Zeit kommt, wo jene, die seine Wünsche erfüllen sollten, sich ihm widersetzen, dann besitzt er so viel Geduld und Demut, als er unter jenen Umständen zeigt und nicht mehr.

Von der Armut des Geistes
Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich (Matth. 5,3). Viele sind dem Gebete und dem Gottesdienste treu ergeben, sie fasten fleißig und töten ihren Körper ab. Sagt man ihnen aber ein beleidigendes Wort, oder entzieht man ihnen irgendeine Sache, so werden sie alsbald geärgert und verwirrt. Diese sind nicht arm im Geiste; denn der wahrhaft Arme im Geiste haßt sich selber und liebt jene, die ihm auf die Wange schlagen (Matth. 5,39).

Von den Friedfertigen
Selig die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden (Matth. 5,9) — Jene sind wahrhaftig friedfertig, die bei allem, was sie auf dieser Welt leiden, aus Liebe zu unserem Herrn Jesus Christus in ihrer Seele und in ihrem Äußern den Frieden bewahren.

Von der Reinheit des Herzens
Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott anschauen (Matth. 5,8). — Reinen Herzens sind jene, welche die irdischen Dinge verachten und die himmlischen suchen, die da beständig anbeten und schauen den Herrn, den lebendigen und wahren Gott, mit reinem Herzen und reiner Seele.

Von dem demütigen Diener Gottes
Selig, der Diener Gottes, der sich nicht mehr erhebt wegen des Guten, das der Herr durch ihn redet und wirkt, als wegen dem, das er durch einen andern redet und wirkt. Es sündigt der Mensch, der mehr von seinem Nächsten empfangen will, als er selbst Gott, seinem Herrn, zu geben gewillt ist.

Von dem Mitleid mit dem Nächsten
Selig der Mensch, der seinen Nächsten mit all seiner Schwachheit erträgt, so wie er selbst wünschte, in einem ähnlichen Falle ertragen zu werden.

Von dem glücklichen und dem unglücklichen Knechte
Selig der Knecht, der alles Gute seinem Herrn wieder zurückgibt; denn wer etwas für sich zurückbehält, der verbirgt in sich selber das Geld seines Herrn
(Matth. 25, 18), und das, was er zu besitzen wähnte, wird ihm genommen werden (Luk. 8,18).

Von dem guten und demütigen Ordensmann
Selig der Diener, der sich nicht für besser hält, wenn er von den Menschen gelobt und erhoben wird, als wenn sie ihn für gering, einfältig und verächtlich halten; denn soviel ist der Mensch, als er vor Gott ist und nicht mehr. Weh jenem Ordensmanne, der da von andern zu einem Ehrenamte erhoben wurde und von demselben nicht mehr herabsteigen will. Selig hingegen jener, der nicht durch seinen Willen zu einer Würde gelangt ist und stets wünscht, zu den Füßen anderer zu sein.

Von dem glücklichen und dem eitlen Ordensmanne
Glücklich jener Ordensmann, der da weder Lust noch Freude findet, als in heiligen Gesprächen und in den Werken des Herrn, und der durch dieselben in Freude und Heiterkeit die Menschen der Gottesliebe entgegenführt. Weh aber jenem Ordensmanne, der sich an müßigen und eitlen Gesprächen ergötzt und dadurch die Menschen zum Lachen reizt.

Von dem leichtsinnigen und geschwätzigen Ordensmanne
Selig jener Diener, der nicht spricht, um der Belohnung willen, der nicht alles mitteilt, was er weiß, und nicht schnell ist zum Reden (Sprichw. 29,20), sondern weise überlegt, was er reden und antworten soll. Weh jenem Ordensmanne, der das Gute, das der Herr ihm geoffenbart, nicht in seinem Herzen behält und andern nicht durch seine Werke zeigt, sondern vielmehr in Erwartung eines Lohnes dasselbe durch Worte andern zu offenbaren wünscht. Dadurch nämlich erhält er seinen Lohn, und die ihn anhören, tragen wenig Nutzen davon.

Von der wahren Zurechtweisung
Selig der Diener, der die Zurechtweisung, die Anklage und den Tadel so geduldig von andern erträgt, als wenn all dies von ihm selber käme. Selig der Diener, der sich der Zurechtweisung bereitwillig fügt, bescheiden gehorcht, sich demütig anklagt und gerne Genugtuung leistet. Selig der Diener, der da nicht gleich zur Entschuldigung bereit ist, sondern demütig die Schande und die Zurechtweisung wegen eines Fehlers, den er ohne Schuld begangen hat, auf sich nimmt.

Von der wahren Demut
Selig jener, der bei seinen Untergebenen so demütig befunden wird, als wäre er bei seinen Vorgesetzten. Selig der Diener, der stets unter der Rute der Zurechtweisung bleibt. Ein treuer und kluger Diener ist jener, der sich beeilt, sich selbst für alle seine Fehler zu bestrafen, innerlich durch die Reue und äußerlich durch die Beichte und durch Werke der Genugtuung.

Von der wahren Liebe
Selig jener Bruder, der seinen kranken Mitbruder, der ihm nicht nützlich sein kann, ebenso liebt, als wenn er gesund ist und fähig, ihm Dienste zu leisten. Selig der Bruder, der seinen Mitbruder ebenso liebt und fürchtet, wenn er fern von ihm ist, als wenn er sich bei ihm befindet, und der hinter seinem Rücken nichts sagt, was er nicht mit Liebe in seiner Gegenwart sagen könnte.

Daß die Diener Gottes die Kleriker ehren sollen
Selig der Diener Gottes, der sein Vertrauen den Klerikern schenkt, die da recht und nach der Weise der heiligen römischen Kirche leben. Und wehe jenen, die sie verachten; denn obschon auch die Kleriker Sünder sind, so darf sie doch niemand richten, weil der Herr selber allein sich das Gericht über sie vorbehalten hat. Denn so wie ihr Amt, das darin besteht, sich mit dem allerhöchsten Leibe und dem Blute unseres Herrn Jesu Christi zu befassen, den sie allein anfassen und andern spenden, erhabener ist als alle übrigen Ämter, so ist auch die Sünde, die gegen sie begangen wird, größer als jene gegen alle übrigen Menschen dieser Welt.

Von den Tugenden, welche die Laster vertreiben
Wo Liebe ist und Weisheit, dort ist weder Furcht noch Unwissenheit. Wo Geduld und Demut sich befinden, dort herrscht weder Zorn noch Verwirrung. Wo Armut mit Freude verbunden ist, dort ist weder Habsucht noch Geiz. Wo Ruhe und Überlegung sind, dort ist weder Sorge noch Zerstreuung. Wo die Furcht des Herrn das Haus bewacht, dort findet der Feind keinen Weg zum Eingang. Wo Barmherzigkeit und Mäßigkeit herrschen, dort ist weder Überfluß noch Hartherzigkeit.

Daß man das Gute verbergen soll, um es nicht zu verlieren
Glückselig der Knecht, der sich für den Himmel jene Güter sammelt, die der Herr ihm zeigt, und der, auf eine (jenseitige) Belohnung hoffend, sie den Menschen nicht offenbaren mag, weil der Allerhöchste selbst seine Werke offenbaren wird, wenn es ihm gefällt. Glückselig der Knecht, welcher die Geheimnisse des Herrn in seinem Herzen bewahrt.
Aus: Die Schriften des Heiligen Franziskus von Assisi«. Neue deutsche Übersetzung nebst Einleitung und Anmerkungen von P. Maternus Rederstorff O.F.M., Generallektor der Philosophie, Apost. Pönitenziar an der Lateranbasilika, Rom. S.103-115, © 1910 Verlag Friedrich Pustet Regensburg, Rom, New York und Cincinnati
Auch enthalten in: Franz von Assisi, Ausgewählte Texte. Herausgegeben von Hans Christian Meiser S.78-90, Goldmann Taschenbuch 11047

Interpretation des Vaterunsers
Heiligster Vater unser, unser Schöpfer, Erlöser, Heiland und Tröster.
Der du bist in den Himmeln, in den Engeln und in den Heiligen, du erleuchtest sie zur Erkenntnis; denn du, o Herr, bist Licht; du entzündest in ihnen die Liebe, denn du, o Herr, bist Liebe; du wohnst in ihnen und erfüllst sie, um sie zu beseligen; denn du, o Herr, bist das höchste Gut, das ewige Gut, von dem alles Gute kommt und ohne welches es kein Gut gibt.
Geheiligt werde dein Name. Es leuchte in uns die Kenntnis von dir, auf daß wir inne werden, welches sei die Breite deiner Wohltaten, die Länge deiner Verheißungen, die Höhe deiner Majestät und die Tiefe deiner Gerichte.
Zukomme uns dein Reich: Damit du herrschest in uns durch die Gnade und du uns in dein Reich gelangen lässest, wo man dich unverschleiert schaut, vollkommen liebt, durch deine Gesellschaft beglückt wird und deiner ewig genießt.
Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden: Damit wir dich lieben aus ganzem Herzen, indem wir stets an dich denken, aus ganzer Seele, indem wir stets uns nach dir sehnen, aus ganzem Gemüte, indem wir alle unsere Absichten auf dich lenken und deine Ehre in allen Dingen suchen, aus allen unsern Kräften, indem wir alle Kräfte des Leibes und der Seele zu nichts anderem als zu deiner Liebe verwenden, und damit wir unsere Nächsten lieben wie uns selbst, indem wir alle nach Kräften deiner Liebe zuführen, uns über das Wohl anderer wie über unser eigenes freuen, andere im Unglück bemitleiden und niemand im geringsten beleidigen.
Unser tägliches Brot, deinen geliebten Sohn, unsern Herrn Jesus Christus, gib uns heute zum Gedächtnis und zur Erkenntnis und zur Verehrung der Liebe, die er zu uns gehegt, und alles dessen, was er für uns gesprochen, getan und ertragen hat.
Und vergib uns unsere Schulden: Durch deine unaussprechliche Barmherzigkeit, durch die Kraft des Leidens deines geliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, und durch die Verdienste und die Fürbitte der allerseligsten Jungfrau Maria und aller deiner Auserwählten.
Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern: und was wir nicht vollkommen vergeben, das lasse du, o Herr, uns vollkommen vergeben, daß wir unsere Feinde wegen dir wahrhaftig lieben und für sie zu dir andächtig beten, daß wir niemand Böses mit Bösern vergelten, sondern uns bemühen, allen in dir nützlich zu sein.
Und führe uns nicht in Versuchung, weder in eine geheime noch eine offenbare, weder in eine plötzliche noch eine ungestüme.
Sondern erlöse uns von dem Übel, dem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen. Amen.

Lobpreisungen des allmächtigen Gottes
Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott der Allmächtige, der da ist und der da war und der da sein wird. (Offenb. 4, 8) Laßt uns ihn loben und preisen in Ewigkeit. Würdig bist du, Herr, unser Gott, zu empfangen Lob, Ruhm und Ehre und Preis. Laßt uns ihn loben und preisen in Ewigkeit.

Würdig ist das Lamm, das getötet worden ist, zu empfangen die Macht und Gottheit und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Lobpreisung. (Offenb. 4, 11) Laßt uns ihn loben und preisen in Ewigkeit.

Laßt uns loben den Vater und den Sohn mit dem Heiligen Geiste. Lasset uns ihn loben und preisen in Ewigkeit.

Preiset den Herrn, alle Werke des Herrn. (Dan. 3, 57) Lasset uns ihn loben und preisen in Ewigkeit.

Lobpreiset Gott, alle seine Diener und die ihr Gott fürchtet, groß und klein. (Offenb. 19, 5) Lasset uns ihn loben und preisen in Ewigkeit.

Es sollen ihn loben in seiner Herrlichkeit Himmel und Erde und alle Geschöpfe, die im Himmel und auf Erden sind und unter der Erde und auf dem Meere und in demselben. Laßt uns ihn loben und preisen in Ewigkeit. Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste. Laßt uns ihn loben und preisen in Ewigkeit. Wie es war im Anfange, jetzt und zu allen Zeiten und in Ewigkeit. Amen. Laßt uns ihn loben und preisen in Ewigkeit.

Aus: Die Schriften des Heiligen Franziskus von Assisi«. Neue deutsche Übersetzung nebst Einleitung und Anmerkungen von P. Maternus Rederstorff O.F.M., Generallektor der Philosophie, Apost. Pönitenziar an der Lateranbasilika, Rom. S.162-165, © 1910 Verlag Friedrich Pustet Regensburg, Rom, New York und Cincinnati
Auch enthalten in: Franz von Assisi, Ausgewählte Texte. Herausgegeben von Hans Christian Meiser S.117-120, Goldmann Taschenbuch 11047

Du bist der Heilige, Herr, einziger Gott, der du Wunder wirkest. Du bist der Starke. Du bist der Große. Du bist der Allerhöchste. Du bist der allmächtigste König, du, heiliger Vater, König des Himmels und der Erde. Du bist der Dreifaltige und Eine Herr und Gott; alles Gute. Du bist das Gute, alles Gute, das höchste Gut, Herr, Gott, der Lebendige und Wahrhaftige. Du bist die Güte, die Liebe. Du bist die Weisheit. Du bist die Demut. Du bist die Geduld. Du bist die Sicherheit. Du bist die Ruhe. Du bist die Freude und die Fröhlichkeit. Du bist die Gerechtigkeit und die Mäßigkeit. Du bist aller Reichtum bis zur Genüge. Du bist die Schönheit. Du bist die Sanftmut. Du bist der Beschützer. Du bist der Wächter und Verteidiger. Du bist die Stärke. Du bist die Erfrischung. Du bist unsere Hoffnung. Du bist unser Vertrauen. Du bist unsere große Süßigkeit. Du bist unser ewiges Leben, der große und wunderbare Herr, der allmächtige Gott, der barmherzige Erlöser.
Aus: Die Schriften des Heiligen Franziskus von Assisi«. Neue deutsche Übersetzung nebst Einleitung und Anmerkungen von P. Maternus Rederstorff O.F.M., Generallektor der Philosophie, Apost. Pönitenziar an der Lateranbasilika, Rom. S.169f., © 1910 Verlag Friedrich Pustet Regensburg, Rom, New York und Cincinnati
Auch enthalten in: Franz von Assisi, Ausgewählte Texte. Herausgegeben von Hans Christian Meiser S.122, Goldmann Taschenbuch 11047

Bitte für die Königin der heiligen Weisheit, der heiligen Liebe und der heiligsten Tugenden
Sei gegrüßt, o Königin der Weisheit, der Herr behüte dich mit deiner Schwester, der heiligen reinen Einfalt! O Herrin, heilige Armut, der Herr behüte dich mit deiner Schwester, der heiligen Demut. Herrin, heilige Liebe, der Herr behüte dich mit deinem Bruder, dem heiligen Gehorsam! Heiligste Tugenden alle, euch behüte der Herr, von dem ihr ausgehet und kommet! Es gibt keinen einzigen Menschen auf der ganzen Welt, der nur eine von euch besitzen kann, ohne vorher sich selbst abzusterben. Wer eine besitzt, und die anderen nicht verletzt, der besitzt sie alle; und wer eine verletzt, der besitzt keine und verletzt sie alle. Und eine jede macht die Laster und Sünden zuschanden. Die heilige Weisheit beschämt den Satan und all seine Bosheit. Die reine heilige Einfalt beschämt all die Weisheit dieser Welt und die Weisheit des Fleisches. Die heilige Armut beschämt die Habsucht, den Geiz und die Sorgen dieser Welt. Die heilige Demut beschämt den Stolz und alle Menschen dieser Welt und alles, was in der Welt ist. Die heilige Liebe beschämt alle teuflischen und fleischlichen Versuchungen und jede fleischliche Furcht. Der heilige Gehorsam beschämt alle sinnlichen und fleischlichen Wünsche; er bewahrt den Leib unter der Knechtschaft des Geistes und macht ihn seinem Bruder untertänig, sowie allen Menschen dieser Welt, ja nicht nur den Menschen, sondern auch allen Tieren, zahmen und wilden, so daß sie mit ihm machen können, was sie wollen, insoweit es ihnen von dem Herrn des Himmels gestattet ist.
Aus: Die Schriften des Heiligen Franziskus von Assisi«. Neue deutsche Übersetzung nebst Einleitung und Anmerkungen von P. Maternus Rederstorff O.F.M., Generallektor der Philosophie, Apost. Pönitenziar an der Lateranbasilika, Rom. S.167/8, © 1910 Verlag Friedrich Pustet Regensburg, Rom, New York und Cincinnati
Auch enthalten in: Franz von Assisi, Ausgewählte Texte. Herausgegeben von Hans Christian Meiser S.121/2, Goldmann Taschenbuch 11047