Hippokrates (um 460 – 375 v. Chr.)
Griechischer
Arzt, Gründer der Ärzteschule von Kos und Begründer
der wissenschaftlichen Heilkunde. Nach Hippokrates sind die Ursachen der Krankheit in einer fehlerhaften Mischung der Körpersäfte zu finden. Hippokrates gilt als Verfasser oder
geistiger Vater zahlreicher Schriften, die im »Corpus
Hippocraticum« zusammengefasst sind. Der
Eid des Hippokrates, der aber in der überlieferten
Form vermutlich nicht von Hippokrates selbst
stammt, verpflichtet noch heute jeden Arzt in seiner Grundeinstellung. Siehe auch Wikipedia |
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Inhaltsverzeichnis
Göttliche
und menschliche Einsicht. Natur und Brauch
Die Menschen aber verstehen nicht, im Sichtbaren das Unsichtbare
zu schauen. Sie üben nämlich Künste, die der menschlichen Natur
ähnlich sind, und erkennen es nicht. Die göttliche
Vernunft lehrte sie, was in ihnen vorgeht, nachzuahmen, indem sie erkennen,
was sie tun, aber nicht erkennen, was sie nachahmen. Denn alles ist ähnlich,
indem es unähnlich ist, und alles ist verträglich, indem es abträglich
ist, es redet und redet nicht, es hat Vernunft und ist unvernünftig. Entgegengesetzt
ist die Weise eines jeden und doch übereinstimmend. Denn Brauch und Natur,
wonach wir alles ausführen, stimmen nicht überein, obwohl sie übereinstimmen.
Den Brauch haben die Menschen sich selbst gesetzt, ohne zu erkennen, worüber
sie ihn setzten; die Natur von allem aber haben die Götter
geordnet. Was nun die Menschen setzten, bleibt niemals sich selbst gleich, sei
es nun richtig oder nicht. Was aber die Götter setzten, ist immer richtig,
das Richtige sowohl wie das Nichtrichtige. So groß ist der Unterschied. S.286
Aus: Hippokrates, Ausgewählte Schriften:
Aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Hans Diller . Mit
einem bibliographischen Anhang von Karl-Heinz Leven
Reclams Universalbibliothek Nr. 9319. © 1994 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlags
Der
Eid des Hippokrates
1. Ich schwöre und rufe Apollon den Arzt und Asklepios und
Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, daß
ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner
Einsicht erfüllen werde.
Ich werde den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich meinen Eltern achten,
ihn an meinem Unterhalt teilnehmen lassen, ihm, wenn er in Not gerät, von
dem Meinigen abgeben, seine Nachkommen gleich meinen Brüdern halten und
sie diese Kunst lehren, wenn sie sie zu lernen verlangen, ohne Entgelt und Vertrag.
Und ich werde an Vorschriften, Vorlesungen und aller übrigen Unterweisung
meine Söhne und die meines Lehrers und die vertraglich verpflichteten und
nach der ärztlichen Sitte vereidigten Schüler teilnehmen lassen, sonst
aber niemanden.
2. Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.
3. Auch werde ich niemandem ein tödliches Mittel geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und werde auch niemanden dabei beraten; auch werde ich keiner Frau ein Abtreibungamittel geben.
4. Rein und fromm werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.
5. Ich werde nicht schneiden, sogar Steinleidende nicht, sondern werde das den Männern überlassen, die dieses Handwerk ausüben.
6. In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, frei von jedem bewußten Unrecht und jeder Übeltat, besonders von jedem geschlechtlichen Mißbrauch an Frauen und Männern, Freien und Sklaven.
7. Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mir Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.
8. Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir
beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen
bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete
und breche, so geschehe mir das Gegenteil. S. 8-10
Aus: Hippokrates, Ausgewählte Schriften: Aus
dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Hans Diller . Mit einem
bibliographischen Anhang von Karl-Heinz Leven
Reclams Universalbibliothek Nr. 9319 . © 1994 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlags
Die
heilige Krankheit
Polemik gegen die magische Auffassung und
Behandlung der Epilepsie
Mit der sogenannten heiligen Krankheit verhält es sich folgendermaßen:
sie ist nach meiner Ansicht keineswegs göttlicher oder heiliger als die
anderen, sondern wie die anderen Krankheiten so hat auch sie eine natürliche
Ursache, aus der sie entsteht. Die Menschen aber haben angenommen, sie sei eine
göttliche Schickung, weil sie ihnen fremdartig vorkam und sie sich darüber
wunderten, daß sie in keiner Weise anderen Krankheiten gleicht. Nun bleibt
zwar in der Unmöglichkeit, sie zu erkennen, ihr göttlicher Charakter
erhalten, aber in den vielen Möglichkeiten, wie man glaubt, sie heilen
zu können, geht er verloren. Man versucht nämlich, sie mir Reinigungen
und Besprechungen zu heilen.
Wenn sie aber wegen ihrer wunderbaren Art als göttlich gelten soll, so
wird es, wenn es darauf ankommt, viele heilige Krankheiten geben. Denn ich will
zeigen, daß es andere Krankheiten gibt, die um nichts weniger erstaunlich
und wunderbar sind, die aber niemand für heilig hält. Erstens scheinen
mir die Quotidiana-, Terriana- und Quarranafieber um nichts weniger heilig und
göttlichen Ursprungs zu sein als diese Krankheit, und doch wundert man
sich nicht über sie. Ferner sehe ich, wie Menschen ohne jeden deutlichen
Anlaß in Raserei verfallen und außer sich geraten und viel Sinnloses
tun, und ich weiß, daß im Schlaf viele stöhnen und schreien,
daß andere unter Alpdrücken leiden, wieder andere im Schlaf aufspringen,
nach draußen laufen und von Sinnen sind, bis sie erwachen; dann aber sind
sie gesund und wie früher bei klarem Verstand, aber bleich und schwach.
Und das geschieht mit ihnen nicht nur einmal, sondern häufig. Es gibt noch
viele andere derartige Zustände, über die im einzelnen zu reden zu
weit führen würde.
Ich meine nun: diejenigen, die zuerst diese Krankheit für heilig erklärt
haben, waren Menschen, wie sie auch jetzt noch als Zauberer, Entsühner,
Bettelpriester und Schwindler herumlaufen und beanspruchen, äußerst
gottesfürchtig zu sein und mehr als andere zu wissen. Diese Menschen nahmen
die göttliche Macht als Deckmantel ihrer Ratlosigkeit, weil sie nicht wußten,
wie sie den Kranken helfen sollten; und damit ihre Unwissenheit nicht offenbar
würde, brachten sie auf, daß diese Krankheit heilig sei. Indem sie
passende Gründe dafür angaben, suchten sie sich mit ihren Heilmethoden
zu sichern. Sie behandelten die Kranken mit Entsühnungen und Besprechungen
und verboten ihnen Bäder und viele Speisen, die kranken Menschen unbekömmlich
sind, so von Seefischen Barben, Schwarzschwänze, Pfriemenfische und Aale
— denn diese Fische sind besonders gefährlich —, ferner Fleisch
von Ziegen, Hirschen, Schweinen und Hunden — denn dieses Fleisch regt
am meisten die Verdauungsorgane auf —, von Vögeln Hühner, Tauben
und Trappen und was sonst als besonders schwer gilt, an Gemüse Minze, Knoblauch
und Zwiebeln; denn Scharfes ist dem Kranken auf keinen Fall zuträglich.
Ferner verboten sie, schwarze Kleider zu tragen — denn Schwarz ist die
Farbe des Todes —, auf Ziegenfellen zu schlafen oder sich in sie zu kleiden
oder Fuß auf Fuß zu setzen oder Hand auf Hand zu legen — denn
dies alles sei hemmend für das Wohlbefinden. Alle diese Vorschriften gaben
sie wegen des göttlichen Charakters der Krankheit, als ob sie mehr wüßten
und andere Ursachen als andere Menschen angeben könnten, damit, wenn der
Kranke gesund wird, ihnen der Ruhm der Geschicklichkeit gehöre, wenn er
aber stirbt, sie sich in Sicherheit verteidigen und etwas dafür anführen
könnten, daß nicht sie schuld seien, sondern die Götter. Denn
sie haben ja weder feste noch flüssige Medizin einzunehmen gegeben noch
die Kranken in warme Bäder gesteckt, so daß der Eindruck entstehen
könnte, sie seien schuld. Dagegen meine ich, wenn es an Ziegenleder und
Ziegenfleisch läge, würde von den Afrikanern im Innern des Landes
keiner gesund sein; denn diese haben keine Decke, kein Kleid und keine Schuhe,
die nicht aus Ziegenleder gemacht wären, da sie ja kein anderes Vieh als
Ziegen besitzen. Wenn aber tatsächlich die erwähnten Speisen, wenn
man zu sich nimmt, die Krankheit erzeugen und verstärken, wenn man sie
aber nicht nimmt, sie heilen, dann ist ja nicht die Gottheit daran schuld, und
es helfen nicht die Entsühnungsriten, sondern was heilt und schadet, das
sind die Nahrungsmittel, und die Einwirkung der Gottheit wird ausgeschaltet.
So scheint es mir, daß die, die auf solche Weise diese Krankheiten zu
heilen versuchen, sie weder für heilig noch für göttlich halten.
Denn wenn sie durch derartige Riten und durch eine solche Behandlung beseitigt
werden, wie sollten sie dann nicht auch infolge anderer Praktiken dieser Art
die Menschen befallen? Dann wäre also nicht mehr das Göttliche schuld,
sondern etwas Menschliches. Denn wer imstande ist, durch Entsühnung und
Zauberei ein solches Leiden zu entfernen, der kann es mit andern Praktiken auch
zufügen. Wenn man sich das überlegt, kann man nicht mehr von göttlicher
Einwirkung reden. Mit solchen Behauptungen und Vorkehrungen stellen die Behandelnden
sich, als wüßten sie mehr als andere, und täuschen die Menschen,
indem sie ihnen Sühnungs- und Reinigungsvorschriften geben, und der größte
Teil ihrer Reden läuft auf göttliche und dämonische Einwirkung
hinaus. Mir allerdings scheint es, daß ihre Reden nichts mit Frömmigkeit
zu tun haben, wie sie meinen, sondern vielmehr mit Unfrömmigkeit, und daß
sie auf der Voraussetzung beruhen, daß die Götter nicht existieren.
Die Frömmigkeit aber und das Göttliche, wovon sie reden, ist unfromm
und widergöttlich, wie ich jetzt zeigen werde.
Wenn sie nämlich behaupten, sie können den Mond vom Himmel herabziehen,
die Sonne verfinstern, Sturm und gutes Wetter, Regen und Dürre hervorrufen,
das Meer befahrbar und die Erde unfruchtbar machen und verständen sich
auf alles andere dieser Art, mag dies nun nach ihrer Behauptung durch Weihen
oder durch irgendeine andere Einsicht oder Übung geschehen können,
so scheinen mir auf jeden Fall die, die solches betreiben, weder zu glauben,
daß es Götter gibt, noch daß diese, wenn es sie gibt, Macht
haben. Daher würden sie auch nicht vor dem schlimmsten Frevel aus Rücksicht
gegen die Götter zurückschrecken, da diese ihnen keine Furcht einflößen.
Denn wenn ein Mensch mit Zauberei und Opfern den Mond vom Himmel holen, die
Sonne verfinstern und Sturm und gutes Wetter machen kann, so glaube ich nicht,
daß etwas hiervon göttlich ist, sondern das ist Menschenwerk; wird
hierbei doch die Kraft des Göttlichen von menschlicher Einsicht überwältigt
und unterjocht.
Vielleicht ist es aber gar nicht so, sondern die Menschen ersinnen, weil sie
doch etwas zu leben haben müssen, vielerlei und schmücken es aus,
wie in anderen Fällen so besonders in Zusammenhang mit dieser Krankheit,
und legen für jede Form des Leidens einem Gott die Schuld bei. Und zwar
reden sie davon auf die verschiedenste Art und Weise. Wenn der Kranke nämlich
wie eine Ziege schreit und mit der rechten Seite zuckt, dann sagen sie, die
Göttermutter sei schuld; wenn er aber noch schriller und lauter schreit,
vergleichen sie es mit dem Wiehern eines Pferdes und sagen, Poseidon sei schuld;
wenn er dabei auch Kot abgehen läßt, was häufig bei den von
dieser Krankheit Befallenen vorkommt, wird die Krankheit nach der Enodia genannt;
ist der Kot dünner und geht häufiger ab, wie bei Vögeln, ist
Apollon Nomios schuld; wenn der Kranke Schaum vor dem Mund hat und mit den Füßen
um sich stößt, dann ist es Ares. Nächtliche Angstzustände,
Schreck, Wahnvorstellungen, Aufspringen vom Lager, Flucht nach draußen
nennen sie Anfälle der Hekate und Besessenheit von Heroen.
Und nun wenden sie Reinigungen und Besprechungen an und vollziehen, wie mir
scheint, eine ganz unheilige und gottlose Handlung. Denn sie reinigen die von
der Krankheit Befallenen mit Blut und anderen derartigen Mitteln, als ob sie
eine Befleckung hätten oder voll bösen Geistern befallen oder von
Menschen verzaubert wären oder etwas Böses getan hätten. Dabei
sollte man das Gegenteil mit ihnen machen: man sollte opfern und beten, sie
in die Heiligtümer tragen und zu den Göttern flehen. Aber man tut
nichts dergleichen mit ihnen, sondern man reinigt sie, und einen Teil des Unreinen
verbirgt man in der Erde, anderes wirft man ins Meer, wieder anderes trägt
man fort in die Berge, wo niemand hinkommen und es berühren kann. Man sollte
es aber in die Tempel bringen und dem Gott übergeben, wenn doch der Gott
schuld ist. Ich allerdings glaube nicht, daß eines Menschen Leib von dem
Gott befleckt wird, das Hinfälligste vom Reinsten. Vielmehr sollte der
menschliche Leib, wenn er von etwas anderem befleckt oder irgendwie geschädigt
ist, von der Gottheit entsühnt und gereinigt werden, statt daß er
von ihr befleckt würde. Das Göttliche ist es doch, das die größten
und ruchlosesten Verfehlungen entsühnt und reinigt und von uns abwäscht.
Wir selbst setzen in Grenzen für die Tempel und heiligen Bezirke der Götter,
daß keiner, der nicht rein ist, sie überschreitet, und wir treten
ein und lassen uns reinigen, nicht als ob wir befleckt würden, sondern
um, wenn wir vorher irgendeine Befleckung hatten, diese von uns abzutun. So,
scheint es mir, verhält es sich mit den Entsühnungen.
Die
Epilepsie entsteht durch Vererbung und ist an eine bestimmte Konstitution gebunden
Diese Krankheit aber ist nach meiner Ansicht in keiner Weise göttlicher
als die übrigen, sondern sie ist in demselben Sinne göttlichen Ursprungs
wie alle anderen Krankheiten und nicht weniger heilbar als sie, sofern sie nicht
schon von langer Zeit her eingewurzelt ist, so daß sie stärker ist
als die Arzneien, die man dem Kranken eingibt. Wie die anderen Krankheiten hat
sie ihren Ursprung in der Vererbung. Denn wenn aus einem Menschen mit schleimiger
Konstitution ein schleimiger Mensch und aus einem mit galliger Konstitution
ein galliger entsteht, weiter aus einem Schwindsüchtigen ein Schwindsüchtiger
und aus einem Milzsüchtigen ein Milzsüchtiger, warum sollte dann nicht
einer der Nachkommen, dessen Vater oder Mutter von dieser Krankheit befallen
war, auch von ihr befallen werden? Denn der Same kommt von allen Teilen des
Körpers, von den gesunden gesunder und von den kranken kranker. Nun noch
ein anderer wichtiger Beweis dafür, daß diese Krankheit in keiner
Weise göttlicher ist als die übrigen: sie befällt die von Konstitution
Schleimigen, die Galligen aber nicht. Wenn sie aber göttlicher ist als
die anderen Krankheiten, müßte sie alle Konstitutionen in gleicher
Weise befallen und keinen Unterschied zwischen Schleimigen und Galligen machen.
Aus: Hippokrates, Ausgewählte Schriften
Aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Hans Diller . Mit
einem bibliographischen Anhang von Karl-Heinz Leven
Reclams Universalbibliothek Nr. 9319 (S. 164-169)
© 1994 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
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