Hoimar von Ditfurth [eigentl. Hoimar Gerhard Friedrich von Ditfurth] (1921 - 1989)

Deutscher Sachbuchautor und Wissenschaftsjournalist, der Professor der für Psychiatrie und Neurologie war. 1980 erhielt Hoimar von Ditfurth in Anerkennung seiner publizistischen Verdienste den Kalinga-Preis der UNESCO.

Ausführliche biographische Daten zu Person und Werk sind auf der empfehlenswerten Website
Hoimar von Dithfurth enthalten


Siehe auch Wikipedia

Inhaltsverzeichnis
Wo die Realität nicht enden kann
Die geistige Dimension


Wo die Realität nicht enden kann
Religion ist in ihrem Kern die Überzeugung von der Realität einer die erlebte Wirklichkeit umfassenden, sie transzendierenden jenseitigen Wirklichkeit.

Dieser zentrale religiöse Begriff aber musste im Rahmen eines statischen Weltbildes, eines die Welt und den Menschen als unverändert und endgültig ansehenden Verständnisses im Laufe der Zeit an Überzeugungskraft verlieren. Er geriet in dem Augenblick in Gefahr, in dem sich die Möglichkeit abzeichnete, dass es dem menschlichen Verstande gelingen könnte, die Welt zu verstehen. Angesichts einer in sich geschlossenen, rational verständlichen Gesetzen gehorchenden Welt nahm die Frage nach dem Jenseits zwangsläufig einen mehr und mehr rhetorischen Charakter an: Wo denn sollte dieses Jenseits eigentlich noch existieren können?

Je weiter die menschliche Ratio in die Tiefen dieser Welt eindrang, um so kleiner wurde der Raum, in dem die Theologen ihren Himmel noch unterbringen konnten. Der Biologe Ernst Haeckel sprach ebenso bissig wie — im Rahmen des statischen Weltbildes — treffend von der zunehmenden »Wohnungsnot Gottes«.

Denn die von den Theologen unbeirrt vorgetragene Behauptung, dass
das Reich Gottes »jenseits« dieser Welt liege, schien — in einer abgeschlossenen Welt ausgesprochen — auf einen Ort zu verweisen, für den sich, in jedem Sinne dieses Wortes, kein Platz mehr finden ließ.

In einer noch werdenden, ihrer Vollendung durch Evolution erst noch entgegengehenden Welt ergeben sich ganz andere Voraussetzungen.

Die Tatsache der Evolution — ausgerechnet dieses von vielen Mitmenschen noch immer als angeblich religionsfeindlich abgelehnte Konzept! — hat uns die Augen dafür geöffnet, dass die Realität dort nicht enden kann, wo die von uns erlebte Wirklichkeit zu Ende ist. Nicht die Philosophie, nicht die klassische Erkenntnistheorie, die Evolution erst zwingt uns zur Anerkennung einer den Erkenntnishorizont unserer Entwicklungsstufe unerme
sslich übersteigenden »weltimmanenten Transzendenz«.

Diese ist, wie ich ausdrücklich wiederholen möchte, keineswegs etwa schon identisch mit dem Jenseits der Theologen. Ihre Entdeckung aber bewirkt so etwas wie eine Öffnung unserer bisher gegen jede ernst zu nehmende derartige Möglichkeit so erbarmungslos geschlossen wirkenden Welt. Eine Öffnung, hinter der eine ontologische Stufenleiter immer vollendeter entwickelter Erkenntnisebenen sichtbar wird, als deren letzte wir uns dann, ohne dass uns jemand widersprechen könnte, auch jenen »Himmel« denken dürfen, in dem nach religiösem Verständnis der Schlüssel liegt zum Sinn unserer unvollkommenen Welt.

Aus: Hoimar von Ditfurth: Wir sind nicht von dieser Welt, Naturwissenschaft, Religion und die Zukunft des Menschen S.300-301
Hoffman und Campe Verlag, Hamburg Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis von Frau Heilwig von Ditfurth

Die geistige Dimension
Das Gehirn hat das Denken nicht erfunden, so hatten wir schon am Anfang festgestellt. So wenig, wie die Beine das Gehen erfunden haben oder die Augen das Sehen. Beine sind die Antwort der Evolution auf das Bedürfnis nach Fortbewegung auf dem festen Boden gewesen. Und Augen waren eine Reaktion der Entwicklung auf die Tatsache, daß die Oberfläche der Erde von einer Strahlung erfüllt ist, die von festen Gegenständen reflektiert wird. Dieser Umstand erst gab der Evolution die Möglichkeit, Organe zu entwickeln, die sich dieser Strahlung zur Orientierung bedienten.

So gesehen sind Augen also ein Beweis für die Existenz der Sonne. So, wie Beine ein Beweis sind für das Vorhandensein festen Bodens und ein Flügel ein Beweis für die Existenz von Luft. Deshalb dürfen wir auch vermuten, daß unser Gehirn ein Beweis ist für die reale Existenz einer von der materiellen Ebene unabhängigen Dimension des Geistes.

Wenn wir diesen Gedanken verfolgen, stoßen wir auf die wohl grundlegendsten aller unserer anthropozentrischen Missverständnisse und Selbsttäuschungen: Es ist doch eine wahrhaft aberwitzige Vorstellung, wenn wir immer so tun, als sei das Phänomen des Geistes erst mit uns selbst in dieser Welt erschienen. Als habe das Universum ohne Geist auskommen müssen, bevor es uns gab.

Genau die umgekehrte Perspektive dürfte dem wahren Sachverhalt sehr viel näherkommen: Geist gibt es in der Welt nicht deshalb, weil wir ein Gehirn haben. Die Evolution hat vielmehr unser Gehirn und unser Bewusstsein allein deshalb hervorbringen können, weil ihr die reale Existenz dessen, was wir mit dem Wort Geist meinen, die Möglichkeit gegeben hat, in unserem Kopf ein Organ entstehen zu lassen, das über die Fähigkeit verfügt, die materielle mit dieser geistigen Dimension zu verknüpfen.

Aus: Hoimar von Ditfurth, Der Geist fiel nicht vom Himmel, Die Evolution unseres Bewußtseins, S.318
Deutscher Taschenbuch Verlag, dtv 1587 Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis von Frau Heilwig von Ditfurth