Philipp Melanchthon, griech. für Schwarzert (1497 – 1560)
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Deutscher
Humanist, reformatorischer Theologe
und ältester Sohn des kurpfälzischen Rüstmeisters Georg Schwarzert. Nach Studien an den Universitäten Heidelberg und Tübingen, wurde
Melanchthon 1514 - im Alter von 17 Jahren - Magister und Lehrer für alte Sprachen in Tübingen. Auf Empfehlung seines Großonkels Reuchlin wurde er 1518 als Professor der griechischen Sprache nach Wittenberg berufen,
wo er bis zu seinem Lebensende griechische und lateinische Literatur, Rhetorik,
Dialektik, philosophische Ethik und unter dem Einfluss Luthers (dessen enger
Mitarbeiter er 1519 wurde) auch biblische Exegese und Dogmatik lehrte. 1521 verfasste er die erste wissenschaftliche Formulierung der reformatorischen
Theologie (»Loci communes rerum theologicarum«). Seit dem Marburger
Religionsgespräch (1529) war er an allen wichtigen Religionsgesprächen beteiligt. Er wollte die Reformen auf friedlichem Weg durchsetzen und die
Einheit des christlichen Abendlandes erhalten. Dem entsprach seine nachgiebige
Haltung auf dem Augsburger Reichstag (1530) und nach dem Augsburger Interim (1548). Unter humanistischen Einflüssen (Erasmus) entfernte er sich
im Lauf der Zeit von Luther. Der Wandel seiner theologischen Anschauungen zeigte sich insbesondere in seiner geistigen Deutung des Abendmahls sowie
in der stärkeren Betonung des freien Willens und der guten Werke. Nach Luthers Tod fiel ihm die Führung des Protestantismus zu. In seine letzten
Lebensjahre fielen die heftigen Lehrstreitigkeiten zwischen seinen Anhängern (»Philippisten«) und den strengen Lutheranern. Melanchthon hat zweifellos die Entwicklung der protestantischen Theologie entscheidend geprägt
und seine theologischen Formulierungen haben selbst Gegner tief beeindruckt.
Das »Augsburgische Bekenntnis« geht auf ihn zurück. Von bleibender Bedeutung ist auch seine Organisation des Hoch- und Lateinschulwesens, die ihm den Beinamen »Praeceptor Germaniae« (lat. »Lehrer
Deutschlands«) beitrug. |
Inhaltsverzeichnis
Gottes Bild im Menschen: Zerstörung und Wiederherstellung
>>>Christus
Gottes
Bild im Menschen: Zerstörung und Wiederherstellung
Gott wollte von der menschlichen Natur erkannt werden. Der Mensch sollte ein
solches Abbild Gottes sein, daß er die Ähnlichkeit wahrnähme
und verstünde. Die höchste Ähnlichkeit ist die Übereinstimmung
in Weisheit und Gerechtigkeit, wie sie nur bei einem vernünftigen Wesen
gegeben sein kann. Da das Gute gemeinschaftsbezogen ist, will Gott diese beiden
höchsten Qualitäten seines Gutseins dem Menschen mitteilen.
Folglich pflanzte er dem menschlichen Bewusstsein Kenntnisse ein, die auf
Sein und Wesen Gottes hinweisen. Denn über Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit
könnten wir uns kein Urteil bilden, wenn wir gar nicht wüßten,
wie Gott ist. Die erste Stufe der Ähnlichkeit ist der Besitz eines Denkvermögens
und der entsprechenden Weisheit.
Vor der Sünde war das Bild so beschaffen, daß alle Vermögen
mit Gott übereinstimmten. Im Verstand leuchtete die Erkenntnis Gottes,
der Wille und das Herz stimmten mit Gott überein; d. h., es eignete ihnen
die Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit, die im Einklang mit Gott war, und die
Freiheit des Willens war durch nichts behindert. Diesem seinem Bilde wohnte
Gott inne. Er hätte ihm ein durch keinen Tod begrenztes Leben und ewige
Freude gegeben, hätte der Mensch Gott, der ihn leiten wollte, nicht aus
sich vertrieben. Paulus spricht vom Ebenbild, wenn er im Brief an die Epheser
sagt: »Seht den neuen Menschen an, der Gott gemäß geschaffen
ist in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit.« Die Alte Kirche meint mit
Ebenbild nicht nur wie Augustinus die Seelenvermögen als solche, sondern
insofern, als in ihnen die Kenntnis Gottes leuchtet, sie mit Gott im Einklang
sind und ihm als Wohnung dienen.
Augustinus ordnet die Seelenvermögen so: Im Menschen ist
dreierlei sehr wichtig, das Bewußtsein, das den Gedanken erzeugt, der
Gedanke, welcher das Bild des gedachten Gegenstandes ist, und der Wille, welchem
Freude und Liebe innewohnen. Nach seiner Auffassung weisen diese Kräfte
gleichsam zeichenhaft auf die Unterscheidungen der Personen in der Heiligen
Dreieinigkeit. Den ewigen Vater bedeutet das den Gedanken erzeugende Bewußtsein,
das vom Gedanken gestaltete Bild bedeutet den Sohn, und der Wille den Hl. Geist.
Denn der ewige Vater, erzeugt, indem er sich selbst schaut und denkt, das Wort.
[...] Der Hl. Geist ist die wesenhafte und vom ewigen Vater und vom Sohn ausgehende
Liebe und Freude. Dies entspricht dem Willen und den Regungen des Herzens, die
den Tätigkeiten Energie und Form liefern.
Tatsächlich sind diese Seelenvermögen so beschaffen, daß sie
uns vieles über Gott lehren können. Obwohl die menschliche Natur jetzt
geschwächt ist, lassen sich doch der Seele, dem uns eingepflanzten Gesetz
Gottes und den Gewissensängsten, viele deutliche Zeugnisse über Gott
und die Vorsehung entnehmen. Dennoch ist die Seele ohne das Licht Gottes ein
entstelltes Bild.
Schon hier ist zweierlei zu betrachten: die Liebe Gottes zu uns und das Unheil,
das uns nach dem Sündenfall getroffen hat. Nicht durch Zufall haben sich
Atome zur menschlichen Natur zusammengesetzt. Noch immer sind das Wissen um
Gott und die unerschütterliche Unterscheidung von Ehrenhaftem und Schändlichem
in uns offenbare Zeugnisse von ihm, leuchtende Strahlen seiner Weisheit. Wie
groß muß doch die Liebe Gottes zum Menschengeschlecht sein, daß
er bei unserer Erschaffung etwas von den guten Eigenschaften in uns einfließen
ließ, die in ihm selbst die besten sind: eine für Weisheit und Gerechtigkeit
empfängliche Natur, Strahlen seiner Weisheit, die ihm entsprechende Gerechtigkeit,
Wahlfreiheit, Leben und ewige Freude. All dieses Gute legte er so in uns hinein,
daß er uns gleichzeitig selbst einwohnen, unsere Weisheit mehren und durch
seine Regungen uns leiten wollte. Was läßt sich Größeres
denken?
Wie wenig gleichen wir jetzt dem ersterschaffenen Menschen! Unser Denken ist
voller Finsternis und Zweifel an Gott. Im Willen und Herzen flackern die Flammen
in die Irre gehender Begierden, die Gott widerstreiten, unrechte Regungen von
Liebe und Haß. Von diesen Flammen werden die einen in die Wirrungen der
Wohllust, andere zum Mord, und wieder andere zu anderen Verbrechen getrieben.
Ja, die Dämonen dringen in die Brust der Gottlosen und stacheln viele dazu
an, ein furchtbares Durcheinander unter den Menschen anzurichten und unendliche
Verwüstungen. Laßt uns den Blick auf diese großen Übel
richten und sie mit ehrlichen Seufzern beklagen. Wiederum wollen wir aber auch
auf die Offenbarungen Gottes schauen, der uns, nachdem wir in solches Elend
gefallen waren, in seiner unendlichen Güte half, weil sein Sohn für
uns bittend eintrat. Dieser Sohn des ewigen Vaters, unser Herr Jesus Christus,
wurde zum Opfer für uns gegeben, damit er den Zorn des ewigen Vaters besänftige.
Er soll der ewige hohe Priester sein, der durch das Wort des Evangeliums die
Kirche sammelt, in welcher er den Versöhnungsbeschluß Gottes offenbart
hat. Dies spricht er auch selbst [...] in unserem Inneren aus, weist auf den
Vater, den er begütigt hat, und gießt den Hl. Geist in unsere Herzen
aus, damit wir in wahrhaftiger Liebe und Freude mit dem ewigen Vater und ihm
selbst verbunden sein sollen. So werden in uns Leben und ewige Gerechtigkeit
wiederhergestellt. Das Bild Gottes wird erneuert, und sein Wort leuchtet in
unserem Innern. Die Erkenntnis Gottes wird so klarer und gewisser, und der HI.
Geist entzündet in Herz und Wille Regungen im Einklang mit Gott. So sagt
Paulus zu den Korinthern: »Wie wir mit aufgedecktem Angesicht den Glanz
des Herrn schauen, so werden wir von Herrlichkeit zu Herrlichkeit gleichsam
vom Geist des Herrn in das gleiche Bild verwandelt.« Das heißt:
Wenn wir in wahrhafter Bekehrung den Sohn Gottes erkennen, der uns tröstet
und auf die Barmherzigkeit des ewigen Vaters hinweist, werden wir uns auch schon
der Gegenwart Gottes bewußt und bleiben nicht im Zweifel, ob Gott etwas
an uns liegt, sondern wir werden immer mehr zum Licht des Wortes, d. h. des
Sohnes, verwandelt; der Hl. Geist bestätigt in unseren Herzen die Zustimmung,
den Glauben, und entzündet dem Worte entsprechende Regungen. Wie in uns
eine Ordnung der Erkenntnis und des Willens besteht, [...] so entzündet
der Hl. Geist Freude, so daß wir Gott anrufen können, bestätigt
unsere Zustimmung und läßt noch andere Regungen entstehen, die mit
ihm in Einklang sind. Athanasius lehrt, das Ebenbild erneuere sich so, daß
es dem Sohne ähnlich werde, und in wem auch immer der Geist sei, in dem
sei er durch das Wort. All das sollen wir in täglicher Anrufung Gottes
lernen, die Zeugnisse, die er uns von sich selbst vorhält, sollen wir betrachten
und seine Güte wahrhaft dankbar preisen. Ich bezeichne also als Ebenbild
Gottes die Seelenvermögen, aber nur dann, wenn aus ihnen Gott hervorleuchtet
Das Ebenbild wird erst dann vollkommen sein, wenn in der himmlischen Kirche
Gott alles in allem sein wird.
Aus: Philipp Melanchthon, Glaube und Bildung -Texte
zum christlichen Humanismus Lateinisch/Deutsch
Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Günther R. Schmidt
Reclams Universalbibliothek Nr. 8609 (S. 81-87)
© 1989 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlags