Moses Mendelssohn (1728 - 1786)
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Deutsch-jüdischer Philosoph, der von dem mit ihm eng befreundeten Lessing zu philosophischen Veröffentlichungen motiviert wurde. 1755 verfasst er mit ihm zusammen (anonym) die satirische Replik auf eine Preisfrage der Berliner Akademie (»Pope ein Metaphysiker!«). In dem Mittelpunkt seines Denkens standen Fragen, die sich mit dem »Dasein Gottes« und der »Unsterblichkeit der Seele« befassten. In seinem 1767 erschienenen Buch »Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drey Gesprächen« gelang es ihm, die klassischen Beweise für die U der Seele - unter Verzicht auf offenbarungstheologische Argumente - in einer scheinbar rationalen und auch den Durchschnittsleser ansprechenden Weise verständlich zusammenzufassen. Mendelssohn wurde damit zu einem der populärsten Vertreter der Leibniz-Wolffschen Schule. Mit seiner Beweisführung setzte sich Kant noch in seiner »Kritik der reinen Vernunft« auseinander. Mendelssohn lag insbesondere auch die Forderung der Toleranz am Herzen. Als ihn der Züricher Theologe Johann Kaspar Lavater öffentlich dazu aufforderte, die von Charles Bonnet aufgestellten »Beweise für das Christentum« zu widerlegen oder zum Christentum überzutreten, verteidigte er sein Judentum – und musste eine Welle antisemitischer Angriffe über sich ergehen lassen. Seine Übersetzungen des Pentateuch, des Psalters und des Hohenliedes aus dem Hebräischen führten die deutsche Sprache in die jüdische Literatur ein und verbreiteten mit ihr unter den Juden den Gedanken der Aufklärung und der Emanzipation. Als erster jüdischer Philosoph interpretierte er die jüdische Religion mit Begriffen der zeitgenössischen Philosophie. Als Friedrich Heinrich Jacobi ohne Mendelssohns Zustimmung dessen Briefe über Lessings Äußerungen zu Spinozismus veröffentlichte, führte das zu einer Auseinandersetzung, die unter dem Namen »Pantheismusstreit« berühmt wurde und die Mendelssohn u.a. zu seinem 1785 veröffentlichten Buch »Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes« inspirierte. Siehe auch Wikipedia , Kirchenlexikon und Projekt Gutenberg |
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Inhaltsverzeichnis
Gott denkt sich selber mit der lebendigsten Erkenntnis
Die unendliche Wirksamkeit der höchstlebendigen Kraft ist die Quelle des göttlichen Daseins
Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele
Gott
denkt sich selber mit der lebendigsten Erkenntnis
Alle Gedanken Gottes, in so weit sie das Beste zum Vorwurf haben, gelangen zur
Wirklichkeit.
1) Das absolute Beste. Gott denkt sich selber mit der lebendigsten Erkenntnis,
mit der allerhöchsten Selbstbilligung. Seine allerhöchste Kraft bringt
unaufhörlich in ihm selbst alle Prädikate hervor, die in einem Subjekte
sich vereinigen lassen, und diese sind so notwendig, als seine Denkbarkeit.
2) Das Beste secundum quid, oder das hypothetische. Gott denkt seine Eigenschaften
mit den unendlich mannigfaltigen Einschränkungen, mit welchen sie denkbar
sind. D.h. er denkt alle mögliche Abstufungen seiner Vollkommenheiten mit
dem einer jeden angemessenen Grade von Billigung und Wohlgefallen. Er denkt
sich alle mögliche Verbindungen dieser eingeschränkten Vollkommenheiten;
nicht in Einem Subjekte; denn sie sind unvereinbar; aber er denkt sie sich in
Verbindung vieler. Unter diesen möglichen Verbindungen vieler eingeschränkter
Wesen, wird Eine im Ganzen, Vergleichungsweise, die beste sein; so wie Jedes
Einzelne in derselben an seinem Orte und zu seiner Zeit das Beste sein muß.
Gott denkt sich diese vollkommenste Verbindung, und alle in derselben vorkommenden
nach Zeit und Ordnung eingeschränkten Dinge, in so weit sie das Beste sind,
mit dem höchsten Grade der Billigung. Billigungskraft hat zum Ziele die
Hervorbringung des Gegenstandes, das Bestreben den Gegenstand der Vorstellung
nach Maßgebung des Ideals zur Wirklichkeit zu bringen. Die Kraft des selbstständigen
Wesens wird also diese eingeschränkte Grade seiner Vollkommenheit und ihre
bestmögliche Verbindung hervorbringen; nicht in sich, denn sie sind mit
seinen Eigenschaften nicht vereinbar, sondern außer sich, als für
sich bestehende eingeschränkte Substanzen, jede mit der Veränderung
in Ort und Raume, mit welcher sie in Beziehung auf das Ganze das Beste sind.
Gott ist Schöpfer und Erhalter des besten Weltalls. [...]
Das notwendige Wesen denkt sich selbst, als schlechterdings notwendig; denkt die zufälligen Wesen, als auflösbar in unendliche Reihen; als Wesen, die ihrer Natur nach rückwärts eine Reihe ohne Anfang zu ihrem Dasein voraussetzen und vorwärts eine Reihe ohne Ende zur Wirklichkeit befördern. Bis hieher kann uns der Anhänger Spinozens zur Seite gehen, aber hier scheidet sich der Weg. Diese Reihe von zufälligen Dingen, sagen wir, haben außer Gott ihre eigene Substantialität; ob sie gleich nur als Wirkungen seiner Allmacht vorhanden sein können. Die endlichen Wesen bestehen für sich zwar abhängig vom Unendlichen, und ohne das Unendliche nicht denkbar; aber doch der Subsistenz nach mit dem Unendlichen nicht vereinigt. Wir leben, weben und sind, als Wirkungen Gottes, aber nicht in ihm. [...]
Die
unendliche Wirksamkeit der höchstlebendigen Kraft ist die Quelle des göttlichen
Daseins
Die Gedanken, als Gegenstand des Erkenntnisvermögens, sind in Gott im höchsten
Grade wahr. Das Unwahre, so wohl Irrtum, als Sinnentäuschung, findet in
dem göttlichen Verstande nur Statt, als Prädikat eingeschränkter
zufälliger Wesen. Er kennt mich samt allen meinen Mängeln und Schwachheiten;
also auch die Irrtümer meines Verstandes und die Täuschung meiner
Sinne. Als Gegenstand des Billigungsvermögens, kennt Gott das Böse
so wohl, als das Gute, beides nach der Wahrheit, d.h. mit dem ihnen auf das
genaueste angemessenen Grad der Billigung und Mißbilligung, und also das
Beste mit der kräftigsten Billigung, mit der lebendigsten Erkenntnis. Diese
dringt auf Wirksamkeit. Die höchstlebendige Kraft in Gott, die von unendlicher
Wirksamkeit ist, wirkt in ihm selbst die ihm zukommende Prädikate und ist
die Quelle seines eigenen Daseins, des absoluten Besten. Da aber auch das Beste
in Verbindung, optimum secundum quid, als Gedanke in Gott, seine Vergleichungsweise
höchste Billigung mit sich führt; so muß auch dieses vermöge
seiner höchstlebendigen Kraft zur Wirklichkeit kommen, und zwar nicht in
ihm; denn in ihm kann nur das absolute Beste vorhanden sein; sondern abgesondert
von seiner Substanz, eine außergöttliche Reihe und Verbindung zufälliger
Dinge, eine objektive Welt.
Aus: Moses Mendelssohn: Morgenstunden oder Vorlesungen
über das Daseyn Gottes, (S. 164-165, 171, 195-196)
Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsche
Veröffentlichung auf Philo-Website mit freundlicher Erlaubnis des Verlags
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