Franz Emanuel August Geibel (1815 – 1884)

  Deutscher Dichter mit national-konservativer Einstellung, der zunächst ein Theologiestudium begann, bald aber zur klassischen Philologie wechselte und 1852 von Maximilian II. als Professor der Ästhetik nach München berufen wurde. Geibel war u. a. bekannt mit Bettina von Arnim, Adelbert von Chamisso, Joseph von Eichendorff, Ferdinand Freiligrath und Justinus Kerner. Formal Klassizist, wurde er als Lyriker der deutschen Einigung unter Preußen gefeiert. Insbesondere sein - mit der Melodie einer böhmischen Volksweise vertontes - Gedicht »Der Mai ist gekommen«, ist volkstümliches Allgemeingut geworden.

Siehe auch Wikipedia, Kirchenlexikon
und Projekt Gutenberg

Inhaltsverzeichnis

Sprüche
Gebet
An die Gewaltsamen
Ostermorgen
Gebet (September 1848)
  Zwei Psalmen
Gesang des Priesters
Melancholie (Projekt Gutenberg)

>>>Christus
Judas Ischariot
 

Sprüche
1.
Am guten Alten
In Treuen halten,
Am kräf`tgen Neuen
Sich stärken und erfreuen,
Wird niemand gereuen.
2.
Tu du redlich nur das Deine,
Tu`s in Schweigen und Vertrau`n;
Rüste Balken, haue Steine!
Gott, der Herr wird bau`n.
3.
Du sollst nach frommer Sitte
Die Hände betend ineinander legen,
Die Hand andächt`ger Bitte
In die des Danks für empfangnen Segen.
4.
Religion und Theologie
Sind grundverschiedene Dinge,
Eine künstliche Leiter zum Himmel die,
Jene die angeborne Schwinge.
5.
Wohl mit jedem Bekenntnis verträgt ein frommes Gemüt sich,
Aber das fromme Gemüt hängt vom Bekenntnis nicht ab.
6.
Wollt ihr in der Kirche Schoß
Wieder die Zerstreuten sammeln,
Macht die Pforten breit und groß,
Statt sie selber zu verrammeln.
7.
Studiere nur und raste nie,
Du kommst nicht weit mit deinen Schlüssen;
Das ist das Ende der Philosophie,
Zu wissen, dass wir glauben müssen.
8.
Leicht ist`s, mit starken Konsequenzen
Als neuer Philosoph zu glänzen;
Doch ist`s ein schwerer Unterwinden,
Die rechten Voraussetzungen zu finden.
9.
Willst du den Unsinn überwinden,
Lern`ein Symbol der Wahrheit finden;
Die Welt wird nie das Abgeschmackte
Aufgeben für das bloß Abstrakte.
10.
Das Größeste ist das Alphabet,
Denn alle Weisheit steckt darin,
Aber nur der erkennt den Sinn,
Der`s recht zusammenzusetzen versteht. […]
15.
Wenn du des Daseins Kranz zu erwerben,
Wenn du dich selbst zu vollenden begehrst,
Leb`, als müßtest du morgen sterben,
Streb`, als ob du unsterblich wärst.
16.
Beklage dich nicht auf deinem Pfad,
Daß dir`s an Raum zum Handeln fehle;
Ein jeder Klang aus voller Seele
Ist eine wirkungsvolle Tat.
17.
»Wie soll ich mich im großen Schwalle
Zur Geltung bringen, sag`mir´s an!«
Mach`eins nur trefflicher als alle,
Nur eins, was so kein andrer kann.
18.
Was du gründlich verstehst, das mache,
Was du gründlich erfuhrst, das sprich!
Bist du Meister im eignen Fache,
Schmäht kein Schweigen im fremden dich.
Das Reden von allem magst du gönnen
Denen, die selbst nichts machen können. […]
22.
Lehr`nur die Jungen weisheitsvoll,
Wirst ihnen keinen Irrtum sparen;
Was ihnen gründlich helfen soll,
Das müssen sie eben selbst erfahren. […]
36.
Ja donnert Gott, ja, singt der Dichter,
Stell`etwas hin und laß sie schrein!
Der Teufel nur, der Splitterrichter,
Der selbst nichts schafft, sagt ewig: Nein. […]
60.
Der kleine Geist, fand er in Gott die Ruh,
Schließt vor der Welt sich ängstlich bangend zu;
Der große strebt, gestählt an Kraft und Sinnen,
Die Welt für Gott erobernd zu gewinnen. […]
70.
Halte fest am frommen Sinne,
Der des Grenzsteins nie vergaß!
Alles Heil liegt mitteninne,
Aber das Höchste bleibt das Maß.
Glücklich, wem die Tage fließen
Wechselnd zwischen Freud` und Leid,
Zwischen Schaffen und Genießen,
Zwischen Welt und Einsamkeit. […]
74.
Macht der Zeit verworrnes Stammeln ,
Macht ihr süßer Rausch dir Pein,
Kehr`, o Seele, dich zu sammeln,
Kehre bei dir selber ein.
Schon ein heilig ernster Wille
Zieht den Gott in deinen Kreis;
Bist du fromm und bist du stille,
So vernimmst du sein Geheiß.

Mag dir dann der Markt nicht lauschen,
Laß ihn stürmen, laß ihn rauschen
In besinnungsloser Hast!
Doch mit glücklicherem Geschlechte
Sitzest du die schönen Nächte
Bei der Zukunft schon zu Gast.
S.290ff.
Aus: Emanuel Geibels Werke, Vier Teile in einem Bande, Ausgewählt und herausgegeben von Dr. R. Schacht, Hesse & Becker Verlag, Leipzig

Gebet
Herr, den ich tief im Herzen trage, sei du mit mir!
Du Gnadenhort in Glück und Plage, sei du mit mir!
Im Brand des Sommers, der dem Manne die Wange bräunt,
Wie in der Jugend Rosenhage, sei du mit mir;
Behüte mich am Born der Freude vor Übermut,
Und wenn ich an mir selbst verzage, sei du mit mir!
Gib deinen Geist zu meinem Liede, daß rein es sei,
Und daß kein Wort mich einst verklage, sei du mit mir!
Dein Segen ist wie Tau der Reben; nichts kann ich selbst,
Doch daß ich kühn das Höchste wage, sei du mit mir!
O du mein Trost, du meine Stärke, mein Sonnenlicht,
Bis an das Ende meiner Tage sei du mit mir!
S.196
Aus: Emanuel Geibels Werke, Vier Teile in einem Bande, Ausgewählt und herausgegeben von Dr. R. Schacht, Hesse & Becker Verlag, Leipzig

An die Gewaltsamen
Der heil'ge Geist ist Gottes freie Gabe,
Das Wort ein Fels, ein ew'ger. Meint ihr gar,
Daß ihr ihn stützen mögt mit eurem Stabe?

Und dessen Hand ihn hielt zweitausend Jahr,
Daß auch kein Körnchen durfte davon splittern,
Wähnt ihr, er schlafe, weil ihr träumt Gefahr?

Kleingläubige, wie mögt ihr also zittern!
Nein! Laßt die Geister wandeln ihre Bahn!
Klar wird die Luft in Sturm und Ungewittern.

Und schwölle berghoch die Verneinung an
Wie eine neue Sündflut: mag sie schwellen!
Nicht eurem Machtspruch ist sie untertan.

Doch glaubt, ob Menschensatzung mag zerschellen:
Der wahren Kirche dreimal heilig Schiff
Treibt gleich der Arche sicher auf den Wellen.

Und wen die Sehnsucht nach dem Herrn ergriff:
Wie immer auch geheißen sei sein Glaube,
Er mag sich bergen drin vor Flut und Riff.

Und kommen wird der Tag, da bringt die Taube
Den Ölzweig heim: es wurzelt im Gestein
Des Schiffes Kiel, nicht mehr der Flut zum Raube.

Dann wird ein Hirt und eine Herde sein,
Verlaufen in der Tiefe sind die Wogen,
Verweht vom Winde ist das letzte: Nein!

Und auf den Wolken steht der Friedensbogen. S.233f.
Aus: Emanuel Geibels Werke, Vier Teile in einem Bande, Ausgewählt und herausgegeben von Dr. R. Schacht, Hesse & Becker Verlag, Leipzig

Ostermorgen
Die Lerche stieg am Ostermorgen
Empor ins klarste Luftgebiet
Und schmettert', hoch im Blau verborgen,
Ein freudig Auferstehungslied,
Und wie sie schmetterte, da klangen
Es tausend Stimmen nach im Feld:
Wach auf, das Alte ist vergangen,
Wach auf, du froh verjüngte Welt!

Wacht auf und rauscht durchs Tal, ihr Bronnen,
Und lobt den Herrn mit frohem Schall!
Wacht auf im Frühlingsglanz der Sonnen,
Ihr grünen Halm' und Läuber all!
Ihr Veilchen in den Waldesgründen,
Ihr Primeln weiß, ihr Blüten rot,
Ihr sollt es alle mit verkünden:
Die Lieb' ist stärker als der Tod.

Wacht auf, ihr trägen Menschenherzen,
Die ihr im Winterschlafe säumt,
In dumpfen Lüsten, dumpfen Schmerzen
Ein gottentfremdet Dasein träumt.
Die Kraft des Herrn weht durch die Lande
Wie Jugendhauch, o laßt sie ein!
Zerreißt wie Simson eure Bande,
Und wie der Adler sollt ihr sein.

Wacht auf, ihr Geister, deren Sehnen
Gebrochen an den Gräbern steht,
Ihr trüben Augen, die vor Tränen
Ihr nicht des Frühlings Blüten seht,
Ihr Grübler, die ihr fern verloren
Traumwandelnd irrt auf wüster Bahn,
Wacht auf! Die Welt ist neugeboren,
Hier ist ein Wunder, nehmt es an!

Ihr sollt euch all des Heiles freuen,
Das über euch ergossen ward!
Es ist ein inniges Erneuen
Im Bild des Frühlings offenbart.
Was dürr war, grünt im Wehn der Lüfte,
Jung wird das Alte fern und nah,
Der Odem Gottes sprengt die Grüfte -
Wacht auf! der Ostertag ist da.
S.235f.
Aus: Emanuel Geibels Werke, Vier Teile in einem Bande, Ausgewählt und herausgegeben von Dr. R. Schacht, Hesse & Becker Verlag, Leipzig

Gebet
(September 1848).
Herr, in dieser Zeit Gewog',
Da die Stürme rastlos schnauben,
Wahr', o wahre mir den Glauben,
Der noch nimmer mich betrog,

Der noch sieht in Nacht und Fluch
Eine Spur von deinem Lichte,
Ohne den die Weltgeschichte
Wüster Greuel nur ein Buch;

Daß, wo trostlos unbeschränkt
Dunkle Willkür scheint zu spielen,
Liebe doch nach ew'gen Zielen
Die verborgnen Fäden lenkt;

Daß, ob wir nur Einsturz schaun,
Trümmer, schwarzgeraucht vom Brande,
Doch schon leise durch die Lande
Waltet ein geheimes Baun;

Daß auch in der Völker Gang
Wehen deuten auf Gebären,
Und, wo Tausend weinten Zähren,
Einst Millionen singen Dank;

Ja, daß blind und unbewußt
Deiner Gnade heil'gen Schlüssen
Selbst die Teufel dienen müssen,
Wenn sie tun nach ihrer Lust.

Herr, der Erdball wankt und kreißt;
Laß, o laß mir diesen Glauben,
Diesen starken Hort nicht rauben,
Bis mein Geist dich schauend preist!
S.236f.
Aus: Emanuel Geibels Werke, Vier Teile in einem Bande, Ausgewählt und herausgegeben von Dr. R. Schacht, Hesse & Becker Verlag, Leipzig

Zwei Psalmen
1.
Aus diesem Tal des Kummers
Vernimm, o Herr, mein Flehen!
Voll Angst, beraubt des Schlummers
Lieg' ich die Nacht hindurch in heißen Wehen;
Durch mein Gebein rinnt irr ein fiebernd Grausen,
Die wilden Wasser gehen
Hoch über meine Seele hin mit Brausen.

Nicht weiß ich, wo ich bleibe,
Von Tränen strömt mein Bette;
Es ist an meinem Leibe
Gesundes nichts und nichts, was Frieden hätte.
Von Stöhnen heiser denk' ich meiner Fehle;
O rette, rette, rette
Aus dieses Jammers Abgrund meine Seele!

Wohl fühl' ich, ich bin schuldig,
Ich selbst an meinem Schaden:
Doch du bist, Herr, geduldig,
Ein Heiland und ein Arzt von großen Gnaden.
Und wäre Sünde, rot wie Blut, die meine,
Du kannst mich lauter baden,
Daß ich wie frischgefallner Schnee erscheine.

Du kannst auch lösen wieder
Dies Leid, das mir geschehen,
Kannst die zerschlagnen Glieder
Aufrichten, daß sie fest wie Säulen stehen.
O birg dein Antlitz nicht zu dieser Stunde!
Für Recht laß Gnad' ergehen,
Daß ich am Geist, daß ich am Leib gesunde!

Sieh an mein qualvoll Schwanken
Gleich der verdorrten Blume;
Wie soll mein Staub dir danken,
So du der Gruft mich gibst zum Eigentume?
Die Toten schweigen deiner Herrlichkeiten;
Doch hell zu deinem Ruhme
Will ich mein klingend Harfenspiel besaiten.

O hilf, daß ich den Zagen
Dein gnädig Walten deute,
Und wie du Not und Klagen
In Reigen kehrst und nimmst dem Tod die Beute.
Denn sanft im Säuseln kommst du nach dem Wetter;
O komm, o hilf auch heute,
Mein Fels und meine Burg, mein Hort und Retter!

2.
Nach schwerer Irrfahrt langen, bangen Stunden,
Nun endlich hat die Schwalb' ihr Nest gefunden.

Sie baut im Vorhof an des Herrn Altären,
Das ist die Statt, da trocknen alle Zähren.

Da säuseln in den Palmen Heimatlüfte,
Da blühn die Lilien, Frieden ihr Gedüfte.

Da springt wie Silber klar der Born der Gnaden,
Die Seele trinkt, und sie genest vom Schaden.

Die blutrot war von Sinnenlust und Grolle,
Wird rein wie Schnee und junger Lämmer Wolle.

Wo ist ihr Leid nun? Wie ein Traum zerronnen.
Wo bleibt ihr Seufzer? Er verging in Wonnen.

Ein Tag der Rast in diesen Säulenhallen
Ist mehr, denn draußen tausend Jahre wallen.

Und besser ist's, hier an den Schwellen wohnen,
Als in der Welt ob allen Reichen thronen.
S.284ff.
Aus: Emanuel Geibels Werke, Vier Teile in einem Bande, Ausgewählt und herausgegeben von Dr. R. Schacht, Hesse & Becker Verlag, Leipzig

Gesang des Priesters
Der du einst in freier Liebe
Dich in unsern Staub gebannt,
Unsrer Brust verworrne Triebe,
Ach, und all ihr Leid erkannt;
Der du selbst in jenen Tagen
Schmecktest der Versuchung Pein,
Denen, die im Kampf erlagen,
Reiner, kannst du gnädig sein.

Ach, du weißt, in Sehnsucht schweifen
Tausend Geister weit und breit;
Doch, vom Schein betört, ergreifen
Für das Wesen sie das Kleid.
Was nur geistlich mag gelingen,
Was nur göttlich kann erstehn,
Wollen sie im Fleisch vollbringen -
Sollen sie verloren gehn?

Die da suchen ohne Steuer
Heimwehbang ein Ruhgestad',
Die ein irres Liebesfeuer
Hintreibt auf der Sinne Pfad,
Die im Dämmer tauber Schachten
Graben nach der Wahrheit Licht,
Alle, die nach Freiheit schmachten,
Meinen dich und wissen's nicht.

O, beim Worte, das die Rächer
Von der Sünderin verwies,
Bei der Milde, die dem Schächer
Noch am Kreuz das Heil verhieß,
Bei dem Glanz, der himmlisch blendend
Um Damaskus' Weg geflammt
Und, den Sinn des Eifrers wendend,
Ihn gesalbt zum Botenamt:

Zeuch, o Herr, die durst'gen Seelen,
Die in dunkler Trostbegier
Im Vergänglichen sich quälen,
Zeuch sie liebend all zu dir!
Statt der Schale, dran sie kleben,
Laß sie schaun der Dinge Kern,
Steig in ihrem dunkeln Leben,

Steig empor als Morgenstern! S.286f.
Aus: Emanuel Geibels Werke, Vier Teile in einem Bande, Ausgewählt und herausgegeben von Dr. R. Schacht, Hesse & Becker Verlag, Leipzig