Philipp Nicolai (1556 - 1608)

Deutscher Theologe, protestantischer Pfarrer und Liederdichter, der zunächst als Prediger in Unna, dann als Pfarrer in Hamburg und zuletzt als Hauptpastor in der dortigen Katharinenkirche tätig war. In seinem 1599 erschienen »Freudenspiegel des ewigen Lebens« bekennt er, dass Gott nach seiner Erkenntnis bereits innerhalb dieser Welt und ihrer Zeit den einzelnen Menschen durch sein Wort in dem Mutterleib seiner Kirche »zum ewigen Leben gebiert«. Und da Gott die »unendliche, unermessliche Liebe« personifiziert, ist das ewige Leben nichts anderes als die Verwirklichung des Bundes von Liebe und Gegenliebe zwischen Gott, den Engeln und dem Menschen. »Die Engel und Menschen« sind »mit Gott und in Gott wie ein Kuchen …«. »Ihre Einigkeit und Verknüpfung ist ein Bund der Liebe. Ihr Licht und Klarheit ist ein Glanz und Schein der Liebe.« Im leiblichen Tode gehen dem »gottseligen Christen« die Augen und Ohren auf und »die Seele siehet, als wäre sie bisher blind gewesen, und höret, als wäre sie bisher taub gewesen«. In Gott bestehen »alle Dinge« nicht in »räumlicher, sondern unräumlicher Weise«. Er bezieht Stellung gegen nicht nur den Calvinismus, sondern auch das »ganze Papsttum und das ganze Mahometische Reich«, indem er den »falsche(n) Wahn vom räumlichen Paradies und räumlicher Höllen in der Welt« »als eine schwarze dicke Finsternis« zurückweist, die »mit dem hellen Glanz und« ähnlich der Bezeichnung von Jacob Böhme als »aufgehender Morgenröte« »der evangelischen Wahrheit gewaltiglich zerrieben und vertrieben« wird.

Siehe auch Wikipedia, Heiligenlexikon und Kirchenlexikon

Inhaltsverzeichnis
Was das ewige Leben für ein Leben sei ? (1599)
Die Wiedergeburt (1599)
Ob nun das Reich Gottes, dahin die gläubige Seele von diesem Jammertal fähret, etwas auswendig von uns oder etwas inwendig in uns sei? (1604)

Was das ewige Leben für ein Leben sei? (1599)
Was ist aber das ewige Leben im. Himmel eigentlich für ein Leben, daß ich mich dessen so hoch erfreuen und so sehr danach trachten soll? »Ich rede mit meinem Herzen«, sagt David (Ps. 77, 7), und »mein Geist muß forschen«. Was hat's für eine Gelegenheit mit derselben Freude, Lust und Herrlichkeit?

Antwort: O liebe Seele, es ist ein Leben der inbrünstigen reinen Liebe, ein recht hochzeitlich Leben, ein Leben der süßen himmlischen Wollust und ein Leben der unauflöslichen Gemeinschaft, welche die Auserwählten mit Gott dem Vater, mit Gott dem Sohn und mit Gott dem heiligen Geist in Ewigkeit haben, voll alles Trosts, voll aller Freuden und voll aller Herrlichkeit. Dazu ein Leben in eitel heilige Liebe gefaßt, mit heiliger Liebe verbunden und auf heilige starke Liebe gegründet, also daß die ganze heilige Dreifaltigkeit, der wahre Gott, alle auserwählten Engel und Menschen mit seiner unaussprechlichen Liebe wie mit einer feurigen Mauer stark umringt, beschließt und umfängt und läßt sie in ihm wie in einem wunderschönen Tempel wunderlieblich ruhen und frohlocken. Und gleichwie er sie liebet, also wird er von ihnen mit vollkommener Gegenliebe so herzlich wiedergeliebet, daß er durch dies Band und Mittel der inbrünstigen Liebe und Gegenliebe sehr lieblich in ihnen als in seinen edlen Lusthäusern und Palästen mit seiner großen Güte, Kraft, Freude, Herrlichkeit, Weisheit und Gerechtigkeit residiert, wohnet und ruhet, ist alles in allen und machet sie teilhaftig seiner göttlichen Natur. Daher sie denn alle miteinander aus solcher Inhabitation und Einwohnung des lebendigen Gottes sind wunderschön, wunderstark und nach gegebener Maß vollkommen weise, vollkommen gerecht, vollkommen heilig, freundlich, fröhlich und aller Tugenden voll, lieben Gott ihren Herrn, der in ihnen wohnet, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen Kräften und darnach einer den andern als sich selbst. Halten sich vermittelst solcher Liebe und Einigkeit zusammen wie Glieder in einem Leibe, mit dem heiligen Geist als mit Gottes Atem durch und durch lieblich erfüllet und besessen, sind alle eines in Gott und Gott eines mit ihnen und sie alle miteinander, Gott, Engel und Menschen, wie ein Leib, ein Geist, eine Massa, voll aller himmlischen Freuden, voll himmlischer Wollust und voll ewig währender Herrlichkeit.

Siehe du, liebe Seele, eine solche Gestalt und Gelegenheit hat es mit dem ewigen Leben. So ist's ein Paradeis, so ein Freudensaal, so eine Stadt Gottes, so ein Land der Lebendigen und eine solche Hochzeit, da Gott mit seinen heiligen Engeln, Patriarchen, Propheten, Aposteln und allen Auserwählten, welche von diesem Jammertal dahin gefahren sind, lebet, herrschet und regieret in eitel inbrünstiger Liebe, in Liebeskraft, Liebesfreude, Liebesherrlichkeit und Liebesklarheit. Es brennet, leuchtet und wettert daselbst allenthalben von heiliger feuriger Liebe, und in heiliger reiner feuriger Liebe sind sie alle, nämlich die Engel und Menschen, mit Gott und in Gott wie ein Kuchen, daß sie nichts tun, nichts reden, auch nichts gedenken, es fließet alles aus reiner inbrünstiger Liebe. Ihre herzliche Freude untereinander ist eine Freude und Frohlockung der Liebe. Ihre Einigkeit und Verknüpfung ist ein Bund der Liebe. Ihr Licht und Klarheit ist ein Glanz und Schein der Liebe. Ihre Psalmen und Freudenlieder sind fröhliche Verkündigung und Ausbreitung der heiligen Liebe. Ihr ewiges Gespräch ist ein ewiger Ruhm der ewigen Liebe. Ihr Schmuck, Gewalt und Ehre ist eine prächtige Herrlichkeit der Liebe, und ihre holdselige Gemeinschaft ist eitel Trost, eitel Erquickung, eitel Lieblichkeit und eine reine heilige Wollust der reinen heiligen Liebe. So gar hat's die Liebe alles eingenommen, alles besessen und alles stark in ein geknüpft, daß es kein Tod noch Hölle, keine Gewalt noch Macht, weder Hohes noch Tiefes, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges kann trennen noch voneinander reißen.

In dies wunderschöne Königreich ist kommen der bekehrte Schächer am Kreuz, welchem der Sohn Gottes diese trostreiche Verheißung zurief: »Wahrlich, ich sage dir, heut wirst du mit mir im Paradeis sein« (Luk. 23, 43). Dahin ist kommen der arme gottselige Lazarus, als er nach Überwindung des Todes im Glauben von den heiligen Engeln in Abrahams Schoß mit Freuden getragen ward (Luk. 16, 22). Dahin kam der heilige Stephanus, als er den Himmel offen sah und seine Seele dem Herrn Jesu am letzten Ende befahl (Apg. 7, 55). Auch sind dorthin zu allen Himmelreichs-Bürgern versammelt worden unsere in Gott verstorbenen seligen Freunde, Vater, Mutter, Mann, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, Verwandten und Bekannten und ruhen fröhlich in Gott, der sie mit allen heiligen Engeln wunderlieblich anlachet, tröstet und erquicket, daß sie dieser Welt nicht einen Augenblick wieder begehren. O des alleredlesten Lebens, welches sie daselbst leben ohne Tod und Anfechtung, daß es mit allen Ehren recht heißen mag das ewige Leben.

Ja, es ist das ewige Leben eines gottseligen Christen, sobald er in dem Herrn entschläft, recht wie eine Eröffnung der Augen und Aufschließung der Ohren, daß die Seele siehet, als wäre sie bisher blind gewesen, und höret, als wäre sie bisher taub gewesen. Denn gleich als wenn die helle klare Sonne irgendeinen tauben und blinden Menschen mit ihrem Glanz und Schein umfinge, desgleichen wenn allerlei Saitenspiel, Cymbeln, Harfen, Orgel und dergleichen mit voller Macht vor seinen Ohren klingeten, solches, alles könnte der arme Mensch weder sehen noch hören wegen seiner Blindheit und Taubheit, und doch gleichwohl so lebte er mitten in dem klaren Sonnenschein und mitten unter den lieblichen Spielleuten. Wenn nun ein guter Okulist und Arzt käme, der den Staren stäche und risse dem Blinden das dicke hinderliche Fell von seinen Augen und eröffnete ihm die Ohren, daß er das Licht plötzlich sehen und den lieblichen Schall plötzlich hören könnte, was meinst du, das er denken würde? Sonderlich da er sähe den hellen Tag, die liebe Sonne, die schöne Welt und hörete die wohllautenden Cymbeln, Posaunen, Schalmeien und dergleichen Instrumenta um sich her? Da wird er bekennen und sagen, sein voriges Leben wäre der halbe Tod gewesen und nun befinde er erst, was Leben heißt.

Also kannst du dir auch fein einbilden den unterschiedlichen Zustand unseres himmlischen Lebens. Denn es ist ein recht gläubiger Christ auf dieser Welt schon selig und hat den allmächtigen Herrn Zebaoth, Gott Vater, Sohn und heiligen Geist mit seinen heiligen Engeln als eine himmlische feurige Wagenburg um sich her gegenwärtig, und ist kein Zweifel, die lieben Engel, so um ihn her sind, preisen allewege ihren Schöpfer und singen ihm ohn Unterlaß das »Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr Zebaoth« (Jes. 6, 3). Allein kann ein Christ auf dieser Welt solchen himmlischen Glanz, Majestät und Herrlichkeit Gottes und seiner auserwählten Engeln nicht leiblich sehen noch hören, dieweil er wandelt im Glauben und nicht im Schauen, und ist dazu, wie die Schrift sagt 2. Kor. 5, 1 ff., mit dem sterblichen Leichnam als mit einer irdischen Hütte beschweret. Derwegen liegt's an dem, daß er nur den alten Adam ganz ausziehe und durch den zeitlichen Tod allerdings von seinem sündlichen Leibe erlöst werde, alsdann hat er die himmlische Herrlichkeit flugs im Gesicht und schwebet in unaussprechlicher Freude mitten unter den Engeln Gottes.

Ich zweifle gar nicht, wenn solches ein Christ in der Welt recht verstünde, er würde sich jederzeit solcher gegenwärtigen Beiwohnung Gottes und seiner lieben Engel herzlich erfreuen und denken: Ich bin schon selig und mein Wandel ist schon im Himmel, nachdemmal ich mich halte zu Gottes Wort und liege darin wie ein Kind in Mutterleibe verschlossen und Gott mit seinen Engeln mich allenthalben sehr freundlich umringet und umfängt. Und ob ich schon die Herrlichkeit mit leiblichen Augen nicht sehe noch die Englische Stimm mit leiblichen Ohren höre, sondern wandle nur im Glauben, welches währen muß bis in den Tod, so wird doch nach dem Tod die Offenbarung fortangehen, daß meine Seele, von diesem Leibe erlöset und abgefordert, das ewige Leben alsbald vor Augen sehe und den allmächtigen Gott als auch seine Engel selbst reden höre.

Die Wiedergeburt (1599)
Laßt uns das Werk der natürlichen Geburt und der übernatürlichen Wiedergeburt gegeneinander halten und vergleichen.

Von der natürlichen Geburt weiß man, daß der Mensch wunderbarlich von Gott im Mutterleibe formiert und bereitet wird, wie David sagt: »Du warest über mir im Mutterleibe. Ich danke dir darüber, daß ich wunderbarlich gemacht bin; wunderbarlich sind deine Werke, und das erkennet meine Seele wohl. Es war dir mein Gebein nicht verhohlen, da ich im Verborgenen gemacht ward, da ich gebildet ward unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war, und waren alle Tage auf dein Buch geschrieben, die noch werden sollten, und derselben keiner da war« (Ps. 139, 13–16). Hiob spricht: »Hast du mich nicht wie Milch gemolken und wie Käse lassen gerinnen? Du hast mir Haut und Fleisch angezogen, mit Beinen und Adern hast du mich zusammengefügt. Leben und Wohltat hast du an mir getan, und dein Aufsehen bewahret meinen Atem« (Hiob 10, 10–12).

Die übernatürliche und himmlische Wiedergeburt gehet viel wunderlicher zu und wird in dem geistlichen Mutterleibe, nämlich mitten in dem Getön, Schall und Regierung des göttlichen Worts, wo dasselbe mit seinen angehängten zwei Siegeln öffentlich regiert und waltet, durch Kraft und Wirkung des heiligen Geistes getrieben und vollbracht. Denn die öffentliche Stimme, öffentliche Predigt und öffentlicher Gebrauch des Worts sind wie ein brausender Wind, der den Menschen auf dem Felde dieses Lebens allenthalben überhuiet ›plötzlich überkommt‹, beschließt, überfällt und einnimmt wie ein Gefängnis und enger Mutterleib, daß der Mensch nicht weiß, wie ihm ist, wird nun durchs Gesetz geschmettert und zu Boden geschlagen, danach durchs Evangelium erquickt, dann wieder durchs Kreuz niedergeworfen und gekränkt, hört aber anders nichts aus Gottes Wort, denn es müsse so sein. Dies Wort hört er als ein Brausen des Windes und fühlt des Windes mancherlei Kraft und Wirkung, als Schrecken, Angst, Trost, Freude und dann wiederum Trübsal und Elend. Aber die Vernunft wird hierüber bestürzt und gar zur Närrin, kann nicht verstehen noch ergründen, wo doch der himmlische Wind, nämlich Gott, mit solchen unterschiedlichen Wirkungen durch das Brausen seines Worts herkomme, was er damit meine und zu was Ende es letztlich soll gerichtet sein.

Eine solche Gelegenheit hat es mit unserer Wiedergeburt, wie auch der Herr Christus in seinem Gespräch mit Nikodemus dahin sieht und spricht: »Was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Laß dich nicht wundern, daß ich dir gesagt habe, ihr müßt von neuem geboren werden. Der Wind bläset, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist« (Joh. 3, 6–8).

Dies behaltet wohl, ihr Einfältigen, und denket ihm fleißig nach, daß euch diese heilsame Lehre bekannt werde und recht zu Herzen gehe. Die heilige Schrift lässets nicht hierbei bleiben, sondern fähret fort und zeigt all die formalia, Stücke und Eigenschaften dieses Geheimnisses ferner an, wie es nämlich ordentlich zugehe, da Gott einen armen Sünder wiedergebieret und zum ewigen Leben bereitet. Solcher Stücke sind überall sieben, unter welchen das erste wird genannt Vocatio, die Berufung des Sünders. Das andere heißt Contritio, der Hammerschlag des Gesetzes. Das dritte wird genannt Justificatio, die Rechtfertigung. Das vierte heißt Exaltatio, die Erhöhung. Das fünfte heißt Renovatio, die Erneuerung oder Wirkung des neuen Gehorsams. Das sechste wird genannt das Kreuze, dessen Gott auch gebraucht zu diesem edlen hohen Werk. Endlich ist das siebente die gänzliche Vollbereitung, Schutz und Erhaltung zum ewigen Leben.

Was erstlich die Vocatio oder die Berufung anlangt, läßt Gott sein Wort predigen und die heiligen Sakramente austeilen, ruft und lockt damit den Sünder zu sich und will, daß er das Wort höre und mit Fleiß betrachte. Alsdann erleuchtet er hierdurch das Herz, stößt die angeborene Finsternis aus und zündet ein neues himmlisches Licht an, daß der Mensch anhebt zu merken und zu verstehen, was da gepredigt wird und wie sich Gott im Wort offenbaret. Und eben zu diesem Ende ist das Predigtamt samt der Administration und Verwaltung der hochwürdigen Sakramente eingesetzt, daß Gott hierdurch kräftig sein und die fleißigen Zuhörer erleuchten will.

Den Predigern wird gesagt: »Lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe« (Matth. 28, 19–20). »Habt acht auf die ganze Herde, unter welche euch der heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, welche er durch sein eigen Blut erworben hat« (Apg. 20, 28). Den Zuhörern aber: »Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen.« »Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit. Lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, und singet dem Herrn in eurem Herzen« (Hebr. 13, 17. Kol. 3, 16).

Wo es nun gibt reine Lehre, reine Predigt, reine Vermahnung und ein fleißiges Aufmerken, da bleibt die himmlische Erleuchtung nicht aus, sondern folget kräftiglich hernach, wie die schöne Verheißung lautet: »Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin kommet, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, daß sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, also soll das Wort, so aus meinem Munde geht, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, was mir gefällt und soll ihm gelingen, dazu ich's sende« (Jes. 55, 10–11). Item: »wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten« (Eph. 5, 14).

Danach fürs andere kommt die Contritio, das ist der Hammerschlag des Gesetzes, da Gott durch die Gesetzpredigt läßt dem Menschen seine angeborne sündliche Art als auch begangene Laster und Untugend samt dem Fluch und ewig verdienter Strafe vorhalten und einbilden, schlägt ihn damit gleich als zu Boden, daß er von Herzen erschrickt, wehklagt und an allen seinen Kräften, Werken und Vermögen muß verzagen und verloren geben.

Solcher Gesetzpredigten braucht der heilige Geist, daß er dadurch die Zuhörer führe zur Erkenntnis der Sünde und jage sie aus der verdammlichen Sicherheit in die Furcht, daß sie Reue und Leid tragen über ihre Sünde, verzagen an allen ihren Kräften, Werken und Vermögen, fürchten sich vor Gottes Zorn und demütigen sich vor ihm. Die wirkt Gott durch das Wort des Gesetzes, nicht anders, denn als ob er sie mit Feuer brennte und mit einem Hammer zerschlüge, wie er bei dem Propheten Jeremia spricht: »Ist mein Wort nicht wie ein Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt« (Jer. 23, 29)? Darum schreibt St. Paulus: »Die Sünde erkannte ich nicht, ohn durchs Gesetz. Denn ich wußte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: Laß dich nicht gelüsten. Da nahm aber die Sünde Ursache am Gebot und erregte in mir allerlei Lüste, denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. Ich aber lebte etwa ohne Gesetz. Da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig. Ich aber starb, und es befand sich, daß das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war« (Röm. 7, 7–10).

Zum dritten folgt hierauf die Justificatio oder die gnädige Rechtfertigung eines armen Sünders vor Gott, und ist dieselbe hierin begriffen, daß Gott den armen Sündern, deren Herz von Sünden schwer und von Angst ist betrübet sehr, läßt das Evangelium von Christo predigen und ihnen verkündigen, daß Christus aller Welt Missetat auf sich genommen und um unserer Sünde willen gestorben und um unserer Gerechtigkeit willen auferstanden sei, habe das Gesetz für uns erfüllt, den Zorn seines Vaters gestillt, die Hölle geschleift und den Teufel überwunden. Durch diese Predigt tröstet er die betrübten Sünder, wirkt und zündet den Glauben in ihnen an, daß sie solchem Wort trauen, und durch den Glauben rechnet er ihnen die Gerechtigkeit Christi zu, vergibt die Sünde und stillt ihr Gewissen, daß sie ruhen und zufrieden sind.

Zu diesem evangelischen Predigtamt gehört auch die heilige Absolution oder Löseschlüssel, von Christo eingesetzt, da er spricht: »Was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein« (Matth. 18, 18), und »welchen ihr die Sünde erlasset, denen sind sie erlassen« (Joh. 20, 23). Desgleichen auch die heiligen Sakramenta: Denn zur Buße und zur Vergebung der Sünde sind wir getauft (Apg. 2, 38). Und im hochwürdigen Abendmahl werden wir mit Christi Leib gespeiset und mit seinem Blut getränket zu seinem Gedächtnis (1. Kor. 11, 23–25), daß wir uns seines teuren Verdiensts sollen getrösten und glauben die Vergebung der Sünden.

Deswegen, wo dies Predigtamt samt der Absolution und Verwaltung der hochwürdigen Sakramente mit Fleiß getrieben wird und die elenden zerschlagenen Herzen mit geistlichem Hunger und Durst begierlich darauf merken, da zündet Gott durch diesen äußerlichen Gebrauch seines Evangeliums den Glauben inwendig in ihnen an, daß sie dem Evangelium glauben und sich auf Christum verlassen. Und ist demnach der Glaube in uns nicht menschlicher Kräfte noch unseres Vermögens, sondern Gottes Gabe und Gottes Werk, wie geschrieben steht: »Das ist Gottes Werk, daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat« (Joh. 6, 29). Item: Erkennet, »welches da sei die überschwengliche Größe seiner Kraft an uns, die wir glauben nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke, welche er gewirket hat in Christo, da er ihn von den Toten auferweckt hat und gesetzt zu seiner Rechten im Himmel« (Eph. I, 19–20). Und abermal: Ihr seid mit Christo »begraben durch die Taufe, in welchem ihr auch seid auferstanden durch den Glauben, den Gott wirket, welcher ihn auferweckt hat von den Toten« (Kol. 2, 12).

Wenn nun solcher Glaube sich auf die evangelische Verheißung verläßt, ergreift Christum mit seinem Verdienst und hält sich zu seiner Gerechtigkeit, alsdann rechnet uns Gott die Gerechtigkeit seines Sohns durch den Glauben zu, bedeckt damit unsere Sünde und will derselben in Ewigkeit nicht mehr gedenken. Inmaßen der Apostel St. Paulus hiervon zeugt und spricht: »Dem, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit« (Röm. 4, 5). Nach welcher Weise auch David sagt: Daß die Seligkeit allein sei des Menschen, welchem Gott zurechnet die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke, da er spricht: »Selig sind die, welchen ihre Ungerechtigkeiten vergeben sind und welchen ihre Sünden bedeckt sind. Selig ist der Mann, welchem der Herr keine Sünde zurechnet« (Ps. 32, 1–2). Desgleichen sagt Christus: »Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet« (Joh. 3, 17–18).

Die vierte Eigenschaft der himmlischen Wiedergeburt ist die gnadenreiche Erhöhung, daß Gott nicht allein durch den Glauben uns gerecht macht, sondern läßt uns auch im Evangelium die selige Kindschaft des ewigen Lebens und die himmlische Brautehre vortragen und anbieten, daß wir durch den Glauben sollen seine Kinder sein und seines lieben Sohns auserwählte Braut. Und gibt uns dar zur Versicherung und gewissem Pfand den Geist seines Sohns in unsere Herzen, daß wir sein Eigentum und ein Tempel oder Wohnung der ganzen heiligen Dreifaltigkeit sein sollen.

Von dieser Exaltation oder Erhöhung lautet das Wort seiner Verheißung also: »Ich will euch annehmen und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der Allmächtige Herr« (2. Kor. 6, 17–18). »Wieviele Christum aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden« (Joh. 1, 12). »Gehe hin«, spricht der Herr Christus zu Maria Magdalena, »zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott« (Joh. 20, 17). Auch sagt er von unserer himmlischen Brautehre: »Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit. Ich will mich mit dir vertrauen in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ja, im Glauben will ich mich mit dir verloben« (Hos. 2, 21–22).

Auch wird uns im Evangelium verkündigt, daß Gott der Vater überväterliche und übermütterliche Treue und der Herr Christus rechte Bräutigamsliebe an uns erzeigen wolle: »Wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt«, singen wir mit dem Propheten David, »so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten« (Ps. 103, 13). »Ich will euch trösten«, sagt er, »wie einen seine Mutter tröstet« (Jes. 66, 13). »Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch dein nie vergessen« (Jes. 49, 15). Desgleichen verspricht sich Christus, unser himmlischer Bräutigam, daß er seine Kirche nicht verlassen, sondern ihr beiwohnen wolle bis an das Ende der Welt (Matth. 28, 20), auch ihr den heiligen Geist von dem Vater senden und geben, der sie in alle Wahrheit leiten und führen soll (Joh. 16, 13).

Dies sind über alle Maße hochwichtige Schätze und eine Ehre über aller Welt Ehre und Herrlichkeit, daß Gott der Vater will unser Vater sein und Gott der Sohn unser Bräutigam und Gott der heilige Geist unser Tröster. Solche Wohltaten läßt er uns nicht allein vortragen, sondern wo man aufs Wort merkt, da erweckt er auch den Glauben, daß ein Christ sie eben mit demselben Glauben faßt und ergreift, damit er zuvor die Vergebung der Sünden und die Gerechtigkeit des lieben Evangeliums angenommen hat. Und also kehrt dann die ganze heilige Dreifaltigkeit durch den Glauben zu uns ein und wohnet in uns, nämlich der Vater als unser liebster Vater, der Herr Jesus Christus als unser liebster Bräutigam und der heilige Geist als unser höchster Tröster, welcher dazu denn ist das Siegel und Pfand unserer Seligkeit, damit wir ja an dieser großmächtigen Verheißung keinen Zweifel tragen.

Solche himmlische Erhöhung schafft Freudigkeit und sehr großen Trost in allerlei Bekümmernis, Trübsal und Elend, macht dazu starken Mut, daß ein gläubiger Christ sich nicht darf peinlich vor Gott als vor einem Feind und Stockmeister fürchten, sondern trauet ihm kindlich, verläßt sich auf Christum wie eine Braut auf ihren Bräutigam und ergibt sich dem heiligen Geist als seinem höchsten Freund und allerkräftigsten Tröster.

Zum fünften kommt dazu die Renovatio, das ist die geistliche und himmlische Erneuerung, da Gott seine Kinder, welche er durch die zugerechnete Unschuld seines Sohns im Glauben gerechtfertigt und zu seinen Kindern, Braut, Tempel und Eigentum angenommen hat, auch mit neuem Gehorsam anzündet, daß sie nach erlangter Vergebung der Sünde und nach eingenommener Freude der edlen himmlischen Erhöhung wiederum durch Kraft und Wirkung des heiligen Geistes anfangen, Gott und ihren Nächsten zu lieben, die Sünde zu hassen, auch wieder den Teufel, Welt und ihres Fleisches Lust zu streiten und nach Gottes Geboten zu leben.

Bist du nun mit Christi Blut durch den Glauben besprenget, glaubst Vergebung der Sünden, traust Gott dem Vater kindlich als deinem rechten Vater, dem Herrn Christo als deinem Erlöser und allerliebsten Bräutigam und Gott dem heiligen Geist als deinem einigen und höchsten Tröster, der in dir wohnet und dich als seinen Tempel und Behausung eigentümlich besitzt, so sollst du wissen, wo Gott residiert und wohnt, daß er da nicht müßig ist, sondern reget sich und schafft Früchte, die von dannen sich hervortun und ausschlagen. Deswegen da er auch in dir wohnt und durch den Glauben in deinem Herzen wurzelt, so schafft er Frucht, erweckt neue motus oder neue Bewegung in dir und reizet dich zu guten Werken, daß du dich derselben mit Freuden befleißigst und dazu erweckt werdest, nicht anders als wärest du deiner nicht seihst mächtig, sondern hättest einen Regenten in dir wohnen, dem du mit all deinem Tun und Lassen verknüpft wärest, wie daher St. Paulus sagt: »Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, welchen ihr habt von Gott und seid nicht euer selbst? Denn ihr seid teuer erkauft. Darum so preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes« (1. Kor. 6, 19–20).

Und solche motus, Werke und Bewegung sind gewisse Zeugen des neuen Lebens in uns, eben gleichwie ein Kind sich regt im Mutterleibe und die Mutter daraus abnehmen und schließen kann, daß sie mit einer lebendigen Frucht schwanger gehe.

Darum gleichwie der Mensch im Mutterleibe, sobald das Leben in ihm angezündet ist, sich zu regen anhebt, und obwohl solcher Anfang ist schwach, zart und gering, dennoch nimmt er darin von Tag zu Tag zu und wächst an Kräften, bis er aus der engen schmalen Herberge in diese Welt kommt, alsdann ist sein Leben vollkommen und reget sich völlig in allen Gliedern. Also haben die Kinder des Lichts auf dieser Welt auch nur allein die Erstlinge des Geistes und machen mit ihrem neuen Gehorsam und guten Werken, die sie tun im Glauben aus Liebe gegen Gott und den Nächsten, den Anfang des geistlichen Lebens, wachsen auch und nehmen darin zu, bis sie dieser Welt durch den zeitlichen Tod allerdings absterben und in das himmlische Paradeis aufgenommen werden. Da regt sich das ewige Leben mit voller Kraft, daß sie lieben Gott ihren Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und ihren Nächsten als sich selbst.

Die sechste Eigenschaft der Wiedergeburt ist das heilige Kreuz, da Gott seinen Kindern auf dieser Welt läßt mancherlei Trübsal, Angst, Not und Elend widerfahren, daß er hiermit des Fleisches Lust und den alten Adam in ihnen kränke und töte, dazu den angezündeten Glauben probiere, wetze und stärke, auch Ursach gebe zum Gebet, zur Demut, zur Geduld und allen christlichen Tugenden und mache sie ähnlich und gleichförmig dem Bilde seines Sohns Jesu Christi, ihm zu Lob und Ehren.

Es ist aber solch Kreuz zu verstehen von allerlei Trübsal, Krankheiten und Schmerzen, die einem Gottseligen begegnen, desgleichen auch von Feindschaft und Verfolgung, wenn Gott zusieht und zuläßt, daß seine Kirche vom Teufel und von der Welt aufs jämmerlichste geplagt und verfolgt wird, wie Christus sagt: »Ihr müßt gehaßt werden von jedermann um meines Namens willen« (Matth. 10, 22), und »sie werden euch in den Bann tun. Es kommt aber die Stunde, daß, wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst daran« (Joh. 16, 2). Gott läßt plagen, spricht Micha (5, 2). Wie er denn von Hiob zum Satan spricht: »Alles, was Hiob hat, sei in deiner Hand, ohn allein an ihn leg deine Hand nicht« (Hiob 1, 12). Hernach aber sagt er: »Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone seines Lebens« (Hiob 2, 6). Darauf schreibt Hiob: »Der Herr hat mich übergeben dem Ungerechten« (Hiob 16, 11).

Nun aber meinet's gleichwohl unser lieber Gott nicht arg noch böse mit seinen Kindern, wenn er sie unter dem Kreuz hält und mit Widerwärtigkeit heimsucht, sondern befördert damit das ganze Werk der heilsamen Wiedergeburt, daß es nämlich in vollem Schwang gehe und zum Ende gebracht werde.

Endlich zum siebenten gehört zum Werk der Wiedergeburt auch die Vollbereitung, daß Gott nicht allein den Anfang macht mit der Bekehrung und neuen Geburt seiner Christen, sondern vollendet auch das ganze Werk, wo man nur allein seiner offenbarten Ordnung folget.

»Ihr werdet«, sagt er, »von mir im Leibe getragen und liegt mir in der Mutter. Ich will euch tragen bis in das Alter und bis ihr grau werdet. Ich will es tun, ich will heben und tragen und erretten« (Jes. 46, 3–4). »Und ich will den Vater bitten, und er soll euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch bleibe ewiglich, den Geist der Wahrheit« (Joh. 14, 16). Item: »meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen« (Joh. 10, 27–28).

Siehe, lieber Bruder, eine solche Gelegenheit hat es mit dem rechten Lauf und Handel der Wiedergeburt, und also muß das ganze Werk keinem andern im Himmel noch auf Erden denn nur allein unserm lieben Gott assigniert und zugeschrieben werden. Denn wie ein zartes Kindlein im Mutterleib nichts von ihm selbst dazu tut noch dazu tun kann, daß es werde empfangen und mit natürlichem Leben angezündet, sondern läßt sich formieren und bereiten und erlangt daher sein Leben, daß es anfängt, sich etlichermaßen zu regen und zu rühren. Also liegt auch ein Christ auf dieser Welt unserm lieben Gott in seinem Wort gleich als in seinem Leibe oder wie in dem utero, Mutter und Leibe seiner christlichen Kirche verschlossen und kann nicht aus eigner menschlicher Kraft des geistlichen Lebens fähig sein, sondern muß sich dazu lassen durchs Evangelium bereiten, erleuchten und mit dem seligmachenden Glauben anzünden, daß er also anhebe, geistlich zu leben und lasse die motus, Geschäfte oder Bewegung solches Lebens in einem gottseligen Wandel und christlichen Tugenden öffentlich sehen.

Aus diesen Worten (2. Kor. 5, 4–9) wird klar und offenbar genug, daß unsere Wiedergeburt in diesem zeitlichen Leben, solang wir dasselbe gebrauchen, ihr Ende nicht erreicht, sondern währt von der Taufe an bis in den Tod. So lang müssen wir uns immer durch Gottes Wort berufen, erleuchten, strafen, trösten, regieren und führen lassen und unter dem Kreuz gleich als in der Zuchtschule unserm lieben Gott aufsagen, was wir aus seinem Wort gelernet haben, wie stark wir ihm vertrauen, wie wir beten, wie wir von Sünden ablassen, Buße tun und mit Werken der christlichen Liebe umgehen.

Und ist solches wider die Papisten sonderlich zu merken und zu behalten, welche vorgeben, daß in der Taufe die Wiedergeburt ganz vollendet und die Kinder aller Sünden gänzlich los werden, daß in ihrem Fleisch nichts Sündliches mehr überbleibe. Dieser Irrtum entspringt aus blinder Unwissenheit, dieweil sie das Geheimnis der Wiedergeburt nicht recht einnehmen noch verstehen. Denn es geht solches nicht eilend zu in einem Hui oder Augenblick, gleichwie auch der Mensch nicht in einer Stunde zugleich wird natürlich empfangen, formiert und geboren, sondern es hat alles seine Zeit, sein Ziel und seinen Fortgang. Durch die Taufe hat uns unsere geistliche Mutter, die christliche Kirche, vom heiligen Geist empfangen, und nun liegen wir der Mutter in ihrem utero, das ist in Gottes Leibe und in Gottes Mutter, und lassen uns darin zu Gottes Kindern formieren und bereiten, so lang, bis er uns durch den zeitlichen Tod von dieser Welt absondert und zum ewigen Leben hineinbringt. Mittlerweile müssen wir immer Gottes Wort hören, immer unsere Sünde beweinen, immer um Vergebung bitten, auch stets uns im Glauben üben, wider die Sünde streiten, beten und im neuen Gehorsam wandeln.


Ob nun das Reich Gottes, dahin die gläubige Seele von diesem Jammertal fähret, etwas auswendig von uns oder etwas inwendig in uns sei? (1604)
Der Geist, spricht der Prediger Salomon (12, 7), muß wieder kommen zu Gott, der ihn gegeben hat. Und ist kein Zweifel, es ist Christus da, der die Seelen seiner sterbenden Christen zu sich aufnimmt und selig macht (Apg. 7, 55–59). Nun wohnet aber Christus mit dem Vater und dem heiligen Geist durch den Glauben in uns (Eph. 3, 17. Joh. 17, 23. 2. Kor. 13, 5). Also, daß gläubige Christen Tempel und Wohnung des heiligen Geistes sind (1. Kor. 3, 16. 6, 19. 2. Kor. 6, 16). Und gleichwie er in uns ist, so ist auch das Reich Gottes inwendig in uns und kommt nicht mit äußerlichen Gebärden (Luk. 17, 20–21). Denn es ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist, der in uns wohnet (Röm. 14, 17. 1. Kor. 6, 19).

Dies sollst du fleißig merken und kannst daraus abnehmen, was für ein Unterschied sei zwischen der Geburt und Wiedergeburt oder zwischen der Ankunft eines Kindleins aus seiner Mutter Leibe in diese Welt und der Ankunft einer gläubigen Seele aus dieser Welt und aus ihrem sterblichen Leichnam in das Paradies Gottes. Denn das junge Kindlein kommt aus seiner Mutter Leibe in die Welt, wie ich sagen möchte, tanquam ab intra ad extra ›gleichsam von innen nach außen‹, als von seiner innerlichen Herberge, darin es verschlossen gelegen, in diese äußerliche große ›weite‹ Welt.

Aber die wiedergeborne Seele eines sterbenden Christen fähret aus der Welt in das Reich der Herrlichkeit Gottes velut ab extra ad intra ›gleichwie von außen nach innen‹, gleich als von einem fremden auswendigen und wilden Ort, da sie lange Zeit viel geplaget, zu ihrer inwendigen Heimat und himmlischen Vaterland hinein, da sie die ewige Ruhe und ewige Seligkeit findet. Deswegen wenn sich der Leib nicht mehr reget, liegt da wie ein Klotz oder Stein, so sind wohl die zwei Wesen getrennet und die Seele vom Leibe abgerissen, nicht aber als führe die Seele räumlich aus, wie der Rauch aus einem Ofen oder wie ein Vogel räumlich von seinem Nest wegfleugt. Sondern wenn der sterbliche Körper sich gelegt hat wie ein baufällig Haus, die Fenster des Gesichts, nämlich die Augen, sind zugetan, die Pforten des Gehörs oder die Ohren sind verriegelt, die Tür des Atems zugeschlossen und das Leben von allen Gliedern abgewichen.

Da kommt und fähret die Seele inwendig zu dem Reich Gottes, das in ihr ist, hinein, also daß sie mit Verlassung ihrer auswendigen Glieder und der ganzen irdischen Hütten ihres Leibs wie auch mit Verlassung der ganzen Welt und aller Güter und aller Menschen auf Erden zu dem ewigen Gott, ihrem Heiland, der in ihr wohnet, recht heimfähret, kommt aus dem Glauben ins Schauen hinein, daß sie nirgend mehr in dieser Welt ist, weder droben noch darunter, sondern inwendig wird sie ihres himmlischen Bräutigams, des großen Königes Himmels und der Erden, welches Tempel sie ist und bleibet, mit Freuden ansichtig und findet in ihm das geöffnete Paradies des ewigen Lebens, von allem Wesen dieser Welt abgesondert, erreicht daselbst die sichtbare freudenreiche Gesellschaft aller heiligen Engel, Patriarchen, Propheten, Apostel und aller auserwählten Kinder des Lichts, die von dieser Welt abgeschieden sind.

Der falsche Wahn vom räumlichen Paradies und räumlicher Höllen in der Welt, damit nicht allein die Calvinianer, sondern auch das ganze Papsttum und das ganze Mahometische Reich erfüllet und eingenommen sind, wird hierdurch entdeckt und als eine schwarze dicke Finsternis mit dem hellen Glanz und aufgehender Morgenröte, Licht und Sonnen der Evangelischen Wahrheit gewaltiglich zerrieben und vertrieben.

Denn eben wie vormals die von Athen in heidnischer Abgötterei ganz waren ersoffen (Apg. 17, 16), also sind unsere Widersacher ganz trunken und erstarret in ihrem fleischlichen Wahn und mathematischen Gedanken, daß der Himmel müsse ein räumlicher Ort sein hoch über diesem sichtbaren Gebäu Himmels und der Erden, und daß die Hölle ihren räumlichen Ort habe mitten in dem Bauch und centro des Erdbodens.
Welches alles aus dem principio ignorantiae herrühret, daß sie nichts wissen noch vernehmen, wie Gott unendlich sei und wie alle Dinge in ihm nicht räumlicher, sondern unräumlicher Weise bestehen.
S. 31-50
Vorlage : Der Protestantismus des 17. Jahrhunderts. Herausgegeben von Winfried Zeller . In der Reihe: Klassiker des Protestantismus. Herausgegeben von Christel Matthias Schröder Band V, Sammlung Dieterich , Carl Schünemann Verlag Bremen