Donatien Alphonse Francois, Marquis de Sade (1740-1812)

Französischer Adliger, Offizier und Schriftsteller, der einen hemmungslosen, atheistischen Egoismus vertrat, der das Laster verherrlichte und Pornografie und Philosophie zu verbinden suchte. In seinen großteils im Gefängnis geschriebenen Büchern, schilderte er ekelhafte sexuelle Exzesse: (Die 100 Tage von Sodom, Juliette oder die Vorteile des Lasters, Justine oder vom Missgeschick der Tugend, Die Philosophie im Boudoir etc). Wegen Giftmords und politischer Delikte angeklagt, verbrachte er 27 Jahre in Gefängnissen und Irrenanstalten. Von seinem Namen leitet sich der Begriff Sadismus ab , bei dem die Befriedigung von triebhafter Geschlechtslust durch Zufügen von grausamen Qualen, ekelhaften Erniedrigungen und nicht vor brutalem Mord zurückschreckender Verbrechen betätigt wird. De Sade hat seine logisch nicht immer miteinander vereinbaren psychopathologischen Ansichten nicht in der Ich-Form der eigenen Person zu Papier gebracht, sondern seinen Protagonisten (handelnden Personen) in den Mund gelegt: Dies Positionen spiegeln einen anti-christlichen, areligiösen Atheismus, Materialismus, Naturalismus, Determinismus, Amoralismus , einen jegliche verbindliche Moral verabscheuenden Egoismus wider, in dem soziale Emotionen wie Mitleid, Dankbarkeit, Großzügigkeit, Nächstenliebe, verständnisvolle Teilnahme, Gewissensbisse als Todsünden gelten. Gott sei Dank dürfte die Beschreibung seiner grausamen und teilweise tödlichen Sexualpraktiken nur in seltenen Fällen den Bereich der reinen Sexualphantasterei überschritten haben und wirklich praktiziert worden sein.

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Inhaltsverzeichnis

Gewissenbisse
Vorsehung
Ungleichheit
Maxime fuer Reichtum
Rolle des Weibes
Mord und Totschlag

Verherrlichung der Arschfickerei
Fortpflanzung und Kinderfabrikation
Blutschande
Christliche Religion
Irdiche Pflichten
Atheismus

Gewissensbisse
Friedrich Nietzsche: Dass man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! Dass man sie hinterdrein nicht im Stiche lässt! - Der Gewissensbiss ist unanständig.
Kröner 77, Götzendämmerung, Sprüche und Pfeile 10

Der Gewissensbiss ist wie der Biss eines Hundes gegen einen Stein, eine Dummheit.
Kröner 72, Menschliches, Allzu Menschliches 2, II. Der Wanderer und sein Schatten, 3

Der echte Gewissensbiss ist gerade unter Verbrechern etwas äußerst Seltenes . . .
Kröner 76, Zur Genealogie der Moral, Schuld, »Schlechtes Gewissen« und Verwandtes, 14

Ganz im Sinne des großen deutschen Philosophen und Psychologen Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900) beruhen für die Protagonistin Dubois Gewissensbisse auf Einbildung, die sinngemäß als die närrische Laune einer Seele beschrieben werden, die nicht stark und hemmungslos genug ist, sie zu unterdrücken. Man braucht in seinen Taten nur oft genug zu wiederholen, was die Gewissensbisse verursacht, dann wird es jeder Person gelingen, sie zum Schweigen zu verurteilen. Hilfreich bei ihrem Verscheuchen ist die bedingungslose Zulassung enthemmender Leidenschaften und eines nur auf das eigene Wohl bedachten schranken- und rücksichtslosen Egoismus.
Ullstein 26654, Marquis de Sade, Justine oder vom Missgeschick der Tugend, S.169

Vorsehung
Gerhard Baitinger: Was ist in der Vorsehung vorgesehen? Doch nichts anderes als das Sterben, das spätestens mit der Geburt beginnt und mit dem leiblichen Tod endet!

Friedrich Nietzsche: Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nötig ist zu seinem Besten, - dass alles Böseste seine beste Kraft ist und der härteste Stein dem höchsten Schaffenden; und dass der Mensch besser und böser werden muss: -

Nicht an dies Marterholz war ich geheftet, dass ich weiß: der Mensch ist böse, sondern ich schrie, wie noch niemand geschrien hat:
»Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein ist!

Reclam 7111, Also sprach Zarathustra 3, Der Genesende, S.229

Über die Vorsehung äußert die Protagonistin Dubois sinngemäß Folgendes: Wer sagt uns denn, dass die Vorsehung Ordnung und Tugend bevorzugt. Zeugt sie nicht eher in ihren Taten von Ungerechtigkeit und Zügellosigkeit? Beweist sie ihre tugendhafte Menschenliebe nicht durch die Erschaffung einer verderbten Welt, die die Menschen in Kriege, unheilbare Krankheiten und Hungersnöte stürzt? Warum sollten ihr lasterhafte Menschen nicht gefallen, da die Natur ihres gesamten Wollens und ihre Wirkungen mit bestem Willen selbst doch nur als lasterhaft bezeichnet werden können? Ist ihr gesamtes Wollen, Handeln und Wirken nicht überwiegend auf Verderben, Fäulnis, Lasterhaftigkeit, Verbrechen, Zerrüttung und Zerstörung ausgerichtet? Woher kommt wohl unser schier unüberwindbarer Hang und Drang zum Bösen, wenn nicht aus den naturgegebenen Eigenschaften der Vorsehung? Es gibt keine einzige Regung unseres Willens und Fühlens, die sich nicht von ihr ableiten? Wäre es nicht widersinnig zu behaupten, dass die Natur eine Neigung in uns legt, die ihr nicht nützlich wäre? Wenn ihr also das Laster nützlich ist; weshalb sollten wir ihm dann widerstreben? Warum sollten wir alles dafür tun, es in der Welt auszumerzen? Etwas mehr richtig verstandene Philosophie stellt die Dinge an ihren richtigen Platz: Zudem sollte den maßgebenden Menschen die Erkenntnis verdeutlicht werden, dass die Laster die sie gnadenlos verfolgen und bestrafen, oft einen größeren Nutzen zur Folge haben, als die Tugenden, die uns zwar gepredigt, aber niemals auf Erden belohnt werden.
Ullstein 26654, Marquis de Sade, Justine oder vom Missgeschick der Tugend, S.168

Ungleichheit
Friedrich Nietzsche: Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich ihnen zugeben und ärgert sich ihnen nicht zugeben . . .

Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch bös getan als klein gedacht! . . .

Ach, wo in der Welt geschahen größere Torheiten, als bei den Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Torheiten der Mitleidigen?
Wehe allen Liebenden, die noch nicht noch eine Höhe haben, die über ihrem Mitleiden ist!

Reclam 7111, Also sprach Zarathustra 2, Von den Mitleidigen, S.90/91

Hierzu bemerkt der Protagonist Dalville sinngemäß, dass er das Geben von Almosen und milden Gaben an Bedürftige verabscheue, weil der Arme in das System der Natur gehöre, welche die Menschen mit ungleichen Kräften ausgestattet habe und damit überzeugend ihren Willen offenbart habe, dass diese Ungleichbehandlungen auch unter den Wandlungen beibehalten werden soll, die das Fortschreiten der Zivilisation für die Entwicklung ihrer Gesetze mit sich bringt.
Der Arme sei an die Stelle des Schwachen getreten. Wenn man ihm helfen würde, bedeutete dies die bestehende Ordnung zu verleugnen, sich dem System der Natur zu widersetzen und das Gleichgewicht ihres überaus empfindlichen Gebildes zu zerstören. Das würde bedeuten, dass man auf eine für die Gesellschaft gefährliche Gleichheit hinwirke, die Förderung der Trägheit und Nichtstuerei betriebe sowie den Armen zu lehren, wie er den Reichen bestehlen soll, wenn dieser seine Hilfe verweigert, nachdem sich der Arme daran gewöhnt hat, diese Hilfe zu erhalten, ohne dafür arbeiten zu müssen.

Ullstein 26654, Marquis de Sade, Justine oder vom Missgeschick der Tugend, S.159

Maxime für Reichtum, Religion, Wohltätigkeit und Menschlichkeit
Friedrich Nietzsche: Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen dabei noch helfen.
Was ist schädlicher als irgendein Laster? - Das Mitleiden der Tat mit allen Missratenen und Schwachen . . .

Kröner 77, Der Antichrist, Umwertung aller Werte, 2

Über die oben genannten Maxime (Grundsätze) sagt der Protagonist Dalville sinngemäß, dass er nicht immer reich gewesen sei und dass er zu seinem immensen Reichtum nur gekommen wäre, weil er es verstanden habe, das Wahngebilde »Tugend«, das am Ende doch nur den Strick oder Bettelstab bereit hält, rücksichtslos zu zertreten. Er habe frühzeitig erkannt, dass Religion, Wohltätigkeit und Menschlichkeit nur hinderlich für den sind, der nach materiellem Reichtum strebt. Seinen Reichtum habe er durch die Zertrümmerung der moralischen Vorurteile erworben, in dem er die so genannten göttlichen und menschlichen Gesetze verspottete, wobei er jeden Schwachen, der sich ihm in den Weg stellte, seinem persönlichen Vorteil geopfert und beseitigt habe. Den steilen Weg zu dem Tempel der Gottheit »Mammon«, die er über alles anbete, habe er nur erklimmen können, in dem er das Vertrauen und die Leichtgläubigkeit seiner Mitmenschen missbrauchte, die Armen vollends ins Elend stieß und die Reichen bestohlen habe.
Ullstein 26654, Marquis de Sade, Justine oder vom Missgeschick der Tugend, S.160

Rolle des Weibes

Friedrich Nietzsche: »Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!« -
Reclam 7111, Also sprach Zarathustra I, Von alten und jungen Weiblein

Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich vergaß doch die Peitsche nicht? - Nein!«
Reclam 7111, Also sprach Zarathustra III, Das andere Tanzlied, 1

Der Protagonist Dalville erklärt sinngemäß, dass er bei seinem Handeln gegenüber Frauen keine Liebe verspüre, da Liebe ein Gefühl ist, das seinem Herzen fremd sei. Er würde sich einer Frau nur auf Grund eines triebhaften Bedürfnisses bedienen, so wie man ein Nachtgeschirr benutze. Wertschätzung oder gar Zärtlichkeit bringe er den Frauen, die er mit seinem Geld oder seinem Ansehen mit Hilfe von Schlägen seinen Begierden unterwerfe, niemals entgegen. Das, was er sich nehme, würde er sich nur selbst verdanken. Von der Frau verlange er nur die vollständige Unterwerfung. Für Dankbarkeit und irgendwelche Gefühle sähe er keine Veranlassung, denn das hieße, dass ein Dieb, der einem Mann im Walde die Geldbörse raubt, weil er der Stärkere ist, dem Beraubten für das erlittene Unrecht dankbar sein müsste. Nicht anders verhielte es sich, wenn man sich an einer Frau vergehen würde. Das würde allenfalls dazu berechtigen, die Frau noch ein zweites Mal zu vergewaltigen. Keinesfalls könnte das jedoch ein hinreichender Grund dafür sein, ihr eine Entschädigung dafür zu gewähren.
Ullstein 26654, Marquis de Sade, Justine oder vom Missgeschick der Tugend, S.156/7

Verspottung des Jenseits
Friedrich Nietzsche: …es gibt keinen Teufel und keine Hölle. Deine Seele wird noch schneller tot sein als dein Leib: fürchte nun nichts mehr.
Reclam 7111, Also sprach Zarathustra, Zarathustras Vorrede, 6

Das jenseitige Leben weg? - man hat dem Leben die Pointe genommen.
Kröner 83, Die Unschuld des Werdens, Der Nachlass, 2.Teil, 987 ( S.348)

Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste und wenn irgendetwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote Furcht hatte.
Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine und Bilder warf ich um, den gefährlichsten Wünschen lief ich nach, - wahrlich, über jedwedes Verbrechen lief ich einmal weg . . . »Nichts ist wahr, alles ist erlaubt«: so sprach ich mir zu.

Reclam 7111, Also sprach Zarathustra 4, Der Schatten (S.286)

Bei dem Schädigen aus so genannter Bosheit ist der Grad des erzeugten Schmerzes uns jedenfalls unbekannt; insofern aber eine Lust bei der Handlung ist (Gefühl der eigenen Macht, der eigenen starken Erregung), geschieht die Handlung, um das Wohlbefinden des Individuums zu erhalten, und fällt somit unter einen ähnlichen Gesichtspunkt wie die Notwehr, die Notlüge. Ohne Lust ist kein Leben; der Kampf um die Lust ist der Kampf um das Leben . . .
Kröner 72, Menschliches, Allzumenschliches, 2.Hauptstück, Zur Geschichte der moralischen Empfindungen, S.94

Der Protagonist Dalville sagt sinngemäß, dass er sich auf eine gefährliche Reise begeben will, bei der er sich durch seine Waffen schützen will. Zuvor will er deshalb seine Pistolen an einer seiner ehemaligen Mätressen erproben. Er entsichert eine seiner Pistolen und richtet sie nacheinander auf die Brust aller drei an das Rad gebundener Frauen, wobei er folgende Worte an seine ehemalige Lieblingsmätresse richtet: »Fahr hinüber und bringe meine Botschaft ins Jenseits! Sag dem Teufel, dass sich, Dalville, der reichste Verbrecher auf Erden die Unverschämtheit erlaube, seine und des Himmels Hand zu verspotten«. Die unglückliche Frau ist nicht sofort tot, sondern haucht ihr Leben langsam in einem qualvollen Todeskampf aus, an dem sich Dalville genüsslich weidet.

Der höchste Kick im Sadistenfick ist offenbar die Qual im Todesfick!
Ullstein 26654, Marquis de Sade, Justine oder vom Missgeschick der Tugend, S.161

Mord und Todschlag

Der Protagonist Dolmancé rechtfertigt das Verbrechen ganz allgemein sinngemäß mit folgender Begründung:
Da doch eines der ersten Naturgesetze Zerstörung, Untergang, Tod und Vergehen alles Irdischen beinhalte, könne auch nicht die Zerstörung von irgendetwas in dieser Welt, wie die Ermordung eines Menschen durch einen anderen ein Verbrechen sein. Der Mord, die Vernichtung und Zerstörung eines erbärmlichen Menschenlebens sei nüchtern betrachtet nichts anderes als ein Hirngespinst, eine reine Chimäre, weil der Mord gar keine endgültige Zerstörung, sondern nur eine Formveränderung zur Folge habe, die der Natur nur die Elemente zurückgibt, aus denen sie mit ihrer Kunstfertigkeit und Geschicklichkeit Menschen, Tiere, Pflanzen und alles andere was auf Erden gedeiht, erschaffen habe. Der Mörder würde mit seiner Tat der Natur lediglich einen großen Dienst leisten, weil er ihr die Materialien wiederverschafft, die sie bei ihrem Schöpfungswerk weiter benutzen kann. Die Mordtat an sich, könnten deshalb nur törichte Schwachköpfe und Vollidioten verdammen. Vor den Augen der Natur, dieser allgewaltigen und allmächtigen Lenkerin kann Mord und Totschlag jedoch nur verdienstvoll sein. Aber das verblasst alles vor der Inkonsequenz der unbestreitbaren Tatsache, dass die Herrschenden bedenken- und skrupellos Millionen von Menschenleben in Kriegen vernichten und straflos opfern dürfen, die sie entweder zur Befriedigung persönlicher Machtgelüste oder unter sonst einem vorgeschobenen und fadenscheinigen Deckmäntelchen angezettelt haben. Niemand behandelt diese Kriegszündler als Verbrecher: Diese skrupellosen Menschen werden im Gegenteil oftmals von der Nachwelt noch als Helden oder Halbgötter gepriesen und verehrt. Ebenso werden durch fanatische, grausame oder tyrannische Gesetze in jedem Jahrhundert in Gerichtsprozessen zur Todesstrafe verurteilt und durch Giftspritzen, auf dem elektrischen Stuhl, durch Erhängen am Galgen oder das Henkersbeil hingerichtet und ermordet. Und wir einfachen Privatleute sollen nicht einmal unter dem Schleier der Geheimhaltung und tiefsten Verschwiegenheit ein einziges Individuum zur Befriedigung unserer persönlichen Rachgelüste und auf dem Altar unserer Leidenschaften opfern dürfen? Das ist doch albern und ganz einfach ungereimt.

Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S.107/8

Einerseits wird die Kunst und Wissenschaft der Kriegsführung, also der unbeschränkte Massenmord, trotz des Gebotes: »Du sollst nicht töten, sondern deinen Nächsten lieben wie dich selbst« den Soldaten gelehrt, wobei diejenigen Kämpfer sogar mit Medaillen und Ehrenkreuzen auszeichnet werden, die das Massenmorden am Wirkungsvollsten in der Schlacht in die Tat umsetzen, andererseits verdammen sie scheinheilig und heuchlerisch ein winziges Einzelmördchen als das schrecklichte und abscheulichste Verbrechen, das man sich vorstellen kann. Da werden doch Moral, Logik und gesunder Menschenverstand mit Füßen getreten!
Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S.315

Wenn den Soldaten das Recht verliehen wird, für das Vaterland Menschen zu töten, so sollte für die Erhaltung des Staates jedem Menschen das Recht gegeben werden, seine Kinder zu töten, die er nicht ernähren kann oder dem Staat keinen Nutzen bringen. Ebenso sollte der Bürger auf eigenes Risiko all jene Feinde ermorden dürfen, die ihm Schaden zufügen können, weil die Folgen dieser an sich völlig belanglosen Handlungen, im Wesentlichen nur darin bestehen, die Bevölkerungszahl in einem vernünftigen Stand zu halten und nicht unnötig zu in einem staatsgefährdenden Maße zu vergrößern.
Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S.318

Darf der Mord nun gerechterweise als verabscheuenswertes Verbrechen bekämpft werden? Nach meiner Beweisführung ist er weder verabscheuenswürdig noch ein Verbrechen. Und wenn er kein Verbrechen ist, darf der Mörder auf keinen Fall bestraft oder der Mord gerächt werden. Wenn die Ermordung eines Menschen aber wirklich ein Verbrechen wäre, welche blödsinnigen und barbarischen Gründe würden uns dann erlauben, die Mordtat durch genau dasselbe Verbrechen zu bestrafen und zu rächen?
Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S.319

Rechtfertigung und Verherrlichung der Arschfickerei

Der Protagonist Dolmancé outet sich, indem er sinngemäß von sich behauptet, dass er sich keinen größeren und seligen Hochgenuss auf der Welt vorstellen könne, als das Ausüben der Päderastie oder Arschfickerei. Er würde sowohl gerne das männliche als auch das weibliche Geschlecht in den Arsch ficken, aber er könne nicht verhehlen, dass ihm der hübsche Arsch eines Mannes weit mehr Wollust und Genuss bereiten würde als der eines Mädchens oder einer Frau. Nur einen Mann, der hauptsächlich bzw. ausschließlich nur andere Männer in den Arsch ficke, heiße man einen Arschficker. Wer ein richtiger Arschficker sein will, muss das ganz mit Leib und Seele sein. Das Ficken in den Arsch von jungen Frauen bereite für einen echten Arschficker nur den halben Genuss, weil seine von der Natur diktierte perverse Neigung sich instinktiv zu dieser Geschmacksrichtung verleitet habe. Die Behauptung, dass die Praktizierung dieser Art des Geschlechtsgenusses die Natur beleidige oder gar verletze, wäre demzufolge absoluter Blödsinn.
Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S.90/1

Betrachten wir noch einmal kurz die so genannte Arschvöglei oder aktive und passive Sodomie! Es gibt auf Erden kein einziges von Menschen besiedeltes Fleckchen, auf dem die Sodomie oder Arschfickerei, bzw. die Päderastie oder Knabenliebe, wie sie die alten Griechen nannten, nicht ihre Anhänger und Verfechter hat. . . .
Von den Griechen wurde die der Kult des Arschvögelns auf die Römer übertragen und von diesen wiederum von der ganzen von ihnen eroberten Welt übernommen, in der es geile, steife Männerchwänze sowie Knaben-, Mädchen- oder Frauenärsche gibt.
Dieser Sexualkult wird jedoch am allermeisten von den gebildesten und berühmtesten Griechen wie Sokrates, Alkibiades, Platon, Parmenides und Zenon usw. praktiziert sowie - wie das heute noch bei uns der Fall ist – von so genannten heiligen Männern wie Kirchenfürsten, Priestern, Pfaffen, Mönchen etc. Daraus folgt doch, dass die Arschfickerei keine Sünde sein kann, weil ansonsten die heiligen Männer nicht derselben frönen würden!

Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S.214-215

Fortpflanzung und Kinderfabrikation
Zu diesem Thema äußert sich der Protagonist Dolmancé sinngemäß folgendermaßen: Er glaube nicht, das uns die Natur etwas diktieren und uns dazu inspirieren würde, wenn es sie gleichzeitig beleidigen würde. Man diene also durch die Arschfickerei ebenso wie durch die Vögelei auf andere Weise der Natur. Ja, vielleicht sogar in höherem Maße. Die Fortpflanzung und Kinderfabrikation sei doch nur von der Natur geduldet, werde aber keinesfalls von ihr vorgeschrieben. Warum sollte die Natur überhaupt eine Handlung als legal und gesetzmäßig vorschreiben, wenn sie dadurch in gewisser Hinsicht ihre eigene Allmacht schmälern würde. Die Fortpflanzung der Menschen kann ja nur als Fortführung ihrer ersten Schöpfungsversuche aufgefasst werden. Und für den Fall, dass das gesamte Menschengeschlecht zu Grunde ginge, würde die Natur ganz sicherlich versuchen durch eine andere und bessere Neukonstruktion das Menschengeschlecht zum Ruhme ihrer Allmächtigkeit vollständig neu zu erschaffen.
Worauf die Protagonistin Madame de Saint-Ange sinngemäß einwarf: Ob er, Dolmancé wisse, dass er aufgrund dieser vernunftgemäßen Erwägungen geradezu beweisen könne, dass man der Natur mit der totalen Vernichtung der Menschheit nur einen großen Dienst erweisen würde?

Was Dolmancé bejahte.

Madame de Saint-Ange
fuhr dann sinngemäß weiter: Um Himmelswillen! Kriege, Brandstiftungen, Hungersnöte, Katastrophen aller Art wären nach dieser Betrachtungsweise nur notwendige und naturgemäße Begebenheiten. Der Mörder, Brandschatzer, Räuber würde dann weder in dem einen Fall zum Verbrecher noch im entgegengesetzten Falle das Opfer sein.

Worauf Dolmancé antwortete: Zum Opfer wird er zweifelsfrei in dem Falle, wenn er unter den Keulenhieben des Unglücks zusammenbricht, aber im anderen Falle wird er in der Täterrolle keinesfalls zum Verbrecher.

Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S.91/2

Das Fundamentalgesetz, das Kardinalprinzip der Natur besteht doch darin, dass das, was entsteht auch wieder vergehen muss. Die Wiederzerstörung der Lebewesen ist demnach ebenso Naturgesetz wie ihre Erzeugung. Wie können also die Naturgesetze verletzt werden, wenn ein Mann sich davor ekelt, ein Weib nur wegen der Fortpflanzung zu ficken? Im Gegenteil, wird der Natur nicht ein Dienst erwiesen, wenn ihr erspart wird, das Fortpflanzungsfabrikat wieder zu zerstören. Wie könnte das ein Vergehen, oder gar ein Verbrechen wider die Natur sein?

Die Idioten oder unverbesserlichen Fortpflanzer unter den Männern, könnten nun einwerfen, dass die wertvolle, Kinder erzeugende Samenflüssigkeit unter allen Umständen aus anderen Gründen in die inneren Gefilde der Frau gelangen dürfe, als zum Zwecke der Fortpflanzung des Menschengeschlechtes. Es wäre eine Sünde, wenn die lebenspendende Flüssigkeit, in den Arsch der Frau zu gespritzt oder was für ein abscheuliches und verdammenswertes Verbrechen, wenn er gar im Arsche eines anderen Mannes nutzlos vergeudet würde. – O heilige Einfalt! . . .

Wenn die Natur das Weib zu nichts anderem als zum Kindergebären und einer möglichst effizienten Fortpflanzungstätigkeit erschaffen hätte, so hätte sie doch dafür gesorgt, dass jede Frau ein paar Dutzend Kinder in die Welt gebären müsste, wie es bei den Schweinen die Ferkelsauen vormachen und dass sie sich mit der Fabrikation von gar keinem oder oftmals nur einem oder höchstens zwei Baby-Bälgern begnügen würde. Gerade der Sodomit oder die Tribade, die ihre Geschlechtslust nur mit dem eigenen Geschlecht befriedigen, sind doch die liebsten und süßesten Kinder der Natur, weil sie die ekelhafte Kinderfabrikation und uferlose Vermehrung des Menschengeschlechts wirkungsvoll behindern.

Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S.212-214

Blutschande

Hierzu äußert sich der Protagonist Dolmancé sinngemäß so:
Kann man die Ausübung des Geschlechtsverkehrs zwischen einzelnen Familienmitgliedern, wie Eltern mit Kindern, Bruder mit Bruder, Bruder mit Schwester, Schwester mit Schwester, Großeltern mit Enkeln etc. als Verbrechen bezeichnen? Sicher nicht, weil sie dem Menschen direkt von der Natur in sein Stammbuch geschrieben ist! Bedenken wir doch, dass die Menschheit nach großen Ereignissen, wie nach der biblischen Erschaffung der ersten Menschen Adam und Eva und deren Kindern sowie nach der historisch verbürgten Sintflut nur durch Blutschande erneuern, fortpflanzen und weiterentwickeln konnte. Diese Beispiele finden wir nicht nur in der Bibel dokumentiert, sondern auch im Christenglauben. Die Familien Adams und Noahs konnten sich gar nicht anders als nur durch den Geschlechtsverkehr zwischen einzelnen Familienmitgliedern, also mittels der so genannten Inzest oder der Blutschande restaurieren und fortpflanzen. Eine fehlgeleitete Politik, die befürchtete, dass einzelne Familien durch die Inzucht allzu mächtig und geistig überlegen würde, habe dazu geführt, dass die Blutschande als Verbrechen unter Strafe gestellt wurde.
Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S. 103/4

Die so genannte Blutschande oder der Inzest sind auf gar keinen Fall strafwürdige Verbrechen, weil sie die Freiheit der Menschen stärkt, die sich nicht schämen ihre Familienbande fester zu verknüpfen, in dem sie Liebesgenüsse und Geschlechtsverkehr zwischen Eltern und ihren Kindern und die Geschwisterliebe untereinander pflegen. Denn da alle Bürger mehr oder weniger miteinander verwandt oder verschwägert sind, so ist anzunehmen, dass sie auch mehr uneigennütziges Interesse und Liebe für ihr gemeinsames Vaterland aufbringen werden! . . . Wie kann die Gesetzgebung in einem freien Staate so ignorant und borniert sein, gerade denjenigen den Geschlechtsverkehr untereinander zu verbieten, die von der Natur durch ihre Blutsbande und Blutsverwandtschaft dazu berufen sind, einander am meisten zu lieben?

Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S. 308/9

Christliche Religion
Der Protagonist Dolmancé hat (wie sich später herausstellt) hierzu eine Broschüre verfasst, in der er sinngemäß die Franzosen dazu auffordert, sich von der einem Sklaven des Titus, einem ordinären Marktschreier aus Judäa (gemeint ist Jesus Christus) inspirierten christlichen Religion abzuwenden. Denn, wenn sich der Franzose zu seinem eigenen Schaden weiterhin in der Finsternis das Christentums vergrübe, würde ihn zum einen der Hochmut und der tyrannische priesterliche Despotismus und zum andern die erbärmliche Engstirnigkeit und Oberflächlichkeit ihrer vom Mystizismus geprägten Dogmen dieser unglaubwürdigen, der menschlichen Phantasie entsprungenen Religion die freie Republikanerseele abstumpfen und sie unter das Joch der Knechtschaft zurückzwingen, das er unter dem Einsatz seiner gesamten Tatkraft gerade erst abgeschüttelt habe.

Wir sollten nicht vergessen, dass diese kindliche Religion eine der besten Waffen unserer tyrannischen Unterdrücker war, denn ihr Hauptmotto war doch, dass man dem Kaiser geben solle, was des Kaisers ist. Franzosen, wir dürfen uns nicht einbilden, der eine auf die Republik vereidigte Priesterschaft könne nicht mehr aufsässig werden, weil es standesgemäße Laster gibt, die niemals abgelegt werden. Glaubt mir, dass eure Priester mit Hilfe der christlichen Religion die Herrschaft über eure Seelen zurückgewinnen und euch wieder an die Kette eurer Regenten legen würde . . .

Vernichten wir also für immer, was unsere Freiheit wieder zerstören könnte. Bedenken wir, dass die Ernte unserer Anstrengungen nur unseren Nachkommen zugute kommt, dass es unser Pflichtbewusstsein, unsere verantwortungsvolle Rechtschaffenheit es erfordern, alle gefährlichen Keime auszumerzen, die uns wieder in das Chaos stürzen können, dem wir eben mit allergrößter Mühe erst entronnen sind. Schon lösen sich unsere Vorurteile und katholischen Ungereimtheiten langsam in Luft auf. Das Volk hat bereits die Tempel abgeschafft, die Götzenbilder gestürzt und ist übereingekommen, dass die Eheschließung nicht mehr ein bürgerlicher Rechtsakt ist. Die zerbrochenen Beichtstühle werden in den öffentlichen Versammlungsräumen zweckentfremdet, die so genannten Gläubigen meiden die apostolischen Zechgelage und verfüttern die Götter aus Mehl an die Mäuse . . .


Franzosen, Europa erwartet von euch, dass ihr es von Zepter und Weihrauch befreit . . .

Was finden wir in den nichts sagenden, kraftlosen Göttern des Christentums? Was bietet uns diese dumme Religion?

Wenn jemand diese Religion aufmerksam analysieren würde, dann müsste er feststellen, dass die Ruchlosigkeiten, von denen sie geradezu überquillt, einerseits von der Rohheit und der arroganten Ignoranz der Juden, andererseits von der Gleichgültigkeit und Verworrenheit der Heiden beruhen. Anstatt sich das Gute der antiken Völker anzueignen, scheinen die Christen ihre Religion aus einer Mischung aller Laster gezeugt haben, die sie überall in der Antike angetroffen haben. S.279

Verführt euch die Botschaft des seichten Betrügers aus Nazareth zu irgendwelchen großartigen Gedanken? Bringt euch seine unreine, ekelhafte und unkeusche Mutter irgendwelche lobenswerte Tugenden nahe? Finden wir etwa unter den so genannten Heiligen, mit denen sein Elysium ausgeschmückt wird, wirkliche Vorbilder für nachstrebenswerte Größe, verehrungswürdigen Heldenmut oder liebenswerte Tugend? Es ist wahr, dass diese stumpfsinnige Religion keine erhabenen Gedanken anregt . . .

Man hat begriffen, dass der Christengott, den die ersten Gesetzgeber wohlüberlegt erfunden haben, nur ein weiteres Mittel war, das die Menschen an die Kette zu legen und dass sie es recht gut verstanden, ihr Hirngespinst nur das sagen zu lassen, was zur Förderung der lachhaften Gesetze diente, mit denen sie die Menschen unter ihr Joch bringen wollten. Lykurg, Numa, Moses, Jesus Christus, Mohammed, all diese frevelhaften Schurken und Tyrannen unserer Gedanken verbanden die Gottheiten, die sie erzeugten, mit ihrem maßlosen Ehrgeiz und ließen sie nur das sagen, was ihnen nützlich sein konnte.

Blicken wir heute mit der gleichen Verachtung auf den eitlen Gott, den diese Betrüger predigten und ihre religiöse Haarspalterei, die aus ihrer verachtenswerten Anerkennung entspringt . . .

Alle Religionen stimmten darin überein, dass die Menschen die Allmacht und Weisheit der Gottheit preisen sollen. Sobald man aber ihre Auswirkungen analysiert, fallen nur Schwäche, Wahn und Dummheit ins Auge. Es wird behauptet, dass Gott die Welt nur für sich selbst geschaffen habe, aber bis heute ist es ihm offenbar nicht geglückt, sich von den Menschen auf die rechte Weise zu verehren lassen. Gott hat uns in die Welt gesetzt, damit wir ihn anbeten sollen, doch wir, die wir seine Kinder sein sollen, vergnügen uns damit, ihn zu verhöhnen! Was ist das für ein armseliger Gott? . .
. S. 282

Ihr habt Angst vor dem, was kommt, wenn die Zügel der Religion gänzlich wegfallen? Welcher Blödsinn! Der, welcher sich vor dem materiellen Schwert der Gesetze keine Angst hat, lässt sich auch nicht von der moralischen Furcht von angeblichen Höllenqualen fesseln. Der Theismus hat uns zwar zu vielen Freveltaten verführt, aber noch keine einzige verhindert!

Wenn also bewiesen ist, dass die moralischen Schranken überflüssig sind, die uns die Gottesvorstellung auferlegt und dass ihre Auswirkungen in vielerlei Hinsicht sogar gefährlich sind, so ist doch die Frage berechtigt, wozu dieser Gott überhaupt nützlich sein soll und warum wir aus irgendeinem ominösen Grunde sein Leben verlängern sollen? . . .


Irdische Pflichten
Hierzu sagt der Protagonist Dolmancé sinngemäß:

Zu jeder Zeit hat man die so genannten irdischen Pflichten der Menschen – nach dem Tode gibt es keine mehr – unter folgenden drei Blickwinkeln betrachtet:

1. die imaginären Pflichten gegenüber dem höchsten Wesen, die sich der Mensch von seinem Gewissen und seinem Glauben auferlegen lässt.

2. Pflichten, die wir uns gegenüber unseren Mitmenschen auferlegen.

3. Pflichten, die wir gegenüber uns selbst zu erfüllen haben.


Zu Punkt 1: Die Gewissheit, dass sich kein Gott um uns kümmert, weil wir von Natur aus wie auch die Tiere und Pflanzen notwendig bedingte Wesen sind, weil es offenbar unmöglich ist, dass wir nicht sind. Diese Tatsache macht doch aber die Pflichten, die wir fälschlicherweise einer Gottheit zu schulden glauben, auf einen Schlag zunichte. Und mit ihnen lösen sich gleichzeitig alle religiösen Vergehen in Luft auf, die da unter den verschwommenen Begriffen »Gottlosigkeit«, »Blasphemie«, »Atheismus« etc. bekannt sind. Wenn es etwas Blödsinnigeres und Wahnwitzigeres gibt, so sind das Menschen, die ihr Wissen über ihren Gott und seine Forderungen nur von ihren beschränkten Vorstellungen herleiten und dennoch meinen, darüber urteilen zu können, was dieses lächerliche göttliche Phantom ihrer Phantasie befriedigt oder erzürnt.

Jede Religion sagt von sich, dass sie die beste sei und führt eine Unzahl von nicht übereinstimmenden Beweisen an, die großteils auch widersprüchlich sind. Es ist ungewiss, weil nicht beweisbar, ob es einen Gott gibt oder nicht. Wenn wir jedoch annehmen, dass es einen gibt, welche Religionsrichtung würde ihm dann am besten gefallen? Wenn wir jedoch weise handeln wollen, müssten wir sie entweder alle beschützen oder sie allesamt verbieten! Das Verbot ist nun aber sicherer, weil wir die moralische Gewissheit haben, dass jede einzelne von ihnen nur ein lächerlicher Mummenschanz ist, von denen keine mehr als die anderen einem nicht vorhandenen Gott gefallen kann.
S.291

Zu Punkt 2: Was die Pflichten gegenüber unseren Mitmenschen betrifft, so sind diese die umfassendsten von allen dreien: Die von Sophismen und Sophistikereien überquellende christliche Moral gebietet. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Nichts wäre in der Tat edler und erhabener, wenn das Falsche irgendwann die Merkmale des Schönen tragen würde. Es kann sich aber nicht darum handeln, seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben, da diese Verhaltensweise allen Naturgesetzen zuwiderlaufen würde.

Fjodor Michailowitsch Dostojewskij: Ich habe nie begreifen können, wie man seinen Nächsten lieben kann. Gerade die Nächsten kann man meiner Ansicht nach nicht lieben, sondern höchstens die Fernsten.
(DTV12410, Die Brüder Karamasow, 5.Buch, Die Auflehnung 4, S.319)

Friedrich Nietzsche: Rate ich euch zur Nächstenliebe? Lieber noch rate ich euch zur Nächsten-Flucht und zur Fernstenliebe!
(Reclam 7111, Also sprach Zarathustra 1.Teil, Von der Nächstenliebe, S.61)

Deine Nächsten werden immer giftige Fliegen sein; das, was groß an dir ist, - das selber muss sie giftiger machen und immer fliegenhafter.
(Reclam 7111, Also sprach Zarathustra 1.Teil, Von den Fliegen des Marktes, S.54)

Die Vergehen, die wir im Besonderen gegenüber unseren Nächsten begehen können, sind im Wesentlichen derer vier:

Punkt 1 : Die rohe Beleidigung oder Verleumdung unserer Nächsten,

Punkt 2: der Diebstahl an Hab und Gut unseres Nächsten,

Punkt 3: das eingebildete Vergehen oder Verbrechen, die Unkeuschheit gegenüber unserer Nächsten,

Punkt 4: das Attentat oder der Mord an unseren Nächsten.


Zu Punkt 1:

Friedrich Nietzsche: Verleumdung. – Kommt man einer eigentlich infamen Verdächtigung auf die Spur, so suche man ihren Ursprung nie bei seinen ehrlichen und einfachen Feinden; denn diese würden, wenn sie so etwas über uns erfänden, als Feinde keinen Glauben finden. Aber jene, denen wir eine Zeitlang am meisten genützt haben, welche aber, aus irgend einem Grunde, im Geheimen sicher darüber sein dürfen, nichts mehr von uns zu erlangen, - solche sind imstande, die Infamie ins Rollen zu bringen: sie finden Glauben: einmal weil man annimmt, dass sie nichts erfinden würden, was ihnen selber Schaden bringen könnte; sodann weil sie uns näher kennen gelernt haben. – Zum Troste mag sich der so schlimm Verleumdete sagen: Verleumdungen sind Krankheiten anderer, die an deinem Leibe ausbrechen; sie beweisen, dass die Gesellschaft ein (moralischer) Körper ist, so dass du an dir die Kur vornehmen kannst, die den anderen nützen soll.
Kröner 72, Menschliches, Allzumenschliches II, II. Der Wanderer und sein Schatten, 264

Ich begreife nicht, wozu man nötig hat, zu verleumden. Will man jemandem schaden, so braucht man ja über ihn irgendeine Wahrheit zu sagen.
Kröner 82, Die Unschuld des Werdens: Der Nachlass, VI. Psychologische Beobachtungen, 775

Der Protagonist Dolmancé sagt sinngemäß hierzu: Was die Verleumdung anbetrifft, so kann ich kein Übel in ihr erkennen, weil die Saat und das Gift der Verleumdung auf den Verleumder zurückfallen, wenn der Unschuldige sie widerlegt. Insofern dient die Verleumdung sogar als ein läuterndes und rechtfertigendes Mittel, denn durch sie wird die Tugend erst ins wahre Licht gesetzt. Deshalb darf die Verleumdung auch nicht bestraft werden.

Zu Punkt 2: Die Natur selbst sanktioniert doch den Diebstahl, denn seine Hauptbedingung ist doch die erforderliche Stärke und Macht dazu. Und die Macht schlägt allemal das Recht. Die eigenmächtige Wegnahme von Geld und Gut eines im Überfluss schwelgenden Nächsten kann doch keineswegs ein Verbrechen sein und als solches bestraft werden! Will der Reiche sein Hab und Gut im sozialen Staate nicht mit seinem ärmeren Nächsten freiwillig teilen, so muss er sich gefallen lassen, dass man es ihm gegen seinen Willen wegnimmt. Der Mächtigere bestiehlt eben ganz naturgemäß den Schwächeren, damit muss man sich abfinden! Die Gesetze gegen Diebstahl sind daher ein überflüssiges und vergebliches Machwerk! Die Regierungen lassen die Bürger bluten durch die Erhebung und Eintreibung drückender Steuerlasten Die Kaufleute stehlen, in dem sie sich ihre Waren durch weit überhöhte Preise bezahlen lassen. Warum soll daher ein professioneller Dieb denn nicht auch . . . ein bisschen . . . stehlen dürfen? Ich will mir weitere Worte zur Weckung der Nachsicht ersparen, dass es eine widerliche Grausamkeit ist, Diebe zu bestrafen!

Zu Punkt 3: Auch die so genannten Sittlichkeitsverbrechen, wie die Prostitution (a), der Ehebruch (b), die Blutschande (c), die Vergewaltigung (d) und die Sodomie (e) müssen als unerhebliche und harmlose Taten behandelt werden.

Zu Punkt 3.a: Die Prostitution ist im Grunde genommen das natürliche Ergebnis einer zu strengen Sittlichkeitsgesetzgebung! Sie wird oftmals als Schande angesehen, weil die Frauen (Prostituierten), für die Geschlechtsgenüsse, die sie anbieten, Geschenke annehmen. So wie den Männern das Recht eingeräumt wird, Liebesgenüsse von den Frauen zu verlangen, muss umgekehrt allen Frauen im Rahmen der Prostitution , das Recht zugestanden werden, dass sie die Liebesdienste und Liebesgenüsse, die sie den Männern bereiten, für Geldgeschenke zur Bestreitung und Sicherung ihres Lebensunterhaltes verkaufen. S.300

Die Protagonistin Madame de Saint-Ange äußert sich sinngemäß zur Prostitution:
Sie sei als verheiratete Frau selbst schon einmal als Prostituierte in einem Bordell tätig gewesen, wie man die öffentlichen Häuser nennt, in denen jeder Mann junge, hübsche Frauen treffen kann, die ihm zu einem bestimmten festgesetzten Preis ihre sexuellen Dienstleistungen verkaufen und auch seine perversesten Gelüste befriedigen würden. Sie sei im Freudenhaus zur ersten und beliebtesten Hure von allen Prostituierten aufgestiegen! Sie habe dort eine ganze Woche lang die unglaublichsten und abartigsten Gelüste und Kapriolen der ruchlosesten und schamlosesten Lebemänner befriedigt und dabei noch viele sonderbare und außerordentlich schlimme Geschmacksrichtungen gesehen, die Dinge beinhalten, die sie lieber verschweigen möchte. Sie habe ferner die Männer an Straßenecken angesprochen oder sich gleich, wie jede andere Hure, auf den öffentlichen Promenaden auf die Schnelle für ein bisschen Geld abwichsen und vögeln lassen. Die für ihre Prostitution erhaltenen Gelder habe sie hinterher verjubelt, in der Lotterie verspielt oder verschenkt. S. 99/100

Zu Punkt 3.b:
Friedrich Nietzsche: Das, was die Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Überflüssigen, - ach wie nenne ich das?
Ach, diese Armut der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu Zweien! Ach, dies erbärmliche Behagen zu Zweien!
Ehe nennen sie dies Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel geschlossen.
Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Überflüssigen! Nein, ich mag sie nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Tiere!

Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, das zu segnen, was er nicht zusammenfügte! . . .
Sorgsam fand ich jetzt alle Käufer, und Alle haben listige Augen. Aber seine Frau kauft auch der Listigste noch im Sack.
Viele kurze Torheiten – das heißt bei euch Liebe. Und eure Ehe macht vielen kurzen Torheiten ein Ende, als Eine lange Dummheit.

Reclam 7111, Also sprach Zarathustra 1.Teil, Von Kind und Ehe, S.70/71

Der Ehebruch ist bei näherer Analyse auf keinen Fall ein strafwürdiges Vergehen, Verbrechen oder Laster, sondern im Gegenteil eine förderungswürdige Tugend, weil er uns von der Natur eingegeben und diktiert wird. Es lässt sich doch kaum etwas Unnatürlicheres und Naturwidrigeres vorstellen, als die endlose Langeweile und Ewigkeit des so genannten unverbrüchlichen Ehebundes , der bedrückendsten und lästigsten Verbindung, die es auf Erden überhaupt geben kann. Je nach Temperament benötigt jede Frau mehrere Liebhaber und jeder Mann mehrere Geliebten zur Befriedigung der jeweiligen Begierden. Da beide Seiten das Recht auf Ehebruch beanspruchen können, kann von straffähigen Ehrverletzungen keine Rede sein. Im Übrigen wird das Zölibat der katholischen Pfaffen und Priester schon dafür sorgen, dass der Ehebruch als auch die Sodomie nie aussterben werden. S.307

Zu Punkt 3.c:
Siehe Blutschande

Zu Punkt 3.d: Vergewaltigung oder Notzucht
Die Natur hat den Stärkeren das Recht gegeben, die Schwächeren zu unterwerfen. Demzufolge ist es unbestreitbar, dass die Natur die Männer dazu berechtigt, der Frau ihre Wünsche aufzuzwingen. Da das Recht auf der Kraft beruht, die die Natur zur gewaltsamen Durchsetzung der geschlechtlichen Begierden verliehen hat, kann die Notzucht oder gewaltsame Nötigung einer Frau zur Befriedigung der männlichen Geschlechtslust kein Verbrechen sein . . . S. 302

Die Notzucht ist noch weniger als der Diebstahl ein Verbrechen. Während im Diebstahl das Eigentum eines Mitmenschen geraubt wird, wird durch die Notzucht das Eigentum der Mitschwester nicht geraubt, sondern nur . . . ein bisschen verschlechtert! Außerdem vollzieht der Notzüchter nur gewaltsam eine Handlung, die früher oder später nach Vollzug der kirchlichen und standesamtlichen Trauung von einem anderen Mitbruder ausgeübt worden wäre . . . S.309

Zu Punkt 3. e: siehe Sodomie

Zu Punkt 4:
Friedrich Nietzsche: . . . warum sollte es für einen alt gewordenen Mann, welcher die Abnahme seiner Kräfte spürt, rühmlicher sein, seine langsame Erschöpfung und Auflösung abzuwarten . . . Die Selbsttötung ist in diesem Falle eine ganz natürliche nahe liegende Handlung, welche als ein Sieg der Vernunft billigerweise Ehrfurcht erwecken sollte . . .
Kröner 72, Menschliches, Allzumenschliches I, II. Zur Geschichte der moralischen Empfindungen, 80

Verhinderung des Selbstmordes. – Es gibt ein Recht, wonach wir einem Menschen das Leben nehmen, aber keines, wonach wir ihm das Sterben nehmen: dies allein ist nur Grausamkeit.

Kröner 72, Menschliches, Allzumenschliches I, II. Zur Geschichte der moralischen Empfindungen, 88

Der Gedanke an den Selbstmord ist ein starkes Trostmittel: mit ihm kommt man gut über manche böse Nacht hinweg.
Kröner 76, Jenseits von Gut und Böse, Sprüche und Zwischenspiele, 157

Menschen-Recht und –Vorrecht . – Wir Menschen sind die einzigen Geschöpfe, welche, wenn sie missraten, sich selber durchstreichen können wie einen missratenen Satz; - sei es, dass wir dies zur Ehre der Menschheit oder aus Mitleiden mit ihr oder aus Widerwillen gegen uns tun.
Kröner 73, Morgenröte, Viertes Buch, 274

Der Protagonist Dolmancé sagt sinngemäß zur Selbsttötung:
Das einzige Verbrechen, das der Mensch sich selbst gegenüber begehen kann, dürfte der Tod durch die eigene Hand, also der Selbstmord sein! Es ist nutzlos sich über den Irrsinn der Gesetzgebung aufzuregen, die den misslungenen Selbstmord als Verbrechen unter Strafe stellen will, weil sich der Selbstmörder schon durch seine Tat genug bestraft. In der Antike als auch im Mittelalter wurde allerdings die Selbsttötung sowohl vom Staat als auch der Religion als Heldentat heroisiert. In Japan war bei Versagen der öffentliche Harakiri oder das Bauchaufschlitzen gang und gäbe. Die kriegerischen Heldentaten der Römer waren im Grunde genommen auch nichts anderes als tapfere Selbstmorde. Auch in den heutigen Kriegen kommt es doch häufig genug vor, dass Feldherren, Offiziere und einfache Menschen ihr Leben für das Vaterland oder ihre Religion in selbstmördischeren Heldentaten opfern. Wie kann, was für ein Widersinn würde, das verhindern und bestrafen wollen? S.319-320
Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir, S. 275-320

Atheismus
Friedrich Nietzsche: Warum heute Atheismus? - »Der Vater« in Gott ist gründlich widerlegt; ebenso »der Richter«, »der Belohner«. Insgleichen sein »freier Wille«: er hört nicht, und - wenn er hörte, wüsste er trotzdem nicht zu helfen. Das Schlimmste ist: er scheint unfähig, sich deutlich mitzuteilen: ist er unklar? – Dies ist es, was ich, als Niedergang des europäischen Theismus, aus vielerlei Gesprächen, fragend, hinhorchend, ausfindig gemacht habe; es scheint mir, dass zwar der religiöse Instinkt mächtig im Wachsen ist, - dass er aber gerade die theistische Befriedigung mit tiefem Misstrauen ablehnt.
Kröner 72, Jenseits von Gut und Böse, Das religiöse Wesen, 53

Der unbedingte redliche Atheismus (und seine Luft allein atmen wir, die geistigen Menschen dieses Zeitalters!) steht demgemäß nicht im Gegensatz zu jenem (asketischen) Ideale, wie es den Anschein hat; er ist vielmehr nur eine seiner letzten Entwicklungsphasen, eine seiner Schlussformen und inneren Folgerichtigkeiten, - er ist die Ehrfurcht gebietende Katastrophe einer zweitausendjährigen Zucht zur Wahrheit, welche am Schlusse sich die Lüge im Glauben an Gott verbietet.
Kröner 72, Zur Genealogie der Moral, Was bedeuten asketische Ideale, 27

Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, das die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet – wer wischt das Blut von uns ab? Mit welchem Wasser können wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selbst zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu scheinen?
Kröner 74, Die fröhliche Wissenschaft, Drittes Buch, 125

Vielleicht bin ich selbst ein bisschen auf Stendhal neidisch? Er hat mir den besten Atheistenwitz weggenommen, den gerade ich hätte machen können: »die einzige Entschuldigung Gottes ist, dass er nicht existiert« . . . Ich selbst habe irgendwo gesagt: was war der größte Einwand gegen das Dasein bisher? Gott . . .
Kröner 77, Ecce Homo, Warum ich so klug bin, 3

Der Protagonist Dolmancé äußert sich über den Atheismus sinngemäß:
Kommt es vielleicht im reinen Theismus vor, dass er die Menschen zu mehr Erhabenheit und Größe antreibt? Vermag eventuell der Glaube an ein imaginäres göttliches Wesen dazu führen, die für die Ausübung republikanischer Tugenden erforderliche Stärke zu verleihen, das die Menschen dazu verleitet diese Tugenden zu lieben und auszuüben? Wir sollten uns vor diesem Hirngespinst hüten, weil jetzt ganz allein der Atheismus die Philosophie aller mit Vernunft ausgestatteten Menschen sein muss. Im Zuge der Aufklärung haben wir begriffen, dass in der Materie von Natur aus eine Bewegung tätig ist, die einen Beweger, der notwendig ist, um diese Bewegung in Gang zu setzen, überflüssig und zur Chimäre macht, da alles, was ist und wird, seinem Wesen nach immerzu in Bewegung sein muss und somit eine gesonderte treibende Kraft überflüssig macht. S.280

Zerstören wir für alle Zeit jegliche Gottesidee und verhöhnen wir die chimärischen Erdichtungen der Religion, die unsere vollständige Verachtung und Negierung verdient. Der erste dieser Scharlatane, der uns noch einmal die Irrlehre von Gott und Religion predigen will, verdient es öffentlich verhöhnt, lächerlich gemacht und mit Kot beworfen zu werden. Lebenslange Gefängnishaft soll die Strafe für den sein, der zweimal diesen Fehler begeht. Zur völligen Vernichtung dieser entsetzlichen Spielzeuge unserer Kindheit müssen die schmählichsten Gotteslästerungen und atheistischsten Schriften erlaubt und verbreitet werden. Es sollte ein Wettbewerb für das Werk ausgeschrieben werden, das am besten geeignet ist, die Menschen über das Gottesgespinst aufzuklären. Ein ansehnlicher Preis sollte dem verliehen werden, der seinen Mitmenschen beweist, dass Gott und Religion, bloße Hingespinste sind und dass weder die eitle Hoffnung auf eine bessere Welt noch die Furcht vor größeren Übeln, die uns die Natur schickt, geignet sind, die Geschicke der Menschheit zu lenken. S. 288-28
Könemann, Marquis de Sade, Die Philosophie im Boudoir