Klemens von Alexandria, Titus Flavius (um 150 – um 215)
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Vielgereister und hochgebildeter griechischer Kirchenvater, der Leiter einer Katechetenschule in Alexandria war und in seinen
Werken gebildete Heiden zum Christentum bekehren suchte. Seine Gedankenwelt
verband die kirchliche Überlieferung mit der platonisch-stoischen Philosophie. Klemens (lat.
der Sanftmütige) bemühte sich,
die häretische
Gnosis durch ein eigenes, in sich geschlossenem, System einer kirchlichen
Gnosis zu überwinden. Origenes war nicht
nur sein Schüler, sondern auch sein Nachfolger an der Katechetenschule
in Alexandria. |
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Inahaltsverzeichnis
Aus
der Mahnrede an die Heiden Aus den »Teppichen« des Klemens von Alexandrien Glaube und Wille In Gottes Gegenwart Reich und arm |
Bibliothek
der Kirchenväter im Internet Teppiche (Stromateis) Welcher Reiche wird gerettet werden? (Quis dives salvetur?) |
Aus
der Mahnrede an die Heiden
I., 6. ... Zu einem schönen, von Geist erfüllten
Instrument hat der Herr den Menschen gemacht nach seinem Bilde — denn
auch er ist ein melodisches und heiliges Instrument Gottes, voll Harmonie...
Was will nun dieses Instrument Gottes, was will der göttliche Logos, der
Herr, und was soll das neue Lied? Die Augen der Blinden will Er öffnen
und die Ohren der Tauben auftun mit diesem Lied und die Hinkenden und Verirrten
mit diesen Klängen zur Gerechtigkeit führen, den unverständigen
Menschen Gott zeigen, dem Verderben ein Ende bereiten, den Tod besiegen und
ungehorsame Söhne mit dem Vater aussöhnen. Menschenfreundlich ist
dies göttliche Instrument, der Herr zeigt uns Erbarmen, erzieht, ermahnt,
warnt, rettet, bewahrt — und als Lohn dafür, dass wir Seine
Jünger werden, verheißt Er uns zum Überfluss auch noch
das Himmelreich. Denn Er will nichts von uns haben außer unserer eigenen
Rettung. Nur die Bosheit nährt sich vom Verderben ihrer Opfer, die Wahrheit aber richtet — wie eine Biene — nirgends Schaden an und freut sich
allein am Heil der Menschen.
Hier hast du also die Verheißung, hier die Gnade, du siehst die Güte
— o ergreife diese Hand! Und mein heilbringendes Lied halte nicht in dem
Sinne für neu wie ein neues Gefäß oder ein neues Haus! »Vor
dem Morgenstern« war es schon, denn »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort«. Aber freilich, als alt erscheint der Irrtum,
als etwas Neues die Wahrheit. Mögen nun durch Ziegen, von denen die Sage
erzählt, die Phrygier als uralt bekundet werden oder die Arkadier als noch
älter durch die Dichter, die dieses Volk »so alt wie der Mond«
nennen, oder die Ägypter als die ältesten — wie sie von jenen
genannt werden, in deren Einbildung das Nilland als erstes überhaupt Götter
und Menschen erzeugt habe —, sicherlich war doch von allen hier Genannten
kein einziger vor dieser unserer Welt vorhanden; wir aber waren vor Grundlegung
dieser Welt da, durch Gott schon zuvor geschaffen, weil wir in Ihm zu sein vorbestimmt
waren, wir, des göttlichen Logos vernünftige Geschöpfe, die wir
durch Ihn — nur durch Ihn — uralt sind, denn »Im
Anfang war das Wort«. Weil aber der Logos
von Anfang an war, ist Er der göttliche Anfang aller Dinge. Und weil Er
jetzt den seit alters geheiligten und Seiner Macht würdigen Namen Christus
angenommen hat, darum habe ich Ihn das neue Lied genannt...
II., 11. ... Kümmert euch also nicht um die gottlosen Heiligtümer,
nicht um die Höhlen und Klüfte, angefüllt mit Zauberei, oder
um den Thesprotischen Kessel oder den Dreifuß von Kirrha oder das Erzbecken
von Dodona! Überlasset den veralteten Sagen das im Sand der Wüste
verehrte Gerandryon, die heiligen Eichen und das Orakel dort, das sich samt
seiner Eiche als kraftlos erwiesen hat. Verstummt ist nun die Kastalische Quelle und ebenso die von Kolophon, und die übrigen wahrsagenden Wasser sind in
gleicher Weise versiegt und —wenn auch spät — so doch endlich
ihres eitlen Ruhmes bar, nachdem sich ihr Wasser samt den damit verbundenen
Sagen verlaufen hat. Zähle sie ruhig alle auf, die wertlosen Orakelstätten
alles sonstigen Wahrsagens oder vielmehr Wahnsagens, den Klarios, den Pythios
Apollon, den Didymeus, den Amphiareos, den Amphilochos, und wenn du willst,
so entziehe der Verehrung auch — wie jene selbst — ihre Zeichenseher
und Vogelschauer und Traumdeuter; hole auch noch jene herbei, die aus Weizen
und Gerste wahrsagen, stelle sie neben den Pythios, und auch noch die bei den
Volksmengen und Festen hochverehrten Bauchredner!
Ebenso sollen die Heiligtümer der Ägypter und die Totenbeschwörungen
der Tyrrhener dem Dunkel der Vergessenheit überliefert werden. Denn sind
das nicht in Wahrheit nur Sophistenschulen voll Wahnwitz für ahnungslos
Leichtgläubige und Spielhöllen für Menschen voll von vollendetem
Irrwahn? Hat man doch sogar Ziegen und Krähen zu Gehilfen dieses Schwindels
abgerichtet: Menschen haben sie gelehrt, anderen Menschen ihre angebliche Zukunft
zu prophezeien!
Soll ich dir auch noch die Mysterien aufzählen? Ich will nicht, wie es
Alkibiades getan haben soll, ihre Geheimnisse ausplaudern. Ich will nur, geleitet
durch das Wort der Wahrheit, den in ihnen verborgenen Schwindel ganz deutlich
aufdecken; ich will eure sogenannten Götter, denen die Mysterienweihen
gelten, wie auf der Bühne des Lebens selbst vor den Zuschauern der Wahrheit
erscheinen lassen.
Dem rasenden Dionysos zu Ehren feiern die Bakchen ihre Orgien, indem sie durch
Verzehren von rohem Fleisch ihren heiligen Wahnsinn zeigen; sie feiern die Zerreißung
des lebendigen Fleisches ihrer Opfertiere, bekränzt mit Schlangen, wozu
sie »Eva« rufen — das ist der Name jener Eva, durch welche
die Sünde in die Welt kam —, und das Symbol der bakchischen Orgien
ist die geweihte Schlange. Nun bedeutet aber — gemäß der genauen
Erklärung des hebräischen Wortes — der Name Hevia, mit Spiritus
asper geschrieben, die weibliche Schlange. Deo aber und Kore gaben sogar den
Stoff zu einem Mysteriendrama, und ihre Irrfahrt, den Raub, die Trauer, feiert
Eleusis bei Fackelschein
II., 14. Und jetzt — denn es ist hohe Zeit — will ich euch zeigen,
wie eure Orgien voll von Betrug und Schwindel sind. Und wenn ihr eingeweiht
seid, werdet ihr nur um so mehr über diese eure hochgeehrten Mysterien
lachen müssen. Ich werde euch das Verborgene ganz offen nennen, ohne mich
zu scheuen. Die Schaumgeborene also...
XII., 119. So komm denn, du Betörter, nicht auf den Thyrsos gestutzt, nicht
mit Efeu bekränzt! Wirf die Stirnbinde weg! Wirf weg das Hirschfell —
werde wieder nüchtern! Ich will dir den Logos und
die Mysterien des Logos zeigen und sie dir mit den Bildern erklären, die
dir vertraut sind. Hier ist der von Gott geliebte Berg, nicht ein Schauplatz
für Tragödien, wie der Kithairon, sondern dem Drama der Wahrheit geweiht,
ein nüchterner Berg, von heiligen Wäldern beschattet; und auf ihm
schwärmen nicht die Schwestern der »vom Blitz
getroffenen Semele« umher, die Mänaden, die in jene unheiligen
Fleischzerreißungen eingeweiht werden sollen, sondern die Töchter
Gottes, die schönen Lämmer, die von den heligen Weihen des Logos künden
und einen demütigen Chorreigen um sich versammeln. Diesen Chorreigen bilden
die Gerechten, und das Lied, das sie singen, ist der Preis des Königs der
Welt. Die Mädchen schlagen die Saiten der Leier, Engel verkünden den
Ruhm, Propheten reden, und Klang von Musik erschallt.., es eilen die Berufenen,
voll Sehnsucht, den Vater zu empfangen. Komm auch du, blinder Seher, zu mir,
verlasse Theben und wirf Wahrsagekunst und Bakchosdienst von dir, laß
dich zur Wahrheit führen! Fühle, ich reiche dir hier das Holz des
Kreuzes, dich darauf zu stützen. Eile, Teiresias, komme zum Glauben! Du
wirst sehend werden. Christus, der die Augen der Blinden
wieder sehend macht, leuchtet auf, heller als die Sonne. Auch von dir
wird die Nacht weichen, das Feuer wird sich vor dir fürchten, der Tod sich
von dir scheiden. Den Himmel wirst du schauen, Greis, der du Theben nicht sehen
konntest...
Aus
den »Teppichen« des Klemens von Alexandrien
I., 7, 3. Seelen haben ihre eigene Nahrung; die einen
gedeihen durch Erkennen und Wissen, die anderen finden ihre Weide in
der griechischen Philosophie, von der freilich, wie von den Nüssen, nicht
alles essbar ist. »Der Pflanzende aber und
der Begießende gehören zusammen«, entsprechend ihren
Dienstleistungen — beide sind nur Gehilfen dessen, der wachsen lässt
—, »aber jeder von ihnen wird seinen besonderen
Lohn erhalten, wie es seiner besonderen Arbeit entspricht. Denn wir sind Gottes
Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bauwerk« nach
den Worten des Apostels (1. Kor. 3, 8 f.).
I ., 8. Man darf daher den Hörern nicht gestatten, auf Grund von Vergleichen
eine Schätzung vorzunehmen, und auch nicht die Lehre denen zur Musterung
ausliefern, die in verwandlungsreichen Redekünsten und in der machtvollen
Wirkung großartig rhetorischer Schlußfolgerungen geübt und
aufgewachsen sind, und noch weniger denen, deren Seele bereits in Vorurteilen
befangen und deren Aufnahmefähigkeit nicht zuvor für neues Denken
frei gemacht worden ist. Doch wenn sich jemand auf Grund seines Glaubens entschließt,
zum Gastmahl zu kommen, so ist er gewiss zur Aufnahme göttlicher Lehren
geeignet, denn er besitzt ja als vernünftigen Entscheidungmaßstab
eben den Glauben. So gewinnt er zum Glauben auch noch die Überzeugung hinzu.
Genau dies ist auch der Sinn des Prophetenworts: »Wenn
ihr nicht glaubet, so verstehet ihr auch nicht« (Is.
7, 9) ...
I ., 9, 1. Wer nur zu Anwesenden spricht, der nimmt bei Prüfung seiner
Hörer Rücksicht auf die Zeit und trifft seine Entscheidungen auf Grund
seiner Urteilskraft. So kann er von allen übrigen sehr bald den unterscheiden,
der zu hören fähig ist; er achtet dabei auf die Worte, die Sitten,
die Sinnesart, die Lebensweise, auf Bewegung und Haltung, auf Blick und Stimme,
auf die Wegeskreuzung und den Felsen, auf den Pfad, der sich uns durch all das
Zertretene anzeigt, auf die fruchtbare Erde und auf das unzugängliche Gestrüpp
— und auf den wohl bearbeiteten Acker, der die Aussaat wird vielfältig
wiedergeben können. Wer dagegen durch Schriftwerke zu anderen spricht,
der sucht sich ein reines Gewissen zu schaffen Gott gegenüber, indem er
in seiner Schrift laut bezeugt, daß er nicht um Gewinnes willen schreibe
und auch nicht eitler Ehre zuliebe, dass er sich nicht von Leidenschaft
bestimmen, nicht von Furcht knechten, nicht von Freude betören lasse —
und daß er keinen anderen Genuss suche, als dem Heil seiner Leser
zu dienen; das aber ist ein Genuss, der ihm nicht einmal gleich in der
Gegenwart beschieden sein kann, so daß ihm nur — die Hoffnung bleibt.
I ., 18, 1. Die »Teppiche« werden aber
die Wahrheit stets mit den Lehren der Philosophie vermischt enthalten, vielmehr
in sie verhüllt und in ihnen verborgen, so wie der essbare Kern in
der Schale einer Nuss verborgen steckt. Ich meine nämlich, dass
es sich zieme, die Samenkörner der Wahrheit allein für die Ackersleute
des Glaubens aufzubewahren. Freilich kenne ich auch das Gerede der Leute sehr
wohl, die töricht genug vor jedem Geräusch erschrecken und darum sagen,
man solle sich nur mit dem Nötigsten beschäftigen, nur mit dem, was
für den Glauben unentbehrlich ist.., andere meinen sogar, dass die
Philosophie als solche von Übel sei.., ich werde aber überall in meinen »Teppichen« zeigen.., dass auch
die Philosophie in mancher Hinsicht ein Werk göttlicher Vorsehung ist.
I ., 28, 1. Vor der Ankunft des Herrn war Philosophie für die Griechen
das Mittel der Rechtfertigung, jetzt aber ist sie für die Gottesfurcht
nützlich, denn sie wird zu einer Art Vorbildung für alle, die den
Glauben durch Beweise gewinnen wollen. »Dein Fuß
wird nicht anstoßen«, so heißt es (Sprichw.3,
23), wenn du alles Gute auf die Vorsehung zurückführst, gleichviel,
ob du es bei uns oder bei den Griechen findest. Denn Gott ist der Urheber alles
Guten, im Alten wie im Neuen Testament ist dies auch immer unmittelbar um seiner
selbst willen der Fall, dagegen bei der Philosophie ist es immer nur eine Folgeerscheinung.
Vielleicht wurde aber auch die Philosophie um ihrer selbst willen den Griechen
gegeben, zur Zeit, ehe noch der Herr auch die Griechen berufen hatte, denn die
Philosophie erzog das Griechenvolk für Christus, wie das Gesetz die Hebräer.
I ., 45, 3. »Die Gebote«, so heißt
es, »schreibe dir doppelt auf, für Rat und
Kenntnis, damit du mit Worten der Wahrheit antworten kannst, wenn dir eine Frage
vorgelegt wird.« Was ist das für eine Kenntnis, die das rechte
Antworten ermöglicht? Die gleiche, die auch beim rechten Fragen hilft.
Das wird wohl die Dialektik sein. Ist denn nicht auch das Reden eine Tätigkeit,
und ist nicht das Handeln eine Folge von Reden und Überlegen? Wenn wir
nicht mit Überlegung handeln, ist unser Tun töricht und blind. Jede
vernünftige Tat dagegen wird nur entsprechend dem Willen Gottes ausgeführt. »Und nichts ist ohne das Wort geworden«, so heißt es, nämlich nichts ohne das Wort Gottes. Hat nicht auch
der Herr alles durch Sein Wort gemacht? Arbeiten — das können auch
unsere Haustiere, aber nur, wenn der Zwang der Furcht sie vorantreibt...
II ., 97, 1. Der Erkennende ist der Mensch nach Gottes
Bild und Ähnlichkeit, denn soweit es ihm überhaupt möglich ist,
wird er auch Gott nachzuahmen sich bemühen und nichts unterlassen, was
irgend zu den menschlich erreichbaren Ähnlichkeiten mit Gott beitragen
kann, er wird Enthaltsamkeit und Geduld üben, gerecht leben, seine Leidenschaften
beherrschen, wie ein König seine Untertanen beherrscht, wird von seiner
Habe bereitwillig mitteilen, wird nach allen seinen Kräften in Wort und
Tat wohltätig sein...
Das Ähnlichwerden nennt das Gesetz »Nachfolge«, und solche
Nachfolge macht in der Tat ähnlich. »Werdet
mitleidig und barmherzig«, sagt der Herr, »wie euer himmlischer Vater barmherzig ist.« Auch die Stoiker
lehrten ja schon, das höchste Ziel sei, der Natur zu folgen — sie
hatten eben statt »Gott« einfach »Natur« eingesetzt, ungehörigerweise, denn der Begriff
Natur erstreckt sich auf Gepflanztes und Gesätes auch, auf Bäume und
auf Steine...
Der Pythagoreer Hippodamos schreibt: »Von
den Freundschaften stammt die eine aus der Kenntnis der Götter, die andere
aus der Freigebigkeit der Menschen, die dritte aus der Lust der Tiere.« Die erste Art ist die der Philosophen ... und tatsächlich ist ja ein Mensch,
der Wohltaten erweist, immer ein wenig auch Abbild Gottes.
IV., 9, 1. ... Auch Pythagoras hat Gott
allein weise genannt, sich selbst aber wegen seiner Liebe zu Gott einen
Philosophen, also einen Freund der Weisheit. In ähnlichem Sinn ist die
Stelle zu verstehen: »Gott sprach mit Moses wie
ein Freund mit einem Freunde.« Denn das Wahre ist in Gott offenbar,
der Erkennende aber liebt die Wahrheit und sucht sie. »Gehe hin zur Ameise,
du Faulpelz, und werde ein Schüler der Bienen« sagt Salomo. Aber
wenn jedes Geschöpf eine einzige seinem Wesen entsprechende Art der Beschäftigung
hat, das Rind die seine, und das Pferd die seine, und auch der Hund betätigt
sich nur in der einen, ihm eigenen Art — was sollen wir dann als die dem
Menschen allein und urtümlich vorbehaltene Betätigungsweise ansprechen?
Der Mensch gleicht, wie mir scheint, einem Zentauren, diesem merkwürdigen
Traumgeschöpf Thessaliens, da er aus einem vernünftigen und einem
unvernünftigen Teil zusammengesetzt ist, aus Seele und Leib. Der Leib bearbeitet
die Erde und strebt zur Erde zurück, die Seele dagegen
ist auf Gott hin ausgerichtet — wenigstens soweit sie durch die
wahre Philosophie dazu angehalten und erzogen wird. Dann eilt sie empor, ihren
Verwandten entgegen, zuvor aber muss sie sich von den Begierden des Körpers
reinigen und mit ihnen zugleich alle Mühsal und Furcht ablegen.... Freilich
ist auch Erdulden von Mühsal nützlich, und Furcht
ist nützlich, soweit sie Gottesfurcht ist, und das heißt Erkenntnis
der Sünde, und solche Erkenntnis kommt durch Kenntnis des Gesetzes.
Ohne Gesetz ist die Sünde tot... Herakleitos hat
recht, wenn er sagt:
»Man würde den Namen des Rechtes nicht kennen, wenn es kein Unrecht
gäbe«,
und Sokrates meint, das Gesetz sei gewiss nicht entstanden, um die Guten zu lenken... Denn die Gebote: »Du
sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen« und so weiter, können in dem einzigen Satz zusammengefasst werden: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst« . . . Wenn aber der nichts Böses tut, der seinen Nächsten
liebt, und wenn wirklich alle Gebote in der einen Forderung zusammengefasst
werden können, man solle den Nächsten lieben, dann wollen also alle
Gesetze und Gebote nicht Hass bewirken — obwohl sie doch drohend
die Furcht über alle Menschen schweben lassen —, sondern nur Liebe...
Enthalten in: Christliche Geisteswelt, Band I, Die
Väter der Kirche . Herausgegeben von Walter Tritsch (S.107-116); Holle
Verlag , Darmstadt
Glaube
und Wille
Wenn ihr nicht glaubt, werdet
ihr nicht verstehen. Is 7,9
Die große Menge versteht nicht — aber bildet sich ein, zu verstehen.
Der Glaube ist eine Vorwegnahme der Erkenntnis, eine Zustimmung des empfänglichen
Geistes, ein »Feststehen im Erhofften« (Heb
11, 1) — man kann auch sagen: die im Anschluss an einen
Zeugen vollzogene Bejahung des Unsichtbaren, so wie der Beweis das bisher Unbekannte
aus eigener Einsicht fasst.
(Als Anschluss an den Zeugen) ist Glaube eine Willens-Entscheidung,
eine einsichtsvolle Entscheidung, die Grundlage des Handelns. Eine »einsichtsvolle
Entscheidung«, indem man im Glauben den Beweis vorausnimmt und willig
dem Wertvollen folgt. Und das ist Anfang der Verständigkeit, ein mächtiger
Aufschwung der Erkenntnis. Mit dem Augenblick der Entscheidung wird die Glaubenshingabe
zu einer Erkenntnis, die auf fester Grundlage ruht.
Wenn nämlich das göttliche Wort selbst die Wahrheit in religiösen
Dingen lehrt, so ist der Glaubensanschluss sicher die einzige Grundlegung
der Wahrheit. Wer den göttlichen Schriften glaubt, hat einen unbedingt
verläßlichen Maßstab für sein Urteil: er erfaßt
die Stimme Gottes als unumstößlichen Erweis. Darum sind »selig,
die nicht sehen und doch glauben« (Joh
20,29).
Wer meint, das Wissen sei imstande, alles zu beweisen, möge sich sagen
lassen, daß die Prinzipien (die Voraussetzungen seines Denkens) unbeweisbar
sind. Der Glaube allein erfasst das Urprinzip. Und wie man in praktischen Dingen nur durch Übung zur Meisterschaft kommt,
so erkennt man im Religiösen nur durch Glaubensgehorsam. Man gehorcht dem
göttlichen Wort als Lehrer, und das Wort des Herrn ist es wert, als Beweis
zu gelten.
Im Glauben ist Liebe, und diese schafft gläubige Menschen. Liebe hat eine
innere Nähe zum Glauben, und der Glaube seinerseits nimmt die Liebe auf
und führt sie zur Vollendung. S.249
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München
In
Gottes Gegenwart
Ich will beständig Deinen
Namen preisen, ihm Dankeslieder singen. Sir 54, 44
Nicht nur an ausgewählten Tagen, sondern immerwährend durchs ganze
Leben und auf alle Weisen Gott zu verehren, sind wir belehrt. Durchs ganze Leben
ehrt der Erleuchtete seinen Gott an jedem Orte, ob er nun ganz allein oder in
Gesellschaft mit andern ist.
Wenn schon der nahe Umgang mit einem guten Menschen auf den Gefährten wirkt
und ihn durch die Verehrung und Liebe im Guten fördert, wieviel mehr wird
derjenige, der durch innere Anschauung, Leben, Dankgebet immer Gott nahe ist,
mehr und mehr an Gutem gewinnen!
Der Erlöste ist der Gottnahe im besonderen Sinne. Ernst und Fröhlichkeit
zugleich bezeichnen sein Tun: Ernst, weil er dem Göttlichen zugewendet
ist, Fröhlichkeit, weil er die menschlichen Güter wertschätzt,
die ihm Gott gegeben. Ein solcher ist fürwahr ein königlicher Mensch
und ein heiliger Priester Gottes. S.137
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München
Reich
und arm
Die Erwerbenden so, als besäßen sie nichts,
und die sich mit der Welt befassen, als machten sie keinen Gebrauch von ihr.
1. Kor 7, 30f.
Der Herr erkennt auch den Gebrauch von äußeren Gütern an und
befiehlt nicht, von sich wegzutun, was zum Leben gehört. Nur dessen schlechte
Verwendung, also die moralische Krankheit der Seele, wollte er nicht. Denn in
ein unreines Herz zieht Gottes Gnade nicht ein. und unrein ist die Seele, die
voller Begierde ist.
Es kann einer großen Besitz sein eigen nennen und damit als Gaben Gottes
dem göttlichen Geber zum Wohle der Mitmenschen dienen. Wenn er sich bewußt
ist, daß er dies mehr für seine Brüder als für sich selbst
besitzt, wenn er wahrhaft Herr seines Besitzes und nicht dessen Sklave ist,
wenn er nicht so daran hängt, daß er ihn zum Ziel und Inhalt seines
Lebens macht, wenn er stets darauf bedacht ist, damit Gutes, im göttlichen
Sinne Gutes zu tun, wenn er bei Verlusten die Lösung mit ruhigem Gemüte
trägt, so wie er mit dem Überfluss umzugehen wusste: ein
solcher kann wohl des Himmelreichs teilhaft werden.
Wer freilich auf das Irdische versessen ist, wer am Reichtum mit seiner Seele
hängt und statt des göttlichen Geistes den Geldsack oder die Ackerscholle
in seinem Herzen hegt und, vom Niederen abhängig, in den Fesseln der Welt
verstrickt, seinen Besitz ins Unermeßliche steigern will, ein solcher »ist von der Erde und wird zur Erde«
(Gen 3, 19). Wie könnte ein solcher
nach dem Himmelreich auch nur Verlangen tragen (geschweige
denn es erlangen)?
Auch ein Armer, dem es am Lebensnötigen fehlt, kann von den Leidenschaften
besessen sein — während ein Reicher nüchtern, anspruchslos und
rein sein kann. S.226
Aus: Otto Karrer, Jahrbuch der Seele . Aus der Weisheit der christlichen Jahrhunderte.
Verlag Ars Sacra Josef Müller München