Dionysios Areopagita (5. Jh.)

Der Name Dionysios Areopagita ist das Pseudonym eines nicht eindeutig verifizierbaren syrischen Autors. Möglicherweise handelt es sich um Petrus den Walker, einen monophysitischen Patriarchen des 5. Jahrhunderts. Areopagita verschmolz in seinen Schriften neuplatonisches und christliches Gedankengut zu einer Einheit. Danach ist »Gott« einerseits »vollkommenes Selbstsein«, andererseits aber zugleich auch ein »Anderssein«, in dem er mittels seiner Schöpferkraft die Welt generiert. Dies ist möglich, weil sein Wesen zugleich Stabilität und Bewegung in einem ist. Er ist jenseits der sichtbaren Welt, gänzlich unerkennbar und unzugänglich. Es gibt zwei Wege Gott zu erkennen: den der positiven Aussagen über ihn (via positiva) und den der Negation (via negationis). Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich; bei seiner Fleischwerdung bleibt die göttliche Natur unverändert. Er geht aus der Einheit des Vaters hervor, ohne dass diese dadurch gemindert wird und er weniger eins ist als sie. Daraus folgt, dass die göttlichen Attribute voll und ganz auch für Christus gelten. Als Gott erleuchtet er die himmlischen Hierarchien, als Mensch ist er Haupt der kirchlichen Hierarchie. Im 9. Jahrhundert durch Johannes Scotus Eriugena ins Lateinische übersetzt, wurden eine Werke als angeblich urchristliche Zeugnisse auch für die abendländisch platonisierende Scholastik und Mystik bedeutsam.Das »Corpus Dionysiacum« enthält vier größere Abhandlungen und zehn Briefe.

Siehe auch Wikipedia und Heiligenlexikon



Inhaltsverzeichnis
Über die mystische Theologie
Was das «göttliche Dunkel» sei
Wie man sich einen solle mit dem, der alles verursacht

Der höchste Grund alles sinnlich Wahrnehmbaren
Der höchste Grund alles Intelligiblen

Briefe:
I. An Gaius den Mönch
,
II. An denselben


Die Namen Gottes
Die überwesentliche und verborgene Gottheit
Das intelligible und einende Licht
Das Anmutige und Gute

Die himmlische Hierarchie
Das Wesen der Hierarchie und ihr Nutzen
Die Heilige Stufenordnung
Vergottung ist das Ziel der himmlischen Hierarchie
Reinigung, Erleuchtung und Vollendung

Die Hierarchie der Engel
Engel sind einfache gottähnliche Wesen
Die Engelchöre

Gott offenbart sich nur in Visionen
Warum alle himmlischen Wesen »Engel« genannt werden
Die himmlische Ordnung
Die erste, zweite und dritte Ordnung der himmlischen Wesen
Die triadische Ordnung

Die oberste Hierarchie

Die Seraphim, Cherubim und Throne
Das besondere Wesen der obersten Hierarchie
Aufklärung und Erleuchtung der Engel
Höchste Erleuchtung der ersten Triade

Die kirchliche Hierarchie
Das Wesen der Hierarchie
Definition und Ziel der Hierarchie
Die Hierarchie ist ein Gnadengeschenk der göttlichen Güte
Die Grundlegung der Hierarchie
Das allheilige Gesetz der Urgottheit

Das Geheimnis der Taufe
Tiefere Wahrheiten und heilige Wirkungen der Taufe
Blick auf die Urquellen der Sakramente
Die Ausgießung der wohltätigen Strahlen des göttlichen Lichts
Die Einheit mit dem Einen
Die Versinnbildlichung des Todes bei der Taufe

Über die Feier des heiligen Abendmahls (Eucharistie)
Die Phasen des göttlichen Erlösungswirkens
Das allerheiligste Mysterium in der Feier des heiligen Abendmahls
Erlösungs- und Heiligungswerk
Falsche und richtige Ansichten über den Tod



1. Die göttlichen Namen, eine Untersuchung der in der Bibel oder in philosophischen Schriften vorkommenden Gottesnamen, an denen das Wesen und die Eigenschaften Gottes erläutert werden;

2. Die mystische Theologie ist eine Untersuchung der mystischen Vereinigung der menschlichen Seele mit dem Göttlichen; in höchst eindringlicher Form wird hier die absolute Transzendenz Gottes beschrieben, der sich im »überlichthaften Dunkel« jedem sinnlich-intellektuellen Zugriff entzieht

3. Die
himmlische Hierarchie bietet eine Darstellung des Reiches der Engel, ihrer Natur und Eigenschaften, sowie ihre Ordnung in 3 Triaden zu je 3 Chören;

4. Die
kirchliche Hierarchie gibt eine Deutung der Funktionen der kirchlichen Ämter und Stände, sowie der Sakramente; die Kirche wird als Abbild der Engelwelt gedeutet, in der ebenfalls 3 Triaden existieren: 3 Sakramente: Taufe, Heiliges Öl, Eucharistie; 3 priesterliche Stände: Bischöfe, Priester, Liturgen/ Diakone; drei diesen unterstehende Stände: Mönche, Gemeindevolk, Stände der Reinigung (Katechumenen, Energumenen, Büßer).

5. Die 10 Briefe enthalten inhaltliche Ergänzungen zu den in den Hauptschriften erteilten psychologisch-praktischen Anweisungen.

Die mystische Theologie wird mit der apopharischen/negativen Theologie gleichgesetzt; die mystische Erfahrung wird in der Sprache negativer Theologie beschrieben. Mit dem Begriff »Dunkel/Finsternis« beschreibt Dionysius die Begrenztheit der menschlichen Seele bei ihrer Vereinigung mit dem Göttlichen; er benutzt diesen Begriff nur sparsam, dabei verzichtet er darauf, sein Verständnis vom Wesen der mystischen Vereinigung zu erläutern. Wiederholt betont er, dass diese Vereinigung jenseits des Verstehens steht und nur im Nichtwissen erlangt wird. Die Heilige Schrift ist für Dionysius ein vollkommener Text und als solcher unantastbar; sie kann verstanden werden mit Hilfe der Gnade und durch die in der kirchlichen Tradition vorgenommene und durch sie geschützte Auslegung.

Über die mystische Theologie
Was das «göttliche Dunkel» sei
«Dreieinigkeit, erhaben über alles Sein, alles Göttliche und alles Gute, die Du über die Gottesweisheit der Christen wachst, geleite uns zum Gipfel der geheimnisvollen WORTE empor, hoch über alles Nichtwissen wie über alles Lichte hinaus. Dort liegen ja der Gotteskunde Mysterien in überlichtem Dunkel geheimnisvoll verhüllten Schweigens verborgen: einfach, absolut und unwandelbar. Inmitten undurchdringlichen Dunkels übertreffen sie (noch) an Glanz, was (bereits) größere Leuchtkraft besitzt als alles Übrige; inmitten des gänzlich Unbegreifbaren und Unsichtbaren machen sie die (dafür) blinden Geister jenes Glanzes übervoll, der an Schönheit alles in den Schatten stellt». […]

Achte indes darauf, daß kein Uneingeweihter davon zu hören bekomme. Ich spreche von solchen, die der Dingwelt verhaftet sind und in deren Vorstellungskraft über das Seiende hinaus nichts existiert - in einer Weise (freilich), die das Sein übersteigt. […]

Wie man sich einen solle mit dem, der alles verursacht und alles transzendiert, und ihn preisen
Daß wir in diesem überlichten Dunkel weilen und im Nichtsehen und Nichterkennen den sehen und erkennen möchten, der unser Sehen und Erkennen übersteigt, (und zwar gerade) durch Nichtsehen und Nichterkennen - denn das bedeutet in Wahrheit Sehen und Erkennen -, darum bete ich; und daß wir den Überseienden in überseiender Weise preisen, indem wir ihn abheben von allem, was ist. Damit sind wir Bildhauern gleich, die aus einem gewachsenen Steinblock eine Statue meißeln: Sie hauen alles heraus, was dem reinen Anblick des verborgenen Bildes im Wege steht, und (allein dadurch), durch bloßes Weghauen, bringen sie die in ihm selbst verborgene Schönheit zum Vorschein.

Man muß aber, wie mir scheint, die Verneinungen in (genau) entgegengesetzter Weise preisen wie die Bejahungen. Bei diesen nämlich nahmen wir von den ursprünglichsten («allerersten», d.h. abstraktesten) Seinsformen unseren Ausgang und stiegen über die mittleren bis zu den niedersten («letzten», d.h. konkretesten) herab. Dort hingegen (schlagen wir den umgekehrten Weg ein): Wir steigen von den niedersten zu den ursprünglichsten (Seinsformen) auf und streifen alles ab, um unverhüllt jenes Nichtwissen zu erkennen, das von allem Erkennbaren in der gesamten Seinswelt rings umhüllt ist, und jenes überseiende Dunkel zu schauen, das von der Gesamtheit des Lichts inmitten der Seinswelt verborgen wird. […]

Daß der höchste Grund alles sinnlich Wahrnehmbaren selbst nicht zum Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren gehöre
Wir sagen also (von Gott) aus, daß die Allursache, die auch alles transzendiert, weder wesenlos noch leblos, weder sprachlos noch vernunftlos ist. Sie ist auch kein Körper, besitzt weder Gestalt noch Form, weder Qualität noch Quantität noch Gewicht. Sie ist nicht auf einen Ort beschränkt; weder Auge noch Tastsinn erreicht sie. Sie wird (tatsächlich) weder sinnlich wahrgenommen, noch ist sie (überhaupt) sinnlich wahrnehmbar. Sie erleidet auch weder Unordnung noch Verwirrung, belastet mit aufs Materielle gerichteten Leidenschaften. Sie ist weder machtlos, weil mit Merkmalen behaftet, die dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung angehören, noch ermangelt sie des Lichtes. Auch keine Veränderung und kein Zerfall, keine Teilung und kein Verlust, kein Zerfließen oder was sonst noch aus dem Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren genannt werden mag, ist ihr gleichzusetzen oder zuzuschreiben.

Daß der höchste Grund alles Intelligiblen dem intelligiblen Bereich selbst nicht angehöre
Noch höher aufsteigend sagen wir von ihr (der Allursache) aus, daß sie weder Seele ist noch Geist; ihr ist auch weder Einbildungskraft, Meinung, Vernunft oder Denken zuzuschreiben, noch ist sie mit Vernunft und Denken gleichzusetzen, noch wird sie ausgesagt, noch gedacht. Sie ist weder Zahl noch Ordnung, weder Größe noch Kleinheit, weder Gleichheit noch Ungleichheit, weder Ähnlichkeit noch Unähnlichkeit. Sie hat weder einen festen Stand, noch bewegt sie sich, noch rastet sie. Ihr ist auch weder Kraft zuzuschreiben, noch ist sie mit Kraft identisch, noch mir Licht. Sie ist weder lebendig noch mit Leben identisch. Auch ist sie nicht Sein, nicht Ewigkeit, nicht Zeit. Sie kann aber auch nicht gedanklich erfaßt, noch gewußt werden. Auch ist sie weder mit Wahrheit, noch mit Herrschaft oder Weisheit gleichzusetzen. Sie ist weder eines noch Einheit, weder Gottheit noch Güte. Sie ist auch nicht Geist in dem Sinne, wie wir diesen Ausdruck verstehen, noch mit Sohnschaft oder Vaterschaft gleichzusetzen oder mit irgend etwas anderem, von dem wir oder irgendein anderes Wesen Kenntnis besäßen. Sie gehört weder dem Bereich des Nichtseienden noch dem des Seienden an. Auch erkennen sie die Dinge nicht so, wie sie (tatsächlich) ist, noch erkennt sie die Dinge in ihrem tatsächlichen (begrenzten bzw. zusammengesetzten) Sein. Sie entzieht sich jeder (Wesens-) Bestimmung, Benennung und Erkenntnis. Sie ist weder mir Finsternis noch mit Licht gleichzusetzen, weder mit Irrtum noch mit Wahrheit. Man kann ihr überhaupt weder etwas zusprechen noch absprechen. Wenn wir vielmehr bezüglich dessen, was ihr nachgeordnet ist, bejahende oder verneinende Aussagen machen, dann ist es nicht etwa sie selbst, die wir bejahen oder verneinen. Denn sie, die allvollendende, einzige Ursache aller Dinge, ist ebenso jeder Bejahung überlegen, wie keine Verneinung an sie heranreicht, sie, die jeder Begrenzung schlechthin enthoben ist und alles übersteigt. S.74ff.
Aus: Pseudo-Dionysius Areopagita, Über die mystische Theologie und Briefe Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Adolf Martin Ritter
© 1993 Anton Hiersemann Verlag, Stuttgart (Bibliothek der griechischen Literatur, Band 40)
Auszugsweise Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung des Anton Hiersemann Verlages, Stuttgart

Briefe
I. An Gaius den Mönch
Die Finsternis schwindet vor dem Licht, und das um so mehr, je stärker das Licht ist. Der Unkenntnis machen (selbst) die (Einzel-)Erkenntnisse das Feld streitig, und das um so mehr, je umgreifender sie sind. Fasse das Folgende jedoch im Sinne der Übersteigerung, nicht des Mangels (an Erkenntnis) auf; und dann mache die Aussage, die wahrer ist (als alle bloßen »Wahrheiten«), nämlich: was Gott betrifft, so entzieht sich das Nichtwissen denen, die sich (lediglich) an das physikalische Licht und die Erkenntnis der Dinge halten. Sein transzendentes Dunkel verbirgt sich vor jeglichem Licht und entzieht sich jeglicher Erkenntnis. Wenn aber jemand Gott schaute und sich dessen bewußt war, was er schaute, dann schaute er nicht etwa ihn selbst, sondern (nur) etwas an ihm, das der Seinswelt angehört und (entsprechend) erkennbar ist. Er selbst aber bleibt erhaben über alles Denken und Sein, eben weil er überhaupt unerkennbar ist und nicht (einfachhin) existiert: er »ist« in einer Weise, die alles Sein transzendiert, und wird erkannt in einer Weise, die höher ist als alle Vernunft. Und dies – in einem höheren Sinne - vollkommene Nichtwissen ist Erkenntnis dessen, der alles Erkennbare übersteigt.

II. An denselben
Wie (läßt sich sagen), er, der über alles erhaben ist, sei selbst noch über den Urgrund aller Vergöttlichung und aller Güte erhaben? (Dies läßt sich dann sagen,) wenn Du unter Gottheit und Güte die Substanz der gutmachenden und vergöttlichenden Gabe selbst verstehst, (mithin) das nicht nachahmbare Abbild dessen, der Gottheit und Güte transzendiert; dies (aber) ist der Maßstab unserer Vergöttlichung und unseres Gutwerdens. Denn wird dieses (Abbild) zum Quell, dem alle, die vergöttlicht und gutgemacht werden, ihre Vergöttlichung und ihr Gutwerden zu verdanken haben, so übersteigt derjenige (selbst noch) die Gottheit und Güte, von der hier die Rede ist, (im Sinne nämlich) des Prinzips des Vergöttlicht- und Gutwerdens, welcher ursprünglicher ist als jeder Ursprung. In demselben Maße läßt der (den Gesamtbereich von) Nachahmung und Beziehung, Nachahmenden und Teilhabenden, hinter sich, der nicht nachahmbar ist und zu dem es keine (seinsmäßige) Beziehung gibt.S.90f.
Aus: Pseudo-Dionysius Areopagita, Über die mystische Theologie und Briefe. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Adolf Martin Ritter
© 1993 Anton Hiersemann Verlag, Stuttgart (Bibliothek der griechischen Literatur, Band 40)
Auszugsweise Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung des Anton Hiersemann Verlages, Stuttgart

Die Namen Gottes
Die überwesentliche und verborgene Gottheit
[…] Man darf … überhaupt nicht wagen, irgendetwas über die überwesentliche und verborgene Gottheit zu sagen oder gleichwohl zu denken mit Ausnahme dessen, was uns durch göttliche Eingebung in der Heiligen Schrift geoffenbart worden ist. Es besteht nämlich Unkenntnis ihrer Verstand, Vernunft und Sein übersteigenden Überwesenheit. Dieser müssen wir die überwesentliche Erkenntnis überlassen, indem wir nur soweit nach oben schauen, wie sich uns der Lichtstrahl der erzgöttlichen Orakel selbst zeigt, und wir uns somit in bezug auf jene noch herrlicheren Strahlen mit der gegenüber dem Göttlichen angezeigten Enthaltsamkeit und Gottesfurcht beschränken. Denn wenn wir der allweisen und ganz und gar wahren göttlichen Offenbarung glauben müssen, so enthüllt sich das Göttliche gemäß der Fassungskraft eines jeden der Vernunftwesen und läßt sich genau betrachten, indem die urgöttliche Güte in heilsamer Gerechtigkeit von dem Meßbaren das Unermeßliche auf Gott gemäße Weise als unbegreiflich fernhält.

Gerade wie nämlich für das Sinnliche das in Gedanken Faßbare, für das Geformte und Gebildete das Einfache und Bildlose, für die Wesen mit körperlicher Gestalt die unberührbare und ungeformte Gestaltlosigkeit des Körperlosen unbegreiflich und unsichtbar ist, so überragt nach demselben Gesetz der Wahrheit die überwesentliche Unendlichkeit die Seinsstufen und die Einheit jenseits des Verstandes die Vernunftwesen. Es ist das Eine jenseits des Denkens für jegliches Denkvermögen unbegreiflich, unaussprechlich auch jeglicher Rede das den Verstand übersteigende Gute, eine Einheit, die die gesamte Einheit eint, ein überwesentliches Sein, ein nicht gedanklich faßbarer Gedanke, ein unaussprechliches Wort, Wort- und Gedanken- und Namenlosigkeit, beschaffen nach keinem der Wesen, zwar Ursache des Seins für alles, selbst aber, weil sie über alles Sein erhaben ist, ohne Sein und wie sie selbst sich gründlich und kenntnisreich zeigen würde. […]

Dennoch ist das Gute im allgemeinen nicht unmitteilbar für irgendein Wesen, sondern es läßt den beständig in ihm selbst gründenden überwesentlichen Strahl durch Einstrahlungen, die jedem einzelnen Wesen angemessen sind, auf gütige Weise hervorleuchten und erhebt zu seiner Anschauung, soweit sie erreichbar ist, ferner zu seiner Gemeinschaft und Ähnlichkeit diejenigen geheiligten Vernunftwesen, die sich auf erlaubte und ehrwürdige Weise zu ihm begeben und weder unvermögend handeln im Hinblick darauf, was sich über der in entsprechender Ordnung gewährten Gottesoffenbarung befindet, noch ausgleiten im Hinblick darauf, was aus dem Nachgeben gegenüber dem Schlechteren heraus zum Abgleiten führt, sondern sich aufrecht und fest zu dem ihnen entgegenleuchtenden Strahl in die Höhe strecken und durch die angemessene Liebe zu den erlaubten Erleuchtungen in heiliger Gottesfurcht bescheiden und fromm beflügelt werden.

Dieser urgöttlichen Waage folgend, die auch alle heilige Einrichtungen der überhimmlischen Wesen leitet, ehren wir einerseits die jenseits von Vernunft und Sein befindliche Verborgenheit der Ordnung von Gott her und auf Gott hin mit einer auf Erforschung verzichtenden heiligen Scheu der Vernunft, andererseits das Unaussprechliche mit besonnenem Schweigen und wenden uns den Strahlen zu, die uns in der Heiligen Schrift entgegenleuchten. Von ihnen werden wir zu den urgöttlichen Lobpreisungen lichtvoll geführt, indem wir durch sie auf überweltliche Weise erleuchtet nach den heiligen Lobgesängen geformt werden, damit wir so-wohl die urgöttlichen Lichter schauen, die uns in angemessener Weise durch dieselben geschenkt werden, als auch den Güte spendenden Ursprung aller heiligen Lichtausstrahlung preisen, wie er selbst es über sich in der Heiligen Schrift überliefert hat. So ist er zum Beispiel aller Dinge Ursache, Ursprung, Sein und Leben, außerdem für die einen, die von ihm abgefallen sind, Zurückrufen und Aufrichtung, für die anderen, die zur Zerstörung des göttlichen Ebenbildes abgeglitten sind, Wiedererneuerung und Wiedergestaltung, ferner für jene, die durch irgendeine unheilige Erschütterung ins Wanken gebracht werden, heilige Festigung und für die fest Stehenden sicherer Stand, für die, die zu ihm hinaufgeführt werden, emporleitende Handreichung, für die Erleuchteten Einstrahlung, für die, die in der Vollendung begriffen sind, Ursprung der Vollendung, für die, die vergöttlicht werden, Vergottungsprinzip, für die, die einfältig gemacht werden, Einfachheit und schließlich für die, die geeint werden, Einheit, eines jeden Grundes auf überwesenhafte Weise übergrundhafter Grund, des Verborgenen, soweit es erlaubt ist, gütige Mitteilung, weiter, um es einfach zu sagen, der Lebenden Leben, der Seienden Sein, jeglichen Lebens und Seins Ursprung und Ursache infolge seiner Güte, die das Seiende ins Sein führt und darin erhält. S.21ff. […]

Die geeinten Namen der gesamten Gottheit sind nun, wie wir in den Theologischen Grundzügen vermittelst einer großen Anzahl aus der Heiligen Schrift aufgezeigt haben, das Übergute, das Übergöttliche, das alle Begriffe Überschreitende, das Überlebensvolle, das Überweise und alle Bezeichnungen, die zur überragenden Privation gehören, außerdem auch alle Namen, die der Ursache eignen, das Gute, das Schöne, das Seiende, das Lebenzeugende, das Weise und all jenes, was infolge ihrer wohltätigen Gaben die Ursache aller Wohltaten genannt wird.

Die geschiedenen Namen sind dagegen die alle Begriffe überschreitende Bezeichnung und Realität von Vater, Sohn und Heiligem Geist, und bei diesen führt sich keine Umkehrung oder überhaupt Gemeinsamkeit ein. Außerdem aber ist ein geschiedener Name hinwiederum die unbeschränkte und unveränderliche Existenz unseres Jesus und alle substantiellen Geheimnisse, die dementsprechend zu seiner menschenfreundlichen Nachsicht gehören. S.31 […]

In der fürwahr göttlichen Einung der Überwesenheit zum Beispiel sind mit der ureinheitlichen Dreifaltigkeit geeint und in Gemeinschaft getreten die überwesenhafte Existenz, die übergöttliche Gottheit, die übergute Güte, die jenseits von allem befindliche Identität der jenseits von allem befindlichen ganzen Besonderheit, die jenseits des Einheitsprinzips existierende Einheit, das Unaussprechliche, das Vielnamige, die Unerkennbarkeit, das Allintelligible, die Affirmation von allem, die Negation von allem, das jenseits jeder Affirmation und Negation Existierende, das Verbleiben und Gründen der ureinheitlichen Subsistenzen, wenn man so sagen darf, ineinander, ganz und gar übergeeint und in keinem Teil vermischt, gleichwie, um verständliche und passende Beispiele zu verwenden, Lichter von Lampen in einem einzigen Zimmer sowohl vollständig ganz und gar ineinander gehen als auch eine vollkommene, eigentümlich bestehende Geschiedenheit voneinander aufweisen und somit geeint in der Geschiedenheit und in der Einung geschieden sind. In der Tat sehen wir immerhin, wenn sich in einem Zimmer viele Lampen befinden, daß die Lichter von allen zu einem einzigen Licht vereinigt sind und einen einzigen ungeschiedenen Glanz ausstrahlen, und nicht irgendeiner, denke ich, wäre imstande, das Licht dieser Lampe da von den andern aus der alle Lichter umfassenden Luft zu unterscheiden und das eine ohne das andere zu sehen, da doch alle in allen unvermischt miteinander vereinigt sind.

Wenn aber irgendeiner eine einzige der Lampen aus dem Gemach trüge, so ginge auch das betreffende gesamte Licht mit hinaus und nähme nichts von den anderen Lichtern in sich mit fort oder ließe nichts von sich den anderen zurück. Ihre vollkommene, ganz und gar totale Einung war nämlich, wie ich gerade sagte, im Ganzen unvermischt und in keinem Teil vermengt und so wahrhaftig in einem Körper, und zwar der Luft, und dem an das materielle Feuer gebundenen Licht gemäß. S.32 […]

Geschieden aber ist in der gütigen, uns erwiesenen Heilstat Gottes, daß der überwesenhafte Logos unter uns aus uns vollkommen und wahrhaftig unsere Daseinsform angenommen und gewirkt und gelitten hat, was seine menschliche Gotteswirksamkeit auszeichnet und bestimmt. Daran nämlich haben der Vater und der Heilige Geist keineswegs Anteil, es sei denn, irgend jemand wollte irgendwie den gütigen und menschenfreundlichen gleichen Willen anführen sowie die ganze überragende und unaussprechliche göttliche Wirksamkeit, die der unter uns entstandene Unveränderliche, wahrhaftig Gott und Gottes Logos, gesehen hat. So bemühen auch wir uns darum, in unserer Darstellung das Göttliche sowohl zu einen als auch zu scheiden so, wie das Göttliche selbst geeint und geschieden ist. […]

Alles Göttliche nämlich, auch jenes, was uns geoffenbart wird, läßt sich nur aus Mitteilungen erkennen. Es selbst aber befindet sich, wie es in seinem charakteristischen Urgrund und Stand gründet, jenseits von Intellekt, von jeder Manifestation des Seins und von Erkenntnis. Wenn wir z.B. die alle Begriffe überschreitende Verborgenheit Gott, Leben, Manifestation des Seins, Licht oder Wort nennen, so meinen wir nichts anderes als die aus ihr zu uns heraustre-tenden Kräfte, die Vergottung bewirken, Dasein schaffen, Leben erzeugen oder Weisheit schenken. Dieser selbst aber nähern wir uns nur nach Aufhebung aller intellektuellen Betätigungen, da wir keine Vergottung, kein Leben oder keinerlei Manifestation des Seins sehen, die genau derjenigen Ursache ähnlich ist, welche in jeglicher Überlegenheit allem enthoben ist.

Daß hingegen die quellenhafte Gottheit der Vater ist, daß aber der Sohn und der Heilige Geist gottentkeimte Sprossen, wenn man so sagen darf, der gottzeugenden Gottheit und gleichsam ihre Blüten und überwesenhaften Lichter sind, das haben wir aus der Heiligen Schrift vernommen. Wie sich aber dieses verhält, das ist weder zu sagen noch zu denken möglich. S.34f. […]

Das intelligible und einende Licht
Was soll man wohl über den Strahl der Sonne, soweit es ihn selbst betrifft, sagen? Aus dem Guten nämlich stammt das Licht und ist ein Abbild der Güte. Deshalb wird auch das Gute mit dem Namen »Licht« gepriesen, weil sich das Original im Abbild offenbart. Wie nämlich die Güte der jenseits von allem befindlichen Gottheit von den höchsten und ehrwürdigsten Manifestationen des Seins zu den untersten hindurchdringt und doch über allen ist, weil weder die oberen Manifestationen die hohe Stellung der Güte erreichen noch die unteren ihren eigenen Bereich überschreiten, wie sie aber auch alles Würdige erleuchtet, erschafft, belebt, zusam-menhält und vollendet, ferner Maß, Zeit, Zahl. Ordnung, Umfassung, Ursache und Erfüllung für das Seiende ist, so erleuchtet auch in der Tat das deutliche Abbild der göttlichen Güte, jene große, total strahlende, ewig scheinende Sonne, wie ein kleines Echo des Guten, alles, was an ihm teilhaben kann, und hält sein Licht ausgebreitet, indem es den Glanz seiner charakteristischen Strahlen über die ganze sichtbare Welt oben und unten entfaltet. Wenn aber irgend etwas daran nicht teilnimmt, so zeugt das nicht von der Schwäche oder der Beschränkung seiner Lichtspendung, sondern von der Existenz solcher Wesen, die sich auf Grund mangelnder Fähigkeit, Licht aufzunehmen, nicht zur Teilnahme am Licht entfalten können. In der Tat durchdringt der Strahl dennoch vieles von dem, was sich so verhält, und beleuchtet das jenem Nachfolgende, und es gibt nichts Sichtbares, wohin er der hervorragenden Macht seines charakteristischen Glanzes entsprechend nicht gelangt.

Aber der Strahl trägt auch zur Entstehung der mit Sinneswahrnehmung versehenen Körper bei, bewegt sie zum Leben, nährt, fördert, vollendet, reinigt und erneuert sie. Und das Licht ist Maß und Zahl der Stunden, der Tage und aller unserer Zeit. Es ist nämlich das Licht selbst, wenn es auch damals noch ungeformt war, von dem der heiligmäßige Mose sagte, daß es eben jene erste Dreizahl unserer Tage unterschieden habe (vgl. Gen 1,3 ff.). Und wie die Güte alles zu sich hinwendet und als ureinheitliche und einende Gottheit höchste Verbindung des Zerstreuten ist, so strebt auch alles nach ihr als Anfang, Zusammenhalt und Ende. […]

Doch das haben wir in der Symbolischen Theologie erörtert. Jetzt aber müssen wir den das Gute benennenden in Gedanken faßbaren Namen »Licht« feiern und sagen, daß der Gute intelligibles Licht genannt wird, weil er jedes innerweltlichem Denken entrücktes Vernunftwesen mit intelligiblem Licht erfüllt, jede Unkenntnis und Verirrung aus allen Seelen, in die sie eingeht, verjagt, ihnen allen vom trefflichen Licht mitteilt, ihre klugen Augen von dem sie umlagernden Nebel der Unkenntnis reinigt, die durch die schwere Bürde der Verblendung verschlossenen Augen in die Höhe richtet und entschleiert, zwar zunächst nur schlichten Glanz mitteilt, dann aber, wenn jene Augen gleichsam vom Licht kosten und nach mehr verlangen, sich ihnen im stärkeren Maße mitteilt und sie überreichlich bescheint, «weil sie viel geliebt haben» [Lk 7,47], ferner sie immer entsprechend ihrer Fähigkeit, sich zu erheben, weit nach oben aufrichtet.

Intelligibles Licht wird also das jenseits von jedem Licht befindliche Gute genannt, das als quellenhafter Strahl und als überströmender Lichtfluß aus seiner Fülle jedes Vernunftwesen, das weltliche Maßstäbe übersteigt und umfaßt und vermittelt, beleuchtet, ihre gedanklichen Kräfte total verjüngt, sie alle, indem es über sie ausgebreitet ist, umfaßt, ferner sie alle, indem es sie überragt, übertrifft, das außerdem als Urgrund des Lichts und höchste Leuchte schlechthin alle Gewalt der lichtspendenden Kraft in sich zusammenfaßt, überragt und ehevor besitzt, alles mit Verstand und Vernunft Versehene zusammenhält und dicht zusammendrängt. Denn gleichwie die Unkenntnis die Irrenden trennt, so ist die Anwesenheit des intelligiblen Lichts fähig, die Erleuchteten zusammenzuführen, zu einen und zu vervollkommnen, außerdem auch zu ändern, indem sie sie von den vielfachen Meinungen hinweg zum wahrhaft Seienden hinwendet und die bunten Träume oder, um es besser zu formulieren, Einbildungen zu einer einzigen wahren, reinen und einfachen Erkenntnis zusammenführt und mit einem einzigen und einenden Licht erfüllt.

Das Anmutige und Gute
Dieses Gute wird von den ehrwürdigen biblischen Schriftstellern auch als anmutig gepriesen, weiter als Schönheit, als Liebe, als liebenswürdig und mit jenen anderen Namen Gottes, welche seiner Schönheit verleihenden und liebreizenden reifen Blüte geziemen. S.44ff. […]

Das Anmutige und Gute nun, das über alles Stehen und Bewegen Erhabene, ist Ursache, Zusammenhalt und Vollendung dieser drei, in dieser Art auch für die mit Sinneswahrnehmung Versehenen geltenden Bewegungsformen und noch viel mehr der Beständigkeiten, Standhaftigkeiten und Verankerungen eines jeden. Deswegen existiert alles Stehen und Bewegen aus ihm, in ihm, zu ihm hin und um seinetwillen. Denn aus ihm und durch es existiert alles Sein und Leben, die Kleinheit, Gleichheit und Größe in Intellekt, Seele und aller Natur, sämtliche Maße, die Fähigkeiten, Übereinstimmungen und Verbindungen der Seienden, die Gesamtheiten, die Teile, jedes Eine und jede Menge, die Verbindungen der Teile, die Einungen jeder Menge, die Vollendung der Gesamtheiten, die Beschaffenheit, die Anzahl, die Größe, das Unendliche, die Urteile, die Geschiedenheiten, jede Unendlichkeit, jedes Ziel, alle Grenzen, die Ordnungen, die Vorzüge, die Grundstoffe, die Gestalten, jede Manifestation des Seins, jede Kraft, jedes Vorgehen, jeder Zustand, jede Sinneswahrnehmung, jeder Verstand, jede Vernunft, jede Berührung, jede Kenntnis und jede Einung. Kurz, alles Seiende stammt aus dem Anmutigen und Guten, existiert in dem Anmutigen und Guten und wendet sich zum Anmutigen und Guten zurück.

Alles, was besteht und entsteht, besteht und entsteht um des Anmutigen und Guten willen. Alles schaut zu ihm, alles wird von ihm bewegt und zusammengehalten. Wegen ihm und durch es und in ihm gilt jeder beispielhafte, vollendende, schaffende, gestaltende, beginnende Urgrund und schlechthin jeder Urgrund, jeder Zusammenhalt und jede Vollendung.

Oder um zusammenfassend zu formulieren: Alles Seiende kommt aus dem Anmutigen und Guten, und alles nicht Seiende existiert überwesenheitlich in dem Anmutigen und Guten, und es ist der übergrundhafte und überendgültige Urgrund und Abschluß von allem: «Aus ihm und durch es» und in ihm «und auf es hin ist die ganze Schöpfung», wie die Heilige Schrift sagt [Röm 11,36].

Das Anmutige und Gute ist folglich für alle wünschenswert, reizvoll und liebenswert, und durch es und um seinetwillen lieben die Tieferstehenden zu ihrer Besserung die Überlegenen, die Gleichrangigen gemeinschaftlich die Gleichgeordneten, die Überlegenen fürsorglich die Tieferstehenden und alle zu ihrer Erhaltung sich selbst, und alles, was nach dem Anmutigen und Guten strebt, bewirkt und beabsichtigt all das, was es bewirkt und beabsichtigt. S.48f.
Aus: Pseudo-Dionysius Areopagita, Die Namen Gottes. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Beate Regina Suchla
© 1988 Anton Hiersemann Verlag, Stuttgart (Bibliothek der griechischen Literatur, Band 26)
Auszugsweise Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Genehmigung des Anton Hiersemann Verlages, Stuttgart

Die himmlische Hierarchie
Das Wesen der Hierarchie und ihr Nutzen (Himmlische Hierarchie, Kapitel III)
Die Heilige Stufenordnung (§ 1)
1)Hierarchie ist ihrem W e s e n nach eine heilige Stufenordnung, Wissenschaft und Wirksamkeit, welche Verähnlichung mit Gott auf dem Wege der Erleuchtung bezweckt.
2) Die göttliche Urschöne, an sich allerdings durchaus einfach und unnahbar, teilt von dem eigenen Lichte nach Gebühr jedem mit, um ihn nach sich umzugestalten und zu vollenden.


Die Hierarchie ist nach meiner Ansicht eine heilige Stufenordnung, Erkenntnis und Wirksamkeit. Sie will nach Möglichkeit zur Ähnlichkeit mit der Gottheit führen und gemäß den ihr von Gott verliehenen Erleuchtungen in entsprechendem Verhältnis zum Nachbilde Gottes erheben. Die Gott eigene Schönheit ist, soferne sie einfach, gut. Urquell aller Vollendung ist, allerdings durchaus jeder Unähnlichkeit (jedem ihr fremdartigen Zuge) unnahbar entrückt, sie will aber von ihrem eigenen Lichte jedem nach dessen Würdigkeit mitteilen und ihn durch göttlichste Weihevollendung vollkommen machen, indem sie die Jünger der Vollkommenheit harmonisch nach ihrer Unveränderlichkeit gestaltet.

Vergottung ist das Ziel der himmlischen Hierarchie (§ 2)
1) Z w e c k der Hierarchie ist Verähnlichung und Vereinigung mit Gott, welche dadurch erreicht wird, daß die Glieder der Hierarchie unverwandt auf Gottes Schönheit schauen und zu Gottesbildern, zu Spiegeln werden, welche aus dem Urquell des Lichtes den göttlichen Strahl aufnehmen und neidlos auf die tieferstehenden Ordnungen weiterstrahlen.
2) Hiebei herrscht ein strenges Gesetz: die Träger der Weihegewalten und die Empfänger der Weihen dürfen nie gegen die Bestimmungen Gottes handeln und in gar keinem Widerspruch mit ihnen stehen, wenn sie anders nach dem Glanze Gottes begehren und darnach sich umbilden wollen.
3) Das Wort »Hierarchie« bezeichnet also eine heilige Institution, ein Abbild der göttlichen Schönheit, welches in abgestuften Ordnungen und Erkenntnissen die Geheimnisse der ihm gewordenen Einstrahlung auswirkt.
4) Die Vollendung besteht in der entsprechenden Erhebung zum Nachbilde Gottes und — was das Allergöttlichste ist — in der Teilnahme an der Wirksamkeit Gottes.
5) Weil die hierarchische Ordnung die aktive und passive Seite der Reinigung. Erleuchtung und Vollendung umfaßt, so wird auch jedem Mitglied der himmlischen Hierarchie nach beiden Beziehungen das Bild Gottes zuteil werden.
6) Das Wesen der Gottheit duldet keine Vermischung mit etwas Fremdartigem, wirkt aber doch in den Geschöpfen Reinigung, Erleuchtung und Vollendung, ist selbst alles dieses oder vielmehr über alles dieses erhaben und der subsistierende Urquell aller Weihe und Vollendung.


Zweck der Hierarchie
ist die möglichste Verähnlichung und Einswerdung mit Gott. Hierbei hat sie ihn selbst zum Lehrmeister in jeglicher hierarchischen Erkenntnis und Wirksamkeit, blickt zu seiner göttlichen Schönheit unverwandt empor, gibt dieselbe soweit als möglich im Nachbild wieder und vervollkommnet ihre Mitglieder zu göttlichen Bildern, zu lautersten, fleckenlosen Spiegeln, welche imstande sind, den urgöttlichen Strahl aus der Urquelle des Lichts in sich aufzunehmen, zu spiegeln, welche dann, von dem einstrahlenden Glanze heilig erfüllt, diesen hinwieder neidlos über die nächstfolgenden Ordnungen leuchten lassen, sowie es den göttlichen Substanzen entspricht. Denn es ist den Trägern der heiligen Weihegewalten oder den Empfängern der heiligen Weihen nicht erlaubt, überhaupt etwas zu wirken, was gegen die heiligen Anordnungen des Urhebers ihrer eigenen Weihe verstößt. Nicht in irgendeinem Widerspruch dürfen sie zu ihm stehen, wenn sie seines vergöttlichenden Glanzes begehren und mit geziemender Heiligkeit auf ihn blicken und gemäß dem entsprechenden Grade, den jeder der heiligen Geister einnimmt, nach ihr sich umbilden.

Demnach besagt der Ausdruck »Hierarchie« eine gewisse ganz heilige Institution, ein Abbild der urgöttlichen Schönheit, welches in hierarchischen Abstufungen und Erkenntnissen die Mysterien der entsprechenden Erleuchtung heilig auswirkt und Verähnlichung mit dem eigenen Urbild, soweit es nur immer geschehen kann, hervorbringt. Denn für jedes Mitglied der Hierarchie besteht die Vollendung darin, daß es seinem zuständigen Grade entsprechend zum Nachbild Gottes erhoben werde, ja, daß es wahrhaftig, was noch göttlicher als alles andere ist, wie die Schrift sagt, zu einem Mitwirkenden mit Gott werde und in sich selbst die göttliche Wirksamkeit nach Möglichkeit zeige und hervortreten lasse. Durch die Stufenordnung der Hierarchie ist es bedingt, daß die einen gereinigt werden, die anderen reinigen, daß die einen erleuchtet werden, die anderen erleuchten, daß die einen vollendet werden, die anderen vollenden, und wie nach diesem Gesetze einem jeden das Nachbild Gottes angemessen sein wird, so wird er zur Teilnahme an Gottes Wirken erhoben werden. Die göttliche Glückseligkeit aber ist, nach Menschenart zu reden, jeglicher Vermischung mit irgendeinem fremdartigen Element unzugänglich, erfüllt von ewigem Lichte, vollkommen und, gar keiner Vollkommenheit ermangelnd, reinigend, erleuchtend und vollendend, besser gesagt, heilige Reinigung, Erleuchtung und Vollendung, die über Reinigung und über Licht erhaben ist, die vor Anbeginn vollkommene subsistierende Urquelle aller Vollkommenheit, die über alles Heilige im Übermaß hinausgerückte Ursache jeglicher Hierarchie. S.19-21

Reinigung, Erleuchtung und Vollendung (§ 3)
1) Die Reinigung, Erleuchtung und Vollendung im passiven Sinne besteht darin, daß die Glieder der Hierarchie von jeder Vermischung mit fremdartigen Elementen befreit, mit göttlichem Licht zur Kontemplation befähigt und der Kenntnis der geschauten Mysterien teilhaftig werden.
2) Die aktive Reinigung, Erleuchtung und Vollendung umfaßt die dreifache Wirksamkeit innerhalb der Hierarchie, gemäß welcher die einen von der Überfülle der eige¬nen Reinheit den minder Reinen mitteilen, die andern den im eigenen Geiste überströmenden Lichtglanz auf die empfänglichen Geister der tiefern Ordnung ergießen, die dritten vermöge ihrer vollkommenem Erkenntnis auch andere in die Wissenschaft der geschauten Geheimnisse einweihen.
3) So wird jede hierarchische Stufe ihrem Grade entsprechend zum Mitwirken mit Gott erhoben; sie wirkt aus Gnade, was der Gottheit von Natur zukommt und von ihr in der Hierarchie geoffenbart wird.


Es müssen nämlich, wie ich denke, diejenigen, welche gereinigt werden, zu einer ganz vollkommenen Lauterkeit geführt und von jeglicher fremdartigen Beimischnng befreit werden. Diejenigen, welche erleuchtet werden, müssen mit dem göttlichen Lichte erfüllt und mit ganz heiligen Augen des Geistes zur beschaulichen Verfassung und Befähigung erhoben werden. Die endlich, welche vollendet werden, müssen aus dem Zustand der Unvollkommenheit enthoben und der vollendenden Wissenschaft der geschauten heiligen Geheimnisse teilhaftig gemacht werden. Andrerseits müssen diejenigen, welche Reinigung zu wirken vermögen, bei ihrer Überfülle der Reinheit andern von der eigenen Makellosigkeit mitteilen. Diejenigen, welche zu erleuchten vermög e n, müssen als heller durchleuchtete Geister, die zur Aufnahme und Mitteilung des Lichtes ihrer Natur nach geeignet und mit heiligem Glanze ganz glückselig erfüllt sind, das ihr ganzes Wesen überströmende Licht auf die des Lichtes Würdigen überleiten. Diejenigen endlich, welche Vollendung erzeugen, müssen, weil mit der Wissenschaft der vollendenden Mitteilung ausgestattet, die Glieder, welche vollendet werden, durch die ganz heilige Einweisung in die Erkenntnis der geschauten heiligen Geheimnisse zur Vollkommenheit fördern. So wird also jede Stufe der hierarchischen Ordnung gemäß ihrem ents prechenden Range* zur Mitwirksamkeit mit Gott erhoben, indem sie was der Urgottheit ihrem Wesen nach in einer unsere Natur überragenden Weise innewohnt und von ihr überwesentlich gewirkt und zum Zwecke möglichst genauer Nachahmung der gottliebenden Geister in der Einrichtung der Hierarchie äußerlich kund getan wird, durch Gnade und gottverliehene Kraft vollendet.
*Das hier angedeutete strenge Grundgesetz der Dionysischen Spekulation, das unzähligemal wiederkehren wird, findet sein Ana¬logon in neuplatonischen Schriften, insbesondere bei Proklus, der die m starrer Proportion zur jeweiligen Rangstufe sich abmin¬dernde Vollkommenheit aufs schärfste betont, z. B. inst. theol c. 36, in Tim. 42 D, in Parmen. 874 (,,Soweit es die Eigenart eines jeden Dinges gestattet, genießen die teilnehmenden Dinge bis zu den letzten Gliedern hinab Anteil am Ganzen“).

Die Hierarchie der Engel
(Himmlische Hierarchie, Kapitel IV)
Engel sind einfache gottähnliche Wesen (§ 1)
1) Nachdem das Wesen der Hierarchie überhaupt bestimmt ist, soll die Hierarchie der Engel beschrieben werden. Die bildlichen Darstellungen derselben in der heiligen Schrift erfordern geistige Auffassung, damit man sich zu ihrem einfachen, gottähnlichen Wesen erhebe und Gott preise.
2) Erste Grundwahrheit ist, daß Gott aus Güte alle Dinge ins Dasein gerufen hat. Denn es ist ihm eigen, die Geschöpfe zur Teilnahme am Sein zu rufen, soweit es mit deren Natur übereinstimmt.
3) Alle Dinge unterstehen also auch der göttlichen Vorsehung, welche von der allerzeugenden Ursache, der sie das Dasein verdanken, ausgeht. 4) Die leblosen Dinge haben von Gott das Sein, die belebten (vernunftlosen) Geschöpfe nehmen teil an seiner belebenden Kraft, die ver¬nünftigen und intelligiblen Geister partizipieren an seiner unendlichen Weisheit.
5) Selbstverständlich umstehen ihn zunächst diejenigen, welche in mehrfacher Weise an ihm Anteil haben.


Nachdem wir die Hierarchie an und für sich richtig, wie ich denke, nach ihrem Wesen bestimmt haben, müssen wir weiterhin die Hierarchie der Engel beschreiben und die heiligen bildlichen Darstellungen, welche sich von ihr in der heiligen Schrift finden, mit überweltlichen Augen betrachten, damit wir durch die mystischen Gebilde zu ihrer gottähnlichsten Einfachheit erhoben werden und den Urquell aller hierarchischen Erkenntnis in gottgeziemender Ehrfurcht und Danksagung gegen den Urheber aller Weihevollendung feiern. Zuvörderst vor allem ist nun die Wahrheit aufzustellen, daß die überwesentliche Urgottheit allen Wesen des Universums aus Güte Bestand gegeben und sie ins Dasein gerufen hat. *
*Diese Stelle lehrt deutlich, dass Dionysius keinen pantheistischen Standpunkt einnimmt.

Denn es ist dies der Allursache und der über alles erhabenen Güte eigen, die Dinge zur Gemeinschaft mit sich selbst zu rufen, sowie es einem jeden existierenden Wesen seitens des ihm eigenen entsprechenden Verhältnisses bestimmt ist. Alles in der Welt nun erfreut sich der Vorsehung, welche aus der überwesentlichen und allursächlichen Gottheit ausgeht. Denn es wäre überhaupt kein Ding, wenn es nicht an dem Wesen und dem Urprinzip von allem Anteil erlangt hätte. Die leblosen Dinge haben durch ihr Sein an ihm Anteil, denn die über alles Sein erhabene Gottheit ist das Sein aller Dinge. Die belebten (vernunftlosen) Wesen haben an seiner über das Leben erhabenen, Leben schaffenden Macht Anteil. Die vernünftigen und intellektuellen Wesen haben an seiner über alle Vernunft und Intelligenz erhabenen, in sich vollkommenen (absoluten) und urvollkommenen Weisheit Anteil. Es ist klar, daß jene von den Wesen um die Gottheit (zunächst) sind, welche in mehrfacher Weise an ihr Anteil erlangt haben.

Die Engelchöre (§ 2)
1) Die Engelchöre hoben in höherem Grade als die übrigen Wesen Anteil an dem göttlichen Sein.
2) Sie bilden sich in rein geistiger Weise nach dem Bilde Gottes um; ihrem intensiven Verlangen nach Gottähnlichkeit entspricht eine reiche Anteilnahme an Gott und göttlichem Leben.
3) Wie sie zuerst und mehrfach am Göttlichen Anteil nehmen, so sind sie auch die ersten und mehrfach verwendeten Organe der göttlichen Offenbarung. Daher ihr Name »Engel« (= Melder), denn sie erfahren zuerst die göttliche Erleuchtung und vermitteln dann uns die Offenbarungen.
4) So wurde das Gesetz durch Engel gegeben und von Engeln wurden die großen Männer mannigfach zu Gott geführt.

Die heiligen Chöre der himmlischen Wesen haben in einem höhern Maße als die Wesen, welche bloß das Sein besitzen, als die unvernünftigen Lebewesen und die vernünftigen Glieder unseres Geschlechtes Anteil an der urgöttlichen Mitteilung. Sie bilden sich in rein geistiger Weise zu Nachbildern Gottes um, schauen überweltlich auf das urgöttliche Vorbild und begehren ihre intellektuelle Gestalt darnach zu formen. Die natürliche Folge davon ist, daß sie stärkere Gemeinschaft mit der Gottheit genießen, da sie beharrlich und immerdar nach dem Höheren, soweit es möglich ist, in der Spannkraft der göttlichen und unwandelbaren Liebe sich nach oben erheben und die Erleuchtungen der Urquelle auf immaterielle und ungetrübte Weise in sich aufnehmen, nach ihnen sich richten und das ganze Leben geistig besitzen. Diese Wesen sind es, die an erster Stelle und vielfältig zur Anteilnahme am Göttlichen gelangen und hinwieder zuerst und in mehrfacher Art das Verborgene der Urgottheit offenbaren. Deshalb sind sie auch vor allen besonders mit dem Namen »Engel«* ausgezeichnet, weil die urgöttliche Erleuchtung in sie zuerst einstrahlt und dann durch sie die unsere Erkenntnis überragenden Offenbarungen uns vermittelt werden**.
*Dionysius verbindet mit dem Namen »Engel« auch einen uns weniger geläufigen Begriff, daß sie nämlich schon durch ihr faktisches Sein eine objektive Offenbarung Gottes bilden, ähnlich wie die Planeten mit ihrem erborgten Lichte die Sonne offenbaren.
**Das Bild, das diesen Ausführungen zu Grunde liegt, ist schon oben (III, 2) ausdrücklich bezeichnet: »hellste und fleckenlose Spiegel, welche den urgöttlichen Strahl« aufnehmen. Je heller die Sonne in den Spiegel strahlt, desto leuchtender wirft dieser ihr Bild zurück, ja er wird sozusagen selber eine Sonne und ent¬sendet nun seinerseits als ein neuer Lichtquell seine Strahlen in einen andern Spiegel und dieser wieder einen andern u. s. f


So wurde, wie die Gottesoffenbarung sagt, das Gesetz uns durch Engel gegeben
. Und Engel waren es, welche unsere großen Väter vor und nach dem Gesetze zum Göttlichen emporführten, sei es daß sie praktische Pflichten lehrten und aus Irrtum und unheiligem Leben auf den geraden Weg der Wahrheit führten, sei es, daß sie heilige Ordnungen oder geheime Gesichte überweltlicher Mysterien oder irgendwelche göttliche Vorhersagungen andeuteten und offenbarten.

Gott offenbart sich nur in Visionen (§ 3)
1) Gott selbst ist nach seinem verborgenen Wesen nie einem Menschen erschienen, er hat sich aber manchen Heiligen in Visionen geoffenbart. Die heilige Schritt nennt solche Gesichte »Theophanien«.
2) Unsere heiligen Väter wurden durch die Engel solcher Erscheinungen Gottes gewürdigt, so z. B. wurde Moses das Gesetz geoffenbart.
3) Derselbe Umstand, daß durch Engel das Gesetz vermittelt wurde, belehrt uns auch über die allgemeine Grundregel, daß die Mitglieder der tiefern Ordnung vermittels der höhern zu Gott emporgeführt werden, ja daß auch innerhalb ein und derselben Ord¬nung sich wieder erste, mittlere und letzte Kategorien nach derselben Funktion unterscheiden.


Wenn aber jemand meinen sollte, es seien manchen heiligen Männern auch unmittelbar Erscheinungen Gottes an sich geworden, so möge er deutlich aus den heiligen Schriften erkennen, daß niemand das verborgene, eigentliche Wesen Gottes gesehen hat (1. Joh. 4, 12), noch je sehen wird. Aber in den Gottes würdigen Offenbarungen sind vermittels heiliger, den Schauenden entsprechender Visionen den Heiligen Theophanien gewährt worden (Genes. 3, 8; 18, 1). Die ganz weise Gotteswissenschaft nennt die so beschaffene Vision, welche die Züge des göttlichen Bildes, insofern Gestaltloses durch Gestaltetes wiederzugeben ist, in sich aufzeigte, auf Grund anagogischen Aufschwunges des Schauenden zum Göttlichen mit Recht »Gotteserscheinung«. Wird ja durch sie den Schauenden eine göttliche Erleuchtung eingestrahlt und die heilige Einführung in irgend ein Geheimnis des Göttlichen vermittelt. Unsere großen Vorväter wurden durch das Dazwischentreten der himmlischen Mächte in diese göttlichen Visionen eingeweiht. Oder sagt nicht die Überlieferung der heiligen Schrift, daß die heilige Gesetzgebung von Gott auf eben diesem Wege dem Moses verliehen worden ist, um uns wahrheitsgetreu darüber geheimnisvoll zu unterrichten, daß jenes Gesetz (vom Sinai) ein Ausdruck des göttlichen und heiligen Gesetzes sei. Aber weise lehrt die Offenbarung Gottes, nach welcher jenes Gesetz durch Engel zu uns gekommen ist, auch dies, daß infolge der durch die göttliche Gesetzgebung festbestimmten Ordnung die Glieder der zweiten Ordnung durch die der ersten Ordnung zum Göttlichen emporgeführt werden. Denn nicht bloß bei den höherstehenden und tieferstehenden Geistern, sondern auch unter den gleichstufigen ist von dem überwesentlichen Prinzip aller Rangordnungen diese Satzung bestimmt, daß es in jeder Hierarchie erste, mittlere und letzte Ordnungen und Mächte gebe und daß die göttlicheren den geringeren als Mystagogen und Führer zur Nähe, zur Erleuchtung und Gemeinschaft Gottes dienen.

Warum alle himmlischen Wesen als »Engel« bezeichnet werden (Himmlische Hierarchie, Kapitel V)
1) Wenn die heilige Schrift den Namen »Engel« insgemein für alle himmlischen Geister gebraucht und doch für die unterste Stufe der Engelchöre im besondern verwendet, so liegt der Grund darin, daß die höheren Ordnungen aller Erleuchtungen der tieferen teilhaftig sind, nicht aber umgekehrt.
2) Die obersten Stufen können mit Recht »Engel« genannt werden, denn auch sie offenbaren die göttlichen Einstrahlungen. Dagegen dürfen die Engel der untersten Chöre nicht den Namen eines höheren Chores führen, weil sie nicht dessen Vorzüge besitzen, sondern von ihm abhängen.
3) Höchstens könnte man sämtliche Engelnamen insoferne allen Engeln gemeinsam zuerteilen, als sie alle an der Gottähnlichkeit mehr oder weniger teilnehmen. Aber im Interesse der Klarheit sollen die Eigentümlichkeiten, welche die Schrift von den einzelnen Engelordnungen angibt, ins Auge gefaßt werden.

Das also ist nach unserm Dafürhalten der Grund, warum die heilige Schrift den Namen »Engel« gebraucht. Wir müssen aber auch, denke ich, untersuchen, warum die inspirierten Schriftsteller einerseits die himmlischen Wesen gemeinsam »Engel« heißen, andrerseits aber, wenn sie an die Darstellung ihrer überweltlichen Ordnungen herantreten, den besondern Namen »Engel« nur derjenigen Abteilung geben, welche die göttlichen und himmlischen Stufen zu unterst abschließt und vollendet, dagegen den Erzengeln, Fürstentümern, Gewalten, Mächten und allen Ordnungen, welche die Offenbarungsüberlieferung der Schrift als diesen überlegene Wesen erkennt, einen höhern Platz über ihnen anweisen. Wir behaupten nun, daß in jeder heiligen Ordnung die höhern Abteilungen auch die Erleuchtungen und Kräfte der tieferstehenden besitzen, daß dagegen die letzten Stufen der Vorzüge der höhern nicht teilhaftig sind. So nennen also die Verfasser der Offenbarungsschriften die heiligsten Rangstufen der höchsten Wesen auch Engel, denn auch sie offenbaren die urgöttliche Einstrahlung. Die letzte Ordnung der himmlischen Geister aber kann man nur widersinnig Fürstentümer, Throne oder Seraphim nennen, denn sie hat keine Gleichstellung mit den höchsten Mächten. Wie dieselbe vielmehr unsere gotterfüllten Hierarchien zu den von ihr erfaßten Strahlen der Urgottheit emporführt, so haben die ganz heiligen Mächte der ihr übergeordneten Wesen die Fähigkeit, diese die himmlischen Hierarchien abschließende Ordnung zu Gott zu erheben. Es müßte denn etwa einer auch dieses sagen, daß alle Namen der Engel gemeinsam seien, weil alle himmlischen Mächte in Hinsicht auf die Gottähnlichkeit und die aus Gott strömende Lichtfülle einen schwächeren oder intensiveren Anteil besitzen. Damit aber unsere Abhandlung in besser geschiedener Einteilung verlaufe, laßt uns mit heiliger Ehrfurcht die heiligen Eigentümlichkeiten jeder einzelnen himmlischen Ordnung sehen, wie sie in den heiligen Schriften vor Augen gestellt sind.

Die himmlische Ordnung (Himmlische Hierarchie, Kapitel VI)
Die erste, zweite und dritte Ordnung der himmlischen Wesen (§ 1)
1) Zahl, Beschaffenheit und Vollendung der himmlischen Ordnungen kennt nur Gott. Die Engel selbst wissen um ihre eigenen Kräfte, Erleuchtungen und ihren Staat.
2) Die Menschen sind nur insoweit im Stande, die Mysterien der Engelwelt zu erfassen, als Gott durch die Engel selbst sie belehrt hat. Daher kann nur im Anschluß an die göttliche Offenbarung von der Frage gehandelt werden.


Wie viele Ordnungen der überhimmlischen Wesen es gibt, wie beschaffen sie sind und wie ihre Hierarchien vollendet werden, das weiß nur, wie ich denke, das göttliche Urprinzip derselben. Auch sie selbst erkennen ferner meines Erachtens ihre eigenen Kräfte und Erleuchtungen und ihre heilige und überweltliche, schön abgestufte Ordnung. Denn für uns ist es unmöglich, die Geheimnisse der überhimmlischen Geister und ihre heiligsten Vollkommenheiten zu erkennen, außer insoweit als uns die Urgottheit durch die Engel selbst, die ja mit den eigenen Eigentümlichkeiten wohl vertraut sind, in diese eingeweiht hat. Sonach wollen wir nichts aus eigenem Antriebe vorbringen; was aber die Verfasser der heiligen Schriften von den Engeln in Bildern gesehen haben, das wollen wir, nachdem wir darüber geheimnisvolle Lehren empfangen haben, nach besten Kräften auseinandersetzen.

Die triadische Ordnung (§ 2)
1) Die heilige Schrift hat neun Namen für die Engel; der »Lehrer« des Dionysius ordnet je drei Chöre in eine Gruppe und stellt also drei Triaden auf.
2) Die erste Triade ist die nächste um Gott und umfaßt die Throne, Cherubim und Seraphim. Sie ist Gott am ähnlichsten und empfängt die göttlichen Strahlen unmittelbar. Die zweite Triade besteht aus den Gewalten, Herrschaften und Mächten. Die letzte Triade bilden die. Engel, Erzengel und Fürstentümer.

Die Offenbarung hat den sämtlichen himmlischen Wesen neun N amen gegeben, die über sie Aufschluß bieten. Der göttliche Lehrer, der uns in die heilige Wissenschaft einweihte, gruppiert sie in drei dreiteilige Ordnungen.

Die erste, sagt er, ist diejenige, welche immerdar um Gott steht und, wie die Überlieferung sagt, ununterbrochen und, den andern voraus, unmittelbar mit ihm vereinigt ist. Denn die Offenbarung der heiligen Schriften, sagt er, habe überliefert, daß die heiligsten Throne, die mit vielen Augen und vielen Flügeln versehenen Rangstufen, Cherubim und Seraphim nach dem hebräischen Worte genannt, gemäß ihrer alle übertreffenden Nähe unmittelbar um Gott gestellt sind. Diese triadische Ordnung bezeichnete unser großer Meister gleichsam als eine und eine gleichstufige und eigentlich erste Hierarchie. Keine andere ist Gott ähnlicher und den unmittelbaren Ausstrahlungen der Urgottheit direkt näher unterstellt als diese.

Die zweite Triade, sagt er, sei diejenige, welche von den Gewalten, Herrschaften und Mächten gebildet wird.

Die dritte Triade unter den letzten der himmlischen Hierarchien bestehe aus den Engeln, Erzengeln und Fürstentümern*.
*Die neun Chöre, welche D. auf Grund der in der heiligen Schrift vorkommenden Namen bildet, sind bei keinem kirchlichen Schriftsteller vor ihm in der gleichen Reihenfolge aufgezählt. Bei den meisten Autoren erscheint nicht einmal die volle Neunzahl; mehrere hervorragende Väter versichern ausdrücklich, dass, man hierüber nichts Bestimmtes sagen könne. Augustinus z. B. bekennt: Quid inter se distent quatuor ulla vocabula (sedes, dominationes, principatus, potestates) dicant, qui possunt . .. ego nie ista ignorare confiteor. Enchur. c. 58 (II. s. 1. 40, 259). Vgl. Greg. v. Nas. or. 28, 51 (M. s. gr. 58, 72) über die Schwierigkeit dieses Themas.

Die oberste Hierarchie (Himmlische Hierarchie, Kapitel VII)
Die Seraphim, Cherubim und Throne und die erste von ihnen gebildete Hierarchie (§ 1)
1) Die Namen der Engelchöre bezeichnen die Eigentümlichkeit derselben.
2)»Seraphim« bedeutet die »Entflammer« oder »Erglüher«, »Cherubim« besagt »Fülle der Erkenntnis« oder »Ergießung der Weisheit«.
3) Mit Recht wird der Dienst der obersten Hierarchie von den höchsten Engeln versehen, welche zunächst die Strahlen der Gottheit aufnehmen.
4) Die »Throne« sind der gleichen beiden Namen teilhaftig.
5) Die Benennung »Seraphim« deutet auf das Bewegliche, Glühende dieser Engelnaturen, welche nach Art des Feuers die tieferstehenden Wesen ebenfalls erglühen machen, reinigen und jegliches Dunkel verscheuchen. Der Name »Cherubim« bezeichnet die Fülle der Erkenntnis Gotte, die höchste Aufnahmefähigkeit hiefür und das Vermögen. von diesem Lichte mitzuteilen. Der Name »Throne« gibt zu verstehen, daß die also genannten Engel über alles Niedrige erhöht und dem Höchsten unentwegt zugesellt sind, daß sie der Einkehr Gottes gewürdigt und »Gottesreger« sind, die für die göttlichen Einsprechungen die ehrfurchtsvollste Empfänglichkeit zeigen.


Indem wir die geschilderte Stufenfolge der heiligen Hierarchien gelten lassen, behaupten wir, daß jegliche Benennung der himmlischen Geister eine Offenbarung über die gottähnliche Eigentümlichkeit eines jeden enthält. Der heilige Name der Seraphim bedeutet nach den Kennern des Hebräischen* entweder »Entflammer« oder »Erglüher«; der Name »Cherubim« dagegen »Fülle der Erkenntnis« oder »Ergießung der Weisheit«.
* Es ist an Philo als Quelle zu denken, dessen Ononiasticum aominum Hebraeorum für die Späteren maßgebend wurde. D. nennt sich des Hebräischen unkundig; wahrscheinlich benützte er eines jener von Origenes erweiterten Exemplare des Onomasticum, die in den griechischen Bibliotheken häufig zu finden waren.

Mit Recht wird nun der heilige (liturgische) Dienst in der ersten himmlischen Hierarchie von den allerhöchsten Wesen versehen; denn diese hat eine höhere Rangstufe als alle übrigen und die unmittelbar gewirkten Gottesoffenbarungen und Einweihungen (in das Göttliche) werden ursprünglicher auf sie übergeleitet, weil sie (Gott) am nächsten steht. »Erglüher« und »Ergießung der Weisheit« werden nun auch die Throne genannt, ein Name, der ihre gottähnliche Beschaffenheit offenbart. Denn der Name der Seraphim lehrt und offenbart ihre immerwährende und unaufhörliche Beweglichkeit um das Göttliche, ihre Glut, ihre Schärfe, das Übereifrige ihrer beständigen, unablässigen, nie wankenden Immerbewegung, ihre Eigenschaft, die tieferstehenden Ordnungen, sofern sie dieselben zu einer ähnlichen Glut entfachen und entzünden, emporführend wirksam sich anzugleichen. Ihre Kraft, in brennenden und alles verzehrenden Flammen zu reinigen, ihren Charakter, der kein Verhüllen und kein Erlöschen zuläßt, der immer sich gleichmäßig verhält, lichtartig und lichtspendend, Verscheucher und Vernichter jeder lichtlosen Verdunkelung ist.

Der Name der Cherubim offenbart ihre Gabe des Erkennens und Gottschauens, ihre Fähigkeit, die höchste Lichtmitteilung aufzunehmen und die urgöttliche Schönheit in ihrer direkt und unmittelbar wirkenden Macht zu schauen, ihr Geschaffensein für die weisemachende Mitteilung und ihren Drang, durch Ergießung der von Gott geschenkten Weisheit neidlos mit den Wesen zweiter Ordnung in Gemeinschaft zu treten.

Der Name der höchsten und erhabenen Throne bezeichnet, daß sie jeder erdhaften Niedrigkeit ungetrübt enthoben sind, daß sie überweltlich nach oben streben und von jedem untersten Gliede unerschütterlich weggerückt sind, daß sie um das wahrhaft Höchste mit ganzer Vollkraft ohne Wanken und sicherstehend gestellt sind, daß sie der Einkehr Gottes in aller Freiheit von sinnlichen, materiellen Störungen genießen, daß sie Gottesträger und für den Empfang der göttlichen Erleuchtungen ehrfurchtsvoll erschlossen sind.

Das besondere Wesen der obersten Hierarchie (§ 2)
1) Nach Erklärung der Namen ist das besondere Wesen der obersten Hierarchie (Triade) zu erklären, denn daß Reinigung, Erleuchtung und Vollendung, sowohl im aktiven wie im passiven Sinne, jeder Hierarchie eigen ist, wurde schon früher gezeigt.
2) Jene höchsten Geister, welche unmittelbar um Gott stehen, bilden eine eigene Hierarchie.
3) Rein sind sie zu nennen, nicht bloß weil sie keiner Verunreinigung ausgesetzt sind, sondern weil sie die höchste Heiligkeit besitzen und unwandelbar die Höhe ihrer Vollkommenheit behaupten.
4) Beschauend sind sie, nicht in dem Sinne, als ob sie sinnlich wahrnehmbare Bilder nötig hätten, sondern insofern als sie in immateriellem Lichte die Trinität schauen und mit Jesus in nächster Gemeinschaft stehen. Sie prägen das Nachbild Gottes am treuesten in sich aus und stehen der Einwirkung von Christi Tugenden am nächsten.
5) Vollendet werden sie genannt, weil sie nicht eine diskursive Erkenntnis besitzen, sondern von der Gottheit in der höchsten Form unmittelbar erleuchtet und vollendet werde
n.

Dieses also ist nach unserer Auffassung die Erläuterung ihrer Namen. Es ist nun zu zeigen, was wir als das (besondere) Wesen ihrer Hierarchie betrachten. Denn daß das Ziel jeder Hierarchie unwandelbar auf die Nachbildung Gottes und Ähnlichkeit mit ihm gerichtet ist und daß die Funktion jeder Hierarchie in das heilige Empfangen und Mitteilen ungetrübter Reinheit, göttlichen Lichtes und vollendender Erkenntnis zerfalle, das glaube ich genügend schon besprochen zu haben. Jetzt aber wünsche ich in einer der höchsten Geister würdigen Weise zu sagen, wie ihre Hierarchie durch die heilige Schrift geoffenbart wird. Für die ersten Wesen, welche gleich nach der Urgottheit, der sie ihr Sein verdanken, ihre Stellung haben und sozusagen in der Vorhalle* derselben ihren Platz einnehmen und so jeglicher sichtbaren und unsichtbaren geschöpflichen Macht übergeordnet sind, muß man eine eigene und in jeder Beziehung gleichgeartete Hierarchie annehmen.
* Das klassische Bild, von der »Vorhalle« des königlichen Palastes auf die Nähe Gottes übertragen, ist Proklus sehr geläufig (Koch S. 98); aber auch Eusebius beutet es oratorisch aus. De laud. Const. 1, 1 (M. 20, 1320).

Für rein muß man diese Geister erachten, nicht nur insofern, als ob sie von unheiligen Flecken und Makeln befreit und materiell-sinnlichen Phantasievorstellungen unzugänglich wären, sondern in dem Sinne, daß sie ungetrübt über jede Schwächung und über alles minder Heilige hinaus entrückt sind; daß sie gemäß ihrer höchsten Heiligkeit vor allen gottähnlichsten Mächten einen höheren Rang besitzen und entsprechend ihrer unveränderlichen Gottesliebe den ihnen eigenen, von ständiger und gleichmäßiger Bewegung (der Liebesglut) erfüllten Stand unerschütterlich behaupten; (in dem Sinne, sage ich,) daß sie das Sinken zum Geringeren in irgend welcher Richtung ganz und gar nicht kennen, sondern die ungetrübteste Festigkeit ihrer entsprechenden, gottähnlichen Eigenart ohne Wanken und Wechseln immerdar bewahren.

Als beschauend muß man sie anerkennen, nicht als ob sie Beschauer von sinnlich wahrnehmbaren und geistig zu deutenden Symbolen wären und durch die bunte Fülle der auf heilige Bilder gestützten Betrachtung zum Göttlichen erhoben würden, sondern insofern, als sie mit einem Lichte erfüllt sind, das jegliche immaterielle Erkenntnis übertrifft, und mit der Beschauung jener Urschönheit, welche Schönes schafft, überwesentlich ist und in dreifachem Strahle leuchtet, soweit als möglich ersättigt werden. Man muß ferner annehmen, daß sie auf dieselbe Weise der Gemeinschaft mit Jesus gewürdigt sind, nicht vermittels heilig gestalteter Bilder, welche in äußeren Formen die Verähnlichung mit der Wirksamkeit Gottes ausprägen, sondern auf Grund des wahrhaften Nahetretens zu ihm, welches sich in der (unmittelbaren) ersten Anteilnahme an der Erkenntnis des Lichtes seiner Gottestaten vollzieht. Desgleichen ist zu glauben, daß ihnen das Nachahmen Gottes in der sublimsten Weise verliehen ist und daß sie, soweit es immer geschehen kann, in unmittelbarer Kraftwirkung an seinen in Gotteswerken und Menschenliebe betätigten Tugenden teilhaben.

Vollendet
müssen wir desgleichen diese Engel erachten, nicht etwa, weil sie mit einer diskursiven, aus einer heiligen Mannigfaltigkeit (von Symbolen) gewonnenen Erkenntnis erleuchtet würden, sondern weil sie mit der ersten und vorzüglichsten Gnade der Vergottung erfüllt werden, sowie es der höchsten den Engeln möglichen Erkenntnis des göttlichen Waltens entspricht. Denn nicht durch andere heilige Wesen sondern unmittelbar von der Urgottheit werden sie hierarchisch vollendete weil sie durch die ihnen eigene, alles übertreffende Kraft und Rangstellung unmittelbar zu ihr sich aufschwingen. Und demnach sind sie in der vollkommenen Heiligkeit und im höchsten Grade der Unerschütterlichkeit fest begründet, sie werden zur immateriellen und geistigen Schönheit, soweit es möglich ist, zum Zwecke beschaulicher Erkenntnis erhoben und, als der erste um Gott gebildete Kreis, in die ihrer Einsicht zugänglichen Pläne der Gottestaten unmittelbar von der Urquelle aller Weihevollendung eingeweiht und auf die erhabenste Weise hierarchisch vollendet.

Aufklärung und Erleuchtung der Engel (§ 3)
1) Beweis aus der heiligen Schrift, daß die tieferstehenden Engel von den höhern über die Werke Gottes unterrichtet, diese letztern aber unmittelbar von Gott selbst aufgeklärt werden: An der einen Stelle der Schrift erscheinen Engel, welche über Christus von andern Engeln belehrt werden; ferner führt die Schrift eine Gruppe von Engeln ein, welche über Jesus im Ungewissen sind und direkt von ihm eine Antwort erhalten.
2) Wunderbar ist die Zurückhaltung, mit welcher selbst die höchsten Engel nach Aufschluß der göttlichen Geheimnisse verlangen.
3) So wird also die oberste Triade der Engel von Gott selbst gereinigt, erleuchtet und vollendet.
4) Es beruht sowohl die Reinigung wie die Erleuchtung und Vollendung auf der Mitteilung der göttlichen Erkenntnis, sofern diese die Unwissenheit vertreibt, positive Erleuchtung gewährt und im Genusse des Lichtes vollendet.

Die Tatsache, daß die tieferstehenden Ordnungen der himmlischen Wesen von den höheren in der Erkenntnis der Gottestaten unterwiesen, daß hingegen die allerobersten Stufen von der Urgottheit selbst, soweit es möglich ist, mit geheimnisvollen Lehren erleuchtet werden, sprechen die Verfasser der Offenbarungsschriften deutlich aus. Denn einige der Engel schildern sie, wie diese von den höheren heilig in jenes Geheimnis eingeweiht werden, daß derjenige, welcher in menschlicher Gestalt in den Himmel aufgenommen wurde, der Herr der himmlischen Mächte und der König der Glorie sei (Ps. 23, 10). Bei andern Engeln offenbaren sie deren Ungewißheit Jesu selbst gegenüber und wie sie die Kenntnis über sein für uns vollbrachtes Gotteswerk erlangen, wie Jesus selbst sie unmittelbar geheimnisvoll belehrt und ihnen in erster Mitteilung sein menschenfreundliches Heilswerk offenbart. »Ich«, sagt er nämlich, »lehre Gerechtigkeit und ein Gericht des Heils« (Is. 63, 1). Ich muß mich aber wundern, daß auch die ersten der himmlischen Wesen, welche die andern so weit überragen, die urgöttlichen Erleuchtungen nur mit Ehrfurcht ersehnen, wie sie ja nur mit den mittlern Flügeln fliegen. Denn nicht ohne weiteres fragen sie: »Warum sind deine Kleider rotgefärbt?« Sie sind vielmehr erst bei sich selbst im Zweifel und geben zu verstehen, daß sie lernen wollen und nach. der Erkenntnis des göttlichen Wirkens begehren, keineswegs aber der Erleuchtung vorauseilen, welche ihnen nach dem Gesetze des göttlichen Hervortretens beschieden ist.

Es wird also die erste Hierarchie der himmlischen Geister unmittelbar von dem Urprinzip aller Weihevollendung durch die direkte Erhebung zu demselben hierarchisch vervollkommnet, mit der allerheiligsten Reinheit des unermeßlichen Lichtes der übervollkommenen Weihewirkung im entsprechenden Verhältnis erfüllt und also gereinigt, erleuchtet und zur Vollendung geführt, durch kein Sinken nach unten getrübt, mit dem ursprünglich ersten Lichte erfüllt und durch Teilnahme an der erstverliehenen Erkenntnis und Wissenschaft vollendet. In Kürze dürfte ich wohl auch mit Recht dieses sagen, daß sowohl die Reinigung wie die Erleuchtung und Vollendung nichts anderes als die Mitteilung des urgöttlichen Wissens ist, welche (erstens) gewissermaßen von der Unwissenheit durch die nach Gebühr verliehene Kenntnis der vollkommenem Einweihungen reinigt, welche zweitens durch eben jene göttliche Erkenntnis dann erleuchtet, durch welche sie auch die vorige Stufe des Wissens reinigt, in der man noch nicht alles das schaute, was jetzt durch die höhere Erleuchtung geoffenbart wird, (welche endlich drittens) durch eben das Licht, d. i. durch das zuständlich dauernde Wissen der lichtvollsten Einweihungen auch vollendet.

Höchste Erleuchtung der ersten Triade (§ 4)
1) Die geschilderte erste Triade genießt die höchste Sicherheit, Ehre und Wonne der unmittelbaren Anschauung Gottes. Die Quelle dieser Seligkeit ist in sich höchste Einheit, in ihren Ausflüssen Vielheit; Ähnlichkeit, Gemeinschaft und Mitwirksamkeit mit Gott und höchste Kenntnis Gottes entspringen ihr.
2) Eine Ahnung davon geben uns die Lobgesänge der Engel im Himmel, von denen in der heiligen Schrift die Rede ist. Der Verfasser verweist darüber auf sein früheres Werk über die »Göttlichen Hymnen«.
3) Aus demselben soll wiederholt werden, daß die oberste Hierarchie ihr Wissen gütig den tieferen mitteilt und dadurch zu erkennen gibt, daß die Gottheit mit Fug und Recht von den seligen Geistern verherrlicht werden soll.
4) Aber auch die eine Gottheit in drei Hypostasen, die allwaltende Vorsehung, Urquell und Ursache von allem, ist Gegenstand jenes Lobpreises.


Diese also ist, soweit ich es verstehe, die erste Ordnung der himmlischen Wesen. Sie steht unmittelbar in der Runde um Gott und um Gott her, in unablässigem Reigen bewegt sich ihr einfaches Denken in der ewigen Erkenntnis Gottes, wie es der immer bewegten, höchsten Rangstellung unter den Engeln ent¬spricht. Sie genießt reinen Blickes viele wonnevolle Anschauungen, sie wird von einfachen und unmittelbaren Strahlen funkelnd erleuchtet und mit göttlicher Speise gesättigt, die zwar in der ersten Ergießung aus der Quelle eine reiche Fülle darstellt, aber bei der Einheitlichkeit der urgöttlichen Labung, welche kein Vielerlei kennt und in Eins verwandelt, doch nur eine ist. Diese (höchste Triade) ist einer intensiven Gemeinschaft und Mitwirksamkeit mit Gott infolge der möglichsten Verähnlichung ihrer herrlichen Eigenschaften und Tätigkeiten mit ihm gewürdigt; sie erkennt in bevorzugter Weise viele Geheimnisse des Göttlichen und ihr ist, soweit es statthaft ist, die Teilnahme an göttlichem Wissen und Erkennen gewährt.*
* Eine merkwürdige Übereinstimmung mit dieser Schilderung weist unter den Vätern besonders Greg. v. Naz. or. 28, 81; 44, 8; 45, 5 (M. 5. gr. 86, 72 ff.) auf; selbst die gleichen Ausdrücke treten in die glänzende Schilderung ein, welche nachstehende Momente umfasst: 1) Die Engel. bzw. die obersten Engel sind Lichtnaturen; 2) ihr Licht ist ein Abglanz des ungeschaffenen Lichtes; 3) sie strahlen am reinsten vor allen andern Wesen; 4) sie stehen Gott zunächst; 5) sie umkreisen ihn im Jubelreigen; 6) sie entsenden ihr Licht auf tieferstehende Geister mit Verminderung der Lichtstärke, sowie es der Natur und Rangordnung der tiefern Engel entspricht. — Cyrill v. Alex. übernimmt diese Züge zum Teil de ador. in Spir. XI (M. 68, 604 B). Andrerseits vergleiche man bei Proklus in 1. Alcib., 325 lt. die Schilderung der drei Geistwesen. Er lässt sie auch einen entzückten Reigen um den überwallenden Quell göttlicher Schönheit aufführen; er versetzt sie in das Dunkel der höchsten Götternähe; er legt ihnen die Aufgabe bei, das unmit¬telbar von dort empfangene Licht nach unten weiterzuleiten und die damit erfüllten Seelen emporzuführen. Indes schon Plato (Phädr. 250 B) spricht von mystischen Reigen der Seelen um das Urschöne; Philo und Plotin gebrauchen das gleiche Bild von der höhern Erkenntnis. Origenes ist auch hierin Platoniker.

Deshalb hat auch die Offenbarung den Menschen auf Erden deren Lobgesänge überliefert, in welchen sich der Vorzug ihrer höchsten Erleuchtung heilig kundgibt. Denn die einen Glieder dieser Hierarchie lassen, um die Sprache der Sinne zu reden, gleichwie das Rauschen vieler Wasser (Apokal. 1, 15) den lauten Ruf erschallen: »Hochgelobt (sei) die Herrlichkeit des Herrn an ihrem Orte« (Ezech. 3, 12). Die andern erheben jenen vielgerühmten und tiefster Ehrfurcht vollen Gottespreis: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen, die ganze Erde ist erfüllt von seiner Herrlichkeit« (Is. 6, 3). Diese erhabensten Lobgesänge der überhimmlischen Geister haben wir bereits in dem Werke »Über die göttlichen Hymnen« nach unserm Vermögen erläutert und es ist über sie daselbst unserm Stande entsprechend das Ausreichende gesagt. Es genügt, daraus für den gegenwärtigen Moment nur dies eine wieder ins Gedächtnis zu rufen, daß die erste Ordnung, nachdem sie von dieser urgöttlichen Güte mit der Wissenschaft Gottes nach Möglichkeit erleuchtet worden ist, auch den unter ihr folgenden Stufen der Reihe nach als eine gütig geartete Hierarchie mitgeteilt hat. Und damit legt sie, um mich kurz auszudrücken, diese Wahrheit nahe, daß es mit gutem Grunde sich zieme, daß die Ehrfurcht heischende, über die Maßen zu preisende und allgepriesene Urgottheit von den gottaufnehmenden Geistern nach Möglichkeit erkannt und gepriesen werde. Denn diese sind, wie die Schrift sagt, die göttlichen Ruheorte der Urgottheit. Eine zweite Wahrheit lehrt uns der Lobgesang dieser Hierarchie, daß nämlich die Gottheit eine Monas und Einheit in drei Hypostasen ist, welche von den überhimmlischen Wesen bis zu den äußersten Dingen dieser Erde herab ihre liebreichste Vorsehung über die ganze Schöpfung erstreckt, da sie überursprünglicher Ursprung und Grund jedes Dinges ist und alles mit unbezwingbarer Umschließung zusammenhält. S.30-43
Aus: Des Heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien . Aus dem Griechischen übersetzt von Josef Stiglmayr, S.J.
Bibliothek der Kirchenväter, Verlag der Josef Köselschen Buchhandlung Kempten und München: 1911


Die kirchliche Hierarchie
Das Wesen der Hierarchie (Kirchliche Hierarchie, Kapitel I)
Definition und Ziel der Hierarchie (§ 3)
Definition von »Hierarchie« überhaupt und von der »Kirchlichen Hierarchie« im besondern. Die Eigentümlichkeiten der letztem betreffen
1) den Hierarchen selbst in seiner erhabenen Berufsstellung als Haupt der einzelnen Hierarchie (der kirchlichen Gemeinde);
2) den letzten Urgrund der Hierarchie, die heiligste Dreifaltigkeit und ihren gütigen Willen, uns zum Heile zu führen;
3) die Stufen dieses Heilsprozesses oder der Vergöttlichung, nämlich die Abkehr vom Gott fremden, das richtige Beurteilen der Dinge nach ihrem eigentlichen Werte, die Einsicht in die heiligen Schriften, die innerliche Umgestaltung zum Bilde Gottes nach dem Einen hin, endlich die genußvolle Betrachtung des Göttlichen.


Hierarchie im allgemeinen ist, gemäß unserer ehrwürdigen Überlieferung, das Gesamtsystem der vorhandenen Heilsmomente, der umfassendste Inbegriff der heiligen Dinge dieser oder jener Hierarchie. Unsere (kirchliche) Hierarchie nun ist und heißt jene die Gesamtheit der eigentümlichen Heilsmittel umfassende Anstalt, in welcher (zunächst) der göttliche Hierarch zur Vollkommenheit gelangt und an all dem Hochheiligen, das zu seinem Amte gehört, Anteil haben wird. Trägt er ja seinen Namen von der Hierarchie. Wie man nämlich mit dem Worte Hierarchie in gemeinsamer Zusammenfassung die Veranstaltung aller Heilsmittel bezeichnet, so bedeutet der Name Hierarch den gotterfüllten, göttlich erhabenen Mann, der alles hierarchischen Wissens kundig ist und in welchem auch die ganze ihm unterstehende Hierarchie als in ihrer reinen Spitze kulminiert und erkannt wird.

Den Ausgangspunkt dieser Hierarchie bildet die Quelle des Lebens, die wesenhafte Güte, die eine Trias, welche aller Dinge Ursache ist, von der sie durch Güte nicht bloß das Dasein sondern auch das glückliche Dasein haben. Diese über alles erhabene, urgöttliche Seligkeit der dreifältigen Monas, welcher das Sein im eigentlichen Sinn zukommt, hat, uns zwar nicht faßbar aber ihr selbst bewußt, die geistige Wohlfahrt unserer Natur wie der über uns stehenden Wesen zum Gegenstand ihres Wollens. Es kann aber unsere Wohlfahrt auf keine andere Weise erfolgen als durch die Vergöttlichung der Geretteten. Vergöttlichung hinwieder ist das höchstmögliche Ähnlich- und Einswerden mit Gott. Überhaupt ist dies das gemeinsame Ziel jeder Hierarchie: die ununterbrochene Liebe zu Gott und zu göttlichen Dingen, welche auf Gott fußend und in der Tendenz nach dem Einen sich heilig auswirkt, zuvörderst aber die vollständige und unwiderrufliche Abkehr vom Gegenteil, die Kenntnis der Dinge nach ihrem eigentlichen Sein, das Schauen und Verstehen der heiligen Wahrheit, die gotterfüllte Teilnahme an der eingestaltigen Vollendung, ja an dem Einen selbst, soweit es möglich ist, der süße Genuß der Betrachtung, welcher jeden zu ihr erhobenen Jünger geistig nährt und vergöttlicht*.
* An dieser und unzähligen andern Stellen spricht Dionysius von der Vergottung vermittels der Einswerdung mit Gott als dem letzten Ziel der Mystik. Die biblische Grundlage bot 2. Petr. 1, 4; Joh. 11, 51; 17, 20—28, auf welcher schon Clemens v. Alexandria weiterbaut

Die Hierarchie ist ein Gnadengeschenk der göttlichen Güte (§ 4)
1) Die Hierarchie ist ein Gnadengeschenk der göttlichen Güte für Engel und Menschen.
2) Die Einrichtung für hierarchischen Anstalt ist für die Engel eine reingeistige, für uns beruht sie auf vielerlei sinnfälligen Faktoren, wie sie uns in der schriftlichen und mündlichen Offenbarung beschrieben werden.
3) Beiden Arten der Offenbarung bringen wir die höchste Ehrfurcht entgegen, ja wir erkennen in der mündlichen Offenbarung sogar etwas Geistigeres und Höheres, weil sie nicht an die materielle Schrift geknüpft ist, sondern durch das Wort von Geist zu Geist vermittelt wird.
4) Es ist den Wahrheiten der Offenbarung der Charakter des Geheimnisvollen eigen (Arkanwissenschaft). Daher haben die Vorsteher der Kirche in Hüllen und Gleichnissen geredet; nicht alle Gläubigen haben die entsprechende Disposition für das tiefere Erkennen.


Wir sagen also, daß die urgöttliche Seligkeit, das von Natur göttliche Wesen, die Urquelle der Vergöttlichung, aus welcher für alle, die vergöttlicht werden, die Vergottung fließt, in ihrer Gottesgüte zum Zwecke des Heils und der Vergottung aller vernünftigen und geistigen Wesen die Hierarchie geschenkt hat. Den Geistern der überweltlichen und seligen Ruheorte ist sie auf eine mehr immaterielle und geistige Weise verliehen, denn Gott bewegt sie nicht von außen her zum Göttlichen hin, sondern auf geistige Art; sie werden innerlich im reinen und unstofflichen Lichtstrahl über den hochheiligen Willen Gottes erleuchtet. Uns aber ist das Geschenk, das jenen auf dem Wege eines einheitlichen und geschlossenen Erkennens gewährt ist, auf Grund der von Gott eingegebenen Offenbarungen, soweit es für uns tunlich ist, in der Mannigfaltigkeit und Fülle gesonderter sinnbildlicher Zeichen geboten.

Das Wesen unserer Hierarchie
bilden nämlich die gottentstammten Offenbarungen, welche uns von unseren gotterfüllten Trägern der Weihegewalten (den Propheten und Aposteln) in den heilig abgefaßten, Gottes Wort enthaltenden Schriften vermittelt worden sind. Und auf gleiche Stufe stellen wir die Geheimnisse, in welche von denselben heiligen Männern unsere geistlichen Führer eingeweiht wurden, und zwar in einer weniger stofflichen, der himmlischen Hierarchie schon näher verwandten Unterweisung, nämlich von Geist zu Geist, durch das Mittel des mündlichen Wortes, das zwar noch etwas Materielles an sich hat, aber gleichwohl schon unstofflicher ist, ohne den Dienst der Buchstabenschrift.

Diese Lehren haben die gotterfüllten Hierarchen zum Zwecke des heiligen Dienstes keineswegs in unverhüllten Aufschlüssen, sondern nur in heiligen Symbolen überliefert. Denn nicht jeder ist heilig und die Erkenntnis ist, wie die Schrift sagt, nicht jedermanns Sache.

Die Grundlegung der Hierarchie (§ 5)
Die Grundlegung unserer Hierarchie:
1) Gott offenbarte sich unmittelbar den ersten Hirten der Kirche; sein Auftrag und der eigene Glaubenseifer der Apostel sorgte für die Fortpflanzung der Offenbarungslehre durch die Jahrhunderte.
2) Die Methode zu lehren blieb sich gleich; im Sinnlichen lehrte man das Übersinnliche führte die Hörer ins Reich des Geistigen empor.

3) Die Gründe für die verhüllte (symbolische) Überlieferung sind erstens das Interesse der Geheimhaltung vor den Ungläubigen, zweitens die Anpassung an unsere leiblich-geistige Natur; drittens das harmonisch abgestufte Wesen, Wissen und Wirken innerhalb der Hierarchie mit ihren gesonderten Ordnungen.
4 ) Nur unter der Bedingung, daß auch Timotheus dieser Geheimhaltung treu bleibe, erhält er Kenntnis von dem Inhalte vorliegender Schrift
.

Die ersten Führer unserer Hierarchie wurden von der überwesentlichen Urgottheit erst selbst mit der heiligen Gabe erfüllt und dann von der urgöttlichen Güte ausgesandt, um dieselbe auf ihre Nachfolger fortzupflanzen. Neidlos strebten sie aber auch von selber, weil ja göttlichen Sinnes, ihre Nachfolger emporzuführen und zu vergöttlichen. Notwendigerweise boten sie uns also bei ihren geschriebenen und ungeschriebenen Einweihungslehren im Einklang mit den heiligen Satzungen das Überhimmlische in sinnfälligen Bildern, das in Eins Geschlossene in Buntheit und Fülle, das Göttliche in menschlichen Analogien, das Stofflose im Stofflichen, das Überwesentliche in dem, was unser ist.

Sie handelten so nicht bloß wegen der Unheiligen, welche nicht einmal an die heiligen äußeren Zeichen rühren dürfen, sondern auch aus dem Grunde, weil unsere Hierarchie, wie gesagt, unserer Natur entsprechend eine symbolische ist und der sinnlich wahrnehmbaren Dinge bedarf, um von denselben aus zu der geistigen Welt einen göttlicheren Aufstieg zu bereiten. Den göttlichen Trägern der heiligen Gewalten sind freilich die den Sinnbildern zu Grunde liegenden Ideen enthüllt, sie dürfen aber dieselben denen, die noch im Prozeß der Vervollkommnung begriffen sind, nicht offenbaren. Denn sie wissen, daß die Gesetzgeber der von Gott verliehenen Heilsanstalt unsere Hierarchie nach den unverrückbaren und unvermengbaren Rangordnungen und nach den entsprechenden heiligen Zuweisungen des einen jeden nach Gebühr treffenden Anteils gegliedert haben.
S.95-100
Aus: Des Heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien . Aus dem Griechischen übersetzt von Josef Stiglmayr, S.J.
Bibliothek der Kirchenväter, Verlag der Josef Köselschen Buchhandlung Kempten und München: 1911


Das allheilige Gesetz der Urgottheit (Kirchliche Hierarchie, Kapitel V, § 4)
Das allgemeine Grundgesetz göttlicher Mitteilung, daß den tieferstehenden Wesen die Erleuchtung durch die höheren vermittelt wird, findet
1) eine Illustration in den physikalischen Gesetzen der materiellen Welt:
2) es beherrscht die kirchliche Hierarchie nicht minder als die himmlische;
3) es hat also zur Folge, daß die obersten Vorsteher der Kirche (Bischöfe) eine vollkommene Erkenntnis der Heilsgeheimnisse besitzen und aus der Fülle ihres heiligen Wissens den Untergebenen mitteilen müssen.


Das allheilige Gesetz der Urgottheit ist dies, daß die Wesen zweiter Ordnung durch die der ersten Ordnung zum göttlichsten Lichte emporgeführt werden. Oder sehen wir nicht, daß auch die sinnlich wahrnehmbaren Dinge der materiellen Welt zunächst in die ihnen mehr verwandten Substanzen eindringen und dann durch dieselben hindurch die eigene Kraftwirkung auf andere übertragen? Geziemender Weise läßt daher der Urquell und das Fundament jeglicher unsichtbaren und sichtbaren Wohlordnung die göttlich wirkenden Strahlen zuerst in die gottähnlicheren Geister eindringen und durch diese hindurch, die eben als hell durchleuchtbare Geister zur Aufnahme und Weitergabe des Lichtes von Natur aus geeignet sind, strahlt sie in die tieferstehenden, deren Empfänglichkeit entsprechend, hinein und wird ihnen sichtbar.

So haben also diese Männer, welche zunächst Gott schauen, die Aufgabe, die Mitglieder der zweiten Ordnung in dem denselben entsprechenden Maße neidlos die heilig von ihnen selbst geschauten göttlichen Betrachtungsbilder sehen zu lassen. Ihnen, die in alle göttlichen Geheimnisse ihrer Hierarchie mit vollkommener Wissenschaft bestens eingeweiht sind, steht es zu, andere in die hierarchischen Dinge einzuweihen, da sie dazu auch die vollendende Gewalt der mystischen Einführung besitzen. Und nur denen, welche mit tieferem Erkennen und im vollen Umfange der Hochstufe des Priestertums teilhaft geworden sind, kommt es zu, das Heilige auch andern mitzuteilen. S.167f.
Aus: Des Heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien . Aus dem Griechischen übersetzt von Josef Stiglmayr, S.J.
Bibliothek der Kirchenväter, Verlag der Josef Köselschen Buchhandlung Kempten und München: 1911

Das Geheimnis der Taufe
(Kirchliche Hierarchie, Kapitel II, III.)
Tiefere Wahrheiten und heilige Wirkungen der Taufe (§ 1)
1) Der ganze Taufritus hat schon nach seiner äußeren Seite einen hohen sittlichen Wert, weil er abbildlich die Reinigung von Sünde und Bosheit eindrucksvoll andeutet.
2) Aber unter den sinnbildlichen Zeichen des äußeren Ritus liegen tiefere Wahrheiten und heilige Wirkungen verborgen.

Das also ist nach den äußeren sinnbildlichen Zeichen das Weihemysterium der heiligen Geburt aus Gott. Nicht einmal hinsichtlich der sinnlich wahrnehmbaren Bilder enthält es etwas Ungeziemendes oder Unheiliges, sondern stellt vielmehr im Spiegel der natürlichen, dem Menschen angepaßten Dinge die Rätselobjekte einer Gottes würdigen Betrachtung abbildlich dar. Denn worin möchte das Mysterium, auch wenn der göttlichere Sinn der sakramentalen Zeremonien verschwiegen bliebe, nicht ausreichend erscheinen, um auf ein tugendhaftes Leben des Taufkandidaten durch die überredende Kraft der Sprache Gottes heilig hinzuarbeiten und die Reinigung von aller Schlechtigkeit allzumal durch ein tugendhaftes und göttliches Leben dem Täufling auf eine mehr leibliche Weise durch die Abwaschung mit natürlichem Wasser anzudeuten? Es wäre also schon an und für sich die Überlieferung der Zeremonien nach ihren sinnbildlichen Zeichen, auch wenn sie keinen göttlichem Sinn in sich schlösse, meines Bedünkens gar heilig, da sie die Anleitung zu einem wohlgeordneten Leben gibt und die vollständige Losschälung vom Wandel im Bösen durch das natürliche Abwaschen des ganzen Körpers vermittels Wasser sinnbildlich vor Augen stellt.

Blick auf die Urquellen der Sakramente (§ 2 )
1) Die Bildersprache der Symbole bildet ein Vorstadium des Unterrichtes für die Ungetauften.
2) Die Eingeweihten (Getauften) dagegen schauen die Geheimnisse in ihrem höchsten Urquell und in ihrer geistigen Bedeutung.
3) Wie einerseits in der Sinnenwelt die Abbilder geistiger Wahrheiten liegen, so strömt andrerseits aus der geistigen Welt das Licht, durch welches die sinnlich wahrnehmbaren Elemente der Hierarchie aufgehellt werden. Der Verfasser beruft sich auf sein früheres Werk »Über das Geistige und Sinnliche«.

Aber diese äußeren Symbole mögen für die Unreifen ein Vorstadium jener Seelenführung sein, welche die Geheimnisse der Hierarchie nach ihrem einheitlichen Sinne der großen Menge, wie es sich gebührt, vorenthält und die harmonische Emporführung in denselben den einzelnen Stufen entsprechend zuweist. Wir jedoch richten in heiligen Aufstiegen unsern Blick zu den Urquellen der Sakramente empor und werden, heilig in sie eingeweiht, die Kenntnis der geistigen Typen, deren äußere Abprägungen uns vorliegen, und der unsichtbaren Welt, deren sichtbare Bilder uns entgegentreten, zu gewinnen vermögen. Wie wir nämlich in dem Werke: »Über Geistiges und Sinnliches« klar gezeigt haben, sind die geheiligten Dinge aus dem Bereiche der Sinnenwelt Abbilder des Geistigen und eine Handführung und ein Weg zu ihnen. Das Reich der Ideen hinwieder bildet den Ausgangspunkt für das Verständnis der unter die Sinne fallenden Elemente der Hierarchie.

Die Ausgießung der wohltätigen Strahlen des göttlichen Lichts ( § 3)
1) Die göttliche Güte bleibt sich in der Ausgießung ihrer geistigen Strahlen immer gleich.
2) Die vernunftbegabten Wesen können aber durch Mißbrauch ihrer Willensfreiheit das geistige Auge vor dem Lichte verschließen, das immerdar über ihnen leuchtet.
3) Ebenso können sie zu ihrem eigenen Schaden sich überheben und in ein für ihre Sehkraft zu starkes Licht zu schauen begehren.
4) Nach diesem Vorbild, gleich einer ewig klaren und freundlichen Sonne, läßt auch der Hierarch die Strahlen seiner Belehrung, durch keine Mißgunst getrübt, über den Untergebenen leuchten, je nach der Empfänglichkeit der einzelnen Stufen.


Wir sagen also, daß die Güte der göttlichen Seligkeit sich immer gleich bleibt und auf ein und dieselbe Weise sich verhält, indem sie die wohltätigen Strahlen ihres eigenen Lichtes reichlich über alle geistigen Augen ausgießt. Wenn nun die Selbstbestimmung und Willensfreiheit der vernünftigen Wesen von dem geistigen Lichte sich abtrünnig wegwendet, indem sie aus Liebe zum Bösen die von Natur ihnen eingepflanzten und für die Aufnahme des Lichtes bestimmten Sehorgane verschließen, so bleiben sie von dem ihnen nahen Lichte isoliert, trotzdem daß es von ihnen nicht weicht, sondern gütig über dem verschlossenen Auge leuchtet und dem abgewandten Blicke zuströmt. Wenn im andern Falle das vernunftbegabte Wesen die Grenzen dessen überspringen wollte, was ihm nach bestimmtem Maße zu sehen vergönnt ist, und vermessen zu den Strahlen emporzuschauen wagte, welche seine Sehkraft übersteigen, so wird das Licht zwar keine seiner Natur widersprechenden Wirkungen hervorbringen; das vermessene Geschöpf aber, das trotz seiner Unvollkommenheit sich auf das Vollkommene wirft, wird einerseits das ihm nicht Zugehörige doch nicht erreichen, andrerseits infolge der unziemlichen Überhebung auch des ihm gebührenden Anteils durch eigene Schuld verlustig gehen.

Aber freilich, wie gesagt, das göttliche Licht ist immerdar wohltätig wirkend über die geistigen Augen ausgegossen. Sie haben es in der Gewalt, es zu erfassen, denn es ist ihnen nahe und immer durchaus zu der göttlich schönen Mitteilung von dem eigenen Reichtum bereit. Siehe hier das Bild, welchem der göttliche Hierarch sich verähnlicht und nachbildet. Auch er verbreitet die lichtgearteten Strahlen seiner gotterfüllten Belehrung ohne neidischen Vorbehalt über alle. Er ist, ein Nachahmer Gottes, von ganzem Herzen bereit, den Ankömmling zu erleuchten. Ohne eine Mißgunst, ohne einen unheiligen Zorn über die frühere Abtrünnigkeit oder Überhebung zu kennen, läßt er gotterfüllt die Strahlen seiner lichtvollen Unterweisungen allzeit den Katechumenen leuchten, soweit es der Geist der Hierarchie verlangt, in schöner Ordnung und stufenmäßiger Abfolge, entsprechend dem Maße der Empfänglichkeit, die ein jeder für das Heilige besitzt.

Die Selbsterkenntnis beim Erblicken des göttlichen Lichtes (§ 4)

1) Die erste Frucht des Aufblickens zum Lichte ist, gemäß der von Gott begründeten Ordnung, die Selbsterkenntnis.
2) Mit der fortschreitenden Zunahme der Kenntnis wird der Mensch allmählich und stufenweise zu immer Höherem und zuletzt zum obersten Gipfel des Göttlichen aufsteigen.
3) Der sinnbildliche Ausdruck für diese fromme Scheu und Zurückhaltung ist gegeben in dem Brauche, daß der Täufling sich einen Paten aussucht, der ihn zum Bischof geleitet.
4) Die Bezeichnung des Täuflings mit dem Siegel des Kreuzes und die Eintragung seines Namens in das Taufregister hat den mystischen Sinn, daß er an der Glückseligkeit Gottes Anteil gewinnt und unter die Zahl der Geretteten eingereiht ist.

Weil das Göttliche die Quelle der heiligen, guten Ordnung ist und ihr gemäß die heiligen Geister sich selbst erkennen, so wird derjenige, welcher sich dem erkennbaren Gebiet der eigenen Natur zuwendet, zuerst sich selbst erkennen, wer er immer sein mag, und zuerst diese heilige Frucht von der Hinneigung zum Lichte gewinnen. Hat er dann den eigenen Zustand mit leidenschaftslosem Blick gut ins Auge gefaßt, so wird er zunächst aus den lichtlosen Winkeln der Unwissenheit heraustreten. Weil aber noch nicht reif für die vollkommenste Einigung und Gemeinschaft mit Gott, so wird er nicht ohne weiteres nach ihr begehren, in kurzem aber wird er durch den sehr guten Erfolg, den er erreicht hat, zu noch Besserem und durch dieses zu dem Allerbesten und, der Vollendung teilhaftig geworden, zur Höhe des Urgöttlichen in heiligem Stufengange emporsteigen. Ein Bild dieses schönen und heiligen Stufenganges ist die fromme Scheu und Selbsterkenntnis des Taufkandidaten, welche auf dem Wege zum Hierarchen den Paten zum Geleitsmann nimmt. Nach diesem Aufstieg läßt die göttliche Glückseligkeit den Menschen zu ihrer Gemeinschaft zu und gewährt ihm Anteil an ihrem eigenen Lichte, mit dem er gleichwie mit einem Siegel bezeichnet ist, und macht ihn endlich gotterfüllt und zum Mitinhaber der Erbschaft, welche den Gotterfüllten bestimmt ist, und reiht ihn in die Schar der Heiligen ein. Das sinnbildliche Zeichen hiefür ist das Siegel des Kreuzzeichens, welches der Hierarch dem Täufling aufdrückt, und die segensreiche Einregistrierung durch die Priester, welche ihn unter die Zahl der Geretteten einreiht und neben ihm auch seinen Paten in die heiligen Gedenktafeln einträgt, den einen als den aufrichtigen Liebhaber und Jünger des gotterfüllten Führers auf dem lebenspendenden Wege zur Wahrheit, den andern als den nicht fehl gehenden Führer des Jüngers in den gotteingegebenen Weisungen.

Die Einheit mit dem Einen (§ 5)
1) Weil man ganz entgegengesetzte Dinge nicht in sich vereinigen kann, so ist es unmöglich, in Vereinigung mit dem Einen zu bleiben und zugleich in die Vielheit (der sündigen Neigungen, Affekte, Phantasien) zersplittert zu sein.
2) Zum Zeichen, daß man diese Vielheit des früheren, bösen Lebens abtun will, erfolgt die Entkleidung des Täuflings, das Treten nach Westen und die Abschwörung in Worten und Gebärden.
3) Ähnlich zu deuten ist der Gebrauch, den Taufkandidaten dann nach Osten treten und das Gelöbnis des treuen Festhaltens an Christus ablegen zu lassen; es bedeutet die fest entschlossene Hinwendung zum Einen und die beständige Tendenz, das Eine in sich selbst herauszubilden.
4) Nicht in einem Augenblick vollzieht sich dieser Prozeß, er ist vielmehr das Werk langer und mühevoller Anstrengungen, eines unbeugsamen Widerstandes gegen die Lockungen des Bösen und eines ständig sich erneuernden Aufschwunges des Geistes zum Höchsten.


Es ist nicht möglich, zu gleicher Zeit an Dingen, die sich schroff gegenüberstehen, teilzunehmen, und ebenso kann derjenige, welcher die Gemeinschaft mit dem Einen erlangt hat, nicht mehr ein geteiltes Leben führen, wenn er anders an dem sicheren Besitz des Einen festhalten will. Er muß bei allem, was eine Zerteilung des Eingestaltigen bedeutet, unberührt und unüberwindlich bleiben. Dies geben die überlieferten Symbole auf heilige Weise bildlich zu verstehen: sie ziehen ihm das frühere Leben gleichsam wie ein Gewand aus und befreien ihn bis auf die letzten Beziehungen zu demselben, sie stellen ihn nackt und unbeschuht mit dem Gesicht nach Westen hin, wobei er durch Wegstoßen der Hände (beim Taufritus) der Gemeinschaft mit der Finsternis der Sünde widersagt, den ihm angeborenen Zustand der Entfremdung (von Gott) gleichsam aus sich fortbläst und die vollständige Abschwörung von allem, was mit der Gottesebenbildlichkeit im Widerspruche steht, bekennt. Wenn der Täufling auf diese Weise ledig und von aller Gemeinschaft der Sünde frei geworden ist, führt ihn der Taufritus gegen Osten und kündigt ihm dadurch an, daß nur bei der vollständigen Abkehr von der Sünde sein Stehen und sein Aufwärtsblicken im göttlichen Lichte ungestört sein kann. Seine heiligen Zusagen aber, ganz und gar dem Einen sich zuzuwenden, werden, da er eingestaltig geworden ist, wahrheitsliebend entgegengenommen.

Es ist aber wohl allen Kennern der hierarchischen Geheimnisse, wie ich denke, offenbar, daß das geistige Leben nur durch die unablässigen, kräftigen Aufschwünge zum Einen und durch die vollständige Ertötung und Vernichtung der entgegengesetzten Neigungen den unveränderlichen Charakter des gottähnlichen Zustandes erlangt. Denn es genügt nicht, bloß von jeglicher Sünde zurückzutreten, man muß auch mannhafte Unbeugsamkeit zeigen, man darf zu der verderblichen Nachgiebigkeit gegen die Sünde nie sich einschüchtern lassen und niemals in der heiligen Liebe zur Wahrheit erschlaffen, sondern muß ununterbrochen und ohne Ende zu ihr, soweit die Kraft reicht, sich ausstrecken, indem man allzeit den Aufstieg zu den vollkommeneren Gaben der Urgottheit heilig bewerkstelligt.S.113f.

Die Versinnbildlichung des Todes bei der Taufe (§ 7)
1) Das Untertauchen des Täuflings im Taufbecken versinnbildet treffend unsern Tod, sofern er nicht eine vollständige Vernichtung unseres Wesens sondern nur eine zeitweilige Trennung von Leib und Seele ist und uns aus der Sichtbarkeit verschwinden läßt.
2) Das dreimal wiederholte Untertauchen erinnert an die dreitägige Grabesruhe Christi.


Einsichtsvoll erwägen wir nun, wie angemessen die sinnbildlichen Zeichen der heiligen Geheimnisse sind. Unser Tod ist nicht, wie andere meinen, die Vernichtung unseres Wesens, sondern nur die Trennung der vereinigten Teile, welche unsere Seele ins Reich des Unsichtbaren entführt, weil sie, des Leibes beraubt, nicht mehr wahrgenommen wird, unserem Leib aber, der in der Erde verborgen wird, die menschliche Gestalt verschwinden läßt, weil er in irgendeine anders beschaffene Form der körperlichen Stoffe eintritt. Zutreffend ist das vollständige Verbergen im Wasser zu einem Bilde des Todes und des der Sichtbarkeit entrückten Begrabenseins verwendet. Die Belehrung über die Symbole erschließt ferner den geheimnisvollen Sinn, daß der auf heilige Weise Getaufte durch das dreimalige Untertauchen im Wasser den urgöttlichen Tod des Leben spendenden Jesu während der drei Tage und drei Nächte dauernden Grabesruhe nachahmt, soweit Menschen die Nachahmung des Göttlichen möglich ist. Denn an Jesus hat nach dem geheimnisvollen und verborgenen Schriftwort (Joh. 14, 30) der Fürst der Welt nichts gefunden. S.108-116
Aus: Des Heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien . Aus dem Griechischen übersetzt von Josef Stiglmayr, S.J.
Bibliothek der Kirchenväter, Verlag der Josef Köselschen Buchhandlung Kempten und München: 1911

Über die Feier des heiligen Abendmahls (Eucharistie) (Kirchliche Hierarchie, Kapitel III, III)
Die Phasen des göttlichen Erlösungswirkens (§ 11)
1) Der Verfasser macht sich anheischig, die Großtaten Gottes am Menschengeschlecht, welche uns in der eucharistischen Feier in Wort und Tat vor Augen geführt werden, zu beschreiben.
2) Die großen Phasen bei dem Erlösungswerke sind folgende: freiwilliges Verscherzen der göttlichen Gnaden durch die Sünde im Paradiese — Vertauschen des Ewigen mit dem Vergäng¬lichen unter der Übermacht der entfesselten Leidenschaften — leiblicher Tod — der die Empörung im eigenen Innern noch steigernde Einfluß der bösen Geister — allmählich vollständige Entfremdung von Gott und traurige Knechtschaft des Satans — Eintritt der unendlichen Gottesgüte in die am Rande des Verderbens stehende Menschheit — Vereinigung der niedrigen menschlichen Natur mit der göttlichen, ohne daß diese irgend eine Vermischung erleidet — Christus bricht die Macht des Satans und schafft alle Gebrechen unseres Wesens in ihr Gegenteil um — er ist uns Weg und Vorbild zu unserem Heile.


Welches nun die Großtaten Gottes an uns sind, die wir meinen, soll im folgenden, soweit es unsere Kraft erlaubt, dargestellt werden. Denn sie alle zu feiern, geschweige sie klar zu verstehen und anderen zu erklären bin ich nicht im Stande. Jedoch die Geheimnisse, welche von den gotterfüllten Hierarchen im Anschluß an die heiligen Schriften gepriesen und liturgisch vollzogen werden, wollen wir, soweit es uns möglich ist, besprechen, nachdem wir zuerst gebetet haben, daß das Geisteswehen der Hierarchie uns erfülle.

Als die Menschennatur im Anfang aus den göttlichen Gütern in törichtem Unverstande herabgestürzt war, wartete ihrer ein von zahllosen Leidenschaften bestürmtes Leben und als Ende der verderbliche Tod. Denn in naturgemäßer Folge überlieferte der verhängnisvolle Abfall von der wesentlichen Güte und die Übertretung des göttlichen Gebotes im Paradiese den Menschen, der im wilden Wahnsinn sich dem zum Leben führenden Joch entzogen hatte, den eigenen (übermächtigen) Trieben und den bestrickenden, übelwollenden Blendwerken der feindlichen Mächte, die das gerade Gegenteil zu den göttlichen Gütern bilden. So kam es denn, daß er für das ewige Leben jammervoll den Tod eintauschte. Da die menschliche Natur ihren Ursprung Zeugungen verdankt, welche dem Reiche des Verweslichen angehören, so führte sie naturgemäß zu dem Ende hin, das dem Anfang entspricht (d. h. wieder zum Verweslichen). Nachdem sie aber mit freier Selbstbestimmung von dem göttlichen und nach oben führenden Leben abgefallen war, so ward sie bis an die äußerste, entgegengesetzte Grenze hingerissen, in das unstete Spiel eines Heeres von Leidenschaften. Da sie in die Irre ging und von dem geraden Wege, der zum wahrhaften und wirklichen Gott führt, abgekommen und unter die Herrschaft der schlimmen, bösen Scharen (der Dämonen) geraten war, merkte sie es nicht, daß sie nicht Göttern und Freunden, sondern Feinden diente. Schonungslos behandelten sie diese Feinde, wie es deren Grausamkeit mit sich brachte, und so war sie kläglich der Gefahr der Vernichtung und des Verderbens anheimgefallen.

Aber die ganz unbegrenzte Menschenfreundlichkeit der urgöttlichen Güte verleugnete auch jetzt nicht wohlwollend ihre wirksame Fürsorge, sondern trat mit allen unseren Schwächen, die Sünde allein ausgenommen, in wahre Gemeinschaft, ward eins mit unserer Niedrigkeit, wobei sie die Beschaffenheit ihrer eigenen (göttlichen) Natur durchaus unvermischt und ungetrübt bewahrte, und schenkte uns so für die Zukunft als Gliedern desselben Geschlechtes die Gemeinschaft mit sich und machte uns ihrer eigenen Güter teilhaftig. Die Macht der abgefallenen Masse (der Dämonen) wider uns brach sie, nicht auf dem Wege der Gewalt, obwohl sie allerdings übergewaltig ist, sondern nach einem geheimnisvoll überlieferten Worte (Joh. 16. 8) im Gericht und in der Gerechtigkeit. Unseren eigenen Zustand veränderte sie wohltätig ganz in das Gegenteil. Die Finsternis unseres Geistes erfüllte sie mit seligem, göttlichem Lichte und schmückte das Formlose mit gottähnlicher Zier. Das Haus unserer Seele reinigte sie mit vollständiger Heilung unserer nahezu gefallenen Natur von den sündhaftesten Leidenschaften und verderblichen Makeln, indem sie uns einen überweltlichen Aufstieg und einen Lebenswandel in Gott vor Augen stellte, der in einer möglichst treuen Verähnlichung unseres Wesens mit ihr besteht.

Das allerheiligste Mysterium in der Feier des heiligen Abendmahls (§12)
1) Das Bild Gottes in uns kann nur durch die beständig erneute Erinnerung an die Großtaten Gottes hergestellt werden; daher feiern wir die Eucharistie »zum Gedächtnis« des Erlösungswerkes Christi; der Hierarch preist es insbesondere jetzt am Altare.
2) Darauf folgt der Konsekrationsakt, den der Bischof nur im Hinblick auf das Gebot Christi (Luk. 22, 19) zu vollziehen wagt, indem er betet, das größte Geheimnis der Liturgie würdig zu vollziehen und anderen heilig mitzuteilen.
3) Nach der Konsekration geht der Bischof daran, das verhüllte eine Brot aufzudecken und es in viele Stücke zu zerbrechen, ebenso den einen Kelch an viele zum Trinken zu reichen. 4) Der geheimnisvolle Sinn, welcher solcher Zerteilung und Mitteilung der konsekrierten Gestalten zu Grunde liegt, ist dieser: Das eine, einfache und verborgene Wesen des Logos ist durch die Menschwerdung in das Zusammengesetzte und Sichtbare herausgetreten, ohne jedoch in sich eine Veränderung zu erleiden, und hat die Einigung unseres Wesens mit dem seinigen bewirkt.
5) Diese Einigung mit Christus ist eine lebensvolle, gleichwie die Glieder eines Leibes lebendig in diesen eingefügt sind; daher müssen wir als gesunde Glieder e i n und dasselbe heilige Leben mit Christus leben und seinem Beispiel folgen, denn ein von Leidenschaften unterjochtes Leben würde uns zu mißgestalteten und toten Gliedern machen.

Wie sollte uns aber das Abbild Gottes anders eingeprägt werden außer durch die erneute Erinnerung an die heiligsten Gottestaten, welche durch die heiligen Worte und Handlungen der Hierarchie immerdar wieder geweckt wird? Wir tun es also, wie die Schrift sagt, zu ihrem (sic) Angedenken. (Luk. 22, 19)
Darauf preist der göttliche Hierarch, vor dem Altare Gottes stehend, die erwähnten heiligen Gottestaten der göttlichsten Fürsorge Jesu um uns, die er zur Rettung unseres Geschlechtes nach dem Wohlgefallen seines allerheiligsten Vaters im heiligen Geiste, wie die Schrift sagt (Js. 61, 1), vollbracht hat. Wenn dann der Hierarch das Preisgebet (auf die Werke Gottes) vollendet und in ihren hehren, geistigen Anblick mit den Augen des Geistes sich versenkt hat, geht er zur mystischen Opferhandlung über und zwar auf Grund der göttlichen Einsetzung. Deshalb entschuldigt er sich, nachdem er die Großtaten Gottes gepriesen hat, voll Ehrfurcht und im Geiste der Hierarchie wegen des für ihn zu erhabenen Konsekrationsaktes, indem er vorher zu Christus den frommen Ruf erhebt: Du hast es gesagt: »Tut dies zu meinem Andenken« (Luk. 22, 19; 1. Kor. 11, 24). Dann bittet er, dieses sakramentalen Opfers, in dem Gott nachgeahmt wird, würdig zu werden, in der Verähnlichung mit Christus die göttlichen Geheimnisse zu feiern und in heiligster Art auszuteilen und daß auch die Teilnehmer an der Feier in geziemender Andacht davon genießen. Somit vollzieht er den göttlichsten Akt (der Konsekration) und zeigt den Gegenstand seiner Lobpreisung unter den sinnbildlichen Gestalten, die er vor sich hat, nach dem heiligem Ritus, zum Anblick. Er enthüllt das zugedeckte und ungeteilte Brot und zerbricht es in viele Stücke, desgleichen verteilt er den einen Inhalt des Kelches an alle. Sinnbildlich erweitert er die Einheit zur Vielheit und verteilt sie und vollzieht in diesen Handlungen ein allerheiligstes Mysterium. Denn die eine, einfache und verborgene Natur Jesu, des urgöttlichsten Logos, ist bei ihrem Eintritt in unser Menschengeschlecht, ohne eine Veränderung zu erleiden, aus Güte und Menschenfreundlichkeit in das Zusammengesetzte und Sichtbare hervorgetreten und hat wohltätiger Weise unsere Einigung und Gemeinschaft mit sich hergestellt, indem sie unsere Niedrigkeit mit den göttlichsten Vorzügen des Logos im sublimsten Grade vereinte*, wenn anders auch wir mit ihm, gleichwie Glieder mit dem Leibe, in ein und demselben unbefleckten, göttlichen Leben harmonisch zusammengefügt werden, nicht aber, durch unheilvolle Leidenschaften ertötet, zu mißgestalteten, unverbundenen und unbelebten Gliedern entarten. Denn wir müssen, wenn wir Gemeinschaft mit ihm begehren, auf sein göttlichstes Leben im Fleische hinblicken und durch Verähnlichung mit demselben zu dem gottähnlichen und makellosen Zustand der Sündelosigkeit uns emporschwingen. Auf diesem Wege nämlich wird er uns die Gemeinschaft mit dem Gleichartigen(seines Wesens) in harmonischem Verhältnisse schenken.
* Der Grundgedanke des Dionysischen Systems: Verharren Gottes in sich — Hervortreten — Zurückkehren - ist hier auf das Geheimnis der Menschwerdung angewendet

Erlösungs- und Heiligungswerk (§ 13)
1) Die eben besprochenen Momente der Erlösung und Heiligung sind in den liturgischen Akten angedeutet.
2) Christus ist ebenfalls aus der Einheit und Verborgenheit seiner göttlichen Wesens hervorgetreten, um eine sichtbare menschliche Gestalt gleich uns anzunehmen und uns zur Wesensgemeinschaft mit sich zu rufen.
3) Demgemäß müssen wir von unserer Seite das Unsrige tun, um durch Verähnlichung mit ihm die innigste Gemeinschaft mit Gott zu erreichen.


Das sind die heiligen Geheimnisse, welche der Hierarch durch die heiligen Akte der Liturgie andeutet, wenn er die verhüllten Gaben sichtbar macht, ihr einheitliches Ganze an viele zerteilt und durch die innigste Vereinigung der verteilten Gaben mit dem Wesen der Empfänger diese zu vollendeten Teilnehmern an ihnen heiligt. Denn er zeichnet uns in den erwähnten Zeremonien, da er uns Jesus Christus vor Augen hält, auf sinnlich wahrnehmbare Weise gleichsam ein Bild des geistigen Lebens unserer Seelen, wie Christus aus dem Dunkel der Gottheit dadurch, daß er vollständig und unvermischt ein Mensch gleich uns geworden, aus Liebe zu den Menschen eine Gestalt unserer Natur angenommen hat und, ohne eine Veränderung zu erleiden, aus dem, was der (göttlichen) Natur nach Eines ist, in das geteilte Wesen unserer Natur hervorgetreten ist und durch diese werktätige Liebe zu den Menschen unser Geschlecht zur Gemeinschaft mit sich selbst und seinen Gutem berufen hat, vorausgesetzt, daß wir durch eine möglichst treue Verähnlichung mit ihm mit seinem göttlichsten Leben eins werden und dadurch in Wahrheit zur vollkommenen Anteilnahme an Gott und dem Göttlichen gelangen. S.137-143
Aus: Des Heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien . Aus dem Griechischen übersetzt von Josef Stiglmayr, S.J.
Bibliothek der Kirchenväter, Verlag der Josef Köselschen Buchhandlung Kempten und München: 1911


Falsche und richtige Ansichten über den Tod (Kirchliche Hierarchie, Kapitel VII, § 2)
1) Falsche Ansichten über den Tod: a) die materialistische (epikuräische), daß mit dem Tode alles aus sei; b) die manichäische, daß die Seele sich des Leibes als eines ihr widerstreitenden Elementes für immer entledigen werde; c) die pythagoräische, daß eine Seelenwanderung stattfinde; d) die chiliastische, daß die Seligen ein materiell irdisches Glück genießen werden. Das Irrige der drei letzten Meinungen findet eine kurze Widerlegung.
2) Den Sündern, welche trotz der Belehrung über den Glauben ihren Begierden nachgelebt haben, werden beim Tode die Augen aufgehen, so daß sie das Gesetz Gottes, das Verderbliche ihrer Lüste und die Größe ihres eigenen Verlustes erkennen.
3) Aber diese Erkenntnis kommt zu spät und das Ende ist ein hoffnungsloses.


Von den Unheiligen haben die einen die törichte Meinung, daß man im Sterben der Vernichtung anheimfalle. Die andern glauben, daß die Verbindung der Leiber mit ihren Seelen ein für allemal gelöst werde, da sie für diese (letzteren) in dem gottgleichen Leben und in der seligen Ruhe nicht passe. Aber solche Menschen haben nicht bedacht und sind nicht hinreichend in die göttliche Wissenschaft darüber eingeweiht, daß unser gottähnlichstes Leben in Christus bereits (jetzt auf Erden) begonnen hat. Wieder andere weisen den Seelen die Vereinigung mit fremden Körpern zu. Aber sie begehen nach meiner Ansicht, soviel an ihnen liegt, ein Unrecht an den Leibern, welche mit den göttlichen Seelen die Kämpfe geteilt haben, und berauben sie unbillig, nachdem sie an das Ziel des göttlichsten Wettlaufes gelangt sind, der heiligen Vergeltung. Andere endlich haben sich unbegreiflich zu ganz materiellen Vorstellungen verirrt und behauptet, die den Gerechten verheißene heiligste und glückseligste Ruhe sei gleichartig dem Leben auf dieser Welt, und haben Genüsse, welche einem veränderlichen Leben eigentümlich sind, frevelhaft den engelgleichen Naturen vorgeworfen.

Wer aber zu den heiligsten Männern gehört, der wird nie in dergleichen Irrtümer verfallen. Die wissen im Gegenteil, daß sie nach ihrem ganzen Wesen die Ruhe in Christus finden werden, wenn sie ans Ziel dieses Lebens kommen, und sehen den Pfad zu ihrer Unsterblichkeit, weil er bereits nähergerückt ist, in hellerem Lichte. Sie preisen die Gaben der Urgottheit und werden mit göttlicher Freude erfüllt, weil sie den Rückfall ins Böse nicht mehr zu fürchten brauchen, vielmehr bestimmt wissen, daß sie die erworbenen herrlichen Güter sicher und auf ewig besitzen werden.

Was hingegen die betrifft, welche voll Flecken und unheiliger Makeln sind, so wird ihnen, wenn sie je irgendeine heilige Belehrung genossen, aber sie dann selbst zu ihrem Verderben aus ihrem Geiste verbannt haben, um sich den unheilvollen Begierden abtrünnig zuzuwenden, am Ende dieses irdischen Lebens keineswegs mehr das göttliche Gesetz der heiligen Schriften ebenso verächtlich erscheinen. Mit anderen Augen werden sie die vergänglichen Lüste ihrer Leidenschaften betrachten und das heilige Leben, dem sie töricht den Rücken gekehrt haben, selig preisen. Aber jämmerlich und gegen ihren Willen werden sie aus dem irdischen Leben gerissen und kein heiliger Hoffnungsstrahl dient ihnen zur Führung, nachdem sie so schlecht gelebt haben. S.190-192
Aus: Des Heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien . Aus dem Griechischen übersetzt von Josef Stiglmayr, S.J.
Bibliothek der Kirchenväter, Verlag der Josef Köselschen Buchhandlung Kempten und München: 1911