Karl Heinrich Marx (1818 - 1883)
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Deutsch-jüdischer Philosoph
und Nationalökonom, der zusammen mit Friedrich
Engels den Marxismus begründete. Karl ist der Sohn von Heinrich
Marx, der mit seiner Familie vom Judentum zum Protestantismus übertrat
Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie in Bonn und
Berlin (1835—41) wandte sich er der Hegelschen Philosophie zu. Unter dem Einfluss
von Ludwig Feuerbach kehrte er sich von
Hegel und der idealistischen Philosophie ab (»Zur
Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, 1843/44). Seit
1843 in Paris, gab er mit Arnold Ruge die Zeitschrift »Deutsch-Französische Jahrbücher« heraus und vollzog in den Beiträgen zu ihr den Schritt zum revolutionären
Sozialismus. In Paris begann die Freundschaft und Zusammenarbeit mit
Friedrich Engels. Von der französischen Regierung 1845
ausgewiesen, siedelte Marx nach Brüssel über. Nach kritischer Auseinandersetzung mit den Auffassungen Feuerbachs,
Hegels und den sozialistisch-anarchistischen Strömungen der
Junghegelianer und deutschen Sozialisten baute er mit
Engels den »wissenschaftlichen Sozialismus«
als Grundlage seiner späteren Lehre aus. Mit
Engels verfasste er die beiden Streitschriften »Die
Heilige Familie« (1845; eine Auseinandersetzung mit den Linkshegelianern Bruno Bauer u.a.) und »Die
deutsche Ideologie« ( 1845; gegen Feuerbach, Max Stirner und Bruno Bauer). 1847 erschien
sein Werk: »Das Elend der Philosophie«.
Marx schloss sich zugleich
dem politischen Kampf der Arbeiterbewegung an, trat 1847 dem Bund der Kommunisten bei, für den er mit
Engels das Kommunistische Manifest (1848) schrieb. Es enthält eine radikale Kritik der bürgerlichen
Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, verbunden mit einem Aufruf an das internationale Proletariat zum Klassenkampf. 1848
wurde er aus Belgien ausgewiesen. Nach dem Scheitern der Revolution
in Deutschland auch aus Preußen ausgewiesen, ging er nach London.
Er lebte dort von journalistischen Arbeiten und der Unterstützung
seines Freundes Engels. Bis 1848
hatte Marx in seinen Schriften eine
eigene Theorie der Gesellschaft und Geschichte entwickelt und im Sinne
eines neuen Humanismus die proletarische Revolution zu begründen
versucht. Später konzentrierte er sich auf die Erarbeitung der ökonomischen
Gesetze der Entwicklung von Gesellschaften. Es entstand sein Lebenswerk. »Das Kapital«. Marx bestimmte maßgeblich die Erste Internationale.
1875 übte er scharfe Kritik am Gothaer Programm der SPD. Er
wandte sich zugleich gegen die anarchistische Strömungen in der Arbeiterbewegung.
Seine Werke erschienen in vielen Sprachen. Einige Texte wurden erst spät
veröffentlicht (»Ökonomisch-philosophisches
Manuskripte«, 1844 entstanden, 1932; »Grundrisse der Kritik
der politischen Ökonomie« Rohentwurf, 1857—58 entstanden, 1939/1941) und führten zu neuen Interpretationen der Marxschen
Lehre. Die nachhaltige Wirkung von Marx beruht
darauf, dass er seinen Anhängern mit seinen wissenschaftlichen
Analysen die Möglichkeit einer geschlossenen Weltanschauung bot. |
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Inhaltsverzeichnis
Wer
ist der Souverän?
Ist Gott der Souverän, oder ist der Mensch der Souverän? Eine von
beiden ist eine Unwahrheit, wenn auch eine existierende Unwahrheit.
Aus: Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie.
Kritik des Hegelschen Staatsrechts, S. 55 Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie
von Platon bis Nietzsche
Je mehr der Mensch in Gott setzt, je weniger behält er in
sich selbst.
Aus: Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte
aus dem Jahre 1844, S. 93 Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon
bis Nietzsche
Die
Beweise für das Dasein Gottes . . .
Komme mit deinen Göttern in ein Land, wo andere Götter gelten, und
man wird dir beweisen, dass du an Einbildungen und Abstraktionen leidest.
Mit Recht. Wer einen Wendengott den alten Griechen gebracht, hätte den
Beweis von der Nichtexistenz dieses Gottes gefunden.
Denn für die Griechen existierte er nicht. Was ein bestimmtes Land für
bestimmte Götter aus der Fremde, das ist das Land der Vernunft für
Gott überhaupt, eine Gegend, in der seine Existenz aufhört. –
Oder die Beweise für das Dasein Gottes sind nichts als Beweise für
das Dasein des wesentlichen menschlichen Selbstbewußtseins, logische Explikationen
desselben. Z.B. der ontologische Beweis. Welches Sein ist unmittelbar, indem
es gedacht wird? Das Selbstbewußtsein.
In diesem Sinne sind alle Beweise für das Dasein Gottes Beweise für
sein Nichtdasein, Widerlegungen aller Vorstellungen von einem Gott. Die wirklichen
Beweise müßten umgekehrt lauten: »Weil
die Natur schlecht eingerichtet ist, ist Gott.« »Weil eine unvernünftige
Welt ist, ist Gott.« »Weil der Gedanke nicht ist, ist Gott.«
Was besagte dies aber, als, wem die Welt unvernünftig, wer daher
selbst unvernünftig ist, dem ist Gott? Oder die Unvernunft
ist das Dasein Gottes.
Aus: Karl Marx: Differenz der demokritischen und epikureischen
Naturphilosophie, S. 100-101
Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie von Platon bis Nietzsc
Die
Religion ist das Opium des Volks.
Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen
Übermenschen suchte,
nur den Widerschein seiner selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur
den Schein seiner selbst, nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre
Wirklichkeit sucht und suchen muß.
Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der
Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das
Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst
entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Aber der
Mensch, das ist kein abstraktes, außer
der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die
Welt des Menschen, Staat, Sozietät.
Dieser Staat, diese Sozietät [»Gemeinschaft«] produzieren die Religion, ein verkehrtes
Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte
Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt,
ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr
spiritualistischer Point-d'honneur, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion,
ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund.
Sie ist die phantastische Verwirklichung
des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit
besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen
jene Welt, deren geistiges
Aroma die Religion ist.
Das religiöse Elend ist in einem
der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten
Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände
ist. Sie ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen
Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks.
Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die
Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen
bedarf. Die Kritik der Religion
ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein
die Religion ist.
Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht
damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er
die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche. Die Kritik der Religion enttäuscht
den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter,
zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine
wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich
um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.
Es ist also die Aufgabe der Geschichte,
nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist
zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht,
nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung
in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt
sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik
der Religion in die Kritik
des Rechts, die Kritik
der Theologie in die Kritik
der Politik.
Aus: Karl Marx / Friedrich Engels: Studienausgabe
in 4 Bänden. Herausgegeben von Iring Fetscher
Band I Philosophie, Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie,
Einleitung (S.21-22) Fischer Taschenbuchverlag 10243
Der
frühe Anschluss an Hegel
Ein Vorhang war gefallen, mein Allerheiligstes zerrissen, und es mußten
neue Götter hineingesetzt werden.
Von dem Idealismus, den ich, beiläufig gesagt, mit Kantischem und Fichteschem
verglichen und genährt, geriet ich dazu, im Wirklichen selbst die Idee
zu suchen. Hatten die Götter früher über der Erde gewohnt, so
waren sie jetzt das Zentrum derselben geworden.
Ich hatte Fragmente der Hegelschen Philosophie gelesen, deren groteske Felsenmelodie
mir nicht behagte. Noch einmal wollte ich hinabtauchen in das Meer, aber mit
der bestimmten Absicht, die geistige Natur ebenso notwendig, konkret und festgerundet
zu finden wie die körperliche, nicht mehr Fechterkünste zu üben,
sondern die reine Perle ans Sonnenlicht zu halten.
Ich schrieb einen Dialog von ungefähr vierundzwanzig Bogen: »Kleanthes,
oder vom Ausgangspunkt und notwendigen Fortgang der Philosophie«. Hier
vereinte sich einigermaßen Kunst und Wissen, die ganz auseinandergegangen
waren, und ein rüstiger Wanderer schritt ich ans Werk selbst, an eine philosophisch-dialektische
Entwicklung der Gottheit, wie sie als Begriff an sich, als Religion,
als Natur, als Geschichte sich manifestiert. Mein letzter
Satz war der Anfang des Hegelschen Systems,
und diese Arbeit, wozu ich mit Naturwissenschaft, Schelling,
Geschichte einigermaßen mich bekannt gemacht, die mir unendliches Kopfzerbrechen
verursacht und so geschrieben ist (da sie eigentlich eine
neue Logik sein sollte), daß ich jetzt selbst mich kaum wieder
hineindenken kann, dies mein liebstes Kind, beim Mondschein gehegt, trägt
mich wie eine falsche Sirene dem Feind in den Arm.
K. Marx: Brief an den Vater vom 10. 11. 1837; MEW,
Ergbd. 1, 1974, S. 8f.
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von
Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.16f.
Bekenntnis
zu Hegel
Meine dialektische
Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der
Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges
Subjekt verwandelt, der Demiurg
[Schöpfer] des Wirklichen, das nur seine äußere
Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das
im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.
Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik
habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode
war. Aber grade als ich den ersten Band des »Kapital« ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige
Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt,
darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses
Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza
behandelt hat, nämlich als »toten Hund«.
Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und
kokettierte sogar hier und da im Kapital über die Werttheorie mit der ihm
eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik
in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner
Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und
bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß
sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu
entdecken.
K. Marx: Das Kapital / Nachwort zur 2. Auflage (1873);
MEW, Bd. 23, 1972, S.27
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von
Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.49f.
Die
Begeisterung für Feuerbach
In diesen wenigen Worten habt ihr eine Apologie [Verteidigung]
der ganzen Feuerbachschen Schrift - eine Apologie von den Definitionen der Vorsehung,
Allmacht, Kreation, des Wunders, des Glaubens, wie sie in dieser Schrift
gegeben sind. O schämt euch, ihr Christen, ihr vornehmen und gemeinen,
gelehrten und ungelehrten Christen, schämt euch, daß ein
Antichrist euch das Wesen des Christentums in seiner wahren unverhüllten
Gestalt zeigen mußte! Und euch, ihr spekulativen Theologen und Philosophen,
rate ich: macht euch frei von den Begriffen und Vorurteilen
der bisherigen spekulativen Philosophie, wenn ihr anders zu den Dingen,
wie sie sind, d. h. zur Wahrheit kommen wollt. Und es gibt keinen andern Weg
für euch zur Wahrheit und Freiheit, als durch den Feuerbach.
Der Feuerbach ist das Purgatorium
[Fegefeuer] der Gegenwart.
K. Marx: Luther als Schiedsrichter zwischen Strauß
und Feuerbach (1842); MEW, Bd. 1, 1974, S. 27
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von
Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.49f.
Gegen
die Weltlichkeit der Christen
Wenn ihr die Religion zur Theorie des Staatsrechtes macht, so macht ihr die
Religion selbst zu einer Art Philosophie.
Hat nicht vor allem das Christentum Staat und Kirche gesondert? Leset den heiligen
Augustinus de civitate dei [Vom
Gottesstaat], studiert die Kirchenväter und den Geist des Christentums,
und dann kommt wieder und sagt uns, ob der Staat oder die Kirche der »christliche Staat« ist! Oder straft nicht jeder Augenblick
eures praktischen Lebens eure Theorie Lügen? Haltet ihr es für Unrecht,
die Gerichte in Anspruch zu nehmen, wenn ihr übervorteilt werdet? Aber
der Apostel schreibt, daß es
Unrecht sei [s. Kor. 6,1 ff.]. Haltet
ihr euren rechten Backen dar, wenn man euch auf den linken schlägt
[Mt. 5,39], oder macht ihr nicht einen Prozeß
wegen Realinjurien anhängig? Aber das Evangelium
verbietet es. Verlangt ihr vernünftiges Recht auf dieser Welt, murrt
ihr nicht über die kleinste Erhöhung einer Abgabe, geratet ihr nicht
außer euch über die geringste Verletzung der persönlichen Freiheit? Aber es ist euch gesagt, daß dieser Zeit Leiden
der künftigen Herrlichkeit nicht wert sei [Röm.
8,18], daß die Passivität des Ertragens und die Seligkeit
in der Hoffnung die Kardinaltugenden sind.
Handelt der größte Teil eurer Prozesse und der größte
Teil der Zivilgesetze nicht vom Besitz? Aber es ist euch
gesagt, daß eure Schätze nicht von dieser Welt sind [Mt.
6,19]. Oder beruft ihr euch darauf, das dem Kaiser
zu geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes [Mt. 22,21], so haltet nicht nur den goldenen
Mammon, sondern wenigstens ebensosehr die freie Vernunft für den
Kaiser dieser Welt, und die »Aktion der freien Vernunft«
nennen wir Philosophieren!
K. Marx: Lucians Göttergespräche; in: Kölnische
Zeitung, Nr. 179 (1842); MEW, Bd. 1, 1964, S. 101
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von
Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.17f.
Gegen
die sozialen Prinzipien des Christentums
Die sozialen Prinzipien des Christentums haben jetzt achtzehnhundert Jahre Zeit
gehabt, sich zu entwickeln, und bedürfen keiner ferneren Entwicklung durch
preußische Konsistorialräte.
Die sozialen Prinzipien des Christentums haben die antike Sklaverei gerechtfertigt,
die mittelalterliche Leibeigenschaft verherrlicht und verstehen sich ebenfalls
im Notfalle dazu, die Unterdrückung des Proletariats, wenn auch mit etwas
jämmerlicher Miene, zu verteidigen.
Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Notwendigkeit einer herrschenden
und einer unterdrückten Klasse und haben für diese nur den frommen
Wunsch, jene möge wohltätig sein.
Die sozialen Prinzipien des Christentums setzen die konsistorialrätliche
Ausgleichung aller Infamien in den Himmel und rechtfertigen dadurch die Fortdauer
dieser Infamien auf der Erde.
Die sozialen Prinzipien des Christentums erklären alle Niederträchtigkeiten
der Unterdrücker gegen die Unterdrückten entweder für die gerechte
Strafe der Erbsünde und sonstigen Sünden, oder für Prüfungen,
die der Herr über die Erlösten nach seiner Weisheit verhängt.
Die sozialen Prinzipien des Christentums predigen die Feigheit, die Selbstverachtung,
die Erniedrigung, die Unterwürfigkeit, die Demut, kurz alle Eigenschaften
der Kanaille, und das Proletariat, das sich nicht als Kanaille behandeln lassen
will, hat seinen Mut, sein Selbstgefühl, seinen Stolz und seinen Unabhängigkeitssinn
viel nötiger als sein Brot.
Die sozialen Prinzipien des Christentums sind duckmäuserisch, und das Proletariat ist revolutionär.
Soviel über die sozialen Prinzipien des Christentums.
K. Marx; am 12. 9. 1847 in der Deutschen Brüsseler
Zeitung, MEW, Bd. 4, 1964, S. 200
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von
Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.38
Der
Protestantismus als Religion des Kapitalismus
Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren allgemeingesellschaftliches
Produktionsverhältnis darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren,
also als Werten, zu verhalten, und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten
aufeinander zu beziehen als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum
mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen
Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus
usw., die entsprechendste Religionsform. In den altasiatischen, antiken
usw. Produktionsweisen spielt die Verwandlung des Produkts in Ware, und daher
das Dasein der Menschen als Warenproduzenten, eine untergeordnete Rolle, die
jedoch um so bedeutender wird, je mehr die Gemeinwesen in das Stadium ihres
Unterganges treten.
Eigentliche Handelsvölker existieren nur in den Intermundien [Zwischenräumen] der alten Welt, wie Epikurs Götter, oder
wie Juden in den Poren der polnischen Gesellschaft.
Jene alten gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind außerordentlich
viel einfacher und durchsichtiger als der bürgerliche, aber sie beruhen
entweder auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Nabelschnur
des natürlichen Gattungszusammenhanges mit anderen noch nicht losgerissen
hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen. Sie sind bedingt durch eine niedrige Entwicklungsstufe der Produktivkräfte
der Arbeit und entsprechend befangene Verhältnisse der Menschen innerhalb
ihres materiellen Lebenserzeugungsprozesses, daher zueinander und zur Natur.
Diese wirkliche Befangenheit spiegelt sich ideell wider in den alten Natur-
und Volksreligionen.
Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt
nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens
den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander
und zur Natur darstellen. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses,
das heißt des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren
mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter
Menschen unter deren bewußter, planmäßiger Kontrolle steht.
Dazu ist jedoch eine materielle Grundlage der Gesellschaft erheischt oder eine
Reihe materieller Existenzbedingungen, welche selbst wieder das naturwüchsige Produkt einer langen und qualvollen Entwicklungsgeschichte
sind.
K. Marx: Das Kapital I (1890); MEW, Bd. 23, 1972,
S. 93 f.
Auch enthalten in: Konfessionen des Marxismus, Quellentexte. Herausgegeben von
Gerhard Isermann. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen S.52f.