Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814)
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Deutscher Philosoph, der 1794 als Professor nach Jena berufen wurde. 1799 wurde Fichte der Gottlosigkeit angeklagt und entlassen (Atheismusstreit). Er ging dann nach Berlin, wo er im Romantikerkreis verkehrte. 1805 wurde er Professor in Erlangen und 1810 erster gewählter Rektor der Universität Berlin. Fichtes Philosophie kann als Weiterführung des Kantischen Kritizismus zu einem metaphysischen Idealismus umschrieben werden. In seiner 1792 veröffentlichten Schrift »Versuch einer Kritik aller Offenbarung« geht Fichte von der Einsicht aus, dass der wesentliche Kern einer Religion ihre Ethik wäre und dass diese Ethik mit den Forderungen der Vernunft übereinstimmen müsse, die Kant in seiner »Kritik der praktischen Vernunft« hergeleitet hat. Allein das Sittengesetz - als Gebot der Vernunft - verpflichte unter allen Unständen den Menschen unmittelbar. Was darüber hinaus die Gestalt einer Religion forme, sei bloß unwesentlich, historisch oder kultisch. In seiner auf Vorlesungen basierenden und 1806 veröffentlichten Schrift »Die Anweisung zum seligen Leben« versucht er den Vorwurf des Atheismus - der ihn in Jena die Stellung gekostet hat - zu entkräften, indem er im Anschluss an das Johannesevangelium und dessen Metaphorik zu beweisen versucht, dass die Lehre des Christentums in den wesentlichen Teilen mit seiner Philosophie übereinstimme. Zenrales Kernstück seines philosophischen Systems ist jedoch die »Wissenschaftslehre« als prinzipielle Begründung der gesamten Philosophie. Nach grundlegenden Schriften (»Über den Begriff der Wissenschaftslehre«, 1794; »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre«, 1794/95), zwei »Einleitungen« (1797) u. a., entwarf er fast in jedem Jahr neue Fassungen seines Systems; die wichtigsten sind die von 1798/99 (erst 1937 gedruckt), 1801, 1804, 1810 und 1813. Immer handelt es sich um den Versuch, das Bewusstsein einschließlich aller Inhaltsgebiete aus der freien Selbstsetzung des Ich (»Tathandlung«) abzuleiten und dialektisch zu entwickeln. Dies ist einer der folgenreichsten Ansätze der neueren Philosophie, der besonders von Schelling und Hegel weiter entwickelt wurde. Träger allen Seins sei Licht (= Grundsein). Gott verstand er als absolutes Licht, das sich selbst erzeugt (Lichtquell) und mit seinem unerforschlichen Grundsein identisch ist. Der »absolute Zweck des Daseins« ist das »absolute Wissen«. Wissen und Dasein sind identisch. Religionsphilosophisch stand Fichte zunächst dem Spinozismus nahe und kam in Anlehnung an Immanuel Kant zu einem Rigorismus, der die natürliche Welt als Material der Pflichterfüllung ansieht und Gott mit der sittlichen Weltordnung gleichsetzt. Die vernunftgemäße Gestaltung aller Dinge, auf die seine Philosophie zielte, sollte mit einer »gänzlichen Veränderung des bisherigen Erziehungswesens« beginnen. In scharfer Entgegensetzung zur Aufklärung forderte er die Bildung des ganzen Menschen, mit Betonung der Charakter- und der Willensbildung, der Selbsttätigkeit und des Dienstes in der Gemeinschaft. Die alte Standeserziehung und -zerspaltung wollte er durch eine vom Staat getragene deutsche Nationalerziehung überwinden (Deutscher Idealismus, Neukantianismus). In seinen politischen Schriften besonders im »Geschlossenen Handelsstaat« (1800), noch stärker in der »Rechtslehre« von 1812 und in den Fragmenten von 1813, befürwortete er einen Staatssozialismus. Von 1806 an sprach er sich für die Erhebung gegen Napoleon aus und seit 1807 für eine allgemeine Volksbewaffnung. 1807/08 hielt er seine »Reden an die Deutsche Nation«, die einen weit reichenden, nachhaltigen, aber durchaus nicht unumstrittenen Einfluss auf den deutschen Nationalgedanken hatten. Siehe auch Wikpedia |
Inhaltsverzeichnis
Die Ableitung Gottes aus dem Moral- und Sittengesetz (Versuch einer Kritik aller Offenbarung 1792)
Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung (Versuch einer Kritik aller Offenbarung 1792)
Das Eine wahrhaft seiende und durch sich selber daseiende ist Gott (Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters 1805)
Sein und Schein – Leben und Tod (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Alle Menschen können zur Erkenntnis Gottes kommen (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Der Mensch ist nicht zum Elend bestimmt (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Das unerforschliche Geheimnis des göttlichen Lichtes (Anweisung zum seligen Leben 1806, Wissenschaftslehre 1805)
Im Anfang war die Weisheit . . . (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Die ewige Liebe ist die Quelle der Vernunft und die Wurzel der Realität (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Der erhabene Wille und sein ewiges Geisterreich (Die Bestimmung des Menschen)
Über die geistige Bestimmung des deutschen Volkes (Reden an die deutsche Nation)
Das Leben ist die Totalität des objektiven Vernunftwesens (Briefe)
Christus
Nur mit Johannes kann der Philosoph zusammenkommen . . .
Jesu Verhältnis zu Gott
Die
Ableitung Gottes aus dem Moral- und Sittengesetz
Es muß ein ganz heiliges,
ganz seliges, allmächtiges
Wesen geben. Dieses Wesen muß, vermöge der Anforderung des Moralgesetzes
an ihn, jenes völlig gleiche Verhältnis zwischen der Sittlichkeit
und der Glückseligkeit endlicher vernünftiger Wesen hervorbringen; da es nur durch und in Ihm
ist, daß die Vernunft über die sinnliche Natur herrscht: es muß ganz gerecht sein.
Im Begriffe alles Existierenden überhaupt wird nichts gedacht, als die Reihe von Ursachen
und Wirkungen nach Naturgesetzen in der Sinnenwelt, und die freien Entschließungen
moralischer Wesen in der übersinnlichen.
Gott muß die erstere ganz übersehen, denn er hat die Gesetze der Natur vermöge seiner Kausalität
durch Freiheit
bestimmt,
und der nach denselben fortlaufenden Reihe
der Ursachen und Wirkungen den ersten
Stoß gegeben: er muß die letztem alle kennen, denn alle bestimmen
den Grad der Moralität eines Wesens; und dieser Grad ist der Maßstab,
nach welchem die Austeilung der Glückseligkeit an vernünftige Wesen
laut des Moralgesetzes, dessen Exekutor er ist, geschehen muß. Da nun
außer diesen beiden Stücken für uns nichts denkbar ist, so müssen
wir Gott allwissend denken. So lange endliche Wesen endlich bleiben, werden sie — denn
das ist der Begriff der Endlichkeit in der Moral — noch unter andern Gesetzen stehen, als denen der Vernunft; sie werden
folglich die völligste Kongruenz der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit
durch sich selbst nie hervorbringen können. Nun aber fordert das Moralgesetz
dies ganz unbedingt und ohne Rücksicht auf Möglichkeit oder Unmöglichkeit.
Daher kann dieses Gesetz nie aufhören gültig zu sein, da es nie erreicht
sein wird; seine Forderung kann nie ein Ende nehmen, da sie nie erfüllt
sein wird. Es gilt für die Ewigkeit. — Es tut
diese Forderung an jenes heilige Wesen, in Ewigkeit
das höchste
Gut in allen vernünftigen Naturen zu befördern; in Ewigkeit das
Gleichgewicht zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit herzustellen: jenes Wesen muß also selbst ewig sein, um einem ewigen Moralgesetze,
das seine Natur bestimmt, zu entsprechen; und es muß, diesem Gesetze
gemäß, allen vernünftigen Wesen, an die dieses Gesetz gerichtet
ist, und von welchen es E-wigkeit fordert, die Ewigkeit geben. Es
muß also ein ewiger Gott sein, und jedes moralische Wesen muß ewig
fortdauern, wenn der Endzweck des Moralgesetzes nicht unmöglich sein soll. Dieses sind die Postulate der Vernunft, welche wir, um unsrer moralischen
Bestimmung durch dieselbe willen, nicht als objektiv gewiß, sondern als
subjektiv für unsere, nämlich menschliche Art zu denken gültig,
annehmen müssen.
Es waren eigentlich zwei Hauptbestimmungen im Begriffe von Gott, den die durch
das Moralgebot praktisch bestimmte Vernunft aufstellte: die erste, welche unmittelbar
aus der Möglichkeit des Endzwecks des Moralgesetzes überhaupt folgte,
daß sein Wesen gänzlich und allein durch das Moralgesetz* bestimmt
sei; die zweite, welche aus der Anwendung dieser angenommenen Möglichkeit
auf endliche moralische Wesen folgte, daß er nach diesem Gesetze die sinnliche
Natur außer sich bestimme.
* Wenn man von Gott redet, so
heißt die Anforderung der praktischen Vernunft an ihn nicht Gebot, sondern
Gesetz. Sie sagt von ihm kein Sollen, sondern ein Sein aus; sie ist in Rücksicht
auf ihn nicht imperativ, sondern konstitutiv.
Die erste stellt Gott dar als die vollkommenste Heiligkeit, in welcher das Sittengesetz
sich ganz beobachtet darstellt, als das Ideal aller moralischen Vollkommenheit;
und zugleich als den Alleinseligen, weil er der
Alleinheilige ist; mithin als Darstellung des erreichten Endzwecks der
praktischen Vernunft, als das höchste Gut selbst,
dessen Möglichkeit sie postulierte: die zweite als den obersten
Weltregenten nach moralischen Gesetzen, als Richter aller vernünftigen
Geister. Die erste betrachtet ihn an und für sich selbst, nach seinem Sein,
und er erscheint durch sie als vollkommenster Beobachter des Moralgesetzes:
die zweite nach den Wirkungen dieses Seins auf andere moralische Wesen, und
er ist vermöge derselben höchster, niemandem
untergeordneter Exekutor der Verheißungen
des Moralgesetzes, mithin auch Gesetzgeber. S.10-12
[…]
Nun läßt aber ferner das allgemeine Gelten des göttlichen Willens
für uns als passive Wesen, uns auf
die Allgemeingültigkeit desselben für uns auch als aktive Wesen schließen.
Gott richtet uns nach einem Gesetze, das ihm nicht anders, als durch
seine Vernunft gegeben sein kann, folglich nach seinem
durch das Moralgesetz bestimmten Willen. Seinem Urteile also liegt sein
Wille, als allgemeingeltendes Gesetz für vernünftige Wesen, auch insofern sie aktiv sind, zum Grunde, indem
ihre Übereinstimmung mit demselben der Maßstab ist, nach welchem
ihnen, als passiven, ihr Anteil an der Glückseligkeit zugemessen wird.
Die Anwendbarkeit dieses Maßstabes erhellt sogleich daraus, weil die Vernunft
ihr selbst nie widersprechen kann, sondern in allen vernünftigen Wesen
ebendasselbe aussagen, folglich der durch das Moralgesetz bestimmte Wille Gottes
völlig gleichlautend mit dem uns durch ebendieselbe Vernunft gegebenen
Gesetze sein muß. Es ist nach diesem für die Legalität unsrer Handlungen völlig gleichgültig,
ob wir sie dem Vernunftgesetze darum gemäß einrichten, weil unsere
Vernunft gebietet; oder darum, weil Gott das will, was unsre Vernunft fordert;
ob wir unsre Verbindlichkeit vom bloßen Gebote der Vernunft, oder ob wir
sie vom Willen Gottes herleiten: ob es aber für die Moralität derselben völlig gleichgültig sei, ist dadurch noch nicht klar und
bedarf einer weitern Untersuchung.
Unsre Verbindlichkeit vom Willen Gottes ableiten, heißt, seinen
Willen, als solchen, für unser Gesetz anerkennen; sich darum zur Heiligkeit
verbunden erachten, weil Er sie von uns fordert. Es ist also dann nicht bloß
von einer Vollbringung des Willens Gottes, der Materie des Wollens nach, sondern
von einer auf die Form desselben gegründeten Verbindlichkeit die Rede; — wir handeln dem Gesetze der Vernunft gemäß,
weil es Gottes Gesetz ist.
Hierbei entstehen folgende zwei Fragen: Wie erkennen wir das Gesetz der Vernunft
in uns als Gesetz Gottes? und dann: Gibt es eine Verbindlichkeit, dem Willen
Gottes, als solchem, zu gehorchen, und worauf könnte sich dieselbe gründen?
Die Beantwortung der ersten Frage, welche von der zweiten wesentlich unterschieden
ist, findet nicht eher statt, bis wir mit der letztern in völliger Richtigkeit
sind, weil man vor Ausmittelung dieser nicht wissen kann, ob die Bemühung
jene zu beantworten nicht völlig ohne Nutzen ist.
Schon der Begriff von Gott wird uns bloß durch unsere Vernunft gegeben,
und bloß durch sie, insofern sie a priori gebietend
ist, realisiert, und es ist schlechterdings keine andere Art gedenkbar, auf
welche wir zu diesem Begriffe kommen könnten. Ferner verbindet uns die
Vernunft ihrem Gesetze zu gehorchen, ohne Rückweisung an einen Gesetzgeber
über sie, so daß sie selbst verwirrt und schlechterdings vernichtet
wird, und aufhört Vernunft zu sein, wenn man annimmt, daß noch etwas
anderes ihr gebiete, als sie sich selbst. Stellt sie uns nun den Willen Gottes
als völlig gleichlautend mit ihrem Gesetze dar, so verbindet sie uns freilich
mittelbar, auch diesem zu gehorchen; aber diese Verbindlichkeit gründet
sich auf nichts anderes, als auf die Übereinstimmung desselben mit ihrem
eigenen Gesetze, und es ist kein Gehorsam gegen Gott möglich, ohne aus
Gehorsam gegen die Vernunft. Hieraus erhellt nun fürs erste zwar soviel,
daß es völlig gleich für die Moralität unsrer Handlungen
ist, ob wir uns zu etwas darum verbunden erachten, weil es unsre Vernunft befiehlt,
oder weil es Gott befiehlt; aber es läßt sich daraus noch gar nicht
einsehen, wozu uns letztere Vorstellung dienen soll, da ihre Wirksamkeit die
Wirksamkeit der erstern schon voraussetzt, da das Gemüt schon bestimmt
sein muß, der Vernunft gehorchen zu wollen, ehe der Wille, Gott zu gehorchen,
möglich ist; da es mithin scheint, daß die letztere Vorstellung uns
weder allgemeiner noch stärker bestimmen könne, als diejenige, von
der sie abhängt, und durch die sie erst möglich wird. Gesetzt aber,
es ließe sich zeigen, daß sie unter gewissen Bedingungen wirklich
unsre Willensbestimmung erweitere, so ist vorher doch noch auszumachen, ob eine
Verbindlichkeit sich ihrer überhaupt zu bedienen stattfinde: und da folgt
denn unmittelbar aus dem Obigen, daß, obgleich die Vernunft uns verbindet,
dem Willen Gottes seinem Inhalte nach (voluntati ejus
materialiter spectatae) zu gehorchen, weil dieser mit dem des Vernunftgesetzes
völlig gleichlautend ist, sie doch unmittelbar keinen Gehorsam fordert,
als den für ihr Gesetz, aus keinem andern Grunde, als weil es ihr Gesetz
ist; daß sie folglich, da nur unmittelbare praktische Gesetze der Vernunft
verbindend sind, zu keinem Gehorsam gegen den Willen Gottes, als solchen, (voluntatem
ejus formaliter spectatam) verbinde. Die praktische Vernunft enthält
mithin kein Gebot, uns den Willen Gottes, als solchen, gesetzlich für uns
zu denken, sondern bloß eine Erlaubnis; und sollten wir a
posteriori finden, daß diese Vorstellung
uns stärker bestimme, so kann die Klugheit
anraten, uns derselben zu bedienen, aber Pflicht kann der Gebrauch dieser Vorstellung
nie sein. Zur Religion also, d. i. zur Anerkennung Gottes,
als moralischen Gesetzgebers, findet keine Verbindlichkeit statt, um
so weniger, da, so notwendig es auch ist, die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit
unsrer Seele anzunehmen, weil ohne diese Annahme die geforderte Kausalität
des Moralgesetzes uns gar nicht möglich ist, und diese Notwendigkeit ebenso
allgemein gilt als das Moralgesetz selbst, wir doch nicht einmal sagen können,
wir seien verbunden diese Sätze anzunehmen,
weil Verbindlichkeit nur vom Praktischen gilt. Inwieweit aber die Vorstellung
von Gott, als Gesetzgeber, durch dieses Gesetz in uns gelte, hängt von
der Ausbreitung ihres Einflusses auf die Willensbestimmung, und diese hinwiederum
von den Bedingungen ab, unter welchen vernünftige Wesen durch sie bestimmt
werden können. Könnte nämlich gezeigt werden, daß diese
Vorstellung nötig sei, um dem Gebote der Vernunft überhaupt Gesetzeskraft
zu geben (wovon aber das Gegenteil gezeigt worden ist), so würde sie für
alle vernünftige Wesen gelten; kann gezeigt werden, daß sie in allen
endlichen vernünftigen Wesen die Willensbestimmung erleichtert,
so ist sie gemeingültig für diese; sind die Bedingungen, unter denen
sie diese Bestimmung erleichtert und erweitert, nur von der menschlichen Natur
gedenkbar, so gilt sie, falls sie in allgemeinen Eigenschaften derselben liegen,
für alle, oder wenn sie in besondern Eigenschaften derselben liegen, nur
für einige Menschen.
Die Bestimmung des Willens, dem Gesetze Gottes überhaupt zu gehorchen,
kann nur durch das Gesetz der praktischen Vernunft geschehen,
und ist als bleibender und dauernder Entschluß des Gemüts vorauszusetzen.
Nun aber können einzelne Fälle der Anwendung des Gesetzes gedacht
werden, in denen die bloße Vernunft nicht Kraft genug haben würde,
den Willen zu bestimmen, sondern zu Verstärkung ihrer Wirksamkeit noch
der Vorstellung bedarf, daß eine gewisse Handlung durch Gott geboten sei.
Diese Unzulänglichkeit des Vernunftgebotes, als solches, kann keinen andern
Grund haben, als Verminderung unsrer Achtung gegen die Vernunft in diesem besondern
Falle; und diese Achtung kann durch nichts anderes vermindert worden sein, als
durch ein derselben widerstreitendes Naturgesetz, das unsre Neigung bestimmt,
und welches mit jenem der Vernunft, das unser oberes Begehrungsvermögen
bestimmt, in einem und eben demselben Subjekte, nämlich in uns erscheint, und mithin,
wenn die Würde des Gesetzes bloß nach der des gesetzgebenden Subjekts
bestimmt wird, von einerlei Range und Werte mit jenem zu sein scheinen könnte.
Hier noch ganz davon abstrahiert, daß wir in einem solchen Falle uns täuschen,
daß wir die Stimme der Pflicht vor dem Schreien der Neigung nicht hören,
sondern uns in der Lage zu sein dünken könnten, wo wir unter bloßen
Naturgesetzen stehen; sondern vorausgesetzt, daß wir die Anforderungen
beider Gesetze und ihre Grenze richtig unterscheiden, und unwidersprechlich
erkennen, was unsre Pflicht in diesem Falle sei, so kann es doch leicht geschehen,
daß wir uns entschließen, nur hier dies eine Mal eine Ausnahme von
der allgemeinen Regel zu machen, nur dies eine Mal wider den klaren Ausspruch
der Vernunft zu handeln, weil wir dabei niemandem verantwortlich zu sein glauben,
als uns selbst, und weil wir meinen, es sei unsre Sache, ob wir vernünftig
oder unvernünftig handeln wollen; es verschlage niemandem etwas, als uns
selbst, wenn wir uns dem Nachteile, der freilich daraus für uns entstehen
müßte, wenn ein moralischer Richter unsrer Handlungen sei, unterwerfen,
durch welche Strafe unser Ungehorsam gleichsam abgebüßt zu werden
scheint; wir sündigten auf eigne Gefahr. Ein solcher Mangel an Achtung
für die Vernunft gründet sich mithin auf Mangel der Achtung gegen
uns selbst, welche wir bei uns wohl verantworten zu können glauben. Erscheint
uns aber die in diesem Falle eintretende Pflicht als von Gott geboten, oder,
welches eben das ist, erscheint das Gesetz der Vernunft durchgängig und
in allen seinen Anwendungen als Gesetz Gottes, so erscheint es in einem Wesen,
in Absicht dessen es nicht in unserm Belieben steht, ob wir es achten, oder
ihm die gebührende Achtung versagen wollen; wir machen bei jedem wissentlichen
Ungehorsame gegen dasselbe nicht etwa nur eine Ausnahme von der Regel, sondern
wir verleugnen geradezu die Vernunft überhaupt; wir sündigen nicht
bloß gegen eine von derselben abgeleitete Regel, sondern gegen ihr erstes
Gebot; wir sind nun, die Verantwortlichkeit zur Strafe, die wir allenfalls auf
uns selbst nehmen könnten, abgerechnet, einem Wesen, dessen bloßer
Gedanke uns die tiefste Ehrfurcht einprägen muß, und welches nicht
zu verehren der höchste Unsinn ist, auch noch für Verweigerung der
ihm schuldigen Ehrfurcht verantwortlich, welches durch keine Strafe abzubüßen
ist.
Die Idee von Gott, als Gesetzgeber durchs Moralgesetz in uns, gründet sich
also auf eine Entäußerung des unsrigen, auf Übertragung eines
Subjektiven in ein Wesen außer uns, und diese Entäußerung ist
das eigentliche Prinzip der Religion, insofern sie zur Willensbestimmung gebraucht
werden soll. Sie kann nicht im eigentlichsten Sinne unsre Achtung für das
Moralgesetz überhaupt verstärken, weil alle Achtung für Gott
sich bloß auf seine anerkannte Übereinstimmung mit diesem Gesetze,
und folglich auf Achtung für das Gesetz selbst gründet; aber sie kann
unsre Achtung für die Entscheidungen derselben in einzelnen Fällen,
wo sich ein starkes Gegengewicht der Neigung zeigt, vermehren; und so ist es
klar, wie, obgleich die Vernunft uns überhaupt erst bestimmen muß,
dem Willen Gottes zu gehorchen, doch in einzelnen Fällen die Vorstellung
dieses uns hinwiederum bestimmen könne, der Vernunft zu gehorchen.
Im Vorbeigehn ist noch zu erinnern, daß diese Achtung für Gott, und
die auf dieselbe gegründete Achtung für das Moralgesetz, als das seinige,
sich auch bloß auf die Übereinstimmung desselben mit diesem Gesetze,
d. i. auf seine Heiligkeit gründen müsse, weil sie nur unter. dieser
Bedingung Achtung für das Moralgesetz ist, die allein die Triebfeder
jeder rein moralischen Handlung sein muß. Gründet
sie sich etwa auf die Begierde, sich in seine Güte einzuschmeicheln, oder
auf Furcht vor seiner Gerechtigkeit, so läge unserm Gehorsame auch nicht
einmal Achtung für Gott, sondern Selbstsucht zu Grunde.
Der Pflicht widerstreitende Neigungen sind wohl in allen endlichen Wesen anzunehmen,
denn das ist eben der Begriff des Endlichen in der Moral, daß es noch
durch andere Gesetze, als durch das Moralgesetz, d. i. durch die Gesetze seiner
Natur bestimmt werde; und warum Naturgesetze unter irgendeiner Bedingung, für
Naturwesen, auf welch einer erhabnen Stufe sie auch stehen mögen, stets
und immer mit dem Moralgesetze zusammenstimmen sollten, läßt sich
kein Grund angeben, aber es läßt sich gar nicht bestimmen, inwieweit
und warum notwendig dieser Widerstreit der Neigung gegen das Gesetz die Achtung
für dasselbe, als bloßes Vernunftgesetz, so schwächen solle,
daß es, um tätig zu wirken, noch durch die Idee
einer göttlichen Gesetzgebung geheiligt werden müsse; und wir
können uns nicht entbrechen, für jedes vernünftige Wesen, welches,
nicht weil die Neigung in ihm schwächer ist, in welchem Falle es kein Verdienst
haben würde, sondern weil die Achtung für die Vernunft in ihm stärker
ist, dieser Vorstellung zur Willensbestimmung nicht bedarf, eine weit größere
Verehrung zu fühlen, als gegen dasjenige, welches ihrer bedarf. Es läßt
sich also der Religion, insofern sie nicht bloßer Glaube an die Postulate
der praktischen Vernunft ist, sondern als Moment der Willensbestimmung gebraucht
werden soll, auch nicht einmal für Menschen subjektive Allgemeingültigkeit
(denn nur von dergleichen kann hier die Rede sein) zusichern; ob wir gleich
auch von der andern Seite nicht beweisen können, daß endlichen Wesen
überhaupt, oder daß insbesondre Menschen in diesem Erdenleben eine
Tugend möglich sei, die dieses Moments gänzlich entbehren könne.
Diese Übertragung der gesetzgebenden Autorität
an Gott nun gründet sich laut obigem darauf, daß ihm durch
seine eigne Vernunft ein Gesetz gegeben sein muß, welches für uns
gültig ist, weil er uns darnach richtet, und welches mit dem uns durch
unsre eigene Vernunft gegebnen, wonach wir handeln sollen, der völlig gleichlautend
sein muß. Hier werden also zwei an sich voneinander gänzlich unabhängige
Gesetze, die bloß in ihrem Prinzip, der reinen praktischen Vernunft, zusammenkommen,
beide für uns gültig gedacht,
ganz gleichlautend in Absicht ihres Inhalts, bloß in Absicht der Subjekte
verschieden, in denen sie sich befinden. Wir können jetzt bei jeder Forderung
des Sittengesetzes in uns sicher schließen, daß eine gleichlautende
Forderung in Gott an uns ergehe, daß also das Gebot des Gesetzes in uns
auch Gebot Gottes sei der Materie nach:
aber wir können noch nicht sagen, das Gebot des Gesetzes in uns sei schon als solches, mithin der
Form nach, Gebot Gottes. Um das letztere annehmen zu dürfen,
müssen wir einen Grund haben, das Sittengesetz in uns als abhängig
von dem Sittengesetze in Gott für uns zu betrachten,
d. i. den Willen Gottes als die Ursache desselben anzunehmen.
Nun scheint es zwar ganz einerlei zu sein, ob wir die Befehle unsrer Vernunft,
als völlig gleichlautend mit dem Befehle Gottes an uns, oder ob wir sie
selbst unmittelbar als Befehle Gottes ansehen; aber teils wird durch das letztere
der Begriff der Gesetzgebung erst völlig ergänzt, teils aber und vorzüglich
muß notwendig beim Widerstreite der Neigung gegen die Pflicht die letztere
Vorstellung dem Gebote der Vernunft ein neues Gewicht hinzufügen.
Den Willen Gottes als Ursache des Sittengesetzes in uns annehmen, kann zweierlei
heißen, nämlich daß der Wille Gottes entweder Ursache vom
Inhalte des Sittengesetzes, oder daß er es nur von der
Existenz des Sittengesetzes in uns sei. Daß das erstere schlechterdings
nicht anzunehmen sei, ist schon aus dem Obigen klar, denn dadurch würde
Heteronomie der Vernunft eingeführt, und das Recht einer unbedingten Willkür
unterworfen, das heißt, es gäbe gar kein Recht. Ob das zweite gedenkbar
sei, und ob sich ein vernünftiger Grund dafür finde, bedarf einer
weitern Untersuchung. S.20-27 […]
Daß das Sittengesetz in uns seinem Inhalte nach als Gesetz Gottes an uns
anzunehmen sei, ist schon aus dem Begriffe Gottes als
unabhängigen Exekutors des Vernunftgesetzes überhaupt, klar.
Ob wir einen Grund haben, es auch seiner Form nach dafür anzunehmen, ist
die jetzt zu untersuchende Frage. Da hierbei gar nicht vom Gesetze an sich die
Frage ist, als welches wir in uns haben, sondern vom Urheber des Gesetzes; so
können wir im Begriffe der göttlichen Gesetzgebung von dem Inhalte (materia) derselben hier gänzlich
abstrahieren, und haben nur auf ihre Form zu sehen. Die gegenwärtige Aufgabe
ist also die: ein Prinzip zu suchen, aus welchem Gott als moralischer Gesetzgeber
erkannt werde; oder es wird gefragt: hat sich Gott uns als moralischen
Gesetzgeber angekündigt, und wie hat er‘s?
Dies läßt sich auf zweierlei Art als möglich denken, nämlich
daß es entweder in uns, als moralischen
Wesen, in unsrer vernünftigen Natur, oder außer
derselben geschehen sei. Nun liegt in unsrer Vernunft, insofern
sie rein a priori gesetzgebend ist, nichts,
das uns berechtigte, dies anzunehmen: wir müssen uns also nach etwas außer
ihr umsehen, welches uns wieder an sie zurückweise, um nun aus ihren Gesetzen
mehr schließen zu können, als wozu diese allein uns berechtigten:
oder wir müssen es ganz aufgeben, aus diesem Prinzip Gott als Gesetzgeber
zu erkennen. Außer unsrer vernünftigen Natur ist das, was uns zur
Betrachtung und Erkenntnis vorliegt, die Sinnenwelt. In dieser finden wir allenthalben
Ordnung und Zweckmäßigkeit; alles leitet uns auf eine Entstehung
derselben nach Begriffen eines vernünftigen Wesens. Aber zu allen den Zwecken,
auf welche wir durch ihre Betrachtung geführt werden, muß unsre Vernunft
einen letzten, einen Endzweck, als das
Unbedingte zu dem Bedingten, suchen. Alles aber in unsrer Erkenntnis
ist bedingt, außer dem durch die praktische Vernunft uns aufgestellten
Zwecke des höchsten Gutes, welcher schlechthin und unbedingt geboten wird.
Dieses allein also ist fähig, der gesuchte Endzweck zu sein; und wir sind
durch die subjektive Beschaffenheit unsrer Natur gedrungen, ihn dafür anzuerkennen.
Kein Wesen konnte diesen Endzweck haben, als dasjenige, dessen praktisches Vermögen
bloß durch das Moralgesetz bestimmt wird, und keins die Natur demselben
anpassen, als dasjenige, das die Naturgesetze durch sich selbst bestimmt. Dieses
Wesen ist Gott. Gott ist also Weltschöpfer. Kein Wesen
ist fähig Objekt dieses Endzwecks zu sein, als nur moralische Wesen, weil
diese allein des höchsten Guts fähig sind. Wir selbst also sind als
moralische Wesen (objektiv) Endzweck der Schöpfung. Wir sind aber, als
sinnliche, d. i. als solche Wesen, die unter den Naturgesetzen stehen, auch
Teile der Schöpfung, und die ganze Einrichtung unsrer Natur, insofern,
sie von diesen Gesetzen abhängt, ist Werk des Schöpfers, d. i. des
Bestimmers der Naturgesetze durch seine moralische Natur. Nun hängt es
zwar teils offenbar nicht von der Natur ab, daß die Vernunft in uns eben
so, und nicht anders spricht; teils würde die Frage, ob es von ihr abhänge,
daß wir eben moralische Wesen sind, durchaus dialektisch sein. Denn erstens
dächten wir uns da den Begriff der Moralität aus uns weg, und nähmen
dennoch an, daß wir dann noch wir sein würden, d. i. unsre Identität
beibehalten haben würden, welches sich nicht annehmen läßt;
zweitens geht sie auf objektive Behauptungen im Felde des Obersinnlichen aus,
in welchem wir nichts objektiv behaupten dürfen.*
*Die Frage: warum überhaupt
moralische Wesen sein sollten? ist leicht so zu beantworten: wegen der Anforderung
des Moralgesetzes an Gott, das höchste Gut außer Sich zu befördern,
welches nur durch Existenz vernünftiger Wesen möglich ist.
Da es aber für uns ganz einerlei
ist, ob wir uns des Gebots des Moralgesetzes in uns nicht bewußt sind, oder ob wir überhaupt keine moralischen Wesen sind; da ferner unser
Selbstbewußtsein ganz unter Naturgesetzen steht: so folgt daraus sehr
richtig, daß es von der Einrichtung der sinnlichen Natur endlicher Wesen
herkomme, daß sie sich des Moralgesetzes in ihnen bewußt sind; und wir dürfen, wenn wir uns vorher nur
richtig bestimmt haben, hinzusetzen: daß sie moralische Wesen sind. Da nun Gott der Urheber dieser Einrichtung ist, so ist die Ankündigung
des Moralgesetzes in uns durch das Selbstbewußtsein zu betrachten als
Seine Ankündigung, und der Endzweck, den uns dasselbe aufstellt, als Sein
Endzweck, den er bei unsrer Hervorbringung hatte. So wie wir ihn also für
den Schöpfer unserer Natur erkennen, müssen wir ihn auch für
unsern moralischen Gesetzgeber anerkennen; weil nur durch eben eine solche Einrichtung
uns Bewußtsein des Moralgesetzes in uns, möglich war. Diese Ankündigung
Gottes selbst geschieht nun durch das Übernatürliche in uns; und es darf uns nicht irren, daß wir, um das zu erkennen, einen
Begriff außer demselben, nämlich den der Natur, zu Hilfe nehmen mußten.
Denn teils war es die Vernunft, die uns das, ohne welches jener Begriff uns
zu unsrer Absicht gar nicht hätte dienen können, den Begriff des möglichen
Endzwecks hergab, und dadurch erst die Erkenntnis Gottes als Schöpfers möglich machte; teils hätte auch diese Erkenntnis
uns Gott noch gar nicht als Gesetzgeber darstellen können, ohne das Moralgesetz
in uns, dessen Dasein erst die gesuchte Ankündigung Gottes ist.
Die zweite uns gedenkbare Art, wie sich Gott als moralischen Gesetzgeber ankündigen
konnte, war außer dem Übernatürlichen
in uns, also, in der Sinnenwelt, da wir
außer diesen beiden kein drittes Objekt haben. Da wir aber, weder aus
dem Begriffe der Welt überhaupt, noch aus irgendeinem Gegenstande oder
Vorfalle in derselben insbesondre, mittelst der Naturbegriffe, welche die einzigen
auf die Sinnenwelt anwendbaren sind auf etwas Übernatürliches schließen
können; dem Begriffe einer Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers
aber etwas Übernatürliches zum Grunde liegt: so müßte dies
durch ein Faktum in der Sinnenwelt geschehen, dessen Kausalität wir alsbald
in ein übernatürliches Wesen setzten,
und dessen Zweck, es sei eine Ankündigung Gottes, als moralischen Gesetzgebers,
wir sogleich erkennten; wenn dieser Fall überhaupt möglich sein soll.
Diese Untersuchung stellt nun vorläufig zwei Prinzipien der Religion, insofern
diese sich auf Anerkennung einer formalen Gesetzgebung Gottes gründet,
dar; deren eines das Prinzip des Übernatürlichen
in uns, das andere das Prinzip eines Übernatürlichen außer
uns ist. Die Möglichkeit des erstern ist schon gezeigt; die
Möglichkeit des zweiten, um welches es hier eigentlich zu tun ist, müssen
wir weiter dartun. Eine Religion, die sich auf das erste Prinzip gründet,
können wir, da sie den Begriff einer Natur überhaupt zu Hilfe nimmt,
Naturreligion nennen: und eine solche, der das zweite zum Grunde liegt, nennen
wir, da sie durch ein geheimnisvolles übernatürliches Mittel zu uns
gelangen soll, das ganz eigentlich zu dieser Absicht bestimmt ist, geoffenbarte
Religion. Subjektiv, als Habitus eines vernünftigen Geistes
(als Religiosität) betrachtet, können beide Religionen, da sie zwar
entgegengesetzte, aber nicht sich widersprechende Prinzipien haben, sich in
einem Individuum gar wohl vereinigen, und eine einzige ausmachen. S.28-31
[…]
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Versuch einer Kritik
aller Offenbarung, Philosophische Bibliothek Band 354, Felix Meiner Verlag Hamburg
Kriterien
der Göttlichkeit einer Offenbarung
Eine Offenbarung hat die Vernunftideen, Freiheit, Gott,
Unsterblichkeit darzustellen. Daß der Mensch frei sei, lehrt jeden
unmittelbar sein Selbstbewußtsein; und er zweifelt um so weniger daran,
je weniger er durch Vernünfteln sein natürliches Gefühl verfälscht
hat. Die Möglichkeit aller Religion, und aller Offenbarung,
setzt die Freiheit voraus. Die Darstellung dieser Idee für die sinnlich
bedingte Vernunft ist also kein Geschäft für eine Offenbarung: und
mit Auflösung der dialektischen Scheingründe dagegen hat keine Offenbarung
es zu tun, als welche nicht vernünftelt, sondern gebietet, und sich nicht
an vernünftelnde, sondern sinnliche Subjekte richtet. Aber dagegen ist
die Idee von Gott es desto mehr. Unter die Bedingungen der reinen Sinnlichkeit,
Zeit und Raum, Gott sich zu denken, wenn er sich ihn denken will, ist jeder
gedrungen, der Mensch ist. Wir mögen noch so sehr überzeugt sein,
noch so scharf erweisen können, daß sie auf ihn nicht passen, so
überrascht uns doch dieser Fehler, indem wir ihn noch rügen. Wir wollen
jetzt uns Gott als uns gegenwärtig denken, und wir können‘s
nicht verhindern, ihn an den Ort hinzudenken, wo wir sind: wir wollen jetzt
Gott als den Vorherseher unsrer künftigen
Schicksale, unsrer freien Entschließungen denken, und wir denken ihn als
in der Zeit, in der er jetzt ist, blickend in eine Zeit, in der er noch nicht
ist. Solchen Vorstellungen muß die Darstellung einer Religion sich anpassen,
denn sie redet mit Menschen, und kann keine andre, als der Menschen Sprache
reden. Aber die empirisch bestimmte Sinnlichkeit bedarf noch mehr. Der innere
Sinn, das empirische Selbstbewußtsein steht unter der Bedingung, ein Mannigfaltiges
nach und nach, und allmählich aufzunehmen, und zueinander hinzuzusetzen;
nichts aufnehmen zu können, was sich nicht von dem vorherigen unterscheidet,
also nur Veränderungen bemerken zu können. Seine Welt ist eine unaufhörliche
Kette von Modifikationen. Unter diese Bedingung will er sich auch das Selbstbewußtsein
Gottes denken. Er bedarf jetzt eines Zeugen der Reinigkeit seiner Gesinnungen
bei einer gewissen Entschließung. Gott hat bemerkt,
so denkt er sich‘s, was in meiner Seele vorging. Er ist jetzt
beschämt über eine unmoralische Handlung: sein Gewissen erinnert ihn
an die Heiligkeit des Gesetzgebers. Er hat sie,
er hat das ganze Verderben, das sich darin zeigt, entdeckt,
denkt er. Aber er bemerkt auch die Reue, die ich jetzt darüber empfinde,
fährt er fort. Er entschließt sich jetzt recht stark, hinfür
aufmerksam an seiner Heiligung zu arbeiten. Er
fühlt, daß ihm die Kräfte dazu fehlen. Er ringt mit sich, und
zu schwach im Kampfe, sieht er sich nach fremder Hilfe um, und betet zu Gott.
— Gott wird auf mein flehentliches, anhaltendes Bitten sich
entschIießen mir beizustehen, denkt er; und denkt sich in
allen diesen Fällen Gott als durch ihn modifizierbar.
Er denkt sich in Gott Affekte und Leidenschaften, damit er Teil nehmen könne
an den seinigen; Mitleid, Bedauern, Erbarmen, Liebe, Vergnügen u. dgl.
Die höchste oder tiefste Stufe der Sinnlichkeit, die alles unter
die empirischen Bedingungen des äußern Sinns setzt, verlangt noch
mehr. Sie will einen körperlichen Gott, der
ihre Handlungen im eigentlichen Verstande sieht,
ihre Worte hört, mit dem sie reden
könne, wie ein Freund mit seinem Freunde. Ob eine Offenbarung sich zu diesen
Bedürfnissen herablassen könne, ist keine Frage: ob sie aber dürfe,
und inwieweit sie dürfe, muß eine Kritik der Offenbarung beantworten.
Der Zweck aller dieser Belehrungen ist kein andrer, als Beförderung reiner
Moralität, und der der versinnlichenden Darstellung derselben insbesondre
Beförderung reiner Moralität in dem sinnlichen Menschen. Insofern
nur diese Versinnlichung mit diesem Zwecke übereinkommt, kann die Offenbarung
göttlich sein: wenn sie ihm aber widerspricht, ist sie gewiß nicht
göttlich.
Die Versinnlichung des Begriffs von Gott kann den
moralischen Eigenschaften Gottes, und mithin aller Moralität auf zweierlei
Art widersprechen: nämlich teils unmittelbar,
wenn Gott mit Leidenschaften dargestellt wird,
die geradezu gegen das Moralgesetz sind, wenn ihm z. B. Zorn
und Rache aus Eigenwillen, Vorliebe oder Vorhaß, welche sich auf
etwas anderes als auf die Moralität der Objekte dieser Leidenschaften gründen,
zugeschrieben wird. Ein solcher Gott würde kein Muster
unsrer Nachahmung, und kein Wesen sein, für welches wir Achtung haben könnten,
sondern ein Gegenstand einer ängstlichen, zur Verzweiflung bringenden Furcht.
Jedoch widerspricht dieses schon der Form aller Offenbarung, welche einen allheiligen
Gott als Gesetzgeber verlangt. Es würde aber dem moralischen Begriffe von
Gott gar nicht widersprechen, wenn ihm z. B. lebhafter Unwille über das
unmoralische Verhalten endlicher Wesen zugeschrieben würde; denn das ist
bloß sinnliche Darstellung. einer notwendigen Wirkung der Heiligkeit Gottes,
die wir, wie sie an sich in Gott ist, gar nicht erkennen können; und wenn
in einer Sprache, die zu den feinem Modifikationen der Affekte keine bestimmten
Worte hätte, dieser Unwille auch Zorn genannt würde, so widerspricht
auch‘ dies, im Geiste der Menschen, die diese Sprache redeten, verstanden,
dem Begriffe von Gott nicht. Mittelbar
würde jede sinnliche Darstellung von Gott der Moralität widersprechen,
wenn sie als objektiv gültig, und
nicht als bloße Herablassung zu unserm subjektiven
Bedürfnis vorgestellt würde.
Denn alles, was vom Objekte an sich gilt, daraus kann ich Schlüsse ziehen,
und das Objekt dadurch weiter bestimmen. Leiten wir aber aus irgendeiner sinnlichen
Bedingung Gottes, als objektiv gültig, Schlüsse ab, so verwickeln
wir uns mit jedem Schritte tiefer in Widersprüche gegen seine moralischen
Eigenschaften. Sieht z. B. und hört Gott wirklich, so muß er auch
durch diese Sinne des Vergnügens teilhaftig sein; so ist es sehr möglich,
daß wir ihm ein sinnliches Vergnügen machen können, daß
der Geruch der Brandopfer und Speisopfer ihm wirklich gefallen kann,*
und wir haben folglich Mittel, ihm durch etwas anderes, als durch Moralität
gefällig zu werden.
* Daß die Juden älterer
Zeiten wirklich so schlossen, bezeugen die Vorstellungen der Propheten gegen
diesen Irrtum; daß sie in neuem Zeiten nicht klüger sind, beweisen
die lächerlich kindischen Vorstellungen von Gott, die ihr Talmud enthält;
ob durch Schuld ihrer Religion, oder ihre eigne, bleibt hier ununtersucht. Woher
aber kommt bei manchen Christen mittlerer, und neuerer Zeiten sogar, der Wahn,
daß ge-wisse An¬rufungen, z. B. Kyrie Eleison, Vater unsers Herrn
Jesu Christi, und dgl. ihm besser gefallen, als andere?
Können wir Gott wirklich durch unsre Empfindungen bestimmen, ihn zum Mitleiden,
zum Erbarmen, zur Freude bewegen, so ist er nicht
der Unveränderliche, der Alleingenugsame, der Alleinselige, so ist
er noch durch etwas anderes, als durch das Moralgesetz bestimmbar; so können
wir auch wohl hoffen, ihn durch Winseln und Zerknirschung zu bewegen, daß
er anders mit uns verfahre, als der Grad unsrer Moralität es verdient hätte.
Alle diese sinnlichen Darstellungen göttlicher Eigenschaften müssen
also nicht als objektiv gültig angekündigt werden; es muß nicht
zweideutig gelassen werden, ob Gott an sich so
beschaffen sei, oder ob er uns nur zum Behuf unsers sinnlichen Bedürfnisses
erlauben wolle, ihn so zu denken. Außer dieser Bedingung aber können
wir keiner Offenbarung a priori Gesetze
vorschreiben, wie weit sie mit der Versinnlichung des Begriffs von Gott gehen
dürfe: sondern dies hängt gänzlich von dem empirisch gegebnen
Bedürfnisse des Zeitalters ab, für welches sie zunächst bestimmt
ist. Wenn z. B. irgendeine Offenbarung, um von einer Seite allen Bedürfnissen
der rohsten Sinnlichkeit Genüge zu tun, und von der andern Seite dem Begriffe
von Gott seine völlige Reinheit zu sichern, uns irgendein ganz sinnlich
bedingtes Wesen, als einen Abdruck der moralischen Eigenschaften Gottes, insofern
sie Beziehung auf Menschen haben, eine verkörperte
praktische Vernunft gleichsam als einen Gott der Menschen, darstellte:
so wäre dies noch gar kein Grund, so einer Offenbarung überhaupt,
oder auch nur dieser Darstellung derselben den göttlichen Ursprung abzusprechen;
wenn nur dieses Wesen so vorgestellt wäre, daß es jener Absicht entsprechen
könnte, und wenn nur diese Stellvertretung nicht als objektiv gültig
behauptet, sondern bloß als Herablassung zur Sinnlichkeit, die derselben
bedürfen könnte,* vorgestellt, und, was
daraus notwendig folgt, jedem völlig freigestellt würde, sich dieser
Vorstellung zu bedienen, oder nicht, je nachdem er es für sich moralisch
nützlich fände. Nur eine solche Offenbarung
also kann göttlichen Ursprungs sein, die einen anthropomorphisierten Gott
nicht als objektiv, sondern bloß für subjektiv gültig gibt.
*Wer mich siehet, siehet den
Vater, sagte Jesus nicht eher, bis Philippus von ihm verlangte, ihm den Vater
zu zeigen.
Der Begriff der Unsterblichkeit der Seele gründet sich auf eine Abstraktion,
die die Sinnlichkeit, besonders der tiefste Grad der Sinnlichkeit, nicht macht.
Seiner Persönlichkeit ist jeder un¬mittelbar durch das Selbstbewußtsein
sicher; das: Ich bin, bin selbständiges Wesen, läßt er sich
durch keine Vernünfteleien rauben. Aber welche von diesen Bestimmungen
dieses seines Ich reine, oder empirische, welche für und durch den innern
oder äußern Sinn, oder welche durch die reine Vernunft gegeben, welche
wesentlich, und welche nur zufällig seien und nur von seiner gegenwärtigen
Lage abhängen, sondert er nicht ab, und ist nicht fähig es zu tun.
Er wird vielleicht nie auf den Begriff einer Seele, als eines reinen Geistes
kommen; und gibt man ihm auch denselben, so wird man ihm oft nichts als ein
Wort geben, das für ihn ohne Bedeutung ist. Er kann
also Fortdauer seines Ich sich nicht anders denken, als unter der Gestalt der
Fortdauer desselben mit allen seinen gegenwärtigen Bestimmungen. Wenn
eine Offenbarung sich zu dieser Schwachheit herablassen will — und sie
wird es fast müssen, um verständlich zu werden —, so wird sie
ihm jene Idee in die Gestalt kleiden, in der er allein fähig ist, sie zu
denken, die der Fortdauer alles dessen, was er gegenwärtig zu seinem Ich
rechnet, und, da er den einstigen Untergang eines Teils desselben offenbar vorhersieht,
der Wiederauferstehung*;
und die Hervorbringung der völligen Kongruenz zwischen Moralität und
Glückseligkeit in das Bild eines allgemeinen Verhörs und Gerichtstages,
und einer Austeilung von Strafen und Be-lohnungen.
*Daß z. B. Jesus sich
Unsterblichkeit gedacht habe, wenn er von Auferstehung redete, und daß
beide Begriffe damals für völlig gleich gegolten, erhellt, außer
seinen Reden beim Johannes über diesen Gegenstand, wo er die ununterbrochne
Fortdauer seiner Anhänger in einigen Aussprüchen ganz rein ohne das
Bild der Auferstehung, doch ohne sich auf den Unterschied zwischen Seele und
Körper und auf die vom körperlichen Tode mögliche Einwendung
einzulassen, vorträgt, unter andern ganz offenbar aus jenem Beweise gegen
die Sadduzäer. Der angezogne Ausspruch Gottes konnte, alles übrige
als richtig zugestanden, nichts weiter als die fortdauernde Existenz Abrahams,
Isaaks und Jakobs, zur Zeit Moses, aber keine eigentliche Auferstehung des Fleisches
beweisen. Daß auch die Sadduzäer es so verstanden, und nicht bloß
die körperliche Auferstehung, sondern Unsterblichkeit überhaupt, leugneten,
folgt daraus, weil sie sich mit diesem Beweise Jesu befriedigten.
Die Widersprüche, die aus einer zu groben Vorstellung dieser Lehre folgen,
nötigten schon Paulus, sie etwas näher zu bestimmen.
Aber sie darf diese Bilder nicht als objektive Wahrheiten aufstellen. Es ist
zwar nicht zu zeigen, daß, wenn man auch diese sinnlichen Darstellungen
als objektiv gültig annähme, geradezu Widersprüche gegen die
Moral daraus folgen würden, wie sie aus einer objektiven Anthropomorphose
Gottes folgten. Die Ursache davon ist folgende. Gott ist ganz übersinnlich:
der Begriff von ihm entspringt rein und lediglich aus der reinen Vernunft
a priori; man kann ihn also nicht verfälschen, ohne zugleich
die Prinzipien dieser zu verfälschen. Der Begriff der Unsterblichkeit aber
ist nicht rein von ihr abgeleitet, sondern setzt eine mögliche Erfahrung,
daß es nämlich endliche vernünftige Wesen gehe, voraus, deren
Wirklichkeit unmittelbar durch die reine Vernunft nicht gegeben ist. Eine sinnliche
Vorstellung der Unsterblichkeit könnte also ihre objektive Gültigkeit
entweder aus der Endlichkeit der moralischen
Wesen, oder aus ihrer moralischen Natur herzuleiten,
Anspruch machen. Geschähe das erstere, so würde dies den Prinzipien
der Moral nicht widersprechen, weil ein solcher Beweis aus theoretischen Prinzipien
müßte geführt werden, welche jenen nicht begegnen. Geschähe
das letztere, so müßte der Beweis aus Eigenschaften geführt
werden, welche allen moralischen Naturen gemein wären, folglich auch Gott:
Gott selbst also würde dadurch an die Gesetze der Sinnlichkeit gebunden,
woraus alle möglichen Widersprüche gegen die Moral folgen würden.
Es widerspricht der Moral gar nicht, daß ich, Mensch mit einem irdenen
Körper, nicht anders fortdauern könne, als mit einem solchen Körper,
und zwar mit eben dem Körper, den ich hier habe; daß dieser Körper,
etwa um einer in seiner Natur liegenden Ursache willen, erst eine Zeitlang verwesen
müsse, und dann erst wieder mit meiner Seele verbunden werden könne
usw.; aber es würde ihr widersprechen, zu sagen, daß Gott an diese
Bedingung gebunden sei, weil seine Natur dann durch etwas anderes bestimmt würde,
als durch das Moralgesetz. Da dieser Punkt bei Behauptung einer objektiven Gültigkeit
des Begriffs der Auferstehung sehr wohl unentschieden gelassen werden kann,
so folgt auch aus dieser Behauptung an sich nichts gegen die Moral.
Aber eine solche objektive Behauptung läßt sich durch nichts rechtfertigen
und beweisen. Nicht durch göttliche Autorität: denn eine Offenbarung
gründet sich nur auf die Autorität Gottes,
als des Heiligen; aus seiner moralischen Natur aber läßt sich eine
solche Bedingung unsrer Unsterblichkeit nicht ableiten, weil sie sonst auch
unmittelbar aus der reinen Vernunft a priori sich
müßte ableiten lassen. Mit theoretischen Beweisen hat eine Offenbarung
es überhaupt nicht zu tun, und sobald sie sich auf diese einläßt,
ist sie nicht mehr Religion, sondern Physik, — darf nicht mehr Glauben
fordern, sondern muß Überzeugung erzwingen; und diese gilt denn nicht
weiter, als die Beweise gehen. Für Auferstehung aber ist kein theoretischer
Beweis möglich, weil in diesem Begriffe von etwas Sinnlichem auf ein Übersinnliches
geschlossen werden soll. Nur eine solche Offenbarung also kann göttlich
sein, welche eine versinnlichte Darstellung unsrer Unsterblichkeit, und des
moralischen Gerichts Gottes über endliche Wesen, nicht als objektiv, sondern
nur als subjektiv (nicht für Menschen überhaupt, sondern nur für
diejenigen sinnlichen Menschen, die einer solchen Darstellung bedürfen)
gültig gibt. Tut sie das erstere, so ist ihr zwar darum noch nicht die
Möglichkeit eines göttlichen Ursprungs überhaupt abzusprechen,
denn eine solche Behauptung widerspricht
der Moral nicht, sie ist bloß nicht von ihren Prinzipien abzuleiten;
aber sie ist, wenigstens in Rücksicht dieser Behauptung, nicht göttlich.
Ob eine Offenbarung ihren versinnlichenden Vorstellungen reiner Vernunftideen
objektive, oder bloß subjektive Gültigkeit beilege, ist, wenn sie
es auch nicht ausdrücklich erinnert, welches jedoch zur Vermeidung alles
möglichen Mißverständnisses zu wünschen ist, daraus zu
ersehen, ob sie auf dieselben Schlüsse baut oder nicht. Tut sie das erstere,
so ist offenbar, daß sie ihnen objektive Gültigkeit beilegt.
Da endlich die empirische Sinnlichkeit sich, ihren besondern Modifikationen
nach, bei verschiedenen Völkern, und in verschiedenen Zeitaltern verändert,
und unter der Zucht einer guten Offenbarung sich immer mehr verringern soll;
so ist es Kriterium, zwar nicht der Göttlichkeit einer Offenbarung, aber
doch ihrer möglichen Bestimmung für viele Völker und Zeiten,
wenn die Körper, in die sie den Geist kleidet, nicht zu fest, und zu haltbar,
sondern von einem leichten Umrisse, und dem Geiste verschiedener Völker
und Zeiten ohne Mühe anzupassen sind. Eben dies gilt von den Aufmunterungs-
und Beförderungsmitteln zur Moralität, die eine Offenbarung empfiehlt.
Unter der Leitung einer weisen Offenbarung, die in weisen Händen ist, sollten
die erstem und letztem immer mehr von ihrer Beimischung grober Sinnlichkeit
ablegen, weil sie immer entbehrlichem werden sollte. S.90-97
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Versuch einer Kritik
aller Offenbarung, Philosophische Bibliothek Band 354, Felix Meiner Verlag Hamburg
Das Eine
wahrhaft seiende und durch sich selber daseiende ist Gott
Was da nur wirklich notwendig da ist, ist schlechthin
notwendig also da, wie es da ist; es könnte nicht auch nicht da sein, noch
könnte es auch anders da sein, als es da ist. In dem wahrhaft
Seienden ist daher an kein Entstehen, an keine Veränderlichkeit und an
keinen willkürlichen Grund zu gedenken. - Das Eine
wahrhaft seiende und schlechthin durch sich selber daseiende ist das, was alle
Zungen Gott nennen. Gottes Dasein ist nun nicht etwa der Grund, die Ursache,
oder des etwas; des Wissens, so daß beides sich auch von einander trennen
ließe, sondern es ist schlechthin das Wissen
selber; sein Dasein oder das
Wissen ist durchaus Eins und eben dasselbe;
im Wissen ist er da, schlechthin wie er in sich selber
ist, als absolut auf sich ruhende Kraft; und - er ist da schlechthin,
oder - das Wissen ist schlechthin da, ist ganz dasselbe gesagt. Auch dieser
hier nur als Resultat vorgetragene Satz lässt sich in der höheren
Spekulation ganz anschaulich machen. -
Nun ist ferner eine Welt nur im Wissen da, und das Wissen selber ist die Welt:
die Welt ist daher mittelbar, und durch
das Wissen eben vermittelt, das göttliche Dasein selbst, so wie das Wissen
dasselbe Dasein unmittelbar ist. Wenn
daher jemand sagt, dass die Welt auch nicht sein könne, dass sie einmal
nicht gewesen, dass sie zu einer anderen Zeit aus nichts geworden, dass sie
durch einen willkürlichen Akt der Gottheit, den dieselbe auch hätte
unterlassen können, geworden: - so ist das ganz dasselbe, als ob er sagte:
Gott könne auch nicht sein, und er sei einmal nicht gewesen, und sei zu
einer andern Zeit aus nichts geworden, und habe sich selber durch einen Akt
der Willkür, den er auch hätte unterlassen können, entschlossen,
da zu sein. Dieses Sein nun, von dem wir soeben geredet, ist das absolut zeitlose
Sein: und was in diesem gesetzt ist, ist nur a priori,
in der Welt des reinen Gedankens, zu erkennen, und ist unwandelbar und unveränderlich
zu aller Zeit.
Das Wissen ist, wie gesagt, Dasein, Äußerung,
vollkommenes Abbild der göttlichen Kraft. Es ist daher für
sich selber: - das Wissen wird Selbstbewusstsein; und es ist für sich selbst,
in diesem Selbstbewusstsein, eigene, auf sich selbst ruhende Kraft, Freiheit
und Wirksamkeit, weil es ja Abbild der göttlichen Kraft ist; alles dieses
als Wissen, also in alle Ewigkeit fort
sich entwickelnd zu höherer innerer Klarheit des Wissens, an einem bestimmten
Gegenstande des Wissens, von welchem es ausgeht. Dieser Gegenstand nun erscheint
offenbar als ein bestimmtes Etwas
das auch anders sein könnte, weil er ist, und dennoch in seinem Urgrunde
nicht begriffen ist, sondern das Wissen in alle Ewigkeit an ihm zu begreifen
und seine eigene innere Kraft zu entwickeln hat: und mit dieser fortgehenden
Entwickelung tritt erst die Zeit ein. - Dieser Gegenstand tritt ein lediglich
dadurch, dass das Wissen eben ist: also innerhalb
seines schon vorausgesetzten Seins; er ist daher Gegenstand der bloßen
Wahrnehmung, und nur empirisch zu erkennen. Es ist, sage ich, der Eine, in alle
Ewigkeit sich gleichbleibende Gegenstand, da das Wissen alle Ewigkeit hindurch
an ihm zu begreifen hat; in dieser stehenden objektiven Einheit heißt
er Natur, und die regelmäßig
auf ihn gerichtete Empirie Physik. An
ihm entwickelt sich das Wissen in einer fortfließenden Zeitreihe; die
auf die Erfüllung dieser Zeitreihe regelmäßig gerichtete Empirie
heißt Geschichte. Ihr Gegenstand ist die zu aller Zeit unbegriffene Entwicklung
des Wissens am Unbegriffenen.
Also: das zeitlose Sein und Dasein ist
auf keine Weise zufällig; und es lässt sich weder durch den Philosophen,
noch durch den Historiker eine Theorie seines Ursprunges geben: das
faktische Dasein in der Zeit erscheint als anders seinkönnend,
und darum zufällig; aber dieser Schein entspringt aus der Unbegriffenheit:
und der Philosoph kann zwar wohl im Allgemeinen sagen, dass
das Eine Unbegriffene, sowie das unendliche Begreifen an demselben, so ist,
wie es ist, eben, weil es in die Unendlichkeit fortbegriffen werden soll; er
kann es aber keinesweges aus diesem unendlichen Begreifen genetisch ableiten
und bestimmen, weil er so-dann die Unendlichkeit erfasst
haben müsste, was durchaus unmöglich ist. Hier sonach
ist seine Grenze, und er wird, falls er in diesem Gebiete etwas zu wissen begehrt,
an die Empirie gewiesen. Ebensowenig kann der Historiker jenes Unbegriffene,
als den Uranfang der Zeit, in seiner Genesis angeben. Sein Geschäft ist:
die faktischen Fortbestimmungen des empirischen
Daseins aufzustellen. Das empirische Dasein selber und alle Bedingungen davon
setzt er daher voraus. Welches nun diese Bedingungen des empirischen Daseins
seien, - was daher für die bloße Möglichkeit einer Geschichte
überhaupt vorausgesetzt werde und vor allen Dingen sein müsse, ehe
die Geschichte auch nur ihren Anfang finden könne, - ist Sache des Philosophen,
welcher dem Historiker erst seinen Grund und Boden sichern muss. - Um darüber
ganz populär zu reden: - ist der Mensch einmal geschaffen worden, so war
er, wenigstens mit seinem Bewusstsein, nicht dabei, und hat nicht beobachten
können, wie er aus dem Nichtsein ins Dasein überging, noch es als
Faktum der Nachwelt überliefern. - Nun, sagen sie wohl darauf, der Schöpfer
hat es ihm offenbart. Ich antworte: dann hätte der Schöpfer dasjenige,
worauf die Existenz des Menschen für sich selber beruht, das Unbegriffene,
aufgehoben; den Menschen daher unmittelbar, nachdem er ihn geschaffen hatte,
wieder vernichtet; und, da das Dasein der Welt und des Menschen vom göttlichen
Dasein selbst unabtrennlich ist, - er hätte sich selbst vernichtet; welches
völlig gegen die Vernunft streitet.
Über den Ursprung der Welt und des Menschengeschlechtes also hat weder
der Philosoph, noch der Historiker etwas zu sagen: denn es gibt überhaupt
keinen Ursprung, sondern nur das Eine zeitlose und notwendige Sein. Über
die Bedingungen des faktischen Daseins aber, als eben hinausliegend über
alles faktische Dasein und alle Empirie, hat der Philosoph Rechen-schaft zu
geben: trifft aber etwa der Historiker in seinen Quellen auf dergleichen Rechenschaftsablegungen,
so wisse er, dass dies seinem Inhalte nach nicht Geschichte ist, sondern Philosophem:
- etwa in der alten einfachen Form der Erzählung, in welcher Form man es
Mythe nennt: - er überlasse hierüber
der Vernunft, die in Sachen der Philosophie alleinige Richterin ist, ihr Richteramt,
und imponiere uns nicht durch das Achtung gebietende Wort: Faktum. Faktum,
- oft höchst fruchtbares und unterrichtendes Faktum - ist hierbei nur das,
dass es eine solche Mythe gegeben.
Neunte Vorlesung, S.168ff.
Nach: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters
. Dargestellt von Johann Gottlieb Fichte in Vorlesungen gehalten zu Berlin im
Jahre 1804/1805. Herausgegeben von Prof. Dr. Messer. Berlin 1924. Wegweiser-Verlag
Sein
und Schein – Leben und Tod
Das Leben ist selber die Seligkeit, sagte ich. Anders kann es nicht sein: denn
das Leben ist Liebe, und die ganze Form und Kraft
des Lebens besteht in der Liebe, und entsteht
aus der Liebe. — Ich habe durch das soeben Gesagte einen der tiefsten
Sätze der Erkenntnis ausgesprochen; der jedoch, meines Erachtens, jeder,
nur wahrhaft zusammengefaßten und angestrengten Aufmerksamkeit, auf der
Stelle klar und einleuchtend werden kann. Die Liebe
teilet das, an sich tote Sein, gleichsam
in ein zweimaliges Sein, dasselbe vor sich selbst
hinstellend, und macht es dadurch zu einem Ich oder Selbst,
das sich anschaut, und von sich weiß; in welcher
Ichheit die Wurzel alles Lebens ruhet. Wiederum vereinigt
und verbindet innigst die Liebe das geteilte
Ich, das ohne Liebe nur kalt, und ohne alles Interesse, sich anschauen würde.
Diese letztere Einheit, in der dadurch nicht aufgehobenen, sondern ewig bleibenden
Zweiheit, ist nun eben das Leben; wie jedem, der die aufgegebenen Begriffe nur
scharf denken, und aneinanderhalten will, auf der Stelle einleuchten muß.
Nun ist die Liebe ferner, Zufriedenheit mit sich selbst, Freude an sich selbst,
Genuß ihrer selbst, und also Seligkeit; und so ist klar, daß Leben,
Liebe, und Seligkeit, schlechthin Eins sind und dasselbe.
Nicht alles, was als lebendig erscheine, sei lebendig in der Tat und Wahrheit,
sagte ich ferner. Es gehet daraus hervor, daß, meines Erachtens, das Leben
aus einem doppelten Gesichtspunkte angesehen werden kann, und von mir angesehen
wird; nämlich, teils aus dem Gesichtspunkte der Wahrheit, teils aus dem
des Scheins. Nun ist vor allem voraus klar, daß das letztere bloß
scheinbare Leben nicht einmal zu erscheinen vermöchte,
sondern völlig und durchaus in dem Nichts bleiben würde, wenn es nicht
doch, auf irgendeine Weise, von dem wahrhaftigen Sein gehalten und getragen
würde; und wenn nicht, da nichts wahrhaftig da ist, als das Leben, das
wahrhaftige Leben auf irgendeine Weise in das nur erscheinende Leben einträte,
und mit demselben sich vermischte. Es kann keinen reinen
Tod geben, noch eine reine Unseligkeit; denn indem angenommen wird, daß
es dergleichen gebe, wird ihnen das Dasein
zugestanden; aber nur das wahrhaftige Sein und Leben vermag
da zu sein. Darum ist alles unvollkommene Sein
lediglich eine Vermischung des Toten mit dem Lebendigen. Auf welche Weise
im all-gemeinen diese Vermischung geschehe, und welches, sogar in den niedrigsten
Stufen des Lebens, der unaustilgbare Stellvertreter des wahrhaftigen Lebens
sei, werden wir bald tiefer unten angeben. — Sodann ist anzumerken, daß
auch dieses, nur scheinbaren, Lebens, jedesmaliger Sitz und Mittelpunkt die
Liebe ist. Verstehen Sie mich also: Der Schein kann auf mannigfaltige, und ins
Unendliche verschiedene Weisen, sich gestalten; wie wir dieses bald näher
ersehen werden. Diese verschiedenen Gestaltungen des erscheinenden Lebens insgesamt
nun leben überhaupt, wenn man nach der Ansicht des Scheines redet; oder
sie erscheinen als lebend überhaupt, wenn man sich strenge nach der Wahrheit
ausdrückt.. Wenn aber nun weiterhin die Frage entsteht: wodurch ist denn
das, allen gemeinsame Leben, in den besondern Gestaltungen desselben verschieden;
und was ist es denn, das jedem Individuum den ausschließenden Charakter
seines besondern Lebens gibt; so antworte ich darauf: es ist die Liebe dieses
besondern und individuellen Lebens. — Offenbare mir, was du wahrhaftig
liebst, was du mit deinem ganzen Sehnen suchest und anstrebest, wenn du den
wahren Genuß deiner selbst zu finden hoffest — und du hast mir dadurch
dein Leben gedeutet. Was du liebest, das lebest du. Diese
angegebene Liebe eben ist dein Leben, und die Wurzel, der Sitz, und der Mittelpunkt
deines Lebens. Alle übrigen Regungen in dir sind Leben, nur, inwiefern
sie sich nach diesem einzigen Mittelpunkte hinrichten. Daß vielen Menschen
es nicht leicht werden dürfte, auf die vorgelegte Frage zu antworten, indem
sie gar nicht wissen, was sie lieben, beweiset nur, daß diese eigentlich
nichts lieben, und eben darum auch nicht leben, weil sie nicht lieben.
Soviel im allgemeinen, über die Einerleiheit des Lebens, der Liebe, und
der Seligkeit. Jetzt zur scharfen Unterscheidung des wahrhaftigen Lebens von
dem bloßen Scheinleben.
Sein, — Sein, sage ich, und Leben,
ist abermals Eins und dasselbige. Nur das Leben vermag selbständig, von
sich und durch sich selber, da zu sein; und wiederum das Leben, so gewiß
es nur Leben ist, führt das Dasein bei sich. Gewöhnlich denkt man
sich das Sein, als ein stehendes, starres, und totes; selbst die Philosophen,
fast ohne Ausnahme, haben es also gedacht, sogar indem sie dasselbe als Absolutes
aussprachen. Dies kommt lediglich daher, weil man keinen lebendigen, sondern
nur einen toten Begriff, zum Denken des Seins mit sich brachte. Nicht
im Sein, an und für sich, liegt der Tod, sondern im ertötenden Blicke
des toten Beschauers. Daß in diesem
Irrtume der Grundquell aller übrigen Irrtümer
liege, und durch ihn die Welt der Wahrheit, und das Geisterreich, für immer
dem Blicke sich verschließe, haben wir wenigstens denen, die es zu fassen
fähig sind, an einem andern Orte dargetan; hier ist die bloße historische
Anführung jenes Satzes hinreichend.
Zum Gegensatze, — so wie Sein und Leben Eins ist, und dasselbe, ebenso
ist Tod und Nichtsein, Eins und dasselbe. Einen reinen Tod aber, und reines
Nichtsein gibt es nicht, wie schon oben erinnert worden. Wohl aber gibt es einen
Schein, und dieser ist die
Mischung des Lebens und des Todes, des Seins und des Nichtseins. Es
folgt daraus, daß der Schein, in Rücksicht desjenigen in ihm, was
ihn zum Scheine macht, und was in ihm dem wahrhaftigen Sein und Leben entgegengesetzt
ist, Tod ist, und Nichtsein.
Sodann und ferner: Das Sein ist durchaus einfach, nicht mannigfaltig; es gibt
nicht mehrere Sein, sondern nur Ein Sein. Dieser
Satz, ebenso wie der vorige, enthält eine Einsicht, die gewöhnlich
verkannt, oder gar nicht gekannt wird; von deren einleuchtender Richtigkeit
sich aber jeder, der nur einen Augenblick ernsthaft über die Aufgabe nachdenken
will, überzeugen kann. Wir haben hier weder die Zeit, noch den Vorsatz,
mit den Anwesenden diejenigen Vor-bereitungen, und gleichsam Einweihungen, vorzunehmen,
deren es für die Möglichkeit jenes ernsthaften Nachdenkens bei den
meisten Menschen bedarf.
Wir wollen hier nur die Resultate dieser Prämissen gebrauchen und vortragen,
welche Resultate wohl schon durch sich selbst sich dem natürlichen Wahrheitssinne
empfehlen werden. In Absicht ihrer tiefem Prämissen müssen wir uns
begnügen, dieselben nur deutlich, bestimmt, und gegen allen Mißverstand
gesichert, auszusprechen. So ist denn nun, in Absicht des zuletzt vorgetragnen
Satzes, unsere Meinung diese: Nur das Sein ist, keineswegs aber ist noch etwas
anderes, das kein Sein wäre, und über das Sein hinausläge; welche
letztere Annahme jedem, der nur unsre Worte versteht, als eine handgreifliche
Ungereimtheit einleuchten muß: ohnerachtet gerade diese Ungereimtheit
der gewöhnlichen Ansicht des Seins, dunkel und unerkannt, zugrunde liegt.
Nach dieser gewöhnlichen Ansicht nämlich, soll zu irgendeinem Etwas,
das, durch sich selber, weder ist, noch sein kann, das Dasein, das wiederum
das Dasein von Nichts ist, von außen her zugesetzt werden; und aus der
Vereinigung dieser beiden Ungereimtheiten soll alles Wahre und Wirkliche entstehen.
Dieser gewöhnlichen Meinung wird durch den ausgesprochenen Satz: nur das
Sein, — nur dasjenige, was durch und von sich selber
ist, ist, — widersprochen. Ferner sagen wir:
dieses Sein ist einfach, sich selbst gleich, unwandelbar und unveränderlich:
es ist in ihm kein Entstehen, noch Untergehen, kein Wandel, und Spiel der Gestaltungen,
sondern immer nur das gleiche ruhige Sein und Bestehen.
Die Richtigkeit dieser Behauptung läßt sich in kurzem dartun: Was
durch sich selbst ist, das ist eben, und ist ganz, mit einem Male dastehend,
ohne irgendeinen Abbruch, und ebensowe-nig kann ihm etwas zugefügt werden.
Und hierdurch haben wir uns denn den Weg zur Einsicht in den charakteristischen
Unterschied des wahrhaftigen Lebens, welches Eins ist mit dem Sein, von dem
bloßen Scheinleben, welches, inwiefern es bloßer Schein ist, Eins
ist mit dem Nichtsein, gebahnt und eröffnet. Das
Sein ist einfach, unveränderlich, und bleibt ewig sich selbst gleich;
darum ist auch das wahrhaftige Leben einfach, unveränderlich,
ewig sich gleichbleibend. Der Schein ist ein unaufhörlicher Wechsel, ein
stetes Schweben zwischen Werden und Vergehen; darum ist auch das bloße
Scheinleben ein unaufhörlicher Wechsel, immerfort zwischen Werden und Vergehen
schwebend, und durch unaufhörliche Veränderungen hindurchgegerissen.
Der Mittelpunkt des Lebens ist allemal
Liebe. Das wahrhaftige Leben liebet das Eine, Unveränderliche und
Ewige; das bloße Scheinleben versucht zu lieben, — wenn nur geliebt
zu werden fähig wäre, und an seiner Liebe nur standhalten wollte,
— das Vergängliche in seiner Vergänglichkeit.
Jener geliebte Gegenstand des wahrhaftigen Lebens ist
dasjenige, was wir mit der Benennung Gott meinen, oder wenigstens meinen
sollten; der Gegenstand der Liebe des nur scheinbaren Lebens, das Veränderliche,
ist dasjenige, was uns als Welt erscheint, und was wir also neunen. Das wahrhaftige
Leben lebet also in Gott, und liebet Gott; das nur scheinbare Leben lebet in
der Welt, und versucht es, die Welt zu lieben. Von welcher besondern Seite nun
eben es die Welt erfasse, darauf kommt nichts an; das, was die gemeine Ansicht
moralisches Verderben, Sünde, und Laster heißt, mag wohl für
die menschliche Gesellschaft schäd-licher sein, und verderblicher, als
manches andere, was diese gemeine Ansicht gelten läßt, und wohl sogar
löblich findet: vor dem Blicke der Wahrheit aber ist alles Leben, welches
seine Liebe auf das Zufällige richtet, und in irgendeinem andern Gegenstande
seinen Genuß sucht, außer in dem Ewigen und Unvergänglichen,
lediglich darum, und dadurch, daß
es seinen Genuß in einem andern Gegenstande sucht, auf die gleiche Weise
nichtig, elend, und unselig.
Das wahrhaftige Leben lebet in dem Unveränderlichen;
es ist daher weder eines Abbruches, noch eines Zuwachses fähig, ebensowenig,
als das Unveränderliche selber, in welchem es lebet, eines solchen Abbruches
oder Zuwachses fähig ist. Es ist in jedem Augenblicke ganz; —
das höchste Leben, welches überhaupt möglich ist; — und
bleibt notwendig in aller Ewigkeit, was es in jedem Augenblicke ist. Das
Scheinleben lebet nur in dem Veränderlichen,
und bleibet darum in keinen zwei sich folgenden Augeblicken sich selber gleich;
jeder künftige Moment verschlinget und‘ verzehrt den vorhergegangenen;
und so wird das Scheinleben zu einem ununterbrochenen
Sterben, und lebt nur sterbend, und im Sterben.
Das wahrhaftige Leben ist durch sich selber selig, haben wir gesagt,
das Scheinleben ist notwendig elend und unselig. —
Die Möglichkeit alles — Genusses, Freude, Seligkeit, oder mit welchem
Worte Sie das allgemeine Bewußtsein des Wohlseins fassen wollen, —
gründet sich auf Liebe, Streben, Trieb. Vereinigt
sein mit dem Geliebten, und innigst mit ihm verschmolzen, ist Seligkeit: getrennt
von ihm sein, und ausgestoßen, indes man es doch nie lassen kann, sich
sehnend nach ihm hinzuwenden, ist Unseligkeit.
Folgendes ist überhaupt das Verhältnis der Erscheinung, oder des Wirklichen
und Endlichen, zum absoluten Sein, oder zum Unendlichen und Ewigen. Das schon
oben Erwähnte, welches die Erscheinung tragen, und im Dasein erhalten müsse,
wenn sie auch nur als Erscheinung da sein solle, und welches wir bald näher
zu charakterisieren versprachen, ist die Sehnsucht
nach dem Ewigen. Dieser Trieb, mit dem Unvergänglichen
vereinigt zu werden, und zu verschmelzen, ist die innigste
Wurzel alles endlichen Daseins, und ist in keinem Zweige dieses Daseins
ganz auszutilgen, falls nicht dieser Zweig versinken soll in völliges Nichtsein.
Über dieser Sehnsucht nun, worauf alles endliche Dasein ruht, und von ihr
aus, kommt es entweder zum wahrhaftigen Leben, oder es kommt nicht dazu. Wo
es zum Leben kommt, und dasselbe durchbricht, wird jene geheime Sehnsucht gedeutet
und verstanden, als Liebe zu dem Ewigen: der Mensch
erfährt, was er eigentlich wolle, liebe und bedürfe. Dieses Bedürfnis
ist nun immer, und unter jeder Bedingung, zu befriedigen: unaufhörlich
umgibt uns das Ewige, und bietet sich uns dar, und wir haben nichts weiter zu
tun, als dasselbe zu ergreifen. Einmal aber ergriffen, kann es nie wieder verloren
werden. Der wahrhaftig Lebende hat es ergriffen, und besitzt es nun immerfort,
in jedem Momente seines Daseins ganz und ungeteilt, in aller seiner Fülle,
und ist darum selig in der Vereinigung mit dem Geliebten; unerschütterlich
fest überzeugt, daß er es in alle Ewigkeit also genießen werde,
— und dadurch gesichert gegen allen Zweifel, Besorgnis, oder Furcht. Wo
es zum wahrhaftigen Leben noch nicht gekommen ist, wird jene Sehnsucht nicht
minder gefühlt; aber sie wird nicht verstanden. Glückselig, ruhig,
von ihrem Zustande befriedigt, möchten alle gern sein, aber worin sie diese
Glückseligkeit finden werden, wissen sie nicht; was eigentlich sie lieben,
und anstreben, verstehen sie nicht. In dem, was ihren Sinnen unmittelbar entgegenkommt,
und sich ihnen darbietet, — in der Welt, meinen sie, müsse es gefunden
werden; indem für diejenige Geistesstimmung, in der sie sich nun einmal
befinden, allerdings nichts anderes vorhanden ist, als die Welt. Mutig begeben
sie sich auf diese Jagd der Glückseligkeit, innig sich aneignend und hebend
sich hingebend dem ersten besten Gegenstande, der ihnen gefällt, und der
ihr Streben zu befriedigen verspricht. Aber sobald sie einkehren in sich selbst,
und sich fragen: bin ich nun glücklich? — wird es aus dem Innersten
ihres Gemüts vernehmlich ihnen entgegentönen: o nein, du bist noch
ebenso leer und bedürftig als vorher. Hierüber mit sich im Reinen,
meinen sie, daß sie nur in der Wahl des Gegenstandes gefehlt haben, und
werfen sich in einen andern. Auch dieser wird sie ebensowenig befriedigen, als
der erste: kein Gegenstand wird sie befriedigen, der unter Sonne oder Mond ist.
Wollten wir, daß irgendeiner sie befriedigte? Gerade Das ja, daß
nichts Endliches und Hinfälliges sie befriedigen kann, das ja gerade ist
das einzige Band, wodurch sie noch mit dem Ewigen zusammenhängen, und im
Dasein verbleiben; fänden sie einmal ein endliches Objekt, das sie völlig
zufriedenstellte, so wären sie eben dadurch, unwiederbringlich
ausgestoßen von der Gottheit, und hingeworfen, in den ewigen Tod des Nichtseins.
So sehnen sie, und ängstigen, ihr Leben hin; in jeder Lage, in der sie
sich befinden, denkend, wenn es nur anders mit
ihnen werden möchte, so würde ihnen besser
werden, und nachdem es anders geworden ist, sich doch nicht besser
befindend; an jeder Stelle, an der sie stehen, meinend, wenn sie nur dort, auf
der Anhöhe, die ihr Auge faßt, angelangt sein würden, würde
ihre Beängstigung weichen; — treu jedoch wiederfindend, auch auf
der Anhöhe, ihren alten Kummer. Gehen sie etwa, bei reifern Jahren, nachdem
der frische Mut, und die fröhliche Hoffnung der Jugend, geschwunden sind,
mit sich zu Rate; überblicken sie etwa ihr ganzes bisheriges Leben, und
wagen eine entscheidende Lehre daraus zu ziehen; wagen es etwa, sich zu gestehen,
daß durchaus kein irdisches Gut zu befriedigen
vermöge: was tun sie nun? Sie leisten vielleicht entschlossen Verzicht
auf alle Glückseligkeit und
allen Frieden; — das denn doch fortdauernde unaustilgbare
Sehnen ertötend, und abstumpfend, soviel sie vermögen; und nennen
nun diese Dumpfheit die einzige wahre Weisheit, dieses Verzweifeln am Heile
das einzige wahre Heil, und die vermeinte Erkenntnis, daß der Mensch gar
nicht zur Glückseligkeit, sondern nur zu diesem Treiben
im Nichts, um das Nichts, bestimmt sei, den wahren Verstand. Vielleicht
auch leisten sie Verzicht auf Befriedigung nur für dieses
irdische Leben; lassen sich aber dagegen eine gewisse, durch Tradition auf uns
gekommene, Anweisung auf eine Seligkeit jenseits des Grabes gefallen. In welcher
bejammernswerten Täuschung befinden sie sich!
Ganz gewiß zwar liegt die Seligkeit auch jenseits des Grabes, für
denjenigen, für welchen sie schon diesseits desselben begonnen hat, und
in keiner andern Weise und Art, als sie diesseits, in jedem Augenblicke, beginnen
kann; durch das bloße Sichbegrabenlassen aber kommt man nicht in die Seligkeit;
und sie werden, im künftigen Leben, und in der unendlichen
Reihe aller künftigen Leben, die Seligkeit ebenso vergebens suchen,
als sie dieselbe in dem gegenwärtigen Leben vergebens gesucht haben, wenn
sie dieselbe in etwas anderem suchen, als in dem, was sie schon hier so nahe
umgibt, daß es denselben in der ganzen Unendlichkeit nie näher gebracht
werden kann, in dem Ewigen. — Und so irret denn der arme Abkömmling
der Ewigkeit, verstoßen aus seiner väterlichen Wohnung, immer umgeben
von seinem himmlischen Erbteile, nach welchem seine schüchterne Hand zu
greifen, bloß sich fürchtet, unstet und flüchtig in der Wüste
umher, allenthalben bemüht, sich anzubauen; zum Glück durch den baldigen
Einsturz jeder seiner Hütten erinnert, daß er nirgends Ruhe finden
wird, als in seines Vaters Hause.
So ist das wahrhaftige Leben notwendig die Seligkeit selber; und das Scheinleben
notwendig unselig.
Und von nun an überlegen Sie mit mir folgendes: Ich sage: das Element,
der Äther, die substantielle Form, so jemand den letztem Ausdruck besser
versteht — das Element, der Äther, die substantielle Form, des wahrhaftigen
ist der Gedanke. —
Zuvörderst dürfte wohl niemand geneigt sein, im Ernste, und in der
eigentlichen Bedeutung des Worts, Leben und Seligkeit einem andern zuzuschreiben,
außer demjenigen, das seiner selbst sich bewußt ist. Alles Leben
setzt daher Selbstbewußtsein voraus, und das Selbstbewußtsein allein
ist es, was das Leben zu ergreifen, und es zu einem Gegenstande des Genusses
zu machen, vermag.
Sodann: das wahrhaftige Leben, und die Seligkeit desselben, besteht in der Vereinigung
mit dem Unveränderlichen und Ewigen: das Ewige aber kann lediglich
und allein durch den Gedanken ergriffen werden, und ist, als solches, auf keine
andere Weise uns zugänglich. Das Eine und Unveränderliche wird begriffen,
als der Erklärungsgrund, unsrer selbst, und
der Welt; als Erklärungsgrund in doppelter Rücksicht: teils nämlich,
daß in ihm gegründet sei, daß es überhaupt da sei, und
nicht im Nichtsein verblieben; teils, daß in ihm und seinem inneren, nur
auf diese Weise begreiflichen, und auf jede andere Weise schlechthin unbegreifli-chen,
Wesen, begründet sei, daß es also und auf keine andere Weise da sei,
als es daseiend sich vorfindet. Und so besteht das wahrhaftige Leben, und seine
Seligkeit, im Gedanken, d. h. in einer gewissen bestimmten Ansicht unserer selber
und der Welt, als hervorgegangen aus dem innern, und in sich verborgenen göttlichen
Wesen: und auch eine Seligkeitslehre kann nichts anderes
sein, denn eine Wissenslehre, indem es überhaupt gar keine andere
Lehre gibt, außer der Wissenslehre. Im Geiste, in der, in sich selber,
gegründeten Lebendigkeit des Gedankens, ruhet das Leben, denn es ist außer
dem Geiste gar nichts wahrhaftig da. Wahrhaftig leben, heißt wahrhaftig
denken, und die Wahrheit erkennen.
So ist es: lasse keiner sich irre machen, durch die Schmähungen, welche
in diesen letzten, ungöttlichen und geistlosen Zeiten, über das, was
sie Spekulation nannten, ergangen sind. Zum offenbar vorliegenden Wahrzeichen
dieser Schmähungen, sind sie nur von solchen hergekommen, welche von der
Spekulation nichts wußten; keiner aber hat dieselbe geschmäht, der
sie kannte. Nur an den höchsten Aufschwung des Denkens
kommt die Gottheit, und sie ist mit keinem andern Sinne zu fassen: diesen
Aufschwung des Denkens den Menschen verdächtig machen wollen, heißt:
sie auf immer, von Gott, und dem Genusse der Seligkeit, scheiden wollen.
Worin sollte denn das Leben, und seine Seligkeit, sonst sein Element haben,
wenn es dasselbe nicht im Denken hätte? Etwa in gewissen Empfindungen und
Gefühlen; in Rücksicht welcher es uns gar nichts verschlägt,
ob es die gröbsten sinnlichen Genüsse seien, oder die feinsten übersinnlichen
Entzückungen? Wie könnte ein Gefühl, das, als Gefühl, in
seinem Wesen vom Ohngefähr abhängt, seine ewige und unveränderliche
Fortdauer verbürgen; und wie könnten wir, bei der Dunkelheit, welche
aus ebendemselben Grunde das Gefühl notwendig bei sich führt, diese
unveränderliche Fortdauer innerlich anschauen und
genießen? Nein: nur die sich selbst durchaus durchsichtige, und
ihr ganzes Innere frei besitzende Flamme der klaren Erkenntnis
verbürgt, vermittelst dieser Klarheit, ihre unveränderliche Fortdauer.
Oder soll das selige Leben etwa in tugendhaften Taten und Handlungen bestehen?
Was diese Profanen Tugend nennen, daß man sein Amt und seinen Beruf regelmäßig
verwalte, einem jeden das Seinige lasse, wohl noch überdies dem Dürftigen
etwas schenke: — diese Tugend werden fernerhin, so wie bisher, die Gesetze
erzwingen, und das natürliche Mitleid dazu
bewegen. Aber zu der wahrhaftigen Tugend, zu dem echt göttlichen, das Wahre
und Gute in der Welt aus Nichts erschaffenden, Handeln, wird sich nie einer
erheben, der nicht im klaren Begriffe, die Gottheit hebend umfaßt; wer
sie aber also erfaßt, wird, ohne allen seinen Dank und Wollen, anders
handeln gar nicht können, denn also.
Auch stellen wir an unsrer Behauptung keineswegs eine neue Lehre über das
Geisterreich auf, sondern dies ist die alte, von aller Zeit her also vorgetragene
Lehre. So macht z. B. das Christentum den Glauben zur ausschließenden
Bedingung des wahrhaftigen Lebens und der Seligkeit, und verwirft alles ohne
Ausnahme, als nichtig und tot, was nicht aus diesem Glauben hervorgehe. Dieser
Glaube aber ist ihm ganz dasselbe, was wir den Gedanken genannt haben: die einzig
wahre Ansicht unsrer selbst, und der Welt, in dem unveränderlichen göttlichen
Wesen. Nur nachdem dieser Glaube, d. h. das klare und lebendige Denken aus der
Welt verschwunden, hat man die Bedingung des seligen Lebens in die Tugend gesetzt,
und so auf wildem Holze edle Früchte gesucht.
Zu diesem, vorläufig im allgemeinen charakterisierten, Leben ist nun hier
insbesondere die Anweisung versprochen: ich habe mich anheischig gemacht, die
Mittel und Wege anzugeben, wie man in dieses selige Leben hineinkomme, und es
an sich bringe. Diese Anweisung läßt sich nun in eine einzige Bemerkung
zusammenfassen: Es ist nämlich dem Menschen keineswegs
angemutet, sich das Ewige zu erschaffen, welches er auch niemals vermögen
würde; dasselbe ist in ihm, und umgibt ihn unaufhörlich: der Mensch
soll nur das Hinfällige und Nichtige, mit welchem das wahrhaftige Leben
nimmer sich zu vereinigen vermag, fahren lassen; worauf sogleich das Ewige,
mit aller seiner Seligkeit, zu ihm kommen wird. Die Seligkeit erwerben
können wir nicht, unser Elend aber abzuwerfen vermögen wir, worauf
sogleich durch sich selber die Seligkeit an desselben Stelle treten wird. Seligkeit
ist, wie wir gesehen haben, Ruhen und Beharren in dem Einen: Elend ist, Zerstreutsein
über dem Mannigrfaltigen und Verschiedenen; sonach ist der Zustand des
Seligwerdens die Zurückziehung unserer Liebe aus dem Mannigfaltigen auf
das Eine.
Das, über das Mannigfaltige Zerstreute, ist zerflossen, und ausgegossen,
und umhergegossen, wie Wasser; ob der Lüsternheit, dieses und jenes und
gar mancherlei, zu lieben, liebt es nichts; und weil es allenthalben zu Hause
sein möchte, ist es nirgends zu Hause. Diese Zerstreutheit ist unsre eigentliche
Natur, und in ihr werden wir geboren. Aus diesem Grunde nun erscheint die Zurückziehung
des Gemüts auf das Eine, welches der natürlichen Ansicht nimmer kommt,
sondern mit Anstrengung hervorgebracht werden muß, als Sammlung
des Gemütes, und Einkehr desselben
in sich selber: und als Ernst, im Gegensatze
des scherzenden Spiels, welches das Mannigfaltige des Lebens mit uns treibt,
und als Tiefsinn, im Gegensatze des leichten
Sinns, der, indem er vieles zu fassen hat, nichts festiglich faßt. Dieser
tiefsinnende Ernst, diese strenge Sammlung des
Gemüts, und Einkehr zu sich selber, ist die einzige Bedingung, unter welcher
das selige Leben an uns kommen kann; unter dieser Bedingung kommt es aber auch
gewiß und unfehlbar an uns.
Allerdings ist es wahr, daß, durch diese Zurückziehung unsers Gemüts
von dem Sichtbaren, die Gegenstände unsrer bisherigen Liebe uns verbleichen,
und allmählich schwinden, so lange, bis wir sie in dem Äther der neuen
Welt, die uns aufgeht, verschönert wiedererhalten; und daß unser
ganzes altes Leben abstirbt, so lange, bis wir es als eine leichte Zugabe des
neuen Lebens, das in uns beginnen wird, wieder bekommen. Doch ist dies das,
der Endlichkeit nie abzunehmende, Schicksal; nur durch den Tod hindurch dringt
sie zum Leben. Das Sterbliche muß sterben, und nichts
befreit es von der Gewalt seines Wesens; es stirbt in dem Scheinleben immerfort;
wo das wahre Leben beginnt, stirbt es, dem Einen Tode, für immer, und für
alle die Tode in die Unendlichkeit hinaus, die im Scheinleben seiner erwarten.
Erste Vorlesung, S.5-23
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre,
Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg
Alle Menschen
können zur Erkenntnis Gottes kommen
Was nun zuvörderst die Möglichkeit anbetrifft, so weiß ich in
der Tat nicht, ob es irgendeinem Philosophen, oder ob insbesondere mir, es jemals
gelungen ist, oder jemals gelingen wird, solche, welche die Philosophie systematisch
studieren, nicht wollen, oder nicht können, auf dem Wege des populären
Vortrages, zum Verständnisse ihrer Grundwahrheiten zu erheben. Dagegen
aber weiß ich, und erkenne ich, mit absoluter Evidenz, folgende zwei Wahrheiten.
Die erste: so jemand nicht zur Einsicht jener Elemente aller Erkenntnis, —
deren künstliche und systematische
Entwickelung allein, keineswegs aber Ihr Inhalt, ein Eigentum der
wissenschaftlichen Philosophie geworden — so jemand, sage ich, nicht zur
Einsicht jener Elemente aller Erkenntnis kommt, so kommt derselbe auch nicht
zum Denken, und zur wahren innern Selbständigkeit des Geistes, sondern
er bleibt anheim gegeben dem Meinen, und ist, alle die Tage seines Lebens hindurch,
gar kein eigner Verstand, sondern nur ein Anhang zu fremdem Verstande; es mangelt
ihm immerfort ein geistiges Sinnorgan, und zwar das edelste, welches der Geist
hat. Daß daher die Behauptung: es sei weder möglich noch ratsam,
diejenigen, welche die Philosophie nicht systematisch zu studieren vermöchten,
auf einem andern Wege zur Einsicht in das Wesen der geistigen Welt zu erheben,
gleichbedeutend sein würde mit der folgenden: es sei unmöglich, daß
jemand, der nicht schulmäßig studiere, je zum Denken komme, und zur
Selbständigkeit des Geistes; indem die Schule allein, und nichts außer
ihr, die Erzeugerin und Gebärerin des Geistes sei, oder, falls es ja möglich
wäre, so wäre es nicht ratsam, die Ungelehrten je geistig frei zumachen,
sondern diese müßten stets unter der Vormundschaft der vermeinten
Philosophen und ein Anhang zu ihrem souveränen Verstande bleiben. —
Übrigens wird gleich zu Anfange der, nächstkünftigen Vorlesung,
der hier in Anregung gebrachte Unterschied, zwischen eigentlichem Denken, und
bloßem Meinen, völlig ins reine und klare kommen.
Zweitens weiß, und erkenne ich, mit derselben Evidenz, folgendes: daß
man nur durch das eigentliche, reine und wahre Denken, und schlechthin durch
kein anderes Organ, die Gottheit und das aus ihr fließende selige Leben,
ergreifen, und an sich bringen könne; daß daher die angeführte
Behauptung der Unmöglichkeit, die tiefere Wahrheit populär vorzutragen,
auch gleichbedeutend ist, mit der folgenden: nur durch systematisches Studium
der Philosophie könne man sich zur Religion und zu ihren Segnungen erheben,
und jeder, der nicht Philosoph sei, müsse ewig ausgeschlossen bleiben von
Gott, und seinem Reiche. Alles, ehrwürdige Versammlung, kommt bei diesem
Beweise darauf an, daß der wahre Gott, und die wahre Religion, nur durch
reines Denken ergriffen werde, bei welchem Beweise diese unsere Vorträge
gar oft verweilen, und ihn von allen Seiten zu führen suchen werden. —
Nicht darin besteht die Religion, worin die gemeine Denkart sie setzt, daß
man glaube, — dafür halte,
und sich gefallen lasse, weil man nicht den Mut hat, es zu leugnen, auf Hörensagen,
und fremde Versicherung hin: es sei ein Gott; denn dies ist eine abergläubische
Superstition, durch welche höchstens eine mangelhafte Polizei ergänzt
wird, das Innere des Menschen aber so schlecht bleibt, als vorher, oft sogar
noch schlechter wird; weil er diesen Gott sich bildet nach seinem Bilde, und
ihn verarbeitet, zu einer neuen Stütze seines Verderbens. Darin
besteht die Religion, daß man, in seiner eigenen Person, und nicht in
einer fremden, mit seinem eigenen geistigen Auge, und nicht durch ein fremdes,
Gott unmittelbar anschaue, habe und besitze. Dies aber ist nur durch das reine
und selbstständige Denken möglich; denn nur durch dieses wird man
eine eigene Person; und dieses allein ist das Auge, dem Gott sichtbar werden
kann. Das reine Denken ist selbst das göttliche Dasein; und umgekehrt,
das göttliche Dasein in seiner Unmittelbarkeit ist nichts anderes, denn
das reine Denken.
Auch ist, die Sache historisch genommen, die Voraussetzung, daß schlechthin
alle Menschen, ohne Ausnahme, zur Erkenntnis Gottes kommen
können, sowie das Bestreben, alle zu dieser Erkenntnis zu erheben,
die Voraussetzung, und das Bestreben, des Christentums; und, da das Christentum
das entwickelnde Prinzip, und der eigentliche Charakter der neuen Zeit ist,
ist jene Voraussetzung, und jenes Bestreben, der eigentliche Geist der Zeit
des neuen Testaments. Nun bedeutet: alle Menschen, ohne Ausnahme, erheben zur
Erkenntnis Gottes, — oder, die tiefsten Elemente und Gründe der Erkenntnis,
auf einem andern Wege, als dem systematischen, an die Menschen bringen, ganz
und genau dasselbe. Es ist darum klar, daß jeder, der nicht zurückkehren
will in die alte Zeit des Heidentums; die Möglichkeit sowohl, als die unerläßliche
Pflicht, zugeben muß, die tiefsten Gründe der Erkenntnis, auf einem
gemeinfaßlichen Wege, an die Menschen zu bringen. Zweite
Vorlesung, S.27-29
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre,
Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg
Der
Mensch ist nicht zum Elend bestimmt
Meine Meinung ist: der Mensch sei nicht zum Elende bestimmt, sondern es könne
Friede, Ruhe, und Seligkeit ihm zuteil werden, — schon hienieden, überall
und immer, wenn er nur selbst es wolle; doch könne diese Seligkeit durch
keine äußere Macht, noch durch eine Wundertat dieser äußern
Macht, ihm angefügt werden, sondern er müsse sie selber, mit seinen
eigenen Händen, in Empfang nehmen. Der Grund allen
Elendes unter den Menschen, sei ihre Zerstreutheit in dem Mannigfaltigen, und
Wandelbaren; die einzige und absolute Bedingung des seligen Lebens, sei die
Erfassung des Einen und Ewigen, mit inniger Liebe, und Genusse: wiewohl
dieses Eine, freilich nur im Bilde erfaßt, keineswegs aber wir selber,
in der Wirklichkeit, zu dem Einen werden, noch in dasselbe uns verwandeln können.
Diesen, soeben ausgesprochenen, Satz selbst nun wollte ich fürs erste,
an Ihre klare Einsicht bringen, und Sie von der Wahrheit desselben überzeugen.
— Wir beabsichtigen hier Belehrung und Erleuchtung, welche allein auch
dauernden Wert hat; keineswegs eine flüchtige Rührung, und Erweckung
der Phantasie, welche größtenteils spurlos vergeht. Zu Erzeugung
dieser beabsichtigten klaren Erkenntnis, gehören nun folgende Stücke:
Zuerst, daß man das Sein begreife, als schlechthin
von und durch sich selber seiend; als Eins, und als in sich unwandelbar, und
unveränderlich.
Diese Erkenntnis des Seins ist nun keineswegs ein ausschließendes Eigentum
der Schule, sondern jedweder Christ, der nur in seiner Kindheit eines gründlichen
Religionsunterrichts genossen, hat schon damals, bei der Erklärung des
göttlichen Wesens, — unsern Begriff vom Sein erhalten. Zweitens,
gehörte zu dieser Einsicht die Erkenntnis, daß
wir, die verständigen Wesen, in Rücksicht dessen, was wir an
uns selbst sind, keineswegs jenes absolute Sein sind,
aber denn doch in der innersten Wurzel unsers Daseins
mit ihm zusammenhingen, indem wir außerdem gar nicht vermöchten,
dazusein. Diese letztere Erkenntnis kann nun, besonders in Rücksicht des
Wie dieses unsers Zusammenhanges mit der Gottheit, mehr oder minder klar sein.
Wir haben dieselbe in der höchsten Klarheit, in welcher sie unsers Erachtens
populär gemacht werden kann, also hingestellt: —
Es ist, außer Gott, gar nichts wahrhaftig, und in der eigentlichen Bedeutung
des Wortes, da, denn — das Wissen: und dieses Wissen ist das göttliche
Dasein selber, schlechthin und unmittelbar, und inwiefern Wir das Wissen sind,
sind wir selber in unserer tiefsten Wurzel das göttliche Dasein.
Alles andere, was noch als Dasein uns erscheint, — die Dinge, die Körper,
die Seelen, wir selber, inwiefern wir uns ein selbständiges
und unabhängiges Sein zuschreiben, — ist gar nicht
wahrhaftig, und an sich da; sondern, es ist nur da, im Bewußtsein
und Denken, als Bewußtes, und Gedachtes, und durchaus auf keine
andere Weise. Dies, sage ich, ist der klarste Ausdruck, in welchem, meines Erachtens,
jene Erkenntnis populär an die Menschen gebracht werden kann. Falls nun
aber etwa jemand selbst dies nicht begreifen könnte; ja, falls er etwa
über das Wie jenes Zusammenhanges gar nichts zu denken, oder zu begreifen
vermöchte, so würde ihn dies noch gar nicht vom seligen Leben ausschließen,
oder daran ihm Abbruch tun. Dagegen aber gehört, meiner absoluten Überzeugung
nach, zum seligen Leben notwendig folgendes:
1. Daß man überhaupt stehende Grundsätze, und Annahmen über
Gott, und unser Verhältnis zu ihm habe; die nicht bloß, als ein auswendig
Gelerntes, ohne unsere Teilnahme, im Gedächtnisse schweben, sondern die
da für uns selber wahr, und in uns selber lebendig
und tätig sind. Denn darin eben besteht die Religion: und wer nicht
solche Grundsätze auf eine solche Weise hat, der hat eben keine Religion;
und eben darum auch kein Sein, noch Dasein, — noch wahrhaftiges Selbst
in sich, sondern er fließet nur ab, wie ein Schatten, am Mannigfaltigen,
und Vergänglichen.
2. gehöret zum seligen Leben: daß diese lebendige Religion wenigstens
so weit gehe, daß man von seinem eignen Nichtssein, und von seinem Sein
lediglich — in Gott, und durch Gott, — innigst überzeugt sei,
daß man diesen Zusammenhang stets und ununterbrochen, wenigstens fühle,
und daß derselbe, falls er auch etwa nicht deutlich gedacht, und ausgesprochen
würde, dennoch die verborgene Quelle, und
der geheime Bestimmungsgrund aller unserer Gedanken,
Gefühle, Regungen, und Bewegungen sei. —
Daß dies zu einem seligen Leben unerläßlich erfordert werde,
ist unsere absolute Überzeugung, sage ich; und diese Überzeugung sprechen
wir aus für solche, welche die Möglichkeit eines seligen
Lebens schon voraussetzen; welche seiner, oder der Bestärkung in
ihm, bedürfen, und darum eine Anweisung dazu zu vernehmen begehren. Dessen
ohnerachtet können wir nicht nur sehr wohl leiden, daß jemand ohne
Religion, und ohne wahres Dasein, ohne innere Ruhe, und Seligkeit sich behelfe,
und ohne sie, vortrefflich durchzukommen versichere, wie wahr sein kann: sondern
wir sind auch erbötig, einem solchen alle mögliche Ehre und Würdigkeit,
welche er ohne die Religion an sich zu bringen vermag, zuzugestehen, zu gönnen,
und zu lassen. Wir bekennen bei jeder Gelegenheit freimütig, daß
wir weder in der spekulativen Form, noch auch in der populären, irgendeinen
zu zwingen, und unsere Erkenntnis ihm aufzunötigen, vermögen; noch
würden wir das wollen, wenn wir es auch könnten.
Das bestimmteste Resultat unserer vorigen Vorlesung, an welches wir heute anzuknüpfen
gedenken, war dieses: Gott Ist nicht nur, innerlich und
in sich verborgen; sondern er ist auch Da, und äußert sich; sein
Dasein aber unmittelbar ist notwendig Wissen, welche letztere Notwendigkeit
im Wissen selber sich einsehen läßt. In diesem seinem Dasein, ist
er nun — wie gleichfalls notwendig ist, und einzusehen ist, als notwendig
— also da, wie er schlechthin in sich selber ist; ohne irgend sich zu
verwandeln, auf dem Übergange vom Sein, zum Dasein, ohne eine zwischen
beiden liegende Kluft, oder Trennung, oder des etwas. Gott
ist innerlich in sich selbst Eins, nicht mehrere; er ist in sich selbst Einerlei,
ohne Veränderung, noch Wandel; da er nun Da ist, gerade also, wie
er in sich selber Ist, so ist er auch da als Eins, ohne Veränderung, noch
Wandel; und da das Wissen, oder — Wir, — dieses
göttliche Dasein selbst sind, so kann auch in Uns, inwiefern wir dieses
Dasein sind, keine Veränderung, oder Wandel, kein Mehreres, und Mannigfaltiges,
keine Trennung, Unterscheidung, noch Zerspaltung, stattfinden. — So muß
es sein, und es kann nicht anders sein: darum ist es also. Vierte
Vorlesung, S.58-61
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre,
Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg
Das unerforschliche
Geheimnis des undurchdringlichen göttlichen Lichtes
Nach dem, was wir bisher ersehen, besteht die Seligkeit
in der Vereinigung mit Gott, als dem Einen, und
absoluten. Wir aber sind in unserm unaustilgbaren Wesen nur Wissen, Bild, und
Vorstellung; und selbst, in jenem Zusammenfallen mit dem Einen, kann jene unsere
Grundform nicht verschwinden. Selbst in diesem unserm Zusammenfallen mit ihm,
wird er nicht unser eigenstes Sein selber, sondern er schwebt uns nur vor, als
ein fremdes, und außer uns befindliches, an das wir lediglich uns hingeben,
und anschmiegen, in inniger Liebe; er schwebt uns vor, an sich als gestaltlos,
und gehaltlos, für sich keinen bestimmten Begriff oder Erkenntnis von seinem
innern Wesen gehend, sondern nur als dasjenige, durch welches wir uns, und unsre
Welt, denken, und verstehen. Auch nach der Einkehrung in ihn, geht die Welt
uns nicht verloren; sie erhält nur eine andere Bedeutung; und wird,, aus
einem für sich selbständigen Sein, für welches wir vorher sie
hielten, lediglich zur Erscheinung und Äußerung des in sich verborgenen
göttlichen Wesens, in dem Wissen. — Fassen Sie dieses noch einmal
im Ganzen also zusammen. Das göttliche Dasein, - sein Dasein, sage ich,
der früher gemachten Unterscheidung zufolge, seine Äußerung
und Offenbarung, - ist schlechthin durch sich, und schlechthin
notwendig Licht: das inwendige nämlich,
und das geistige Licht. Dieses Licht, - sich selbst überlassen bleibend,
- zerstreut und zerspaltet sich in mannigfaltige und in unendliche Strahlen,
und wird auf diese Weise, in diesen einzelnen Strahlen, sich selber und seinem
Urquelle entfremdet. Aber dasselbe Licht vermag auch durch sich selbst aus dieser
Zerstreuung sich wieder zusammenzufassen und sich als Eines zu begreifen, und
sich zu verstehen als das, was es an sich ist, als - Dasein und Offenbarung
Gottes; bleibend zwar auch in diesem Verstehen das, was es in seiner
Form ist - Licht; doch über in diesem Zustande, und vermittelst dieses
Zustandes selber, sich deutend als nichts Reales für
sich, sondern nur als Dasein und Sichdarstellung Gottes.
Fünfte Vorlesung, S.72-73
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre,
Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg
Das Absolute stellt sich im wirklichen Lichte ein, als das absolut
Undurchdringliche, d.h. als das, an welchem
alles Licht sich vernichtet: — Das absolut wirkliche Licht aber ist das
sich selbst schlechthin undurchdringliche, und nicht in einem weiteren Akt aufzulösende
Licht: die absolute aus sich Projektion nämlich per hiatum impenetrabilem
(das erste war nur die Form. In der Wirklichkeit
der an sich Gebundenheit gibt es die Sache:)..
Dieses projiziert es nun eben so wie jenes in der Form des Ersehens,
d.h. der Verstandes-Form, absolute; darum
eine unendliche Aufgabe: — synthesiert mit der Form der
Selbstständigkeit des Ich: daher die Welten über Welten.
Nur das Ich wird noch inkommodieren. Die Unerforschliche
Wurzel in diesem Objekte ist nun wirklich Gott selber, wie er an sich ist: und
diese seine Projektion in der Lichtform ist unmittelbar seine Existenz,
oder Existential-Akt (nicht innerhalb
des Lichtes, sondern durch das Licht selber). Es wird dadurch klar,
daß die Wissenschaftslehre (W.L.) auch in der Form ihres Vortrages von
der Analyse des Lichtes, und der Vernichtung seiner Form ausgehen müsse.
S.58f. […]
Das Licht ist die göttliche Existenz selbst,—
wie wir vom Lichte aufsteigend erkennen; vielmehr aber, wie wir nun einsehen:
die göttliche Existenz ist das Licht: und dies zwar also: das Licht ist
nicht an sich, die göttliche Existenz selber, insofern wir eine solche
Existenz noch späterhin zugeben werden; sondern es ist nur die Form, der
absolut notwendige modus existendi der göttlichen
Existenz: erwiesen aus dem als.
Eine Theorie des Wissens oder des Lichts wäre daher, da hier die Folge
eintritt, möglich, und sie enthält:
1.). was aus dem Lichte als solchem folge
2) was daraus, daß es nicht an sich Licht, sondern die göttliche
Existenz folge.
3.). da im wirklichen Sein beides schlechthin unabtrennlich ist, in einer organischen
Einheit des Daseins, musste das wirkliche Sein aus dem Begriffe dieser organischen
Einheit beider abgeleitet werden.—.
Beides daher zu vereinen, beides auch rein abzusondern.
Da standen wir: ich erkläre jetzt bestimmt, wie ich in der letzten Stunde
schon andeutete, daß wir noch immer nicht beim reinen Grundbegriffe des
Wissens angekommen sind; noch aufzusteigen haben. Dies zeigte sich in der letzten
Stunde also: Das Absolute war selbst Glied einer Relation, mithin gar nicht
Absolutes: — sonach wäre das Licht im Lichte selber durchaus nicht
das, wofür wir es ausgaben, — Existenz des Göttlichen oder Absoluten,
sondern es wäre nur Existenz irgendeines relativen Seins. Nur dürfte
es wohl sein, dass für das in sich selber bleibende Licht es nie anders
ausfallen könnte: eine wirkliche Erzeugung des Wissens in seiner Wurzel
- und eine wahrhaft innere Wahrheit - gibt dieser Widerspruch zwischen dem,
was wir sagen, und dem worauf wir uns ergreifen in keinem Falle; und sicher
folgt dies: für eine Erzeugung des Wissens in seinem wahren Wesen muss
das Licht nicht in sich selber bleiben, sondern es muß ein Mittel finden
aus sich selbst herauszugehen.— Wir unseres Ortes wollen zunächst
sehen, ob wir dieses Herausgehen faktisch vollziehen können, wodurch desselben
Möglichkeit bewiesen sein würde: die Deduktion der absoluten Notwendigkeit
uns vorbehaltend.—
Es würde hierdurch, welches ich ausdrücklich anmerke, und Sie es zu
merken ersuche, damit wir nicht das vorher schon gewonnene wieder verlieren,
und es mit neuem Zeitverluste wieder erwerben müssen — der eigentliche
Punkt der Anknüpfung des wirklichen im Wissen gefunden. War ein Wechsel-Punkt
zwischen Wesen, u. Form: unser dermaliges Vorhaben geht darauf aus die Form
in der Form völlig zu vernichten, was nur am Wesen möglich ist, also
den eigentlichen und höchsten Wechselbestimmungs-Punkt zwischen beiden
aufzustellen.
Steigen wir — wir selber uns ändernd
— also auf, auf eine sehr leichte Weise: das absolute als absolutes (nicht
material, sondern formal zu verstehen,) wollen wir ergreifen: und zwar keinesweges
in seinem innern Sein, was uns wohl durchaus unmöglich
sein dürfte ohne es selbst zu werden, sondern in seiner Existenz.
Nun ist es offenbar also nur anzutreffen unmittelbar im
Existieren, als kräftiges Leben, denn nur in dem ist es noch selber;
in der Existenz, als abgeschlossenem Akte, ist es schon erloschen und lediglich
noch in seinem Repräsentanten; es selber - in seiner unmittelbaren Anwesenheit
- ist ruhend und tot—. Woran erkennen wir nun die Existenz, in der letzten
Bedeutung? Es gibt eine Form, einen Halter und Träger
dieses Daseins, ohne welchen dieses Dasein nicht, und er nicht ohne dieses Dasein
ist; diese Form ist das Licht in seinem eignen, in sich selber ruhenden und
selbstständigen Dasein. Wo dies ist, da ist die unmittelbare Gegenwart
Gottes erloschen. Woran erkennt man ferner, dass dieses ist? Antwort: Wo
es ist, da lebt und waltet es, es erfolgt etwas aus ihm, das als seine
Folge sich erkennen läßt. Allgemeinverständlicher
ausgedrückt: wo im Objekte unseres Denkens irgendein Produkt des immanenten
Denkgesetzes sich erblicken lässt, da ist das Absolute nicht rein, sondern
es ist nur in seinem Repräsentanten, dem Denken, und mit Ingredienzien
daraus verwachsen.
Sonach ist das unmittelbare Existieren Gottes, in welchem allein wir ihn erfassen
können, keinesweges das Licht in seinem Sein; oder — es ist in dem
seienden Lichte: das ist die Existenz
— sondern es ist das Licht in seinem absoluten
Werden: — Gott existiert nicht im Lichte; dasselbe in seinem
Sein - neben sein Existieren, und mit ihm wechselbestimmend setzend - wie wir
in der letzten Stunde allerdings es angenommen, und es recht sorgfältig
auseinander gesetzt haben — denn in dieser Wechselbestimmung hört
das Existieren auf Existieren zu sein, und wird Existenz — sondern Gott
existiert als Licht; und zwar als absolutes, sich selbst schlechthin
erzeugendes Licht. Nicht in, sondern
als — Sein
Existieren ist Erzeugen des Lichtes.— Absolute, sage ich; nicht
in ihm selber, welches ja das Licht voraussetzt.
Bisher, vernichtet sich, erzeugt sich;
ja oben darüber stehend, und unvermerkt aus sich selbst das Gesetz, welches
es ausspricht, hergebend, z.B. die Relation,
das Durch, wodurch nur eben, als ein nicht
aufgegebnes Gesetz, über dessen Nichtaufgeben wir uns hinterher historisch
ergriffen, das absolute seine Absolutheit verlor:— Dass wir sagten, wir
könnten nicht anders sehen, kam in der Tat daher, daß wir eben nichts
anderes sahen. Darum war die Folge klar.—
Dort war Täuschung mit der Genesis.
Gehen wir jetzt, ganz kunstmäßig, nach den mir bekannten Regeln der
Kunst des transzendentalen Denkens: Haben
wir dieses nur jetzt eingesehen, dass das Absolute durchaus nur in sei-nem unmittelbaren
Existieren - als erzeugend Absolute - das Licht, vor allem Sein desselben gefasst
werden müsse? Haben wir es nicht in dieser Einsicht, und falls wir es eingesehen
haben, wirklich also gefasst? Denken Sie: Das Absolute in seinem Existieren,
absolut erst Quell des Lichts, als Einen in sich
geschlossnen Gedanken: ist denn in diesem Gedanken
das Licht vorausgesetzt, oder ist nicht
vielmehr diese Voraussetzung durchaus vernichtet und aufgehoben? So im reinen
Gedanken. Jetzt aber besinnen wir uns doch auf uns selber: sind es denn nicht
wir, die diesen Gedanken gedacht haben; haben wir nicht das Absolute objektiviert,
und projiziert, was ja - als sehen - Produkt
des stehenden Lichts ist; ihn intelligiert, ausdrücklich, als Absolutes,
und ihn darum also bestimmt: Kurz trägt er nicht in seiner ganzen Gestalt
ganz deutlich die Merkmale seiner Erzeugung aus dem anwesenden,
und waltenden Lichte, nach seiner ganzen Gesetzgebung.— Es ist
daher durchaus und ganz die schon oben zu Stande gebrachte täuschende Genesis
des Lichts in sich selber: Nur wiederholt, und zweimal gesetzt. Das mit ihm
gefasste Absolute ist nicht absolut, sondern selbst ein Relationsglied, projiziert
aus dem Lichte, als der stehenden Relation. Wir sind nicht weitergekommen, und
nicht zu dem absoluten.— S.60ff. […]
Ich frage zunächst, welches ist denn nun der Unterschied zwischen dem blinden
Nichtreflektieren, was ein Absolutes gibt, das kein absolutes ist, und dem Setzen
und stehen lassen der absoluten Reflektierbarkeit, doch aber dem Scheine, den
sie sich gibt, als Schöpferin des absoluten, nicht glauben. Ist, zufolge
der Einsicht im Glauben, auf welcher wir als unserm Standpunkte stehen bleiben,
und hieraus erklären, das absolute, als absolutes in seinem unmittelbaren
Existieren Erzeugen des Lichts, so ist es auch Erzeugen alles dessen, was in
ihm vorkommt; und so auch Erzeuger der täuschenden, und kein eigentliches
absolutes gebenden Ansicht des Absoluten. Nun ist dies auf diesem Standpunkte
die höchste Einsicht: Ihr Grund aber, der nicht gesehen, und als solcher
nicht eingesehen wird, liegt jenseits ihrer: und wir hätten hier ein absolut
nur wirkendes, und schlechthin wirkendes
Prinzip der Einsicht jenseits der Einsicht, einen verborgnen, und hier im Lichte
durchaus nicht aufgehenden Grund des Lichtes, und dessen, was in
ihm ist. Realität:sei
dies vorläufig ihr stehender Charakter.
Nun geht der Anerkenntnis der absoluten Reflektierbarkeit die Einsicht auf,
dass nicht das Absolute, als Absolutes, sondern daß das Licht selber Erzeuger
dieser Einsicht, also das darin verborgne Reale sei: welche Einsicht auf dieser
Stelle (merken Sie wohl,) durch den Glauben keinesweges aufgehoben, und vernichtet,
sondern zugestanden wird, und in diesem Geständnis allein Bedingung des
Glaubens ist. Dagegen geht dem Glauben das Absolute als solches (das rechte
wahre Absolute) auf, als Erzeuger, nicht jenes, sondern dieses andren Lichtes,
in welchem es selbst schwimmt. Dort war daher etwas nicht aufgegangen, in der
absoluten Lichtform, dem als;
es war konkretisiert, und dunkel, und dadurch wurde es
Realität / eben das verdunkelte Absolute:— welches nun
die Realität selbst sein würde, und Dunkelheit ihre absolute Bedingung.
In der von uns erzeugten Einsicht aber
- Sie versetzen sich wieder hinein rein in den Gedanken - geht alles durchaus,
und schlechthin auf in der absoluten Lichtform des
als. In ihr erst und durch sie ist das Absolute Erzeuger, nicht
dieser Einsicht, sondern des in ihr eingesehenen Lichts; und wenn sie in dieser
Rücksicht das Prinzipseiende Absolute die Realität nennen
wollen, die Realität ist im Lichte,
und ist in ihm Prinzip des in ihm seienden Lichtes. Sie ist aber keinesweges
Prinzip des absoluten Lichts, welches ohne alle Anwendung des Grundes, und der
Folge, des Prinzips und Prinzipiats durchaus mit dem Absoluten, und dieses mit
ihm aufgeht. Die Realität erscheint als bloßes Produkt der Dunkelheit,
verschwindend in vollkommner Klarheit, d.i.
dem Aufgehen des Lichts mit dem Absoluten als absoluten, welche vollkommne Klarheit
allerdings möglich ist, denn wir haben sie in der vorigen Stunde, und in
diesem Augenblicke wieder wirklich gemacht.
Vorläufig; gesetzt nun, wir müssten dennoch, nicht weil wir wollen,
welche Willkür in den Prinzipien der Philosophie nicht statt findet, und
nicht etwa durch den abgeleiteten Glauben herbeigeführt sein soll, ein
Reales haben, gesetzt es bliebe ferner bei der von uns aufgestellten Beschreibung
der Realität, daß sie durchaus sei eine Dunkelheit
im Lichte, ein nicht Aufgehen in der absoluten Lichtform. (Irrationalität)
so würde die Ableitung der Realität einerlei sein mit dem Beweise
der Notwendigkeit, dass das Licht durchaus nicht in sich selber aufgehe, oder
daß ihm ein Unbegreifliches, nicht intelligibles,
übrig bleibe. Wo dürfte in unserem Systeme die Stelle einer solchen
Beweisführung liegen: Erinnern sie sich an den Schein, der aus der Anerkenntnis
der absoluten Reflektierbarkeit hervorging pp und der nur durch den Glauben,
der dem Schein zuwider jener Einsicht frei sich hingibt, niedergeschlagen wurde
und erklären sie diesen Glauben.
Dies wird, auf eine sehr einleuchtende, und stringente Weise (deren Erfassung
nur eine selbst bisher noch nicht geforderte Schärfe des Denkens erfordert):—
Ich beschuldige nämlich mich selbst, und Sie insgesamt, dass wir selbst
die von uns zu Stande gebrachte Einsicht des Absoluten nicht scharf genug angesehen
haben: Sichtbar ist in ihr nicht nur enthalten das Absolute als Absolutes, sondern
zugleich als Grund. Das Licht in seiner
absoluten Form, über und an dem Absoluten als absoluten; bringt daher schlechthin
aus sich, u. durch sich den Grund mit (den wir oben, nicht scharf attentierend
vernichten wollten:) W.D.E.W.
Was haben wir eingesehen:
Das göttliche Existieren ist das Licht selbst schlechthin unmittelbar;
ferner das Licht ist Grund sein: das göttliche Existieren ist
daher schlechthin unmittelbar sein Grundsein; außer allem Lichte,
denn sein Grundsein ist eben das Licht. Dem Lichte unzugänglich,
denn hierin allein ist es absolut, und unerforschlich: lediglich anzuerkennen,
wie wir es dermalen anerkannt haben. (Grund, nicht
denkend, sondern er ists. Wir selbst die
W.L., sollen nicht mehr wie bisher von der Vernichtung des Scheines, und dem
Glauben nur reden, sondern wir sollen damit selbst Ernst machen; ein durch
setzen, ohne durch.) Innerhalb
dieses absoluten Lichtes erst erscheint, nach der oben vollzognen Einsicht,
erst das absolute, als solches, und als
Grund. Diese Einsicht ist daher nichts anderes, als das absolute
Intelligieren des Wesens des Lichtes, wie es in sich selbst ist: nur
der zweite Teil dazu, und das aus der zweiten Hand: freilich das absolute, und
unerzeugte Intelligieren.
Jenes erste; sein absolutes Durch sein, d.i. Prinzip
sein, ist sein unmittelbares Existieren, welches,
als ein absolutes und in sich geschlossnes durch zugleich
Existenz ist. In diesem ist er wahrhaftig als
Licht (nicht in ihm selber, sondern für uns, die wir nachher
dazu kommen, und es uns erklären: woher dies wieder möglich sei und
wer diese Wir sind, davon habe ich tiefer unten Rechenschaft zu geben). Die
Einsicht ist nur sein Existieren, als
existieren, in der in sich selber aufgehenden Form des Intelligierens:
und alles Existieren, wovon wir bisher gesprochen haben, war nur dies: darüber
uns nun verstehend können wir sagen: er existiert nur
im Lichte, in seinem eignen kräftigen
Durch: als Licht, und als Lichtquell. Dasselbe, was wir im Gegensatze
des Scheins, der uns nun freilich verschwunden ist, Glaube nannten, ist sein
unmittelbares durch, Leben, und existieren.
Dieses nun intelligiert sich notwendig, weil es Licht
ist: in diesem Intelligieren kehrt nun das absolute in sich selber, in der Form
des Als zurück: und schaut in dieser Form sich selber in seiner
Unmittelbarkeit an, welche Anschauung ja wieder nur der Gegensatz ist zum Intelligieren,
und außer diesem Gegensatze nicht Anschauung
ist, sondern das reine Existieren, und Existenz
nude et simpliciter. S.67ff.
Nach: Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1805, Philosophische Bibliothek
Band 353, Felix Meiner Verlag Hamburg
Im
Anfang war die Weisheit . . .
Im Anfange war das Wort,
der Logos, im Urtexte; was auch hätte
übersetzt werden können, die Vernunft,
oder, wie im Buche der Weisheit beinahe derselbe Begriff bezeichnet wird, die
Weisheit: was aber unseres Erachtens durch den Ausdruck: Wort, der auch
in der allerältesten lateinischen Uebersetzung, ohne Zweifel auf Veranlassung
einer Tradition der Johanneischen Schüler, also vorkommt, am treffendsten
übersetzt ist. Was ist nun, der Absicht des Schriftstellers nach, dieser
Logos oder dieses Wort? Vernünfteln wir doch ja nicht über den Aus-druck;
sondern sehen wir lieber unbefangen hin, was Johannes von diesem Worte aussagt:
- die dem Subjekte beigelegten Prädikate, besonders wenn sie diesem Subjekte
ausschließend beigelegt werden, pflegen ja das Subjekt selbst zu bestimmen.
Es war im Anfange, sagt er; es war bei Gott; Gott selbst
war es; es war im Anfange bei Gott. Kann deutlicher ausgesprochen werden
dasselbe, was wir früher so ausgesprochen haben: Nachdem, außer
Gottes innerem und in sich verborgenem Sein, das wir zu denken vermögen,
er auch noch überdies da ist, was
wir bloß faktisch erfassen können, so ist er
notwendig durch sein inneres und absolutes Wesen da: und sein, nur durch uns
von seinem Sein unterschiedenes Dasein, ist an sich und in ihm davon nicht unterschieden;
sondern dieses Dasein ist ursprünglich, vor aller Zeit und ohne alle Zeit,
bei dem Sein, unabtrennlich von dem Sein, und selber das Sein: - das Wort im
Anfange, - das Wort bei Gott, - das Wort im Anfange bei Gott, - Gott selbst
das Wort, und das Wort selbst Gott. Konnte schneidender und herausspringender
der Grund dieser Behauptung angegeben werden: in Gott, und aus Gott, wird nichts,
entsteht nichts; in ihm ist ewig nur das Ist,
und was da sein soll, muß ursprünglich bei ihm sein, und muß
er selbst sein, Weg mit jenem verwirrenden Phantasma, - hätte der Evangelist
hinzusetzen können, wenn er viele Worte hätte machen wollen, - weg
mit jenem Phantasma eines Werdens aus Gott, dessen,
was in ihm nicht ist, und nicht ewig und notwendig war; einer Emanation,
bei welcher er nicht dabei ist, sondern sein Werk verlässt; einer
Ausstoßung und Trennung von ihm, die uns in das
öde Nichts wirft, und ihn zu einem willkürlichen und feindseligen
Oberherrn von uns macht.
Dieses - bei Gott Sein nun, nach unserem Ausdrucke
dieses Dasein, wird ferner charakterisiert als Logos oder
Wort. Wie könnte deutlicher ausgesprochen werden, dass es die sich
selbst klare und verständliche Offenbarung und Manifestation, sein geistiger
Ausdruck sei, - dass, wie wir dasselbe aussprachen, das unmittelbare Dasein
Gottes notwendig Bewusstsein, teils seiner selbst, teils Gottes sei; wofür
wir den strengen Beweis geführt haben.
Ist nun erst dies klar, so ist nicht die mindeste Dunkelheit mehr in der Behauptung:
v. 3. »dass alle Dinge durch dasselbige Wort gemacht
sind, und ohne dasselbige nichts gemacht ist, was gemacht ist u.s.w.«
- und es ist dieser Satz ganz gleichgeltend mit dem von uns aufgestellten,
dass die Welt und alle Dinge lediglich im Begriffe, in Johannes Worte, und als
begriffene, und bewusste, - als Gottes Sich-Aussprechen
seiner selbst, - da sind; und dass der Begriff, oder das Wort, ganz allein
der Schöpfer der Welt überhaupt, und, durch die in seinem Wesen liegenden
Spaltungen, der Schöpfer der mannigfaltigen und unendlichen Dinge in der
Welt sei.
In Summa: ich würde diese drei Verse in meiner Sprache also ausdrücken.
Ebenso ursprünglich als Gottes inneres Sein ist sein
Dasein, und das letztere ist vom ersten unzertrennlich, und ist selber ganz
gleich dem ersten: und dieses göttliche Dasein ist in seiner eigenen Materie
notwendig Wissen: und in diesem Wissen allein ist eine Welt und alle Dinge,
welche in der Welt sich vorfinden, wirklich geworden.
Ebenso klar werden nun auch die beiden folgenden Verse. In
ihm, diesem unmittelbaren göttlichen Dasein, war das Leben, der tiefste
Grund alles lebendigen, substantiellen, ewig aber dem Blicke verborgen bleibenden.
Daseins; und dieses Leben ward im wirklichen Menschen Licht, bewusste Reflexion;
und dieses Eine ewige Urlicht schien ewig fort in den Finsternissen der niedern
und unklaren Grade des geistigen Lebens, trug dieselben unerblickt, und erhielt
sie im Dasein, ohne dass die Finsternisse es begriffen. Sechste
Vorlesung, S.91-93
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre,
Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg
Die
ewige Liebe ist die Quelle der Vernunft und die Wurzel der Realität
Das Leben an sich ist Eines, bleibt, ohne alle Wandelbarkeit,
sich selbst gleich, und Ist, da es die vollendete
Ausfüllung der in ihm ruhenden Liebe des Lebens ist, vollendete Seligkeit.
Dieses wahre Leben ist im Grunde allenthalben, wo irgendeine Gestalt,
und ein Grad des Lebens angetroffen wird; nur kann es, durch Beimischung von
Elementen des Todes, und des Nichtseins, verdeckt werden, und sodann drängt
es, durch Qual und Schmerz und durch Abtötung dieses
unvollkommenen Lebens, seiner Entwickelung sich entgegen. Wir haben diese
Entwickelung des wahren Lebens aus dem unvollkommnen, und Scheinleben, womit
es anfangs verdeckt sein kann, mit unsern Augen begleitet; und gedenken heute
dieses Leben einzuführen in seinen Mittelpunkt, und es Besitz nehmen zu
lassen von aller seiner Glorie. Wir charakterisierten in der letzten Rede das
höchste wirkliche Leben — d. h. — da die Wirklichkeit durchaus
in einer Reflexionsform stehen bleibt, die absolut unaustilgbare Form aber der
Reflexion die Unendlichkeit ist, — dasjenige Leben, das in der unendlichen
Zeit abfließet, und das persönliche Dasein des Menschen zu seinem
Werkzeuge gebraucht, und darum als ein Handeln erscheinet — unter der
Benennung der höheren Moralität. Wir mußten freilich gestehen,
daß, wegen der, durch das Reflexionsgesetz unabänderlich
gesetzten Trennung des Einen göttlichen Wesens in mehrere Individuen,
jedes besondern Individuums Handeln nicht umhin könne, einen, von ihm allein
nicht abhängenden Erfolg, außer sich, in der übrigen Welt der
Freiheit, anzustreben; daß jedoch auch durch das Außenbleiben dieses
Erfolgs die Seligkeit dieses Individuums nicht gestört werde, falls es
nur zum wahren Verständnisse dessen, was es eigentlich unbedingt, und zur
Unterscheidung dieses ersten von dem, was es nur unter Bedingung anstrebe, als
zu der eigentlichen Religiosität, sich erhebe. Besonders der letzte Punkt
war es, über welchen ich auf unsere heutige Rede verwies, und in dieser
eine tiefere Erörterung desselben versprach.
Ich vorbereite diese Erörterung durch Erfassung unsers ganzen Gegenstandes
aus seinem tiefsten Standpunkte.
Das Sein — ist da; und das Dasein des Seins ist notwendig Bewußtsein,
oder Reflexion, nach bestimmten, in der Reflexion selber liegenden, und aus
ihr zu entwickelnden, Gesetzen: dieses ist der, von allen Seiten nunmehr sattsam
auseinandergesetzte Grund — unsrer ganzen Lehre. Das
Sein allein ist es, das da Ist in dem Dasein, und durch dessen Seien in ihm
allein das Dasein ist, und das da ewig bleibet
in ihm, wie es in sich selber ist, und ohne dessen Sein in ihm das Dasein
in nichts schwände; niemand zweifelt daran, und niemand, der es nur versteht,
kann daran zweifeln. In dem Dasein aber, als Dasein, oder in der Reflexion,
wandelt schlechthin unmittelbar das Sein seine, durchaus unerfaßbare,
höchstens als reines Leben und Tat, zu beschreibende Form, in ein Wesen,
in eine stehende Bestimmtheit; wie wir uns denn auch über das Sein nie
anders ausgesprochen haben, und nie jemand sich anders darüber aussprechen
wird, als so, daß wir von seinem inneren Wesen redeten. Ob nun gleich
an sich unser Sein ewigfort das Sein des Seins ist, und bleibt, und nie etwas
anderes werden kann, so ist doch das, was wir selbst, und für uns selbst
sind, haben und besitzen, — in der Form unserer Selbst, des Ich, der Reflexion,
im Bewußtsein, niemals das Sein an sich, sondern das Sein,
in unsrer Form, als Wesen. Wie hängt denn nun das, in die Form schlechthin
nicht rein eintretende Sein dennoch mit der Form zusammen? stößt
dieselbe nicht unwiederbringlich aus von sich, und stellt nicht hin ein zweites,
durchaus neues Sein, welches neue, und zweite Sein eben durchaus unmöglich
ist? Antwort: Setze nur statt alles Wie ein bloßes
Daß. Sie hängt schlechthin zusammen: es gibt schlechthin ein
solches Band, welches, höher denn alle Reflexion, aus keiner Reflexion
quellend, und keiner Reflexion Richterstuhl anerkennend — mit und neben
der Reflexion ausbricht. In dieser Begleitung der Reflexion ist dieses Band
— Empfindung; und, da es ein Band ist, Liebe,
und, da es das Band des reinen Seins ist und der Reflexion, die Liebe Gottes.
In dieser Liebe ist das Sein und das Dasein, ist Gott
und der Mensch, Eins, völlig verschmolzen und verflossen (sie ist der Durchkreuzungspunkt
des obengenannten A und B); des Seins Tragen und Halten seiner Selbst in dem
Dasein, ist, seine Liebe zu sich; die wir nur nicht als Empfindung zu
denken haben, da wir sie überhaupt nicht zu denken haben. Das Eintreten
dieses seines sich selbst Haltens neben der Reflexion, d. h. die Empfindung
dieses seines sich selbst Haltens, ist, unsere Liebe zu Ihm; oder, nach der
Wahrheit, seine eigne Liebe zu sich selber, in der Form der Empfindung; indem
wir ihn nicht zu lieben vermögen, sondern nur er
selbst es vermag, sich zu lieben in uns.
Diese, nicht die seinige, noch die unsrige, sondern diese, erst uns beide zu
zweien scheidende, so wie zu Einem bindende, Wechselliebe, ist nun zuvörderst
die Schöpferin unsers oft erwähnten leeren Begriffs eines reinen Seins,
oder eines Gottes. Was ist es denn, das uns hinausführt über alles
erkennbare, und bestimmte Dasein, und über die ganze Welt der absoluten
Reflexion? Unsere, durch kein Dasein auszufüllende, Liebe ist es. Der Begriff
tut dabei nur dasjenige, was er eben allein kann, er deutet, und gestaltet diese
Liebe, rein ausleerend ihren Gegenstand, der nur durch ihn zu einem Gegenstande
wird, von allem, was diese Liebe nicht befriedigt, nichts ihm lassend, als die
reine Negation aller Begreiflichkeit, nebst der ewigen Geliebtheit. Was ist
es denn, das uns Gottes gewiß macht, außer die schlechthin auf sich
selbst ruhende, und über allen, nur in der Reflexion möglichen, Zweifel,
erhabene Liebe? und was macht diese Liebe auf sich selber ruhen, außer
das, daß sie unmittelbar das Sichtragen, und Sichzusammenhalten des Absoluten
selber ist? — Nicht die Reflexion, welche vermöge ihres Wesens sich
in sich selber spaltet, und so mit sich selbst sich entzweit; nein, die
Liebe ist die Quelle aller Gewißheit, und aller Wahrheit, und aller Realität.
Der eben dadurch zu einem inhaltleeren Begriffe ausfallende Begriff von Gott,
deutet die Liebe überhaupt, sagte ich. Im lebendigen Leben hingegen, —
ich bitte dieses zu bemerken, — ist diese Liebe nicht gedeutet, sondern
sie ist, und sie hat, und hält, das Geliebte, keineswegs etwa im Begriffe,
der ihr nie nachkommt, sondern eben un¬mittelbar in der Liebe, und zwar
also, wie es in sich selber ist, weil sie ja nichts anderes ist, als das Sichselbsthalten
des absolu-ten Seins. Dieser — Gehalt und Stoff der Liebe nun —
ist es, welchen die Reflexion des Lebens zuvörderst zu einem stehenden,
und objektiven Wesen macht, sodann, dieses also entstandene Wesen, in die Unendlichkeit
fort, wiederum spaltet, und anders gestaltet, und so ihre Welt erschafft. Ich
frage: was gibt denn für diese Welt, an der die Form des Wesens, und die
Gestalt, offenbar das Produkt der Reflexion sind, den eigentlichen Grundstoff
her? Offenbar die absolute Liebe; die absolute:
— wie Sie nun sagen wollen Gottes zu seinem Dasein;
oder des Daseins zum reinen Gotte. Und was bleibt der Reflexion? —
ihn objektiv hinzustellen, und ins Unendliche fortzugestalten. Aber selbst in
Absicht des letzteren, was ist es, das die Reflexion nirgends stillstehen läßt,
sondern sie unaufhaltsam forttreibt von jedem Reflektierten bei dem sie angekommen
ist, zu einem folgenden, und von diesem zu seinem folgenden? Die unaustilgbare
Liebe ist es, zu dem, der Reflexion notwendig entfliehenden, hinter aller
Reflexion sich verbergenden, und darum notwendig in alle Unendlichkeit hinter
aller Reflexion aufzusuchenden, reinen und realen Absoluten; diese ist es, welche
sie forttreibt durch die Ewigkeit, und sie ausdehnt zu einer lebendigen Ewigkeit.
Die Liebe daher ist höher, denn alle Vernunft, und
sie ist selbst die Quelle der Vernunft, und die Wurzel der Realität, und
die einzige Schöpferin des Lebens, und der Zeit; und ich habe dadurch den
höchsten realen Gesichtspunkt einer Seins- und Lebens- und Seligkeitslehre,
d. i. der wahren Spekulation, zu welchem wir bis jetzt hinaufstiegen, endlich
klar ausgesprochen.
(Endlich, die Liebe, ist, so wie überhaupt Quelle der Wahrheit und Gewißheit,
ebenso, auch die Quelle der vollendeten Wahrheit, in dem wirklichen Menschen
und seinem Leben. Vollendete Wahrheit ist Wissenschaft:
das Element aber der Wissenschaft ist die Reflexion. So wie nun diese letztere
sich selbst klar wird, als Liebe des Absoluten, und
dasselbe, wie sie nun notwendig muß, erfasset, als schlechthin über
alle Reflexion hinausliegend, und derselben, in jeder möglichen Form, unzugänglich,
geht sie erst ein in die reine, objektive Wahrheit; so wie sie eben dadurch
allein auch fähig wird, die Reflexion, die sich ihr vorher noch immer mit
der Realität vermischte, rein auszuscheiden, und aufzufassen, und, alle
Produkte derselben an der Realität, erschöpfend aufzustellen, und
so, eine Wissenslehre zu begründen. — Kurz, die, zu
göttlicher Liebe gewordne, und darum in Gott sich selbst rein vernichtende,
Reflexion, ist der Standpunkt der Wissenschaft; welchen ich, bei dieser schicklichen
Gelegenheit, im Vorbeigehen mit angeben wollte.)
Um dies in einer leicht zu behaltenden Form Ihnen zu geben, und an schon Geläufiges
anzuknüpfen! — Schon zweimal haben wir die Johanneischen Worte: Im
Anfang war das Wort usw., in unsern, im unmittelbaren Gebrauche befindlichen
Ausdruck, umgesetzt: Zuerst also: im Anfange, und schlechthin bei dem Sein,
war das Dasein: Sodann, nachdem wir die mannigfaltigen innern Bestimmungen des
Daseins näher erkannt, und dieses Mannigfaltige unter der Benennung, Form,
zusammengefaßt hatten, also: Im Anfange, und schlechthin,
bei Gott, oder dem Sein, war die Form . Jetzt nachdem wir das, uns vorher
für das wahre Dasein gegoltene, Bewußtsein, mit seiner ganzen mannigfaltigen
Form, nur als das Dasein aus der zweiten Hand,
und die bloße Erscheinung desselben; das
wahre aber, und absolute Dasein, in seiner eigentümlichen Form, als Liebe,
erkennen: sprechen wir jene Worte also aus: Im
Anfange: höher denn alle Zeit, und absolute Schöpferin der Zeit, ist
die Liebe; und die Liebe ist in Gott, denn sie ist sein Sichselbsterhalten im
Dasein: und die Liebe ist selbst Gott, in ihr ist er, und bleibet er ewig, wie
er in sich selbst ist. Durch sie, aus ihr, als
Grundstoff, sind, vermittelst der lebendigen Reflexion, alle Dinge gemacht,
und ohne sie ist nichts gemacht, was gemacht ist; und sie wird ewig fort, in
uns, und um uns herum, Fleisch, und wohnet unter uns, und es hängt bloß
von uns selbst ab, ihre Herrlichkeit, als eine Herrlichkeit des ewigen und notwendigen
Ausflusses der Gottheit, immerfort vor Augen zu erblicken.
Das lebendige Leben ist die Liebe, und hat und besitzt, als Liebe, das
Geliebte, umfaßt, und durchdrungen, verschmolzen und verflossen mit ihm:
ewig die Eine, und dieselbe Liebe. Nicht die Liebe ist es, welche dasselbe äußerlich
vor sich hinstellt, und es zerspaltet, sondern das tut nur die Reflexion. Inwiefern
daher der Mensch die Liebe ist, — und dies ist er in der Wurzel
seines Lebens immer, und kann nichts anderes sein, obwohl er die Liebe
seiner selbst sein kann; und inwiefern insbesondere er die
Liebe Gottes ist, bleibt er immer und ewig das Eine, Wahre, Unvergängliche,
so wie Gott selbst, und bleibet Gott selbst; und es ist nicht eine kühne
Metapher, sondern es ist buchstäbliche Wahrheit, was derselbe Johannes
sagt: wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und
Gott in ihm. Seine Reflexion nur ist es, welche die-ses sein eignes,
keineswegs ein fremdes Sein, ihm erst entfremdet, und in der ganzen Unendlichkeit
zu ergreifen sucht, dasjenige, was er selbst, immer und
ewig, und allgegenwärtig, ist und bleibt. Es
ist daher nicht sein inneres Wesen, sein eigenes, ihm selbst, und keinem Fremden
angehöriges, das da ewig sich verwandelt; sondern nur die Erscheinung dieses
Wesens, welches, im Wesen, der Erscheinung ewig unerschwinglich bleibt, ist
es, was sich verwandelt. Das Auge des Menschen verdeckt
ihm Gott, und spaltet das reine Licht in farbige Strahlen, haben wir
zu seiner Zeit gesagt: jetzt sagen wir: Gott wird durch des Menschen Auge ihm
verdeckt, lediglich darum, weil er selbst sich durch dieses sein Auge verdeckt
wird, und weil sein Sehen nie an sein eigenes Sein zu reichen vermag. Was er
sieht, ist ewig er selber; wie wir auch schon oben sagten: nur sieht er sich
nicht so, wie er selber ist, denn sein Sein ist Eins, sein Sehen aber ist unendlich.
Die Liebe tritt notwendig ein in der Reflexion, und erscheinet, unmittelbar
als ein Leben, das eine persönlich sinnliche Existenz zu seinem Werkzeuge
macht, also als ein Handeln des Individuums; und zwar als ein Handeln in einer
durchaus ihr eignen, über alle Sinnlichkeit hinaus liegenden Sphäre,
in einer völlig neuen Welt. Wo die göttliche Liebe ist, da ist notwendig
diese Erscheinung; denn so erscheint die erstere durch sich, ohne ein dazwischentretendes
neues Prinzip; und wiederum, wo diese Erscheinung nicht ist, da ist auch die
göttliche Liebe nicht. Es ist durchaus vergeblich, dem, der nicht in der
Liebe ist, zu sagen: handle moralisch; denn nur in der Liebe geht die moralische
Welt auf, und ohne sie gibt es keine; und ebenso überflüssig ist es,
dem, der da liebt, zu sagen, handle: denn seine Liebe lebet schon durch sich
selbst, und das Handeln, und das moralische Handeln, ist bloß die stille
Erscheinung dieses seines Lebens. Das Handeln ist gar
nichts an und für sich selbst, und es hat kein eignes Prinzip; sondern
es entfließt still und ruhig der Liebe, so wie das Licht der Sonne zu
entfließen scheint, und so wie der innern Liebe Gottes zu sich selbst,
die Welt wirklich entfließt. So jemand nicht handelt, so liebt
er auch nicht; und wer da glaubt, zu lieben, ohne zu handeln, des-sen Phantasie
bloß ist durch ein von außen an ihn gebrachtes Bild der Liebe, in
Bewegung gesetzt, welchem Bilde keine innere, in ihm selbst ruhende Realität,
entspricht. Wer da sagt, ich liebe Gott; sagt derselbe Johannes, und, —
nachdem er die Bruderliebe, in einem gewissen sehr richtigen Sinne, selbst als
die höhere Moralität aufgestellt hatte, — und hasset seinen
Bruder, der ist ein Lügner; oder wie wir, unsrer Zeit angemessener, jedoch
gar nicht milder, sagen würden, der ist ein Phantast, — und hat nicht
die Liebe Gottes in ihm bleibend — bleibend, realiter, sie ist nicht
die Wurzel seines wahren Lebens, sondern er mag sie sich höchstens nur
vorbilden.
Die Liebe ist ewig ganz, und in sich gedrungen, sagten wir; und sie hat
in sich, als Liebe, ewig die Realität ganz; bloß und lediglich die
Reflexion ist es, welche teilt und spaltet. Darum ist auch — hierdurch
kommen wir zu dem Punkte zurück, bei welchem wir in der vorigen Rede stehen
blieben, — darum ist auch die Spaltung des Einen
göttlichen Lebens in verschiedene Individuen keineswegs in der Liebe, sondern,
sie ist lediglich in der Reflexion. Das sich unmittelbar, als handelnd,
erscheinende Individuum sonach, und alle außer ihm erscheinende Individuen,
sind lediglich, die Erscheinung der Einen Liebe, keineswegs
aber, die Sache selbst. In seinem eigenen Handeln soll die Liebe erscheinen,
außerdem wäre sie nicht da: das moralische Handeln anderer aber ist
nicht die ihm unmittelbar zugängliche Erscheinung der Liebe; desselben
Ermangeln beweiset gar nicht unmittelbar die Abwesenheit der Liebe; darum wird,
wie wir schon in der vorigen Rede uns ausdrückten, die Moralität,
und Religiosität anderer nicht unbedingt gewollt, sondern mit der Bescheidung
in die Freiheit anderer; und die Abwesenheit dieser allgemeinen Moralität
stört nicht den Frieden, der, durchaus auf sich selber ruhenden, Liebe.
Die Moralität und Religiosität des ganzen übrigen Geisterreichs
hängt mit dem Handeln jedes besondern Individuums zunächst zusammen,
wie zu Bewirkendes mit seiner Ursache. Der moralisch Religiöse will Moralität
und Religion allgemein verbreiten. Die Absonderung aber zwischen seiner und
der andern Religiosität ist lediglich eine Absonderung in der Reflexion.
Seine Affektion durch den Erfolg oder Nichterfolg muß daher nach dem Gesetze
der Reflexion erfolgen. Aber, wie wir schon oben bei einer andern Gelegenheit
ersehen haben, der eigentümliche Affekt der Reflexion ist Billigung, oder
Mißbilligung, welche freilich nicht eben kalt sein muß, sondern,
die um so leidenschaftlicher wird, je liebender der Mensch überhaupt ist.
Einen Affekt aber führt, die Reflexion, auf die Moralität anderer,
allerdings bei sich; denn diese Reflexion ist die allerhöchste für
den Religiösen, und die eigentliche Wurzel der ganzen, mit Affekt zu umfassenden,
Welt außer ihm, welche letztere für ihn rein und lediglich eine Geisterwelt
ist.
Das soeben Gesagte liefert uns die Prinzipien, um die Gesinnung des Religiösen
gegen andere, oder dasjenige, was man seine Menschenliebe nennen würde,
tiefer zu charakterisieren, als es in der vorigen Rede geschehen konnte.
Zuvörderst ist von dieser religiösen Menschenliebe nichts entfernter,
als jenes gepriesene Gutsein, und immer gut sein, und alles gut sein lassen.
Die letzte Denkart, weit entfernt, die Liebe Gottes zu sein, ist vielmehr die,
in einer frühem Rede sattsam geschilderte, absolute Flachheit, und innere
Zerflossenheit, eines Geistes, der weder zu lieben vermag, noch zu hassen. —
Den religiösen Menschen kümmert nicht — es sei denn sein besonderer
Beruf, für eine würdige Subsistenz der Menschen Sorge zu tragen, —
die sinnliche Glückseligkeit des Menschengeschlechts; und er will kein
Glück für dasselbe, außer in den Wegen der göttlichen Ordnung.
Durch die Umgebungen sie selig machen zu wollen, kann er nicht begehren; ebensowenig,
als es Gott begehren kann: denn Gottes Wille und Ratschluß, auch über
sein verbrüdertes Geschlecht, ist immer der seinige. So
wie Gott will, daß keiner Friede und Ruhe finde, außer bei ihm;
und daß jeder, bis zur Vernichtung seiner selbst, und der Einkehrung in
Gott, immerfort geplagt, und genagt sei; so will es auch der Gott ergebene
Mensch. Wiederfindend ihr Sein in Gott, wird er ihr Sein lieben; ihr Sein außer
Gott hasset er innig, und dies ist eben seine Liebe zu ihrem eigentlichen Sein,
daß er ihr beschränkendes Sein hasset. Ihr wähnet, sagt Jesus,
ich sei gekommen, Frieden zu bringen auf Erden, —
Frieden: eben jenes Gutseinlassen alles dessen, was da ist; — nein,
da ihr nun einmal seid, wie ihr seid, bringe ich euch das Schwert. Auch ist
der religiöse Mensch weit entfernt von dem, gleichfalls bekannten, und
oft empfohlnen, Bestreben derselben erwähnten Flachheit, sich über
die Zeitumgebungen etwas aufzubinden, damit man eben in jener behaglichen Stimmung
bleiben könne; sie umzudeuten, und ins Gute, ins Schöne, herüber
zu erklären. Er will sie sehen, wie sie sind in der Wahrheit, und er sieht
sie so, denn die Liebe schärft auch das Auge; er urteilt streng und scharf,
aber richtig, und dringt in die Prinzipien der herrschenden Denkart.
Sehend auf das, was die Menschen sein könnten, ist sein herrschender Affekt
eine heilige Indignation über ihr unwürdiges, und ehrloses Dasein:
sehend darauf, daß sie im tiefsten Grunde doch alle ihr Göttliches
tragen, nur daß es in ihnen nicht bis zur Erscheinung hindurchdringt;
betrachtend, daß sie durch alles, was man ihnen verargt, doch sich selbst
den allergrößten Schmerz zufügen, und daß dasjenige, was
man geneigt ist, ihre Bosheit zu nennen, doch nur der
Ausbruch ihres eigenen tiefen Elendes ist, bedenkend, daß sie nur
ihre Hand ausstrecken dürften, nach dem immerfort sie umgebenden Guten,
um im Augenblicke würdig und selig zu sein: überfällt ihn die
innigste Wehmut, und der tiefste Jammer. Seinen eigentlichen Haß, erregt
lediglich der Fanatismus der Verkehrtheit, welcher
sich nicht damit begnügt, selbst in seiner eigenen Person nichtswürdig
zu sein, sondern, soweit er zu reichen vermag, alles ebenso nichtswürdig
zu machen strebt, als er selbst ist, und den jeder Anblick eines Bessern außer
ihm, innig empört, und zum Hasse aufreizt. Denn — indes das erstbeschriebene
nur armes Sünderwerk ist, ist das letzte, Werk des
Teufels; denn auch der Teufel hasset das Gute, nicht schlechthin darum, weil
es gut ist; wodurch derselbe völlig undenkbar würde: sondern aus Neid,
und weil er selbst es nicht an sich zu bringen vermag. So wie, unserer neulichen
Schilderung zufolge, der von Gott Begeisterte, will, daß ihm, und allen
seinen Brüdern, von allen Seiten und in allen Richtungen, ewig fort nur
Gott entgegenstrahle, wie er ist in ihm selber; so will umgekehrt der, von sich
selbst Begeisterte, daß ihm, und allen seinen Mitmenschen, von allen Seiten,
und in allen Richtungen, ewig fort, nur das Bild seiner eigenen Nichtswürdigkeit
entgegenstrahle. Er überschreitet durch dieses Heraustreten aus seiner
Individualität, die natürliche, und menschliche, Grenze des Egoismus,
und macht sich zum allgemeinen Ideale, und Gotte; welches alles eben also, der
Teufel auch tut.
Endlich, ganz entschieden, unveränderlich, und ewig sich gleich bleibend,
offenbaret im Religiösen die Liebe zu seinem Geschlechte sich dadurch,
daß er, schlechthin nie, und unter keiner Bedingung, es aufgibt, an ihrer
Veredlung zu arbeiten, und, was daraus folgt, schlechthin nie, und unter keiner
Bedingung, die Hoffnung von ihnen aufgibt. Sein Handeln ist ja die notwendige
Erscheinung seiner Liebe; wiederum aber geht sein Handeln notwendig nach außen,
und setzt ein Außen für ihn, und setzt seinen Gedanken, daß
in diesem Außen etwas wirklich werden solle. Ohne Vertilgung jener Liebe
in ihm, kann weder dieses Handeln, noch dieser sein notwendiger Gedanke beim
Handeln, jemals wegfallen. So oft er auch abgewiesen werde von außen,
ohne den gehofften Erfolg, wird er in sich selbst zurückgetrieben, schöpfend
aus der, in ihm ewig fortfließenden Quelle der Liebe,
neue Lust und Liebe, und neue Mittel; und wird fortgetrieben von ihr zu einem
neuen Versuche, und wenn auch dieser mißlänge, abermals zu einem
neuen; jedesmal voraussetzend, was bisher nicht gelungen sei, könne diesmal
gelingen, oder auch das nächste Mal, oder doch irgend einmal, und falls
auch ihm überhaupt nicht, doch etwa, durch seine Beihilfe, und zufolge
seiner Vorarbeiten, einem folgenden Arbeiter. So wird ihm die Liebe
eine ewig fortrinnende Quelle von Glauben und Hoffnung; nicht an Gott
oder auf Gott: denn Gott hat er allgegenwärtig in sich lebend, und er braucht
nicht erst an ihn zu glauben, und Gott gibt sich ihm ewig fort ganz, so wie
er ist; und er hat darum nichts von ihm zu hoffen; sondern von Glauben an Menschen,
und Hoffnung auf Menschen. Dieser unerschütterliche Glaube nun, und diese
nie ermüdende Hoffnung ist es, durch welche er sich über alle die
Indignation, oder den Jammer, mit denen die Betrachtung der Wirklichkeit ihn
erfüllen mag, hinwegsetzen kann, sobald er will, und den sichersten Frieden,
und die unzerstörbarste Ruhe, einladen kann in seine Brust, sobald er ihrer
begehrt. Blicke er hinaus über die Gegenwart in die Zukunft! — und
er hat ja für diesen Blick die ganze Unendlichkeit vor sich, und kann Jahrtausende
über Jahrtausende, die ihm nichts kosten, daran setzen, so viele er will.
Endlich — und wo ist denn das Ende? — endlich
muß doch alles einlaufen, in den sichern Hafen der ewigen Ruhe und Seligkeit;
endlich einmal muß doch heraustreten das göttliche Reich: und Seine
Gewalt, und Seine Kraft, und Seine Herrlichkeit.
Und so hätten wir denn die Grundzüge zu dem Gemälde des seligen
Lebens, soweit ein solches Gemälde möglich ist, in Einen Punkt vereinigt.
Die Seligkeit selbst besteht in der Liebe, und in der ewigen Befriedigung der
Liebe, und ist der Reflexion unzugänglich: der Begriff kann dieselbe
nur negativ ausdrücken, so auch unsere Beschreibung, die in Begriffen einhergeht.
Wir können nur zeigen, daß der Selige des Schmerzes, der Mühe,
der Entbehrung frei ist; worin seine Seligkeit selbst, positiv, bestehe, läßt
sich nicht beschreiben, sondern nur unmittelbar fühlen.
Unselig macht der Zweifel, der uns hierhin reißet,
und dorthin, die Ungewißheit, welche eine undurchdringliche Nacht, in
der unser Fuß keinen sichern Pfad findet, vor uns her verbreitet. Der
Religiöse ist der Möglichkeit des Zweifels, und der Ungewißheit,
auf ewig entnommen. In jedem Augenblicke weiß er bestimmt, was er will,
und wollen soll; denn ihm strömt die innerste Wurzel
seines Lebens, sein Wille, unverkennbar,
ewig fort unmittelbar aus der Gottheit: ihr Wink
ist untrüglich, und für das, was ihr Wink sei, hat er einen untrüglichen
Blick. In jedem Augenblicke weiß er bestimmt, daß er in alle Ewigkeit
wissen wird, was er wolle, und solle, daß in alle Ewigkeit die, in ihm
aufgebrochne, Quelle der göttlichen Liebe nicht versiegen, sondern unfehlbar
ihn festhalten, und ihn ewig fortleiten werde. Sie ist die
Wurzel seiner Existenz; sie ist ihm nun einmal klar aufgegangen, und
sein Auge ist mit inniger Liebe auf sie geheftet;
wie könnte jene vertrocknen, wie könnte dieses wo andershin sich wenden!
Ihn befremdet nichts, was irgend um ihn herum vorgeht. Ob er es begreife, oder
nicht; daß es in der Welt Gottes ist, und daß in dieser nichts sein
kann, das nicht zum Guten abzwecke, weiß er sicher.
In ihm ist keine Furcht über die Zukunft, denn ihn führt das absolut
Selige ewig fort derselben entgegen; keine Reue über das Vergangene, denn
inwiefern er nicht in Gott war, war er nichts, und dies ist nun vorbei, und
erst seit seiner Einkehr in die Gottheit ist er
zum Leben geboren; inwiefern er aber in Gott war,
ist recht und gut, was er getan hat. Er hat nie etwas sich zu versagen, oder
sich nach etwas zu sehnen, denn er besitzt immer und ewig die ganze Fülle
alles dessen, das er zu fassen vermag. Für ihn ist Arbeit und Anstrengung
verschwunden; seine ganze Erscheinung fließt, lieblich und leicht aus,
aus seinem Innern, und löset sich ab von ihm ohne Mühe. Um es mit
den Worten eines unsrer großen Dichter zu sagen:
Ewig klar, und spiegelrein, und eben,
Fließt das zephyrleichte Leben
Im Olymp, den Seligen dahin.
Monde wechseln und Geschlechter fliehen —
Ihrer Götterjugend Rosen blühen,
Wandellos im ewigen Ruin.
So viel habe ich Ihnen in diesen Vorlesungen über das
wahre Leben, und über die Seligkeit desselben,
mitteilen wollen. Es ist sehr wahr, daß man über diesen Gegenstand
noch lange fortreden könnte, und daß es besonders sehr interessant
sein würde, den moralisch-religiösen Menschen, nachdem man ihn im
Mittelpunkte seines Lebens kennen gelernt hat, von da aus zu begleiten in das
gewöhnliche Leben, bis auf die gemeinsten Angelegenheiten, und Umgebungen,
und da ihn anzuschauen, in seiner ganzen, wahrhaft rührenden, Liebenswürdigkeit
und Heiterkeit. Aber, ohne eine gründliche Erkenntnis jener ersten Grundpunkte,
zerfließt eine solche Beschreibung dem Zuhörer gar leicht, entweder
in eine leere Deklamation, oder in ein, nur ästhetisch gefallendes, aber
keinen wahren Grund seines Bestehens in sich tragendes, Luftgebilde: und dies
ist der Grund, warum wir der Fortsetzung uns lieber enthalten. Für die
Prinzipien haben wir genug, vielleicht sogar zu viel gesagt. Zehnte
Vorlesung, S.151-163
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre,
Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg
Der erhabene
Wille und sein ewiges Geisterreich
Und hiermit geht die ewige Welt heller vor mir auf, und das Grundgesetz ihrer
Ordnung steht klar vor dem Auge meines Geistes. In ihr ist rein und bloß
der Wille, wie er im geheimen
Dunkel meines Gemüts vor allen sterblichen Augen verschlossen liegt,
erstes Glied einer Kette von Folgen, die durch das ganze
unsichtbare Reich der Geister hindurchläuft; so wie in der irdischen
Welt die Tat, eine gewisse Bewegung der
Materie, erstes Glied einer materiellen Kette wird, die das ganze System der
Materie durchfließet. Der Wille ist das Wirkende,
und Lebendige der Vernunftwelt, so wie die Bewegung das Wirkende. und
Lebendige der Sinnenwelt ist. Ich stehe im Mittelpunkte
zweier gerade entgegengesetzter Welten, einer sichtbaren, in der die Tat, einer
unsichtbaren und schlechthin unbegreiflichen, in der der Wille entscheidet;
ich bin eine der Urkräfte für beide Welten. Mein
Wille ist es, der beide umfaßt. Dieser Wille
ist schon an und für sich selbst Bestandteil der übersinnlichen Welt;
so wie ich ihn durch irgend einen Entschluß bewege, bewege und
verändere ich etwas in dieser Welt, und meine Wirksamkeit fließt
fort über das Ganze, und bringt Neues, ewig Dauerndes hervor, das da nun
ist, und nicht mehr gemacht zu werden bedarf. Dieser Wille bricht aus in eine
materielle Tat, und diese Tat gehört der Sinnenwelt an, und wirkt in derselben,
was sie wirken kann.
Nicht erst, nachdem ich aus dem Zusammenhange der
irdischen Welt gerissen sein werde, werde ich den Eintritt
in die überirdische erhalten; ich bin und
lebe schon jetzt in ihr, weit wahrer, als in der irdischen; schon jetzt
ist sie mein einziger fester Standpunkt, und das ewige
Leben, das ich schon längst in Besitz genommen, ist der einige Grund,
warum ich das irdische noch fortführen mag. Das, was sie
Himmel nennen, liegt nicht jenseits des Grabes;
es ist schon hier um unsere Natur verbreitet, und sein Licht geht in jedem reinen
Herzen auf. Mein Wille ist mein, und er ist das einige,
das ganz mein ist, und vollkommen von mir selbst abhängt, und durch in
bin ich schon jetzt ein Mitbürger des Reichs der Freiheit, und der Vernunfttätigkeit
durch sich selbst. Welche Bestimmung meines Willens — des einzigen,
wodurch ich vom Staube herauf in dieses Reich eingreife, — in die Ordnung
desselben passe, sagt mir in jedem Augenblicke mein Gewissen,
das Band, an welchem jene Welt unablässig mich hält, und mit
sich verknüpft; und es hängt ganz von
mir selbst ab, mir die gebotene Bestimmung zu geben. Ich
bearbeite dann mich selbst für diese Welt, arbeite sonach in ihr, und für
sie, indem ich eines ihrer Glieder bearbeite; verfolge in ihr, und nur in ihr,
ohne Wanken und Zweifel nach einer festen Regel meinen Zweck, —
des Erfolgs sicher, indem da keine fremdartige Macht meinem
Willen entgegen steht. — Daß in der Sinnenwelt mein Wille, sofern
er nur wirklich Wille ist, wie er soll, auch noch zur Tat wird, ist lediglich
das Gesetz dieser sinnlichen Welt. Ich wollte nicht so die Tat, wie den Willen;
nur der letztere war ganz und rein mein Werk, und er war auch alles, was rein
aus mir selbst hervorging. Es bedurfte nicht noch eines besondern Akts von meiner
Seite, um an ihn die Tat anzuknüpfen: sie knüpfte sich selbst an ihn
an, nach dem Gesetze der zweiten Welt, mit welcher ich
durch meinen Willen zusammenhänge und in welcher dieser Wille
gleichfalls Urkraft ist, wie in der ersten. —
Ich bin freilich, wenn ich den durch das Gewissen mir gebotenen Willen, als
Tat, und als wirkende Ursache in der Sinnenwelt
ansehe, genötigt, ihn auf jenen irdischen Zweck der Menschheit als Mittel
zu beziehen: nicht, als ob ich dann den Weltplan
erst übersehen, und nach dieser Einsicht berechnen müßte, was
ich zu tun hätte; sondern das unmittelbar durch das Gewissen mir gebotene
bestimmte Handeln stellt sich mir ohne weiteres dar, als dasjenige, wodurch
allein in meiner Lage ich zur Erreichung jenes Zwecks beitragen könne.
Ob es mir nun nach der Tat scheine, als ob durch sie der Zweck nicht befördert,
ja, als ob er sogar gehindert worden wäre; reuen kann mich die Tat darum
nicht, an mir selbst darüber irre werden kann ich nicht, so wahr ich nur
meinem Gewissen gehorchte, indem ich sie vollzog; welche Folgen sie auch für
diese Welt haben möge, für die andere Welt kann nichts anderes, denn
Gutes aus ihr folgen. Und selbst für diese Welt gebietet mir nun, eben,
weil die Tat für ihren Zweck verloren zu sein scheint, mein Gewissen, dieselbe
zweckmäßiger zu wiederholen, oder, weil sie denselben gehindert zu
haben scheint, das Nachteilige aufzuheben, und das dem Erfolge Widerstrebende
zu vernichten. Ich will, wie ich soll; und die neue Tat erfolgt. Es kann geschehen,
daß die Folgen dieser neuen Tat in der Sinnenwelt mir nicht ersprießlicher
erscheinen, als die der erstern; aber ich bleibe eben so ruhig über sie,
in Rücksicht der andern Welt, und für die gegenwärtige ist es
mir nun aufgelegt, durch neues Wirken das Vorhergehende zu verbessern. Und so
möchte es immer scheinen, daß ich durch mein ganzes irdisches Leben
das Gute in dieser Welt nicht um eines Haares Breite weiter bringe, aufgeben
darf ich es doch nicht; nach jedem mißlungenen Schritte muß ich
glauben, daß doch der nächste gelingen könne; für jene
Welt aber ist kein Schritt verloren. -
Kurz, den irdischen Zweck befördere ich nicht lediglich um sein selbst
willen, und als letzten Endzweck; sondern darum,
weil mein wahrer letzter Zweck, Gehorsam gegen das Gesetz, in der gegenwärtigen
Welt sich mir nicht anders darstellt, denn als Beförderung jenes Zwecks.
Ihn dürfte ich aufgeben, wenn ich nur jemals dem Gesetze den Gehorsam verweigern
dürfte, oder, wenn sich dasselbe mir in diesem Leben jemals anders darstellen
könnte, denn als ein Gebot, diesen Zweck in meiner Lage zu befördern;
ihn werde ich wirklich aufgegeben haben in einem andern Leben, in welchem das
Gebot mir einen andern hienieden völlig unbegreiflichen Zweck setzen wird.
In diesem Leben muß ich ihn befördern wollen,
weil ich gehorchen muß; ob er durch die Tat, die aus diesem gesetzmäßigen
Wollen erfolgt, wirklich befördert werde,
ist nicht meine Sorge; ich bin nur für den Willen,
der hienieden freilich nur auf den irdischen Zweck gehen kann, nicht aber für
den Erfolg verantwortlich. Vor der Tat kann ich diesen Zweck nie aufgeben; die
Tat aber kann ich, nachdem sie vollbracht ist, wohl aufgeben, und sie wiederholen,
oder verbessern. Ich lebe und wirke sonach schon hier, meinem eigentlichsten
Wesen und meinem nächsten Zwecke nach, nur für die andere Welt, und
die Wirksamkeit für dieselbe ist die einzige, der ich ganz sicher bin;
für die Sinnenwelt wirke ich nur um der andern willen,
und darum, weil ich für die andere gar nicht wirken kann, ohne für
diese wenigstens wirken zu wollen.
Ich will mich festsetzen, ich will mich einheimisch machen in dieser mir ganz
neuen Ansicht meiner Bestimmung. — Das gegenwärtige Leben läßt
sich vernünftiger Weise nicht als die ganze Absicht meines Daseins, und
des Daseins eines Menschengeschlechts überhaupt denken; es ist in mir Etwas,
und es wird von mir Etwas gefordert, das in diesem ganzen Leben keine Anwendung
findet, und für das Höchste, was auf der Erde hervorgebracht werden
kann, völlig zwecklos, und überflüssig ist. Der
Mensch muß sonach einen über dieses Leben hinausliegenden Zweck haben.
Soll aber das gegenwärtige Leben, welches ihm dennoch aufgelegt wird, und
das nicht lediglich zur Entwickelung der Vernunft bestimmt sein kann, indem
ja die schon erwachte Vernunft uns gebietet, dasselbe zu erhalten, und den höchsten
Zweck desselben aus allen Kräften zu befördern — soll
dieses Leben nicht völlig vergebens und unnütz sein in der Reihe unsers
Daseins, so muß es sich zu einem künftigen Leben wenigstens verhalten,
wie Mittel zum Zwecke. Nun gibt es in diesem gegenwärtigen Leben
nichts, dessen letzte Folgen nicht auf der Erde blieben, nichts, wodurch es
mit einem künftigen Leben zusammenhängen könnte, außer
dem guten Willen; welcher hinwiederum in dieser Welt, zufolge des Grundgesetzes
derselben, an sich nichts feuchter. Der gute Wille nur
kann es sein, er muß es sein, durch den wir für ein anderes Leben,
und für das erst dort uns aufzustellende nächste Ziel desselben arbeiten;
die uns unsichtbaren Folgen dieses guten Willens sind es, durch die wir in jenem
Leben erst einen festen Standpunkt, von welchem aus wir dann weiter in ihm fortrücken
können, uns erwerben.
Daß unser guter Wille an und für,
und durch sich selbst Folgen haben müsse, wissen wir schon in diesem Leben,
denn die Vernunft kann nichts Zweckloses gebieten; welches
aber diese Folgen seien, ja wie es nur möglich sei, daß ein bloßer
Wille etwas wirken könne, darüber können wir auch nicht einmal
etwas denken, so lange wir noch in dieser materiellen Welt befangen sind, und
es ist Weisheit, eine Erforschung. von der wir schon vorher wissen können,
daß sie uns mißlingen werde, gar nicht zu unternehmen. In Rücksicht
der Beschaffenheit dieser Folgen ist also das gegenwärtige Leben in Beziehung
auf ein künftiges, ein Leben im Glauben.
Im künftigen Leben werden wir diese Folgen besitzen, denn wir werden mit
unsrer Wirksamkeit von ihr ausgehen, und auf sie fortbauen; dieses andere Leben
wird sonach in Beziehung auf die Folgen unsers guten Willens im gegenwärtigen,
ein Leben des Schauens sein.
Wir werden auch in diesem andern Leben ein nächstes Ziel für dasselbe
aufgestellt erhalten, wie wir es im gegenwärtigen hatten; denn wir müssen
fort tätig sein. Aber wir bleiben endliche Wesen — und für
endliche Wesen ist jede Tätigkeit eine bestimmte; und bestimmte Tat hat
ein bestimmtes Ziel. Wie im gegenwärtigen Leben zum Ziele desselben sich
verhält die vorhanden gefundene Welt, die zweckmäßige Einrichtung
dieser Welt für die uns gebotene Arbeit, die schon erreichte Kultur und
Güte unter den Menschen, und unsre eignen sinnlichen Kräfte: so werden
im künftigen Leben zum Ziele desselben sich verhalten die Folgen unsers
guten Willens im gegenwärtigen. Das gegenwärtige
ist der Anfang unsrer Existenz; es wird uns eine Ausstattung für dasselbe
und ein fester Boden in ihm frei geschenkt: das künftige ist die Fortsetzung
dieser Existenz für dasselbe müssen wir einen Anfang, und einen bestimmten
Standpunkt uns selbst erwerben.
Und nun erscheint das gegenwärtige Leben nicht mehr als unnütz und
vergeblich; dazu, und nur allein dazu, um diesen festen Grund in einem künftigen
Leben zu gewinnen, ist es uns gegeben, und allein vermittelst dieses Grundes
hängt es mir unserm ganzen ewigen Dasein zusammen. — Es ist sehr
möglich, daß auch dieses zweiten Lebens nächstes Ziel durch
endliche Kräfte mit Sicherheit und nach einer Regel eben so unerreichbar
sei, als das Ziel des gegenwärtigen Lebens es ist; und daß auch dort
der gute Wille als überflüssig, und zwecklos erscheine.
Aber verloren kann er dort eben so wenig sein, als er es hier sein kann, denn
er ist das notwendig fortdauernde, und von ihr unabtrennliche Gebot der Vernunft.
Seine notwendige Wirksamkeit würde sonach in diesem Falle uns auf ein drittes
Leben hinweisen, in welchem die Folgen des guten Willens aus dem zweiten sich
zeigen würden, und welches folgende Leben in diesem zweiten auch nur geglaubt
würde; zwar mit festerer, und unerschütterlicher Zuversicht, nachdem
wir die Wahrhaftigkeit der Vernunft schon durch die Tat erfahren und die Früchte
eines reinen Herzens in einem schon vollendeten Leben treu aufbewahrt wieder
gefunden hätten.
Wie in dem gegenwärtigen Leben allein aus dem Gebote einer bestimmten Handlung
unser Begriff eines bestimmten Ziels, und aus diesem die ganze Anschauung der
uns gegebenen Sinnenwelt entsteht, eben so wird im künftigen auf ein ähnliches,
jetzt für uns völlig undenkbares Gebot der Begriff eines nächsten
Ziels für dieses Leben, und auf dieses die Anschauung einer Welt, in der
uns die Folgen unsers guten Willens im gegenwärtigen Leben vorausgegeben
sind, sich gründen. Die gegenwärtige Welt ist
überhaupt nur durch das Pflichtgebot für uns da; die andere wird uns
gleichfalls nur durch ein anderes Pflichtgebot entstehen: denn auf eine andere
Weise gibt es für kein vernünftiges Wesen eine Welt.
Dies sonach ist meine ganze erhabene Bestimmung, mein
wahres Wesen. Ich bin Glied zweier Ordnungen; einer rein geistigen, in der ich
durch den bloßen reinen Willen herrsche, und einer sinnlichen, in der
ich durch meine Tat wirke. Der ganze Endzweck der Vernunft ist reine Tätigkeit
derselben, schlechthin durch sich selbst und ohne eines Werkzeugs außer
sich zu bedürfen, — Unabhängigkeit von allem, das nicht selbst
Vernunft ist, absolute Unbedingtheit. Der Wille ist das lebendige Prinzip der
Vernunft, ist selbst die Vernunft, wenn sie rein und unabhängig
aufgefaßt wird; die Vernunft ist durch sich selbst tätig, heißt:
der reine Wille, bloß als solcher, wirkt und herrscht. Unmittelbar und
lediglich in dieser rein geistigen Ordnung lebt nur die unendliche Vernunft.
Der Endliche, der nicht die Vernunftwelt selbst, sondern nur ein Einzelnes unter
mehreren Gliedern derselben ist, lebt notwendig zugleich in einer sinnlichen
Ordnung, das heißt, in einer solchen, die ihm noch ein anderes Ziel, außer
der reinen Vernunfttätigkeit, darstellt; einen materiellen Zweck, —
zu befördern durch Werkzeuge, und Kräfte, die zwar unter der unmittelbaren
Botmäßigkeit des Willens stehen, deren Wirksamkeit aber auch noch
durch ihre eigne Naturgesetze bedingt ist. Doch muß, so gewiß die
Vernunft Vernunft ist, der Wille schlechthin durch sich
selbst, unabhängig von den Naturgesetzen, durch welche die Tat bestimmt
wird, wirken; und darum deutet jedes sinnliche Leben des Endlichen auf ein höheres,
in das ihn der Wille bloß durch sich selbst einführe, und ihm in
demselben Besitz verschaffe — ein Besitz, der sich uns freilich wieder
sinnlich darstellen wird, als ein Zustand, keinesweges
als ein bloßer Wille.
Diese zwei Ordnungen, die rein geistige, und die sinnliche,
welche letztere aus einer unübersehbaren Reihe von besonderen Leben bestehen
mag, sind von dem ersten Augenblicke der Entwickelung einer tätigen
Vernunft an, in mir, und laufen neben einander fort. Die letztere Ordnung ist
nur eine Erscheinung für mich selbst, und für diejenigen, die mit
mir in dem gleichen Leben sich befinden; die erstere allein gibt dem letztern
Bedeutung, Zweckmäßigkeit, und Wert. Ich bin
unsterblich, unvergänglich, ewig, sobald ich den Entschluß fasse,
dem Vernunftgesetze zu gehorchen; ich soll es nicht erst werden. Die
übersinnliche Welt ist keine zukünftige Welt, sie ist gegenwärtig;
sie kann in keinem Punkte des endlichen Daseins gegenwärtiger sein, als
in dem andern; nach einem Dasein von Myriaden Lebenslängen nicht gegenwärtiger
sein, als in diesem Augenblicke. Andere Bestimmungen meiner sinnlichen
Existenz sind zukünftig; aber diese sind eben so wenig das wahre Leben,
als die gegenwärtige Bestimmung es ist. Ich ergreife durch jenen Entschluß
die Ewigkeit, und streife das Leben im Staube und alle andere sinnliche Leben,
die mir noch bevorstehen können, ab, und versetze mich hoch über sie.
Ich werde mir selbst zur einigen Quelle alles meines Seins,
und meiner Erscheinungen; und habe von nun an, unbedingt durch etwas
außer mir, das Leben in mir selbst. Mein Wille, den ich selbst, und kein
Fremder in die Ordnung jener Welt füge, ist diese Quelle des wahren Lebens,
und der Ewigkeit.
Aber auch nur mein Wille ist diese Quelle; nur
dadurch, daß ich diesen Willen für den eigentlichen Sitz der sittlichen
Güte erkenne, und zu dieser Güte ihn wirklich erhebe, erhalte ich
die Gewißheit und den Besitz jener übersinnlichen Welt.
Ohne Aussicht auf irgend einen begreiflichen und sichtbaren Zweck, ohne Untersuchung,
ob aus meinem Willen irgend etwas anderes erfolge, als das Wollen selbst, soll
ich gesetzmäßig wollen. Mein Wille steht allein da, abgesondert von
allem, was er nicht selbst ist, bloß durch sich, und für sich selbst
seine Welt; nicht bloß, daß er absolut Erstes
sei, und daß es vor ihm
kein anderes Glied gebe, das in ihn eingreife, und ihn bestimme; sondern auch,
daß aus ihm kein denkbares und begreifliches
Zweites folge, und dadurch seine Wirksamkeit unter ein fremdes Gesetz
falle. Ginge aus ihm ein Zweites, aus diesem ein Drittes u. s. f. hervor in
einer uns denkbaren der geistigen Welt entgegengesetzten
Sinnenwelt: so würde durch den Widerstand der in Bewegung zu setzenden
selbstständigen Glieder einer solchen Welt, seine Kraft gebrochen; die
Art der Wirksamkeit entspräche nicht mehr ganz dem durch das Wollen ausgedrückten
Zweckbegriffe, und der Wille bliebe nicht frei, sondern er würde zum Teil
durch die eigentümlichen Gesetze seiner heterogenen Wirkungssphäre
beschränkt. — So muß ich auch wirklich in der gegenwärtigen,
mir allein bekannten sinnlichen Welt den Willen ansehen. Ich bin freilich genötigt,
zu glauben, das heißt, zu handeln, als ob ich dächte — daß
durch mein Wollen meine Zunge, meine Hand, mein Fuß in Bewegung gesetzt
werden könnten; wie aber ein bloßer Hauch, ein Druck der Intelligenz
auf sich selbst, wie der Wille es ist, Prinzip einer Bewegung in der schweren
irdischen Masse sein könne, darüber kann ich nicht nur nichts denken,
sondern selbst die bloße Behauptung ist vor dem Richterstuhle des betrachtenden
Verstandes reiner barer Unverstand; und auf diesem Gebiete muß die Bewegung
der Materie sogar in mir selbst, rein aus innern Kräften der bloßen
Materie erklärt werden.
Eine Ansicht von meinem Willen, wie die beschriebene aber erhalte ich nur dadurch,
daß ich in mir selbst inne werde, derselbe sei nicht etwa bloß
höchstes tätiges Prinzip für diese Welt, welches er allerdings
ohne alle eigentliche Freiheit durch den bloßen Einfluß des gesamten
Weltsystems werden könnte, ohngefähr so, wie wir uns die bildende
Kraft in der Natur denken müssen: sondern er verschmähe schlechthin
alle irdische, und überhaupt alle außer ihm liegende Zwecke, und
stelle sich selbst um sein selbst willen als letzten Zweck hin. Aber lediglich
durch eine solche Ansicht von meinem Willen, werde ich in eine übersinnliche
Ordnung hinüber gewiesen, in welcher der Wille rein durch sich selbst,
ohne alles außer ihm liegende Werkzeug, in einer ihm gleichen, rein geistigen,
von ihm durchaus durchdringbaren Sphäre, Ursache werde. —
Daß das gesetzmäßige Wollen schlechthin um sein selbst willen
gefordert werde — eine Kenntnis, die ich nur als Tatsache in meinem Innern
finden, und welche auf keinem andern Wege an mich gelangen kann — dies
war das erste Glied meines Denkens. Daß diese Forderung vernunftmäßig,
und die Quelle und Richtschnur alles andern Vernunftmäßigen sei,
daß sie nach nichts sich richte, alles andere aber nach ihr sich richten,
und von ihr abhängig werden müsse — eine Überzeugung, zu
welcher ich abermals nicht von außen, sondern nur innerlich gelangen kann,
durch den unerschütterlichen Beifall, den ich, mit Freiheit, jener Forderung
gebe — dies war das zweite Glied meines Denkens. Und erst von diesen Gliedern
aus kam ich zum Glauben an eine übersinnliche, ewige
Welt. Hebe ich die erstem auf, so kann vom letztern nicht weiter die
Rede sein. Eben, wenn es so sich verhielte, wie Viele sagen, und es ohne weitern
Beweis als von selbst sich verstehend voraussetzen, und es als den höchsten
Gipfel der Lebensweisheit anpreisen, daß alle menschliche Tugend stets
nur einen bestimmten äußern Zweck vor sich haben, und daß sie
der Erreichbarkeit dieses Zwecks erst sicher sein müsse, ehe sie handeln
könne, und ehe sie Tugend sei — daß sonach die Vernunft gar
nicht in sich selbst ein Prinzip und eine Richtschnur ihrer Tätigkeit enthielte,
sondern diese Richtschnur erst von außen her durch die Betrachtung der
ihr fremden Welt erhalten müßte — wenn es so sich verhielte,
dann wäre hienieden der Endzweck unsers Daseins; die menschliche Natur
wäre durch unsre irdische Bestimmung vollkommen erschöpft und durchaus
erklärbar, und es gäbe keinen vernünftigen Grund, mir unsern
Gedanken über das gegenwärtige Leben hinauszugehen. S.147-158
[…]
Um mir Alles in Einem zu sagen: — nur
durch die gründliche Verbesserung meines Willens geht ein neues Licht über
mein Dasein, und meine Bestimmung mir auf; ohne sie ist, so viel ich auch nachdenken,
und mit so vorzüglichen Geistesgaben ich auch ausgestattet sein mag, eitel
Finsternis in mir, und um mich. Nur die Verbesserung des Herzens führt
zur wahren Weisheit. Nun so ströme denn unaufhaltsam mein ganzes Leben
auf diesen Einen Zweck hin.
Mein gesetzmäßiger Wille, bloß als solcher, an
und durch sich selbst, soll Folgen haben, sicher und ohne Ausnahme; jede pflichtmäßige
Bestimmung meines Willens, ob aus ihr auch keine Tat erfolgte, soll wirken in
einer mir unbegreiflichen andern Welt, und außer dieser pflichtmäßigen
Willensbestimmung soll in ihr nichts wirken. — Was denke ich doch, indem
ich dies denke, Was setze ich voraus?
Offenbar ein Gesetz , eine schlechthin
ohne Ausnahme geltende Regel, nach welcher der
pflichtmäßige Wille Folgen haben muß;
eben so, wie ich in der irdischen Welt, die mich umgibt, ein Gesetz annehme,
nach welchem diese Kugel, wenn sie durch meine Hand mit dieser bestimmten Kraft
in dieser bestimmten Richtung angestoßen wird, notwendig in einer solchen
Richtung mit einem bestimmten Maße von Schnelligkeit sich fortbewegt,
etwa eine andere Kugel mit diesem Maße von Kraft anstößt, welche
nun selbst mit einer bestimmten Schnelligkeit sich fortbewegt, — und so
weiter ins Unbestimmte. Wie ich hier schon in der bloßen Richtung und
Bewegung meiner Hand alle auf sie folgenden Richtungen und Bewegungen erkenne
und umfasse, mit derselben Sicherheit, als ob sie schon gegenwärtig vorhanden,
und von mir wahrgenommen wären: eben so umfasse ich in meinem pflichtmäßigen
Willen eine Reihe von notwendigen und unausbleiblichen
Folgen in der geistigen Welt, als ob sie schon gegenwärtig wären;
nur daß ich sie nicht, wie die Folgen in der materiellen Welt bestimmen
kann, — das heißt, daß ich lediglich weiß,daß,
nicht aber wie sie sein werden; —
und eben, indem ich dieses tue, denke ich ein Gesetz
der geistigen Welt, in welcher mein reiner Wille eine der bewegenden Kräfte
ist, gleichwie meine Hand eine der bewegenden Kräfte in der materiellen
Welt ist. Jene Festigkeit meiner Zuversicht, und der Gedanke dieses Gesetzes
einer geistigen Welt sind ganz Eins und eben dasselbe; nicht zwei Gedanken,
deren einer durch den andern vermittelt würde, sondern ganz derselbe Gedanke;
eben so, wie die Sicherheit, mir welcher ich auf eine gewisse Bewegung rechne,
und der Gedanke eines mechanischen Naturgesetzes dasselbe sind. — Der
Begriff: Gesetz drückt überhaupt nichts
anders aus, als das feste unerschütterliche Beruhen der Vernunft auf einem
Satze, und die absolute Unmöglichkeit, das Gegenteil anzunehmen.
Ich nehme an ein solches Gesetz einer geistigen Welt, das nicht mein Wille gibt,
noch der Wille irgend eines endlichen Wesens, noch der Wille aller endlichen
Wesen zusammen genommen, sondern, unter dem mein Wille,
und der Wille aller endlichen Wesen selbst steht. Weder ich, noch irgend
ein endliches, und eben darum auf irgend eine Weise sinnliches Wesen vermag
auch nur zu begreifen, wie ein bloßer reiner Wille Folgen haben, und wie
diese Folgen beschaffen sein können, indem darin eben das Wesentliche ihrer
Endlichkeit besteht, daß sie das zu begreifen nicht vermögen; —
zwar den bloßen Willen als solchen rein in ihrer Gewalt haben, die Folgen
desselben aber durch ihre Sinnlichkeit notwendig als Zustände erblicken;
— wie könnte denn also ich, oder irgend ein endliches Wesen dasjenige,
was wir alle schlechthin nicht denken noch begreifen können, sich als Zweckbegriff
setzen, und es dadurch wirklich machen? — Ich kann nicht sagen, daß
in der materiellen Welt meine Hand, oder irgend ein Körper der in dieser
Welt mit begriffen, und durch das allgemeine Grundgesetz der Schwere bestimmt
ist, das Naturgesetz der Bewegung gebe; dieser Körper steht selbst unter
diesem Naturgesetze, und vermag einen andern Körper zu bewegen, lediglich
diesem Gesetze gemäß, und in wiefern er zufolge desselben an der
allgemeinen bewegenden Kraft in der Natur Teil hat. Eben so wenig gibt ein endlicher
Wille der übersinnlichen Welt, die kein endlicher Geist umfaßt, das
Gesetz; sondern alle endliche Willen stehen unter dem
Gesetze derselben, und können in dieser Welt etwas hervorbringen,
nur inwiefern dieses Gesetz schon vorhanden ist, und sie selbst, nach dem Grundgesetze
derselben für endliche Willen, durch Pflichtmäßigkeit unter
die Bedingung desselben sich fügen, und in die Sphäre seiner Wirksamkeit
eintreten; durch Pflichtmäßigkeit, sage ich, das einige
Band, das sie an diese Welt bindet, der einige Nerv, der aus ihr zu ihnen herabgeht,
und das einige Organ, durch welches sie in dieselbe zurückzuwirken
vermögen. Wie die allgemeine Anziehungskraft alle Körper hält,
und mit sich und dadurch untereinander vereinigt, und nur unter ihrer Voraussetzung
Bewegung des Einzelnen möglich ist, so vereinigt und hält in sich,
und ordnet unter sich jenes übersinnliche Gesetz alle endliche Vernunftwesen.
— — Mein Wille, und der Wille aller endlichen
Wesen kann angesehen werden aus einem doppelten Gesichtspunkte: teils als bloßes
Wollen, ein innerer Akt auf sich selbst; und insofern ist der Wille
in sich selbst vollendet, und durch den bloßen Akt geschlossen; teils
als Etwas, ein Faktum. Das letztere wird er zunächst für mich, inwiefern
ich ihn als vollendet ansehe; aber er soll es auch werden außer mir; in
der Sinnenwelt, bewegendes Prinzip etwa meiner Hand, aus deren Bewegung
wieder andere Bewegungen erfolgen; in der übersinnlichen Welt,
Prinzip einer Reihe von geistigen Folgen, von denen ich keinen Begriff habe.
In der erstem Ansicht, als bloßer Akt, steht er ganz in meiner Gewalt;
daß er das letztere überhaupt wird, und es als erstes Prinzip wird,
hängt nicht von mir ab, sondern von einem Gesetze, unter welchem ich selbst
stehe, dem Naturgesetze in der Sinnenwelt, einem übersinnlichen Gesetze
in der übersinnlichen Welt.
Was ist denn nun dies für ein
Gesetz der geistigen Welt, das ich denke? — Ich will mir nämlich
diesen Begriff, der nun da steht, fest und gebildet, und welchem ich nichts
hinzutun kann oder darf, nur erklären, und aus einander setzen. —
Offenbar kein solches, wie in meiner, oder in irgend einer möglichen Sinnenwelt,
dem etwas anderes, als ein bloßer Wille, dem ein
bestehendes, ruhendes Sein, aus welchem sich etwa durch den Anstoß
eines Willens eine innere Kraft loswickelte, vorausgesetzt würde: Denn
— dies ist ja der Inhalt meines Glaubens — mein Wille soll schlechthin
durch sich selbst, ohne alles seinen Ausdruck schwächende
Werkzeug, in einer ihm völlig gleichartigen Sphäre, als Vernunft auf
Vernunft, als Geistiges auf Geistiges, wirken; — in einer Sphäre,
der er jedoch das Gesetz des Lebens, der Tätigkeit, des Fortlaufens nicht
gebe, sondern, die es in sich selbst habe; also auf selbsttätige
Vernunft. Aber selbsttätige Vernunft ist Wille.
Das Gesetz der übersinnlichen Welt wäre sonach
ein Wille.
Ein Wille, der rein, und bloß als Wille wirkt, durch sich selbst, schlechthin
ohne alles Werkzeug, oder sinnlichen Stoff seiner Einwirkung, der absolut durch
sich selbst zugleich Tat ist, und Produkt,
dessen Wollen Geschehen, dessen Gebieten Hinstellen ist; in welchem sonach die
Forderung der Vernunft, absolut frei, und selbsttätig zu sein, dargestellt
ist. Ein Wille, der in sich selbst Gesetz ist, der nicht
nach Launen, und Einfällen, nach vorherigem Überlegen, Wanken und
Schwanken sich bestimmt, sondern der ewig und unveränderlich bestimmt ist,
und auf den man sicher und unfehlbar rechnen kann, so wie der Sterbliche sicher
auf die Gesetze seiner Welt rechnet. Ein Wille, in welchem der gesetzmäßige
Wille endlicher Wesen unausbleibliche Folgen hat;
aber auch nur dieser ihr Wille; indem er für alles andere unbeweglich,
und alles andere für ihn so gut als gar nicht vorhanden ist.
Jener erhabne Wille geht sonach nicht abgesondert
von der übrigen Vernunftwelt seinen Weg für sich.
Es ist zwischen ihm und allen endlichen vernünftigen Wesen ein geistiges
Band, und er selbst ist dieses geistige Band der Vernunftwelt. —
Ich will rein und entschieden meine Pflicht, und Er will sodann, daß es
mir, in der geistigen Welt wenigstens, gelinge. Jeder
gesetzmäßige Willensentschluß des Endlichen gehet ein in ihn,
und — bewegt, und bestimmt ihn, nach unsrer Weise zu reden, — nicht
zufolge eines augenblicklichen Wohlgefallens, sondern zufolge des ewigen Gesetzes
seines Wesens. — Mit überraschender Klarheit tritt er jetzt
vor meine Seele, der Gedanke, der mir bisher noch mit Dunkelheit umringt war,
der Gedanke: daß mein Wille, bloß als solcher,
und durch sich selbst Folgen habe. Er hat Folgen, indem er durch einen andern
ihm verwandten Willen, der selbst Tat, und das einige Lebens-Prinzip der geistigen
Welt ist, unfehlbar und unmittelbar vernommen wird;
in ihm hat er seine erste Folge, und erst durch
ihn auf die übrige Geisterwelt, welche
überall nichts ist, als ein Produkt jenes unendlichen Willens.
So fließe Ich, der Sterbliche muß sich der Worte aus seiner Sprache
bedienen — so fließe Ich ein auf jenen Willen; und die Stimme des
Gewissens in meinem Innern, die in jeder Lage meines Lebens mich unterrichtet,
was ich in ihr zu tun habe, ist es, durch welche Er hinwiederum auf mich einfließt.
Jene Stimme ist das — nur durch meine Umgebung versinnlichte, und durch
mein Vernehmen in meine Sprache übersetzte Orakel aus der ewigen Welt,
das mir verkündiget, wie ich an meinem Teile in die Ordnung der geistigen
Welt, oder in den unendlichen Willen, der ja selbst die Ordnung dieser geistigen
Welt ist, mich zu fügen habe. Ich überschaue und durchschaue
jene geistige Ordnung nicht, und ich bedarf dessen nicht;
ich bin nur ein Glied in ihrer Kette, und kann über das Ganze eben
so wenig urteilen, als ein einzelner Ton im Gesange über die Harmonie des
Ganzen urteilen könnte. Aber was ich selbst sein solle in dieser Harmonie
der Geister, muß ich wissen, denn nur ich selbst kann mich dazu
machen, und es wird mir unmittelbar offenbart durch eine Stimme, die aus jener
Welt zu mir herüber tönt. So stehe ich mit dem
Einen, das da ist, in Verbindung, und nehme Teil an seinem Sein.
Es ist nichts wahrhaft Reelles, Dauerndes, Unvergängliches
an mir, als diese beiden Stücke: die Stimme meines
Gewissens und mein freier Gehorsam. Durch die erste neigt die geistige
Welt sich zu mir herab, und umfaßt mich, als eins ihrer Glieder; durch
den zweiten erhebe ich mich selbst in diese Welt, ergreife sie und wirke in
ihr. Jener unendliche Wille aber ist der Vermittler zwischen
ihr und mir; denn er selbst ist der Urquell von ihr und von mir. — Dies
ist das einzige Wahre und Unvergängliche, nach welchem hin meine Seele
aus ihrer innersten Tiefe sich bewegt; alles Andere ist bloße Erscheinung,
und schwindet, und kehrt in einem neuen Scheine zurück.
Dieser Wille verbindet mich mit sich selbst; derselbe
verbindet mich mit allen endlichen Wesen meines gleichen, und ist der allgemeine
Vermittler zwischen uns allen. Das ist das große
Geheimnis der unsichtbaren Welt, und ihr Grundgesetz, in wiefern sie
Welt oder System von mehreren einzelnen Willen ist: jene Vereinigung, und
unmittelbare Wechselwirkung mehrerer selbstständiger und unabhängiger
Willen mit einander; ein Geheimnis, das schon im
gegenwärtigen Leben klar vor aller Augen liegt, ohne daß es eben
jemand bemerke, oder es seiner Verwunderung würdige. — Die
Stimme des Gewissens, die jedem seine besondere Pflicht auflegt, ist der Strahl,
an welchem wir aus dem Unendlichen ausgehen, und als einzelne, und besondere
Wesen hingestellt werden; sie zieht die Grenzen unsrer Persönlichkeit;
sie also ist unser wahrer Urbestandteil, der Grund und der Stoff alles Lebens,
welches wir leben. Die absolute Freiheit des Willens, die wir gleichfalls aus
dem Unendlichen mit herabnehmen in die Welt der Zeit, ist das Prinzip dieses
unsers Lebens. — Ich handle. Die sinnliche Anschauung, durch welche allein
ich zu einer persönlichen Intelligenz werde, vorausgesetzt, — läßt
sich sehr wohl begreifen, wie ich von diesem meinem Handeln notwendig wissen
müsse; ich weiß es, weil ich selbst es bin, der da handelt; —
es läßt sich begreifen, wie vermittelst dieser sinnlichen Anschauung
mein geistiges Handeln mir erscheine als
Tat in einer
Sinnenwelt, und wie umgekehrt, durch dieselbe Versinnlichung,
das an sich rein geistige Pflichtgebot mir erscheine, als Gebot
einer solchen Tat;— es läßt sich begreifen, wie
eine vorliegende Welt, als Bedingung dieser Tat, und zum Teil, als Folge und
Produkt derselben, mir erscheine. Ich bleibe hierbei immer nur
in mir selbst, und auf meinem eignen Gebiete; alles, was für
mich da ist, entwickelt sich rein, und lediglich aus mir selbst; ich schaue
überall nur mich selbst an, und kein fremdes wahres Sein außer mir.
—
— Aber in dieser meiner Welt nehme ich zugleich
an: Wirkungen anderer Wesen, die von mir unabhängig und selbstständig
sein sollen, eben so, wie ich selbst es bin. Wie diese Wesen für
sich selbst von den Wirkungen, die aus ihnen selbst hervorgehen, wissen können,
läßt sich begreifen; sie wissen davon auf dieselbe Weise, wie ich
von den meinigen weiß. Aber wie ich
davon wissen könne, ist schlechthin unbegreiflich, eben so, wie es unbegreiflich
ist, wie sie von meiner Existenz und von
meinen Äußerungen wissen können, welches ich ihnen ja doch anmute.
Wie fallen sie in meine Welt, und ich in die ihrige? — da ja das Prinzip,
nach welchem das Bewußtsein unsres Selbst, und unsrer Wirkungen, und der
sinnlichen Bedingungen derselben sich aus uns entwickelt — daß nämlich
jede Intelligenz unstreitig wissen müsse, was sie tue — da dieses
Prinzip hier schlechterdings nicht anwendbar ist? Wie
haben freie Geister Kunde von freien Geistern? — nachdem wir wissen,
daß freie Geister das einige Reelle sind,
und an eine selbst-ständige Sinnenwelt, durch welche sie auf einander einwirkten,
gar nicht mehr zu denken ist. Oder willst du mir doch sagen: ich nehme die vernünftigen
Wesen meines gleichen wahr durch die Veränderungen, die sie in der Sinnenwelt
hervorbringen; so frage ich dich hinwiederum, wie du denn diese Veränderungen
selbst wahrzunehmen vermagst? Ich begreife sehr wohl, wie du Veränderungen
wahrnimmst, die durch den bloßen Naturmechanismus bewirkt werden; denn
das Gesetz dieses Mechanismus ist nichts anderes, als dein eignes Denkgesetz,
nach welchem du die mit einem Male gesetzte Welt dir weiter entwickelst. Aber
die Veränderungen, von denen wir hier reden, sollen ja nicht durch den
Naturmechanismus, sondern durch einen über alle Natur erhabenen freien
Willen bewirkt sein, und lediglich, inwiefern du sie dafür ansiehst, schließest
du von ihnen aus auf freie Wesen deinesgleichen. Welches
wäre denn nun das Gesetz in dir, nach dem du die Bestimmungen anderer von
dir absolut unabhän-giger Willen dir entwickeln könntest?
— Kurz, diese gegenseitige Erkenntnis und Wechselwirkung freier Wesen
schon in dieser Welt, ist nach Natur- und Denkgesetzen völlig unbegreiflich,
und läßt sich erklären lediglich durch
das Eine, in dem sie zusammenhängen, nach dem sie für sich getrennt
sind, durch den unendlichen Willen, der alle in seiner Sphäre hält
und trägt. Nicht unmittelbar von dir zu mir, und von mir zu dir strömt
die Erkenntnis, die wir von einander haben; wir für uns sind durch eine
unübersteigliche Grenzscheidung abgesondert. Nur durch unsre gemeinschaftliche
geistige Quelle wissen wir von einander; nur in ihr erkennen wir einander, und
wirken wir auf einander. — Hier achte das Bild der Freiheit auf
der Erde, hier ein Werk, das derselben Gepräge trägt: ruft innerlich
die Stimme jenes Willens mir zu, die mit mir redet, nur inwiefern sie mir Pflichten
auflegt; und dies allein ist das Prinzip, durch welches hindurch ich dich und
dein Werk anerkenne, indem das Gewissen mir gebietet, dasselbe zu achten.
Dann, woher denn unsre Gefühle, unsre sinnliche Anschauung, unsre diskursiven
Denkgesetze, — auf welches alles sich die Sinnenwelt gründet, die
wir erblicken, und in der wir auf einander einzufließen glauben? In Absicht
der beiden letztern, der Anschauung und der Denkgesetze, antworten: es seien
dies die Gesetze der Vernunft an und für sich, — hieße keine
befriedigende Antwort geben. Für uns freilich, die wir auf das Gebiet derselben
gebannt sind, ist es sogar unmöglich, andere zu denken, oder eine Vernunft,
welche unter andern steht. Aber das eigentliche Gesetz der Vernunft an sich,
ist nur das praktische Gesetz, das Gesetz der übersinnlichen
Welt, oder jener erhabene Wille. — Und wenn man dieses einen Augenblick
unerörtert lassen wollte, woher denn unser aller Übereinstimmung
über Gefühle,
die doch etwas Positives, Unmittelbares, Unerklärbares sind? Von dieser
Übereinstimmung über Gefühl, Anschauung,
und Denkgesetze aber hängt es ab, daß wir alle dieselbe
Sinnenwelt erblicken.
Es ist dies eine übereinstimmende unbegreifliche Beschränkung der
endlichen Vernunftwesen unsrer Gattung, und eben dadurch, daß diese übereinstimmend
beschränkt sind, werden sie zu Einer Gattung, — antwortet die Philosophie
des bloßen reinen Wissens, und muß dabei, als bei ihrem Höchsten
stehen bleiben. Aber, was könnte die Vernunft beschränken, außer,
was selbst Vernunft ist; — und alle endliche Vernunft beschränken,
außer der unendlichen? Diese Übereinstimmung unser aller über
die zum Grunde zu legende, gleichsam vorausgegebene Sinnenwelt, als Sphäre
unsrer Pflicht, welche, die Sache genau angesehen, eben so unbegreiflich ist,
als unsre Übereinstimmung über die Produkte unsrer gegenseitigen Freiheit,
— diese Übereinstimmung ist Resultat des Einen,
ewigen unendlichen Willens. Unser Glaube an sie, den ich oben betrachtete,
als Glauben an unsre Pflicht, ist eigentlich Glauben an
Ihn, an Seine Vernunft, und an Seine Treue. — Was ist denn nun
doch das eigentlich, und rein Wahre, das wir in der Sinnenwelt annehmen, und
an welches wir glauben? Nichts anderes, als daß aus unsrer treuen, und
unbefangenen Vollbringung der Pflicht in dieser Welt ein unsre Freiheit, und
Sittlichkeit förderndes Leben in alle Ewigkeit sich entwickeln werde. Findet
dies statt, dann hat unsre Welt Wahrheit, und die einzige für endliche
Wesen mögliche; es muß statt finden, denn diese Welt
ist Resultat des ewigen Willens in uns; aber dieser Wille kann zufolge
der Gesetze seines Wesens keinen andern Endzweck mit Endlichen haben, als den
angegebnen.
Jener ewige Wille ist also allerdings Weltschöpfer, so wie er es
allein sein kann, und wie es allein einer Schöpfung bedarf; in
der endlichen Vernunft. Diejenigen, welche ihn aus einer ewigen
trägen Materie eine Welt bauen lassen, die dann auch nur träge und
leblos sein könnte, wie durch menschliche Hände verfertigte Geräte
— und kein ewiger Fortgang einer Entwickelung aus sich selbst, oder die
es sich anmuten, das Hervorgehen eines materiellen Etwas aus dem Nichts zu denken,
kennen weder die Welt, noch Ihn. Es ist überall Nichts,
wenn nur die Materie Etwas sein soll, und es bleibt überall und
in alle Ewigkeit Nichts. Nur die Ver-nunft ist; die unendliche an sich, die
endliche in ihr, und durch sie. Nur in unsern Gemütern erschafft er eine
Welt; wenigstens das, woraus wir sie entwickeln,
und das, wodurch wir sie entwickeln: —
den Ruf zur Pflicht; und übereinstimmende Gefühle, Anschauung und
Denkgesetze. Es ist sein Licht, durch welches
wir das Licht, und alles was in diesem Lichte uns erscheint, erblicken.
In unsern Gemütern bildet er fort diese
Welt, und greift ein in dieselbe, indem er in unsre Gemüter durch
den Ruf der Pflicht eingreift, sobald ein anderes freies Wesen etwas in derselben
verändert. In unsern Gemütern
erhält er diese
Welt, und dadurch unsre endliche Existenz, deren allein wir fähig
sind; indem er fortdauernd aus unsern Zuständen andere Zustände entstehen
läßt. Nachdem er seinem höhern Zwecke gemäß uns sattsam
für unsre nächste Bestimmung geprüft, und wir für dieselbe
uns gebildet haben werden, wird er durch das, was wir
Tod nennen, dieselbe für uns vernichten, und uns in eine neue, das Produkt
unsers pflichtmäßigen Handelns in dieser, einführen. Alles unser
Leben ist Sein Leben. Wir sind in seiner Hand, und bleiben in derselben, und
niemand kann uns daraus reißen. Wir sind ewig, weil Er es ist.
Erhabner lebendiger Wille, den kein Name nennt, und kein
Begriff umfaßt, wohl darf ich mein Gemüt zu dir erheben; denn du
und ich sind nicht getrennt. Deine Stimme ertönt in mir, die meinige tönt
in dir wieder; und alle meine Gedanken, wenn sie nur wahr und gut sind, sind
in dir gedacht. — In dir, dem Un¬begreiflichen, werde ich mir selbst,
und wird mir die Welt vollkommen begreiflich, alle Rätsel meines Daseins
werden gelöst, und die vollendetste Harmonie entsteht in meinem Geiste.
Am besten fasset dich die kindliche, dir ergebne Einfalt. Du bist ihr der Herzenskündiger,
der ihr Inneres durchschaut, der allgegenwärtige treue Zeuge ihrer Gesinnungen,
der allein weiß, daß sie es redlich meint, und der allein sie kennt,
ob sie auch von aller Welt mißkannt würde.
Du bist ihr der Vater, der es immer gut mit ihr meint, und der alles zu ihrem
Besten wenden wird. In deine gütigen Beschlüsse gibt sie sich
ganz mit Leib und Seele. Tue mit mir, wie du willst, sagt sie, ich weiß,
daß es gut sein wird, so gewiß Du
es bist, der es tut. Der grübelnde Verstand, der nur von dir gehört,
nie aber dich gesehen hat, will uns dein Wesen an sich kennen lehren, und stellt
ein widersprechendes Mißgeschöpf hin, das er für dein Bild ausgibt,
lächerlich dem bloß Verständigen, verhaßt und abscheulich
dem Weisen und Guten.
Ich verhülle vor dir mein Angesicht, und lege die Hand auf den Mund. Wie
du für dich selbst bist, und dir selbst erscheinest, kann ich nie einsehen,
so gewiß ich nie du selbst werden kann. Nach tausendmal
tausend durchlebten Geisterleben werde ich dies noch eben so wenig begreifen
als jetzt, in dieser Hütte von Erde. — Was ich begreife, wird
durch mein bloßes Begreifen zum Endlichen; und dieses läßt
auch durch unendliche Steigerung, und Erhöhung sich nie ins Unendliche
umwandeln. Du bist vom Endlichen nicht dem Grade, sondern
der Art nach verschieden. Sie machen dich durch jene Steigerung nur zu
einem größern Menschen, und immer zu einem größern; nie
aber zum Gotte, zum Unendlichen, der keines Maßes fähig ist. —
Ich habe nur dieses diskursiv fortschreitende Bewußtsein, und kann kein
anderes mir denken. Wie dürfte ich dieses dir zuschreiben? In dem Begriffe
der Persönlichkeit liegen Schranken. Wie könnte ich jenen auf dich
übertragen, ohne diese?
Ich will nicht versuchen, was mir durch das Wesen der Endlichkeit versagt ist,
und was mir zu nichts nutzen würde; wie du an dir selbst bist, will ich
nicht wissen. Aber deine Beziehungen und Verhältnisse zu mir, dem Endlichen,
und zu allen Endlichen, liegen offen vor meinem Auge: werde ich, was ich sein
soll! — und sie umgeben mich in hellerer Klarheit, als das Bewußtsein
meines eignen Daseins. Du wirkest in mir
die Erkenntnis von meiner Pflicht, von meiner Bestimmung in der Reihe der vernünftigen
Wesen; wie das weiß ich nicht, noch
bedarf ich es zu wissen. Du weißt und erkennst,
was ich denke und will; wi e du wissen kannst; — durch welchen Akt d u
dieses Bewußtsein zu Stande bringst, darüber verstehe ich nichts;
ja ich weiß sogar sehr wohl, daß der Begriff eines Akts, und eines
besondern Akts des Bewußtseins nur von mir gilt, nicht aber von dir, dem
Unendlichen. Du willst, denn du willst,
daß mein freier Gehorsam Folgen habe in alle Ewigkeit; den Akt deines
Willens begreife ich nicht, und weiß nur so viel, daß er nicht ähnlich
ist dem meinigen. Du tust, und dein Wille
selbst ist Tat; aber deine Wirkungsweise ist der, die ich allein zu denken vermag,
geradezu entgegengesetzt. Du lebest und bist,
denn du weißt, willst, und wirkest, allgegenwärtig der endlichen
Vernunft; aber du bist nicht, wie ich
alle Ewigkeiten hindurch allein ein Sein werde denken können.
In der Anschauung dieser deiner Beziehungen zu mir dem Endlichen will ich ruhig
und selig sein. Ich weiß unmittelbar nur, was ich soll. Dieses will ich
unbefangen, freudig, und ohne Klügelei tun; denn es ist deine Stimme, die
es mir befiehlt, die Verordnung des geisti¬gen Weltplans an mich; und die
Kraft, mit der ich es ausrichte, ist deine Kraft. Was durch jene mir
geboten, was durch diese ausgerichtet wird, ist in jenem Plane gewiß und
wahrhaftig gut. Ich bin ruhig bei allen Ereignissen in der Welt, — denn
sie sind in deiner Welt. Nichts kann mich
irren, oder befremden, oder zaghaft machen, so gewiß du lebst, und ich
dein Leben schaue. Denn in dir, und durch dich hindurch, o Unendlicher, erblicke
ich selbst meine gegenwärtige Welt in einem andern Lichte. Natur, und Naturerfolg
in den Schicksalen und Wirkungen freier Wesen, wird dir gegenüber zu einem
leeren, nichts bedeutenden Worte. Es ist keine Natur mehr; du, nur du bist.
— Es erscheint mir nicht mehr, als Endzweck der gegenwärtigen Welt,
daß nur jener Zustand des allgemeinen Friedens unter den Menschen und
ihrer unbedingten Herrschaft über den Natur-Mechanismus hervorgebracht
werde, bloß damit er sei, sondern, daß er durch die Menschen selbst
hervorgebracht werde; und da er auf alle berechnet ist,
daß er durch alle, als Eine große, freie, moralische Gemeine hervorgebracht
werde. Nichts Neues und Besseres für einen Einzelnen, außer
durch seinen pflichtmäßigen Willen; nichts Neues und Besseres für
die Gemeine, außer durch den gemeinschaftlichen pflichtmäßigen
Willen: ist Grundgesetz des großen sittlichen Reichs, wovon das gegenwärtige
Leben ein Teil ist. Darum ist der gute Wille des Einzelnen für diese Welt
so oft verloren, weil er nur noch der des Einzelnen ist, und der Wille
der Mehrheit mit ihm nicht zusammenstimmt; und seine Folgen fallen bloß
in eine zukünftige Welt. Darum scheinen sogar die Leidenschaften
und Laster der Menschen zur Erreichung des Bessern mitzuwirken; — nicht
an und für sich; in diesem Sinne kann aus dem Bösen
nie Gutes hervorgehen, sondern, indem sie den entgegengesetzten Lastern das
Gleichgewicht halten, und endlich durch ihr Übermaß diese, und mit
ihnen zugleich sich selbst vernichten. Die Unterdrückung hätte nie
die Oberhand gewinnen können, wenn nicht Feigheit, Niederträchtigkeit,
und gegenseitiges Mißtrauen der Menschen unter einander ihr den Weg geebnet
hätten. Sie wird so lange steigen, bis sie die Feigheit und den Sklavensinn
ausrottet, und Verzweiflung den verlornen Mut wieder weckt. Dann werden die
beiden entgegengesetzten Laster einander vernichtet haben, und das Edelste in
allen menschlichen Verhältnissen, dauernde Freiheit, wird aus ihnen hervorgegangen
sein.
Die Handlungen freier Wesen haben der Strenge nach nur auf andre freie Wesen
Folgen; denn in diesen und für diese allein ist eine Welt; und dasjenige,
worüber alle übereinstimmen, ist eben die Welt. Aber sie
haben Folgen in ihnen nur durch den unendlichen, alle Einzelne vermittelnden
Willen. Aber ein Ruf, eine Bekanntmachung dieses Willens an uns ist stets
eine Aufforderung zu einer bestimmten Pflicht. Also — sogar das in der
Welt, was wir böse nennen, die Folge des Mißbrauchs der Freiheit,
ist nur durch ihn : und sie ist für
alle, für die sie ist, nur, indem ihnen dadurch Pflichten aufgelegt werden.
Wäre es nicht in dem ewigen Plane unsrer sittlichen
Bildung, und der Bildung unsers ganzen Geschlechts, daß gerade
diese Pflichten uns aufgelegt werden sollten, so würden sie uns nicht aufgelegt,
und dasjenige, wodurch sie uns aufgelegt werden, und was wir Böse nennen,
wäre gar nicht erfolgt. Insofern ist alles gut, was da geschieht
und absolut zweckmäßig. Es ist nur Eine
Welt möglich, eine durchaus gute. Alles, was in dieser Welt sich
ereignet, dient zur Verbesserung und Bildung der Menschen, und vermittelst dieser
zur Herbeiführung ihres irdischen Ziels. Dieser höhere Weltplan ist
es, was wir Natur nennen, wenn wir sagen: die Natur führet den Menschen
durch Mangel zum Fleiße, durch die Übel der allgemeinen Unordnung
zu einer rechtlichen Verfassung, durch die Drangsale ihrer unaufhörlichen
Kriege zum endlichen ewigen Frieden. Dein Wille, Unendlicher,
deine Vorsehung allein ist diese höhere Natur. — Am besten fasset
auch dieses die kunstlose Einfalt, wenn sie dieses Leben für eine Prüfungs-
und Bildungs-Anstalt, für eine Schule zur Ewigkeit anerkennt; wenn sie
in allen Schicksalen, von denen sie betroffen wird, den geringfügigsten,
wie den wichtigsten, deine Fügungen erblickt, die sie zum Guten führen
sollen; wenn sie fest glaubt, daß denen, die ihre Pflicht lieben, und
dich kennen, alle Dinge zum Besten dienen müssen.
O, wohl habe ich die vergangenen Tage meines Lebens mich im Finstern befunden;
wohl habe ich Irrtümer auf Irrtümer aufgebaut, und mich für weise
gehalten. Jetzt erst verstehe ich ganz die Lehre, welche mich so sehr befremdete,
aus deinem Munde, wunderbarer Geist, ohnerachtet mein Verstand ihr nichts entgegen
zu setzen hatte; denn erst jetzt übersehe ich sie in ihrem ganzen Umfange,
in ihrem tiefsten Grunde, und nach allen ihren Folgen.
Der Mensch ist nicht Erzeugnis der Sinnenwelt, und der Endzweck seines Daseins
kann in derselben nicht erreicht werden.
Seine Bestimmung geht über Zeit, und Raum, und alles Sinnliche hinaus.
Was er ist, und wozu er sich machen soll, davon muß er wissen; wie seine
Bestimmung erhaben ist, so muß auch sein Gedanke schlechthin über
alle Schranken der Sinnlichkeit sich erheben können. Er muß es sollen;
wo sein Sein einheimisch ist, da ist es notwendig auch sein Gedanke; und die
wahrhaft menschlichste, ihm allein anständige Ansicht, die, wodurch seine
ganze Denk-Kraft dargestellt wird, ist diejenige, wodurch er sich über
jene Schranken erhebt, und wodurch alles Sinnliche sich ihm rein in Nichts verwandelt,
in einem bloßen Widerschein des allein bestehenden Unsinnlichen in sterbliche
Augen.
Viele sind ohne künstliches Denken, lediglich durch ihr großes Herz,
und durch ihren rein sittlichen Instinkt zu dieser Ansicht erhoben worden, weil
sie überhaupt vorzüglich nur mit dem Herzen, und in der Gesinnung
lebten. Sie verleugneten durch ihr Verfahren die Wirksamkeit und Realität
der Sinnenwelt, und ließen in Bestimmung ihrer Entschließungen und
Maßregeln für Nichts gelten, wovon sie sich freilich durch Denken
nicht deutlich gemacht hatten, daß es selbst für die Denkkraft Nichts
sei. Diejenigen, die da sagen dürften: Unser Bürgerrecht
ist im Himmel, wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern die zukünftige
suchen wir; diejenigen, deren Hauptgrundsatz es war, der Welt abzusterben,
von neuem geboren zu werden, und schon hier in ein anderes Leben einzugehen,
— setzen ohne Zweifel in alles Sinnliche nicht den mindesten Wert, und
waren, um des Ausdruckes der Schule mich zu bedienen, praktisch transzendentale
Idealisten.
Andere, welche außer der uns allen angebornen sinnlichen Handlungsweise
auch noch durch ihr Denken in der Sinnlichkeit sich bestärkt, und in sie
verwickelt haben, und mit ihr gleichsam zusammengewachsen sind, können
nur durch fortgeführtes, und bis zu Ende gebrachtes Denken sich dauerhaft,
und vollkommen über sie erheben; außerdem würden sie selbst
bei der reinsten sittlichen Gesinnung immer wieder durch ihren Verstand herabgezogen
werden, und ihr ganzes Wesen würde ein stets fortgesetzter unauflöslicher
Widerspruch bleiben. Für diese wird jene Philosophie,
die ich erst jetzt durchaus verstehe, die erste Kraft, welche Psychen die Raupenhülle
abstreife, und ihre Flügel entfalte, auf denen sie zunächst über
sich selbst schwebt, und noch einen Blick auf die verlaßne Hülle
wirft, um sodann in höhern Sphären zu leben und zu walten.
S.161-180
Aus: Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Theodor Ballauff und Ignaz
Klein
Reclams Universalbibliothek 1201, © 1962 Philipp Reclam jun., Stuttgart
Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam
Verlages
Über
die geistige Bestimmung des deutschen Volkes
(Reden an die deutsche Nation)
Der Deutsche ist zuvörderst ein Stamm der Germanier überhaupt, über
welche letztere ,hier hinreicht die Bestimmung anzugeben, daß sie da waren,
die im alten Europa errichtete gesellschaftliche Ordnung mit der im alten Asien
aufbewahrten wahren Religion zu vereinigen, und so an und aus sich selbst eine
neue Zeit, im Gegensatze des untergegangenen Altertums, zu entwickeln. Ferner
reicht es hin den Deutschen insbesondre nur im Gegensatze mit den andern neben
ihm entstandenen germanischen Völkerstämmen zu bezeichnen; indem andere
neueuropäische Nationen, als z. B. die von slavischer Abstammung, sich
vor dem übrigen Europa noch nicht so klar entwickelt zu haben scheinen,
daß eine bestimmte Zeichnung von ihnen möglich sei, andere aber von
der gleichen germanischen Abstammung, von denen der sogleich anzuführende
Hauptunterscheidungsgrund nicht gilt, wie die Skandinavier, hier unbezweifelt
für Deutsche genommen werden, und unter allen den allgemeinen Folgen unsrer
Betrachtung mit begriffen sind. Vierte Rede,
S.58f. […]
Der zu allererst, und unmittelbar der Betrachtung sich darbietende Unterschied
zwischen den Schicksalen der Deutschen und der übrigen aus derselben Wurzel
erzeugten Stämme ist der, daß die ersten in den ursprünglichen
Wohnsitzen des Stammvolks blieben, die letzten in andere Sitze auswanderten,
die ersten die ursprüngliche Sprache des Stammvolks behielten und fortbildeten,
die letzten eine fremde Sprache annahmen, und dieselbe allmählich nach
ihrer Weise umgestalteten. Aus dieser frühesten Verschiedenheit müssen
erst die später erfolgten, z. B. daß im ursprünglichen Vaterlande,
angemessen germanischer Ursitte, ein Staatenbund unter einem beschränkten
Oberhaupte blieb, in den fremden Ländern mehr auf bisherige römische
Weise, die Verfassung in Monarchien überging, u. dgl. erklärt werden,
keinesweges aber in umgekehrter Ordnung. Vierte
Rede, S.60f. […]
Bedeutender aber, und wie ich dafürhalte, einen vollkommnen Gegensatz zwischen
den Deutschen, und den übrigen Völkern germanischer Abkunft begründend,
ist die zweite Veränderung, die der Sprache; und kommt es dabei, welches
ich gleich zu Anfange bestimmt aussprechen will, weder auf die besondre Beschaffenheit
derjenigen Sprache an, welche von diesem Stamme beibehalten, noch auf die der
andern, welche von jenem andern Stamme angenommen wird, sondern allein darauf,
daß dort Eigenes behalten, hier Fremdes angenommen wird; noch kommt es
an auf die vorige Abstammung derer, die eine ursprüngliche Sprache fortsprechen,
sondern nur darauf, daß diese Sprache ohne Unterbrechung
fortgesprochen werde, indem weit mehr die Menschen von der Sprache gebildet
werden, denn die Sprache von den Menschen.
Um die Folgen eines solchen Unterschiedes in der Völkererzeugung, und die
bestimmte Art des Gegensatzes in den Nationalzügen, die aus dieser Verschiedenheit
notwendig erfolgt, klarzumachen, soweit es hier möglich und nötig
ist, muß ich Sie zu einer Betrachtung über das Wesen der Sprache
überhaupt einladen.
Die Sprache überhaupt, und besonders die Bezeichnung der Gegenstände
in derselben durch das Lautwerden der Sprachwerkzeuge hängt keinesweges
von willkürlichen Beschlüssen, und Verabredungen ab, sondern es gibt
zuvörderst ein Grundgesetz, nach welchem jedweder Begriff in den menschlichen
Sprachwerkzeugen zu diesem, und keinem andern Laute wird. So wie die Gegenstände
sich in den Sinnenwerkzeugen des einzelnen mit dieser bestimmten Figur, Farbe,
usw. abbilden, so bilden sie sich im Werkzeuge des gesellschaftlichen Menschen,
in der Sprache, mit diesem bestimmten Laute ab. Nicht eigentlich redet der Mensch,
sondern in ihm redet die menschliche Natur, und verkündiget sich andern
seinesgleichen. Und so müßte man sagen: die Sprache ist eine einzige,
und durchaus notwendige.
Nun mag zwar, welches das zweite ist, die Sprache in dieser ihrer Einheit für
den Menschen schlechtweg, als solchen, niemals, und nirgend hervorgebrochen
sein, sondern allenthalben weiter geändert und gebildet durch die Wirkungen,
welche der Himmelsstrich, und häufigerer, oder seltnerer Gebrauch, auf
die Sprachwerkzeuge, und die Aufeinanderfolge der beobachteten und bezeichneten
Gegenstände, auf die Aufeinanderfolge der Bezeichnung hatten. Jedoch findet
auch hierin nicht Willkür oder Ohngefähr, sondern strenges Gesetz
statt; und es ist notwendig, daß in einem durch die erwähnten Bedingungen
also bestimmten Sprachwerkzeuge, nicht die Eine und reine Menschensprache, sondern
daß eine Abweichung davon, und zwar, daß gerade diese bestimmte
Abweichung davon hervorbreche.
Nenne man die unter denselben äußern Einflüssen auf das Sprachwerkzeug
stehenden, zusammenlebenden, und in fortgesetzter Mitteilung ihre Sprache fortbildenden
Menschen ein Volk, so muß man sagen: die Sprache
dieses Volks ist notwendig so wie sie ist, und nicht eigentlich dieses Volk
spricht seine Erkenntnis aus, sondern seine Erkenntnis selbst spricht sich aus
aus demselben.
Bei allen im Fortgange der Sprache durch dieselben oben erwähnten Umstände
erfolgten Veränderungen bleibt ununterbrochen diese Gesetzmäßigkeit;
und zwar für alle, die in ununterbrochner Mitteilung bleiben, und wo das
von jedem einzelnen ausgesprochene Neue an das Gehör aller gelangt, dieselbe
Eine Gesetzmäßigkeit. Nach Jahrtausenden, und nach allen den Veränderungen,
welche in ihnen die äußere Erscheinung der Sprache dieses Volks erfahren
hat, bleibt es immer dieselbe Eine, ursprünglich also ausbrechen müssende
lebendige Sprachkraft der Natur, die ununterbrochen durch alle Bedingungen herabgeflossen
ist, und in jeder so werden mußte, wie sie ward, am Ende derselben so
sein mußte, wie sie jetzt ist, und in einiger Zeit also sein wird, wie
sie sodann müssen wird. Die reinmenschliche Sprache zusammengenommen zuvörderst
mit dem Organe des Volks, als sein erster Laut ertönte; was hieraus sich
ergibt, ferner zusammengenommen mit allen Entwicklungen, die dieser erste Laut
unter den gegebnen Umständen gewinnen mußte, gibt als letzte Folge
die gegenwärtige Sprache des Volks. Darum bleibt auch die Sprache immer
dieselbe Sprache.
Lasset immer nach einigen Jahrhunderten die Nachkommen die damalige Sprache
ihrer Vorfahren nicht verstehen, weil für sie die Übergänge verlorengegangen
sind, dennoch gibt es vom Anbeginn an einen stetigen Übergang, ohne Sprung,
immer unmerklich in der Gegenwart, und nur durch Hinzufügung neuer Übergänge
bemerklich gemacht, und als Sprung erscheinend. Niemals ist! ein Zeitpunkt eingetreten,
da die Zeitgenossen aufgehört hätten sich zu verstehen, indem ihr
ewiger Vermittler und Dolmetscher die aus ihnen allen sprechende gemeinsame
Naturkraft immerfort war und blieb. So verhält es
sich mit der Sprache als Bezeichnung der Gegenstände unmittelbar sinnlicher
Wahrnehmung, und dieses ist alle menschliche Sprache anfangs.
Erhebt von dieser das Volk sich zu Erfassung des Übersinnlichen, so vermag
dieses Übersinnliche zur beliebigen Wiederholung und zur Vermeidung der
Verwirrung mit dem Sinnlichen für den ersten einzelnen, und zur Mitteilung
und zweckmäßigen Leitung für andere, zuvörderst nicht anders
festgehalten zu werden, denn also, daß ein Selbst als Werkzeug
einer übersinnlichen Welt, bezeichnet, und von demselben Selbst, als Werkzeug
der sinnlichen Welt, genau unterschieden werde — eine Seele, Gemüt
u. dgl. einem körperlichen Leibe entgegengesetzt werde.
Ferner könnten die verschiedenen Gegenstände
dieser übersinnlichen Welt, da sie insgesamt nur in jenem übersinnlichen
Werkzeuge erscheinen, und für dasselbe da sind, in der Sprache nur dadurch
bezeichnet werden, daß gesagt werde, ihr besonderes Verhältnis zu
ihrem Werkzeuge sei also, wie das Verhältnis der und der bestimmten sinnlichen
Gegenstände zum sinnlichen Werkzeuge, und daß in diesem Verhältnis
ein besonderes Übersinnliches einem besondern Sinnlichen gleichgesetzt,
und durch diese Gleichsetzung sein Ort im übersinnlichen Werkzeuge durch
die Sprache angedeutet werde. Weiter vermag in diesem Umkreise die Sprache nichts;
sie gibt ein sinnliches Bild des Übersinnlichen bloß
mit der Bemerkung, daß es ein solches Bild sei; wer zur Sache selbst kommen
will, muß nach der durch das Bild ihm angegebenen Regel sein eigenes geistiges
Werkzeug in Bewegung setzen. — Im allgemeinen erhellet, daß diese
sinnbildliche Bezeichnung des Übersinnlichen jedesmal nach der
Stufe der Entwicklung des sinnlichen Erkenntnisvermögens unter dem
gegebenen Volke sich richten müsse; daß daher der Anfang und Fortgang
dieser sinnbildlichen Bezeichnung in verschiedenen Sprachen sehr verschieden
ausfallen werde, nach der Verschiedenheit des Verhältnisses, das zwischen
der sinnlichen, und geistigen Ausbildung des Volkes, das eine Sprache redet,
stattgefunden, und fortwährend stattfindet.
Wir beleben zuvörderst diese in sich klare Bemerkung durch ein Beispiel.
Etwas, das zufolge der in der vorigen Rede erklärten
Erfassung des Grundtriebes nicht erst durch das dunkle Gefühl, sondern
sogleich durch klare Erkenntnis entsteht, dergleichen jedesmal ein übersinnlicher
Gegenstand ist, heißt mit einem griechischen, auch in der deutschen Sprache
häufig gebrauchten Worte, eine I d e e, und dieses Wort gibt genau dasselbe
Sinnbild, was in der deutschen das Wort Gesicht, wie dieses in folgenden
Wendungen der Lutherischen Bibelübersetzung:
ihr werdet Gesichte sehen, ihr werdet Träume haben,
vorkommt. Idee oder Gesicht in sinnlicher Bedeutung wäre etwas, das nur
durch das Auge des Leibes, keinesweges aber durch einen andern Sinn, etwa der
Betastung, des Gehörs usw. erfaßt werden könnte, so wie etwa
ein Regenbogen, oder die Gestalten, welche im Traume vor uns vorübergehen.
Dasselbe in übersinnlicher Bedeutung hieße zuvörderst, zufolge
des Umkreises in dem das Wort gelten soll, etwas, das gar nicht durch den Leib,
sondern nur durch den Geist erfaßt wird, sodann, das auch nicht durch
das dunkle Gefühl des Geistes, wie manches andere, sondern allein durch
das Auge desselben, die klare Erkenntnis, erfaßt werden kann. Wollte man
nun etwa ferner annehmen, daß den Griechen bei dieser sinnbildlichen Bezeichnung
allerdings der Regenbogen, und die Erscheinungen der Art, zum Grunde gelegen,
so mußte man gestehen, daß ihre sinnliche Erkenntnis schon vorher
sich zur Bemerkung des Unterschiedes zwischen den Dingen, daß einige sich
allen oder mehrern Sinnen, einige sich bloß dem Auge offenbaren, erhoben
haben müsse, und daß außerdem sie den entwickelten Begriff,
wenn er ihnen klar geworden wäre, nicht also, sondern anders hätten
bezeichnen müssen. Es würde sodann auch ihr Vorzug in geistiger Klarheit
erhellen etwa vor einem andern Volke, das den Unterschied
zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem nicht durch ein aus dem besonnenen
Zustande des Wachens hergenommenes Sinnbild habe bezeichnen können, sondern
zum Traume seine Zuflucht genommen, um ein Bild für eine andere Welt zu
finden; zugleich würde einleuchten, daß dieser Unterschied nicht
etwa durch die größere oder geringere Stärke des Sinns fürs
Übersinnliche in den beiden Völkern,
sondern daß er lediglich durch die Verschiedenheit
ihrer sinnlichen Klarheit, damals, als sie Übersinnliches bezeichnen
wollten, begründet sei.
So richtet alle Bezeichnung des Übersinnlichen sich nach dem Umfange und
der Klarheit der sinnlichen Erkenntnis desjenigen, der da bezeichnet. Das
Sinnbild ist ihm klar, und drückt ihm das Verhältnis des Begriffenen
zum geistigen Werkzeuge vollkommen verständlich aus, denn dieses Verhältnis
wird ihm erklärt durch ein anderes unmittelbar lebendiges Verhältnis
zu seinem sinnlichen Werkzeuge. Diese also entstandene neue Bezeichnung, mit
aller der neuen Klarheit, die durch diesen erweiterten Gebrauch des Zeichens
die sinnliche Erkenntnis selber bekommt, wird nun niedergelegt in der Sprache;
und die mögliche künftige übersinnliche Erkenntnis wird nun nach
ihrem Verhältnisse zu der ganzen in der gesamten Sprache niedergelegten
übersinnlichen und sinnlichen Erkenntnis bezeichnet; und so geht es ununterbrochen
fort; und so wird denn die unmittelbare Klarheit und Verständlichkeit
der Sinnbilder niemals abgebrochen, sondern sie bleibt ein stetiger Fluß.
—
Ferner, da die Sprache nicht durch Willkür vermittelt, sondern als
unmittelbare Naturkraft aus dem verständigen Leben ausbricht, so
hat eine ohne Abbruch nach diesem Gesetze fortentwickelte Sprache auch die Kraft,
unmittelbar einzugreifen in das Leben, und dasselbe anzuregen. Wie die unmittelbar
gegenwärtigen Dinge den Menschen bewegen, so müssen auch die Worte
einer solchen Sprache den bewegen, der sie versteht, denn auch sie sind Dinge,
keinesweges willkürliches Machwerk. So zunächst im Sinnlichen. Nicht
anders jedoch auch im Übersinnlichen. Denn obwohl in Beziehung auf das
letztere der stetige Fortgang der Naturbeobachtung durch freie Besinnung und
Nachdenken unterbrochen wird, und hier gleichsam der unbildliche
Gott eintritt; so versetzt dennoch die Bezeichnung durch die Sprache
das Unbildliche auf der Stelle in den stetigen Zusammenhang des Bildlichen zurück;
und so bleibt auch in dieser Rücksicht der stetige Fortgang der zuerst
als Naturkraft ausgebrochenen Sprache ununterbrochen, und es tritt in den Fluß
der Bezeichnung keine Willkür ein. Es kann darum auch dem übersinnlichen
Teile einer also stetig fortentwickelten Sprache seine Leben anregende Kraft
auf den, der nur sein geistiges Werkzeug in Bewegung setzt, nicht entgehen.
Die Worte einer solchen Sprache in allen ihren Teilen sind Leben, und schaffen
Leben. — Machen wir auch in Rücksicht der Entwickelung der Sprache
für das Übersinnliche die Voraussetzung, daß das Volk dieser
Sprache in ununterbrochener Mitteilung geblieben, und daß, was Einer gedacht,
und ausgesprochen, bald an alle gekommen, so gilt, was bisher im allgemeinen
gesagt worden, für alle, die diese Sprache reden.
Allen, die nur denken wollen, ist das in der Sprache niedergelegte Sinnbild
klar; allen, die da wirklich denken, ist es lebendig, und anregend ihr Leben.
So verhält es sich, sage ich, mit einer Sprache, die von dem ersten Laute
an, der in demselben Volke ausbrach, ununterbrochen aus dem wirklichen gemeinsamen
Leben dieses Volks sich entwickelt hat, und in die niemals ein Bestandteil gekommen,
der nicht eine wirklich erlebte Anschauung dieses Volks, und eine mit allen
übrigen Anschauungen desselben Volks im allseitig eingreifenden Zusammenhange
stehende Anschauung ausdrückte. Lasset dem Stammvolke dieser Sprache noch
so viel einzelne andern Stammes, und anderer Sprache einverleibt werden; wenn
es diesen nur nicht verstattet wird, den Umkreis ihrer Anschauungen zu dem Standpunkte,
von welchem von nun an die Sprache sich fortentwickle, zu erheben, so bleiben
diese stumm in der Gemeine, und ohne Einfluß auf die Sprache, so lange,
bis sie selbst in den Umkreis der Anschauungen des Stammvolkes hineingekommen
sind, und so bilden nicht sie die Sprache, sondern die Sprache bildet sie. Vierte
Rede, S.61ff. […]
Somit ist unsre nächste Aufgabe, den unterscheidenden Grundzug des Deutschen
vor den andern Völkern germanischer Abkunft zu finden, gelöst. Die
Verschiedenheit ist sogleich bei der ersten Trennung des gemeinschaftlichen
Stamms entstanden, und besteht darin, daß der Deutsche eine bis zu ihrem
ersten Ausströmen aus der Naturkraft lebendige Sprache redet, die übrigen
germanischen Stämme eine nur auf der Oberfläche sich regende, in der
Wurzel aber tote Sprache. Allein in diesen Umstand, in
die Lebendigkeit, und in den Tod, setzen wir den Unterschied; keinesweges aber
lassen wir uns ein auf den übrigen innern Wert der deutschen Sprache.
Zwischen Leben und Tod findet gar keine Vergleichung statt, und das erste hat
vor dem letzten unendlichen Wert; darum sind alle unmittelbare Vergleichungen
der deutschen und der neulateinischen Sprachen durchaus nichtig, und sind gezwungen
von Dingen zu reden, die der Rede nicht wert sind. Sollte vom innern Werte der
deutschen Sprache die Rede entstehen. so müßte wenigstens eine von
gleichem Range, eine ebenfalls ursprüngliche, als etwa die griechische,
den Kampfplatz betreten; unser gegenwärtiger Zweck aber liegt tief unter
einer solchen Vergleichung.
Welchen unermeßlichen Einfluß auf die ganze
menschliche Entwicklung eines Volks die Beschaffenheit seiner Sprache haben
möge, der Sprache, welche den einzelnen bis in die geheimste Tiefe seines
Gemüts bei Denken, und Wollen begleitet, und beschränkt oder beflügelt,
welche die gesamte Menschenmenge, die dieselbe redet, auf ihrem Gebiete zu einem
einzigen gemeinsamen Verstande verknüpft, welche der wahre gegenseitige
Durchströmungspunkt der Sinnenwelt, und der der Geister ist, und die Enden
dieser beiden also ineinander verschmilzt, daß gar nicht zu sagen ist,
zu welcher von beiden sie selber gehöre; wie verschieden die Folge dieses
Einflusses ausfallen möge, da, wo das Verhältnis ist, wie Leben, und
Tod, läßt sich im allgemeinen erraten. Zunächst bietet
sich dar, daß der Deutsche ein Mittel hat seine lebendige Sprache durch
Vergleichung mit der abgeschlossnen römischen Sprache, die von der seinigen
im Fortgange der Sinnbildlichkeit gar sehr abweicht,
noch tiefer zu ergründen, wie hinwiederum jene auf demselben Wege klarer
zu verstehen, welches dem Neulateiner, der im Grunde in dem Umkreise derselben
Einen Sprache gefangen bleibt, nicht also möglich ist; daß der Deutsche,
indem er die römische Stammsprache lernt, die abgestammten gewissermaßen
zugleich mit erhält, und falls er etwa die erste gründlicher lernen
sollte, denn der Ausländer, welches er aus dem angeführten Grunde
gar wohl vermag, er zugleich auch dieses Ausländers eigene Sprachen weit
gründlicher verstehen und weit eigentümlicher besitzen lernt, denn
jener selbst, der sie redet; daß daher, der Deutsche, wenn er sich nur
aller seiner Vorteile bedient, den Ausländer immerfort übersehen,
und ihn vollkommen, sogar besser, denn er sich selbst, verstehen, und ihn, nach
seiner ganzen Ausdehnung übersetzen kann; dagegen
der Ausländer, ohne eine höchst mühsame Erlernung der deutschen
Sprache, den wahren Deutschen niemals verstehen kann, und das echt Deutsche
ohne Zweifel unübersetzt lassen wird. Was in diesen Sprachen man
nur vom Ausländer selbst lernen kann, sind meistens aus Langeweile und
Grille entstandene neue Moden des Sprechens, und man ist sehr bescheiden, wenn
man auf diese Belehrungen eingeht. Meistens würde man stattdessen ihnen
zeigen können, wie sie der Stammsprache und ihrem Verwandlungsgesetze gemäß,
sprechen sollten, und daß die neue Mode nichts tauge, und gegen die althergebrachte
gute Sitte verstoße. — Vierte Rede,
S.72f. […]
Die erste Folge von dem aufgestellten Grundunterschiede, die ich angab, war
die: beim Volke der lebendigen Sprache greife die Geistesbildung ein in das
Leben; beim Gegenteile gehe geistige Bildung und Leben jedes für sich seinen
Gang fort. Es wird nützlich sein, zuvörderst den Sinn des aufgestellten
Satzes tiefer zu erklären. Zuvörderst, indem hier vom Leben, und von
dem Eingreifen der geistigen Bildung in dasselbe geredet wird, so ist darunter
zu verstehen das ursprüngliche Leben, und sein Fortfluß
aus dem Quell alles geistigen Lebens, aus Gott,
die Fortbildung der menschlichen Verhältnisse nach ihrem Urbilde, und
so die Erschaffung eines Neuen, und vorher nie Dagewesenen; keinesweges aber
ist die Rede von der bloßen Erhaltung jener Verhältnisse auf der
Stufe, wo sie schon stehen, gegen Herabsinken, und noch weniger, vom Nachhelfen
einzelner Glieder, die hinter der allgemeinen Ausbildung zurückgeblieben.
Sodann, wenn von geistiger Bildung die Rede ist, so ist darunter zu allererst
die Philosophie, — wie wir dies mit dem ausländischen Namen bezeichnen
müssen, da die Deutschen sich den vorlängst vorgeschlagenen deutschen
Namen nicht haben gefallen lassen, die Philosophie, sage ich, ist zu allererst
darunter zu verstehen; denn diese ist es, welche das ewige Urbild alles geistigen
Lebens wissenschaftlich erfasset. Von dieser und von aller auf sie gegründeten
Wissenschaft wird nun gerühmt, daß beim Volke der lebendigen Sprache
sie einfließe in das Leben. Fünfte
Rede, S.76 […]
Die Philosophie, als freies, von allen Fesseln des Glaubens
an fremdes Ansehen erledigtes Denken, sei es, wodurch dermalen das Ausland sein
Mutterland anrege, haben wir in der vorigen Rede ersehen. Wo es nun von dieser
Anregung aus nicht zur neuen Schöpfung gekommen, welches, da die letzte
von der großen Mehrzahl unvernommen geblieben, bei äußerst
wenigen der Fall ist: da gestaltet sich teils noch jene, schon früher bezeichnete
Philosophie des Auslandes selber zu andern und andern Formen; teils bemächtiget
sich der Geist derselben auch der übrigen an die Philosophie zunächst
grenzenden Wissenschaften, und sieht an dieselben aus seinem Gesichtspunkte;
endlich, da der Deutsche seinen Ernst, und sein unmittelbares Eingreifen in
das Leben doch niemals ablegen kann, so fließt diese Philosophie ein auf
die öffentliche Lebensweise, und auf die Grundsätze und Regeln derselben.
Wir werden dies Stück für Stück dartun.
Zuvörderst und vor allen Dingen: der Mensch bildet seine wissenschaftliche
Ansicht nicht etwa mit Freiheit und Willkür, so oder so, sondern sie wird
ihm gebildet durch sein Leben, und ist eigentlich die zur Anschauung gewordene
innere, und übrigens ihm unbekannte Wurzel seines Lebens selbst. Was du
so recht innerlich eigentlich bist, das tritt heraus vor dein äußeres
Auge, und du vermöchtest niemals etwas anderes zu sehen. Solltest du anders
sehen, so müßtest du erst anders werden. Nun ist das innere Wesen
des Auslandes, oder der Nichtursprünglichkeit, der
Glaube an irgendein Letztes, Festes, unveränderlich Stehendes, an eine
Grenze, diesseit welcher zwar das freie Leben sein Spiel treibe, welche
selbst aber es niemals zu durchbrechen, und durch sich flüssig zu machen,
und sich in dieselbe zu verflößen vermöge. Diese undurchdringliche
Grenze tritt ihm darum irgendwo notwendig auch vor die Augen, und es kann nicht
anders denken oder glauben, außer unter Voraussetzung einer solchen, wenn
nicht sein ganzes Wesen umgewandelt, und sein Herz ihm aus dem Leibe gerissen
werden soll. Es glaubt notwendig an den Tod, als das Ursprüngliche,
und Letzte, den Grundquell aller Dinge, und mit ihnen des Lebens.
Wir haben hier nur zunächst anzugeben, wie dieser Grundglaube des Auslandes
unter den Deutschen dermalen sich ausspreche.
.Er spricht sich aus zuvörderst in der eigentlichen Philosophie. Die dermalige
deutsche Philosophie, inwifern dieselbe hier der Erwähnung wert ist, will
Gründlichkeit und wissenschaftliche Form, ohnerachtet sie dieselbe nicht
zu erschwingen vermag, sie will Einheit, auch nicht ohne frühern Vorgang
des Auslandes, sie will Realität, und Wesen — nicht bloße Erscheinung,
sondern eine in der Erscheinung erscheinende Grundlage dieser Erscheinung, und
hat in allen diesen Stücken recht, und übertrifft sehr weit die herrschenden
Philosophien des dermaligen auswärtigen Auslandes, indem sie in der Ausländerei
weit gründlicher, und folgebeständiger ist, denn jenes. Diese der
bloßen Erscheinung unterzulegende Grundlage ist ihnen nun, wie sie sie
auch etwa noch fehlerhafter weiterbestimmen mögen, immer ein festes Sein,
das da ist, was es eben ist, und nichts weiter, in sich gefesselt, und an sein
eigenes Wesen gebunden; und so tritt denn der Tod, und die Entfremdung
von der Ursprünglichkeit, die in ihnen selbst sind, auch heraus
vor ihre Augen. Weil sie selbst nicht zum Leben schlechtweg, aus sich selber
heraus, sich aufzuschwingen vermögen, sondern für freien Aufflug stets
eines Trägers und einer Stütze bedürfen, darum kommen sie auch
mit ihrem Denken, als dem Abbilde ihres Lebens, nicht über diesen Träger
hinaus: das, was nicht Etwas ist, ist ihnen notwendig Nichts, weil, zwischen
jenem in sich verwachsenen Sein, und dem Nichts, ihr Auge nichts weiter sieht,
da ihr Leben da nichts weiter hat. Ihr Gefühl, worauf auch allein sie sich
berufen können, erscheint ihnen als untrüglich; und so jemand diesen
Träger nicht zugibt, so sind sie weit entfernt von der Voraussetzung, daß
er mit dem Leben allein sich begnüge, sondern sie glauben, daß es
ihm nur an Scharfsinn fehle, den Träger, der ohne Zweifel auch ihn trage,
zu bemerken, und daß er der Fähigkeit, sich zu ihren hohen Ansichten
aufzuschwingen, ermangle. Es ist darum vergeblich, und unmöglich, sie zu
belehren; machen müßte man sie, und anders machen, wenn man könnte.
In diesem Teile ist nun die dermalige deutsche Philosophie nicht deutsch, sondern
Ausländerei.
Die wahre in sich selbst zu Ende gekommene und über die Erscheinung hinweg
wahrhaft zum Kerne derselben durchgedrungene Philosophie hingegen geht aus von
dem Einen, reinen, göttlichen Leben, — als Leben schlechtweg, welches
es auch in alle Ewigkeit, und darin immer Eines bleibt, nicht aber als von diesem
oder jenem Leben; und sie sieht, wie lediglich in der Erscheinung dieses Leben
unendlich fort sich schließe und wiederum öffne, und erst diesem
Gesetze zufolge es zu einem Sein und zu einem Etwas überhaupt komme. Ihr
entsteht das Sein, was jene sich vorausgeben läßt. Und so ist denn
diese Philosophie recht eigentlich nur deutsch, d. i. ursprünglich; und
umgekehrt, so jemand nur ein wahrer Deutscher würde, so würde er nicht
anders denn also philosophieren können.
Siebente Rede, S.107ff. […]
Das höchste Gesetz der Ersichtlichkeit ist
wie gesagt dies, daß das Erscheinende sich spalte in ein unendliches Mannigfaltiges.
Jenes Mehr wird sichtbar, jedesmal als mehr, denn das nun und eben jetzt aus
dem Zusammenhange der Erscheinung Hervorgehende, und so ins Unendliche fort;
und so erscheint denn dieses Mehr selber als ein Unendliches. Aber es ist ja
sonnenklar, daß es diese Unendlichkeit nur dadurch erhält, daß
es jedesmal sichtbar, und denkbar, und zu entdecken ist, allein durch seinen
Gegensatz mit dem ins Unendliche fort aus dem Zusammenhange Erfolgenden, und
durch sein Mehrsein denn dies. Abgesehen aber von diesem Bedürfnisse des
Denkens desselben ist es ja dieses Mehr, denn alles ins Unendliche fort sich
darstellen mögende Unendliche, von Anbeginn in reiner Einfachheit und Unveränderlichkeit,
und es wird in aller Unendlichkeit nicht mehr, denn dieses Mehr, noch wird es
minder; und nur seine Ersichtlichkeit, als Mehr denn das Unendliche, —
und auf andere Weise kann es in seiner höchsten Reinheit
nicht sichtbar werden, — erschafft das Unendliche, und alles, was
in ihm zu erscheinen scheint. Wo nun dieses Mehr wirklich, als ein solches ersichtliches
Mehr eintritt, aber es vermag nur in einem Wollen einzutreten, da tritt das
Wesen selbst, das allein ist, und allein zu sein vermag, und das da ist von
sich und durch sich, das göttliche Wesen, ein in die Erscheinung, und macht
sich selbst unmittelbar sichtbar; und daselbst ist eben darum wahre Ursprünglichkeit
und Freiheit, und so wird denn auch an sie geglaubt.
Und so findet denn auf die allgemeine Frage, ob der Mensch frei sei oder nicht,
keine allgemeine Antwort statt; denn eben weil der Mensch frei ist, in niederm
Sinne, weil er bei unentschiedenem Schwanken, und Wanken anhebt, kann er frei
sein, oder auch nicht frei, im höhern Sinne des Worts. In der Wirklichkeit
ist de Weise, wie jemand diese Frage beantwortet, der klare Spiegel seines wahren
inwendigen Seins. Wer in der Tat nicht mehr ist, als ein Glied in der Kette
der Erscheinungen, der kann wohl einen Augenblick sich frei wähnen, aber
seinem strengern Denken hält dieser Wahn nicht stand; wie er aber sich
selbst findet, eben also denkt er notwendig sein ganzes Geschlecht. Wessen Leben
dagegen ergriffen ist von dem Wahrhaftigen, und Leben unmittelbar aus Gott geworden
ist, der ist frei, und glaubt an Freiheit in sich und andern.
Wer an ein festes beharrliches, und totes Sein glaubt, der glaubt nur darum
daran, weil er in sich selbst tot ist; und, nachdem er einmal tot ist, kann
er mehr anders, denn also glauben, sobald er nur in sich selbst klar wird. Er
selbst und seine ganze Gattung von Anbeginn bis ans Ende wird ihm ein zweites,
und eine notwendige Folge aus irgendeinem vorauszusetzenden ersten Gliede. Diese
Voraussetzung ist sein wirkliches, keinesweges ein bloß gedachtes Denken,
sein wahrer Sinn, der Punkt, wo sein Denken unmittelbar
selbst Leben ist; und ist so die Quelle alles seines übrigen Denkens,
und Beurteilens seines Geschlechts, in seiner Vergangenheit, der Geschichte,
seiner Zukunft, den Erwartungen von ihm, und seiner Gegenwart, im wirklichen
Leben an ihm selber, und andern. Wir haben diesen Glauben an den Tod, im Gegensatze
mit einem ursprünglich lebendigen Volke Ausländerei genannt. Diese
Ausländerei wird somit, wenn sie einmal unter den Deutschen ist, sich auch
im wirklichen Leben derselben zeigen, als ruhige Ergebung in die nun einmal
unabänderliche Notwendigkeit ihres Seins, als Aufgeben aller Verbesserung
unsrer selbst oder andrer durch Freiheit, als Geneigtheit, sich selbst, und
alle, so zu verbrauchen, wie sie sind, und aus ihrem Sein den möglichst
größten Vorteil für uns selbst zu ziehen; kurz, als das in allen
Lebensregungen immerfort sich abspiegelnde Bekenntnis des Glaubens an die allgemeine
und gleichmäßige Sündhaftigkeit aller, den ich an einem andern
Orte hinlänglich geschildert habe, welche Schilderung selbst nachzulesen,
auch zu beurteilen, inwiefern dieselbe auf die Gegenwart passe, ich Ihnen überlasse.
Diese Denk- und Handelsweise entsteht der inwendigen Erstorbenheit, wie oft
erinnert worden, nur dadurch, daß sie über sich selbst klar wird,
dagegen sie, so lange sie im Dunkeln bleibt, den Glauben an Freiheit, der an
sich wahr, und nur in Anwendung auf ihr dermaliges Sein Wahn ist, beibehält.
Es erhellet hier deutlich der Nachteil der Klarheit bei innerer Schlechtigkeit.
So lange diese Schlechtigkeit dunkel bleibt, wird sie durch die fortdauernde
Anforderung an Freiheit immerfort beunruhigt, gestachelt, und getrieben, und
bietet den Versuchen sie zu verbessern, einen Angriffspunkt dar. Die Klarheit
aber vollendet sie, und rundet sie in sich selbst ab; sie fügt ihr die
freudige Ergebung, die Ruhe eines guten Gewissens, das Wohlgefallen an sich
selber hinzu; es geschieht ihnen, wie sie glauben, sie sind von nun an in der
Tat unverbesserlich, und höchstens, um bei den Besseren den unbarmherzigen
Abscheu gegen das Schlechte, oder die Ergebung
in den Willen Gottes rege zu erhalten, und außerdem zu keinem Dinge in
der Welt nütze.
Und so trete denn endlich in seiner vollendeten Klarheit heraus, was wir in
unsrer bisherigen Schilderung unter Deutschen verstanden haben. Der eigentliche
Unterscheidungsgrund liegt darin, ob man an ein absolut
Erstes und Ursprüngliches im Menschen selber, an Freiheit, an unendliche
Verbesserlichkeit, an ewiges Fortschreiten unsers Geschlechts glaube, oder ob
man an alles dieses nicht glaube, ja wohl deutlich einzusehen, und zu begreifen
vermeine, daß das Gegenteil von diesem allen stattfinde. Alle,
die entweder selbst, schöpferisch, und hervorbringend das Neue, leben,
oder, die, falls ihnen dies nicht zuteil geworden wäre, das Nichtige wenigstens
entschieden fallen lassen, und aufmerkend dastehen, ob irgendwo der Fluß
ursprünglichen Lebens sie ergreifen werde, oder die, falls sie auch nicht
so weit wären, die Freiheit wenigstens ahnden, und sie nicht hassen, oder
vor ihr erschrecken, sondern sie lieben: alle diese sind ursprüngliche
Menschen, sie sind, wenn sie als ein Volk betrachtet werden, ein Urvolk, das
Volk schlechtweg, Deutsche.
Alle, die sich darein ergeben ein Zweites zu sein, und Abgestammtes, und die
deutlich sich also kennen und begreifen, sind es in der Tat, und werden es immer
mehr durch diesen ihren Glauben, sie sind ein Anhang zum Leben, das vor ihnen,
oder neben ihnen, aus eignem Triebe sich regte, ein vom Felsen zurücktönender
Nachhall einer schon verstummten Stimme, sie sind, als Volk betrachtet, außerhalb
des Urvolks, und für dasselbe Fremde, und Ausländer. In der Nation,
die bis auf diesen Tag sich das Volk schlechtweg, oder Deutsche nennt, ist in
der neuen Zeit wenigstens bis jetzt Ursprüngliches, an den Tag hervorgebrochen,
und Schöpferkraft des Neuen hat sich gezeigt; jetzt wird endlich dieser
Nation durch eine in sich selbst klar gewordene Philosophie
der Spiegel vorgehalten, in welchem sie mit klarem
Begriffe erkenne, was sie bisher ohne deutliches Bewußtsein durch
die Natur ward, und wozu sie von derselben bestimmt ist; und es wird ihr der
Antrag gemacht, nach diesem klaren Begriffe, und mit besonnener und freier Kunst,
vollendet und ganz, sich selbst zu dem zu machen, was sie sein soll, den Bund
zu erneuern, und ihren Kreis zu schließen. Der Grundsatz, nach dem sie
diesen zu schließen hat, ist ihr vorgelegt; was an Geistigkeit, und Freiheit
dieser Geistigkeit glaubt, und die ewige Fortbildung dieser Geistigkeit durch
Freiheit will, das, wo es auch geboren sei, und in welcher Sprache es rede,
ist unsers Geschlechts, es gehört uns an und es wird sich zu uns tun. Was
an Stillstand, Rückgang, und Zirkeltanz glaubt, oder gar eine tote Natur
an das Ruder der Weltregierung setzt, dieses, wo auch es geboren sei, und welche
Sprache es rede, ist undeutsch, und fremd für uns, und es ist zu wünschen,
daß es je eher je lieber sich gänzlich von uns abtrenne.
Und so trete denn bei dieser Gelegenheit, gestützt auf das oben über
die Freiheit Gesagte, endlich auch einmal vernehmlich heraus, und wer noch Ohren
hat zu hören, der höre, was diejenige Philosophie, die mit gutem Fuge
sich die deutsche nennt, eigentlich wolle, und worin sie jeder ausländischen,
und rodgläubigen Philosophie mit ernster, und unerbittlicher Strenge sich
entgegensetze; und zwar trete dieses heraus keinesweges darum, damit auch das
Tote es verstehe, was unmöglich ist, sondern damit es diesem schwerer werde,
ihr die ,Worte zu verdrehen, und sich das Ansehn zu geben, als ob es selbst
eben auch ohngefähr dasselbe wolle und im Grunde meine. Diese deutsche
Philosophie erhebt sich wirklich und durch die Tat ihres Denkens, keinesweges
prahlt sie es bloß, zufolge einer dunklen Ahndung, daß es so sein
müsse, ohne es jedoch bewerkstelligen zu können, — sie erhebt
sich zu dem unwandelbaren »Mehr denn alle Unendlichkeit«,
und findet allein in diesem das wahrhafte Sein.
Zeit, und Ewigkeit, und Unendlichkeit erblickt sie in
ihrer Entstehung aus dem Erscheinen und Sichtbarwerden jenes
Einen, das an sich schlechthin unsichtbar
ist, und nur in dieser seiner Unsichtbarkeit erfaßt,
richtig erfaßt wird. Schon die Unendlichkeit ist, nach dieser Philosophie,
nichts an sich, und es kommt ihr durchaus kein wahrhaftes Sein zu; sie ist lediglich
das Mittel, woran das einzige, das da ist, und das nur in seiner Unsichtbarkeit
ist, sichtbar wird, und woraus ihm ein Blick, ein Schemen und Schatten seiner
selbst, im Umkreise der Bildlichkeit erbaut wird.
Alles, was innerhalb dieser Unendlichkeit der Bilderwelt noch weiter sichtbar
werden mag, ist nun vollends ein Nichts des Nichts, ein Schatten des Schatten,
und lediglich das Mittel, woran jenes erste Nichts der
Unendlichkeit und der Zeit selber sichtbar werde, und dem Gedanken
der Aufflug zu dem unbildlichen, und unsichtbaren Sein
sich eröffne.
Innerhalb dieses einzig möglichen Bildes der
Unendlichkeit tritt nun das Unsichtbare unmittelbar heraus nur als
freies und ursprüngliches Leben des Sehens; oder als Willensentschluß
eines vernünftigen Wesens, und kann durchaus nicht anders heraustreten
und erscheinen. Alles als nicht geistiges Leben erscheinende beharrliche Dasein
ist nur ein aus dem Sehen hingeworfener, vielfach durch das Nichts vermittelter,
leerer Schatten, im Gegensatze mit welchem, und durch dessen Erkenntnis als
vielfach vermitteltes Nichts, das Sehen selbst sich eben erheben soll
zum Erkennen seines eignen Nichts und zur Anerkennung des Unsichtbaren, als
des einzigen Wahren.
In diesen Schatten von den Schatten der Schatten bleibt nun jene todgläubige
Seinsphilosophie, die wohl gar Naturphilosophie wird, die erstorbenste von allen
Philosophien, behangen, und fürchtet, und betet an ihr eigenes Geschöpf.
Dieses Beharren nun ist der Ausdruck ihres wahren Lebens, und ihrer Liebe, und
in diesem ist dieser Philosophie zu glauben. Wenn sie aber noch weiter sagt,
daß dieses von ihr als wirklich seiendes vorausgesetzte Sein, und das
Absolute, Eins sei, und ebendasselbe, so ist ihr hierin, so vielmal sie es auch
beteuern mag, und wenn sie auch manchen Eidschwur hinzufügte, nicht zu
glauben; sie weiß dies nicht, sondern sie sagt es nur auf gutes Glück
hin, einer andern Philosophie, der sie dies nicht abzustreiten wagt, es nachbetend.
Sollte sie es wissen, so müßte sie nicht von der Zweiheit, die sie
durch jenen Machtspruch nur aufhebt, und dennoch stehen läßt, als
einer unbezweifelten Tatsache ausgehen, sondern sie müßte von der
Einheit ausgehen, und aus dieser die Zweiheit, und mit ihr alle Mannigfaltigkeit
verständlich und einleuchtend abzuleiten vermögen. Hierzu bedarf es
aber des Denkens, der durchgeführten, und mit sich selbst zu Ende gekommenen
Reflexion. Die Kunst dieses Denkens hat sie teils nicht gelernt, und ist derselben
überhaupt unfähig, sie vermag nur zu schwärmen, teils ist sie
diesem Denken feind, und mag es gar nicht versuchen, weil sie dadurch in der
geliebten Täuschung gestört werden würde.
Dies ist es nun, worin unsere Philosophie sich jener Philosophie ernstlich entgegensetzt,
und dies haben wir bei dieser Veranlassung einmal so vernehmlich als möglich,
aussprechen, und bezeugen wollen. Siebente
Rede, S.118ff. […]
Sind wir bisher im Gange unsrer Untersuchung richtig verfahren, so muß
hiebei zugleich erhellen, daß nur der Deutsche — der ursprüngliche,
und nicht in einer willkürlichen Satzung erstorbene Mensch, wahrhaft ein
Volk hat, und auf eins zu rechnen befugt ist, und daß nur er der eigentlichen
und vernunftgemäßen Liebe zu seiner Nation fähig ist.
Wir bahnen uns den Weg zur Lösung der gestellten Aufgabe durch folgende,
fürs erste außer dem Zusammenhange des Bisherigen zu liegen scheinende
Bemerkung.
Die Religion, wie wir dies schon in unsrer dritten Rede angemerkt haben, vermag
durchaus hinwegzuversetzen über alle Zeit, und über das ganze gegenwärtige,
und sinnliche Leben, ohne darum der Rechtlichkeit, Sittlichkeit, und Heiligkeit
des von diesem Glauben ergriffenen Lebens den mindesten Abbruch zu tun. Man
kann, auch bei der sichern Überzeugung, daß alles unser Wirken auf
dieser Erde nicht die mindeste Spur hinter sich lassen, und nicht die mindeste
Frucht bringen werde, ja, daß das Göttliche sogar verkehrt, und zu
einem Werkzeuge des Bösen und noch tieferer sittlicher
Verderbnis werde gebraucht werden, dennoch fortfahren in diesem Wirken,
lediglich, um das in uns ausgebrochene göttliche Leben aufrecht zu erhalten,
und in Beziehung auf eine höhere Ordnung der Dinge in einer künftigen
Welt, in welcher nichts in Gott Geschehenes zugrunde geht.
So waren z. B. die Apostel, und überhaupt die ersten Christen, durch ihren
Glauben an den Himmel, schon im Leben gänzlich über die Erde hinweggesetzt,
und die Angelegenheiten derselben, der Staat, irdisches Vaterland, und Nation,
waren von ihnen so gänzlich aufgegeben, daß sie dieselben auch sogar
ihrer Beachtung nicht mehr würdigten. So möglich dieses nun auch ist,
und so leicht auch, dem Glauben, und so freudig auch man sich darein ergeben
muß, wenn es einmal unabänderlich der Wille Gottes ist, daß
wir kein irdisches Vaterland mehr haben, und hienieden Ausgestoßne, und
Knechte seien: so ist dies dennoch nicht der natürliche Zustand, und die
Regel des Weltganges, sondern es ist eine seltne Ausnahme; auch ist es ein sehr
verkehrter Gebrauch der Religion, der unter andern auch sehr häufig vom
Christentume gemacht worden, wenn dieselbe gleich von vornherein, und ohne Rücksicht
auf die vorhandenen Umstände, darauf ausgeht, diese Zurückziehung
von den Angelegenheiten des Staates, und der Nation, als wahre religiöse
Gesinnung zu empfehlen.
In einer solchen Lage, wenn sie wahr und wirklich ist, und nicht etwa bloß
durch religiöse Schwärmerei herbeigeführt, verliert das zeitliche
Leben alle Selbstbeständigkeit, und es wird lediglich zu einem Vorhofe
des wahren Lebens, und zu einer schweren Prüfung, die man bloß aus
Gehorsam, und Ergebung in den Willen Gottes erträgt, und dann ist es wahr,
daß, wie es von vielen vorgestellt worden, unsterbliche Geister nur zu
ihrer Strafe in irdische Leiber, als in Gefängnisse, eingetaucht sind.
In der regelmäßigen Ordnung der Dinge hingegen soll das irdische
Leben selber wahrhaftig Leben sein, dessen man sich erfreuen, und das man, freilich
in Erwartung eines Höhern, dankbar genießen könne; und obwohl
es wahr ist, daß die Religion auch der Trost ist des widerrechtlich zerdrückten
Sklaven, so ist dennoch vor allen Dingen dies religiöser Sinn, daß
man sich gegen die Sklaverei stemme, und, so man es verhindern kann, die Religion
nicht bis zum bloßen Troste der Gefangenen herabsinken lasse. Dem Tyrannen
steht es wohl an, religiöse Ergebung zu predigen, und die, denen er auf
Erden kein Plätzchen verstatten will, an den Himmel zu verweisen; wir andern
müssen weniger eilen, diese von ihm empfohlne Ansicht der Religion uns
anzueignen, und, falls wir können, verhindern, daß man die Erde zur
Hölle mache, um eine desto größere Sehnsucht nach dem Himmel
zu erregen.
Der natürliche, nur im wahren Falle der Not aufzugebende Trieb des Menschen
ist der, den Himmel schon auf dieser Erde zu finden, und ewig Dauerndes zu verflößen
in sein irdisches Tagewerk; das Unvergängliche im Zeitlichen selbst zu
pflanzen, und zu erziehen, — nicht bloß auf eine unbegreifliche
Weise, und allein durch die, sterblichen Augen undurchdringbare Kluft mit dem
Ewigen zusammenhängend, sondern auf eine dem sterblichen Auge selbst sichtbare
Weise.
Daß ich bei diesem gemein faßlichen Beispiele anhebe: Welcher Edeldenkende
will nicht, und wünscht nicht, in seinen Kindern und wiederum in den Kindern
dieser, sein eigenes Leben von neuem, auf eine verbesserte Weise, zu wiederholen,
und in dem Leben derselben veredelt, und vervollkommnet, auch auf dieser Erde,
noch fortzuleben, nachdem er längst gestorben ist; den Geist, den Sinn,
und die Sitte, mit denen er vielleicht in seinen Tagen abschreckend war für
die Verkehrtheit, und das Verderben, befestigend die Rechtschaffenheit, aufmunternd
die Trägheit, erhebend die Niedergeschlagenheit, der Sterblichkeit zu entreißen,
und sie, als sein bestes Vermächtnis an die Nachwelt, niederzulegen in
den Gemütern seiner Hinterlassenen, damit auch diese sie einst eben also,
verschönert und vermehrt, wieder niederlegen? Welcher Edeldenkende will
nicht durch Tun oder Denken, ein Samenkorn streuen zu unendlicher immer fortgehender
Vervollkommnung seines Geschlechts, etwas Neues, und vorher nie Dagewesenes
hineinwerfen in die Zeit, das in ihr bleibe, und nie versiegende Quelle werde
neuer Schöpfungen; seinen Platz auf dieser Erde, und die ihm verliehene
kurze Spanne Zeit bezahlen mit einem auch hienieden ewig Dauernden, so, daß
er, als dieser einzelne, wenn auch nicht genannt durch die Geschichte,
(denn Durst nach Nachruhm ist eine verächtliche Eitelkeit) dennoch
in seinem eignen Bewußtsein und seinem Glauben offenbare,
Denkmale hinterlasse, daß auch Er dagewesen
sei? Welcher Edeldenkende will das nicht, sagte ich; aber nur nach den Bedürfnissen
der also Denkenden, als der Regel, wie alle sein sollten, ist die Welt zu betrachten
und einzurichten, und um ihrer willen allein ist eine Welt da. Sie sind
der Kern derselben, und die anders Denkenden sind, als selbst nur ein Teil
der vergänglichen Welt, solange sie also denken, auch nur um ihrer willen
da, und müssen sich nach ihnen bequemen, so lange, bis sie geworden
sind, wie sie.
Was könnte es nun sein, das dieser Aufforderung und diesem Glauben des
Edlen an die Ewigkeit und Unvergänglichkeit seines Werkes, die Gewähr
zu leisten vermöchte? Offenbar nur eine Ordnung der Dinge, die er für
selbst ewig, und für fähig, Ewiges in sich aufzunehmen, anzuerkennen
vermöchte. Eine solche Ordnung aber ist die, freilich in keinem Begriffe
zu erfassende, aber dennoch wahrhaft vorhandne, besondere geistige Natur der
menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit allem seinen Denken, und Tun
und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist, das Volk,
von welchem er abstammt, und unter welchem er gebildet wurde, und zu dem, was
er jetzt ist, herauf wuchs. Denn so unbezweifelt es auch wahr ist, daß
sein Werk, wenn er mit Recht Anspruch macht auf dessen Ewigkeit, keinesweges
der bloße Erfolg des geistigen Naturgesetzes seiner Nation ist, und mit
diesem Erfolge rein aufgeht, sondern daß es ein Mehreres ist, denn das,
und insofern unmittelbar ausströmt aus dem ursprünglichen
und göttlichen Leben; so ist es dennoch ebenso wahr, daß jenes mehrere,
sogleich bei seiner ersten Gestaltung zu einer sichtbaren Erscheinung, unter
jenes besondere geistige Naturgesetz sich gefügt, und nur nach demselben
sich einen sinnlichen Ausdruck gebildet hat. Unter dasselbe Naturgesetz
nun werden, solange dieses Volk besteht, auch alle fernere Offenbarungen des
Göttlichen in demselben eintreten, und in ihm sich gestalten. Dadurch aber,
daß auch er da war, und so wirkte, ist selbst dieses Gesetz Weiter bestimmt,
und seine Wirksamkeit ist ein stehender Bestandteil desselben geworden. Auch
hienach wird alles Folgende sich fügen, und an dasselbe sich anschließen
müssen. Und so ist er denn sicher, daß die durch ihn errungene Ausbildung
bleibt in seinem Volke, solange dieses selbst bleibt, und fortdauernder Bestimmungsgrund
wird aller Fernern Entwicklung desselben.
Dies nun ist in höherer vom Standpunkte der An¬sicht einer geistigen
Welt überhaupt genommener Bedeutung des Worts, ein Volk: das Ganze der
in Gesellschaft miteinander fortlebenden, und sich aus sich selbst immerfort
natürlich und geistig erzeugenden Menschen, das insgesamt unter einem gewissen
besondern Gesetze der Entwicklung des Göttlichen aus ihm steht. Die Gemeinsamkeit
dieses besondern Gesetzes ist es, was in der ewigen Welt, und eben darum auch
in der zeitlichen, diese Menge zu einem natürlichen, und von sich selbst
durchdrungenen Ganzen verbindet. Dieses Gesetz selbst seinem Inhalte nach, kann
wohl im ganzen erfaßt werden, so wie wir es an den Deutschen, als einem
Urvolke, erfaßt haben; es kann sogar durch Erwägung der Erscheinungen
eines solchen Volkes noch näher in manchen seiner weitern Bestimmungen
begriffen werden; aber es kann niemals von irgendeinem, der ja selbst immerfort
unter desselben ihm unbewußten Einflusse bleibt, ganz mit dem Begriffe
durchdrungen werden; obwohl im allgemeinen klar eingesehen werden kann, daß
es ein solches Gesetz gebe.
Es ist dieses Gesetz ein Mehr der Bildlichkeit, das mit
dem Mehr der unbildlichen Ursprünglichkeit, in der Erscheinung unmittelbar
verschmilzt; und so sind denn, in der Erscheinung eben, beide nicht wieder zu
trennen. Jenes Gesetz bestimmt durchaus und vollendet das, was man den Nationalcharakter
eines Volks genannt hat; jenes Gesetz der Entwicklung des Ursprünglichen,
und Göttlichen. Es ist aus dem letztem klar, daß Menschen, welche
so wie wir bisher die Aus¬länderei beschrieben haben, an ein Ursprüngliches,
und an eine Fortentwicklung desselben gar nicht glauben, son¬dern bloß
an einen ewigen Kreislauf des scheinbaren Lebens, und welche durch! ihren Glauben
werden, wie sie glauben, im höhern Sinne gar kein Volk sind, und da sie
in der Tat eigentlich auch nicht da sind, ebensowenig einen Nationalcharakter
zu haben vermögen.
Der Glaube des edlen Menschen an die ewige Fortdauer seiner
Wirksamkeit auch auf dieser Erde gründet sich demnach auf die Hoffnung
der ewigen Fortdauer des Volks, aus dem er selber sich entwickelt hat, und
der Eigentümlichkeit desselben, nach jenem verborgenen Gesetze; ohne Einmischung
und Verderbung durch irgend¬ein Fremdes, und in das Ganze dieser Gesetzgebung
nicht Gehöriges. Diese Eigentümlichkeit ist das Ewige, dem er die
Ewigkeit seiner selbst und seines Fortwirkens anvertraut, die ewige Ordnung
der Dinge, in die er sein Ewiges legt; ihre Fortdauer muß er wollen, denn
sie allein ist ihm das entbindende Mittel, wodurch die kurze Spanne seines Lebens
hienieden zu fortdauerndem Leben hienieden ausgedehnt wird. Sein Glaube, und
sein Streben, Unvergängliches zu pflanzen, sein Begriff, in welchem er
sein eignes Leben als ein ewiges Leben erfaßt, ist das Band, welches zunächst
seine Nation, und vermittelst ihrer das ganze Menschengeschlecht, innigst mit
ihm selber verknüpft, und ihrer aller Bedürfnisse, bis ans Ende der
Tage, einführt in sein erweitertes Herz. Dies ist seine Liebe zu seinem
Volke, zuvörderst achtend, vertrauend, desselben sich freuend, mit der
Abstammung daraus sich ehrend. Es ist Göttliches in ihm erschienen, und
das Ursprüngliche hat dasselbe gewürdigt, es zu seiner Hülle,
und zu seinem unmittelbaren Verflößungsmittel in die Welt zu machen;
es wird darum auch ferner Göttliches aus ihm hervorbrechen. Sodann tätig,
wirksam, sich aufopfernd für dasselbe. Das Leben, bloß als Leben,
als Fortsetzen des wechselnden Daseins, hat für ihn ja ohnedies nie Wert
gehabt, er hat es nur gewollt als Quelle des Dauernden; aber diese Dauer, verspricht
ihm allein die selbständige Fortdauer seiner Nation; um diese zu retten,
muß er sogar sterben wollen, damit diese lebe, und er in ihr lebe das
einzige Leben, das er von je gemocht hat.
So ist es. Die Liebe, die
wahrhaftig Liebe sei, und nicht bloß eine
vorübergehende Begehrlichkeit, haftet nie auf Vergänglichem, sondern
sie erwacht, und entzündet sich, und ruht allein in dem Ewigen.
Nicht einmal sich selbst vermag der Mensch zu lieben, es sei denn, daß
er sich als Ewiges erfasse; außerdem vermag er sich sogar nicht zu achten,
noch zu billigen. Noch weniger vermag er etwas außer sich zu lieben, außer
also, daß er es aufnehme in die Ewigkeit seines Glaubens und seines Gemüts,
und es anknüpfe an diese. Wer nicht zuvörderst sich als ewig erblickt,
der hat überhaupt keine Liebe, und kann auch nicht lieben ein Vaterland,
dergleichen es für ihn nicht gibt. Wer zwar vielleicht sein unsichtbares
Leben, nicht aber eben also sein sichtbares Leben, als ewig erblickt, der mag
wohl einen Himmel haben, und in diesem sein Vaterland, aber hienieden hat er
kein Vaterland, denn auch dieses wird nur unter dem Bilde der Ewigkeit, und
zwar der sichtbaren, und versinnlichten Ewigkeit erblickt, und er vermag daher
auch nicht sein Vaterland zu lieben. Ist einem solchen keins überliefert
worden, so ist er zu beklagen; wem Eins überliefert worden ist, und in
wessen Gemüte Himmel und Erde, Unsichtbares, und Sichtbares sich durchdringen,
und so erst einen wahren und gediegenen Himmel erschaffen, der kämpft bis
auf den letzten Blutstropfen, um den teuren Besitz ungeschmälert wiederum
zu überliefern an die Folgezeit.
So ist es auch von jeher gewesen, ohnerachtet es nicht von jeher mit dieser
Allgemeinheit, und mit dieser Klarheit ausgesprochen worden. Was begeisterte
die Edlen unter den Römern, deren Gesinnungen und Denkweise noch in ihren
Denkmalen unter uns leben, und atmen, zu Mühen und Aufopferungen, zum Dulden
und Tragen fürs Vaterland? Sie sprechen es selbst oft und deutlich aus.
Ihr fester Glaube war es an die ewige Fortdauer ihrer Roma, und ihre zuversichtliche
Aussicht, in dieser Ewigkeit selber ewig mit fortzuleben im Strome der Zeit.
Inwiefern dieser Glaube Grund hatte, und sie selbst, wenn sie in sich selber
vollkommen klar gewesen wären, denselben gefaßt haben würden,
hat er sie auch nicht getäuscht. Bis auf diesen Tag lebet das, was wirklich
ewig war in ihrer ewigen Roma, und sie mit demselben, in unsrer Mitte fort,
und wird in seinen Folgen fortleben bis ans Ende der Tage.
Volk und Vaterland in dieser Bedeutung, als Träger, und Unterpfand der
irdischen Ewigkeit, und als dasjenige, was hienieden ewig sein kann, liegt weit
hinaus über den Staat, im gewöhnlichen Sinne des Worts, — über
die ge¬sellschaftliche Ordnung, wie dieselbe im bloßen klaren Begriffe
erfaßt, und nach Anleitung dieses Begriffs errichtet und erhalten wird.
Dieser will gewisses Recht, innerlichen Frieden, und daß jeder durch Fleiß
seinen Unterhalt, und die Fristung seines sinnlichen Daseins finde, solange
Gott sie ihm gewähren will. Dieses alles ist nur Mittel, Bedingung, und
Gerüst dessen, was die Vaterlandsliebe eigentlich
will, des Ausblühens des Ewigen, und Göttlichen in der Welt, immer
reiner, vollkommner und getroffener im unendlichen Fortgange. Eben darum
muß diese Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren, als durchaus oberste,
letzte, und unabhängige Behörde, zuvörderst, indem sie ihn beschränkt
in der Wahl der Mittel für seinen nächsten Zweck, den innerlichen
Frieden. Für diesen Zweck muß freilich die natürliche Freiheit
des einzelnen auf mancherlei Weise beschränkt werden, und wenn man gar
keine andere Rücksicht und Absicht mit ihnen hätte, denn diese, so
würde man wohltun, dieselbe so eng, als immer möglich, zu beschränken,
alle ihre Regungen unter eine einförmige Regel zu bringen, und sie unter
immerwährender Aufsicht zu erhalten. Gesetzt. diese Strenge wäre nicht
nötig, so könnte sie wenigstens für diesen alleinigen Zweck nicht
schaden. Nur die höhere Ansicht des Menschengeschlechts, und der Völker,
erweitert diese beschränkte Berechnung. Freiheit, auch in den Regungen
des äußerlichen Lebens, ist der Boden, in welchem die höhere
Bildung keimt; eine Gesetzgebung, welche diese letztere im Auge behält,
wird der ersteren einen möglichst ausgebreiteten Kreis lassen, selber auf
die Gefahr hin, daß ein geringerer Grad der einförmigen Ruhe und
Stille erfolge, und daß das Regieren ein wenig schwerer, und mühsamer
werde. Achte Rede, S.125ff. […]
Wird unser äußeres Wirken in hemmende Fesseln geschlagen, laßt
uns desto kühner unsern Geist erheben zum Gedanken der Freiheit, zum Leben
in diesem Gedanken, zum Wünschen und Begehren nur dieses einigen. Laßt
die Freiheit auf einige Zeit verschwinden aus der sichtbaren Welt; geben wir
ihr eine Zuflucht im innersten unsrer Gedanken, so lange, bis um uns herum die
neue Welt emporwachse, die da Kraft habe, diese Gedanken auch äußerlich
darzustellen. Machen wir uns mit demjenigen, was ohne Zweifel unserm Ermessen
frei bleiben muß, mit! unserm Gemüte, zum Vorbilde, zur Weissagung,
zum Bürgen desjenigen, was nach uns Wirklichkeit werden wird. Lassen wir
nur nicht mit unserm Körper zugleich auch unsern Geist niedergebeugt und
unterworfen, und in die Gefangenschaft gebracht werden!
Fragt man mich, wie dies zu erreichen sei, so ist darauf die einzige alles in
sich fassende Antwort diese: wir müssen eben zur Stelle werden, was wir
ohnedies sein sollten, Deutsche. Wir sollen unsern Geist nicht unterwerfen:
so müssen wir eben vor allen Dingen einen Geist uns anschaffen, und einen
festen und gewissen Geist; wir müssen ernst werden in allen Dingen, und
nicht fortfahren bloß leichtsinnigerweise und nur zum Scherze dazusein;
wir müssen uns haltbare und unerschütterliche Grundsätze bilden,
die allem unsern übrigen Denken, und unserm Handeln zur festen Richtschnur
dienen, Leben und Denken muß bei uns aus einem Stücke sein, und ein
sich durchdringendes und gediegenes Ganzes; wir müssen in beiden der Natur
und der Wahrheit gemäß werden, und die fremden Kunststücke von
uns werfen; wir müssen, um es mit einem Worte zu sagen, uns Charakter anschaffen;
denn Charakter haben, und deutsch sein, ist ohne Zweifel gleichbedeutend, und
die Sache hat in unsrer Sprache keinen besondern Namen, weil sie eben, ohne
alle unser Wissen und Besinnung, aus unserm Sein unmittelbar hervorgehen soll.
Zwölfte Rede, S.193 […]
Wer sind denn diejenigen, die es nicht gern hören könnten, und unter
welcher Bedingung könnten sie es denn nicht gern hören? Allenthalben
ist es nur die Unklarheit und die Finsternis, die da schreckt. Jedes Schreckbild
verschwindet, wenn man es fest ins Auge faßt. Lasset uns mit derselben
Unbefangenheit und Unumwundenheft, mit der wir bisher jeden in diese Vorträge
fallenden Gegenstand zerlegt haben, auch diesem Schrecknisse unter die Augen
treten.
Man nimmt an, entweder, daß das Wesen, dem dermalen
die Leitung eines großen Teils der Weltangelegenheiten anheimgefallen
ist, ein wahrhaft großes Gemüt sei, oder man nimmt das Gegenteil
an, und ein Drittes ist nicht möglich. Im ersten Falle, worauf beruht
denn alle menschliche Größe, außer auf der Selbständigkeit
und Ursprünglichkeit der Person, und daß sie nicht sei ein erkünsteltes
Gemächte ihres Zeitalters, sondern ein Gewächs
aus der ewigen und ursprünglichen Geisterwelt, ganz so wie es ist, hervorgewachsen,
daß ihr eine neue und eigentümliche Ansicht des Weitganzen aufgegangen
sei, und daß sie festen Willen habe, und eiserne Kraft, diese ihre Ansicht
einzuführen in die Wirklichkeit? Aber es ist schlechthin unmöglich,
daß ein solches Gemüt nicht auch außer sich, an Völkern
und einzelnen, ehre, was in seinem Innern seine eigne Größe ausmacht,
die Selbständigkeit, die Festigkeit, die Eigentümlichkeit des Daseins.
So gewiß es sich in seiner Größe fühlt, und derselben
vertraut, verschmäht es über armseligen Knechtssinn zu herrschen,
und groß zu sein unter Zwergen; es verschmäht den Gedanken, daß
es die Menschen erst herabwürdigen müsse, um über sie zu gebieten;
es ist gedrückt durch den Anblick des dasselbe umgebenden Verderbens, es
tut ihm weh, die Menschen nicht achten zu können; alles aber, was sein
verbrüdertes Geschlecht erhebt, veredelt, in ein würdigeres Licht
setzt, tut wohl seinem selbst edlen Geiste, und ist sein höchster Genuß.
Ein solches Gemüt sollte ungern vernehmen, daß die Erschütterungen,
die die Zeiten herbeigeführt haben, benutzt werden, um eine alte ehrwürdige
Nation, den Stamm der mehresten Völker des neuen Europa, und die
Bildnerin aller, aus dem tiefen Schlummer aufzuregen, und dieselbe zu bewegen,
daß sie ein sicheres Verwahrungsmittel ergreife, um sich zu erheben aus
dem Verderben, welches dieselbe zugleich sichert, nie wieder herabzusinken,
und mit sich selbst zugleich alle übrige Völker zu erheben?
Es wird hier nicht angeregt zu ruhestörenden Auftritten; es wird vielmehr
vor diesen, als sicher zum Verderben führend, gewarnt, es wird eine feste
unwandelbare Grundlage angegeben, worauf endlich in einem Volke der Welt die
höchste, reinste, und noch niemals also unter den Menschen gewesene Sittlichkeit
aufgebaut, für alle folgende Zeiten gesichert, und von da aus über
alle andere Völker verbreitet werde; es wird eine Umschaffung des Menschengeschlechts
angegeben aus irdischen und sinnlichen Geschöpfen, zu reinen und edlen
Geistern. Durch einen solchen Vorschlag, meint man, könne ein Geist, der
selbst rein ist, und edel und groß, oder irgend jemand, der nach ihm sich
bildet, beleidiget werden? Zwölfte Rede,
S.202f. […]
Am allertiefsten endlich erniedriget es uns vor dem Auslande, wenn wir uns darauf
legen, demselben zu schmeicheln. Ein Teil von uns hat schon früher sich
sattsam verächtlich, lächerlich und ekelhaft gemacht, indem sie den
vaterländischen Gewalthabern bei jeder Gelegenheit groben Weihrauch darbrachten,
und weder Vernunft, noch Anstand, gute Sitte und Geschmack, verschonten, wo
sie glaubten, eine Schmeichelrede anbringen zu können. Diese Sitte ist
binnen der Zeit abgekommen, und diese Lobeserhebungen haben sich zum Teil in
Scheltworte verwandelt. Wir gaben indessen unsern Weihrauchwolken, gleichsam
damit wir nicht aus der Übung kämen, eine andere Richtung, nach der
Seite hin, wo jetzt die Gewalt ist. Schon das erste, sowohl die Schmeichelei
selbst, als daß sie nicht verbeten wurde, mußte jeden ernsthaft
denkenden Deutschen schmerzen; doch blieb die Sache unter uns. Wollen wir jetzt
auch das Ausland zum Zeugen machen dieser unsrer niedrigen Sucht, sowie zugleich
der großen Ungeschicklichkeit, mit welcher wir uns derselben entledigen,
und so der Verachtung unsrer Niedrigkeit auch noch den lächerlichen Anblick
unsrer Ungelenkigkeit hinzufügen? Es fehlt uns nämlich in dieser Verrichtung
an aller dem Ausländer eignen Feinheit; um doch ja nicht überhört
zu werden, werden wir plump und übertreibend, und heben mit Vergötterungen,
und Versetzungen unter die Gestirne gleich an. Dazu kommt, daß es bei
uns das Ansehen hat, als ob es vorzüglich das Schrecken und die Furcht
seie, die unsre Lobeserhebungen uns auspressen; aber es ist kein Gegenstand
lächerlicher, denn ein Furchtsamer, der die Schönheit und Anmut desjenigen
lobpreist, was er in der Tat für ein Ungeheuer hält, das er durch
diese Schmeichelei nur bestechen will, ihn nicht zu verschlingen.
Oder sind vielleicht diese Lobpreisungen nicht Schmeichelei, sondern der wahrhafte
Ausdruck der Verehrung und Bewunderung, die sie dem großen Genie, das
nach ihnen die Angelegenheiten der Menschen leitet, zu zollen genötigt
sind? Wie wenig kennen sie auch hier das Gepräge der wahren Größe!
Darin ist dieselbe in allen Zeitaltern und unter allen Völkern sich gleich
gewesen, daß sie nicht eitel war, so wie umgekehrt von jeher sicherlich
klein war, und niedrig, was Eitelkeit zeigte. Der wahrhaften auf sich selber
ruhenden Größe gefallen nicht Bildsäulen von der Mitwelt errichtet,
oder der Beiname des Großen, und der schreiende Beifall und die Lobpreisungen
der Menge; vielmehr weiset sie diese Dinge mit gebührender
Verachtung von sich weg, und erwartet ihr Urteil über sich, zunächst
von dem eignen Richter in ihrem Innern, und das laute von der richtenden Nachwelt.
Auch hat mit derselben immer der Zug sich beisammen gefunden, daß sie
das dunkle, und rätselhafte Verhängnis ehrt, und scheut, des stets
rollenden Rades des Geschicks eingedenk bleibt, und sich nicht groß oder
selig preisen läßt vor ihrem Ende. Also sind jene Lobredner im Widerspruche
mit sich selbst, und machen durch die Tat ihrer Worte den Inhalt derselben zur
Lüge. Hielten sie den Gegenstand ihrer vorgegebenen Verehrung wirklich
für groß; so würden sie sich bescheiden, daß er über
ihren Beifall und ihr Lob erhaben sei, und ihn durch ehrfurchtsvolles Stillschweigen
ehren. Indem sie sich ein Geschäft daraus machen, ihn zu loben; so zeigen
sie dadurch, daß sie ihn in der Tat für klein und niedrig halten,
und für so eitel, daß ihre Lobpreisungen ihm gefallen könnten,
und daß sie dadurch irgendein Übel von sich zu wenden, oder irgendein
Gut sich zu verschaffen vermöchten.
Jener begeisterte Ausruf: welch ein erhabenes Genie, welch eine tiefe Weisheit,
welch ein umfassender Plan! — was sagt er denn nun zuletzt aus, wenn man
ihn recht ins Auge faßt? Er sagt aus, daß das Genie so groß
sei, daß auch wir es vollkommen begreifen, die Weisheit so tief, daß
auch wir sie durchschauen, der Plan so umfassend, daß auch wir ihn vollständig
nachzubilden vermögen. Er sagt demnach aus, daß der Gelobte ohngefähr
von demselben Maße der Größe sei, wie der Lobende, jedoch nicht
ganz, indem ja der letzte den ersten vollkommen versteht, und übersieht,
und sonach über demselben steht, und, falls er sich nur recht anstrengte,
wohl noch etwas Größeres leisten könnte. Man muß eine
sehr gute Meinung von sich selbst haben, wenn man glaubt, daß man also
auf eine gefällige Weise seinen Hof machen könne; und der Gelobte
muß eine sehr geringe von sich haben, wenn er solche Huldigungen mit Wohlgefallen
aufnimmt.
Nein, biedere, ernste, gesetzte, deutsche Männer und Landsleute, fern bleibe
ein solcher Unverstand von unserm Geiste, und eine solche Besudelung von unsrer
zum Ausdrucke des Wahren, gebildeten Sprache! Überlassen wir es dem Auslande,
bei jeder neuen Erscheinung mit Erstaunen aufzujauchzen; in jedem Jahrzehente
sich einen neuen Maßstab der Größe zu erzeugen, und neue Götter
zu erschaffen; und Gotteslästerungen zu reden, um Menschen zu preisen.
Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß
groß sei nur dasjenige, was der Ideen, die immer nur Heil über die
Völker bringen, fähig sei, und von ihnen begeistert; über die
lebenden Menschen aber laßt uns das Urteil der richtenden Nachwelt überlassen!
Dreizehnte Rede, S.224ff. […]
Euch Deutsche insgesamt, welchen Platz in der Gesellschaft ihr einnehmen möget,
beschwören diese Reden, daß jeder unter euch, der da denken kann,
zuvörderst denke über den angeregten Gegenstand, und daß jeder
dafür tue, was gerade ihm an seinem Platze am nächsten liegt.
Es vereinigen sich mit diesen Reden, und beschwören euch eure Vorfahren.
Denket, daß in meine Stimme sich mischen die Stimmen eurer Ahnen aus der
grauen Vorwelt, die mit ihren Leibern sich entgegengestemmt haben der heranströmenden
römischen Weltherrschaft, die mit ihrem Blute erkämpft haben die Unabhängigkeit
der Berge, Ebenen, und Ströme, welche unter euch den Fremden zur Beute
geworden sind. Sie rufen euch zu: vertretet uns, überliefert unser Andenken
ebenso ehrenvoll und unbescholten der Nachwelt, wie es auf euch gekommen ist,
und wie ihr euch dessen, und der Abstammung von uns, gerühmt habt. Bis
jetzt galt unser Widerstand für edel, und groß, und weise, wir schienen
die Eingeweihten zu sein, und die Begeisterten, des göttlichen
Weltplans. Gehet mit euch unser Geschlecht aus, so verwandelt sich unsre
Ehre in Schimpf, und unsre Weisheit in Torheit. Denn sollte der deutsche Stamm
einmal untergehen in das Römertum, so war es besser, daß es in das
alte geschähe, denn in ein neues. Wir standen Jenem, und besiegten es;
ihr seid verstäubt worden vor diesem.
Auch sollt ihr nun, nachdem einmal die Sachen also stehen, sie nicht besiegen
mit leiblichen Waffen; nur euer Geist soll sich ihnen gegenüber erheben,
und aufrecht stehen. Euch ist das größere Geschick zuteil worden,
überhaupt das Reich des Geistes und der Vernunft zu begründen, und
die rohe körperliche Gewalt insgesamt, als Beherrschendes der Welt, zu
vernichten. Werdet ihr dies tun, dann seid ihr würdig der Abkunft von uns.
Auch mischen in diese Stimmen sich die Geister eurer spätern Vorfahren,
die da fielen im heiligen Kampfe für Religions- und Glaubensfreiheit. Rettet
auch unsere Ehre, rufen sie euch zu. Uns war nicht ganz klar, wofür wir
stritten; außer dem rechtmäßigen Entschlusse, in Sachen des
Gewissens durch äußere Gewalt uns nicht gebieten zu lassen, trieb
uns noch ein höherer Geist, der uns niemals sich ganz enthüllte. Euch
ist er enthüllt, dieser Geist, falls ihr eine Sehkraft habt für die
Geisterwelt, und blickt euch an mit hohen klaren Augen. Das bunte und verworrene
Gemisch der sinnlichen und geistigen Antriebe durcheinander soll überhaupt
der Weltherrschaft entsetzt werden, und der Geist allein, rein, und ausgezogen
von allen sinnlichen Antrieben, soll an das Ruder der menschlichen Angelegenheiten
treten. Damit diesem Geiste die Freiheit werde, sich zu entwickeln, und zu einem
selbständigen Dasein emporzuwachsen, dafür floß unser Blut.
An euch ist’s, diesem Opfer seine Bedeutung und seine Rechtfertigung zu
geben, indem ihr diesen Geist einsetzt in die ihm bestimmte Weltherrschaft.
Erfolgt nicht dieses, als das letzte, worauf alle bisherige Entwickelung unsrer
Nation zielte, so werden auch unsre Kämpfe zum vorüberrauschenden
leeren Possenspiele, und die von uns erfochtene Geistes- und Gewissenfreiheit
ist ein leeres Wort, wenn es von nun an überhaupt nicht länger Geist
oder Gewissen geben soll.
Es beschwören euch eure noch ungeborne Nachkommen. Ihr rühmt euch
eurer Vorfahren, rufen sie euch zu, und schließt mit Stolz euch an an
eine edle Reihe. Sorget, daß bei euch die Kette nicht abreiße: machet,
daß auch wir uns eurer rühmen können, und durch euch, als untadeliges
Mittelglied hindurch, uns anschließen an dieselbe glorreiche Reihe. Veranlasset
nicht, daß wir uns der Abkunft von euch schämen müssen, als
einer niedern, barbarischen, sklavischen, daß wir unsre Abstammung verbergen,
oder einen fremden Namen, und eine fremde Abkunft erlügen müssen,
um nicht sogleich, ohne weitere Prüfung, weggeworfen und zertreten zu werden.
Wie das nächste Geschlecht, das von euch ausgehen wird, sein wird, also
wird euer Andenken ausfallen in der Geschichte ehrenvoll, wenn dieses ehrenvoll
für euch zeugt: sogar über die Gebühr schmählich, wenn ihr
keine laute Nachkommenschaft habt, und der Sieger eure Geschichte macht. Noch
niemals hat ein Sieger Neigung, oder Kunde genug gehabt, um die Überwundenen
gerecht zu beurteilen. Je mehr er sie herabwürdigt, desto gerechter steht
er selbst da. Wer kann wissen, welche Großtaten, welche treffliche Einrichtungen,
welche edle Sitten, manches Volkes der Vorwelt, in Vergessenheit geraten sind,
weil die Nachkommen unterjocht wurden, und der Überwinder, seinen Zwecken
gemäß, unwidersprochen, Bericht über sie erstattete.
Es beschwöret euch selbst das Ausland, inwiefern dasselbe nur noch im mindesten
sich selbst versteht, und noch ein Auge hat für seinen wahren Vorteil.
Ja, es gibt noch unter allen Völkern Gemüter, die noch immer nicht
glauben können, daß die großen Verheißungen eines Reichs
des Rechts, der Vernunft, und der Wahrheit, an das Menschengeschlecht, eitel
und ein leeres Trugbild seien, und die daher annehmen, daß die gegenwärtige
eiserne Zeit nur ein Durchgang sei zu einem bessern Zustande. Diese, und in
ihnen die gesamte neuere Menschheit, rechnet auf euch. Ein großer Teil
derselben stammt ab von uns, die übrigen haben von uns Religion und jedwede
Bildung erhalten. Jene beschwören uns bei dem gemeinsamen vaterländischen
Boden, auch ihrer Wiege, den sie uns frei hinterlassen haben; diese bei der
Bildung, die sie von uns, als Unterpfand eines höhern Glücks, bekommen
haben, — uns selbst auch für sie, und um ihrer willen zu erhalten,
so wie wir immer gewesen sind, aus dem Zusammenhange des neu entsprossenen Geschlechts
nicht dieses ihm so wichtige Glied herausreißen zu lassen, damit, wenn
sie einst unsers Rates, unsers Beispiels, unsrer Mitwirkung gegen das wahre
Ziel des Erdenlebens hin bedürfen, sie uns nicht schmerzlich vermissen.
Alle Zeitalter, alle Weise und Gute, die jemals auf dieser Erde geatmet haben,
alle ihre Gedanken und Ahnungen eines Höhern, mischen sich in diese Stimmen,
und umringen euch, und heben flehende Hände zu euch auf; selbst, wenn man
so sagen darf, die Vorsehung, und der göttliche Weltplan bei Erschaffung
eines Menschengeschlechts, der ja nur da ist, um von Menschen gedacht, und durch
Menschen in die Wirklichkeit eingeführt zu werden, beschwöret euch,
seine Ehre und sein Dasein zu retten. Ob jene, die da glaubten, es müsse
immer besser werden mit der Menschheit, und die Gedanken einer Ordnung und einer
Würde derselben seien keine leeren Träume, sondern die Weissagung
und das Unterpfand der einstigen Wirklichkeit, recht behalten sollen, oder diejenigen,
die in ihrem Tier- und Pflanzenleben hinschlummern, und jedes Auffluges in höhere
Welten spotten — darüber ein letztes Endurteil zu begründen,
ist euch anheimgefallen. Die alte Welt mit ihrer Herrlichkeit und Größe,
sowie mit ihren Mängeln, ist versunken, durch die eigne Unwürde, und
durch die Gewalt eurer Väter. Ist in dem, was in diesen Reden dargelegt
worden, Wahrheit, so seid unter allen neuren Völkern ihr es, in denen der
Keim der menschlichen Vervollkommnung am entschiedensten liegt, und denen der
Vorschritt in der Entwicklung derselben aufgetragen ist. Gehet ihr in dieser
eurer Wesenheit zugrunde, so gehet mit euch zugleich alle Hoffnung des gesamten
Menschengeschlechts auf Rettung aus der Tiefe seiner Übel zugrunde. Hoffet
nicht, und tröstet euch nicht, mit der aus der Luft gegriffenen, auf bloße
Wiederholung der schon eingetretenen Fälle rechnenden Meinung, daß
ein zweites Mal, nach Untergang der alten Bildung, eine neue, auf den Trümmern
der ersten, aus einer halb barbarischen Nation, hervorgehen werde. In der alten
Zeit war ein solches Volk, mit allen Erfordernissen zu dieser Bestimmung ausgestattet,
vorhanden, und war dem Volke der Bildung recht wohl bekannt, und ist von ihnen
beschrieben; und diese selbst, wenn sie den Fall ihres Unterganges zu setzen
vermocht hätten, würden an diesem Volke das Mittel der Wiederherstellung
haben entdecken können. Auch uns ist die gesamte Oberfläche der Erde
recht wohl bekannt, und alle die Völker, die auf derselben leben. Kennen
wir denn nun ein solches, dem Stammvolke der neuen Welt ähnliches Volk,
von welchem die gleichen Erwartungen sich fassen ließen? Ich denke, jeder,
der nur nicht bloß schwärmerisch meint und hofft, sondern gründlich
untersuchend denkt, werde diese Frage mit Nein beantworten müssen. Es ist
daher kein Ausweg: wenn ihr versinkt, so versinkt die ganze Mensch¬heit
mit, ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung.
Dies war es, was ich Ihnen, als meinen Stellvertretern der Nation, und durch
Sie der gesamten Nation, am Schlusse dieser Reden noch einschärfen wollte,
und sollte. Vierzehnte Rede, S.242ff.
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Reden an die deutsche Nation, Philosophische Bibliothek
Band 204, Felix Meiner Verlag Hamburg
Übernimmt nicht der Deutsche durch Wissenschaft die Regierung der Welt,
so werden zum Beschlusse von allerhand Plackereien außereuropäische
Nationen, die nordamerikanischen Stämme, sie übernehmen, und mit dem
dermaligen Wesen ein Ende machen; aber Ihr werdet bis dahin unter jeder Veränderung
in sicherer Ehre und Wohlstand blühen; denn die Torheit ist allenthalben
beliebt, und wenn der Deutsche sie nicht abschüttelt, so schüttelt
sicher keine andere europäische Nation sie ab, und Europa wird zu einer
einzigen kontinenten Torheit und Unwissenheit.
Aus: Johann Gottlieb Fichte, Der Patriotismus
und sein Gegenteil (Roselius: Fichte für heute, S.35)
Das
Leben ist die Totalität des objektiven Vernunftwesens
Fragment (Beilage
zum Brief vom 22. April 1799 an Karl Leonhard Reinhold)
Ich muß an das Wesen der Transzendentalphilosophie wieder erinnern und
ersuche das philosophische Publikum, diese Erinnerung die letzte sein zu lassen.
Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens;
den des natürlichen und gemeinen, da man UNMITTELBAR
OBJEKTE DENKT, und den des vorzugsweise sogenannten künstlichen,
da man mit Absicht und Bewußtsein sein DENKEN
selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine Leben und die
Wissenschaft (materialiter sic
dicta), auf dem zweiten die Transzendentalphilosophie, die ich eben
deswegen Wissenschaftslehre,
Theorie und Wissenschaft
alles Wissens (keineswegs
aber selbst ein reelles und objektives Wissen) genannt habe. Die philosophischen
Systeme vor Kant kannten großenteils ihren Standpunkt
nicht recht und schwankten hin und her zwischen den beiden soeben angegebenen.
Das unmittelbar vor Kant herrschende Wolfisch-Baumgartensche
System stellte
sich mit seinem guten Bewußtsein in den Standpunkt des gemeinen Denkens
und hatte nichts Geringeres zur Absicht, als die Sphäre desselben zu erweitern
und durch die Kraft seiner Syllogismen
neue Objekte des natürlichen Denkens zu erschaffen.
Diesem Systeme ist das unsrige darin gerade entgegengesetzt,
daß es die Möglichkeit, ein für das Leben und die (materielle)
Wissenschaft gültiges Objekt
durch das bloße Denken hervorzubringen, gänzlich
ableugnet und nichts für reell gelten läßt, das
sich nicht alleine auf eine innere oder äußere
Wahrnehmung
gründet. In dieser Rücksicht, inwiefern die Metaphysik
das System reeller durch das bloße Denken
hervorgebrachter Erkenntnisse sein soll, leugnet z. B, Kant,
und ich mit ihm die Möglichkeit der Metaphysik
gänzlich; er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel ausgerottet zu haben,
und es wird, da noch kein verständiges oder verständliches Wort vorgebracht
worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Bewenden
haben.
Unser System, indem es die Erweiterungen anderer
zurückweiset, läßt sich ebensowenig einfallen, selbst an seinem
Teile das gemeine und allein reelle Denken erweitern
zu wollen: sondern es will dasselbe lediglich erschöpfend umfassen und.
darstellen. — Unser philosophisches Denken
bedeutet nichts und hat nicht den mindesten Gehalt; nur
das in seinem Denken gedachte
Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser philosophisches
Denken ist lediglich das Instrument, durch welches wir unser Werk zusammensetzen.
Ist das Werk fertig, so wird das Instrument als unnütz weggeworfen.
Wir setzen vor den Augen der Zuschauer das Modell eines Körpers aus den
Modellen seiner einzelnen Teile zusammen. Ihr überfallt uns mitten in der
Arbeit und ruft: Seht da das nackte Gerippe; soll nur dies ein Körper sein?
— Nein, gute Leute, es soll kein Körper sein, sondern nur sein Geripp.
— Nur dadurch wird unser Unterricht verständlich, daß wir einzeln
Teil an Teil, einen nach dem andern, anfügen; und deswegen allein haben
wir die Arbeit unternommen. Wartet ein wenig, so werden wir dieses Gerippe mit
Adern und Muskeln und Haut bekleiden.
Wir sind jetzt fertig, und ihr ruft: nun so laßt doch diesen Körper
sich bewegen, sprechen, das Blut in seinen Adern zirkulieren; mit einem Worte:
laßt ihn leben! Ihr habt abermals unrecht. Wir haben nie vorgegeben, dies
zu vermögen. Leben
gibt nur die Natur,
nicht die Kunst;
das wissen wir sehr wohl und glauben gerade dadurch vor gewissen andern Philosophien
zu unserm Vorteile uns auszuzeichnen, daß wir es wissen. — Wenn
wir irgendeinen Teil anders bilden, als er in der wirklichen Natur ist, irgendeinen
hinzutun, irgendeinen mangeln lassen, dann haben wir unrecht; und darauf müßt
ihr sehen, wenn ihr uns einen verständigen Tadel oder Lob erteilen wollt.
Der lebendige Körper,
den wir nachbilden, ist das gemeine reelle
Bewußtsein.
Das allmählige Zusammenfügen seiner Teile sind
unsre Deduktionen,
die nur Schritt für Schritt fortrücken können. Ehe nicht das
ganze System vollendet dasteht, ist alles, was
wir vortragen können, nur ein Teil. Die Teile, auf welche dieser letztere
sich stützt, müssen freilich schon vor euch liegen; sonst haben wir
keine Methode;
aber es ist nicht notwendig, daß sie in derselben Schrift vor euch liegen,
die ihr jetzt eben leset; wir setzen euch als bekannt mit unsern vorherigen
Schriften voraus. Wir können nicht alles auf einmal sagen. — Was
aber auf den jetzt eben euch vorgelegten Teil
folge, das habt ihr zu erwarten; falls ihr nicht etwa es
selbst zu finden versteht.
Wenn wir aber auch, und
wo wir vollendet haben und bis zum vollständigen
reellen und gemeinen Denken
fortgerückt sind (wir haben es in mehrern
Religionen des Bewußtseins, nur noch nicht
in der Religionsphilosophie),
ist dasselbe, so wie es in unsrer Philosophie
vorkommt, doch selbst kein reelles
Denken, sondern nur eine Beschreibung
und Darstellung des
reellen Denkens.
Ausdrücklich und ganz bestimmt durch das Nichtphilosophieren,
d.h. dadurch, daß man zur philosophischen Abstraktion
sich entweder nie erhoben hat oder von der Höhe derselben sich wieder in
den Mechanismus
des Lebens herabläßt,
entsteht uns alle Realität;
und umgekehrt, so wie man sich zur reinen Spekulation erhebt, verschwindet
diese Realität notwendig, weil man sich von dem, worauf
sie sich gründet, dem Mechanismus des Denkens,
befreit hat. Nun ist das Leben Zweck,
keineswegs das Spekulieren;
das letztere ist mir Mittel.
Und es ist nicht einmal Mittel, das Leben
zu bilden, denn es liegt in einer ganz andern Welt, und was auf das Leben
Einfluß haben soll, muß selbst aus dem Leben
hervorgegangen sein. Es ist nur Mittel, das Leben
zu erkennen.
Worin man befangen ist, was man selbst ist, das kann man nicht erkennen. Man
muß aus ihm herausgehen, auf einen Standpunkt außerhalb desselben
sich versetzen. Dieses Herausgehen aus dem wirklichen Leben, dieser Standpunkt
außerhalb desselben ist die Spekulation.
Nur inwieferne es diese zwei verschiedene Standpunkte gab, diesen höhern
über das Leben neben dem des Lebens, ist es dem Menschen möglich,
sich selbst zu erkennen. Man kann leben und vielleicht ganz gemäß
der Vernunft leben, ohne zu spekulieren; denn man kann leben, ohne das Leben
zu erkennen; aber man kann nicht das Leben erkennen, ohne zu spekulieren.
Kurz - die durch das ganze Vernunftsystem
hindurchgehende, auf die ursprüngliche Duplizität des Subjekt —
Objekt sich gründende Duplizität ist hier auf ihrer höchsten
Stufe. Das LEBEN
ist die TOTALITÄT
des OBJEKTIVEN
VERNUNFTWESENS; die SPEKULATION
die TOTALITÄT
des SUBJEKTIVEN.
Eins ist nicht
möglich
ohne das andere: das
LEBEN, als
tätiges Hingeben in den Mechanismus, nicht
OHNE DIE TÄTIGKEIT UND
FREIHEIT (sonst Spekulation),
die sich hingibt; kommt sie auch gleich nicht bei
jedem Individuo zum deutlichen Bewußtsein;
die SPEKULATION nicht
ohne DAS LEBEN, VON WELCHEM
SIE ABSTRAHIERT.
Beide, Leben und Spekulation,
sind nur durch einander bestimmbar. LEBEN ist ganz eigentlich
NICHTPHILOSOPHIEREN; PHILOSOPHIEREN
ist ganz eigentlich NICHT-LEBEN;
und ich kenne keine treffendere Bestimmung beider Begriffe als
diese. — Es ist hier eine vollkommene Antithesis
und ein Vereinigungspunkt ist ebenso unmöglich als das Auffassen des X,
das dem Subjekt—Objekt, Ich,
zugrunde liegt; außer dem Bewußtsein des wirklichen Philosophen,
daß es für ihn beide Standpunkte gebe. S.
234-237
Aus: Johann Gottlieb Fichte, Briefe. Herausgegeben von Manfred Buhr. Verlag
Philipp Reclam jun., Leipzig 1986