Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814)

  Deutscher Philosoph, der 1794 als Professor nach Jena berufen wurde. 1799 wurde Fichte der Gottlosigkeit angeklagt und entlassen (Atheismusstreit). Er ging dann nach Berlin, wo er im Romantikerkreis verkehrte. 1805 wurde er Professor in Erlangen und 1810 erster gewählter Rektor der Universität Berlin. Fichtes Philosophie kann als Weiterführung des Kantischen Kritizismus zu einem metaphysischen Idealismus umschrieben werden. In seiner 1792 veröffentlichten Schrift »Versuch einer Kritik aller Offenbarung« geht Fichte von der Einsicht aus, dass der wesentliche Kern einer Religion ihre Ethik wäre und dass diese Ethik mit den Forderungen der Vernunft übereinstimmen müsse, die Kant in seiner »Kritik der praktischen Vernunft« hergeleitet hat. Allein das Sittengesetz - als Gebot der Vernunft - verpflichte unter allen Unständen den Menschen unmittelbar. Was darüber hinaus die Gestalt einer Religion forme, sei bloß unwesentlich, historisch oder kultisch. In seiner auf Vorlesungen basierenden und 1806 veröffentlichten Schrift »Die Anweisung zum seligen Leben« versucht er den Vorwurf des Atheismus - der ihn in Jena die Stellung gekostet hat - zu entkräften, indem er im Anschluss an das Johannesevangelium und dessen Metaphorik zu beweisen versucht, dass die Lehre des Christentums in den wesentlichen Teilen mit seiner Philosophie übereinstimme. Zenrales Kernstück seines philosophischen Systems ist jedoch die »Wissenschaftslehre« als prinzipielle Begründung der gesamten Philosophie. Nach grundlegenden Schriften (»Über den Begriff der Wissenschaftslehre«, 1794; »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre«, 1794/95), zwei »Einleitungen« (1797) u. a., entwarf er fast in jedem Jahr neue Fassungen seines Systems; die wichtigsten sind die von 1798/99 (erst 1937 gedruckt), 1801, 1804, 1810 und 1813. Immer handelt es sich um den Versuch, das Bewusstsein einschließlich aller Inhaltsgebiete aus der freien Selbstsetzung des Ich (»Tathandlung«) abzuleiten und dialektisch zu entwickeln. Dies ist einer der folgenreichsten Ansätze der neueren Philosophie, der besonders von Schelling und Hegel weiter entwickelt wurde. Träger allen Seins sei Licht (= Grundsein). Gott verstand er als absolutes Licht, das sich selbst erzeugt (Lichtquell) und mit seinem unerforschlichen Grundsein identisch ist. Der »absolute Zweck des Daseins« ist das »absolute Wissen«. Wissen und Dasein sind identisch. Religionsphilosophisch stand Fichte zunächst dem Spinozismus nahe und kam in Anlehnung an Immanuel Kant zu einem Rigorismus, der die natürliche Welt als Material der Pflichterfüllung ansieht und Gott mit der sittlichen Weltordnung gleichsetzt. Die vernunftgemäße Gestaltung aller Dinge, auf die seine Philosophie zielte, sollte mit einer »gänzlichen Veränderung des bisherigen Erziehungswesens« beginnen. In scharfer Entgegensetzung zur Aufklärung forderte er die Bildung des ganzen Menschen, mit Betonung der Charakter- und der Willensbildung, der Selbsttätigkeit und des Dienstes in der Gemeinschaft. Die alte Standeserziehung und -zerspaltung wollte er durch eine vom Staat getragene deutsche Nationalerziehung überwinden (Deutscher Idealismus, Neukantianismus). In seinen politischen Schriften besonders im »Geschlossenen Handelsstaat« (1800), noch stärker in der »Rechtslehre« von 1812 und in den Fragmenten von 1813, befürwortete er einen Staatssozialismus. Von 1806 an sprach er sich für die Erhebung gegen Napoleon aus und seit 1807 für eine allgemeine Volksbewaffnung. 1807/08 hielt er seine »Reden an die Deutsche Nation«, die einen weit reichenden, nachhaltigen, aber durchaus nicht unumstrittenen Einfluss auf den deutschen Nationalgedanken hatten.

Siehe auch Wikpedia

Inhaltsverzeichnis
Die Ableitung Gottes aus dem Moral- und Sittengesetz (Versuch einer Kritik aller Offenbarung 1792)
Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung (Versuch einer Kritik aller Offenbarung 1792)
Das Eine wahrhaft seiende und durch sich selber daseiende ist Gott (Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters 1805)
Sein und Schein – Leben und Tod (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Alle Menschen können zur Erkenntnis Gottes kommen (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Der Mensch ist nicht zum Elend bestimmt (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Das unerforschliche Geheimnis des göttlichen Lichtes (Anweisung zum seligen Leben 1806, Wissenschaftslehre 1805)
Im Anfang war die Weisheit . . . (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Die ewige Liebe ist die Quelle der Vernunft und die Wurzel der Realität (Anweisung zum seligen Leben 1806)
Der erhabene Wille und sein ewiges Geisterreich (Die Bestimmung des Menschen)
Über die geistige Bestimmung des deutschen Volkes (Reden an die deutsche Nation)
Das Leben ist die Totalität des objektiven Vernunftwesens (Briefe)

Christus
Nur mit Johannes kann der Philosoph zusammenkommen . . .
Jesu Verhältnis zu Gott

Die Ableitung Gottes aus dem Moral- und Sittengesetz
Es muß ein ganz heiliges, ganz seliges, allmächtiges Wesen geben. Dieses Wesen muß, vermöge der Anforderung des Moralgesetzes an ihn, jenes völlig gleiche Verhältnis zwischen der Sittlichkeit und der Glückseligkeit endlicher vernünftiger Wesen hervorbringen; da es nur durch und in Ihm ist, daß die Vernunft über die sinnliche Natur herrscht: es muß ganz gerecht sein. Im Begriffe alles Existierenden überhaupt wird nichts gedacht, als die Reihe von Ursachen und Wirkungen nach Naturgesetzen in der Sinnenwelt, und die freien Entschließungen moralischer Wesen in der übersinnlichen.

Gott muß die erstere ganz übersehen, denn er hat die Gesetze der Natur vermöge seiner Kausalität durch Freiheit bestimmt, und der nach denselben fortlaufenden Reihe der Ursachen und Wirkungen den ersten Stoß gegeben: er muß die letztem alle kennen, denn alle bestimmen den Grad der Moralität eines Wesens; und dieser Grad ist der Maßstab, nach welchem die Austeilung der Glückseligkeit an vernünftige Wesen laut des Moralgesetzes, dessen Exekutor er ist, geschehen muß. Da nun außer diesen beiden Stücken für uns nichts denkbar ist, so müssen wir Gott allwissend denken. So lange endliche Wesen endlich bleiben, werden sie — denn das ist der Begriff der Endlichkeit in der Moral — noch unter andern Gesetzen stehen, als denen der Vernunft; sie werden folglich die völligste Kongruenz der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit durch sich selbst nie hervorbringen können. Nun aber fordert das Moralgesetz dies ganz unbedingt und ohne Rücksicht auf Möglichkeit oder Unmöglichkeit. Daher kann dieses Gesetz nie aufhören gültig zu sein, da es nie erreicht sein wird; seine Forderung kann nie ein Ende nehmen, da sie nie erfüllt sein wird. Es gilt für die Ewigkeit. — Es tut diese Forderung an jenes heilige Wesen, in Ewigkeit das höchste Gut in allen vernünftigen Naturen zu befördern; in Ewigkeit das Gleichgewicht zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit herzustellen: jenes Wesen muß also selbst ewig sein, um einem ewigen Moralgesetze, das seine Natur bestimmt, zu entsprechen; und es muß, diesem Gesetze gemäß, allen vernünftigen Wesen, an die dieses Gesetz gerichtet ist, und von welchen es E-wigkeit fordert, die Ewigkeit geben. Es muß also ein ewiger Gott sein, und jedes moralische Wesen muß ewig fortdauern, wenn der Endzweck des Moralgesetzes nicht unmöglich sein soll. Dieses sind die Postulate der Vernunft, welche wir, um unsrer moralischen Bestimmung durch dieselbe willen, nicht als objektiv gewiß, sondern als subjektiv für unsere, nämlich menschliche Art zu denken gültig, annehmen müssen.

Es waren eigentlich zwei Hauptbestimmungen im Begriffe von Gott, den die durch das Moralgebot praktisch bestimmte Vernunft aufstellte: die erste, welche unmittelbar aus der Möglichkeit des Endzwecks des Moralgesetzes überhaupt folgte, daß sein Wesen gänzlich und allein durch das Moralgesetz* bestimmt sei; die zweite, welche aus der Anwendung dieser angenommenen Möglichkeit auf endliche moralische Wesen folgte, daß er nach diesem Gesetze die sinnliche Natur außer sich bestimme.
* Wenn man von Gott redet, so heißt die Anforderung der praktischen Vernunft an ihn nicht Gebot, sondern Gesetz. Sie sagt von ihm kein Sollen, sondern ein Sein aus; sie ist in Rücksicht auf ihn nicht imperativ, sondern konstitutiv.
Die erste stellt Gott dar als die vollkommenste Heiligkeit, in welcher das Sittengesetz sich ganz beobachtet darstellt, als das Ideal aller moralischen Vollkommenheit; und zugleich als den Alleinseligen, weil er der Alleinheilige ist; mithin als Darstellung des erreichten Endzwecks der praktischen Vernunft, als das höchste Gut selbst, dessen Möglichkeit sie postulierte: die zweite als den obersten Weltregenten nach moralischen Gesetzen, als Richter aller vernünftigen Geister. Die erste betrachtet ihn an und für sich selbst, nach seinem Sein, und er erscheint durch sie als vollkommenster Beobachter des Moralgesetzes: die zweite nach den Wirkungen dieses Seins auf andere moralische Wesen, und er ist vermöge derselben höchster, niemandem untergeordneter Exekutor der Verheißungen des Moralgesetzes, mithin auch Gesetzgeber. S.10-12 […]

Nun läßt aber ferner das allgemeine Gelten des göttlichen Willens für uns als passive Wesen, uns auf die Allgemeingültigkeit desselben für uns auch als aktive Wesen schließen. Gott richtet uns nach einem Gesetze, das ihm nicht anders, als durch seine Vernunft gegeben sein kann, folglich nach seinem durch das Moralgesetz bestimmten Willen. Seinem Urteile also liegt sein Wille, als allgemeingeltendes Gesetz für vernünftige Wesen, auch insofern sie aktiv sind, zum Grunde, indem ihre Übereinstimmung mit demselben der Maßstab ist, nach welchem ihnen, als passiven, ihr Anteil an der Glückseligkeit zugemessen wird. Die Anwendbarkeit dieses Maßstabes erhellt sogleich daraus, weil die Vernunft ihr selbst nie widersprechen kann, sondern in allen vernünftigen Wesen ebendasselbe aussagen, folglich der durch das Moralgesetz bestimmte Wille Gottes völlig gleichlautend mit dem uns durch ebendieselbe Vernunft gegebenen Gesetze sein muß. Es ist nach diesem für die Legalität unsrer Handlungen völlig gleichgültig, ob wir sie dem Vernunftgesetze darum gemäß einrichten, weil unsere Vernunft gebietet; oder darum, weil Gott das will, was unsre Vernunft fordert; ob wir unsre Verbindlichkeit vom bloßen Gebote der Vernunft, oder ob wir sie vom Willen Gottes herleiten: ob es aber für die Moralität derselben völlig gleichgültig sei, ist dadurch noch nicht klar und bedarf einer weitern Untersuchung.

Unsre Verbindlichkeit vom Willen Gottes ableiten
, heißt, seinen Willen, als solchen, für unser Gesetz anerkennen; sich darum zur Heiligkeit verbunden erachten, weil Er sie von uns fordert. Es ist also dann nicht bloß von einer Vollbringung des Willens Gottes, der Materie des Wollens nach, sondern von einer auf die Form desselben gegründeten Verbindlichkeit die Rede; — wir handeln dem Gesetze der Vernunft gemäß, weil es Gottes Gesetz ist.

Hierbei entstehen folgende zwei Fragen: Wie erkennen wir das Gesetz der Vernunft in uns als Gesetz Gottes? und dann: Gibt es eine Verbindlichkeit, dem Willen Gottes, als solchem, zu gehorchen, und worauf könnte sich dieselbe gründen? Die Beantwortung der ersten Frage, welche von der zweiten wesentlich unterschieden ist, findet nicht eher statt, bis wir mit der letztern in völliger Richtigkeit sind, weil man vor Ausmittelung dieser nicht wissen kann, ob die Bemühung jene zu beantworten nicht völlig ohne Nutzen ist.

Schon der Begriff von Gott wird uns bloß durch unsere Vernunft gegeben, und bloß durch sie, insofern sie a priori gebietend ist, realisiert, und es ist schlechterdings keine andere Art gedenkbar, auf welche wir zu diesem Begriffe kommen könnten. Ferner verbindet uns die Vernunft ihrem Gesetze zu gehorchen, ohne Rückweisung an einen Gesetzgeber über sie, so daß sie selbst verwirrt und schlechterdings vernichtet wird, und aufhört Vernunft zu sein, wenn man annimmt, daß noch etwas anderes ihr gebiete, als sie sich selbst. Stellt sie uns nun den Willen Gottes als völlig gleichlautend mit ihrem Gesetze dar, so verbindet sie uns freilich mittelbar, auch diesem zu gehorchen; aber diese Verbindlichkeit gründet sich auf nichts anderes, als auf die Übereinstimmung desselben mit ihrem eigenen Gesetze, und es ist kein Gehorsam gegen Gott möglich, ohne aus Gehorsam gegen die Vernunft. Hieraus erhellt nun fürs erste zwar soviel, daß es völlig gleich für die Moralität unsrer Handlungen ist, ob wir uns zu etwas darum verbunden erachten, weil es unsre Vernunft befiehlt, oder weil es Gott befiehlt; aber es läßt sich daraus noch gar nicht einsehen, wozu uns letztere Vorstellung dienen soll, da ihre Wirksamkeit die Wirksamkeit der erstern schon voraussetzt, da das Gemüt schon bestimmt sein muß, der Vernunft gehorchen zu wollen, ehe der Wille, Gott zu gehorchen, möglich ist; da es mithin scheint, daß die letztere Vorstellung uns weder allgemeiner noch stärker bestimmen könne, als diejenige, von der sie abhängt, und durch die sie erst möglich wird. Gesetzt aber, es ließe sich zeigen, daß sie unter gewissen Bedingungen wirklich unsre Willensbestimmung erweitere, so ist vorher doch noch auszumachen, ob eine Verbindlichkeit sich ihrer überhaupt zu bedienen stattfinde: und da folgt denn unmittelbar aus dem Obigen, daß, obgleich die Vernunft uns verbindet, dem Willen Gottes seinem Inhalte nach (voluntati ejus materialiter spectatae) zu gehorchen, weil dieser mit dem des Vernunftgesetzes völlig gleichlautend ist, sie doch unmittelbar keinen Gehorsam fordert, als den für ihr Gesetz, aus keinem andern Grunde, als weil es ihr Gesetz ist; daß sie folglich, da nur unmittelbare praktische Gesetze der Vernunft verbindend sind, zu keinem Gehorsam gegen den Willen Gottes, als solchen, (voluntatem ejus formaliter spectatam) verbinde. Die praktische Vernunft enthält mithin kein Gebot, uns den Willen Gottes, als solchen, gesetzlich für uns zu denken, sondern bloß eine Erlaubnis; und sollten wir a posteriori finden, daß diese Vorstellung uns stärker bestimme, so kann die Klugheit anraten, uns derselben zu bedienen, aber Pflicht kann der Gebrauch dieser Vorstellung nie sein. Zur Religion also, d. i. zur Anerkennung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, findet keine Verbindlichkeit statt, um so weniger, da, so notwendig es auch ist, die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit unsrer Seele anzunehmen, weil ohne diese Annahme die geforderte Kausalität des Moralgesetzes uns gar nicht möglich ist, und diese Notwendigkeit ebenso allgemein gilt als das Moralgesetz selbst, wir doch nicht einmal sagen können, wir seien verbunden diese Sätze anzunehmen, weil Verbindlichkeit nur vom Praktischen gilt. Inwieweit aber die Vorstellung von Gott, als Gesetzgeber, durch dieses Gesetz in uns gelte, hängt von der Ausbreitung ihres Einflusses auf die Willensbestimmung, und diese hinwiederum von den Bedingungen ab, unter welchen vernünftige Wesen durch sie bestimmt werden können. Könnte nämlich gezeigt werden, daß diese Vorstellung nötig sei, um dem Gebote der Vernunft überhaupt Gesetzeskraft zu geben (wovon aber das Gegenteil gezeigt worden ist), so würde sie für alle vernünftige Wesen gelten; kann gezeigt werden, daß sie in allen endlichen vernünftigen Wesen die Willensbestimmung erleichtert, so ist sie gemeingültig für diese; sind die Bedingungen, unter denen sie diese Bestimmung erleichtert und erweitert, nur von der menschlichen Natur gedenkbar, so gilt sie, falls sie in allgemeinen Eigenschaften derselben liegen, für alle, oder wenn sie in besondern Eigenschaften derselben liegen, nur für einige Menschen.

Die Bestimmung des Willens, dem Gesetze Gottes überhaupt zu gehorchen, kann nur durch das Gesetz der praktischen Vernunft geschehen, und ist als bleibender und dauernder Entschluß des Gemüts vorauszusetzen. Nun aber können einzelne Fälle der Anwendung des Gesetzes gedacht werden, in denen die bloße Vernunft nicht Kraft genug haben würde, den Willen zu bestimmen, sondern zu Verstärkung ihrer Wirksamkeit noch der Vorstellung bedarf, daß eine gewisse Handlung durch Gott geboten sei. Diese Unzulänglichkeit des Vernunftgebotes, als solches, kann keinen andern Grund haben, als Verminderung unsrer Achtung gegen die Vernunft in diesem besondern Falle; und diese Achtung kann durch nichts anderes vermindert worden sein, als durch ein derselben widerstreitendes Naturgesetz, das unsre Neigung bestimmt, und welches mit jenem der Vernunft, das unser oberes Begehrungsvermögen bestimmt, in einem und eben demselben Subjekte, nämlich in uns erscheint, und mithin, wenn die Würde des Gesetzes bloß nach der des gesetzgebenden Subjekts bestimmt wird, von einerlei Range und Werte mit jenem zu sein scheinen könnte. Hier noch ganz davon abstrahiert, daß wir in einem solchen Falle uns täuschen, daß wir die Stimme der Pflicht vor dem Schreien der Neigung nicht hören, sondern uns in der Lage zu sein dünken könnten, wo wir unter bloßen Naturgesetzen stehen; sondern vorausgesetzt, daß wir die Anforderungen beider Gesetze und ihre Grenze richtig unterscheiden, und unwidersprechlich erkennen, was unsre Pflicht in diesem Falle sei, so kann es doch leicht geschehen, daß wir uns entschließen, nur hier dies eine Mal eine Ausnahme von der allgemeinen Regel zu machen, nur dies eine Mal wider den klaren Ausspruch der Vernunft zu handeln, weil wir dabei niemandem verantwortlich zu sein glauben, als uns selbst, und weil wir meinen, es sei unsre Sache, ob wir vernünftig oder unvernünftig handeln wollen; es verschlage niemandem etwas, als uns selbst, wenn wir uns dem Nachteile, der freilich daraus für uns entstehen müßte, wenn ein moralischer Richter unsrer Handlungen sei, unterwerfen, durch welche Strafe unser Ungehorsam gleichsam abgebüßt zu werden scheint; wir sündigten auf eigne Gefahr. Ein solcher Mangel an Achtung für die Vernunft gründet sich mithin auf Mangel der Achtung gegen uns selbst, welche wir bei uns wohl verantworten zu können glauben. Erscheint uns aber die in diesem Falle eintretende Pflicht als von Gott geboten, oder, welches eben das ist, erscheint das Gesetz der Vernunft durchgängig und in allen seinen Anwendungen als Gesetz Gottes, so erscheint es in einem Wesen, in Absicht dessen es nicht in unserm Belieben steht, ob wir es achten, oder ihm die gebührende Achtung versagen wollen; wir machen bei jedem wissentlichen Ungehorsame gegen dasselbe nicht etwa nur eine Ausnahme von der Regel, sondern wir verleugnen geradezu die Vernunft überhaupt; wir sündigen nicht bloß gegen eine von derselben abgeleitete Regel, sondern gegen ihr erstes Gebot; wir sind nun, die Verantwortlichkeit zur Strafe, die wir allenfalls auf uns selbst nehmen könnten, abgerechnet, einem Wesen, dessen bloßer Gedanke uns die tiefste Ehrfurcht einprägen muß, und welches nicht zu verehren der höchste Unsinn ist, auch noch für Verweigerung der ihm schuldigen Ehrfurcht verantwortlich, welches durch keine Strafe abzubüßen ist.

Die Idee von Gott, als Gesetzgeber durchs Moralgesetz in uns, gründet sich also auf eine Entäußerung des unsrigen, auf Übertragung eines Subjektiven in ein Wesen außer uns, und diese Entäußerung ist das eigentliche Prinzip der Religion, insofern sie zur Willensbestimmung gebraucht werden soll. Sie kann nicht im eigentlichsten Sinne unsre Achtung für das Moralgesetz überhaupt verstärken, weil alle Achtung für Gott sich bloß auf seine anerkannte Übereinstimmung mit diesem Gesetze, und folglich auf Achtung für das Gesetz selbst gründet; aber sie kann unsre Achtung für die Entscheidungen derselben in einzelnen Fällen, wo sich ein starkes Gegengewicht der Neigung zeigt, vermehren; und so ist es klar, wie, obgleich die Vernunft uns überhaupt erst bestimmen muß, dem Willen Gottes zu gehorchen, doch in einzelnen Fällen die Vorstellung dieses uns hinwiederum bestimmen könne, der Vernunft zu gehorchen.

Im Vorbeigehn ist noch zu erinnern, daß diese Achtung für Gott, und die auf dieselbe gegründete Achtung für das Moralgesetz, als das seinige, sich auch bloß auf die Übereinstimmung desselben mit diesem Gesetze, d. i. auf seine Heiligkeit gründen müsse, weil sie nur unter. dieser Bedingung Achtung für das Moralgesetz ist, die allein die Triebfeder jeder rein moralischen Handlung sein muß. Gründet sie sich etwa auf die Begierde, sich in seine Güte einzuschmeicheln, oder auf Furcht vor seiner Gerechtigkeit, so läge unserm Gehorsame auch nicht einmal Achtung für Gott, sondern Selbstsucht zu Grunde.

Der Pflicht widerstreitende Neigungen sind wohl in allen endlichen Wesen anzunehmen, denn das ist eben der Begriff des Endlichen in der Moral, daß es noch durch andere Gesetze, als durch das Moralgesetz, d. i. durch die Gesetze seiner Natur bestimmt werde; und warum Naturgesetze unter irgendeiner Bedingung, für Naturwesen, auf welch einer erhabnen Stufe sie auch stehen mögen, stets und immer mit dem Moralgesetze zusammenstimmen sollten, läßt sich kein Grund angeben, aber es läßt sich gar nicht bestimmen, inwieweit und warum notwendig dieser Widerstreit der Neigung gegen das Gesetz die Achtung für dasselbe, als bloßes Vernunftgesetz, so schwächen solle, daß es, um tätig zu wirken, noch durch die Idee einer göttlichen Gesetzgebung geheiligt werden müsse; und wir können uns nicht entbrechen, für jedes vernünftige Wesen, welches, nicht weil die Neigung in ihm schwächer ist, in welchem Falle es kein Verdienst haben würde, sondern weil die Achtung für die Vernunft in ihm stärker ist, dieser Vorstellung zur Willensbestimmung nicht bedarf, eine weit größere Verehrung zu fühlen, als gegen dasjenige, welches ihrer bedarf. Es läßt sich also der Religion, insofern sie nicht bloßer Glaube an die Postulate der praktischen Vernunft ist, sondern als Moment der Willensbestimmung gebraucht werden soll, auch nicht einmal für Menschen subjektive Allgemeingültigkeit (denn nur von dergleichen kann hier die Rede sein) zusichern; ob wir gleich auch von der andern Seite nicht beweisen können, daß endlichen Wesen überhaupt, oder daß insbesondre Menschen in diesem Erdenleben eine Tugend möglich sei, die dieses Moments gänzlich entbehren könne.

Diese Übertragung der gesetzgebenden Autorität an Gott nun gründet sich laut obigem darauf, daß ihm durch seine eigne Vernunft ein Gesetz gegeben sein muß, welches für uns gültig ist, weil er uns darnach richtet, und welches mit dem uns durch unsre eigene Vernunft gegebnen, wonach wir handeln sollen, der völlig gleichlautend sein muß. Hier werden also zwei an sich voneinander gänzlich unabhängige Gesetze, die bloß in ihrem Prinzip, der reinen praktischen Vernunft, zusammenkommen, beide für uns gültig gedacht, ganz gleichlautend in Absicht ihres Inhalts, bloß in Absicht der Subjekte verschieden, in denen sie sich befinden. Wir können jetzt bei jeder Forderung des Sittengesetzes in uns sicher schließen, daß eine gleichlautende Forderung in Gott an uns ergehe, daß also das Gebot des Gesetzes in uns auch Gebot Gottes sei der Materie nach: aber wir können noch nicht sagen, das Gebot des Gesetzes in uns sei schon als solches, mithin der Form nach, Gebot Gottes. Um das letztere annehmen zu dürfen, müssen wir einen Grund haben, das Sittengesetz in uns als abhängig von dem Sittengesetze in Gott für uns zu betrachten, d. i. den Willen Gottes als die Ursache desselben anzunehmen.

Nun scheint es zwar ganz einerlei zu sein, ob wir die Befehle unsrer Vernunft, als völlig gleichlautend mit dem Befehle Gottes an uns, oder ob wir sie selbst unmittelbar als Befehle Gottes ansehen; aber teils wird durch das letztere der Begriff der Gesetzgebung erst völlig ergänzt, teils aber und vorzüglich muß notwendig beim Widerstreite der Neigung gegen die Pflicht die letztere Vorstellung dem Gebote der Vernunft ein neues Gewicht hinzufügen.

Den Willen Gottes als Ursache des Sittengesetzes in uns annehmen, kann zweierlei heißen, nämlich daß der Wille Gottes entweder Ursache vom Inhalte des Sittengesetzes, oder daß er es nur von der Existenz des Sittengesetzes in uns sei. Daß das erstere schlechterdings nicht anzunehmen sei, ist schon aus dem Obigen klar, denn dadurch würde Heteronomie der Vernunft eingeführt, und das Recht einer unbedingten Willkür unterworfen, das heißt, es gäbe gar kein Recht. Ob das zweite gedenkbar sei, und ob sich ein vernünftiger Grund dafür finde, bedarf einer weitern Untersuchung. S.20-27 […]

Daß das Sittengesetz in uns seinem Inhalte nach als Gesetz Gottes an uns anzunehmen sei, ist schon aus dem Begriffe Gottes als unabhängigen Exekutors des Vernunftgesetzes überhaupt, klar. Ob wir einen Grund haben, es auch seiner Form nach dafür anzunehmen, ist die jetzt zu untersuchende Frage. Da hierbei gar nicht vom Gesetze an sich die Frage ist, als welches wir in uns haben, sondern vom Urheber des Gesetzes; so können wir im Begriffe der göttlichen Gesetzgebung von dem Inhalte (materia) derselben hier gänzlich abstrahieren, und haben nur auf ihre Form zu sehen. Die gegenwärtige Aufgabe ist also die: ein Prinzip zu suchen, aus welchem Gott als moralischer Gesetzgeber erkannt werde; oder es wird gefragt: hat sich Gott uns als moralischen Gesetzgeber angekündigt, und wie hat er‘s?

Dies läßt sich auf zweierlei Art als möglich denken, nämlich daß es entweder in uns, als moralischen Wesen, in unsrer vernünftigen Natur, oder außer derselben geschehen sei. Nun liegt in unsrer Vernunft, insofern sie rein a priori gesetzgebend ist, nichts, das uns berechtigte, dies anzunehmen: wir müssen uns also nach etwas außer ihr umsehen, welches uns wieder an sie zurückweise, um nun aus ihren Gesetzen mehr schließen zu können, als wozu diese allein uns berechtigten: oder wir müssen es ganz aufgeben, aus diesem Prinzip Gott als Gesetzgeber zu erkennen. Außer unsrer vernünftigen Natur ist das, was uns zur Betrachtung und Erkenntnis vorliegt, die Sinnenwelt. In dieser finden wir allenthalben Ordnung und Zweckmäßigkeit; alles leitet uns auf eine Entstehung derselben nach Begriffen eines vernünftigen Wesens. Aber zu allen den Zwecken, auf welche wir durch ihre Betrachtung geführt werden, muß unsre Vernunft einen letzten, einen Endzweck, als das Unbedingte zu dem Bedingten, suchen. Alles aber in unsrer Erkenntnis ist bedingt, außer dem durch die praktische Vernunft uns aufgestellten Zwecke des höchsten Gutes, welcher schlechthin und unbedingt geboten wird. Dieses allein also ist fähig, der gesuchte Endzweck zu sein; und wir sind durch die subjektive Beschaffenheit unsrer Natur gedrungen, ihn dafür anzuerkennen. Kein Wesen konnte diesen Endzweck haben, als dasjenige, dessen praktisches Vermögen bloß durch das Moralgesetz bestimmt wird, und keins die Natur demselben anpassen, als dasjenige, das die Naturgesetze durch sich selbst bestimmt. Dieses Wesen ist Gott. Gott ist also Weltschöpfer. Kein Wesen ist fähig Objekt dieses Endzwecks zu sein, als nur moralische Wesen, weil diese allein des höchsten Guts fähig sind. Wir selbst also sind als moralische Wesen (objektiv) Endzweck der Schöpfung. Wir sind aber, als sinnliche, d. i. als solche Wesen, die unter den Naturgesetzen stehen, auch Teile der Schöpfung, und die ganze Einrichtung unsrer Natur, insofern, sie von diesen Gesetzen abhängt, ist Werk des Schöpfers, d. i. des Bestimmers der Naturgesetze durch seine moralische Natur. Nun hängt es zwar teils offenbar nicht von der Natur ab, daß die Vernunft in uns eben so, und nicht anders spricht; teils würde die Frage, ob es von ihr abhänge, daß wir eben moralische Wesen sind, durchaus dialektisch sein. Denn erstens dächten wir uns da den Begriff der Moralität aus uns weg, und nähmen dennoch an, daß wir dann noch wir sein würden, d. i. unsre Identität beibehalten haben würden, welches sich nicht annehmen läßt; zweitens geht sie auf objektive Behauptungen im Felde des Obersinnlichen aus, in welchem wir nichts objektiv behaupten dürfen.*
*Die Frage: warum überhaupt moralische Wesen sein sollten? ist leicht so zu beantworten: wegen der Anforderung des Moralgesetzes an Gott, das höchste Gut außer Sich zu befördern, welches nur durch Existenz vernünftiger Wesen möglich ist.
Da es aber für uns ganz einerlei ist, ob wir uns des Gebots des Moralgesetzes in uns nicht bewußt sind, oder ob wir überhaupt keine moralischen Wesen sind; da ferner unser Selbstbewußtsein ganz unter Naturgesetzen steht: so folgt daraus sehr richtig, daß es von der Einrichtung der sinnlichen Natur endlicher Wesen herkomme, daß sie sich des Moralgesetzes in ihnen bewußt sind; und wir dürfen, wenn wir uns vorher nur richtig bestimmt haben, hinzusetzen: daß sie moralische Wesen sind. Da nun Gott der Urheber dieser Einrichtung ist, so ist die Ankündigung des Moralgesetzes in uns durch das Selbstbewußtsein zu betrachten als Seine Ankündigung, und der Endzweck, den uns dasselbe aufstellt, als Sein Endzweck, den er bei unsrer Hervorbringung hatte. So wie wir ihn also für den Schöpfer unserer Natur erkennen, müssen wir ihn auch für unsern moralischen Gesetzgeber anerkennen; weil nur durch eben eine solche Einrichtung uns Bewußtsein des Moralgesetzes in uns, möglich war. Diese Ankündigung Gottes selbst geschieht nun durch das Übernatürliche in uns; und es darf uns nicht irren, daß wir, um das zu erkennen, einen Begriff außer demselben, nämlich den der Natur, zu Hilfe nehmen mußten. Denn teils war es die Vernunft, die uns das, ohne welches jener Begriff uns zu unsrer Absicht gar nicht hätte dienen können, den Begriff des möglichen Endzwecks hergab, und dadurch erst die Erkenntnis Gottes als Schöpfers möglich machte; teils hätte auch diese Erkenntnis uns Gott noch gar nicht als Gesetzgeber darstellen können, ohne das Moralgesetz in uns, dessen Dasein erst die gesuchte Ankündigung Gottes ist.

Die zweite uns gedenkbare Art, wie sich Gott als moralischen Gesetzgeber ankündigen konnte, war außer dem Übernatürlichen in uns, also, in der Sinnenwelt, da wir außer diesen beiden kein drittes Objekt haben. Da wir aber, weder aus dem Begriffe der Welt überhaupt, noch aus irgendeinem Gegenstande oder Vorfalle in derselben insbesondre, mittelst der Naturbegriffe, welche die einzigen auf die Sinnenwelt anwendbaren sind auf etwas Übernatürliches schließen können; dem Begriffe einer Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers aber etwas Übernatürliches zum Grunde liegt: so müßte dies durch ein Faktum in der Sinnenwelt geschehen, dessen Kausalität wir alsbald in ein übernatürliches Wesen setzten, und dessen Zweck, es sei eine Ankündigung Gottes, als moralischen Gesetzgebers, wir sogleich erkennten; wenn dieser Fall überhaupt möglich sein soll.

Diese Untersuchung stellt nun vorläufig zwei Prinzipien der Religion, insofern diese sich auf Anerkennung einer formalen Gesetzgebung Gottes gründet, dar; deren eines das Prinzip des Übernatürlichen in uns, das andere das Prinzip eines Übernatürlichen außer uns ist. Die Möglichkeit des erstern ist schon gezeigt; die Möglichkeit des zweiten, um welches es hier eigentlich zu tun ist, müssen wir weiter dartun. Eine Religion, die sich auf das erste Prinzip gründet, können wir, da sie den Begriff einer Natur überhaupt zu Hilfe nimmt, Naturreligion nennen: und eine solche, der das zweite zum Grunde liegt, nennen wir, da sie durch ein geheimnisvolles übernatürliches Mittel zu uns gelangen soll, das ganz eigentlich zu dieser Absicht bestimmt ist, geoffenbarte Religion. Subjektiv, als Habitus eines vernünftigen Geistes (als Religiosität) betrachtet, können beide Religionen, da sie zwar entgegengesetzte, aber nicht sich widersprechende Prinzipien haben, sich in einem Individuum gar wohl vereinigen, und eine einzige ausmachen.
S.28-31 […]
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung, Philosophische Bibliothek Band 354, Felix Meiner Verlag Hamburg

Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung
Eine Offenbarung hat die Vernunftideen, Freiheit, Gott, Unsterblichkeit darzustellen. Daß der Mensch frei sei, lehrt jeden unmittelbar sein Selbstbewußtsein; und er zweifelt um so weniger daran, je weniger er durch Vernünfteln sein natürliches Gefühl verfälscht hat. Die Möglichkeit aller Religion, und aller Offenbarung, setzt die Freiheit voraus. Die Darstellung dieser Idee für die sinnlich bedingte Vernunft ist also kein Geschäft für eine Offenbarung: und mit Auflösung der dialektischen Scheingründe dagegen hat keine Offenbarung es zu tun, als welche nicht vernünftelt, sondern gebietet, und sich nicht an vernünftelnde, sondern sinnliche Subjekte richtet. Aber dagegen ist die Idee von Gott es desto mehr. Unter die Bedingungen der reinen Sinnlichkeit, Zeit und Raum, Gott sich zu denken, wenn er sich ihn denken will, ist jeder gedrungen, der Mensch ist. Wir mögen noch so sehr überzeugt sein, noch so scharf erweisen können, daß sie auf ihn nicht passen, so überrascht uns doch dieser Fehler, indem wir ihn noch rügen. Wir wollen jetzt uns Gott als uns gegenwärtig denken, und wir können‘s nicht verhindern, ihn an den Ort hinzudenken, wo wir sind: wir wollen jetzt Gott als den Vorherseher unsrer künftigen Schicksale, unsrer freien Entschließungen denken, und wir denken ihn als in der Zeit, in der er jetzt ist, blickend in eine Zeit, in der er noch nicht ist. Solchen Vorstellungen muß die Darstellung einer Religion sich anpassen, denn sie redet mit Menschen, und kann keine andre, als der Menschen Sprache reden. Aber die empirisch bestimmte Sinnlichkeit bedarf noch mehr. Der innere Sinn, das empirische Selbstbewußtsein steht unter der Bedingung, ein Mannigfaltiges nach und nach, und allmählich aufzunehmen, und zueinander hinzuzusetzen; nichts aufnehmen zu können, was sich nicht von dem vorherigen unterscheidet, also nur Veränderungen bemerken zu können. Seine Welt ist eine unaufhörliche Kette von Modifikationen. Unter diese Bedingung will er sich auch das Selbstbewußtsein Gottes denken. Er bedarf jetzt eines Zeugen der Reinigkeit seiner Gesinnungen bei einer gewissen Entschließung. Gott hat bemerkt, so denkt er sich‘s, was in meiner Seele vorging. Er ist jetzt beschämt über eine unmoralische Handlung: sein Gewissen erinnert ihn an die Heiligkeit des Gesetzgebers. Er hat sie, er hat das ganze Verderben, das sich darin zeigt, entdeckt, denkt er. Aber er bemerkt auch die Reue, die ich jetzt darüber empfinde, fährt er fort. Er entschließt sich jetzt recht stark, hinfür aufmerksam an seiner Heiligung zu arbeiten. Er fühlt, daß ihm die Kräfte dazu fehlen. Er ringt mit sich, und zu schwach im Kampfe, sieht er sich nach fremder Hilfe um, und betet zu Gott. — Gott wird auf mein flehentliches, anhaltendes Bitten sich entschIießen mir beizustehen, denkt er; und denkt sich in allen diesen Fällen Gott als durch ihn modifizierbar. Er denkt sich in Gott Affekte und Leidenschaften, damit er Teil nehmen könne an den seinigen; Mitleid, Bedauern, Erbarmen, Liebe, Vergnügen u. dgl. Die höchste oder tiefste Stufe der Sinnlichkeit, die alles unter die empirischen Bedingungen des äußern Sinns setzt, verlangt noch mehr. Sie will einen körperlichen Gott, der ihre Handlungen im eigentlichen Verstande sieht, ihre Worte hört, mit dem sie reden könne, wie ein Freund mit seinem Freunde. Ob eine Offenbarung sich zu diesen Bedürfnissen herablassen könne, ist keine Frage: ob sie aber dürfe, und inwieweit sie dürfe, muß eine Kritik der Offenbarung beantworten.

Der Zweck aller dieser Belehrungen ist kein andrer, als Beförderung reiner Moralität, und der der versinnlichenden Darstellung derselben insbesondre Beförderung reiner Moralität in dem sinnlichen Menschen. Insofern nur diese Versinnlichung mit diesem Zwecke übereinkommt, kann die Offenbarung göttlich sein: wenn sie ihm aber widerspricht, ist sie gewiß nicht göttlich.

Die Versinnlichung des Begriffs von Gott kann den moralischen Eigenschaften Gottes, und mithin aller Moralität auf zweierlei Art widersprechen: nämlich teils unmittelbar, wenn Gott mit Leidenschaften dargestellt wird, die geradezu gegen das Moralgesetz sind, wenn ihm z. B. Zorn und Rache aus Eigenwillen, Vorliebe oder Vorhaß, welche sich auf etwas anderes als auf die Moralität der Objekte dieser Leidenschaften gründen, zugeschrieben wird. Ein solcher Gott würde kein Muster unsrer Nachahmung, und kein Wesen sein, für welches wir Achtung haben könnten, sondern ein Gegenstand einer ängstlichen, zur Verzweiflung bringenden Furcht. Jedoch widerspricht dieses schon der Form aller Offenbarung, welche einen allheiligen Gott als Gesetzgeber verlangt. Es würde aber dem moralischen Begriffe von Gott gar nicht widersprechen, wenn ihm z. B. lebhafter Unwille über das unmoralische Verhalten endlicher Wesen zugeschrieben würde; denn das ist bloß sinnliche Darstellung. einer notwendigen Wirkung der Heiligkeit Gottes, die wir, wie sie an sich in Gott ist, gar nicht erkennen können; und wenn in einer Sprache, die zu den feinem Modifikationen der Affekte keine bestimmten Worte hätte, dieser Unwille auch Zorn genannt würde, so widerspricht auch‘ dies, im Geiste der Menschen, die diese Sprache redeten, verstanden, dem Begriffe von Gott nicht. Mittelbar würde jede sinnliche Darstellung von Gott der Moralität widersprechen, wenn sie als objektiv gültig, und nicht als bloße Herablassung zu unserm subjektiven Bedürfnis vorgestellt würde. Denn alles, was vom Objekte an sich gilt, daraus kann ich Schlüsse ziehen, und das Objekt dadurch weiter bestimmen. Leiten wir aber aus irgendeiner sinnlichen Bedingung Gottes, als objektiv gültig, Schlüsse ab, so verwickeln wir uns mit jedem Schritte tiefer in Widersprüche gegen seine moralischen Eigenschaften. Sieht z. B. und hört Gott wirklich, so muß er auch durch diese Sinne des Vergnügens teilhaftig sein; so ist es sehr möglich, daß wir ihm ein sinnliches Vergnügen machen können, daß der Geruch der Brandopfer und Speisopfer ihm wirklich gefallen kann,* und wir haben folglich Mittel, ihm durch etwas anderes, als durch Moralität gefällig zu werden.
* Daß die Juden älterer Zeiten wirklich so schlossen, bezeugen die Vorstellungen der Propheten gegen diesen Irrtum; daß sie in neuem Zeiten nicht klüger sind, beweisen die lächerlich kindischen Vorstellungen von Gott, die ihr Talmud enthält; ob durch Schuld ihrer Religion, oder ihre eigne, bleibt hier ununtersucht. Woher aber kommt bei manchen Christen mittlerer, und neuerer Zeiten sogar, der Wahn, daß ge-wisse An¬rufungen, z. B. Kyrie Eleison, Vater unsers Herrn Jesu Christi, und dgl. ihm besser gefallen, als andere?

Können wir Gott wirklich durch unsre Empfindungen bestimmen, ihn zum Mitleiden, zum Erbarmen, zur Freude bewegen, so ist er nicht der Unveränderliche, der Alleingenugsame, der Alleinselige, so ist er noch durch etwas anderes, als durch das Moralgesetz bestimmbar; so können wir auch wohl hoffen, ihn durch Winseln und Zerknirschung zu bewegen, daß er anders mit uns verfahre, als der Grad unsrer Moralität es verdient hätte. Alle diese sinnlichen Darstellungen göttlicher Eigenschaften müssen also nicht als objektiv gültig angekündigt werden; es muß nicht zweideutig gelassen werden, ob Gott an sich so beschaffen sei, oder ob er uns nur zum Behuf unsers sinnlichen Bedürfnisses erlauben wolle, ihn so zu denken. Außer dieser Bedingung aber können wir keiner Offenbarung a priori Gesetze vorschreiben, wie weit sie mit der Versinnlichung des Begriffs von Gott gehen dürfe: sondern dies hängt gänzlich von dem empirisch gegebnen Bedürfnisse des Zeitalters ab, für welches sie zunächst bestimmt ist. Wenn z. B. irgendeine Offenbarung, um von einer Seite allen Bedürfnissen der rohsten Sinnlichkeit Genüge zu tun, und von der andern Seite dem Begriffe von Gott seine völlige Reinheit zu sichern, uns irgendein ganz sinnlich bedingtes Wesen, als einen Abdruck der moralischen Eigenschaften Gottes, insofern sie Beziehung auf Menschen haben, eine verkörperte praktische Vernunft gleichsam als einen Gott der Menschen, darstellte: so wäre dies noch gar kein Grund, so einer Offenbarung überhaupt, oder auch nur dieser Darstellung derselben den göttlichen Ursprung abzusprechen; wenn nur dieses Wesen so vorgestellt wäre, daß es jener Absicht entsprechen könnte, und wenn nur diese Stellvertretung nicht als objektiv gültig behauptet, sondern bloß als Herablassung zur Sinnlichkeit, die derselben bedürfen könnte,* vorgestellt, und, was daraus notwendig folgt, jedem völlig freigestellt würde, sich dieser Vorstellung zu bedienen, oder nicht, je nachdem er es für sich moralisch nützlich fände. Nur eine solche Offenbarung also kann göttlichen Ursprungs sein, die einen anthropomorphisierten Gott nicht als objektiv, sondern bloß für subjektiv gültig gibt.
*Wer mich siehet, siehet den Vater, sagte Jesus nicht eher, bis Philippus von ihm verlangte, ihm den Vater zu zeigen.

Der Begriff der Unsterblichkeit der Seele gründet sich auf eine Abstraktion, die die Sinnlichkeit, besonders der tiefste Grad der Sinnlichkeit, nicht macht. Seiner Persönlichkeit ist jeder un¬mittelbar durch das Selbstbewußtsein sicher; das: Ich bin, bin selbständiges Wesen, läßt er sich durch keine Vernünfteleien rauben. Aber welche von diesen Bestimmungen dieses seines Ich reine, oder empirische, welche für und durch den innern oder äußern Sinn, oder welche durch die reine Vernunft gegeben, welche wesentlich, und welche nur zufällig seien und nur von seiner gegenwärtigen Lage abhängen, sondert er nicht ab, und ist nicht fähig es zu tun. Er wird vielleicht nie auf den Begriff einer Seele, als eines reinen Geistes kommen; und gibt man ihm auch denselben, so wird man ihm oft nichts als ein Wort geben, das für ihn ohne Bedeutung ist. Er kann also Fortdauer seines Ich sich nicht anders denken, als unter der Gestalt der Fortdauer desselben mit allen seinen gegenwärtigen Bestimmungen. Wenn eine Offenbarung sich zu dieser Schwachheit herablassen will — und sie wird es fast müssen, um verständlich zu werden —, so wird sie ihm jene Idee in die Gestalt kleiden, in der er allein fähig ist, sie zu denken, die der Fortdauer alles dessen, was er gegenwärtig zu seinem Ich rechnet, und, da er den einstigen Untergang eines Teils desselben offenbar vorhersieht, der Wiederauferstehung*; und die Hervorbringung der völligen Kongruenz zwischen Moralität und Glückseligkeit in das Bild eines allgemeinen Verhörs und Gerichtstages, und einer Austeilung von Strafen und Be-lohnungen.
*Daß z. B. Jesus sich Unsterblichkeit gedacht habe, wenn er von Auferstehung redete, und daß beide Begriffe damals für völlig gleich gegolten, erhellt, außer seinen Reden beim Johannes über diesen Gegenstand, wo er die ununterbrochne Fortdauer seiner Anhänger in einigen Aussprüchen ganz rein ohne das Bild der Auferstehung, doch ohne sich auf den Unterschied zwischen Seele und Körper und auf die vom körperlichen Tode mögliche Einwendung einzulassen, vorträgt, unter andern ganz offenbar aus jenem Beweise gegen die Sadduzäer. Der angezogne Ausspruch Gottes konnte, alles übrige als richtig zugestanden, nichts weiter als die fortdauernde Existenz Abrahams, Isaaks und Jakobs, zur Zeit Moses, aber keine eigentliche Auferstehung des Fleisches beweisen. Daß auch die Sadduzäer es so verstanden, und nicht bloß die körperliche Auferstehung, sondern Unsterblichkeit überhaupt, leugneten, folgt daraus, weil sie sich mit diesem Beweise Jesu befriedigten.

Die Widersprüche, die aus einer zu groben Vorstellung dieser Lehre folgen, nötigten schon Paulus, sie etwas näher zu bestimmen.

Aber sie darf diese Bilder nicht als objektive Wahrheiten aufstellen. Es ist zwar nicht zu zeigen, daß, wenn man auch diese sinnlichen Darstellungen als objektiv gültig annähme, geradezu Widersprüche gegen die Moral daraus folgen würden, wie sie aus einer objektiven Anthropomorphose Gottes folgten. Die Ursache davon ist folgende. Gott ist ganz übersinnlich: der Begriff von ihm entspringt rein und lediglich aus der reinen Vernunft a priori; man kann ihn also nicht verfälschen, ohne zugleich die Prinzipien dieser zu verfälschen. Der Begriff der Unsterblichkeit aber ist nicht rein von ihr abgeleitet, sondern setzt eine mögliche Erfahrung, daß es nämlich endliche vernünftige Wesen gehe, voraus, deren Wirklichkeit unmittelbar durch die reine Vernunft nicht gegeben ist. Eine sinnliche Vorstellung der Unsterblichkeit könnte also ihre objektive Gültigkeit entweder aus der Endlichkeit der moralischen Wesen, oder aus ihrer moralischen Natur herzuleiten, Anspruch machen. Geschähe das erstere, so würde dies den Prinzipien der Moral nicht widersprechen, weil ein solcher Beweis aus theoretischen Prinzipien müßte geführt werden, welche jenen nicht begegnen. Geschähe das letztere, so müßte der Beweis aus Eigenschaften geführt werden, welche allen moralischen Naturen gemein wären, folglich auch Gott: Gott selbst also würde dadurch an die Gesetze der Sinnlichkeit gebunden, woraus alle möglichen Widersprüche gegen die Moral folgen würden. Es widerspricht der Moral gar nicht, daß ich, Mensch mit einem irdenen Körper, nicht anders fortdauern könne, als mit einem solchen Körper, und zwar mit eben dem Körper, den ich hier habe; daß dieser Körper, etwa um einer in seiner Natur liegenden Ursache willen, erst eine Zeitlang verwesen müsse, und dann erst wieder mit meiner Seele verbunden werden könne usw.; aber es würde ihr widersprechen, zu sagen, daß Gott an diese Bedingung gebunden sei, weil seine Natur dann durch etwas anderes bestimmt würde, als durch das Moralgesetz. Da dieser Punkt bei Behauptung einer objektiven Gültigkeit des Begriffs der Auferstehung sehr wohl unentschieden gelassen werden kann, so folgt auch aus dieser Behauptung an sich nichts gegen die Moral.

Aber eine solche objektive Behauptung läßt sich durch nichts rechtfertigen und beweisen. Nicht durch göttliche Autorität: denn eine Offenbarung gründet sich nur auf die Autorität Gottes, als des Heiligen; aus seiner moralischen Natur aber läßt sich eine solche Bedingung unsrer Unsterblichkeit nicht ableiten, weil sie sonst auch unmittelbar aus der reinen Vernunft a priori sich müßte ableiten lassen. Mit theoretischen Beweisen hat eine Offenbarung es überhaupt nicht zu tun, und sobald sie sich auf diese einläßt, ist sie nicht mehr Religion, sondern Physik, — darf nicht mehr Glauben fordern, sondern muß Überzeugung erzwingen; und diese gilt denn nicht weiter, als die Beweise gehen. Für Auferstehung aber ist kein theoretischer Beweis möglich, weil in diesem Begriffe von etwas Sinnlichem auf ein Übersinnliches geschlossen werden soll. Nur eine solche Offenbarung also kann göttlich sein, welche eine versinnlichte Darstellung unsrer Unsterblichkeit, und des moralischen Gerichts Gottes über endliche Wesen, nicht als objektiv, sondern nur als subjektiv (nicht für Menschen überhaupt, sondern nur für diejenigen sinnlichen Menschen, die einer solchen Darstellung bedürfen) gültig gibt. Tut sie das erstere, so ist ihr zwar darum noch nicht die Möglichkeit eines göttlichen Ursprungs überhaupt abzusprechen, denn eine solche Behauptung widerspricht der Moral nicht, sie ist bloß nicht von ihren Prinzipien abzuleiten; aber sie ist, wenigstens in Rücksicht dieser Behauptung, nicht göttlich.

Ob eine Offenbarung ihren versinnlichenden Vorstellungen reiner Vernunftideen objektive, oder bloß subjektive Gültigkeit beilege, ist, wenn sie es auch nicht ausdrücklich erinnert, welches jedoch zur Vermeidung alles möglichen Mißverständnisses zu wünschen ist, daraus zu ersehen, ob sie auf dieselben Schlüsse baut oder nicht. Tut sie das erstere, so ist offenbar, daß sie ihnen objektive Gültigkeit beilegt.

Da endlich die empirische Sinnlichkeit sich, ihren besondern Modifikationen nach, bei verschiedenen Völkern, und in verschiedenen Zeitaltern verändert, und unter der Zucht einer guten Offenbarung sich immer mehr verringern soll; so ist es Kriterium, zwar nicht der Göttlichkeit einer Offenbarung, aber doch ihrer möglichen Bestimmung für viele Völker und Zeiten, wenn die Körper, in die sie den Geist kleidet, nicht zu fest, und zu haltbar, sondern von einem leichten Umrisse, und dem Geiste verschiedener Völker und Zeiten ohne Mühe anzupassen sind. Eben dies gilt von den Aufmunterungs- und Beförderungsmitteln zur Moralität, die eine Offenbarung empfiehlt. Unter der Leitung einer weisen Offenbarung, die in weisen Händen ist, sollten die erstem und letztem immer mehr von ihrer Beimischung grober Sinnlichkeit ablegen, weil sie immer entbehrlichem werden sollte. S.90-97
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung, Philosophische Bibliothek Band 354, Felix Meiner Verlag Hamburg

Das Eine wahrhaft seiende und durch sich selber daseiende ist Gott
Was da nur wirklich notwendig da ist, ist schlechthin notwendig also da, wie es da ist; es könnte nicht auch nicht da sein, noch könnte es auch anders da sein, als es da ist. In dem wahrhaft Seienden ist daher an kein Entstehen, an keine Veränderlichkeit und an keinen willkürlichen Grund zu gedenken. - Das Eine wahrhaft seiende und schlechthin durch sich selber daseiende ist das, was alle Zungen Gott nennen. Gottes Dasein ist nun nicht etwa der Grund, die Ursache, oder des etwas; des Wissens, so daß beides sich auch von einander trennen ließe, sondern es ist schlechthin das Wissen selber; sein Dasein oder das Wissen ist durchaus Eins und eben dasselbe; im Wissen ist er da, schlechthin wie er in sich selber ist, als absolut auf sich ruhende Kraft; und - er ist da schlechthin, oder - das Wissen ist schlechthin da, ist ganz dasselbe gesagt. Auch dieser hier nur als Resultat vorgetragene Satz lässt sich in der höheren Spekulation ganz anschaulich machen. -

Nun ist ferner eine Welt nur im Wissen da, und das Wissen selber ist die Welt: die Welt ist daher mittelbar, und durch das Wissen eben vermittelt, das göttliche Dasein selbst, so wie das Wissen dasselbe Dasein unmittelbar ist. Wenn daher jemand sagt, dass die Welt auch nicht sein könne, dass sie einmal nicht gewesen, dass sie zu einer anderen Zeit aus nichts geworden, dass sie durch einen willkürlichen Akt der Gottheit, den dieselbe auch hätte unterlassen können, geworden: - so ist das ganz dasselbe, als ob er sagte: Gott könne auch nicht sein, und er sei einmal nicht gewesen, und sei zu einer andern Zeit aus nichts geworden, und habe sich selber durch einen Akt der Willkür, den er auch hätte unterlassen können, entschlossen, da zu sein. Dieses Sein nun, von dem wir soeben geredet, ist das absolut zeitlose Sein: und was in diesem gesetzt ist, ist nur a priori, in der Welt des reinen Gedankens, zu erkennen, und ist unwandelbar und unveränderlich zu aller Zeit.

Das Wissen ist,
wie gesagt, Dasein, Äußerung, vollkommenes Abbild der göttlichen Kraft. Es ist daher für sich selber: - das Wissen wird Selbstbewusstsein; und es ist für sich selbst, in diesem Selbstbewusstsein, eigene, auf sich selbst ruhende Kraft, Freiheit und Wirksamkeit, weil es ja Abbild der göttlichen Kraft ist; alles dieses als Wissen, also in alle Ewigkeit fort sich entwickelnd zu höherer innerer Klarheit des Wissens, an einem bestimmten Gegenstande des Wissens, von welchem es ausgeht. Dieser Gegenstand nun erscheint offenbar als ein bestimmtes Etwas das auch anders sein könnte, weil er ist, und dennoch in seinem Urgrunde nicht begriffen ist, sondern das Wissen in alle Ewigkeit an ihm zu begreifen und seine eigene innere Kraft zu entwickeln hat: und mit dieser fortgehenden Entwickelung tritt erst die Zeit ein. - Dieser Gegenstand tritt ein lediglich dadurch, dass das Wissen eben ist: also innerhalb seines schon vorausgesetzten Seins; er ist daher Gegenstand der bloßen Wahrnehmung, und nur empirisch zu erkennen. Es ist, sage ich, der Eine, in alle Ewigkeit sich gleichbleibende Gegenstand, da das Wissen alle Ewigkeit hindurch an ihm zu begreifen hat; in dieser stehenden objektiven Einheit heißt er Natur, und die regelmäßig auf ihn gerichtete Empirie Physik. An ihm entwickelt sich das Wissen in einer fortfließenden Zeitreihe; die auf die Erfüllung dieser Zeitreihe regelmäßig gerichtete Empirie heißt Geschichte. Ihr Gegenstand ist die zu aller Zeit unbegriffene Entwicklung des Wissens am Unbegriffenen.

Also: das zeitlose Sein und Dasein ist auf keine Weise zufällig; und es lässt sich weder durch den Philosophen, noch durch den Historiker eine Theorie seines Ursprunges geben: das faktische Dasein in der Zeit erscheint als anders seinkönnend, und darum zufällig; aber dieser Schein entspringt aus der Unbegriffenheit: und der Philosoph kann zwar wohl im Allgemeinen sagen, dass das Eine Unbegriffene, sowie das unendliche Begreifen an demselben, so ist, wie es ist, eben, weil es in die Unendlichkeit fortbegriffen werden soll; er kann es aber keinesweges aus diesem unendlichen Begreifen genetisch ableiten und bestimmen, weil er so-dann die Unendlichkeit erfasst haben müsste, was durchaus unmöglich ist. Hier sonach ist seine Grenze, und er wird, falls er in diesem Gebiete etwas zu wissen begehrt, an die Empirie gewiesen. Ebensowenig kann der Historiker jenes Unbegriffene, als den Uranfang der Zeit, in seiner Genesis angeben. Sein Geschäft ist: die faktischen Fortbestimmungen des empirischen Daseins aufzustellen. Das empirische Dasein selber und alle Bedingungen davon setzt er daher voraus. Welches nun diese Bedingungen des empirischen Daseins seien, - was daher für die bloße Möglichkeit einer Geschichte überhaupt vorausgesetzt werde und vor allen Dingen sein müsse, ehe die Geschichte auch nur ihren Anfang finden könne, - ist Sache des Philosophen, welcher dem Historiker erst seinen Grund und Boden sichern muss. - Um darüber ganz populär zu reden: - ist der Mensch einmal geschaffen worden, so war er, wenigstens mit seinem Bewusstsein, nicht dabei, und hat nicht beobachten können, wie er aus dem Nichtsein ins Dasein überging, noch es als Faktum der Nachwelt überliefern. - Nun, sagen sie wohl darauf, der Schöpfer hat es ihm offenbart. Ich antworte: dann hätte der Schöpfer dasjenige, worauf die Existenz des Menschen für sich selber beruht, das Unbegriffene, aufgehoben; den Menschen daher unmittelbar, nachdem er ihn geschaffen hatte, wieder vernichtet; und, da das Dasein der Welt und des Menschen vom göttlichen Dasein selbst unabtrennlich ist, - er hätte sich selbst vernichtet; welches völlig gegen die Vernunft streitet.

Über den Ursprung der Welt und des Menschengeschlechtes also hat weder der Philosoph, noch der Historiker etwas zu sagen: denn es gibt überhaupt keinen Ursprung, sondern nur das Eine zeitlose und notwendige Sein. Über die Bedingungen des faktischen Daseins aber, als eben hinausliegend über alles faktische Dasein und alle Empirie, hat der Philosoph Rechen-schaft zu geben: trifft aber etwa der Historiker in seinen Quellen auf dergleichen Rechenschaftsablegungen, so wisse er, dass dies seinem Inhalte nach nicht Geschichte ist, sondern Philosophem: - etwa in der alten einfachen Form der Erzählung, in welcher Form man es Mythe nennt: - er überlasse hierüber der Vernunft, die in Sachen der Philosophie alleinige Richterin ist, ihr Richteramt, und imponiere uns nicht durch das Achtung gebietende Wort: Faktum. Faktum, - oft höchst fruchtbares und unterrichtendes Faktum - ist hierbei nur das, dass es eine solche Mythe gegeben.
Neunte Vorlesung, S.168ff.
Nach: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters . Dargestellt von Johann Gottlieb Fichte in Vorlesungen gehalten zu Berlin im Jahre 1804/1805. Herausgegeben von Prof. Dr. Messer. Berlin 1924. Wegweiser-Verlag

Sein und Schein – Leben und Tod
Das Leben ist selber die Seligkeit, sagte ich. Anders kann es nicht sein: denn das Leben ist Liebe, und die ganze Form und Kraft des Lebens besteht in der Liebe, und entsteht aus der Liebe. — Ich habe durch das soeben Gesagte einen der tiefsten Sätze der Erkenntnis ausgesprochen; der jedoch, meines Erachtens, jeder, nur wahrhaft zusammengefaßten und angestrengten Aufmerksamkeit, auf der Stelle klar und einleuchtend werden kann. Die Liebe teilet das, an sich tote Sein, gleichsam in ein zweimaliges Sein, dasselbe vor sich selbst hinstellend, und macht es dadurch zu einem Ich oder Selbst, das sich anschaut, und von sich weiß; in welcher Ichheit die Wurzel alles Lebens ruhet. Wiederum vereinigt und verbindet innigst die Liebe das geteilte Ich, das ohne Liebe nur kalt, und ohne alles Interesse, sich anschauen würde. Diese letztere Einheit, in der dadurch nicht aufgehobenen, sondern ewig bleibenden Zweiheit, ist nun eben das Leben; wie jedem, der die aufgegebenen Begriffe nur scharf denken, und aneinanderhalten will, auf der Stelle einleuchten muß. Nun ist die Liebe ferner, Zufriedenheit mit sich selbst, Freude an sich selbst, Genuß ihrer selbst, und also Seligkeit; und so ist klar, daß Leben, Liebe, und Seligkeit, schlechthin Eins sind und dasselbe.

Nicht alles, was als lebendig erscheine, sei lebendig in der Tat und Wahrheit, sagte ich ferner. Es gehet daraus hervor, daß, meines Erachtens, das Leben aus einem doppelten Gesichtspunkte angesehen werden kann, und von mir angesehen wird; nämlich, teils aus dem Gesichtspunkte der Wahrheit, teils aus dem des Scheins. Nun ist vor allem voraus klar, daß das letztere bloß scheinbare Leben nicht einmal zu erscheinen vermöchte, sondern völlig und durchaus in dem Nichts bleiben würde, wenn es nicht doch, auf irgendeine Weise, von dem wahrhaftigen Sein gehalten und getragen würde; und wenn nicht, da nichts wahrhaftig da ist, als das Leben, das wahrhaftige Leben auf irgendeine Weise in das nur erscheinende Leben einträte, und mit demselben sich vermischte. Es kann keinen reinen Tod geben, noch eine reine Unseligkeit; denn indem angenommen wird, daß es dergleichen gebe, wird ihnen das Dasein zugestanden; aber nur das wahrhaftige Sein und Leben vermag da zu sein. Darum ist alles unvollkommene Sein lediglich eine Vermischung des Toten mit dem Lebendigen. Auf welche Weise im all-gemeinen diese Vermischung geschehe, und welches, sogar in den niedrigsten Stufen des Lebens, der unaustilgbare Stellvertreter des wahrhaftigen Lebens sei, werden wir bald tiefer unten angeben. — Sodann ist anzumerken, daß auch dieses, nur scheinbaren, Lebens, jedesmaliger Sitz und Mittelpunkt die Liebe ist. Verstehen Sie mich also: Der Schein kann auf mannigfaltige, und ins Unendliche verschiedene Weisen, sich gestalten; wie wir dieses bald näher ersehen werden. Diese verschiedenen Gestaltungen des erscheinenden Lebens insgesamt nun leben überhaupt, wenn man nach der Ansicht des Scheines redet; oder sie erscheinen als lebend überhaupt, wenn man sich strenge nach der Wahrheit ausdrückt.. Wenn aber nun weiterhin die Frage entsteht: wodurch ist denn das, allen gemeinsame Leben, in den besondern Gestaltungen desselben verschieden; und was ist es denn, das jedem Individuum den ausschließenden Charakter seines besondern Lebens gibt; so antworte ich darauf: es ist die Liebe dieses besondern und individuellen Lebens. — Offenbare mir, was du wahrhaftig liebst, was du mit deinem ganzen Sehnen suchest und anstrebest, wenn du den wahren Genuß deiner selbst zu finden hoffest — und du hast mir dadurch dein Leben gedeutet. Was du liebest, das lebest du. Diese angegebene Liebe eben ist dein Leben, und die Wurzel, der Sitz, und der Mittelpunkt deines Lebens. Alle übrigen Regungen in dir sind Leben, nur, inwiefern sie sich nach diesem einzigen Mittelpunkte hinrichten. Daß vielen Menschen es nicht leicht werden dürfte, auf die vorgelegte Frage zu antworten, indem sie gar nicht wissen, was sie lieben, beweiset nur, daß diese eigentlich nichts lieben, und eben darum auch nicht leben, weil sie nicht lieben.

Soviel im allgemeinen, über die Einerleiheit des Lebens, der Liebe, und der Seligkeit. Jetzt zur scharfen Unterscheidung des wahrhaftigen Lebens von dem bloßen Scheinleben.

Sein, — Sein, sage ich, und Leben, ist abermals Eins und dasselbige. Nur das Leben vermag selbständig, von sich und durch sich selber, da zu sein; und wiederum das Leben, so gewiß es nur Leben ist, führt das Dasein bei sich. Gewöhnlich denkt man sich das Sein, als ein stehendes, starres, und totes; selbst die Philosophen, fast ohne Ausnahme, haben es also gedacht, sogar indem sie dasselbe als Absolutes aussprachen. Dies kommt lediglich daher, weil man keinen lebendigen, sondern nur einen toten Begriff, zum Denken des Seins mit sich brachte. Nicht im Sein, an und für sich, liegt der Tod, sondern im ertötenden Blicke des toten Beschauers. Daß in diesem Irrtume der Grundquell aller übrigen Irrtümer liege, und durch ihn die Welt der Wahrheit, und das Geisterreich, für immer dem Blicke sich verschließe, haben wir wenigstens denen, die es zu fassen fähig sind, an einem andern Orte dargetan; hier ist die bloße historische Anführung jenes Satzes hinreichend.

Zum Gegensatze, — so wie Sein und Leben Eins ist, und dasselbe, ebenso ist Tod und Nichtsein, Eins und dasselbe. Einen reinen Tod aber, und reines Nichtsein gibt es nicht, wie schon oben erinnert worden. Wohl aber gibt es einen Schein, und dieser ist die Mischung des Lebens und des Todes, des Seins und des Nichtseins. Es folgt daraus, daß der Schein, in Rücksicht desjenigen in ihm, was ihn zum Scheine macht, und was in ihm dem wahrhaftigen Sein und Leben entgegengesetzt ist, Tod ist, und Nichtsein.

Sodann und ferner: Das Sein ist durchaus einfach, nicht mannigfaltig; es gibt nicht mehrere Sein, sondern nur Ein Sein. Dieser Satz, ebenso wie der vorige, enthält eine Einsicht, die gewöhnlich verkannt, oder gar nicht gekannt wird; von deren einleuchtender Richtigkeit sich aber jeder, der nur einen Augenblick ernsthaft über die Aufgabe nachdenken will, überzeugen kann. Wir haben hier weder die Zeit, noch den Vorsatz, mit den Anwesenden diejenigen Vor-bereitungen, und gleichsam Einweihungen, vorzunehmen, deren es für die Möglichkeit jenes ernsthaften Nachdenkens bei den meisten Menschen bedarf.

Wir wollen hier nur die Resultate dieser Prämissen gebrauchen und vortragen, welche Resultate wohl schon durch sich selbst sich dem natürlichen Wahrheitssinne empfehlen werden. In Absicht ihrer tiefem Prämissen müssen wir uns begnügen, dieselben nur deutlich, bestimmt, und gegen allen Mißverstand gesichert, auszusprechen. So ist denn nun, in Absicht des zuletzt vorgetragnen Satzes, unsere Meinung diese: Nur das Sein ist, keineswegs aber ist noch etwas anderes, das kein Sein wäre, und über das Sein hinausläge; welche letztere Annahme jedem, der nur unsre Worte versteht, als eine handgreifliche Ungereimtheit einleuchten muß: ohnerachtet gerade diese Ungereimtheit der gewöhnlichen Ansicht des Seins, dunkel und unerkannt, zugrunde liegt. Nach dieser gewöhnlichen Ansicht nämlich, soll zu irgendeinem Etwas, das, durch sich selber, weder ist, noch sein kann, das Dasein, das wiederum das Dasein von Nichts ist, von außen her zugesetzt werden; und aus der Vereinigung dieser beiden Ungereimtheiten soll alles Wahre und Wirkliche entstehen. Dieser gewöhnlichen Meinung wird durch den ausgesprochenen Satz: nur das Sein, — nur dasjenige, was durch und von sich selber ist, ist, — widersprochen. Ferner sagen wir: dieses Sein ist einfach, sich selbst gleich, unwandelbar und unveränderlich: es ist in ihm kein Entstehen, noch Untergehen, kein Wandel, und Spiel der Gestaltungen, sondern immer nur das gleiche ruhige Sein und Bestehen.

Die Richtigkeit dieser Behauptung läßt sich in kurzem dartun: Was durch sich selbst ist, das ist eben, und ist ganz, mit einem Male dastehend, ohne irgendeinen Abbruch, und ebensowe-nig kann ihm etwas zugefügt werden.

Und hierdurch haben wir uns denn den Weg zur Einsicht in den charakteristischen Unterschied des wahrhaftigen Lebens, welches Eins ist mit dem Sein, von dem bloßen Scheinleben, welches, inwiefern es bloßer Schein ist, Eins ist mit dem Nichtsein, gebahnt und eröffnet. Das Sein ist einfach, unveränderlich, und bleibt ewig sich selbst gleich; darum ist auch das wahrhaftige Leben einfach, unveränderlich, ewig sich gleichbleibend. Der Schein ist ein unaufhörlicher Wechsel, ein stetes Schweben zwischen Werden und Vergehen; darum ist auch das bloße Scheinleben ein unaufhörlicher Wechsel, immerfort zwischen Werden und Vergehen schwebend, und durch unaufhörliche Veränderungen hindurchgegerissen. Der Mittelpunkt des Lebens ist allemal Liebe. Das wahrhaftige Leben liebet das Eine, Unveränderliche und Ewige; das bloße Scheinleben versucht zu lieben, — wenn nur geliebt zu werden fähig wäre, und an seiner Liebe nur standhalten wollte, — das Vergängliche in seiner Vergänglichkeit.

Jener geliebte Gegenstand des wahrhaftigen Lebens ist dasjenige, was wir mit der Benennung Gott meinen, oder wenigstens meinen sollten; der Gegenstand der Liebe des nur scheinbaren Lebens, das Veränderliche, ist dasjenige, was uns als Welt erscheint, und was wir also neunen. Das wahrhaftige Leben lebet also in Gott, und liebet Gott; das nur scheinbare Leben lebet in der Welt, und versucht es, die Welt zu lieben. Von welcher besondern Seite nun eben es die Welt erfasse, darauf kommt nichts an; das, was die gemeine Ansicht moralisches Verderben, Sünde, und Laster heißt, mag wohl für die menschliche Gesellschaft schäd-licher sein, und verderblicher, als manches andere, was diese gemeine Ansicht gelten läßt, und wohl sogar löblich findet: vor dem Blicke der Wahrheit aber ist alles Leben, welches seine Liebe auf das Zufällige richtet, und in irgendeinem andern Gegenstande seinen Genuß sucht, außer in dem Ewigen und Unvergänglichen, lediglich darum, und dadurch, daß es seinen Genuß in einem andern Gegenstande sucht, auf die gleiche Weise nichtig, elend, und unselig.

Das wahrhaftige Leben lebet in dem Unveränderlichen; es ist daher weder eines Abbruches, noch eines Zuwachses fähig, ebensowenig, als das Unveränderliche selber, in welchem es lebet, eines solchen Abbruches oder Zuwachses fähig ist. Es ist in jedem Augenblicke ganz; — das höchste Leben, welches überhaupt möglich ist; — und bleibt notwendig in aller Ewigkeit, was es in jedem Augenblicke ist. Das Scheinleben lebet nur in dem Veränderlichen, und bleibet darum in keinen zwei sich folgenden Augeblicken sich selber gleich; jeder künftige Moment verschlinget und‘ verzehrt den vorhergegangenen; und so wird das Scheinleben zu einem ununterbrochenen Sterben, und lebt nur sterbend, und im Sterben.

Das wahrhaftige Leben ist durch sich selber selig,
haben wir gesagt, das Scheinleben ist notwendig elend und unselig. — Die Möglichkeit alles — Genusses, Freude, Seligkeit, oder mit welchem Worte Sie das allgemeine Bewußtsein des Wohlseins fassen wollen, — gründet sich auf Liebe, Streben, Trieb. Vereinigt sein mit dem Geliebten, und innigst mit ihm verschmolzen, ist Seligkeit: getrennt von ihm sein, und ausgestoßen, indes man es doch nie lassen kann, sich sehnend nach ihm hinzuwenden, ist Unseligkeit.

Folgendes ist überhaupt das Verhältnis der Erscheinung, oder des Wirklichen und Endlichen, zum absoluten Sein, oder zum Unendlichen und Ewigen. Das schon oben Erwähnte, welches die Erscheinung tragen, und im Dasein erhalten müsse, wenn sie auch nur als Erscheinung da sein solle, und welches wir bald näher zu charakterisieren versprachen, ist die Sehnsucht nach dem Ewigen. Dieser Trieb, mit dem Unvergänglichen vereinigt zu werden, und zu verschmelzen, ist die innigste Wurzel alles endlichen Daseins, und ist in keinem Zweige dieses Daseins ganz auszutilgen, falls nicht dieser Zweig versinken soll in völliges Nichtsein. Über dieser Sehnsucht nun, worauf alles endliche Dasein ruht, und von ihr aus, kommt es entweder zum wahrhaftigen Leben, oder es kommt nicht dazu. Wo es zum Leben kommt, und dasselbe durchbricht, wird jene geheime Sehnsucht gedeutet und verstanden, als Liebe zu dem Ewigen: der Mensch erfährt, was er eigentlich wolle, liebe und bedürfe. Dieses Bedürfnis ist nun immer, und unter jeder Bedingung, zu befriedigen: unaufhörlich umgibt uns das Ewige, und bietet sich uns dar, und wir haben nichts weiter zu tun, als dasselbe zu ergreifen. Einmal aber ergriffen, kann es nie wieder verloren werden. Der wahrhaftig Lebende hat es ergriffen, und besitzt es nun immerfort, in jedem Momente seines Daseins ganz und ungeteilt, in aller seiner Fülle, und ist darum selig in der Vereinigung mit dem Geliebten; unerschütterlich fest überzeugt, daß er es in alle Ewigkeit also genießen werde, — und dadurch gesichert gegen allen Zweifel, Besorgnis, oder Furcht. Wo es zum wahrhaftigen Leben noch nicht gekommen ist, wird jene Sehnsucht nicht minder gefühlt; aber sie wird nicht verstanden. Glückselig, ruhig, von ihrem Zustande befriedigt, möchten alle gern sein, aber worin sie diese Glückseligkeit finden werden, wissen sie nicht; was eigentlich sie lieben, und anstreben, verstehen sie nicht. In dem, was ihren Sinnen unmittelbar entgegenkommt, und sich ihnen darbietet, — in der Welt, meinen sie, müsse es gefunden werden; indem für diejenige Geistesstimmung, in der sie sich nun einmal befinden, allerdings nichts anderes vorhanden ist, als die Welt. Mutig begeben sie sich auf diese Jagd der Glückseligkeit, innig sich aneignend und hebend sich hingebend dem ersten besten Gegenstande, der ihnen gefällt, und der ihr Streben zu befriedigen verspricht. Aber sobald sie einkehren in sich selbst, und sich fragen: bin ich nun glücklich? — wird es aus dem Innersten ihres Gemüts vernehmlich ihnen entgegentönen: o nein, du bist noch ebenso leer und bedürftig als vorher. Hierüber mit sich im Reinen, meinen sie, daß sie nur in der Wahl des Gegenstandes gefehlt haben, und werfen sich in einen andern. Auch dieser wird sie ebensowenig befriedigen, als der erste: kein Gegenstand wird sie befriedigen, der unter Sonne oder Mond ist. Wollten wir, daß irgendeiner sie befriedigte? Gerade Das ja, daß nichts Endliches und Hinfälliges sie befriedigen kann, das ja gerade ist das einzige Band, wodurch sie noch mit dem Ewigen zusammenhängen, und im Dasein verbleiben; fänden sie einmal ein endliches Objekt, das sie völlig zufriedenstellte, so wären sie eben dadurch, unwiederbringlich ausgestoßen von der Gottheit, und hingeworfen, in den ewigen Tod des Nichtseins.

So sehnen sie, und ängstigen, ihr Leben hin; in jeder Lage, in der sie sich befinden, denkend, wenn es nur anders mit ihnen werden möchte, so würde ihnen besser werden, und nachdem es anders geworden ist, sich doch nicht besser befindend; an jeder Stelle, an der sie stehen, meinend, wenn sie nur dort, auf der Anhöhe, die ihr Auge faßt, angelangt sein würden, würde ihre Beängstigung weichen; — treu jedoch wiederfindend, auch auf der Anhöhe, ihren alten Kummer. Gehen sie etwa, bei reifern Jahren, nachdem der frische Mut, und die fröhliche Hoffnung der Jugend, geschwunden sind, mit sich zu Rate; überblicken sie etwa ihr ganzes bisheriges Leben, und wagen eine entscheidende Lehre daraus zu ziehen; wagen es etwa, sich zu gestehen, daß durchaus kein irdisches Gut zu befriedigen vermöge: was tun sie nun? Sie leisten vielleicht entschlossen Verzicht auf alle Glückseligkeit und allen Frieden; — das denn doch fortdauernde unaustilgbare Sehnen ertötend, und abstumpfend, soviel sie vermögen; und nennen nun diese Dumpfheit die einzige wahre Weisheit, dieses Verzweifeln am Heile das einzige wahre Heil, und die vermeinte Erkenntnis, daß der Mensch gar nicht zur Glückseligkeit, sondern nur zu diesem Treiben im Nichts, um das Nichts, bestimmt sei, den wahren Verstand. Vielleicht auch leisten sie Verzicht auf Befriedigung nur für dieses irdische Leben; lassen sich aber dagegen eine gewisse, durch Tradition auf uns gekommene, Anweisung auf eine Seligkeit jenseits des Grabes gefallen. In welcher bejammernswerten Täuschung befinden sie sich! Ganz gewiß zwar liegt die Seligkeit auch jenseits des Grabes, für denjenigen, für welchen sie schon diesseits desselben begonnen hat, und in keiner andern Weise und Art, als sie diesseits, in jedem Augenblicke, beginnen kann; durch das bloße Sichbegrabenlassen aber kommt man nicht in die Seligkeit; und sie werden, im künftigen Leben, und in der unendlichen Reihe aller künftigen Leben, die Seligkeit ebenso vergebens suchen, als sie dieselbe in dem gegenwärtigen Leben vergebens gesucht haben, wenn sie dieselbe in etwas anderem suchen, als in dem, was sie schon hier so nahe umgibt, daß es denselben in der ganzen Unendlichkeit nie näher gebracht werden kann, in dem Ewigen. — Und so irret denn der arme Abkömmling der Ewigkeit, verstoßen aus seiner väterlichen Wohnung, immer umgeben von seinem himmlischen Erbteile, nach welchem seine schüchterne Hand zu greifen, bloß sich fürchtet, unstet und flüchtig in der Wüste umher, allenthalben bemüht, sich anzubauen; zum Glück durch den baldigen Einsturz jeder seiner Hütten erinnert, daß er nirgends Ruhe finden wird, als in seines Vaters Hause.

So ist das wahrhaftige Leben notwendig die Seligkeit selber; und das Scheinleben notwendig unselig.

Und von nun an überlegen Sie mit mir folgendes: Ich sage: das Element, der Äther, die substantielle Form, so jemand den letztem Ausdruck besser versteht — das Element, der Äther, die substantielle Form, des wahrhaftigen ist der Gedanke. —

Zuvörderst dürfte wohl niemand geneigt sein, im Ernste, und in der eigentlichen Bedeutung des Worts, Leben und Seligkeit einem andern zuzuschreiben, außer demjenigen, das seiner selbst sich bewußt ist. Alles Leben setzt daher Selbstbewußtsein voraus, und das Selbstbewußtsein allein ist es, was das Leben zu ergreifen, und es zu einem Gegenstande des Genusses zu machen, vermag.

Sodann: das wahrhaftige Leben, und die Seligkeit desselben, besteht in der Vereinigung mit dem Unveränderlichen und Ewigen: das Ewige aber kann lediglich und allein durch den Gedanken ergriffen werden, und ist, als solches, auf keine andere Weise uns zugänglich. Das Eine und Unveränderliche wird begriffen, als der Erklärungsgrund, unsrer selbst, und der Welt; als Erklärungsgrund in doppelter Rücksicht: teils nämlich, daß in ihm gegründet sei, daß es überhaupt da sei, und nicht im Nichtsein verblieben; teils, daß in ihm und seinem inneren, nur auf diese Weise begreiflichen, und auf jede andere Weise schlechthin unbegreifli-chen, Wesen, begründet sei, daß es also und auf keine andere Weise da sei, als es daseiend sich vorfindet. Und so besteht das wahrhaftige Leben, und seine Seligkeit, im Gedanken, d. h. in einer gewissen bestimmten Ansicht unserer selber und der Welt, als hervorgegangen aus dem innern, und in sich verborgenen göttlichen Wesen: und auch eine Seligkeitslehre kann nichts anderes sein, denn eine Wissenslehre, indem es überhaupt gar keine andere Lehre gibt, außer der Wissenslehre. Im Geiste, in der, in sich selber, gegründeten Lebendigkeit des Gedankens, ruhet das Leben, denn es ist außer dem Geiste gar nichts wahrhaftig da. Wahrhaftig leben, heißt wahrhaftig denken, und die Wahrheit erkennen.

So ist es: lasse keiner sich irre machen, durch die Schmähungen, welche in diesen letzten, ungöttlichen und geistlosen Zeiten, über das, was sie Spekulation nannten, ergangen sind. Zum offenbar vorliegenden Wahrzeichen dieser Schmähungen, sind sie nur von solchen hergekommen, welche von der Spekulation nichts wußten; keiner aber hat dieselbe geschmäht, der sie kannte. Nur an den höchsten Aufschwung des Denkens kommt die Gottheit, und sie ist mit keinem andern Sinne zu fassen: diesen Aufschwung des Denkens den Menschen verdächtig machen wollen, heißt: sie auf immer, von Gott, und dem Genusse der Seligkeit, scheiden wollen.

Worin sollte denn das Leben, und seine Seligkeit, sonst sein Element haben, wenn es dasselbe nicht im Denken hätte? Etwa in gewissen Empfindungen und Gefühlen; in Rücksicht welcher es uns gar nichts verschlägt, ob es die gröbsten sinnlichen Genüsse seien, oder die feinsten übersinnlichen Entzückungen? Wie könnte ein Gefühl, das, als Gefühl, in seinem Wesen vom Ohngefähr abhängt, seine ewige und unveränderliche Fortdauer verbürgen; und wie könnten wir, bei der Dunkelheit, welche aus ebendemselben Grunde das Gefühl notwendig bei sich führt, diese unveränderliche Fortdauer innerlich anschauen und genießen? Nein: nur die sich selbst durchaus durchsichtige, und ihr ganzes Innere frei besitzende Flamme der klaren Erkenntnis verbürgt, vermittelst dieser Klarheit, ihre unveränderliche Fortdauer.

Oder soll das selige Leben etwa in tugendhaften Taten und Handlungen bestehen? Was diese Profanen Tugend nennen, daß man sein Amt und seinen Beruf regelmäßig verwalte, einem jeden das Seinige lasse, wohl noch überdies dem Dürftigen etwas schenke: — diese Tugend werden fernerhin, so wie bisher, die Gesetze erzwingen, und das natürliche Mitleid dazu bewegen. Aber zu der wahrhaftigen Tugend, zu dem echt göttlichen, das Wahre und Gute in der Welt aus Nichts erschaffenden, Handeln, wird sich nie einer erheben, der nicht im klaren Begriffe, die Gottheit hebend umfaßt; wer sie aber also erfaßt, wird, ohne allen seinen Dank und Wollen, anders handeln gar nicht können, denn also.

Auch stellen wir an unsrer Behauptung keineswegs eine neue Lehre über das Geisterreich auf, sondern dies ist die alte, von aller Zeit her also vorgetragene Lehre. So macht z. B. das Christentum den Glauben zur ausschließenden Bedingung des wahrhaftigen Lebens und der Seligkeit, und verwirft alles ohne Ausnahme, als nichtig und tot, was nicht aus diesem Glauben hervorgehe. Dieser Glaube aber ist ihm ganz dasselbe, was wir den Gedanken genannt haben: die einzig wahre Ansicht unsrer selbst, und der Welt, in dem unveränderlichen göttlichen Wesen. Nur nachdem dieser Glaube, d. h. das klare und lebendige Denken aus der Welt verschwunden, hat man die Bedingung des seligen Lebens in die Tugend gesetzt, und so auf wildem Holze edle Früchte gesucht.

Zu diesem, vorläufig im allgemeinen charakterisierten, Leben ist nun hier insbesondere die Anweisung versprochen: ich habe mich anheischig gemacht, die Mittel und Wege anzugeben, wie man in dieses selige Leben hineinkomme, und es an sich bringe. Diese Anweisung läßt sich nun in eine einzige Bemerkung zusammenfassen: Es ist nämlich dem Menschen keineswegs angemutet, sich das Ewige zu erschaffen, welches er auch niemals vermögen würde; dasselbe ist in ihm, und umgibt ihn unaufhörlich: der Mensch soll nur das Hinfällige und Nichtige, mit welchem das wahrhaftige Leben nimmer sich zu vereinigen vermag, fahren lassen; worauf sogleich das Ewige, mit aller seiner Seligkeit, zu ihm kommen wird. Die Seligkeit erwerben können wir nicht, unser Elend aber abzuwerfen vermögen wir, worauf sogleich durch sich selber die Seligkeit an desselben Stelle treten wird. Seligkeit ist, wie wir gesehen haben, Ruhen und Beharren in dem Einen: Elend ist, Zerstreutsein über dem Mannigrfaltigen und Verschiedenen; sonach ist der Zustand des Seligwerdens die Zurückziehung unserer Liebe aus dem Mannigfaltigen auf das Eine.

Das, über das Mannigfaltige Zerstreute, ist zerflossen, und ausgegossen, und umhergegossen, wie Wasser; ob der Lüsternheit, dieses und jenes und gar mancherlei, zu lieben, liebt es nichts; und weil es allenthalben zu Hause sein möchte, ist es nirgends zu Hause. Diese Zerstreutheit ist unsre eigentliche Natur, und in ihr werden wir geboren. Aus diesem Grunde nun erscheint die Zurückziehung des Gemüts auf das Eine, welches der natürlichen Ansicht nimmer kommt, sondern mit Anstrengung hervorgebracht werden muß, als Sammlung des Gemütes, und Einkehr desselben in sich selber: und als Ernst, im Gegensatze des scherzenden Spiels, welches das Mannigfaltige des Lebens mit uns treibt, und als Tiefsinn, im Gegensatze des leichten Sinns, der, indem er vieles zu fassen hat, nichts festiglich faßt. Dieser tiefsinnende Ernst, diese strenge Sammlung des Gemüts, und Einkehr zu sich selber, ist die einzige Bedingung, unter welcher das selige Leben an uns kommen kann; unter dieser Bedingung kommt es aber auch gewiß und unfehlbar an uns.

Allerdings ist es wahr, daß, durch diese Zurückziehung unsers Gemüts von dem Sichtbaren, die Gegenstände unsrer bisherigen Liebe uns verbleichen, und allmählich schwinden, so lange, bis wir sie in dem Äther der neuen Welt, die uns aufgeht, verschönert wiedererhalten; und daß unser ganzes altes Leben abstirbt, so lange, bis wir es als eine leichte Zugabe des neuen Lebens, das in uns beginnen wird, wieder bekommen. Doch ist dies das, der Endlichkeit nie abzunehmende, Schicksal; nur durch den Tod hindurch dringt sie zum Leben. Das Sterbliche muß sterben, und nichts befreit es von der Gewalt seines Wesens; es stirbt in dem Scheinleben immerfort; wo das wahre Leben beginnt, stirbt es, dem Einen Tode, für immer, und für alle die Tode in die Unendlichkeit hinaus, die im Scheinleben seiner erwarten. Erste Vorlesung, S.5-23
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre, Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg

Alle Menschen können zur Erkenntnis Gottes kommen
Was nun zuvörderst die Möglichkeit anbetrifft, so weiß ich in der Tat nicht, ob es irgendeinem Philosophen, oder ob insbesondere mir, es jemals gelungen ist, oder jemals gelingen wird, solche, welche die Philosophie systematisch studieren, nicht wollen, oder nicht können, auf dem Wege des populären Vortrages, zum Verständnisse ihrer Grundwahrheiten zu erheben. Dagegen aber weiß ich, und erkenne ich, mit absoluter Evidenz, folgende zwei Wahrheiten. Die erste: so jemand nicht zur Einsicht jener Elemente aller Erkenntnis, — deren künstliche und systematische Entwickelung allein, keineswegs aber Ihr Inhalt, ein Eigentum der wissenschaftlichen Philosophie geworden — so jemand, sage ich, nicht zur Einsicht jener Elemente aller Erkenntnis kommt, so kommt derselbe auch nicht zum Denken, und zur wahren innern Selbständigkeit des Geistes, sondern er bleibt anheim gegeben dem Meinen, und ist, alle die Tage seines Lebens hindurch, gar kein eigner Verstand, sondern nur ein Anhang zu fremdem Verstande; es mangelt ihm immerfort ein geistiges Sinnorgan, und zwar das edelste, welches der Geist hat. Daß daher die Behauptung: es sei weder möglich noch ratsam, diejenigen, welche die Philosophie nicht systematisch zu studieren vermöchten, auf einem andern Wege zur Einsicht in das Wesen der geistigen Welt zu erheben, gleichbedeutend sein würde mit der folgenden: es sei unmöglich, daß jemand, der nicht schulmäßig studiere, je zum Denken komme, und zur Selbständigkeit des Geistes; indem die Schule allein, und nichts außer ihr, die Erzeugerin und Gebärerin des Geistes sei, oder, falls es ja möglich wäre, so wäre es nicht ratsam, die Ungelehrten je geistig frei zumachen, sondern diese müßten stets unter der Vormundschaft der vermeinten Philosophen und ein Anhang zu ihrem souveränen Verstande bleiben. — Übrigens wird gleich zu Anfange der, nächstkünftigen Vorlesung, der hier in Anregung gebrachte Unterschied, zwischen eigentlichem Denken, und bloßem Meinen, völlig ins reine und klare kommen.

Zweitens weiß, und erkenne ich, mit derselben Evidenz, folgendes: daß man nur durch das eigentliche, reine und wahre Denken, und schlechthin durch kein anderes Organ, die Gottheit und das aus ihr fließende selige Leben, ergreifen, und an sich bringen könne; daß daher die angeführte Behauptung der Unmöglichkeit, die tiefere Wahrheit populär vorzutragen, auch gleichbedeutend ist, mit der folgenden: nur durch systematisches Studium der Philosophie könne man sich zur Religion und zu ihren Segnungen erheben, und jeder, der nicht Philosoph sei, müsse ewig ausgeschlossen bleiben von Gott, und seinem Reiche. Alles, ehrwürdige Versammlung, kommt bei diesem Beweise darauf an, daß der wahre Gott, und die wahre Religion, nur durch reines Denken ergriffen werde, bei welchem Beweise diese unsere Vorträge gar oft verweilen, und ihn von allen Seiten zu führen suchen werden. — Nicht darin besteht die Religion, worin die gemeine Denkart sie setzt, daß man glaube, — dafür halte, und sich gefallen lasse, weil man nicht den Mut hat, es zu leugnen, auf Hörensagen, und fremde Versicherung hin: es sei ein Gott; denn dies ist eine abergläubische Superstition, durch welche höchstens eine mangelhafte Polizei ergänzt wird, das Innere des Menschen aber so schlecht bleibt, als vorher, oft sogar noch schlechter wird; weil er diesen Gott sich bildet nach seinem Bilde, und ihn verarbeitet, zu einer neuen Stütze seines Verderbens. Darin besteht die Religion, daß man, in seiner eigenen Person, und nicht in einer fremden, mit seinem eigenen geistigen Auge, und nicht durch ein fremdes, Gott unmittelbar anschaue, habe und besitze. Dies aber ist nur durch das reine und selbstständige Denken möglich; denn nur durch dieses wird man eine eigene Person; und dieses allein ist das Auge, dem Gott sichtbar werden kann. Das reine Denken ist selbst das göttliche Dasein; und umgekehrt, das göttliche Dasein in seiner Unmittelbarkeit ist nichts anderes, denn das reine Denken.

Auch ist, die Sache historisch genommen, die Voraussetzung, daß schlechthin alle Menschen, ohne Ausnahme, zur Erkenntnis Gottes kommen können, sowie das Bestreben, alle zu dieser Erkenntnis zu erheben, die Voraussetzung, und das Bestreben, des Christentums; und, da das Christentum das entwickelnde Prinzip, und der eigentliche Charakter der neuen Zeit ist, ist jene Voraussetzung, und jenes Bestreben, der eigentliche Geist der Zeit des neuen Testaments. Nun bedeutet: alle Menschen, ohne Ausnahme, erheben zur Erkenntnis Gottes, — oder, die tiefsten Elemente und Gründe der Erkenntnis, auf einem andern Wege, als dem systematischen, an die Menschen bringen, ganz und genau dasselbe. Es ist darum klar, daß jeder, der nicht zurückkehren will in die alte Zeit des Heidentums; die Möglichkeit sowohl, als die unerläßliche Pflicht, zugeben muß, die tiefsten Gründe der Erkenntnis, auf einem gemeinfaßlichen Wege, an die Menschen zu bringen. Zweite Vorlesung, S.27-29
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre, Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg

Der Mensch ist nicht zum Elend bestimmt
Meine Meinung ist: der Mensch sei nicht zum Elende bestimmt, sondern es könne Friede, Ruhe, und Seligkeit ihm zuteil werden, — schon hienieden, überall und immer, wenn er nur selbst es wolle; doch könne diese Seligkeit durch keine äußere Macht, noch durch eine Wundertat dieser äußern Macht, ihm angefügt werden, sondern er müsse sie selber, mit seinen eigenen Händen, in Empfang nehmen. Der Grund allen Elendes unter den Menschen, sei ihre Zerstreutheit in dem Mannigfaltigen, und Wandelbaren; die einzige und absolute Bedingung des seligen Lebens, sei die Erfassung des Einen und Ewigen, mit inniger Liebe, und Genusse: wiewohl dieses Eine, freilich nur im Bilde erfaßt, keineswegs aber wir selber, in der Wirklichkeit, zu dem Einen werden, noch in dasselbe uns verwandeln können.

Diesen, soeben ausgesprochenen, Satz selbst nun wollte ich fürs erste, an Ihre klare Einsicht bringen, und Sie von der Wahrheit desselben überzeugen. — Wir beabsichtigen hier Belehrung und Erleuchtung, welche allein auch dauernden Wert hat; keineswegs eine flüchtige Rührung, und Erweckung der Phantasie, welche größtenteils spurlos vergeht. Zu Erzeugung dieser beabsichtigten klaren Erkenntnis, gehören nun folgende Stücke: Zuerst, daß man das Sein begreife, als schlechthin von und durch sich selber seiend; als Eins, und als in sich unwandelbar, und unveränderlich.

Diese Erkenntnis des Seins ist nun keineswegs ein ausschließendes Eigentum der Schule, sondern jedweder Christ, der nur in seiner Kindheit eines gründlichen Religionsunterrichts genossen, hat schon damals, bei der Erklärung des göttlichen Wesens, — unsern Begriff vom Sein erhalten. Zweitens, gehörte zu dieser Einsicht die Erkenntnis, daß wir, die verständigen Wesen, in Rücksicht dessen, was wir an uns selbst sind, keineswegs jenes absolute Sein sind, aber denn doch in der innersten Wurzel unsers Daseins mit ihm zusammenhingen, indem wir außerdem gar nicht vermöchten, dazusein. Diese letztere Erkenntnis kann nun, besonders in Rücksicht des Wie dieses unsers Zusammenhanges mit der Gottheit, mehr oder minder klar sein. Wir haben dieselbe in der höchsten Klarheit, in welcher sie unsers Erachtens populär gemacht werden kann, also hingestellt: — Es ist, außer Gott, gar nichts wahrhaftig, und in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, da, denn — das Wissen: und dieses Wissen ist das göttliche Dasein selber, schlechthin und unmittelbar, und inwiefern Wir das Wissen sind, sind wir selber in unserer tiefsten Wurzel das göttliche Dasein. Alles andere, was noch als Dasein uns erscheint, — die Dinge, die Körper, die Seelen, wir selber, inwiefern wir uns ein selbständiges und unabhängiges Sein zuschreiben, — ist gar nicht wahrhaftig, und an sich da; sondern, es ist nur da, im Bewußtsein und Denken, als Bewußtes, und Gedachtes, und durchaus auf keine andere Weise. Dies, sage ich, ist der klarste Ausdruck, in welchem, meines Erachtens, jene Erkenntnis populär an die Menschen gebracht werden kann. Falls nun aber etwa jemand selbst dies nicht begreifen könnte; ja, falls er etwa über das Wie jenes Zusammenhanges gar nichts zu denken, oder zu begreifen vermöchte, so würde ihn dies noch gar nicht vom seligen Leben ausschließen, oder daran ihm Abbruch tun. Dagegen aber gehört, meiner absoluten Überzeugung nach, zum seligen Leben notwendig folgendes:

1. Daß man überhaupt stehende Grundsätze, und Annahmen über Gott, und unser Verhältnis zu ihm habe; die nicht bloß, als ein auswendig Gelerntes, ohne unsere Teilnahme, im Gedächtnisse schweben, sondern die da für uns selber wahr, und in uns selber lebendig und tätig sind. Denn darin eben besteht die Religion: und wer nicht solche Grundsätze auf eine solche Weise hat, der hat eben keine Religion; und eben darum auch kein Sein, noch Dasein, — noch wahrhaftiges Selbst in sich, sondern er fließet nur ab, wie ein Schatten, am Mannigfaltigen, und Vergänglichen.

2. gehöret zum seligen Leben: daß diese lebendige Religion wenigstens so weit gehe, daß man von seinem eignen Nichtssein, und von seinem Sein lediglich — in Gott, und durch Gott, — innigst überzeugt sei, daß man diesen Zusammenhang stets und ununterbrochen, wenigstens fühle, und daß derselbe, falls er auch etwa nicht deutlich gedacht, und ausgesprochen würde, dennoch die verborgene Quelle, und der geheime Bestimmungsgrund aller unserer Gedanken, Gefühle, Regungen, und Bewegungen sei. —

Daß dies zu einem seligen Leben unerläßlich erfordert werde, ist unsere absolute Überzeugung, sage ich; und diese Überzeugung sprechen wir aus für solche, welche die Möglichkeit eines seligen Lebens schon voraussetzen; welche seiner, oder der Bestärkung in ihm, bedürfen, und darum eine Anweisung dazu zu vernehmen begehren. Dessen ohnerachtet können wir nicht nur sehr wohl leiden, daß jemand ohne Religion, und ohne wahres Dasein, ohne innere Ruhe, und Seligkeit sich behelfe, und ohne sie, vortrefflich durchzukommen versichere, wie wahr sein kann: sondern wir sind auch erbötig, einem solchen alle mögliche Ehre und Würdigkeit, welche er ohne die Religion an sich zu bringen vermag, zuzugestehen, zu gönnen, und zu lassen. Wir bekennen bei jeder Gelegenheit freimütig, daß wir weder in der spekulativen Form, noch auch in der populären, irgendeinen zu zwingen, und unsere Erkenntnis ihm aufzunötigen, vermögen; noch würden wir das wollen, wenn wir es auch könnten.

Das bestimmteste Resultat unserer vorigen Vorlesung, an welches wir heute anzuknüpfen gedenken, war dieses: Gott Ist nicht nur, innerlich und in sich verborgen; sondern er ist auch Da, und äußert sich; sein Dasein aber unmittelbar ist notwendig Wissen, welche letztere Notwendigkeit im Wissen selber sich einsehen läßt. In diesem seinem Dasein, ist er nun — wie gleichfalls notwendig ist, und einzusehen ist, als notwendig — also da, wie er schlechthin in sich selber ist; ohne irgend sich zu verwandeln, auf dem Übergange vom Sein, zum Dasein, ohne eine zwischen beiden liegende Kluft, oder Trennung, oder des etwas. Gott ist innerlich in sich selbst Eins, nicht mehrere; er ist in sich selbst Einerlei, ohne Veränderung, noch Wandel; da er nun Da ist, gerade also, wie er in sich selber Ist, so ist er auch da als Eins, ohne Veränderung, noch Wandel; und da das Wissen, oder — Wir, — dieses göttliche Dasein selbst sind, so kann auch in Uns, inwiefern wir dieses Dasein sind, keine Veränderung, oder Wandel, kein Mehreres, und Mannigfaltiges, keine Trennung, Unterscheidung, noch Zerspaltung, stattfinden. — So muß es sein, und es kann nicht anders sein: darum ist es also. Vierte Vorlesung, S.58-61
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre, Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg

Das unerforschliche Geheimnis des undurchdringlichen göttlichen Lichtes
Nach dem, was wir bisher ersehen, besteht die Seligkeit in der Vereinigung mit Gott, als dem Einen, und absoluten. Wir aber sind in unserm unaustilgbaren Wesen nur Wissen, Bild, und Vorstellung; und selbst, in jenem Zusammenfallen mit dem Einen, kann jene unsere Grundform nicht verschwinden. Selbst in diesem unserm Zusammenfallen mit ihm, wird er nicht unser eigenstes Sein selber, sondern er schwebt uns nur vor, als ein fremdes, und außer uns befindliches, an das wir lediglich uns hingeben, und anschmiegen, in inniger Liebe; er schwebt uns vor, an sich als gestaltlos, und gehaltlos, für sich keinen bestimmten Begriff oder Erkenntnis von seinem innern Wesen gehend, sondern nur als dasjenige, durch welches wir uns, und unsre Welt, denken, und verstehen. Auch nach der Einkehrung in ihn, geht die Welt uns nicht verloren; sie erhält nur eine andere Bedeutung; und wird,, aus einem für sich selbständigen Sein, für welches wir vorher sie hielten, lediglich zur Erscheinung und Äußerung des in sich verborgenen göttlichen Wesens, in dem Wissen. — Fassen Sie dieses noch einmal im Ganzen also zusammen. Das göttliche Dasein, - sein Dasein, sage ich, der früher gemachten Unterscheidung zufolge, seine Äußerung und Offenbarung, - ist schlechthin durch sich, und schlechthin notwendig Licht: das inwendige nämlich, und das geistige Licht. Dieses Licht, - sich selbst überlassen bleibend, - zerstreut und zerspaltet sich in mannigfaltige und in unendliche Strahlen, und wird auf diese Weise, in diesen einzelnen Strahlen, sich selber und seinem Urquelle entfremdet. Aber dasselbe Licht vermag auch durch sich selbst aus dieser Zerstreuung sich wieder zusammenzufassen und sich als Eines zu begreifen, und sich zu verstehen als das, was es an sich ist, als - Dasein und Offenbarung Gottes; bleibend zwar auch in diesem Verstehen das, was es in seiner Form ist - Licht; doch über in diesem Zustande, und vermittelst dieses Zustandes selber, sich deutend als nichts Reales für sich, sondern nur als Dasein und Sichdarstellung Gottes. Fünfte Vorlesung, S.72-73
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre, Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg

Das Absolute stellt sich im wirklichen Lichte ein, als das absolut Undurchdringliche, d.h. als das, an welchem alles Licht sich vernichtet: — Das absolut wirkliche Licht aber ist das sich selbst schlechthin undurchdringliche, und nicht in einem weiteren Akt aufzulösende Licht: die absolute aus sich Projektion nämlich per hiatum impenetrabilem (das erste war nur die Form. In der Wirklichkeit der an sich Gebundenheit gibt es die Sache:).. Dieses projiziert es nun eben so wie jenes in der Form des Ersehens, d.h. der Verstandes-Form, absolute; darum eine unendliche Aufgabe: — synthesiert mit der Form der Selbstständigkeit des Ich: daher die Welten über Welten. Nur das Ich wird noch inkommodieren. Die Unerforschliche Wurzel in diesem Objekte ist nun wirklich Gott selber, wie er an sich ist: und diese seine Projektion in der Lichtform ist unmittelbar seine Existenz, oder Existential-Akt (nicht innerhalb des Lichtes, sondern durch das Licht selber). Es wird dadurch klar, daß die Wissenschaftslehre (W.L.) auch in der Form ihres Vortrages von der Analyse des Lichtes, und der Vernichtung seiner Form ausgehen müsse. S.58f. […]

Das Licht ist die göttliche Existenz selbst,— wie wir vom Lichte aufsteigend erkennen; vielmehr aber, wie wir nun einsehen: die göttliche Existenz ist das Licht: und dies zwar also: das Licht ist nicht an sich, die göttliche Existenz selber, insofern wir eine solche Existenz noch späterhin zugeben werden; sondern es ist nur die Form, der absolut notwendige modus existendi der göttlichen Existenz: erwiesen aus dem als.
Eine Theorie des Wissens oder des Lichts wäre daher, da hier die Folge eintritt, möglich, und sie enthält:

1.). was aus dem Lichte als solchem folge

2) was daraus, daß es nicht an sich Licht, sondern die göttliche Existenz folge.

3.). da im wirklichen Sein beides schlechthin unabtrennlich ist, in einer organischen Einheit des Daseins, musste das wirkliche Sein aus dem Begriffe dieser organischen Einheit beider abgeleitet werden.—.

Beides daher zu vereinen, beides auch rein abzusondern.

Da standen wir: ich erkläre jetzt bestimmt, wie ich in der letzten Stunde schon andeutete, daß wir noch immer nicht beim reinen Grundbegriffe des Wissens angekommen sind; noch aufzusteigen haben. Dies zeigte sich in der letzten Stunde also: Das Absolute war selbst Glied einer Relation, mithin gar nicht Absolutes: — sonach wäre das Licht im Lichte selber durchaus nicht das, wofür wir es ausgaben, — Existenz des Göttlichen oder Absoluten, sondern es wäre nur Existenz irgendeines relativen Seins. Nur dürfte es wohl sein, dass für das in sich selber bleibende Licht es nie anders ausfallen könnte: eine wirkliche Erzeugung des Wissens in seiner Wurzel - und eine wahrhaft innere Wahrheit - gibt dieser Widerspruch zwischen dem, was wir sagen, und dem worauf wir uns ergreifen in keinem Falle; und sicher folgt dies: für eine Erzeugung des Wissens in seinem wahren Wesen muss das Licht nicht in sich selber bleiben, sondern es muß ein Mittel finden aus sich selbst herauszugehen.— Wir unseres Ortes wollen zunächst sehen, ob wir dieses Herausgehen faktisch vollziehen können, wodurch desselben Möglichkeit bewiesen sein würde: die Deduktion der absoluten Notwendigkeit uns vorbehaltend.—

Es würde hierdurch, welches ich ausdrücklich anmerke, und Sie es zu merken ersuche, damit wir nicht das vorher schon gewonnene wieder verlieren, und es mit neuem Zeitverluste wieder erwerben müssen — der eigentliche Punkt der Anknüpfung des wirklichen im Wissen gefunden. War ein Wechsel-Punkt zwischen Wesen, u. Form: unser dermaliges Vorhaben geht darauf aus die Form in der Form völlig zu vernichten, was nur am Wesen möglich ist, also den eigentlichen und höchsten Wechselbestimmungs-Punkt zwischen beiden aufzustellen.

Steigen wir — wir selber uns ändernd — also auf, auf eine sehr leichte Weise: das absolute als absolutes (nicht material, sondern formal zu verstehen,) wollen wir ergreifen: und zwar keinesweges in seinem innern Sein, was uns wohl durchaus unmöglich sein dürfte ohne es selbst zu werden, sondern in seiner Existenz. Nun ist es offenbar also nur anzutreffen unmittelbar im Existieren, als kräftiges Leben, denn nur in dem ist es noch selber; in der Existenz, als abgeschlossenem Akte, ist es schon erloschen und lediglich noch in seinem Repräsentanten; es selber - in seiner unmittelbaren Anwesenheit - ist ruhend und tot—. Woran erkennen wir nun die Existenz, in der letzten Bedeutung? Es gibt eine Form, einen Halter und Träger dieses Daseins, ohne welchen dieses Dasein nicht, und er nicht ohne dieses Dasein ist; diese Form ist das Licht in seinem eignen, in sich selber ruhenden und selbstständigen Dasein. Wo dies ist, da ist die unmittelbare Gegenwart Gottes erloschen. Woran erkennt man ferner, dass dieses ist? Antwort: Wo es ist, da lebt und waltet es, es erfolgt etwas aus ihm, das als seine Folge sich erkennen läßt. Allgemeinverständlicher ausgedrückt: wo im Objekte unseres Denkens irgendein Produkt des immanenten Denkgesetzes sich erblicken lässt, da ist das Absolute nicht rein, sondern es ist nur in seinem Repräsentanten, dem Denken, und mit Ingredienzien daraus verwachsen.

Sonach ist das unmittelbare Existieren Gottes, in welchem allein wir ihn erfassen können, keinesweges das Licht in seinem Sein; oder — es ist in dem seienden Lichte: das ist die Existenz — sondern es ist das Licht in seinem absoluten Werden: — Gott existiert nicht im Lichte; dasselbe in seinem Sein - neben sein Existieren, und mit ihm wechselbestimmend setzend - wie wir in der letzten Stunde allerdings es angenommen, und es recht sorgfältig auseinander gesetzt haben — denn in dieser Wechselbestimmung hört das Existieren auf Existieren zu sein, und wird Existenz — sondern Gott existiert als Licht; und zwar als absolutes, sich selbst schlechthin erzeugendes Licht. Nicht in, sondern als Sein Existieren ist Erzeugen des Lichtes.— Absolute, sage ich; nicht in ihm selber, welches ja das Licht voraussetzt. Bisher, vernichtet sich, erzeugt sich; ja oben darüber stehend, und unvermerkt aus sich selbst das Gesetz, welches es ausspricht, hergebend, z.B. die Relation, das Durch, wodurch nur eben, als ein nicht aufgegebnes Gesetz, über dessen Nichtaufgeben wir uns hinterher historisch ergriffen, das absolute seine Absolutheit verlor:— Dass wir sagten, wir könnten nicht anders sehen, kam in der Tat daher, daß wir eben nichts anderes sahen. Darum war die Folge klar.— Dort war Täuschung mit der Genesis.

Gehen wir jetzt, ganz kunstmäßig, nach den mir bekannten Regeln der Kunst des transzendentalen Denkens: Haben wir dieses nur jetzt eingesehen, dass das Absolute durchaus nur in sei-nem unmittelbaren Existieren - als erzeugend Absolute - das Licht, vor allem Sein desselben gefasst werden müsse? Haben wir es nicht in dieser Einsicht, und falls wir es eingesehen haben, wirklich also gefasst? Denken Sie: Das Absolute in seinem Existieren, absolut erst Quell des Lichts, als Einen in sich geschlossnen Gedanken: ist denn in diesem Gedanken das Licht vorausgesetzt, oder ist nicht vielmehr diese Voraussetzung durchaus vernichtet und aufgehoben? So im reinen Gedanken. Jetzt aber besinnen wir uns doch auf uns selber: sind es denn nicht wir, die diesen Gedanken gedacht haben; haben wir nicht das Absolute objektiviert, und projiziert, was ja - als sehen - Produkt des stehenden Lichts ist; ihn intelligiert, ausdrücklich, als Absolutes, und ihn darum also bestimmt: Kurz trägt er nicht in seiner ganzen Gestalt ganz deutlich die Merkmale seiner Erzeugung aus dem anwesenden, und waltenden Lichte, nach seiner ganzen Gesetzgebung.— Es ist daher durchaus und ganz die schon oben zu Stande gebrachte täuschende Genesis des Lichts in sich selber: Nur wiederholt, und zweimal gesetzt. Das mit ihm gefasste Absolute ist nicht absolut, sondern selbst ein Relationsglied, projiziert aus dem Lichte, als der stehenden Relation. Wir sind nicht weitergekommen, und nicht zu dem absoluten.— S.60ff. […]

Ich frage zunächst, welches ist denn nun der Unterschied zwischen dem blinden Nichtreflektieren, was ein Absolutes gibt, das kein absolutes ist, und dem Setzen und stehen lassen der absoluten Reflektierbarkeit, doch aber dem Scheine, den sie sich gibt, als Schöpferin des absoluten, nicht glauben. Ist, zufolge der Einsicht im Glauben, auf welcher wir als unserm Standpunkte stehen bleiben, und hieraus erklären, das absolute, als absolutes in seinem unmittelbaren Existieren Erzeugen des Lichts, so ist es auch Erzeugen alles dessen, was in ihm vorkommt; und so auch Erzeuger der täuschenden, und kein eigentliches absolutes gebenden Ansicht des Absoluten. Nun ist dies auf diesem Standpunkte die höchste Einsicht: Ihr Grund aber, der nicht gesehen, und als solcher nicht eingesehen wird, liegt jenseits ihrer: und wir hätten hier ein absolut nur wirkendes, und schlechthin wirkendes Prinzip der Einsicht jenseits der Einsicht, einen verborgnen, und hier im Lichte durchaus nicht aufgehenden Grund des Lichtes, und dessen, was in ihm ist. Realität:sei dies vorläufig ihr stehender Charakter.

Nun geht der Anerkenntnis der absoluten Reflektierbarkeit die Einsicht auf, dass nicht das Absolute, als Absolutes, sondern daß das Licht selber Erzeuger dieser Einsicht, also das darin verborgne Reale sei: welche Einsicht auf dieser Stelle (merken Sie wohl,) durch den Glauben keinesweges aufgehoben, und vernichtet, sondern zugestanden wird, und in diesem Geständnis allein Bedingung des Glaubens ist. Dagegen geht dem Glauben das Absolute als solches (das rechte wahre Absolute) auf, als Erzeuger, nicht jenes, sondern dieses andren Lichtes, in welchem es selbst schwimmt. Dort war daher etwas nicht aufgegangen, in der absoluten Lichtform, dem als; es war konkretisiert, und dunkel, und dadurch wurde es Realität / eben das verdunkelte Absolute:— welches nun die Realität selbst sein würde, und Dunkelheit ihre absolute Bedingung. In der von uns erzeugten Einsicht aber - Sie versetzen sich wieder hinein rein in den Gedanken - geht alles durchaus, und schlechthin auf in der absoluten Lichtform des als. In ihr erst und durch sie ist das Absolute Erzeuger, nicht dieser Einsicht, sondern des in ihr eingesehenen Lichts; und wenn sie in dieser Rücksicht das Prinzipseiende Absolute die Realität nennen wollen, die Realität ist im Lichte, und ist in ihm Prinzip des in ihm seienden Lichtes. Sie ist aber keinesweges Prinzip des absoluten Lichts, welches ohne alle Anwendung des Grundes, und der Folge, des Prinzips und Prinzipiats durchaus mit dem Absoluten, und dieses mit ihm aufgeht. Die Realität erscheint als bloßes Produkt der Dunkelheit, verschwindend in vollkommner Klarheit, d.i. dem Aufgehen des Lichts mit dem Absoluten als absoluten, welche vollkommne Klarheit allerdings möglich ist, denn wir haben sie in der vorigen Stunde, und in diesem Augenblicke wieder wirklich gemacht.

Vorläufig; gesetzt nun, wir müssten dennoch, nicht weil wir wollen, welche Willkür in den Prinzipien der Philosophie nicht statt findet, und nicht etwa durch den abgeleiteten Glauben herbeigeführt sein soll, ein Reales haben, gesetzt es bliebe ferner bei der von uns aufgestellten Beschreibung der Realität, daß sie durchaus sei eine Dunkelheit im Lichte, ein nicht Aufgehen in der absoluten Lichtform. (Irrationalität) so würde die Ableitung der Realität einerlei sein mit dem Beweise der Notwendigkeit, dass das Licht durchaus nicht in sich selber aufgehe, oder daß ihm ein Unbegreifliches, nicht intelligibles, übrig bleibe. Wo dürfte in unserem Systeme die Stelle einer solchen Beweisführung liegen: Erinnern sie sich an den Schein, der aus der Anerkenntnis der absoluten Reflektierbarkeit hervorging pp und der nur durch den Glauben, der dem Schein zuwider jener Einsicht frei sich hingibt, niedergeschlagen wurde und erklären sie diesen Glauben.

Dies wird, auf eine sehr einleuchtende, und stringente Weise (deren Erfassung nur eine selbst bisher noch nicht geforderte Schärfe des Denkens erfordert):— Ich beschuldige nämlich mich selbst, und Sie insgesamt, dass wir selbst die von uns zu Stande gebrachte Einsicht des Absoluten nicht scharf genug angesehen haben: Sichtbar ist in ihr nicht nur enthalten das Absolute als Absolutes, sondern zugleich als Grund. Das Licht in seiner absoluten Form, über und an dem Absoluten als absoluten; bringt daher schlechthin aus sich, u. durch sich den Grund mit (den wir oben, nicht scharf attentierend vernichten wollten:) W.D.E.W.

Was haben wir eingesehen: Das göttliche Existieren ist das Licht selbst schlechthin unmittelbar; ferner das Licht ist Grund sein: das göttliche Existieren ist daher schlechthin unmittelbar sein Grundsein; außer allem Lichte, denn sein Grundsein ist eben das Licht. Dem Lichte unzugänglich, denn hierin allein ist es absolut, und unerforschlich: lediglich anzuerkennen, wie wir es dermalen anerkannt haben. (Grund, nicht denkend, sondern er ists. Wir selbst die W.L., sollen nicht mehr wie bisher von der Vernichtung des Scheines, und dem Glauben nur reden, sondern wir sollen damit selbst Ernst machen; ein durch setzen, ohne durch.) Innerhalb dieses absoluten Lichtes erst erscheint, nach der oben vollzognen Einsicht, erst das absolute, als solches, und als Grund. Diese Einsicht ist daher nichts anderes, als das absolute Intelligieren des Wesens des Lichtes, wie es in sich selbst ist: nur der zweite Teil dazu, und das aus der zweiten Hand: freilich das absolute, und unerzeugte Intelligieren.

Jenes erste; sein absolutes Durch sein, d.i. Prinzip sein, ist sein unmittelbares Existieren, welches, als ein absolutes und in sich geschlossnes durch zugleich Existenz ist. In diesem ist er wahrhaftig als Licht (nicht in ihm selber, sondern für uns, die wir nachher dazu kommen, und es uns erklären: woher dies wieder möglich sei und wer diese Wir sind, davon habe ich tiefer unten Rechenschaft zu geben). Die Einsicht ist nur sein Existieren, als existieren, in der in sich selber aufgehenden Form des Intelligierens: und alles Existieren, wovon wir bisher gesprochen haben, war nur dies: darüber uns nun verstehend können wir sagen: er existiert nur im Lichte, in seinem eignen kräftigen Durch: als Licht, und als Lichtquell. Dasselbe, was wir im Gegensatze des Scheins, der uns nun freilich verschwunden ist, Glaube nannten, ist sein unmittelbares durch, Leben, und existieren. Dieses nun intelligiert sich notwendig, weil es Licht ist: in diesem Intelligieren kehrt nun das absolute in sich selber, in der Form des Als zurück: und schaut in dieser Form sich selber in seiner Unmittelbarkeit an, welche Anschauung ja wieder nur der Gegensatz ist zum Intelligieren, und außer diesem Gegensatze nicht Anschauung ist, sondern das reine Existieren, und Existenz nude et simpliciter. S.67ff.
Nach: Johann Gottlieb Fichte, Wissenschaftslehre 1805, Philosophische Bibliothek Band 353, Felix Meiner Verlag Hamburg

Im Anfang war die Weisheit . . .
Im Anfange war das Wort, der Logos, im Urtexte; was auch hätte übersetzt werden können, die Vernunft, oder, wie im Buche der Weisheit beinahe derselbe Begriff bezeichnet wird, die Weisheit: was aber unseres Erachtens durch den Ausdruck: Wort, der auch in der allerältesten lateinischen Uebersetzung, ohne Zweifel auf Veranlassung einer Tradition der Johanneischen Schüler, also vorkommt, am treffendsten übersetzt ist. Was ist nun, der Absicht des Schriftstellers nach, dieser Logos oder dieses Wort? Vernünfteln wir doch ja nicht über den Aus-druck; sondern sehen wir lieber unbefangen hin, was Johannes von diesem Worte aussagt: - die dem Subjekte beigelegten Prädikate, besonders wenn sie diesem Subjekte ausschließend beigelegt werden, pflegen ja das Subjekt selbst zu bestimmen. Es war im Anfange, sagt er; es war bei Gott; Gott selbst war es; es war im Anfange bei Gott. Kann deutlicher ausgesprochen werden dasselbe, was wir früher so ausgesprochen haben: Nachdem, außer Gottes innerem und in sich verborgenem Sein, das wir zu denken vermögen, er auch noch überdies da ist, was wir bloß faktisch erfassen können, so ist er notwendig durch sein inneres und absolutes Wesen da: und sein, nur durch uns von seinem Sein unterschiedenes Dasein, ist an sich und in ihm davon nicht unterschieden; sondern dieses Dasein ist ursprünglich, vor aller Zeit und ohne alle Zeit, bei dem Sein, unabtrennlich von dem Sein, und selber das Sein: - das Wort im Anfange, - das Wort bei Gott, - das Wort im Anfange bei Gott, - Gott selbst das Wort, und das Wort selbst Gott. Konnte schneidender und herausspringender der Grund dieser Behauptung angegeben werden: in Gott, und aus Gott, wird nichts, entsteht nichts; in ihm ist ewig nur das Ist, und was da sein soll, muß ursprünglich bei ihm sein, und muß er selbst sein, Weg mit jenem verwirrenden Phantasma, - hätte der Evangelist hinzusetzen können, wenn er viele Worte hätte machen wollen, - weg mit jenem Phantasma eines Werdens aus Gott, dessen, was in ihm nicht ist, und nicht ewig und notwendig war; einer Emanation, bei welcher er nicht dabei ist, sondern sein Werk verlässt; einer Ausstoßung und Trennung von ihm, die uns in das öde Nichts wirft, und ihn zu einem willkürlichen und feindseligen Oberherrn von uns macht.

Dieses - bei Gott Sein nun, nach unserem Ausdrucke dieses Dasein, wird ferner charakterisiert als Logos oder Wort. Wie könnte deutlicher ausgesprochen werden, dass es die sich selbst klare und verständliche Offenbarung und Manifestation, sein geistiger Ausdruck sei, - dass, wie wir dasselbe aussprachen, das unmittelbare Dasein Gottes notwendig Bewusstsein, teils seiner selbst, teils Gottes sei; wofür wir den strengen Beweis geführt haben.

Ist nun erst dies klar, so ist nicht die mindeste Dunkelheit mehr in der Behauptung: v. 3. »dass alle Dinge durch dasselbige Wort gemacht sind, und ohne dasselbige nichts gemacht ist, was gemacht ist u.s.w.« - und es ist dieser Satz ganz gleichgeltend mit dem von uns aufgestellten, dass die Welt und alle Dinge lediglich im Begriffe, in Johannes Worte, und als begriffene, und bewusste, - als Gottes Sich-Aussprechen seiner selbst, - da sind; und dass der Begriff, oder das Wort, ganz allein der Schöpfer der Welt überhaupt, und, durch die in seinem Wesen liegenden Spaltungen, der Schöpfer der mannigfaltigen und unendlichen Dinge in der Welt sei.

In Summa: ich würde diese drei Verse in meiner Sprache also ausdrücken. Ebenso ursprünglich als Gottes inneres Sein ist sein Dasein, und das letztere ist vom ersten unzertrennlich, und ist selber ganz gleich dem ersten: und dieses göttliche Dasein ist in seiner eigenen Materie notwendig Wissen: und in diesem Wissen allein ist eine Welt und alle Dinge, welche in der Welt sich vorfinden, wirklich geworden.

Ebenso klar werden nun auch die beiden folgenden Verse. In ihm, diesem unmittelbaren göttlichen Dasein, war das Leben, der tiefste Grund alles lebendigen, substantiellen, ewig aber dem Blicke verborgen bleibenden. Daseins; und dieses Leben ward im wirklichen Menschen Licht, bewusste Reflexion; und dieses Eine ewige Urlicht schien ewig fort in den Finsternissen der niedern und unklaren Grade des geistigen Lebens, trug dieselben unerblickt, und erhielt sie im Dasein, ohne dass die Finsternisse es begriffen.
Sechste Vorlesung, S.91-93
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre, Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg

Die ewige Liebe ist die Quelle der Vernunft und die Wurzel der Realität
Das Leben an sich ist Eines, bleibt, ohne alle Wandelbarkeit, sich selbst gleich, und Ist, da es die vollendete Ausfüllung der in ihm ruhenden Liebe des Lebens ist, vollendete Seligkeit. Dieses wahre Leben ist im Grunde allenthalben, wo irgendeine Gestalt, und ein Grad des Lebens angetroffen wird; nur kann es, durch Beimischung von Elementen des Todes, und des Nichtseins, verdeckt werden, und sodann drängt es, durch Qual und Schmerz und durch Abtötung dieses unvollkommenen Lebens, seiner Entwickelung sich entgegen. Wir haben diese Entwickelung des wahren Lebens aus dem unvollkommnen, und Scheinleben, womit es anfangs verdeckt sein kann, mit unsern Augen begleitet; und gedenken heute dieses Leben einzuführen in seinen Mittelpunkt, und es Besitz nehmen zu lassen von aller seiner Glorie. Wir charakterisierten in der letzten Rede das höchste wirkliche Leben — d. h. — da die Wirklichkeit durchaus in einer Reflexionsform stehen bleibt, die absolut unaustilgbare Form aber der Reflexion die Unendlichkeit ist, — dasjenige Leben, das in der unendlichen Zeit abfließet, und das persönliche Dasein des Menschen zu seinem Werkzeuge gebraucht, und darum als ein Handeln erscheinet — unter der Benennung der höheren Moralität. Wir mußten freilich gestehen, daß, wegen der, durch das Reflexionsgesetz unabänderlich gesetzten Trennung des Einen göttlichen Wesens in mehrere Individuen, jedes besondern Individuums Handeln nicht umhin könne, einen, von ihm allein nicht abhängenden Erfolg, außer sich, in der übrigen Welt der Freiheit, anzustreben; daß jedoch auch durch das Außenbleiben dieses Erfolgs die Seligkeit dieses Individuums nicht gestört werde, falls es nur zum wahren Verständnisse dessen, was es eigentlich unbedingt, und zur Unterscheidung dieses ersten von dem, was es nur unter Bedingung anstrebe, als zu der eigentlichen Religiosität, sich erhebe. Besonders der letzte Punkt war es, über welchen ich auf unsere heutige Rede verwies, und in dieser eine tiefere Erörterung desselben versprach.

Ich vorbereite diese Erörterung durch Erfassung unsers ganzen Gegenstandes aus seinem tiefsten Standpunkte.

Das Sein — ist da; und das Dasein des Seins ist notwendig Bewußtsein, oder Reflexion, nach bestimmten, in der Reflexion selber liegenden, und aus ihr zu entwickelnden, Gesetzen: dieses ist der, von allen Seiten nunmehr sattsam auseinandergesetzte Grund — unsrer ganzen Lehre. Das Sein allein ist es, das da Ist in dem Dasein, und durch dessen Seien in ihm allein das Dasein ist, und das da ewig bleibet in ihm, wie es in sich selber ist, und ohne dessen Sein in ihm das Dasein in nichts schwände; niemand zweifelt daran, und niemand, der es nur versteht, kann daran zweifeln. In dem Dasein aber, als Dasein, oder in der Reflexion, wandelt schlechthin unmittelbar das Sein seine, durchaus unerfaßbare, höchstens als reines Leben und Tat, zu beschreibende Form, in ein Wesen, in eine stehende Bestimmtheit; wie wir uns denn auch über das Sein nie anders ausgesprochen haben, und nie jemand sich anders darüber aussprechen wird, als so, daß wir von seinem inneren Wesen redeten. Ob nun gleich an sich unser Sein ewigfort das Sein des Seins ist, und bleibt, und nie etwas anderes werden kann, so ist doch das, was wir selbst, und für uns selbst sind, haben und besitzen, — in der Form unserer Selbst, des Ich, der Reflexion, im Bewußtsein, niemals das Sein an sich, sondern das Sein, in unsrer Form, als Wesen. Wie hängt denn nun das, in die Form schlechthin nicht rein eintretende Sein dennoch mit der Form zusammen? stößt dieselbe nicht unwiederbringlich aus von sich, und stellt nicht hin ein zweites, durchaus neues Sein, welches neue, und zweite Sein eben durchaus unmöglich ist? Antwort: Setze nur statt alles Wie ein bloßes Daß. Sie hängt schlechthin zusammen: es gibt schlechthin ein solches Band, welches, höher denn alle Reflexion, aus keiner Reflexion quellend, und keiner Reflexion Richterstuhl anerkennend — mit und neben der Reflexion ausbricht. In dieser Begleitung der Reflexion ist dieses Band — Empfindung; und, da es ein Band ist, Liebe, und, da es das Band des reinen Seins ist und der Reflexion, die Liebe Gottes. In dieser Liebe ist das Sein und das Dasein, ist Gott und der Mensch, Eins, völlig verschmolzen und verflossen (sie ist der Durchkreuzungspunkt des obengenannten A und B); des Seins Tragen und Halten seiner Selbst in dem Dasein, ist, seine Liebe zu sich; die wir nur nicht als Empfindung zu denken haben, da wir sie überhaupt nicht zu denken haben. Das Eintreten dieses seines sich selbst Haltens neben der Reflexion, d. h. die Empfindung dieses seines sich selbst Haltens, ist, unsere Liebe zu Ihm; oder, nach der Wahrheit, seine eigne Liebe zu sich selber, in der Form der Empfindung; indem wir ihn nicht zu lieben vermögen, sondern nur er selbst es vermag, sich zu lieben in uns.

Diese, nicht die seinige, noch die unsrige, sondern diese, erst uns beide zu zweien scheidende, so wie zu Einem bindende, Wechselliebe, ist nun zuvörderst die Schöpferin unsers oft erwähnten leeren Begriffs eines reinen Seins, oder eines Gottes. Was ist es denn, das uns hinausführt über alles erkennbare, und bestimmte Dasein, und über die ganze Welt der absoluten Reflexion? Unsere, durch kein Dasein auszufüllende, Liebe ist es. Der Begriff tut dabei nur dasjenige, was er eben allein kann, er deutet, und gestaltet diese Liebe, rein ausleerend ihren Gegenstand, der nur durch ihn zu einem Gegenstande wird, von allem, was diese Liebe nicht befriedigt, nichts ihm lassend, als die reine Negation aller Begreiflichkeit, nebst der ewigen Geliebtheit. Was ist es denn, das uns Gottes gewiß macht, außer die schlechthin auf sich selbst ruhende, und über allen, nur in der Reflexion möglichen, Zweifel, erhabene Liebe? und was macht diese Liebe auf sich selber ruhen, außer das, daß sie unmittelbar das Sichtragen, und Sichzusammenhalten des Absoluten selber ist? — Nicht die Reflexion, welche vermöge ihres Wesens sich in sich selber spaltet, und so mit sich selbst sich entzweit; nein, die Liebe ist die Quelle aller Gewißheit, und aller Wahrheit, und aller Realität.

Der eben dadurch zu einem inhaltleeren Begriffe ausfallende Begriff von Gott, deutet die Liebe überhaupt, sagte ich. Im lebendigen Leben hingegen, — ich bitte dieses zu bemerken, — ist diese Liebe nicht gedeutet, sondern sie ist, und sie hat, und hält, das Geliebte, keineswegs etwa im Begriffe, der ihr nie nachkommt, sondern eben un¬mittelbar in der Liebe, und zwar also, wie es in sich selber ist, weil sie ja nichts anderes ist, als das Sichselbsthalten des absolu-ten Seins. Dieser — Gehalt und Stoff der Liebe nun — ist es, welchen die Reflexion des Lebens zuvörderst zu einem stehenden, und objektiven Wesen macht, sodann, dieses also entstandene Wesen, in die Unendlichkeit fort, wiederum spaltet, und anders gestaltet, und so ihre Welt erschafft. Ich frage: was gibt denn für diese Welt, an der die Form des Wesens, und die Gestalt, offenbar das Produkt der Reflexion sind, den eigentlichen Grundstoff her? Offenbar die absolute Liebe; die absolute: — wie Sie nun sagen wollen Gottes zu seinem Dasein; oder des Daseins zum reinen Gotte. Und was bleibt der Reflexion? — ihn objektiv hinzustellen, und ins Unendliche fortzugestalten. Aber selbst in Absicht des letzteren, was ist es, das die Reflexion nirgends stillstehen läßt, sondern sie unaufhaltsam forttreibt von jedem Reflektierten bei dem sie angekommen ist, zu einem folgenden, und von diesem zu seinem folgenden? Die unaustilgbare Liebe ist es, zu dem, der Reflexion notwendig entfliehenden, hinter aller Reflexion sich verbergenden, und darum notwendig in alle Unendlichkeit hinter aller Reflexion aufzusuchenden, reinen und realen Absoluten; diese ist es, welche sie forttreibt durch die Ewigkeit, und sie ausdehnt zu einer lebendigen Ewigkeit. Die Liebe daher ist höher, denn alle Vernunft, und sie ist selbst die Quelle der Vernunft, und die Wurzel der Realität, und die einzige Schöpferin des Lebens, und der Zeit; und ich habe dadurch den höchsten realen Gesichtspunkt einer Seins- und Lebens- und Seligkeitslehre, d. i. der wahren Spekulation, zu welchem wir bis jetzt hinaufstiegen, endlich klar ausgesprochen.

(Endlich, die Liebe, ist, so wie überhaupt Quelle der Wahrheit und Gewißheit, ebenso, auch die Quelle der vollendeten Wahrheit, in dem wirklichen Menschen und seinem Leben. Vollendete Wahrheit ist Wissenschaft: das Element aber der Wissenschaft ist die Reflexion. So wie nun diese letztere sich selbst klar wird, als Liebe des Absoluten, und dasselbe, wie sie nun notwendig muß, erfasset, als schlechthin über alle Reflexion hinausliegend, und derselben, in jeder möglichen Form, unzugänglich, geht sie erst ein in die reine, objektive Wahrheit; so wie sie eben dadurch allein auch fähig wird, die Reflexion, die sich ihr vorher noch immer mit der Realität vermischte, rein auszuscheiden, und aufzufassen, und, alle Produkte derselben an der Realität, erschöpfend aufzustellen, und so, eine Wissenslehre zu begründen. — Kurz, die, zu göttlicher Liebe gewordne, und darum in Gott sich selbst rein vernichtende, Reflexion, ist der Standpunkt der Wissenschaft; welchen ich, bei dieser schicklichen Gelegenheit, im Vorbeigehen mit angeben wollte.)

Um dies in einer leicht zu behaltenden Form Ihnen zu geben, und an schon Geläufiges anzuknüpfen! — Schon zweimal haben wir die Johanneischen Worte: Im Anfang war das Wort usw., in unsern, im unmittelbaren Gebrauche befindlichen Ausdruck, umgesetzt: Zuerst also: im Anfange, und schlechthin bei dem Sein, war das Dasein: Sodann, nachdem wir die mannigfaltigen innern Bestimmungen des Daseins näher erkannt, und dieses Mannigfaltige unter der Benennung, Form, zusammengefaßt hatten, also: Im Anfange, und schlechthin, bei Gott, oder dem Sein, war die Form . Jetzt nachdem wir das, uns vorher für das wahre Dasein gegoltene, Bewußtsein, mit seiner ganzen mannigfaltigen Form, nur als das Dasein aus der zweiten Hand, und die bloße Erscheinung desselben; das wahre aber, und absolute Dasein, in seiner eigentümlichen Form, als Liebe, erkennen: sprechen wir jene Worte also aus: Im Anfange: höher denn alle Zeit, und absolute Schöpferin der Zeit, ist die Liebe; und die Liebe ist in Gott, denn sie ist sein Sichselbsterhalten im Dasein: und die Liebe ist selbst Gott, in ihr ist er, und bleibet er ewig, wie er in sich selbst ist. Durch sie, aus ihr, als Grundstoff, sind, vermittelst der lebendigen Reflexion, alle Dinge gemacht, und ohne sie ist nichts gemacht, was gemacht ist; und sie wird ewig fort, in uns, und um uns herum, Fleisch, und wohnet unter uns, und es hängt bloß von uns selbst ab, ihre Herrlichkeit, als eine Herrlichkeit des ewigen und notwendigen Ausflusses der Gottheit, immerfort vor Augen zu erblicken.

Das lebendige Leben ist die Liebe,
und hat und besitzt, als Liebe, das Geliebte, umfaßt, und durchdrungen, verschmolzen und verflossen mit ihm: ewig die Eine, und dieselbe Liebe. Nicht die Liebe ist es, welche dasselbe äußerlich vor sich hinstellt, und es zerspaltet, sondern das tut nur die Reflexion. Inwiefern daher der Mensch die Liebe ist, — und dies ist er in der Wurzel seines Lebens immer, und kann nichts anderes sein, obwohl er die Liebe seiner selbst sein kann; und inwiefern insbesondere er die Liebe Gottes ist, bleibt er immer und ewig das Eine, Wahre, Unvergängliche, so wie Gott selbst, und bleibet Gott selbst; und es ist nicht eine kühne Metapher, sondern es ist buchstäbliche Wahrheit, was derselbe Johannes sagt: wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm. Seine Reflexion nur ist es, welche die-ses sein eignes, keineswegs ein fremdes Sein, ihm erst entfremdet, und in der ganzen Unendlichkeit zu ergreifen sucht, dasjenige, was er selbst, immer und ewig, und allgegenwärtig, ist und bleibt. Es ist daher nicht sein inneres Wesen, sein eigenes, ihm selbst, und keinem Fremden angehöriges, das da ewig sich verwandelt; sondern nur die Erscheinung dieses Wesens, welches, im Wesen, der Erscheinung ewig unerschwinglich bleibt, ist es, was sich verwandelt. Das Auge des Menschen verdeckt ihm Gott, und spaltet das reine Licht in farbige Strahlen, haben wir zu seiner Zeit gesagt: jetzt sagen wir: Gott wird durch des Menschen Auge ihm verdeckt, lediglich darum, weil er selbst sich durch dieses sein Auge verdeckt wird, und weil sein Sehen nie an sein eigenes Sein zu reichen vermag. Was er sieht, ist ewig er selber; wie wir auch schon oben sagten: nur sieht er sich nicht so, wie er selber ist, denn sein Sein ist Eins, sein Sehen aber ist unendlich.

Die Liebe tritt notwendig ein in der Reflexion, und erscheinet, unmittelbar als ein Leben, das eine persönlich sinnliche Existenz zu seinem Werkzeuge macht, also als ein Handeln des Individuums; und zwar als ein Handeln in einer durchaus ihr eignen, über alle Sinnlichkeit hinaus liegenden Sphäre, in einer völlig neuen Welt. Wo die göttliche Liebe ist, da ist notwendig diese Erscheinung; denn so erscheint die erstere durch sich, ohne ein dazwischentretendes neues Prinzip; und wiederum, wo diese Erscheinung nicht ist, da ist auch die göttliche Liebe nicht. Es ist durchaus vergeblich, dem, der nicht in der Liebe ist, zu sagen: handle moralisch; denn nur in der Liebe geht die moralische Welt auf, und ohne sie gibt es keine; und ebenso überflüssig ist es, dem, der da liebt, zu sagen, handle: denn seine Liebe lebet schon durch sich selbst, und das Handeln, und das moralische Handeln, ist bloß die stille Erscheinung dieses seines Lebens. Das Handeln ist gar nichts an und für sich selbst, und es hat kein eignes Prinzip; sondern es entfließt still und ruhig der Liebe, so wie das Licht der Sonne zu entfließen scheint, und so wie der innern Liebe Gottes zu sich selbst, die Welt wirklich entfließt. So jemand nicht handelt, so liebt er auch nicht; und wer da glaubt, zu lieben, ohne zu handeln, des-sen Phantasie bloß ist durch ein von außen an ihn gebrachtes Bild der Liebe, in Bewegung gesetzt, welchem Bilde keine innere, in ihm selbst ruhende Realität, entspricht. Wer da sagt, ich liebe Gott; sagt derselbe Johannes, und, — nachdem er die Bruderliebe, in einem gewissen sehr richtigen Sinne, selbst als die höhere Moralität aufgestellt hatte, — und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner; oder wie wir, unsrer Zeit angemessener, jedoch gar nicht milder, sagen würden, der ist ein Phantast, — und hat nicht die Liebe Gottes in ihm bleibend — bleibend, realiter, sie ist nicht die Wurzel seines wahren Lebens, sondern er mag sie sich höchstens nur vorbilden.

Die Liebe ist ewig ganz,
und in sich gedrungen, sagten wir; und sie hat in sich, als Liebe, ewig die Realität ganz; bloß und lediglich die Reflexion ist es, welche teilt und spaltet. Darum ist auch — hierdurch kommen wir zu dem Punkte zurück, bei welchem wir in der vorigen Rede stehen blieben, — darum ist auch die Spaltung des Einen göttlichen Lebens in verschiedene Individuen keineswegs in der Liebe, sondern, sie ist lediglich in der Reflexion. Das sich unmittelbar, als handelnd, erscheinende Individuum sonach, und alle außer ihm erscheinende Individuen, sind lediglich, die Erscheinung der Einen Liebe, keineswegs aber, die Sache selbst. In seinem eigenen Handeln soll die Liebe erscheinen, außerdem wäre sie nicht da: das moralische Handeln anderer aber ist nicht die ihm unmittelbar zugängliche Erscheinung der Liebe; desselben Ermangeln beweiset gar nicht unmittelbar die Abwesenheit der Liebe; darum wird, wie wir schon in der vorigen Rede uns ausdrückten, die Moralität, und Religiosität anderer nicht unbedingt gewollt, sondern mit der Bescheidung in die Freiheit anderer; und die Abwesenheit dieser allgemeinen Moralität stört nicht den Frieden, der, durchaus auf sich selber ruhenden, Liebe.

Die Moralität und Religiosität des ganzen übrigen Geisterreichs hängt mit dem Handeln jedes besondern Individuums zunächst zusammen, wie zu Bewirkendes mit seiner Ursache. Der moralisch Religiöse will Moralität und Religion allgemein verbreiten. Die Absonderung aber zwischen seiner und der andern Religiosität ist lediglich eine Absonderung in der Reflexion. Seine Affektion durch den Erfolg oder Nichterfolg muß daher nach dem Gesetze der Reflexion erfolgen. Aber, wie wir schon oben bei einer andern Gelegenheit ersehen haben, der eigentümliche Affekt der Reflexion ist Billigung, oder Mißbilligung, welche freilich nicht eben kalt sein muß, sondern, die um so leidenschaftlicher wird, je liebender der Mensch überhaupt ist. Einen Affekt aber führt, die Reflexion, auf die Moralität anderer, allerdings bei sich; denn diese Reflexion ist die allerhöchste für den Religiösen, und die eigentliche Wurzel der ganzen, mit Affekt zu umfassenden, Welt außer ihm, welche letztere für ihn rein und lediglich eine Geisterwelt ist.

Das soeben Gesagte liefert uns die Prinzipien, um die Gesinnung des Religiösen gegen andere, oder dasjenige, was man seine Menschenliebe nennen würde, tiefer zu charakterisieren, als es in der vorigen Rede geschehen konnte.

Zuvörderst ist von dieser religiösen Menschenliebe nichts entfernter, als jenes gepriesene Gutsein, und immer gut sein, und alles gut sein lassen. Die letzte Denkart, weit entfernt, die Liebe Gottes zu sein, ist vielmehr die, in einer frühem Rede sattsam geschilderte, absolute Flachheit, und innere Zerflossenheit, eines Geistes, der weder zu lieben vermag, noch zu hassen. — Den religiösen Menschen kümmert nicht — es sei denn sein besonderer Beruf, für eine würdige Subsistenz der Menschen Sorge zu tragen, — die sinnliche Glückseligkeit des Menschengeschlechts; und er will kein Glück für dasselbe, außer in den Wegen der göttlichen Ordnung. Durch die Umgebungen sie selig machen zu wollen, kann er nicht begehren; ebensowenig, als es Gott begehren kann: denn Gottes Wille und Ratschluß, auch über sein verbrüdertes Geschlecht, ist immer der seinige. So wie Gott will, daß keiner Friede und Ruhe finde, außer bei ihm; und daß jeder, bis zur Vernichtung seiner selbst, und der Einkehrung in Gott, immerfort geplagt, und genagt sei; so will es auch der Gott ergebene Mensch. Wiederfindend ihr Sein in Gott, wird er ihr Sein lieben; ihr Sein außer Gott hasset er innig, und dies ist eben seine Liebe zu ihrem eigentlichen Sein, daß er ihr beschränkendes Sein hasset. Ihr wähnet, sagt Jesus, ich sei gekommen, Frieden zu bringen auf Erden, — Frieden: eben jenes Gutseinlassen alles dessen, was da ist; — nein, da ihr nun einmal seid, wie ihr seid, bringe ich euch das Schwert. Auch ist der religiöse Mensch weit entfernt von dem, gleichfalls bekannten, und oft empfohlnen, Bestreben derselben erwähnten Flachheit, sich über die Zeitumgebungen etwas aufzubinden, damit man eben in jener behaglichen Stimmung bleiben könne; sie umzudeuten, und ins Gute, ins Schöne, herüber zu erklären. Er will sie sehen, wie sie sind in der Wahrheit, und er sieht sie so, denn die Liebe schärft auch das Auge; er urteilt streng und scharf, aber richtig, und dringt in die Prinzipien der herrschenden Denkart.

Sehend auf das, was die Menschen sein könnten, ist sein herrschender Affekt eine heilige Indignation über ihr unwürdiges, und ehrloses Dasein: sehend darauf, daß sie im tiefsten Grunde doch alle ihr Göttliches tragen, nur daß es in ihnen nicht bis zur Erscheinung hindurchdringt; betrachtend, daß sie durch alles, was man ihnen verargt, doch sich selbst den allergrößten Schmerz zufügen, und daß dasjenige, was man geneigt ist, ihre Bosheit zu nennen, doch nur der Ausbruch ihres eigenen tiefen Elendes ist, bedenkend, daß sie nur ihre Hand ausstrecken dürften, nach dem immerfort sie umgebenden Guten, um im Augenblicke würdig und selig zu sein: überfällt ihn die innigste Wehmut, und der tiefste Jammer. Seinen eigentlichen Haß, erregt lediglich der Fanatismus der Verkehrtheit, welcher sich nicht damit begnügt, selbst in seiner eigenen Person nichtswürdig zu sein, sondern, soweit er zu reichen vermag, alles ebenso nichtswürdig zu machen strebt, als er selbst ist, und den jeder Anblick eines Bessern außer ihm, innig empört, und zum Hasse aufreizt. Denn — indes das erstbeschriebene nur armes Sünderwerk ist, ist das letzte, Werk des Teufels; denn auch der Teufel hasset das Gute, nicht schlechthin darum, weil es gut ist; wodurch derselbe völlig undenkbar würde: sondern aus Neid, und weil er selbst es nicht an sich zu bringen vermag. So wie, unserer neulichen Schilderung zufolge, der von Gott Begeisterte, will, daß ihm, und allen seinen Brüdern, von allen Seiten und in allen Richtungen, ewig fort nur Gott entgegenstrahle, wie er ist in ihm selber; so will umgekehrt der, von sich selbst Begeisterte, daß ihm, und allen seinen Mitmenschen, von allen Seiten, und in allen Richtungen, ewig fort, nur das Bild seiner eigenen Nichtswürdigkeit entgegenstrahle. Er überschreitet durch dieses Heraustreten aus seiner Individualität, die natürliche, und menschliche, Grenze des Egoismus, und macht sich zum allgemeinen Ideale, und Gotte; welches alles eben also, der Teufel auch tut.

Endlich, ganz entschieden, unveränderlich, und ewig sich gleich bleibend, offenbaret im Religiösen die Liebe zu seinem Geschlechte sich dadurch, daß er, schlechthin nie, und unter keiner Bedingung, es aufgibt, an ihrer Veredlung zu arbeiten, und, was daraus folgt, schlechthin nie, und unter keiner Bedingung, die Hoffnung von ihnen aufgibt. Sein Handeln ist ja die notwendige Erscheinung seiner Liebe; wiederum aber geht sein Handeln notwendig nach außen, und setzt ein Außen für ihn, und setzt seinen Gedanken, daß in diesem Außen etwas wirklich werden solle. Ohne Vertilgung jener Liebe in ihm, kann weder dieses Handeln, noch dieser sein notwendiger Gedanke beim Handeln, jemals wegfallen. So oft er auch abgewiesen werde von außen, ohne den gehofften Erfolg, wird er in sich selbst zurückgetrieben, schöpfend aus der, in ihm ewig fortfließenden Quelle der Liebe, neue Lust und Liebe, und neue Mittel; und wird fortgetrieben von ihr zu einem neuen Versuche, und wenn auch dieser mißlänge, abermals zu einem neuen; jedesmal voraussetzend, was bisher nicht gelungen sei, könne diesmal gelingen, oder auch das nächste Mal, oder doch irgend einmal, und falls auch ihm überhaupt nicht, doch etwa, durch seine Beihilfe, und zufolge seiner Vorarbeiten, einem folgenden Arbeiter. So wird ihm die Liebe eine ewig fortrinnende Quelle von Glauben und Hoffnung; nicht an Gott oder auf Gott: denn Gott hat er allgegenwärtig in sich lebend, und er braucht nicht erst an ihn zu glauben, und Gott gibt sich ihm ewig fort ganz, so wie er ist; und er hat darum nichts von ihm zu hoffen; sondern von Glauben an Menschen, und Hoffnung auf Menschen. Dieser unerschütterliche Glaube nun, und diese nie ermüdende Hoffnung ist es, durch welche er sich über alle die Indignation, oder den Jammer, mit denen die Betrachtung der Wirklichkeit ihn erfüllen mag, hinwegsetzen kann, sobald er will, und den sichersten Frieden, und die unzerstörbarste Ruhe, einladen kann in seine Brust, sobald er ihrer begehrt. Blicke er hinaus über die Gegenwart in die Zukunft! — und er hat ja für diesen Blick die ganze Unendlichkeit vor sich, und kann Jahrtausende über Jahrtausende, die ihm nichts kosten, daran setzen, so viele er will.

Endlich — und wo ist denn das Ende? — endlich muß doch alles einlaufen, in den sichern Hafen der ewigen Ruhe und Seligkeit; endlich einmal muß doch heraustreten das göttliche Reich: und Seine Gewalt, und Seine Kraft, und Seine Herrlichkeit.

Und so hätten wir denn die Grundzüge zu dem Gemälde des seligen Lebens, soweit ein solches Gemälde möglich ist, in Einen Punkt vereinigt. Die Seligkeit selbst besteht in der Liebe, und in der ewigen Befriedigung der Liebe, und ist der Reflexion unzugänglich
: der Begriff kann dieselbe nur negativ ausdrücken, so auch unsere Beschreibung, die in Begriffen einhergeht. Wir können nur zeigen, daß der Selige des Schmerzes, der Mühe, der Entbehrung frei ist; worin seine Seligkeit selbst, positiv, bestehe, läßt sich nicht beschreiben, sondern nur unmittelbar fühlen.

Unselig macht der Zweifel, der uns hierhin reißet, und dorthin, die Ungewißheit, welche eine undurchdringliche Nacht, in der unser Fuß keinen sichern Pfad findet, vor uns her verbreitet. Der Religiöse ist der Möglichkeit des Zweifels, und der Ungewißheit, auf ewig entnommen. In jedem Augenblicke weiß er bestimmt, was er will, und wollen soll; denn ihm strömt die innerste Wurzel seines Lebens, sein Wille, unverkennbar, ewig fort unmittelbar aus der Gottheit: ihr Wink ist untrüglich, und für das, was ihr Wink sei, hat er einen untrüglichen Blick. In jedem Augenblicke weiß er bestimmt, daß er in alle Ewigkeit wissen wird, was er wolle, und solle, daß in alle Ewigkeit die, in ihm aufgebrochne, Quelle der göttlichen Liebe nicht versiegen, sondern unfehlbar ihn festhalten, und ihn ewig fortleiten werde. Sie ist die Wurzel seiner Existenz; sie ist ihm nun einmal klar aufgegangen, und sein Auge ist mit inniger Liebe auf sie geheftet; wie könnte jene vertrocknen, wie könnte dieses wo andershin sich wenden! Ihn befremdet nichts, was irgend um ihn herum vorgeht. Ob er es begreife, oder nicht; daß es in der Welt Gottes ist, und daß in dieser nichts sein kann, das nicht zum Guten abzwecke, weiß er sicher.

In ihm ist keine Furcht über die Zukunft, denn ihn führt das absolut Selige ewig fort derselben entgegen; keine Reue über das Vergangene, denn inwiefern er nicht in Gott war, war er nichts, und dies ist nun vorbei, und erst seit seiner Einkehr in die Gottheit ist er zum Leben geboren; inwiefern er aber in Gott war, ist recht und gut, was er getan hat. Er hat nie etwas sich zu versagen, oder sich nach etwas zu sehnen, denn er besitzt immer und ewig die ganze Fülle alles dessen, das er zu fassen vermag. Für ihn ist Arbeit und Anstrengung verschwunden; seine ganze Erscheinung fließt, lieblich und leicht aus, aus seinem Innern, und löset sich ab von ihm ohne Mühe. Um es mit den Worten eines unsrer großen Dichter zu sagen:

Ewig klar, und spiegelrein, und eben,
Fließt das zephyrleichte Leben
Im Olymp, den Seligen dahin.
Monde wechseln und Geschlechter fliehen —
Ihrer Götterjugend Rosen blühen,
Wandellos im ewigen Ruin.


So viel habe ich Ihnen in diesen Vorlesungen über das wahre Leben, und über die Seligkeit desselben, mitteilen wollen. Es ist sehr wahr, daß man über diesen Gegenstand noch lange fortreden könnte, und daß es besonders sehr interessant sein würde, den moralisch-religiösen Menschen, nachdem man ihn im Mittelpunkte seines Lebens kennen gelernt hat, von da aus zu begleiten in das gewöhnliche Leben, bis auf die gemeinsten Angelegenheiten, und Umgebungen, und da ihn anzuschauen, in seiner ganzen, wahrhaft rührenden, Liebenswürdigkeit und Heiterkeit. Aber, ohne eine gründliche Erkenntnis jener ersten Grundpunkte, zerfließt eine solche Beschreibung dem Zuhörer gar leicht, entweder in eine leere Deklamation, oder in ein, nur ästhetisch gefallendes, aber keinen wahren Grund seines Bestehens in sich tragendes, Luftgebilde: und dies ist der Grund, warum wir der Fortsetzung uns lieber enthalten. Für die Prinzipien haben wir genug, vielleicht sogar zu viel gesagt. Zehnte Vorlesung, S.151-163
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch Religionslehre, Philosophische Bibliothek Band 234, Felix Meiner Verlag Hamburg


Der erhabene Wille und sein ewiges Geisterreich
Und hiermit geht die ewige Welt heller vor mir auf, und das Grundgesetz ihrer Ordnung steht klar vor dem Auge meines Geistes. In ihr ist rein und bloß der Wille, wie er im geheimen Dunkel meines Gemüts vor allen sterblichen Augen verschlossen liegt, erstes Glied einer Kette von Folgen, die durch das ganze unsichtbare Reich der Geister hindurchläuft; so wie in der irdischen Welt die Tat, eine gewisse Bewegung der Materie, erstes Glied einer materiellen Kette wird, die das ganze System der Materie durchfließet. Der Wille ist das Wirkende, und Lebendige der Vernunftwelt, so wie die Bewegung das Wirkende. und Lebendige der Sinnenwelt ist. Ich stehe im Mittelpunkte zweier gerade entgegengesetzter Welten, einer sichtbaren, in der die Tat, einer unsichtbaren und schlechthin unbegreiflichen, in der der Wille entscheidet; ich bin eine der Urkräfte für beide Welten. Mein Wille ist es, der beide umfaßt. Dieser Wille ist schon an und für sich selbst Bestandteil der übersinnlichen Welt; so wie ich ihn durch irgend einen Entschluß bewege, bewege und verändere ich etwas in dieser Welt, und meine Wirksamkeit fließt fort über das Ganze, und bringt Neues, ewig Dauerndes hervor, das da nun ist, und nicht mehr gemacht zu werden bedarf. Dieser Wille bricht aus in eine materielle Tat, und diese Tat gehört der Sinnenwelt an, und wirkt in derselben, was sie wirken kann.

Nicht erst, nachdem ich aus dem Zusammenhange der irdischen Welt gerissen sein werde, werde ich den Eintritt in die überirdische erhalten; ich bin und lebe schon jetzt in ihr, weit wahrer, als in der irdischen; schon jetzt ist sie mein einziger fester Standpunkt, und das ewige Leben, das ich schon längst in Besitz genommen, ist der einige Grund, warum ich das irdische noch fortführen mag. Das, was sie Himmel nennen, liegt nicht jenseits des Grabes; es ist schon hier um unsere Natur verbreitet, und sein Licht geht in jedem reinen Herzen auf. Mein Wille ist mein, und er ist das einige, das ganz mein ist, und vollkommen von mir selbst abhängt, und durch in bin ich schon jetzt ein Mitbürger des Reichs der Freiheit, und der Vernunfttätigkeit durch sich selbst. Welche Bestimmung meines Willens — des einzigen, wodurch ich vom Staube herauf in dieses Reich eingreife, — in die Ordnung desselben passe, sagt mir in jedem Augenblicke mein Gewissen, das Band, an welchem jene Welt unablässig mich hält, und mit sich verknüpft; und es hängt ganz von mir selbst ab, mir die gebotene Bestimmung zu geben. Ich bearbeite dann mich selbst für diese Welt, arbeite sonach in ihr, und für sie, indem ich eines ihrer Glieder bearbeite; verfolge in ihr, und nur in ihr, ohne Wanken und Zweifel nach einer festen Regel meinen Zweck, — des Erfolgs sicher, indem da keine fremdartige Macht meinem Willen entgegen steht. — Daß in der Sinnenwelt mein Wille, sofern er nur wirklich Wille ist, wie er soll, auch noch zur Tat wird, ist lediglich das Gesetz dieser sinnlichen Welt. Ich wollte nicht so die Tat, wie den Willen; nur der letztere war ganz und rein mein Werk, und er war auch alles, was rein aus mir selbst hervorging. Es bedurfte nicht noch eines besondern Akts von meiner Seite, um an ihn die Tat anzuknüpfen: sie knüpfte sich selbst an ihn an, nach dem Gesetze der zweiten Welt, mit welcher ich durch meinen Willen zusammenhänge und in welcher dieser Wille gleichfalls Urkraft ist, wie in der ersten. —

Ich bin freilich, wenn ich den durch das Gewissen mir gebotenen Willen, als Tat, und als wirkende Ursache in der Sinnenwelt ansehe, genötigt, ihn auf jenen irdischen Zweck der Menschheit als Mittel zu beziehen: nicht, als ob ich dann den Weltplan erst übersehen, und nach dieser Einsicht berechnen müßte, was ich zu tun hätte; sondern das unmittelbar durch das Gewissen mir gebotene bestimmte Handeln stellt sich mir ohne weiteres dar, als dasjenige, wodurch allein in meiner Lage ich zur Erreichung jenes Zwecks beitragen könne. Ob es mir nun nach der Tat scheine, als ob durch sie der Zweck nicht befördert, ja, als ob er sogar gehindert worden wäre; reuen kann mich die Tat darum nicht, an mir selbst darüber irre werden kann ich nicht, so wahr ich nur meinem Gewissen gehorchte, indem ich sie vollzog; welche Folgen sie auch für diese Welt haben möge, für die andere Welt kann nichts anderes, denn Gutes aus ihr folgen. Und selbst für diese Welt gebietet mir nun, eben, weil die Tat für ihren Zweck verloren zu sein scheint, mein Gewissen, dieselbe zweckmäßiger zu wiederholen, oder, weil sie denselben gehindert zu haben scheint, das Nachteilige aufzuheben, und das dem Erfolge Widerstrebende zu vernichten. Ich will, wie ich soll; und die neue Tat erfolgt. Es kann geschehen, daß die Folgen dieser neuen Tat in der Sinnenwelt mir nicht ersprießlicher erscheinen, als die der erstern; aber ich bleibe eben so ruhig über sie, in Rücksicht der andern Welt, und für die gegenwärtige ist es mir nun aufgelegt, durch neues Wirken das Vorhergehende zu verbessern. Und so möchte es immer scheinen, daß ich durch mein ganzes irdisches Leben das Gute in dieser Welt nicht um eines Haares Breite weiter bringe, aufgeben darf ich es doch nicht; nach jedem mißlungenen Schritte muß ich glauben, daß doch der nächste gelingen könne; für jene Welt aber ist kein Schritt verloren. -

Kurz, den irdischen Zweck befördere ich nicht lediglich um sein selbst willen, und als letzten Endzweck; sondern darum, weil mein wahrer letzter Zweck, Gehorsam gegen das Gesetz, in der gegenwärtigen Welt sich mir nicht anders darstellt, denn als Beförderung jenes Zwecks. Ihn dürfte ich aufgeben, wenn ich nur jemals dem Gesetze den Gehorsam verweigern dürfte, oder, wenn sich dasselbe mir in diesem Leben jemals anders darstellen könnte, denn als ein Gebot, diesen Zweck in meiner Lage zu befördern; ihn werde ich wirklich aufgegeben haben in einem andern Leben, in welchem das Gebot mir einen andern hienieden völlig unbegreiflichen Zweck setzen wird. In diesem Leben muß ich ihn befördern wollen, weil ich gehorchen muß; ob er durch die Tat, die aus diesem gesetzmäßigen Wollen erfolgt, wirklich befördert werde, ist nicht meine Sorge; ich bin nur für den Willen, der hienieden freilich nur auf den irdischen Zweck gehen kann, nicht aber für den Erfolg verantwortlich. Vor der Tat kann ich diesen Zweck nie aufgeben; die Tat aber kann ich, nachdem sie vollbracht ist, wohl aufgeben, und sie wiederholen, oder verbessern. Ich lebe und wirke sonach schon hier, meinem eigentlichsten Wesen und meinem nächsten Zwecke nach, nur für die andere Welt, und die Wirksamkeit für dieselbe ist die einzige, der ich ganz sicher bin; für die Sinnenwelt wirke ich nur um der andern willen, und darum, weil ich für die andere gar nicht wirken kann, ohne für diese wenigstens wirken zu wollen.

Ich will mich festsetzen, ich will mich einheimisch machen in dieser mir ganz neuen Ansicht meiner Bestimmung. — Das gegenwärtige Leben läßt sich vernünftiger Weise nicht als die ganze Absicht meines Daseins, und des Daseins eines Menschengeschlechts überhaupt denken; es ist in mir Etwas, und es wird von mir Etwas gefordert, das in diesem ganzen Leben keine Anwendung findet, und für das Höchste, was auf der Erde hervorgebracht werden kann, völlig zwecklos, und überflüssig ist. Der Mensch muß sonach einen über dieses Leben hinausliegenden Zweck haben. Soll aber das gegenwärtige Leben, welches ihm dennoch aufgelegt wird, und das nicht lediglich zur Entwickelung der Vernunft bestimmt sein kann, indem ja die schon erwachte Vernunft uns gebietet, dasselbe zu erhalten, und den höchsten Zweck desselben aus allen Kräften zu befördern — soll dieses Leben nicht völlig vergebens und unnütz sein in der Reihe unsers Daseins, so muß es sich zu einem künftigen Leben wenigstens verhalten, wie Mittel zum Zwecke. Nun gibt es in diesem gegenwärtigen Leben nichts, dessen letzte Folgen nicht auf der Erde blieben, nichts, wodurch es mit einem künftigen Leben zusammenhängen könnte, außer dem guten Willen; welcher hinwiederum in dieser Welt, zufolge des Grundgesetzes derselben, an sich nichts feuchter. Der gute Wille nur kann es sein, er muß es sein, durch den wir für ein anderes Leben, und für das erst dort uns aufzustellende nächste Ziel desselben arbeiten; die uns unsichtbaren Folgen dieses guten Willens sind es, durch die wir in jenem Leben erst einen festen Standpunkt, von welchem aus wir dann weiter in ihm fortrücken können, uns erwerben.

Daß unser guter Wille an und für, und durch sich selbst Folgen haben müsse, wissen wir schon in diesem Leben, denn die Vernunft kann nichts Zweckloses gebieten; welches aber diese Folgen seien, ja wie es nur möglich sei, daß ein bloßer Wille etwas wirken könne, darüber können wir auch nicht einmal etwas denken, so lange wir noch in dieser materiellen Welt befangen sind, und es ist Weisheit, eine Erforschung. von der wir schon vorher wissen können, daß sie uns mißlingen werde, gar nicht zu unternehmen. In Rücksicht der Beschaffenheit dieser Folgen ist also das gegenwärtige Leben in Beziehung auf ein künftiges, ein Leben im Glauben. Im künftigen Leben werden wir diese Folgen besitzen, denn wir werden mit unsrer Wirksamkeit von ihr ausgehen, und auf sie fortbauen; dieses andere Leben wird sonach in Beziehung auf die Folgen unsers guten Willens im gegenwärtigen, ein Leben des Schauens sein. Wir werden auch in diesem andern Leben ein nächstes Ziel für dasselbe aufgestellt erhalten, wie wir es im gegenwärtigen hatten; denn wir müssen fort tätig sein. Aber wir bleiben endliche Wesen — und für endliche Wesen ist jede Tätigkeit eine bestimmte; und bestimmte Tat hat ein bestimmtes Ziel. Wie im gegenwärtigen Leben zum Ziele desselben sich verhält die vorhanden gefundene Welt, die zweckmäßige Einrichtung dieser Welt für die uns gebotene Arbeit, die schon erreichte Kultur und Güte unter den Menschen, und unsre eignen sinnlichen Kräfte: so werden im künftigen Leben zum Ziele desselben sich verhalten die Folgen unsers guten Willens im gegenwärtigen. Das gegenwärtige ist der Anfang unsrer Existenz; es wird uns eine Ausstattung für dasselbe und ein fester Boden in ihm frei geschenkt: das künftige ist die Fortsetzung dieser Existenz für dasselbe müssen wir einen Anfang, und einen bestimmten Standpunkt uns selbst erwerben.

Und nun erscheint das gegenwärtige Leben nicht mehr als unnütz und vergeblich; dazu, und nur allein dazu, um diesen festen Grund in einem künftigen Leben zu gewinnen, ist es uns gegeben, und allein vermittelst dieses Grundes hängt es mir unserm ganzen ewigen Dasein zusammen. — Es ist sehr möglich, daß auch dieses zweiten Lebens nächstes Ziel durch endliche Kräfte mit Sicherheit und nach einer Regel eben so unerreichbar sei, als das Ziel des gegenwärtigen Lebens es ist; und daß auch dort der gute Wille als überflüssig, und zwecklos erscheine. Aber verloren kann er dort eben so wenig sein, als er es hier sein kann, denn er ist das notwendig fortdauernde, und von ihr unabtrennliche Gebot der Vernunft. Seine notwendige Wirksamkeit würde sonach in diesem Falle uns auf ein drittes Leben hinweisen, in welchem die Folgen des guten Willens aus dem zweiten sich zeigen würden, und welches folgende Leben in diesem zweiten auch nur geglaubt würde; zwar mit festerer, und unerschütterlicher Zuversicht, nachdem wir die Wahrhaftigkeit der Vernunft schon durch die Tat erfahren und die Früchte eines reinen Herzens in einem schon vollendeten Leben treu aufbewahrt wieder gefunden hätten.

Wie in dem gegenwärtigen Leben allein aus dem Gebote einer bestimmten Handlung unser Begriff eines bestimmten Ziels, und aus diesem die ganze Anschauung der uns gegebenen Sinnenwelt entsteht, eben so wird im künftigen auf ein ähnliches, jetzt für uns völlig undenkbares Gebot der Begriff eines nächsten Ziels für dieses Leben, und auf dieses die Anschauung einer Welt, in der uns die Folgen unsers guten Willens im gegenwärtigen Leben vorausgegeben sind, sich gründen. Die gegenwärtige Welt ist überhaupt nur durch das Pflichtgebot für uns da; die andere wird uns gleichfalls nur durch ein anderes Pflichtgebot entstehen: denn auf eine andere Weise gibt es für kein vernünftiges Wesen eine Welt.

Dies sonach ist meine ganze erhabene Bestimmung, mein wahres Wesen. Ich bin Glied zweier Ordnungen; einer rein geistigen, in der ich durch den bloßen reinen Willen herrsche, und einer sinnlichen, in der ich durch meine Tat wirke. Der ganze Endzweck der Vernunft ist reine Tätigkeit derselben, schlechthin durch sich selbst und ohne eines Werkzeugs außer sich zu bedürfen, — Unabhängigkeit von allem, das nicht selbst Vernunft ist, absolute Unbedingtheit. Der Wille ist das lebendige Prinzip der Vernunft, ist selbst die Vernunft, wenn sie rein und unabhängig aufgefaßt wird; die Vernunft ist durch sich selbst tätig, heißt: der reine Wille, bloß als solcher, wirkt und herrscht. Unmittelbar und lediglich in dieser rein geistigen Ordnung lebt nur die unendliche Vernunft. Der Endliche, der nicht die Vernunftwelt selbst, sondern nur ein Einzelnes unter mehreren Gliedern derselben ist, lebt notwendig zugleich in einer sinnlichen Ordnung, das heißt, in einer solchen, die ihm noch ein anderes Ziel, außer der reinen Vernunfttätigkeit, darstellt; einen materiellen Zweck, — zu befördern durch Werkzeuge, und Kräfte, die zwar unter der unmittelbaren Botmäßigkeit des Willens stehen, deren Wirksamkeit aber auch noch durch ihre eigne Naturgesetze bedingt ist. Doch muß, so gewiß die Vernunft Vernunft ist, der Wille schlechthin durch sich selbst, unabhängig von den Naturgesetzen, durch welche die Tat bestimmt wird, wirken; und darum deutet jedes sinnliche Leben des Endlichen auf ein höheres, in das ihn der Wille bloß durch sich selbst einführe, und ihm in demselben Besitz verschaffe — ein Besitz, der sich uns freilich wieder sinnlich darstellen wird, als ein Zustand, keinesweges als ein bloßer Wille.

Diese zwei Ordnungen, die rein geistige, und die sinnliche, welche letztere aus einer unübersehbaren Reihe von besonderen Leben bestehen mag, sind von dem ersten Augenblicke der Entwickelung einer tätigen Vernunft an, in mir, und laufen neben einander fort. Die letztere Ordnung ist nur eine Erscheinung für mich selbst, und für diejenigen, die mit mir in dem gleichen Leben sich befinden; die erstere allein gibt dem letztern Bedeutung, Zweckmäßigkeit, und Wert. Ich bin unsterblich, unvergänglich, ewig, sobald ich den Entschluß fasse, dem Vernunftgesetze zu gehorchen; ich soll es nicht erst werden. Die übersinnliche Welt ist keine zukünftige Welt, sie ist gegenwärtig; sie kann in keinem Punkte des endlichen Daseins gegenwärtiger sein, als in dem andern; nach einem Dasein von Myriaden Lebenslängen nicht gegenwärtiger sein, als in diesem Augenblicke. Andere Bestimmungen meiner sinnlichen Existenz sind zukünftig; aber diese sind eben so wenig das wahre Leben, als die gegenwärtige Bestimmung es ist. Ich ergreife durch jenen Entschluß die Ewigkeit, und streife das Leben im Staube und alle andere sinnliche Leben, die mir noch bevorstehen können, ab, und versetze mich hoch über sie. Ich werde mir selbst zur einigen Quelle alles meines Seins, und meiner Erscheinungen; und habe von nun an, unbedingt durch etwas außer mir, das Leben in mir selbst. Mein Wille, den ich selbst, und kein Fremder in die Ordnung jener Welt füge, ist diese Quelle des wahren Lebens, und der Ewigkeit.

Aber auch nur mein Wille ist diese Quelle; nur dadurch, daß ich diesen Willen für den eigentlichen Sitz der sittlichen Güte erkenne, und zu dieser Güte ihn wirklich erhebe, erhalte ich die Gewißheit und den Besitz jener übersinnlichen Welt.

Ohne Aussicht auf irgend einen begreiflichen und sichtbaren Zweck, ohne Untersuchung, ob aus meinem Willen irgend etwas anderes erfolge, als das Wollen selbst, soll ich gesetzmäßig wollen. Mein Wille steht allein da, abgesondert von allem, was er nicht selbst ist, bloß durch sich, und für sich selbst seine Welt; nicht bloß, daß er absolut Erstes sei, und daß es vor ihm kein anderes Glied gebe, das in ihn eingreife, und ihn bestimme; sondern auch, daß aus ihm kein denkbares und begreifliches Zweites folge, und dadurch seine Wirksamkeit unter ein fremdes Gesetz falle. Ginge aus ihm ein Zweites, aus diesem ein Drittes u. s. f. hervor in einer uns denkbaren der geistigen Welt entgegengesetzten Sinnenwelt: so würde durch den Widerstand der in Bewegung zu setzenden selbstständigen Glieder einer solchen Welt, seine Kraft gebrochen; die Art der Wirksamkeit entspräche nicht mehr ganz dem durch das Wollen ausgedrückten Zweckbegriffe, und der Wille bliebe nicht frei, sondern er würde zum Teil durch die eigentümlichen Gesetze seiner heterogenen Wirkungssphäre beschränkt. — So muß ich auch wirklich in der gegenwärtigen, mir allein bekannten sinnlichen Welt den Willen ansehen. Ich bin freilich genötigt, zu glauben, das heißt, zu handeln, als ob ich dächte — daß durch mein Wollen meine Zunge, meine Hand, mein Fuß in Bewegung gesetzt werden könnten; wie aber ein bloßer Hauch, ein Druck der Intelligenz auf sich selbst, wie der Wille es ist, Prinzip einer Bewegung in der schweren irdischen Masse sein könne, darüber kann ich nicht nur nichts denken, sondern selbst die bloße Behauptung ist vor dem Richterstuhle des betrachtenden Verstandes reiner barer Unverstand; und auf diesem Gebiete muß die Bewegung der Materie sogar in mir selbst, rein aus innern Kräften der bloßen Materie erklärt werden.

Eine Ansicht von meinem Willen, wie die beschriebene aber erhalte ich nur dadurch, daß ich in mir selbst inne werde, derselbe sei nicht etwa bloß höchstes tätiges Prinzip für diese Welt, welches er allerdings ohne alle eigentliche Freiheit durch den bloßen Einfluß des gesamten Weltsystems werden könnte, ohngefähr so, wie wir uns die bildende Kraft in der Natur denken müssen: sondern er verschmähe schlechthin alle irdische, und überhaupt alle außer ihm liegende Zwecke, und stelle sich selbst um sein selbst willen als letzten Zweck hin. Aber lediglich durch eine solche Ansicht von meinem Willen, werde ich in eine übersinnliche Ordnung hinüber gewiesen, in welcher der Wille rein durch sich selbst, ohne alles außer ihm liegende Werkzeug, in einer ihm gleichen, rein geistigen, von ihm durchaus durchdringbaren Sphäre, Ursache werde. — Daß das gesetzmäßige Wollen schlechthin um sein selbst willen gefordert werde — eine Kenntnis, die ich nur als Tatsache in meinem Innern finden, und welche auf keinem andern Wege an mich gelangen kann — dies war das erste Glied meines Denkens. Daß diese Forderung vernunftmäßig, und die Quelle und Richtschnur alles andern Vernunftmäßigen sei, daß sie nach nichts sich richte, alles andere aber nach ihr sich richten, und von ihr abhängig werden müsse — eine Überzeugung, zu welcher ich abermals nicht von außen, sondern nur innerlich gelangen kann, durch den unerschütterlichen Beifall, den ich, mit Freiheit, jener Forderung gebe — dies war das zweite Glied meines Denkens. Und erst von diesen Gliedern aus kam ich zum Glauben an eine übersinnliche, ewige Welt. Hebe ich die erstem auf, so kann vom letztern nicht weiter die Rede sein. Eben, wenn es so sich verhielte, wie Viele sagen, und es ohne weitern Beweis als von selbst sich verstehend voraussetzen, und es als den höchsten Gipfel der Lebensweisheit anpreisen, daß alle menschliche Tugend stets nur einen bestimmten äußern Zweck vor sich haben, und daß sie der Erreichbarkeit dieses Zwecks erst sicher sein müsse, ehe sie handeln könne, und ehe sie Tugend sei — daß sonach die Vernunft gar nicht in sich selbst ein Prinzip und eine Richtschnur ihrer Tätigkeit enthielte, sondern diese Richtschnur erst von außen her durch die Betrachtung der ihr fremden Welt erhalten müßte — wenn es so sich verhielte, dann wäre hienieden der Endzweck unsers Daseins; die menschliche Natur wäre durch unsre irdische Bestimmung vollkommen erschöpft und durchaus erklärbar, und es gäbe keinen vernünftigen Grund, mir unsern Gedanken über das gegenwärtige Leben hinauszugehen. S.147-158 […]

Um mir Alles in Einem zu sagen: — nur durch die gründliche Verbesserung meines Willens geht ein neues Licht über mein Dasein, und meine Bestimmung mir auf; ohne sie ist, so viel ich auch nachdenken, und mit so vorzüglichen Geistesgaben ich auch ausgestattet sein mag, eitel Finsternis in mir, und um mich. Nur die Verbesserung des Herzens führt zur wahren Weisheit. Nun so ströme denn unaufhaltsam mein ganzes Leben auf diesen Einen Zweck hin.

Mein gesetzmäßiger Wille, bloß als solcher, an und durch sich selbst, soll Folgen haben, sicher und ohne Ausnahme; jede pflichtmäßige Bestimmung meines Willens, ob aus ihr auch keine Tat erfolgte, soll wirken in einer mir unbegreiflichen andern Welt, und außer dieser pflichtmäßigen Willensbestimmung soll in ihr nichts wirken. — Was denke ich doch, indem ich dies denke, Was setze ich voraus?

Offenbar ein Gesetz , eine schlechthin ohne Ausnahme geltende Regel, nach welcher der pflichtmäßige Wille Folgen haben muß; eben so, wie ich in der irdischen Welt, die mich umgibt, ein Gesetz annehme, nach welchem diese Kugel, wenn sie durch meine Hand mit dieser bestimmten Kraft in dieser bestimmten Richtung angestoßen wird, notwendig in einer solchen Richtung mit einem bestimmten Maße von Schnelligkeit sich fortbewegt, etwa eine andere Kugel mit diesem Maße von Kraft anstößt, welche nun selbst mit einer bestimmten Schnelligkeit sich fortbewegt, — und so weiter ins Unbestimmte. Wie ich hier schon in der bloßen Richtung und Bewegung meiner Hand alle auf sie folgenden Richtungen und Bewegungen erkenne und umfasse, mit derselben Sicherheit, als ob sie schon gegenwärtig vorhanden, und von mir wahrgenommen wären: eben so umfasse ich in meinem pflichtmäßigen Willen eine Reihe von notwendigen und unausbleiblichen Folgen in der geistigen Welt, als ob sie schon gegenwärtig wären; nur daß ich sie nicht, wie die Folgen in der materiellen Welt bestimmen kann, — das heißt, daß ich lediglich weiß,daß, nicht aber wie sie sein werden; — und eben, indem ich dieses tue, denke ich ein Gesetz der geistigen Welt, in welcher mein reiner Wille eine der bewegenden Kräfte ist, gleichwie meine Hand eine der bewegenden Kräfte in der materiellen Welt ist. Jene Festigkeit meiner Zuversicht, und der Gedanke dieses Gesetzes einer geistigen Welt sind ganz Eins und eben dasselbe; nicht zwei Gedanken, deren einer durch den andern vermittelt würde, sondern ganz derselbe Gedanke; eben so, wie die Sicherheit, mir welcher ich auf eine gewisse Bewegung rechne, und der Gedanke eines mechanischen Naturgesetzes dasselbe sind. — Der Begriff: Gesetz drückt überhaupt nichts anders aus, als das feste unerschütterliche Beruhen der Vernunft auf einem Satze, und die absolute Unmöglichkeit, das Gegenteil anzunehmen.

Ich nehme an ein solches Gesetz einer geistigen Welt, das nicht mein Wille gibt, noch der Wille irgend eines endlichen Wesens, noch der Wille aller endlichen Wesen zusammen genommen, sondern, unter dem mein Wille, und der Wille aller endlichen Wesen selbst steht. Weder ich, noch irgend ein endliches, und eben darum auf irgend eine Weise sinnliches Wesen vermag auch nur zu begreifen, wie ein bloßer reiner Wille Folgen haben, und wie diese Folgen beschaffen sein können, indem darin eben das Wesentliche ihrer Endlichkeit besteht, daß sie das zu begreifen nicht vermögen; — zwar den bloßen Willen als solchen rein in ihrer Gewalt haben, die Folgen desselben aber durch ihre Sinnlichkeit notwendig als Zustände erblicken; — wie könnte denn also ich, oder irgend ein endliches Wesen dasjenige, was wir alle schlechthin nicht denken noch begreifen können, sich als Zweckbegriff setzen, und es dadurch wirklich machen? — Ich kann nicht sagen, daß in der materiellen Welt meine Hand, oder irgend ein Körper der in dieser Welt mit begriffen, und durch das allgemeine Grundgesetz der Schwere bestimmt ist, das Naturgesetz der Bewegung gebe; dieser Körper steht selbst unter diesem Naturgesetze, und vermag einen andern Körper zu bewegen, lediglich diesem Gesetze gemäß, und in wiefern er zufolge desselben an der allgemeinen bewegenden Kraft in der Natur Teil hat. Eben so wenig gibt ein endlicher Wille der übersinnlichen Welt, die kein endlicher Geist umfaßt, das Gesetz; sondern alle endliche Willen stehen unter dem Gesetze derselben, und können in dieser Welt etwas hervorbringen, nur inwiefern dieses Gesetz schon vorhanden ist, und sie selbst, nach dem Grundgesetze derselben für endliche Willen, durch Pflichtmäßigkeit unter die Bedingung desselben sich fügen, und in die Sphäre seiner Wirksamkeit eintreten; durch Pflichtmäßigkeit, sage ich, das einige Band, das sie an diese Welt bindet, der einige Nerv, der aus ihr zu ihnen herabgeht, und das einige Organ, durch welches sie in dieselbe zurückzuwirken vermögen. Wie die allgemeine Anziehungskraft alle Körper hält, und mit sich und dadurch untereinander vereinigt, und nur unter ihrer Voraussetzung Bewegung des Einzelnen möglich ist, so vereinigt und hält in sich, und ordnet unter sich jenes übersinnliche Gesetz alle endliche Vernunftwesen. — — Mein Wille, und der Wille aller endlichen Wesen kann angesehen werden aus einem doppelten Gesichtspunkte: teils als bloßes Wollen, ein innerer Akt auf sich selbst; und insofern ist der Wille in sich selbst vollendet, und durch den bloßen Akt geschlossen; teils als Etwas, ein Faktum. Das letztere wird er zunächst für mich, inwiefern ich ihn als vollendet ansehe; aber er soll es auch werden außer mir; in der Sinnenwelt, bewegendes Prinzip etwa meiner Hand, aus deren Bewegung wieder andere Bewegungen erfolgen; in der übersinnlichen Welt, Prinzip einer Reihe von geistigen Folgen, von denen ich keinen Begriff habe. In der erstem Ansicht, als bloßer Akt, steht er ganz in meiner Gewalt; daß er das letztere überhaupt wird, und es als erstes Prinzip wird, hängt nicht von mir ab, sondern von einem Gesetze, unter welchem ich selbst stehe, dem Naturgesetze in der Sinnenwelt, einem übersinnlichen Gesetze in der übersinnlichen Welt.

Was ist denn nun dies für ein Gesetz der geistigen Welt, das ich denke? — Ich will mir nämlich diesen Begriff, der nun da steht, fest und gebildet, und welchem ich nichts hinzutun kann oder darf, nur erklären, und aus einander setzen. — Offenbar kein solches, wie in meiner, oder in irgend einer möglichen Sinnenwelt, dem etwas anderes, als ein bloßer Wille, dem ein bestehendes, ruhendes Sein, aus welchem sich etwa durch den Anstoß eines Willens eine innere Kraft loswickelte, vorausgesetzt würde: Denn — dies ist ja der Inhalt meines Glaubens — mein Wille soll schlechthin durch sich selbst, ohne alles seinen Ausdruck schwächende Werkzeug, in einer ihm völlig gleichartigen Sphäre, als Vernunft auf Vernunft, als Geistiges auf Geistiges, wirken; — in einer Sphäre, der er jedoch das Gesetz des Lebens, der Tätigkeit, des Fortlaufens nicht gebe, sondern, die es in sich selbst habe; also auf selbsttätige Vernunft. Aber selbsttätige Vernunft ist Wille. Das Gesetz der übersinnlichen Welt wäre sonach ein Wille.

Ein Wille, der rein, und bloß als Wille wirkt, durch sich selbst, schlechthin ohne alles Werkzeug, oder sinnlichen Stoff seiner Einwirkung, der absolut durch sich selbst zugleich Tat ist, und Produkt, dessen Wollen Geschehen, dessen Gebieten Hinstellen ist; in welchem sonach die Forderung der Vernunft, absolut frei, und selbsttätig zu sein, dargestellt ist. Ein Wille, der in sich selbst Gesetz ist, der nicht nach Launen, und Einfällen, nach vorherigem Überlegen, Wanken und Schwanken sich bestimmt, sondern der ewig und unveränderlich bestimmt ist, und auf den man sicher und unfehlbar rechnen kann, so wie der Sterbliche sicher auf die Gesetze seiner Welt rechnet. Ein Wille, in welchem der gesetzmäßige Wille endlicher Wesen unausbleibliche Folgen hat; aber auch nur dieser ihr Wille; indem er für alles andere unbeweglich, und alles andere für ihn so gut als gar nicht vorhanden ist.

Jener erhabne Wille geht sonach nicht abgesondert von der übrigen Vernunftwelt seinen Weg für sich. Es ist zwischen ihm und allen endlichen vernünftigen Wesen ein geistiges Band, und er selbst ist dieses geistige Band der Vernunftwelt. — Ich will rein und entschieden meine Pflicht, und Er will sodann, daß es mir, in der geistigen Welt wenigstens, gelinge. Jeder gesetzmäßige Willensentschluß des Endlichen gehet ein in ihn, und — bewegt, und bestimmt ihn, nach unsrer Weise zu reden, — nicht zufolge eines augenblicklichen Wohlgefallens, sondern zufolge des ewigen Gesetzes seines Wesens. — Mit überraschender Klarheit tritt er jetzt vor meine Seele, der Gedanke, der mir bisher noch mit Dunkelheit umringt war, der Gedanke: daß mein Wille, bloß als solcher, und durch sich selbst Folgen habe. Er hat Folgen, indem er durch einen andern ihm verwandten Willen, der selbst Tat, und das einige Lebens-Prinzip der geistigen Welt ist, unfehlbar und unmittelbar vernommen wird; in ihm hat er seine erste Folge, und erst durch ihn auf die übrige Geisterwelt, welche überall nichts ist, als ein Produkt jenes unendlichen Willens.

So fließe Ich, der Sterbliche muß sich der Worte aus seiner Sprache bedienen — so fließe Ich ein auf jenen Willen; und die Stimme des Gewissens in meinem Innern, die in jeder Lage meines Lebens mich unterrichtet, was ich in ihr zu tun habe, ist es, durch welche Er hinwiederum auf mich einfließt. Jene Stimme ist das — nur durch meine Umgebung versinnlichte, und durch mein Vernehmen in meine Sprache übersetzte Orakel aus der ewigen Welt, das mir verkündiget, wie ich an meinem Teile in die Ordnung der geistigen Welt, oder in den unendlichen Willen, der ja selbst die Ordnung dieser geistigen Welt ist, mich zu fügen habe. Ich überschaue und durchschaue jene geistige Ordnung nicht, und ich bedarf dessen nicht; ich bin nur ein Glied in ihrer Kette, und kann über das Ganze eben so wenig urteilen, als ein einzelner Ton im Gesange über die Harmonie des Ganzen urteilen könnte. Aber was ich selbst sein solle in dieser Harmonie der Geister, muß ich wissen, denn nur ich selbst kann mich dazu machen, und es wird mir unmittelbar offenbart durch eine Stimme, die aus jener Welt zu mir herüber tönt. So stehe ich mit dem Einen, das da ist, in Verbindung, und nehme Teil an seinem Sein. Es ist nichts wahrhaft Reelles, Dauerndes, Unvergängliches an mir, als diese beiden Stücke: die Stimme meines Gewissens und mein freier Gehorsam. Durch die erste neigt die geistige Welt sich zu mir herab, und umfaßt mich, als eins ihrer Glieder; durch den zweiten erhebe ich mich selbst in diese Welt, ergreife sie und wirke in ihr. Jener unendliche Wille aber ist der Vermittler zwischen ihr und mir; denn er selbst ist der Urquell von ihr und von mir. — Dies ist das einzige Wahre und Unvergängliche, nach welchem hin meine Seele aus ihrer innersten Tiefe sich bewegt; alles Andere ist bloße Erscheinung, und schwindet, und kehrt in einem neuen Scheine zurück.

Dieser Wille verbindet mich mit sich selbst; derselbe verbindet mich mit allen endlichen Wesen meines gleichen, und ist der allgemeine Vermittler zwischen uns allen. Das ist das große Geheimnis der unsichtbaren Welt, und ihr Grundgesetz, in wiefern sie Welt oder System von mehreren einzelnen Willen ist: jene Vereinigung, und unmittelbare Wechselwirkung mehrerer selbstständiger und unabhängiger Willen mit einander; ein Geheimnis, das schon im gegenwärtigen Leben klar vor aller Augen liegt, ohne daß es eben jemand bemerke, oder es seiner Verwunderung würdige. — Die Stimme des Gewissens, die jedem seine besondere Pflicht auflegt, ist der Strahl, an welchem wir aus dem Unendlichen ausgehen, und als einzelne, und besondere Wesen hingestellt werden; sie zieht die Grenzen unsrer Persönlichkeit; sie also ist unser wahrer Urbestandteil, der Grund und der Stoff alles Lebens, welches wir leben. Die absolute Freiheit des Willens, die wir gleichfalls aus dem Unendlichen mit herabnehmen in die Welt der Zeit, ist das Prinzip dieses unsers Lebens. — Ich handle. Die sinnliche Anschauung, durch welche allein ich zu einer persönlichen Intelligenz werde, vorausgesetzt, — läßt sich sehr wohl begreifen, wie ich von diesem meinem Handeln notwendig wissen müsse; ich weiß es, weil ich selbst es bin, der da handelt; — es läßt sich begreifen, wie vermittelst dieser sinnlichen Anschauung mein geistiges Handeln mir erscheine als Tat in einer Sinnenwelt, und wie umgekehrt, durch dieselbe Versinnlichung, das an sich rein geistige Pflichtgebot mir erscheine, als Gebot einer solchen Tat;— es läßt sich begreifen, wie eine vorliegende Welt, als Bedingung dieser Tat, und zum Teil, als Folge und Produkt derselben, mir erscheine. Ich bleibe hierbei immer nur in mir selbst, und auf meinem eignen Gebiete; alles, was für mich da ist, entwickelt sich rein, und lediglich aus mir selbst; ich schaue überall nur mich selbst an, und kein fremdes wahres Sein außer mir. —

Aber in dieser meiner Welt nehme ich zugleich an: Wirkungen anderer Wesen, die von mir unabhängig und selbstständig sein sollen, eben so, wie ich selbst es bin. Wie diese Wesen für sich selbst von den Wirkungen, die aus ihnen selbst hervorgehen, wissen können, läßt sich begreifen; sie wissen davon auf dieselbe Weise, wie ich von den meinigen weiß. Aber wie ich davon wissen könne, ist schlechthin unbegreiflich, eben so, wie es unbegreiflich ist, wie sie von meiner Existenz und von meinen Äußerungen wissen können, welches ich ihnen ja doch anmute. Wie fallen sie in meine Welt, und ich in die ihrige? — da ja das Prinzip, nach welchem das Bewußtsein unsres Selbst, und unsrer Wirkungen, und der sinnlichen Bedingungen derselben sich aus uns entwickelt — daß nämlich jede Intelligenz unstreitig wissen müsse, was sie tue — da dieses Prinzip hier schlechterdings nicht anwendbar ist? Wie haben freie Geister Kunde von freien Geistern? — nachdem wir wissen, daß freie Geister das einige Reelle sind, und an eine selbst-ständige Sinnenwelt, durch welche sie auf einander einwirkten, gar nicht mehr zu denken ist. Oder willst du mir doch sagen: ich nehme die vernünftigen Wesen meines gleichen wahr durch die Veränderungen, die sie in der Sinnenwelt hervorbringen; so frage ich dich hinwiederum, wie du denn diese Veränderungen selbst wahrzunehmen vermagst? Ich begreife sehr wohl, wie du Veränderungen wahrnimmst, die durch den bloßen Naturmechanismus bewirkt werden; denn das Gesetz dieses Mechanismus ist nichts anderes, als dein eignes Denkgesetz, nach welchem du die mit einem Male gesetzte Welt dir weiter entwickelst. Aber die Veränderungen, von denen wir hier reden, sollen ja nicht durch den Naturmechanismus, sondern durch einen über alle Natur erhabenen freien Willen bewirkt sein, und lediglich, inwiefern du sie dafür ansiehst, schließest du von ihnen aus auf freie Wesen deinesgleichen. Welches wäre denn nun das Gesetz in dir, nach dem du die Bestimmungen anderer von dir absolut unabhän-giger Willen dir entwickeln könntest?

— Kurz, diese gegenseitige Erkenntnis und Wechselwirkung freier Wesen schon in dieser Welt, ist nach Natur- und Denkgesetzen völlig unbegreiflich, und läßt sich erklären lediglich durch das Eine, in dem sie zusammenhängen, nach dem sie für sich getrennt sind, durch den unendlichen Willen, der alle in seiner Sphäre hält und trägt. Nicht unmittelbar von dir zu mir, und von mir zu dir strömt die Erkenntnis, die wir von einander haben; wir für uns sind durch eine unübersteigliche Grenzscheidung abgesondert. Nur durch unsre gemeinschaftliche geistige Quelle wissen wir von einander; nur in ihr erkennen wir einander, und wirken wir auf einander. — Hier achte das Bild der Freiheit auf der Erde, hier ein Werk, das derselben Gepräge trägt: ruft innerlich die Stimme jenes Willens mir zu, die mit mir redet, nur inwiefern sie mir Pflichten auflegt; und dies allein ist das Prinzip, durch welches hindurch ich dich und dein Werk anerkenne, indem das Gewissen mir gebietet, dasselbe zu achten.

Dann, woher denn unsre Gefühle, unsre sinnliche Anschauung, unsre diskursiven Denkgesetze, — auf welches alles sich die Sinnenwelt gründet, die wir erblicken, und in der wir auf einander einzufließen glauben? In Absicht der beiden letztern, der Anschauung und der Denkgesetze, antworten: es seien dies die Gesetze der Vernunft an und für sich, — hieße keine befriedigende Antwort geben. Für uns freilich, die wir auf das Gebiet derselben gebannt sind, ist es sogar unmöglich, andere zu denken, oder eine Vernunft, welche unter andern steht. Aber das eigentliche Gesetz der Vernunft an sich, ist nur das praktische Gesetz, das Gesetz der übersinnlichen Welt, oder jener erhabene Wille. — Und wenn man dieses einen Augenblick unerörtert lassen wollte, woher denn unser aller Übereinstimmung über Gefühle, die doch etwas Positives, Unmittelbares, Unerklärbares sind? Von dieser Übereinstimmung über Gefühl, Anschauung, und Denkgesetze aber hängt es ab, daß wir alle dieselbe Sinnenwelt erblicken.

Es ist dies eine übereinstimmende unbegreifliche Beschränkung der endlichen Vernunftwesen unsrer Gattung, und eben dadurch, daß diese übereinstimmend beschränkt sind, werden sie zu Einer Gattung, — antwortet die Philosophie des bloßen reinen Wissens, und muß dabei, als bei ihrem Höchsten stehen bleiben. Aber, was könnte die Vernunft beschränken, außer, was selbst Vernunft ist; — und alle endliche Vernunft beschränken, außer der unendlichen? Diese Übereinstimmung unser aller über die zum Grunde zu legende, gleichsam vorausgegebene Sinnenwelt, als Sphäre unsrer Pflicht, welche, die Sache genau angesehen, eben so unbegreiflich ist, als unsre Übereinstimmung über die Produkte unsrer gegenseitigen Freiheit, — diese Übereinstimmung ist Resultat des Einen, ewigen unendlichen Willens. Unser Glaube an sie, den ich oben betrachtete, als Glauben an unsre Pflicht, ist eigentlich Glauben an Ihn, an Seine Vernunft, und an Seine Treue. — Was ist denn nun doch das eigentlich, und rein Wahre, das wir in der Sinnenwelt annehmen, und an welches wir glauben? Nichts anderes, als daß aus unsrer treuen, und unbefangenen Vollbringung der Pflicht in dieser Welt ein unsre Freiheit, und Sittlichkeit förderndes Leben in alle Ewigkeit sich entwickeln werde. Findet dies statt, dann hat unsre Welt Wahrheit, und die einzige für endliche Wesen mögliche; es muß statt finden, denn diese Welt ist Resultat des ewigen Willens in uns; aber dieser Wille kann zufolge der Gesetze seines Wesens keinen andern Endzweck mit Endlichen haben, als den angegebnen.

Jener ewige Wille ist also allerdings Weltschöpfer,
so wie er es allein sein kann, und wie es allein einer Schöpfung bedarf; in der endlichen Vernunft. Diejenigen, welche ihn aus einer ewigen trägen Materie eine Welt bauen lassen, die dann auch nur träge und leblos sein könnte, wie durch menschliche Hände verfertigte Geräte — und kein ewiger Fortgang einer Entwickelung aus sich selbst, oder die es sich anmuten, das Hervorgehen eines materiellen Etwas aus dem Nichts zu denken, kennen weder die Welt, noch Ihn. Es ist überall Nichts, wenn nur die Materie Etwas sein soll, und es bleibt überall und in alle Ewigkeit Nichts. Nur die Ver-nunft ist; die unendliche an sich, die endliche in ihr, und durch sie. Nur in unsern Gemütern erschafft er eine Welt; wenigstens das, woraus wir sie entwickeln, und das, wodurch wir sie entwickeln: — den Ruf zur Pflicht; und übereinstimmende Gefühle, Anschauung und Denkgesetze. Es ist sein Licht, durch welches wir das Licht, und alles was in diesem Lichte uns erscheint, erblicken. In unsern Gemütern bildet er fort diese Welt, und greift ein in dieselbe, indem er in unsre Gemüter durch den Ruf der Pflicht eingreift, sobald ein anderes freies Wesen etwas in derselben verändert. In unsern Gemütern erhält er diese Welt, und dadurch unsre endliche Existenz, deren allein wir fähig sind; indem er fortdauernd aus unsern Zuständen andere Zustände entstehen läßt. Nachdem er seinem höhern Zwecke gemäß uns sattsam für unsre nächste Bestimmung geprüft, und wir für dieselbe uns gebildet haben werden, wird er durch das, was wir Tod nennen, dieselbe für uns vernichten, und uns in eine neue, das Produkt unsers pflichtmäßigen Handelns in dieser, einführen. Alles unser Leben ist Sein Leben. Wir sind in seiner Hand, und bleiben in derselben, und niemand kann uns daraus reißen. Wir sind ewig, weil Er es ist.

Erhabner lebendiger Wille, den kein Name nennt, und kein Begriff umfaßt, wohl darf ich mein Gemüt zu dir erheben; denn du und ich sind nicht getrennt. Deine Stimme ertönt in mir, die meinige tönt in dir wieder; und alle meine Gedanken, wenn sie nur wahr und gut sind, sind in dir gedacht. — In dir, dem Un¬begreiflichen, werde ich mir selbst, und wird mir die Welt vollkommen begreiflich, alle Rätsel meines Daseins werden gelöst, und die vollendetste Harmonie entsteht in meinem Geiste.

Am besten fasset dich die kindliche, dir ergebne Einfalt. Du bist ihr der Herzenskündiger, der ihr Inneres durchschaut, der allgegenwärtige treue Zeuge ihrer Gesinnungen, der allein weiß, daß sie es redlich meint, und der allein sie kennt, ob sie auch von aller Welt mißkannt würde. Du bist ihr der Vater, der es immer gut mit ihr meint, und der alles zu ihrem Besten wenden wird. In deine gütigen Beschlüsse gibt sie sich ganz mit Leib und Seele. Tue mit mir, wie du willst, sagt sie, ich weiß, daß es gut sein wird, so gewiß Du es bist, der es tut. Der grübelnde Verstand, der nur von dir gehört, nie aber dich gesehen hat, will uns dein Wesen an sich kennen lehren, und stellt ein widersprechendes Mißgeschöpf hin, das er für dein Bild ausgibt, lächerlich dem bloß Verständigen, verhaßt und abscheulich dem Weisen und Guten.

Ich verhülle vor dir mein Angesicht, und lege die Hand auf den Mund. Wie du für dich selbst bist, und dir selbst erscheinest, kann ich nie einsehen, so gewiß ich nie du selbst werden kann. Nach tausendmal tausend durchlebten Geisterleben werde ich dies noch eben so wenig begreifen als jetzt, in dieser Hütte von Erde. — Was ich begreife, wird durch mein bloßes Begreifen zum Endlichen; und dieses läßt auch durch unendliche Steigerung, und Erhöhung sich nie ins Unendliche umwandeln. Du bist vom Endlichen nicht dem Grade, sondern der Art nach verschieden. Sie machen dich durch jene Steigerung nur zu einem größern Menschen, und immer zu einem größern; nie aber zum Gotte, zum Unendlichen, der keines Maßes fähig ist. — Ich habe nur dieses diskursiv fortschreitende Bewußtsein, und kann kein anderes mir denken. Wie dürfte ich dieses dir zuschreiben? In dem Begriffe der Persönlichkeit liegen Schranken. Wie könnte ich jenen auf dich übertragen, ohne diese?

Ich will nicht versuchen, was mir durch das Wesen der Endlichkeit versagt ist, und was mir zu nichts nutzen würde; wie du an dir selbst bist, will ich nicht wissen. Aber deine Beziehungen und Verhältnisse zu mir, dem Endlichen, und zu allen Endlichen, liegen offen vor meinem Auge: werde ich, was ich sein soll! — und sie umgeben mich in hellerer Klarheit, als das Bewußtsein meines eignen Daseins. Du wirkest in mir die Erkenntnis von meiner Pflicht, von meiner Bestimmung in der Reihe der vernünftigen Wesen; wie das weiß ich nicht, noch bedarf ich es zu wissen. Du weißt und erkennst, was ich denke und will; wi e du wissen kannst; — durch welchen Akt d u dieses Bewußtsein zu Stande bringst, darüber verstehe ich nichts; ja ich weiß sogar sehr wohl, daß der Begriff eines Akts, und eines besondern Akts des Bewußtseins nur von mir gilt, nicht aber von dir, dem Unendlichen. Du willst, denn du willst, daß mein freier Gehorsam Folgen habe in alle Ewigkeit; den Akt deines Willens begreife ich nicht, und weiß nur so viel, daß er nicht ähnlich ist dem meinigen. Du tust, und dein Wille selbst ist Tat; aber deine Wirkungsweise ist der, die ich allein zu denken vermag, geradezu entgegengesetzt. Du lebest und bist, denn du weißt, willst, und wirkest, allgegenwärtig der endlichen Vernunft; aber du bist nicht, wie ich alle Ewigkeiten hindurch allein ein Sein werde denken können.

In der Anschauung dieser deiner Beziehungen zu mir dem Endlichen will ich ruhig und selig sein. Ich weiß unmittelbar nur, was ich soll. Dieses will ich unbefangen, freudig, und ohne Klügelei tun; denn es ist deine Stimme, die es mir befiehlt, die Verordnung des geisti¬gen Weltplans an mich; und die Kraft, mit der ich es ausrichte, ist deine Kraft. Was durch jene mir geboten, was durch diese ausgerichtet wird, ist in jenem Plane gewiß und wahrhaftig gut. Ich bin ruhig bei allen Ereignissen in der Welt, — denn sie sind in deiner Welt. Nichts kann mich irren, oder befremden, oder zaghaft machen, so gewiß du lebst, und ich dein Leben schaue. Denn in dir, und durch dich hindurch, o Unendlicher, erblicke ich selbst meine gegenwärtige Welt in einem andern Lichte. Natur, und Naturerfolg in den Schicksalen und Wirkungen freier Wesen, wird dir gegenüber zu einem leeren, nichts bedeutenden Worte. Es ist keine Natur mehr; du, nur du bist. — Es erscheint mir nicht mehr, als Endzweck der gegenwärtigen Welt, daß nur jener Zustand des allgemeinen Friedens unter den Menschen und ihrer unbedingten Herrschaft über den Natur-Mechanismus hervorgebracht werde, bloß damit er sei, sondern, daß er durch die Menschen selbst hervorgebracht werde; und da er auf alle berechnet ist, daß er durch alle, als Eine große, freie, moralische Gemeine hervorgebracht werde. Nichts Neues und Besseres für einen Einzelnen, außer durch seinen pflichtmäßigen Willen; nichts Neues und Besseres für die Gemeine, außer durch den gemeinschaftlichen pflichtmäßigen Willen: ist Grundgesetz des großen sittlichen Reichs, wovon das gegenwärtige Leben ein Teil ist. Darum ist der gute Wille des Einzelnen für diese Welt so oft verloren, weil er nur noch der des Einzelnen ist, und der Wille der Mehrheit mit ihm nicht zusammenstimmt; und seine Folgen fallen bloß in eine zukünftige Welt. Darum scheinen sogar die Leidenschaften und Laster der Menschen zur Erreichung des Bessern mitzuwirken; — nicht an und für sich; in diesem Sinne kann aus dem Bösen nie Gutes hervorgehen, sondern, indem sie den entgegengesetzten Lastern das Gleichgewicht halten, und endlich durch ihr Übermaß diese, und mit ihnen zugleich sich selbst vernichten. Die Unterdrückung hätte nie die Oberhand gewinnen können, wenn nicht Feigheit, Niederträchtigkeit, und gegenseitiges Mißtrauen der Menschen unter einander ihr den Weg geebnet hätten. Sie wird so lange steigen, bis sie die Feigheit und den Sklavensinn ausrottet, und Verzweiflung den verlornen Mut wieder weckt. Dann werden die beiden entgegengesetzten Laster einander vernichtet haben, und das Edelste in allen menschlichen Verhältnissen, dauernde Freiheit, wird aus ihnen hervorgegangen sein.

Die Handlungen freier Wesen haben der Strenge nach nur auf andre freie Wesen Folgen; denn in diesen und für diese allein ist eine Welt; und dasjenige, worüber alle übereinstimmen, ist eben die Welt. Aber sie haben Folgen in ihnen nur durch den unendlichen, alle Einzelne vermittelnden Willen. Aber ein Ruf, eine Bekanntmachung dieses Willens an uns ist stets eine Aufforderung zu einer bestimmten Pflicht. Also — sogar das in der Welt, was wir böse nennen, die Folge des Mißbrauchs der Freiheit, ist nur durch ihn : und sie ist für alle, für die sie ist, nur, indem ihnen dadurch Pflichten aufgelegt werden. Wäre es nicht in dem ewigen Plane unsrer sittlichen Bildung, und der Bildung unsers ganzen Geschlechts, daß gerade diese Pflichten uns aufgelegt werden sollten, so würden sie uns nicht aufgelegt, und dasjenige, wodurch sie uns aufgelegt werden, und was wir Böse nennen, wäre gar nicht erfolgt. Insofern ist alles gut, was da geschieht und absolut zweckmäßig. Es ist nur Eine Welt möglich, eine durchaus gute. Alles, was in dieser Welt sich ereignet, dient zur Verbesserung und Bildung der Menschen, und vermittelst dieser zur Herbeiführung ihres irdischen Ziels. Dieser höhere Weltplan ist es, was wir Natur nennen, wenn wir sagen: die Natur führet den Menschen durch Mangel zum Fleiße, durch die Übel der allgemeinen Unordnung zu einer rechtlichen Verfassung, durch die Drangsale ihrer unaufhörlichen Kriege zum endlichen ewigen Frieden. Dein Wille, Unendlicher, deine Vorsehung allein ist diese höhere Natur. — Am besten fasset auch dieses die kunstlose Einfalt, wenn sie dieses Leben für eine Prüfungs- und Bildungs-Anstalt, für eine Schule zur Ewigkeit anerkennt; wenn sie in allen Schicksalen, von denen sie betroffen wird, den geringfügigsten, wie den wichtigsten, deine Fügungen erblickt, die sie zum Guten führen sollen; wenn sie fest glaubt, daß denen, die ihre Pflicht lieben, und dich kennen, alle Dinge zum Besten dienen müssen.

O, wohl habe ich die vergangenen Tage meines Lebens mich im Finstern befunden; wohl habe ich Irrtümer auf Irrtümer aufgebaut, und mich für weise gehalten. Jetzt erst verstehe ich ganz die Lehre, welche mich so sehr befremdete, aus deinem Munde, wunderbarer Geist, ohnerachtet mein Verstand ihr nichts entgegen zu setzen hatte; denn erst jetzt übersehe ich sie in ihrem ganzen Umfange, in ihrem tiefsten Grunde, und nach allen ihren Folgen.

Der Mensch ist nicht Erzeugnis der Sinnenwelt, und der Endzweck seines Daseins kann in derselben nicht erreicht werden. Seine Bestimmung geht über Zeit, und Raum, und alles Sinnliche hinaus. Was er ist, und wozu er sich machen soll, davon muß er wissen; wie seine Bestimmung erhaben ist, so muß auch sein Gedanke schlechthin über alle Schranken der Sinnlichkeit sich erheben können. Er muß es sollen; wo sein Sein einheimisch ist, da ist es notwendig auch sein Gedanke; und die wahrhaft menschlichste, ihm allein anständige Ansicht, die, wodurch seine ganze Denk-Kraft dargestellt wird, ist diejenige, wodurch er sich über jene Schranken erhebt, und wodurch alles Sinnliche sich ihm rein in Nichts verwandelt, in einem bloßen Widerschein des allein bestehenden Unsinnlichen in sterbliche Augen.

Viele sind ohne künstliches Denken, lediglich durch ihr großes Herz, und durch ihren rein sittlichen Instinkt zu dieser Ansicht erhoben worden, weil sie überhaupt vorzüglich nur mit dem Herzen, und in der Gesinnung lebten. Sie verleugneten durch ihr Verfahren die Wirksamkeit und Realität der Sinnenwelt, und ließen in Bestimmung ihrer Entschließungen und Maßregeln für Nichts gelten, wovon sie sich freilich durch Denken nicht deutlich gemacht hatten, daß es selbst für die Denkkraft Nichts sei. Diejenigen, die da sagen dürften: Unser Bürgerrecht ist im Himmel, wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern die zukünftige suchen wir; diejenigen, deren Hauptgrundsatz es war, der Welt abzusterben, von neuem geboren zu werden, und schon hier in ein anderes Leben einzugehen, — setzen ohne Zweifel in alles Sinnliche nicht den mindesten Wert, und waren, um des Ausdruckes der Schule mich zu bedienen, praktisch transzendentale Idealisten.

Andere, welche außer der uns allen angebornen sinnlichen Handlungsweise auch noch durch ihr Denken in der Sinnlichkeit sich bestärkt, und in sie verwickelt haben, und mit ihr gleichsam zusammengewachsen sind, können nur durch fortgeführtes, und bis zu Ende gebrachtes Denken sich dauerhaft, und vollkommen über sie erheben; außerdem würden sie selbst bei der reinsten sittlichen Gesinnung immer wieder durch ihren Verstand herabgezogen werden, und ihr ganzes Wesen würde ein stets fortgesetzter unauflöslicher Widerspruch bleiben. Für diese wird jene Philosophie, die ich erst jetzt durchaus verstehe, die erste Kraft, welche Psychen die Raupenhülle abstreife, und ihre Flügel entfalte, auf denen sie zunächst über sich selbst schwebt, und noch einen Blick auf die verlaßne Hülle wirft, um sodann in höhern Sphären zu leben und zu walten. S.161-180
Aus: Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Theodor Ballauff und Ignaz Klein
Reclams Universalbibliothek 1201, © 1962 Philipp Reclam jun., Stuttgart Veröffentlichung auf Philos-Website mit freundlicher Erlaubnis des Reclam Verlages


Über die geistige Bestimmung des deutschen Volkes (Reden an die deutsche Nation)
Der Deutsche ist zuvörderst ein Stamm der Germanier überhaupt, über welche letztere ,hier hinreicht die Bestimmung anzugeben, daß sie da waren, die im alten Europa errichtete gesellschaftliche Ordnung mit der im alten Asien aufbewahrten wahren Religion zu vereinigen, und so an und aus sich selbst eine neue Zeit, im Gegensatze des untergegangenen Altertums, zu entwickeln. Ferner reicht es hin den Deutschen insbesondre nur im Gegensatze mit den andern neben ihm entstandenen germanischen Völkerstämmen zu bezeichnen; indem andere neueuropäische Nationen, als z. B. die von slavischer Abstammung, sich vor dem übrigen Europa noch nicht so klar entwickelt zu haben scheinen, daß eine bestimmte Zeichnung von ihnen möglich sei, andere aber von der gleichen germanischen Abstammung, von denen der sogleich anzuführende Hauptunterscheidungsgrund nicht gilt, wie die Skandinavier, hier unbezweifelt für Deutsche genommen werden, und unter allen den allgemeinen Folgen unsrer Betrachtung mit begriffen sind.
Vierte Rede, S.58f. […]

Der zu allererst, und unmittelbar der Betrachtung sich darbietende Unterschied zwischen den Schicksalen der Deutschen und der übrigen aus derselben Wurzel erzeugten Stämme ist der, daß die ersten in den ursprünglichen Wohnsitzen des Stammvolks blieben, die letzten in andere Sitze auswanderten, die ersten die ursprüngliche Sprache des Stammvolks behielten und fortbildeten, die letzten eine fremde Sprache annahmen, und dieselbe allmählich nach ihrer Weise umgestalteten. Aus dieser frühesten Verschiedenheit müssen erst die später erfolgten, z. B. daß im ursprünglichen Vaterlande, angemessen germanischer Ursitte, ein Staatenbund unter einem beschränkten Oberhaupte blieb, in den fremden Ländern mehr auf bisherige römische Weise, die Verfassung in Monarchien überging, u. dgl. erklärt werden, keinesweges aber in umgekehrter Ordnung.
Vierte Rede, S.60f. […]

Bedeutender aber, und wie ich dafürhalte, einen vollkommnen Gegensatz zwischen den Deutschen, und den übrigen Völkern germanischer Abkunft begründend, ist die zweite Veränderung, die der Sprache; und kommt es dabei, welches ich gleich zu Anfange bestimmt aussprechen will, weder auf die besondre Beschaffenheit derjenigen Sprache an, welche von diesem Stamme beibehalten, noch auf die der andern, welche von jenem andern Stamme angenommen wird, sondern allein darauf, daß dort Eigenes behalten, hier Fremdes angenommen wird; noch kommt es an auf die vorige Abstammung derer, die eine ursprüngliche Sprache fortsprechen, sondern nur darauf, daß diese Sprache ohne Unterbrechung fortgesprochen werde, indem weit mehr die Menschen von der Sprache gebildet werden, denn die Sprache von den Menschen.

Um die Folgen eines solchen Unterschiedes in der Völkererzeugung, und die bestimmte Art des Gegensatzes in den Nationalzügen, die aus dieser Verschiedenheit notwendig erfolgt, klarzumachen, soweit es hier möglich und nötig ist, muß ich Sie zu einer Betrachtung über das Wesen der Sprache überhaupt einladen.
Die Sprache überhaupt, und besonders die Bezeichnung der Gegenstände in derselben durch das Lautwerden der Sprachwerkzeuge hängt keinesweges von willkürlichen Beschlüssen, und Verabredungen ab, sondern es gibt zuvörderst ein Grundgesetz, nach welchem jedweder Begriff in den menschlichen Sprachwerkzeugen zu diesem, und keinem andern Laute wird. So wie die Gegenstände sich in den Sinnenwerkzeugen des einzelnen mit dieser bestimmten Figur, Farbe, usw. abbilden, so bilden sie sich im Werkzeuge des gesellschaftlichen Menschen, in der Sprache, mit diesem bestimmten Laute ab. Nicht eigentlich redet der Mensch, sondern in ihm redet die menschliche Natur, und verkündiget sich andern seinesgleichen. Und so müßte man sagen: die Sprache ist eine einzige, und durchaus notwendige.

Nun mag zwar, welches das zweite ist, die Sprache in dieser ihrer Einheit für den Menschen schlechtweg, als solchen, niemals, und nirgend hervorgebrochen sein, sondern allenthalben weiter geändert und gebildet durch die Wirkungen, welche der Himmelsstrich, und häufigerer, oder seltnerer Gebrauch, auf die Sprachwerkzeuge, und die Aufeinanderfolge der beobachteten und bezeichneten Gegenstände, auf die Aufeinanderfolge der Bezeichnung hatten. Jedoch findet auch hierin nicht Willkür oder Ohngefähr, sondern strenges Gesetz statt; und es ist notwendig, daß in einem durch die erwähnten Bedingungen also bestimmten Sprachwerkzeuge, nicht die Eine und reine Menschensprache, sondern daß eine Abweichung davon, und zwar, daß gerade diese bestimmte Abweichung davon hervorbreche.

Nenne man die unter denselben äußern Einflüssen auf das Sprachwerkzeug stehenden, zusammenlebenden, und in fortgesetzter Mitteilung ihre Sprache fortbildenden Menschen ein Volk, so muß man sagen: die Sprache dieses Volks ist notwendig so wie sie ist, und nicht eigentlich dieses Volk spricht seine Erkenntnis aus, sondern seine Erkenntnis selbst spricht sich aus aus demselben.

Bei allen im Fortgange der Sprache durch dieselben oben erwähnten Umstände erfolgten Veränderungen bleibt ununterbrochen diese Gesetzmäßigkeit; und zwar für alle, die in ununterbrochner Mitteilung bleiben, und wo das von jedem einzelnen ausgesprochene Neue an das Gehör aller gelangt, dieselbe Eine Gesetzmäßigkeit. Nach Jahrtausenden, und nach allen den Veränderungen, welche in ihnen die äußere Erscheinung der Sprache dieses Volks erfahren hat, bleibt es immer dieselbe Eine, ursprünglich also ausbrechen müssende lebendige Sprachkraft der Natur, die ununterbrochen durch alle Bedingungen herabgeflossen ist, und in jeder so werden mußte, wie sie ward, am Ende derselben so sein mußte, wie sie jetzt ist, und in einiger Zeit also sein wird, wie sie sodann müssen wird. Die reinmenschliche Sprache zusammengenommen zuvörderst mit dem Organe des Volks, als sein erster Laut ertönte; was hieraus sich ergibt, ferner zusammengenommen mit allen Entwicklungen, die dieser erste Laut unter den gegebnen Umständen gewinnen mußte, gibt als letzte Folge die gegenwärtige Sprache des Volks. Darum bleibt auch die Sprache immer dieselbe Sprache.

Lasset immer nach einigen Jahrhunderten die Nachkommen die damalige Sprache ihrer Vorfahren nicht verstehen, weil für sie die Übergänge verlorengegangen sind, dennoch gibt es vom Anbeginn an einen stetigen Übergang, ohne Sprung, immer unmerklich in der Gegenwart, und nur durch Hinzufügung neuer Übergänge bemerklich gemacht, und als Sprung erscheinend. Niemals ist! ein Zeitpunkt eingetreten, da die Zeitgenossen aufgehört hätten sich zu verstehen, indem ihr ewiger Vermittler und Dolmetscher die aus ihnen allen sprechende gemeinsame Naturkraft immerfort war und blieb. So verhält es sich mit der Sprache als Bezeichnung der Gegenstände unmittelbar sinnlicher Wahrnehmung, und dieses ist alle menschliche Sprache anfangs. Erhebt von dieser das Volk sich zu Erfassung des Übersinnlichen, so vermag dieses Übersinnliche zur beliebigen Wiederholung und zur Vermeidung der Verwirrung mit dem Sinnlichen für den ersten einzelnen, und zur Mitteilung und zweckmäßigen Leitung für andere, zuvörderst nicht anders festgehalten zu werden, denn also, daß ein Selbst als Werkzeug einer übersinnlichen Welt, bezeichnet, und von demselben Selbst, als Werkzeug der sinnlichen Welt, genau unterschieden werde — eine Seele, Gemüt u. dgl. einem körperlichen Leibe entgegengesetzt werde.

Ferner könnten die verschiedenen Gegenstände dieser übersinnlichen Welt, da sie insgesamt nur in jenem übersinnlichen Werkzeuge erscheinen, und für dasselbe da sind, in der Sprache nur dadurch bezeichnet werden, daß gesagt werde, ihr besonderes Verhältnis zu ihrem Werkzeuge sei also, wie das Verhältnis der und der bestimmten sinnlichen Gegenstände zum sinnlichen Werkzeuge, und daß in diesem Verhältnis ein besonderes Übersinnliches einem besondern Sinnlichen gleichgesetzt, und durch diese Gleichsetzung sein Ort im übersinnlichen Werkzeuge durch die Sprache angedeutet werde. Weiter vermag in diesem Umkreise die Sprache nichts; sie gibt ein sinnliches Bild des Übersinnlichen bloß mit der Bemerkung, daß es ein solches Bild sei; wer zur Sache selbst kommen will, muß nach der durch das Bild ihm angegebenen Regel sein eigenes geistiges Werkzeug in Bewegung setzen. — Im allgemeinen erhellet, daß diese sinnbildliche Bezeichnung des Übersinnlichen jedesmal nach der Stufe der Entwicklung des sinnlichen Erkenntnisvermögens unter dem gegebenen Volke sich richten müsse; daß daher der Anfang und Fortgang dieser sinnbildlichen Bezeichnung in verschiedenen Sprachen sehr verschieden ausfallen werde, nach der Verschiedenheit des Verhältnisses, das zwischen der sinnlichen, und geistigen Ausbildung des Volkes, das eine Sprache redet, stattgefunden, und fortwährend stattfindet.

Wir beleben zuvörderst diese in sich klare Bemerkung durch ein Beispiel. Etwas, das zufolge der in der vorigen Rede erklärten Erfassung des Grundtriebes nicht erst durch das dunkle Gefühl, sondern sogleich durch klare Erkenntnis entsteht, dergleichen jedesmal ein übersinnlicher Gegenstand ist, heißt mit einem griechischen, auch in der deutschen Sprache häufig gebrauchten Worte, eine I d e e, und dieses Wort gibt genau dasselbe Sinnbild, was in der deutschen das Wort Gesicht, wie dieses in folgenden Wendungen der Lutherischen Bibelübersetzung: ihr werdet Gesichte sehen, ihr werdet Träume haben, vorkommt. Idee oder Gesicht in sinnlicher Bedeutung wäre etwas, das nur durch das Auge des Leibes, keinesweges aber durch einen andern Sinn, etwa der Betastung, des Gehörs usw. erfaßt werden könnte, so wie etwa ein Regenbogen, oder die Gestalten, welche im Traume vor uns vorübergehen.

Dasselbe in übersinnlicher Bedeutung hieße zuvörderst, zufolge des Umkreises in dem das Wort gelten soll, etwas, das gar nicht durch den Leib, sondern nur durch den Geist erfaßt wird, sodann, das auch nicht durch das dunkle Gefühl des Geistes, wie manches andere, sondern allein durch das Auge desselben, die klare Erkenntnis, erfaßt werden kann. Wollte man nun etwa ferner annehmen, daß den Griechen bei dieser sinnbildlichen Bezeichnung allerdings der Regenbogen, und die Erscheinungen der Art, zum Grunde gelegen, so mußte man gestehen, daß ihre sinnliche Erkenntnis schon vorher sich zur Bemerkung des Unterschiedes zwischen den Dingen, daß einige sich allen oder mehrern Sinnen, einige sich bloß dem Auge offenbaren, erhoben haben müsse, und daß außerdem sie den entwickelten Begriff, wenn er ihnen klar geworden wäre, nicht also, sondern anders hätten bezeichnen müssen. Es würde sodann auch ihr Vorzug in geistiger Klarheit erhellen etwa vor einem andern Volke, das den Unterschied zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem nicht durch ein aus dem besonnenen Zustande des Wachens hergenommenes Sinnbild habe bezeichnen können, sondern zum Traume seine Zuflucht genommen, um ein Bild für eine andere Welt zu finden; zugleich würde einleuchten, daß dieser Unterschied nicht etwa durch die größere oder geringere Stärke des Sinns fürs Übersinnliche in den beiden Völkern, sondern daß er lediglich durch die Verschiedenheit ihrer sinnlichen Klarheit, damals, als sie Übersinnliches bezeichnen wollten, begründet sei.

So richtet alle Bezeichnung des Übersinnlichen sich nach dem Umfange und der Klarheit der sinnlichen Erkenntnis desjenigen, der da bezeichnet. Das Sinnbild ist ihm klar, und drückt ihm das Verhältnis des Begriffenen zum geistigen Werkzeuge vollkommen verständlich aus, denn dieses Verhältnis wird ihm erklärt durch ein anderes unmittelbar lebendiges Verhältnis zu seinem sinnlichen Werkzeuge. Diese also entstandene neue Bezeichnung, mit aller der neuen Klarheit, die durch diesen erweiterten Gebrauch des Zeichens die sinnliche Erkenntnis selber bekommt, wird nun niedergelegt in der Sprache; und die mögliche künftige übersinnliche Erkenntnis wird nun nach ihrem Verhältnisse zu der ganzen in der gesamten Sprache niedergelegten übersinnlichen und sinnlichen Erkenntnis bezeichnet; und so geht es ununterbrochen fort; und so wird denn die unmittelbare Klarheit und Verständlichkeit der Sinnbilder niemals abgebrochen, sondern sie bleibt ein stetiger Fluß. —

Ferner, da die Sprache nicht durch Willkür vermittelt, sondern als unmittelbare Naturkraft aus dem verständigen Leben ausbricht, so hat eine ohne Abbruch nach diesem Gesetze fortentwickelte Sprache auch die Kraft, unmittelbar einzugreifen in das Leben, und dasselbe anzuregen. Wie die unmittelbar gegenwärtigen Dinge den Menschen bewegen, so müssen auch die Worte einer solchen Sprache den bewegen, der sie versteht, denn auch sie sind Dinge, keinesweges willkürliches Machwerk. So zunächst im Sinnlichen. Nicht anders jedoch auch im Übersinnlichen. Denn obwohl in Beziehung auf das letztere der stetige Fortgang der Naturbeobachtung durch freie Besinnung und Nachdenken unterbrochen wird, und hier gleichsam der unbildliche Gott eintritt; so versetzt dennoch die Bezeichnung durch die Sprache das Unbildliche auf der Stelle in den stetigen Zusammenhang des Bildlichen zurück; und so bleibt auch in dieser Rücksicht der stetige Fortgang der zuerst als Naturkraft ausgebrochenen Sprache ununterbrochen, und es tritt in den Fluß der Bezeichnung keine Willkür ein. Es kann darum auch dem übersinnlichen Teile einer also stetig fortentwickelten Sprache seine Leben anregende Kraft auf den, der nur sein geistiges Werkzeug in Bewegung setzt, nicht entgehen. Die Worte einer solchen Sprache in allen ihren Teilen sind Leben, und schaffen Leben. — Machen wir auch in Rücksicht der Entwickelung der Sprache für das Übersinnliche die Voraussetzung, daß das Volk dieser Sprache in ununterbrochener Mitteilung geblieben, und daß, was Einer gedacht, und ausgesprochen, bald an alle gekommen, so gilt, was bisher im allgemeinen gesagt worden, für alle, die diese Sprache reden. Allen, die nur denken wollen, ist das in der Sprache niedergelegte Sinnbild klar; allen, die da wirklich denken, ist es lebendig, und anregend ihr Leben.

So verhält es sich, sage ich, mit einer Sprache, die von dem ersten Laute an, der in demselben Volke ausbrach, ununterbrochen aus dem wirklichen gemeinsamen Leben dieses Volks sich entwickelt hat, und in die niemals ein Bestandteil gekommen, der nicht eine wirklich erlebte Anschauung dieses Volks, und eine mit allen übrigen Anschauungen desselben Volks im allseitig eingreifenden Zusammenhange stehende Anschauung ausdrückte. Lasset dem Stammvolke dieser Sprache noch so viel einzelne andern Stammes, und anderer Sprache einverleibt werden; wenn es diesen nur nicht verstattet wird, den Umkreis ihrer Anschauungen zu dem Standpunkte, von welchem von nun an die Sprache sich fortentwickle, zu erheben, so bleiben diese stumm in der Gemeine, und ohne Einfluß auf die Sprache, so lange, bis sie selbst in den Umkreis der Anschauungen des Stammvolkes hineingekommen sind, und so bilden nicht sie die Sprache, sondern die Sprache bildet sie.
Vierte Rede, S.61ff. […]

Somit ist unsre nächste Aufgabe, den unterscheidenden Grundzug des Deutschen vor den andern Völkern germanischer Abkunft zu finden, gelöst. Die Verschiedenheit ist sogleich bei der ersten Trennung des gemeinschaftlichen Stamms entstanden, und besteht darin, daß der Deutsche eine bis zu ihrem ersten Ausströmen aus der Naturkraft lebendige Sprache redet, die übrigen germanischen Stämme eine nur auf der Oberfläche sich regende, in der Wurzel aber tote Sprache. Allein in diesen Umstand, in die Lebendigkeit, und in den Tod, setzen wir den Unterschied; keinesweges aber lassen wir uns ein auf den übrigen innern Wert der deutschen Sprache. Zwischen Leben und Tod findet gar keine Vergleichung statt, und das erste hat vor dem letzten unendlichen Wert; darum sind alle unmittelbare Vergleichungen der deutschen und der neulateinischen Sprachen durchaus nichtig, und sind gezwungen von Dingen zu reden, die der Rede nicht wert sind. Sollte vom innern Werte der deutschen Sprache die Rede entstehen. so müßte wenigstens eine von gleichem Range, eine ebenfalls ursprüngliche, als etwa die griechische, den Kampfplatz betreten; unser gegenwärtiger Zweck aber liegt tief unter einer solchen Vergleichung.

Welchen unermeßlichen Einfluß auf die ganze menschliche Entwicklung eines Volks die Beschaffenheit seiner Sprache haben möge, der Sprache, welche den einzelnen bis in die geheimste Tiefe seines Gemüts bei Denken, und Wollen begleitet, und beschränkt oder beflügelt, welche die gesamte Menschenmenge, die dieselbe redet, auf ihrem Gebiete zu einem einzigen gemeinsamen Verstande verknüpft, welche der wahre gegenseitige Durchströmungspunkt der Sinnenwelt, und der der Geister ist, und die Enden dieser beiden also ineinander verschmilzt, daß gar nicht zu sagen ist, zu welcher von beiden sie selber gehöre; wie verschieden die Folge dieses Einflusses ausfallen möge, da, wo das Verhältnis ist, wie Leben, und Tod, läßt sich im allgemeinen erraten. Zunächst bietet sich dar, daß der Deutsche ein Mittel hat seine lebendige Sprache durch Vergleichung mit der abgeschlossnen römischen Sprache, die von der seinigen im Fortgange der Sinnbildlichkeit gar sehr abweicht, noch tiefer zu ergründen, wie hinwiederum jene auf demselben Wege klarer zu verstehen, welches dem Neulateiner, der im Grunde in dem Umkreise derselben Einen Sprache gefangen bleibt, nicht also möglich ist; daß der Deutsche, indem er die römische Stammsprache lernt, die abgestammten gewissermaßen zugleich mit erhält, und falls er etwa die erste gründlicher lernen sollte, denn der Ausländer, welches er aus dem angeführten Grunde gar wohl vermag, er zugleich auch dieses Ausländers eigene Sprachen weit gründlicher verstehen und weit eigentümlicher besitzen lernt, denn jener selbst, der sie redet; daß daher, der Deutsche, wenn er sich nur aller seiner Vorteile bedient, den Ausländer immerfort übersehen, und ihn vollkommen, sogar besser, denn er sich selbst, verstehen, und ihn, nach seiner ganzen Ausdehnung übersetzen kann; dagegen der Ausländer, ohne eine höchst mühsame Erlernung der deutschen Sprache, den wahren Deutschen niemals verstehen kann, und das echt Deutsche ohne Zweifel unübersetzt lassen wird. Was in diesen Sprachen man nur vom Ausländer selbst lernen kann, sind meistens aus Langeweile und Grille entstandene neue Moden des Sprechens, und man ist sehr bescheiden, wenn man auf diese Belehrungen eingeht. Meistens würde man stattdessen ihnen zeigen können, wie sie der Stammsprache und ihrem Verwandlungsgesetze gemäß, sprechen sollten, und daß die neue Mode nichts tauge, und gegen die althergebrachte gute Sitte verstoße. —
Vierte Rede, S.72f. […]

Die erste Folge von dem aufgestellten Grundunterschiede, die ich angab, war die: beim Volke der lebendigen Sprache greife die Geistesbildung ein in das Leben; beim Gegenteile gehe geistige Bildung und Leben jedes für sich seinen Gang fort. Es wird nützlich sein, zuvörderst den Sinn des aufgestellten Satzes tiefer zu erklären. Zuvörderst, indem hier vom Leben, und von dem Eingreifen der geistigen Bildung in dasselbe geredet wird, so ist darunter zu verstehen das ursprüngliche Leben, und sein Fortfluß aus dem Quell alles geistigen Lebens, aus Gott, die Fortbildung der menschlichen Verhältnisse nach ihrem Urbilde, und so die Erschaffung eines Neuen, und vorher nie Dagewesenen; keinesweges aber ist die Rede von der bloßen Erhaltung jener Verhältnisse auf der Stufe, wo sie schon stehen, gegen Herabsinken, und noch weniger, vom Nachhelfen einzelner Glieder, die hinter der allgemeinen Ausbildung zurückgeblieben. Sodann, wenn von geistiger Bildung die Rede ist, so ist darunter zu allererst die Philosophie, — wie wir dies mit dem ausländischen Namen bezeichnen müssen, da die Deutschen sich den vorlängst vorgeschlagenen deutschen Namen nicht haben gefallen lassen, die Philosophie, sage ich, ist zu allererst darunter zu verstehen; denn diese ist es, welche das ewige Urbild alles geistigen Lebens wissenschaftlich erfasset. Von dieser und von aller auf sie gegründeten Wissenschaft wird nun gerühmt, daß beim Volke der lebendigen Sprache sie einfließe in das Leben.
Fünfte Rede, S.76 […]

Die Philosophie, als freies, von allen Fesseln des Glaubens an fremdes Ansehen erledigtes Denken, sei es, wodurch dermalen das Ausland sein Mutterland anrege, haben wir in der vorigen Rede ersehen. Wo es nun von dieser Anregung aus nicht zur neuen Schöpfung gekommen, welches, da die letzte von der großen Mehrzahl unvernommen geblieben, bei äußerst wenigen der Fall ist: da gestaltet sich teils noch jene, schon früher bezeichnete Philosophie des Auslandes selber zu andern und andern Formen; teils bemächtiget sich der Geist derselben auch der übrigen an die Philosophie zunächst grenzenden Wissenschaften, und sieht an dieselben aus seinem Gesichtspunkte; endlich, da der Deutsche seinen Ernst, und sein unmittelbares Eingreifen in das Leben doch niemals ablegen kann, so fließt diese Philosophie ein auf die öffentliche Lebensweise, und auf die Grundsätze und Regeln derselben. Wir werden dies Stück für Stück dartun.
Zuvörderst und vor allen Dingen: der Mensch bildet seine wissenschaftliche Ansicht nicht etwa mit Freiheit und Willkür, so oder so, sondern sie wird ihm gebildet durch sein Leben, und ist eigentlich die zur Anschauung gewordene innere, und übrigens ihm unbekannte Wurzel seines Lebens selbst. Was du so recht innerlich eigentlich bist, das tritt heraus vor dein äußeres Auge, und du vermöchtest niemals etwas anderes zu sehen. Solltest du anders sehen, so müßtest du erst anders werden. Nun ist das innere Wesen des Auslandes, oder der Nichtursprünglichkeit, der Glaube an irgendein Letztes, Festes, unveränderlich Stehendes, an eine Grenze, diesseit welcher zwar das freie Leben sein Spiel treibe, welche selbst aber es niemals zu durchbrechen, und durch sich flüssig zu machen, und sich in dieselbe zu verflößen vermöge. Diese undurchdringliche Grenze tritt ihm darum irgendwo notwendig auch vor die Augen, und es kann nicht anders denken oder glauben, außer unter Voraussetzung einer solchen, wenn nicht sein ganzes Wesen umgewandelt, und sein Herz ihm aus dem Leibe gerissen werden soll. Es glaubt notwendig an den Tod, als das Ursprüngliche, und Letzte, den Grundquell aller Dinge, und mit ihnen des Lebens.

Wir haben hier nur zunächst anzugeben, wie dieser Grundglaube des Auslandes unter den Deutschen dermalen sich ausspreche.

.Er spricht sich aus zuvörderst in der eigentlichen Philosophie. Die dermalige deutsche Philosophie, inwifern dieselbe hier der Erwähnung wert ist, will Gründlichkeit und wissenschaftliche Form, ohnerachtet sie dieselbe nicht zu erschwingen vermag, sie will Einheit, auch nicht ohne frühern Vorgang des Auslandes, sie will Realität, und Wesen — nicht bloße Erscheinung, sondern eine in der Erscheinung erscheinende Grundlage dieser Erscheinung, und hat in allen diesen Stücken recht, und übertrifft sehr weit die herrschenden Philosophien des dermaligen auswärtigen Auslandes, indem sie in der Ausländerei weit gründlicher, und folgebeständiger ist, denn jenes. Diese der bloßen Erscheinung unterzulegende Grundlage ist ihnen nun, wie sie sie auch etwa noch fehlerhafter weiterbestimmen mögen, immer ein festes Sein, das da ist, was es eben ist, und nichts weiter, in sich gefesselt, und an sein eigenes Wesen gebunden; und so tritt denn der Tod, und die Entfremdung von der Ursprünglichkeit, die in ihnen selbst sind, auch heraus vor ihre Augen. Weil sie selbst nicht zum Leben schlechtweg, aus sich selber heraus, sich aufzuschwingen vermögen, sondern für freien Aufflug stets eines Trägers und einer Stütze bedürfen, darum kommen sie auch mit ihrem Denken, als dem Abbilde ihres Lebens, nicht über diesen Träger hinaus: das, was nicht Etwas ist, ist ihnen notwendig Nichts, weil, zwischen jenem in sich verwachsenen Sein, und dem Nichts, ihr Auge nichts weiter sieht, da ihr Leben da nichts weiter hat. Ihr Gefühl, worauf auch allein sie sich berufen können, erscheint ihnen als untrüglich; und so jemand diesen Träger nicht zugibt, so sind sie weit entfernt von der Voraussetzung, daß er mit dem Leben allein sich begnüge, sondern sie glauben, daß es ihm nur an Scharfsinn fehle, den Träger, der ohne Zweifel auch ihn trage, zu bemerken, und daß er der Fähigkeit, sich zu ihren hohen Ansichten aufzuschwingen, ermangle. Es ist darum vergeblich, und unmöglich, sie zu belehren; machen müßte man sie, und anders machen, wenn man könnte. In diesem Teile ist nun die dermalige deutsche Philosophie nicht deutsch, sondern Ausländerei.

Die wahre in sich selbst zu Ende gekommene und über die Erscheinung hinweg wahrhaft zum Kerne derselben durchgedrungene Philosophie hingegen geht aus von dem Einen, reinen, göttlichen Leben, — als Leben schlechtweg, welches es auch in alle Ewigkeit, und darin immer Eines bleibt, nicht aber als von diesem oder jenem Leben; und sie sieht, wie lediglich in der Erscheinung dieses Leben unendlich fort sich schließe und wiederum öffne, und erst diesem Gesetze zufolge es zu einem Sein und zu einem Etwas überhaupt komme. Ihr entsteht das Sein, was jene sich vorausgeben läßt. Und so ist denn diese Philosophie recht eigentlich nur deutsch, d. i. ursprünglich; und umgekehrt, so jemand nur ein wahrer Deutscher würde, so würde er nicht anders denn also philosophieren können.

Siebente Rede, S.107ff. […]


Das höchste Gesetz der Ersichtlichkeit ist wie gesagt dies, daß das Erscheinende sich spalte in ein unendliches Mannigfaltiges. Jenes Mehr wird sichtbar, jedesmal als mehr, denn das nun und eben jetzt aus dem Zusammenhange der Erscheinung Hervorgehende, und so ins Unendliche fort; und so erscheint denn dieses Mehr selber als ein Unendliches. Aber es ist ja sonnenklar, daß es diese Unendlichkeit nur dadurch erhält, daß es jedesmal sichtbar, und denkbar, und zu entdecken ist, allein durch seinen Gegensatz mit dem ins Unendliche fort aus dem Zusammenhange Erfolgenden, und durch sein Mehrsein denn dies. Abgesehen aber von diesem Bedürfnisse des Denkens desselben ist es ja dieses Mehr, denn alles ins Unendliche fort sich darstellen mögende Unendliche, von Anbeginn in reiner Einfachheit und Unveränderlichkeit, und es wird in aller Unendlichkeit nicht mehr, denn dieses Mehr, noch wird es minder; und nur seine Ersichtlichkeit, als Mehr denn das Unendliche, — und auf andere Weise kann es in seiner höchsten Reinheit nicht sichtbar werden, — erschafft das Unendliche, und alles, was in ihm zu erscheinen scheint. Wo nun dieses Mehr wirklich, als ein solches ersichtliches Mehr eintritt, aber es vermag nur in einem Wollen einzutreten, da tritt das Wesen selbst, das allein ist, und allein zu sein vermag, und das da ist von sich und durch sich, das göttliche Wesen, ein in die Erscheinung, und macht sich selbst unmittelbar sichtbar; und daselbst ist eben darum wahre Ursprünglichkeit und Freiheit, und so wird denn auch an sie geglaubt.

Und so findet denn auf die allgemeine Frage, ob der Mensch frei sei oder nicht, keine allgemeine Antwort statt; denn eben weil der Mensch frei ist, in niederm Sinne, weil er bei unentschiedenem Schwanken, und Wanken anhebt, kann er frei sein, oder auch nicht frei, im höhern Sinne des Worts. In der Wirklichkeit ist de Weise, wie jemand diese Frage beantwortet, der klare Spiegel seines wahren inwendigen Seins. Wer in der Tat nicht mehr ist, als ein Glied in der Kette der Erscheinungen, der kann wohl einen Augenblick sich frei wähnen, aber seinem strengern Denken hält dieser Wahn nicht stand; wie er aber sich selbst findet, eben also denkt er notwendig sein ganzes Geschlecht. Wessen Leben dagegen ergriffen ist von dem Wahrhaftigen, und Leben unmittelbar aus Gott geworden ist, der ist frei, und glaubt an Freiheit in sich und andern.

Wer an ein festes beharrliches, und totes Sein glaubt, der glaubt nur darum daran, weil er in sich selbst tot ist; und, nachdem er einmal tot ist, kann er mehr anders, denn also glauben, sobald er nur in sich selbst klar wird. Er selbst und seine ganze Gattung von Anbeginn bis ans Ende wird ihm ein zweites, und eine notwendige Folge aus irgendeinem vorauszusetzenden ersten Gliede. Diese Voraussetzung ist sein wirkliches, keinesweges ein bloß gedachtes Denken, sein wahrer Sinn, der Punkt, wo sein Denken unmittelbar selbst Leben ist; und ist so die Quelle alles seines übrigen Denkens, und Beurteilens seines Geschlechts, in seiner Vergangenheit, der Geschichte, seiner Zukunft, den Erwartungen von ihm, und seiner Gegenwart, im wirklichen Leben an ihm selber, und andern. Wir haben diesen Glauben an den Tod, im Gegensatze mit einem ursprünglich lebendigen Volke Ausländerei genannt. Diese Ausländerei wird somit, wenn sie einmal unter den Deutschen ist, sich auch im wirklichen Leben derselben zeigen, als ruhige Ergebung in die nun einmal unabänderliche Notwendigkeit ihres Seins, als Aufgeben aller Verbesserung unsrer selbst oder andrer durch Freiheit, als Geneigtheit, sich selbst, und alle, so zu verbrauchen, wie sie sind, und aus ihrem Sein den möglichst größten Vorteil für uns selbst zu ziehen; kurz, als das in allen Lebensregungen immerfort sich abspiegelnde Bekenntnis des Glaubens an die allgemeine und gleichmäßige Sündhaftigkeit aller, den ich an einem andern Orte hinlänglich geschildert habe, welche Schilderung selbst nachzulesen, auch zu beurteilen, inwiefern dieselbe auf die Gegenwart passe, ich Ihnen überlasse.

Diese Denk- und Handelsweise entsteht der inwendigen Erstorbenheit, wie oft erinnert worden, nur dadurch, daß sie über sich selbst klar wird, dagegen sie, so lange sie im Dunkeln bleibt, den Glauben an Freiheit, der an sich wahr, und nur in Anwendung auf ihr dermaliges Sein Wahn ist, beibehält. Es erhellet hier deutlich der Nachteil der Klarheit bei innerer Schlechtigkeit. So lange diese Schlechtigkeit dunkel bleibt, wird sie durch die fortdauernde Anforderung an Freiheit immerfort beunruhigt, gestachelt, und getrieben, und bietet den Versuchen sie zu verbessern, einen Angriffspunkt dar. Die Klarheit aber vollendet sie, und rundet sie in sich selbst ab; sie fügt ihr die freudige Ergebung, die Ruhe eines guten Gewissens, das Wohlgefallen an sich selber hinzu; es geschieht ihnen, wie sie glauben, sie sind von nun an in der Tat unverbesserlich, und höchstens, um bei den Besseren den unbarmherzigen Abscheu gegen das Schlechte, oder die Ergebung in den Willen Gottes rege zu erhalten, und außerdem zu keinem Dinge in der Welt nütze.

Und so trete denn endlich in seiner vollendeten Klarheit heraus, was wir in unsrer bisherigen Schilderung unter Deutschen verstanden haben. Der eigentliche Unterscheidungsgrund liegt darin, ob man an ein absolut Erstes und Ursprüngliches im Menschen selber, an Freiheit, an unendliche Verbesserlichkeit, an ewiges Fortschreiten unsers Geschlechts glaube, oder ob man an alles dieses nicht glaube, ja wohl deutlich einzusehen, und zu begreifen vermeine, daß das Gegenteil von diesem allen stattfinde. Alle, die entweder selbst, schöpferisch, und hervorbringend das Neue, leben, oder, die, falls ihnen dies nicht zuteil geworden wäre, das Nichtige wenigstens entschieden fallen lassen, und aufmerkend dastehen, ob irgendwo der Fluß ursprünglichen Lebens sie ergreifen werde, oder die, falls sie auch nicht so weit wären, die Freiheit wenigstens ahnden, und sie nicht hassen, oder vor ihr erschrecken, sondern sie lieben: alle diese sind ursprüngliche Menschen, sie sind, wenn sie als ein Volk betrachtet werden, ein Urvolk, das Volk schlechtweg, Deutsche.

Alle, die sich darein ergeben ein Zweites zu sein, und Abgestammtes, und die deutlich sich also kennen und begreifen, sind es in der Tat, und werden es immer mehr durch diesen ihren Glauben, sie sind ein Anhang zum Leben, das vor ihnen, oder neben ihnen, aus eignem Triebe sich regte, ein vom Felsen zurücktönender Nachhall einer schon verstummten Stimme, sie sind, als Volk betrachtet, außerhalb des Urvolks, und für dasselbe Fremde, und Ausländer. In der Nation, die bis auf diesen Tag sich das Volk schlechtweg, oder Deutsche nennt, ist in der neuen Zeit wenigstens bis jetzt Ursprüngliches, an den Tag hervorgebrochen, und Schöpferkraft des Neuen hat sich gezeigt; jetzt wird endlich dieser Nation durch eine in sich selbst klar gewordene Philosophie der Spiegel vorgehalten, in welchem sie mit klarem Begriffe erkenne, was sie bisher ohne deutliches Bewußtsein durch die Natur ward, und wozu sie von derselben bestimmt ist; und es wird ihr der Antrag gemacht, nach diesem klaren Begriffe, und mit besonnener und freier Kunst, vollendet und ganz, sich selbst zu dem zu machen, was sie sein soll, den Bund zu erneuern, und ihren Kreis zu schließen. Der Grundsatz, nach dem sie diesen zu schließen hat, ist ihr vorgelegt; was an Geistigkeit, und Freiheit dieser Geistigkeit glaubt, und die ewige Fortbildung dieser Geistigkeit durch Freiheit will, das, wo es auch geboren sei, und in welcher Sprache es rede, ist unsers Geschlechts, es gehört uns an und es wird sich zu uns tun. Was an Stillstand, Rückgang, und Zirkeltanz glaubt, oder gar eine tote Natur an das Ruder der Weltregierung setzt, dieses, wo auch es geboren sei, und welche Sprache es rede, ist undeutsch, und fremd für uns, und es ist zu wünschen, daß es je eher je lieber sich gänzlich von uns abtrenne.

Und so trete denn bei dieser Gelegenheit, gestützt auf das oben über die Freiheit Gesagte, endlich auch einmal vernehmlich heraus, und wer noch Ohren hat zu hören, der höre, was diejenige Philosophie, die mit gutem Fuge sich die deutsche nennt, eigentlich wolle, und worin sie jeder ausländischen, und rodgläubigen Philosophie mit ernster, und unerbittlicher Strenge sich entgegensetze; und zwar trete dieses heraus keinesweges darum, damit auch das Tote es verstehe, was unmöglich ist, sondern damit es diesem schwerer werde, ihr die ,Worte zu verdrehen, und sich das Ansehn zu geben, als ob es selbst eben auch ohngefähr dasselbe wolle und im Grunde meine. Diese deutsche Philosophie erhebt sich wirklich und durch die Tat ihres Denkens, keinesweges prahlt sie es bloß, zufolge einer dunklen Ahndung, daß es so sein müsse, ohne es jedoch bewerkstelligen zu können, — sie erhebt sich zu dem unwandelbaren »Mehr denn alle Unendlichkeit«, und findet allein in diesem das wahrhafte Sein. Zeit, und Ewigkeit, und Unendlichkeit erblickt sie in ihrer Entstehung aus dem Erscheinen und Sichtbarwerden jenes Einen, das an sich schlechthin unsichtbar ist, und nur in dieser seiner Unsichtbarkeit erfaßt, richtig erfaßt wird. Schon die Unendlichkeit ist, nach dieser Philosophie, nichts an sich, und es kommt ihr durchaus kein wahrhaftes Sein zu; sie ist lediglich das Mittel, woran das einzige, das da ist, und das nur in seiner Unsichtbarkeit ist, sichtbar wird, und woraus ihm ein Blick, ein Schemen und Schatten seiner selbst, im Umkreise der Bildlichkeit erbaut wird. Alles, was innerhalb dieser Unendlichkeit der Bilderwelt noch weiter sichtbar werden mag, ist nun vollends ein Nichts des Nichts, ein Schatten des Schatten, und lediglich das Mittel, woran jenes erste Nichts der Unendlichkeit und der Zeit selber sichtbar werde, und dem Gedanken der Aufflug zu dem unbildlichen, und unsichtbaren Sein sich eröffne.

Innerhalb dieses einzig möglichen Bildes der Unendlichkeit tritt nun das Unsichtbare unmittelbar heraus nur als freies und ursprüngliches Leben des Sehens; oder als Willensentschluß eines vernünftigen Wesens, und kann durchaus nicht anders heraustreten und erscheinen. Alles als nicht geistiges Leben erscheinende beharrliche Dasein ist nur ein aus dem Sehen hingeworfener, vielfach durch das Nichts vermittelter, leerer Schatten, im Gegensatze mit welchem, und durch dessen Erkenntnis als vielfach vermitteltes Nichts, das Sehen selbst sich eben erheben soll zum Erkennen seines eignen Nichts und zur Anerkennung des Unsichtbaren, als des einzigen Wahren.

In diesen Schatten von den Schatten der Schatten bleibt nun jene todgläubige Seinsphilosophie, die wohl gar Naturphilosophie wird, die erstorbenste von allen Philosophien, behangen, und fürchtet, und betet an ihr eigenes Geschöpf.

Dieses Beharren nun ist der Ausdruck ihres wahren Lebens, und ihrer Liebe, und in diesem ist dieser Philosophie zu glauben. Wenn sie aber noch weiter sagt, daß dieses von ihr als wirklich seiendes vorausgesetzte Sein, und das Absolute, Eins sei, und ebendasselbe, so ist ihr hierin, so vielmal sie es auch beteuern mag, und wenn sie auch manchen Eidschwur hinzufügte, nicht zu glauben; sie weiß dies nicht, sondern sie sagt es nur auf gutes Glück hin, einer andern Philosophie, der sie dies nicht abzustreiten wagt, es nachbetend. Sollte sie es wissen, so müßte sie nicht von der Zweiheit, die sie durch jenen Machtspruch nur aufhebt, und dennoch stehen läßt, als einer unbezweifelten Tatsache ausgehen, sondern sie müßte von der Einheit ausgehen, und aus dieser die Zweiheit, und mit ihr alle Mannigfaltigkeit verständlich und einleuchtend abzuleiten vermögen. Hierzu bedarf es aber des Denkens, der durchgeführten, und mit sich selbst zu Ende gekommenen Reflexion. Die Kunst dieses Denkens hat sie teils nicht gelernt, und ist derselben überhaupt unfähig, sie vermag nur zu schwärmen, teils ist sie diesem Denken feind, und mag es gar nicht versuchen, weil sie dadurch in der geliebten Täuschung gestört werden würde.

Dies ist es nun, worin unsere Philosophie sich jener Philosophie ernstlich entgegensetzt, und dies haben wir bei dieser Veranlassung einmal so vernehmlich als möglich, aussprechen, und bezeugen wollen.
Siebente Rede, S.118ff. […]

Sind wir bisher im Gange unsrer Untersuchung richtig verfahren, so muß hiebei zugleich erhellen, daß nur der Deutsche — der ursprüngliche, und nicht in einer willkürlichen Satzung erstorbene Mensch, wahrhaft ein Volk hat, und auf eins zu rechnen befugt ist, und daß nur er der eigentlichen und vernunftgemäßen Liebe zu seiner Nation fähig ist.

Wir bahnen uns den Weg zur Lösung der gestellten Aufgabe durch folgende, fürs erste außer dem Zusammenhange des Bisherigen zu liegen scheinende Bemerkung.

Die Religion, wie wir dies schon in unsrer dritten Rede angemerkt haben, vermag durchaus hinwegzuversetzen über alle Zeit, und über das ganze gegenwärtige, und sinnliche Leben, ohne darum der Rechtlichkeit, Sittlichkeit, und Heiligkeit des von diesem Glauben ergriffenen Lebens den mindesten Abbruch zu tun. Man kann, auch bei der sichern Überzeugung, daß alles unser Wirken auf dieser Erde nicht die mindeste Spur hinter sich lassen, und nicht die mindeste Frucht bringen werde, ja, daß das Göttliche sogar verkehrt, und zu einem Werkzeuge des Bösen und noch tieferer sittlicher Verderbnis werde gebraucht werden, dennoch fortfahren in diesem Wirken, lediglich, um das in uns ausgebrochene göttliche Leben aufrecht zu erhalten, und in Beziehung auf eine höhere Ordnung der Dinge in einer künftigen Welt, in welcher nichts in Gott Geschehenes zugrunde geht.

So waren z. B. die Apostel, und überhaupt die ersten Christen, durch ihren Glauben an den Himmel, schon im Leben gänzlich über die Erde hinweggesetzt, und die Angelegenheiten derselben, der Staat, irdisches Vaterland, und Nation, waren von ihnen so gänzlich aufgegeben, daß sie dieselben auch sogar ihrer Beachtung nicht mehr würdigten. So möglich dieses nun auch ist, und so leicht auch, dem Glauben, und so freudig auch man sich darein ergeben muß, wenn es einmal unabänderlich der Wille Gottes ist, daß wir kein irdisches Vaterland mehr haben, und hienieden Ausgestoßne, und Knechte seien: so ist dies dennoch nicht der natürliche Zustand, und die Regel des Weltganges, sondern es ist eine seltne Ausnahme; auch ist es ein sehr verkehrter Gebrauch der Religion, der unter andern auch sehr häufig vom Christentume gemacht worden, wenn dieselbe gleich von vornherein, und ohne Rücksicht auf die vorhandenen Umstände, darauf ausgeht, diese Zurückziehung von den Angelegenheiten des Staates, und der Nation, als wahre religiöse Gesinnung zu empfehlen.

In einer solchen Lage, wenn sie wahr und wirklich ist, und nicht etwa bloß durch religiöse Schwärmerei herbeigeführt, verliert das zeitliche Leben alle Selbstbeständigkeit, und es wird lediglich zu einem Vorhofe des wahren Lebens, und zu einer schweren Prüfung, die man bloß aus Gehorsam, und Ergebung in den Willen Gottes erträgt, und dann ist es wahr, daß, wie es von vielen vorgestellt worden, unsterbliche Geister nur zu ihrer Strafe in irdische Leiber, als in Gefängnisse, eingetaucht sind. In der regelmäßigen Ordnung der Dinge hingegen soll das irdische Leben selber wahrhaftig Leben sein, dessen man sich erfreuen, und das man, freilich in Erwartung eines Höhern, dankbar genießen könne; und obwohl es wahr ist, daß die Religion auch der Trost ist des widerrechtlich zerdrückten Sklaven, so ist dennoch vor allen Dingen dies religiöser Sinn, daß man sich gegen die Sklaverei stemme, und, so man es verhindern kann, die Religion nicht bis zum bloßen Troste der Gefangenen herabsinken lasse. Dem Tyrannen steht es wohl an, religiöse Ergebung zu predigen, und die, denen er auf Erden kein Plätzchen verstatten will, an den Himmel zu verweisen; wir andern müssen weniger eilen, diese von ihm empfohlne Ansicht der Religion uns anzueignen, und, falls wir können, verhindern, daß man die Erde zur Hölle mache, um eine desto größere Sehnsucht nach dem Himmel zu erregen.

Der natürliche, nur im wahren Falle der Not aufzugebende Trieb des Menschen ist der, den Himmel schon auf dieser Erde zu finden, und ewig Dauerndes zu verflößen in sein irdisches Tagewerk; das Unvergängliche im Zeitlichen selbst zu pflanzen, und zu erziehen, — nicht bloß auf eine unbegreifliche Weise, und allein durch die, sterblichen Augen undurchdringbare Kluft mit dem Ewigen zusammenhängend, sondern auf eine dem sterblichen Auge selbst sichtbare Weise.
Daß ich bei diesem gemein faßlichen Beispiele anhebe: Welcher Edeldenkende will nicht, und wünscht nicht, in seinen Kindern und wiederum in den Kindern dieser, sein eigenes Leben von neuem, auf eine verbesserte Weise, zu wiederholen, und in dem Leben derselben veredelt, und vervollkommnet, auch auf dieser Erde, noch fortzuleben, nachdem er längst gestorben ist; den Geist, den Sinn, und die Sitte, mit denen er vielleicht in seinen Tagen abschreckend war für die Verkehrtheit, und das Verderben, befestigend die Rechtschaffenheit, aufmunternd die Trägheit, erhebend die Niedergeschlagenheit, der Sterblichkeit zu entreißen, und sie, als sein bestes Vermächtnis an die Nachwelt, niederzulegen in den Gemütern seiner Hinterlassenen, damit auch diese sie einst eben also, verschönert und vermehrt, wieder niederlegen? Welcher Edeldenkende will nicht durch Tun oder Denken, ein Samenkorn streuen zu unendlicher immer fortgehender Vervollkommnung seines Geschlechts, etwas Neues, und vorher nie Dagewesenes hineinwerfen in die Zeit, das in ihr bleibe, und nie versiegende Quelle werde neuer Schöpfungen; seinen Platz auf dieser Erde, und die ihm verliehene kurze Spanne Zeit bezahlen mit einem auch hienieden ewig Dauernden, so, daß er, als dieser einzelne, wenn auch nicht genannt durch die Geschichte, (denn Durst nach Nachruhm ist eine verächtliche Eitelkeit) dennoch in seinem eignen Bewußtsein und seinem Glauben offenbare, Denkmale hinterlasse, daß auch Er dagewesen sei? Welcher Edeldenkende will das nicht, sagte ich; aber nur nach den Bedürfnissen der also Denkenden, als der Regel, wie alle sein sollten, ist die Welt zu betrachten und einzurichten, und um ihrer willen allein ist eine Welt da. Sie sind der Kern derselben, und die anders Denkenden sind, als selbst nur ein Teil der vergänglichen Welt, solange sie also denken, auch nur um ihrer willen da, und müssen sich nach ihnen bequemen, so lange, bis sie geworden sind, wie sie.

Was könnte es nun sein, das dieser Aufforderung und diesem Glauben des Edlen an die Ewigkeit und Unvergänglichkeit seines Werkes, die Gewähr zu leisten vermöchte? Offenbar nur eine Ordnung der Dinge, die er für selbst ewig, und für fähig, Ewiges in sich aufzunehmen, anzuerkennen vermöchte. Eine solche Ordnung aber ist die, freilich in keinem Begriffe zu erfassende, aber dennoch wahrhaft vorhandne, besondere geistige Natur der menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit allem seinen Denken, und Tun und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist, das Volk, von welchem er abstammt, und unter welchem er gebildet wurde, und zu dem, was er jetzt ist, herauf wuchs. Denn so unbezweifelt es auch wahr ist, daß sein Werk, wenn er mit Recht Anspruch macht auf dessen Ewigkeit, keinesweges der bloße Erfolg des geistigen Naturgesetzes seiner Nation ist, und mit diesem Erfolge rein aufgeht, sondern daß es ein Mehreres ist, denn das, und insofern unmittelbar ausströmt aus dem ursprünglichen und göttlichen Leben; so ist es dennoch ebenso wahr, daß jenes mehrere, sogleich bei seiner ersten Gestaltung zu einer sichtbaren Erscheinung, unter jenes besondere geistige Naturgesetz sich gefügt, und nur nach demselben sich einen sinnlichen Ausdruck gebildet hat. Unter dasselbe Naturgesetz nun werden, solange dieses Volk besteht, auch alle fernere Offenbarungen des Göttlichen in demselben eintreten, und in ihm sich gestalten. Dadurch aber, daß auch er da war, und so wirkte, ist selbst dieses Gesetz Weiter bestimmt, und seine Wirksamkeit ist ein stehender Bestandteil desselben geworden. Auch hienach wird alles Folgende sich fügen, und an dasselbe sich anschließen müssen. Und so ist er denn sicher, daß die durch ihn errungene Ausbildung bleibt in seinem Volke, solange dieses selbst bleibt, und fortdauernder Bestimmungsgrund wird aller Fernern Entwicklung desselben.

Dies nun ist in höherer vom Standpunkte der An¬sicht einer geistigen Welt überhaupt genommener Bedeutung des Worts, ein Volk: das Ganze der in Gesellschaft miteinander fortlebenden, und sich aus sich selbst immerfort natürlich und geistig erzeugenden Menschen, das insgesamt unter einem gewissen besondern Gesetze der Entwicklung des Göttlichen aus ihm steht. Die Gemeinsamkeit dieses besondern Gesetzes ist es, was in der ewigen Welt, und eben darum auch in der zeitlichen, diese Menge zu einem natürlichen, und von sich selbst durchdrungenen Ganzen verbindet. Dieses Gesetz selbst seinem Inhalte nach, kann wohl im ganzen erfaßt werden, so wie wir es an den Deutschen, als einem Urvolke, erfaßt haben; es kann sogar durch Erwägung der Erscheinungen eines solchen Volkes noch näher in manchen seiner weitern Bestimmungen begriffen werden; aber es kann niemals von irgendeinem, der ja selbst immerfort unter desselben ihm unbewußten Einflusse bleibt, ganz mit dem Begriffe durchdrungen werden; obwohl im allgemeinen klar eingesehen werden kann, daß es ein solches Gesetz gebe.

Es ist dieses Gesetz ein Mehr der Bildlichkeit, das mit dem Mehr der unbildlichen Ursprünglichkeit, in der Erscheinung unmittelbar verschmilzt; und so sind denn, in der Erscheinung eben, beide nicht wieder zu trennen. Jenes Gesetz bestimmt durchaus und vollendet das, was man den Nationalcharakter eines Volks genannt hat; jenes Gesetz der Entwicklung des Ursprünglichen, und Göttlichen. Es ist aus dem letztem klar, daß Menschen, welche so wie wir bisher die Aus¬länderei beschrieben haben, an ein Ursprüngliches, und an eine Fortentwicklung desselben gar nicht glauben, son¬dern bloß an einen ewigen Kreislauf des scheinbaren Lebens, und welche durch! ihren Glauben werden, wie sie glauben, im höhern Sinne gar kein Volk sind, und da sie in der Tat eigentlich auch nicht da sind, ebensowenig einen Nationalcharakter zu haben vermögen.

Der Glaube des edlen Menschen an die ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit auch auf dieser Erde gründet sich demnach auf die Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volks, aus dem er selber sich entwickelt hat, und der Eigentümlichkeit desselben, nach jenem verborgenen Gesetze; ohne Einmischung und Verderbung durch irgend¬ein Fremdes, und in das Ganze dieser Gesetzgebung nicht Gehöriges. Diese Eigentümlichkeit ist das Ewige, dem er die Ewigkeit seiner selbst und seines Fortwirkens anvertraut, die ewige Ordnung der Dinge, in die er sein Ewiges legt; ihre Fortdauer muß er wollen, denn sie allein ist ihm das entbindende Mittel, wodurch die kurze Spanne seines Lebens hienieden zu fortdauerndem Leben hienieden ausgedehnt wird. Sein Glaube, und sein Streben, Unvergängliches zu pflanzen, sein Begriff, in welchem er sein eignes Leben als ein ewiges Leben erfaßt, ist das Band, welches zunächst seine Nation, und vermittelst ihrer das ganze Menschengeschlecht, innigst mit ihm selber verknüpft, und ihrer aller Bedürfnisse, bis ans Ende der Tage, einführt in sein erweitertes Herz. Dies ist seine Liebe zu seinem Volke, zuvörderst achtend, vertrauend, desselben sich freuend, mit der Abstammung daraus sich ehrend. Es ist Göttliches in ihm erschienen, und das Ursprüngliche hat dasselbe gewürdigt, es zu seiner Hülle, und zu seinem unmittelbaren Verflößungsmittel in die Welt zu machen; es wird darum auch ferner Göttliches aus ihm hervorbrechen. Sodann tätig, wirksam, sich aufopfernd für dasselbe. Das Leben, bloß als Leben, als Fortsetzen des wechselnden Daseins, hat für ihn ja ohnedies nie Wert gehabt, er hat es nur gewollt als Quelle des Dauernden; aber diese Dauer, verspricht ihm allein die selbständige Fortdauer seiner Nation; um diese zu retten, muß er sogar sterben wollen, damit diese lebe, und er in ihr lebe das einzige Leben, das er von je gemocht hat.

So ist es. Die Liebe, die wahrhaftig Liebe sei, und nicht bloß eine vorübergehende Begehrlichkeit, haftet nie auf Vergänglichem, sondern sie erwacht, und entzündet sich, und ruht allein in dem Ewigen. Nicht einmal sich selbst vermag der Mensch zu lieben, es sei denn, daß er sich als Ewiges erfasse; außerdem vermag er sich sogar nicht zu achten, noch zu billigen. Noch weniger vermag er etwas außer sich zu lieben, außer also, daß er es aufnehme in die Ewigkeit seines Glaubens und seines Gemüts, und es anknüpfe an diese. Wer nicht zuvörderst sich als ewig erblickt, der hat überhaupt keine Liebe, und kann auch nicht lieben ein Vaterland, dergleichen es für ihn nicht gibt. Wer zwar vielleicht sein unsichtbares Leben, nicht aber eben also sein sichtbares Leben, als ewig erblickt, der mag wohl einen Himmel haben, und in diesem sein Vaterland, aber hienieden hat er kein Vaterland, denn auch dieses wird nur unter dem Bilde der Ewigkeit, und zwar der sichtbaren, und versinnlichten Ewigkeit erblickt, und er vermag daher auch nicht sein Vaterland zu lieben. Ist einem solchen keins überliefert worden, so ist er zu beklagen; wem Eins überliefert worden ist, und in wessen Gemüte Himmel und Erde, Unsichtbares, und Sichtbares sich durchdringen, und so erst einen wahren und gediegenen Himmel erschaffen, der kämpft bis auf den letzten Blutstropfen, um den teuren Besitz ungeschmälert wiederum zu überliefern an die Folgezeit.

So ist es auch von jeher gewesen, ohnerachtet es nicht von jeher mit dieser Allgemeinheit, und mit dieser Klarheit ausgesprochen worden. Was begeisterte die Edlen unter den Römern, deren Gesinnungen und Denkweise noch in ihren Denkmalen unter uns leben, und atmen, zu Mühen und Aufopferungen, zum Dulden und Tragen fürs Vaterland? Sie sprechen es selbst oft und deutlich aus. Ihr fester Glaube war es an die ewige Fortdauer ihrer Roma, und ihre zuversichtliche Aussicht, in dieser Ewigkeit selber ewig mit fortzuleben im Strome der Zeit. Inwiefern dieser Glaube Grund hatte, und sie selbst, wenn sie in sich selber vollkommen klar gewesen wären, denselben gefaßt haben würden, hat er sie auch nicht getäuscht. Bis auf diesen Tag lebet das, was wirklich ewig war in ihrer ewigen Roma, und sie mit demselben, in unsrer Mitte fort, und wird in seinen Folgen fortleben bis ans Ende der Tage.

Volk und Vaterland in dieser Bedeutung, als Träger, und Unterpfand der irdischen Ewigkeit, und als dasjenige, was hienieden ewig sein kann, liegt weit hinaus über den Staat, im gewöhnlichen Sinne des Worts, — über die ge¬sellschaftliche Ordnung, wie dieselbe im bloßen klaren Begriffe erfaßt, und nach Anleitung dieses Begriffs errichtet und erhalten wird. Dieser will gewisses Recht, innerlichen Frieden, und daß jeder durch Fleiß seinen Unterhalt, und die Fristung seines sinnlichen Daseins finde, solange Gott sie ihm gewähren will. Dieses alles ist nur Mittel, Bedingung, und Gerüst dessen, was die Vaterlandsliebe eigentlich will, des Ausblühens des Ewigen, und Göttlichen in der Welt, immer reiner, vollkommner und getroffener im unendlichen Fortgange. Eben darum muß diese Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren, als durchaus oberste, letzte, und unabhängige Behörde, zuvörderst, indem sie ihn beschränkt in der Wahl der Mittel für seinen nächsten Zweck, den innerlichen Frieden. Für diesen Zweck muß freilich die natürliche Freiheit des einzelnen auf mancherlei Weise beschränkt werden, und wenn man gar keine andere Rücksicht und Absicht mit ihnen hätte, denn diese, so würde man wohltun, dieselbe so eng, als immer möglich, zu beschränken, alle ihre Regungen unter eine einförmige Regel zu bringen, und sie unter immerwährender Aufsicht zu erhalten. Gesetzt. diese Strenge wäre nicht nötig, so könnte sie wenigstens für diesen alleinigen Zweck nicht schaden. Nur die höhere Ansicht des Menschengeschlechts, und der Völker, erweitert diese beschränkte Berechnung. Freiheit, auch in den Regungen des äußerlichen Lebens, ist der Boden, in welchem die höhere Bildung keimt; eine Gesetzgebung, welche diese letztere im Auge behält, wird der ersteren einen möglichst ausgebreiteten Kreis lassen, selber auf die Gefahr hin, daß ein geringerer Grad der einförmigen Ruhe und Stille erfolge, und daß das Regieren ein wenig schwerer, und mühsamer werde.
Achte Rede, S.125ff. […]

Wird unser äußeres Wirken in hemmende Fesseln geschlagen, laßt uns desto kühner unsern Geist erheben zum Gedanken der Freiheit, zum Leben in diesem Gedanken, zum Wünschen und Begehren nur dieses einigen. Laßt die Freiheit auf einige Zeit verschwinden aus der sichtbaren Welt; geben wir ihr eine Zuflucht im innersten unsrer Gedanken, so lange, bis um uns herum die neue Welt emporwachse, die da Kraft habe, diese Gedanken auch äußerlich darzustellen. Machen wir uns mit demjenigen, was ohne Zweifel unserm Ermessen frei bleiben muß, mit! unserm Gemüte, zum Vorbilde, zur Weissagung, zum Bürgen desjenigen, was nach uns Wirklichkeit werden wird. Lassen wir nur nicht mit unserm Körper zugleich auch unsern Geist niedergebeugt und unterworfen, und in die Gefangenschaft gebracht werden!

Fragt man mich, wie dies zu erreichen sei, so ist darauf die einzige alles in sich fassende Antwort diese: wir müssen eben zur Stelle werden, was wir ohnedies sein sollten, Deutsche. Wir sollen unsern Geist nicht unterwerfen: so müssen wir eben vor allen Dingen einen Geist uns anschaffen, und einen festen und gewissen Geist; wir müssen ernst werden in allen Dingen, und nicht fortfahren bloß leichtsinnigerweise und nur zum Scherze dazusein; wir müssen uns haltbare und unerschütterliche Grundsätze bilden, die allem unsern übrigen Denken, und unserm Handeln zur festen Richtschnur dienen, Leben und Denken muß bei uns aus einem Stücke sein, und ein sich durchdringendes und gediegenes Ganzes; wir müssen in beiden der Natur und der Wahrheit gemäß werden, und die fremden Kunststücke von uns werfen; wir müssen, um es mit einem Worte zu sagen, uns Charakter anschaffen; denn Charakter haben, und deutsch sein, ist ohne Zweifel gleichbedeutend, und die Sache hat in unsrer Sprache keinen besondern Namen, weil sie eben, ohne alle unser Wissen und Besinnung, aus unserm Sein unmittelbar hervorgehen soll.
Zwölfte Rede, S.193 […]

Wer sind denn diejenigen, die es nicht gern hören könnten, und unter welcher Bedingung könnten sie es denn nicht gern hören? Allenthalben ist es nur die Unklarheit und die Finsternis, die da schreckt. Jedes Schreckbild verschwindet, wenn man es fest ins Auge faßt. Lasset uns mit derselben Unbefangenheit und Unumwundenheft, mit der wir bisher jeden in diese Vorträge fallenden Gegenstand zerlegt haben, auch diesem Schrecknisse unter die Augen treten.

Man nimmt an, entweder, daß das Wesen, dem dermalen die Leitung eines großen Teils der Weltangelegenheiten anheimgefallen ist, ein wahrhaft großes Gemüt sei, oder man nimmt das Gegenteil an, und ein Drittes ist nicht möglich. Im ersten Falle, worauf beruht denn alle menschliche Größe, außer auf der Selbständigkeit und Ursprünglichkeit der Person, und daß sie nicht sei ein erkünsteltes Gemächte ihres Zeitalters, sondern ein Gewächs aus der ewigen und ursprünglichen Geisterwelt, ganz so wie es ist, hervorgewachsen, daß ihr eine neue und eigentümliche Ansicht des Weitganzen aufgegangen sei, und daß sie festen Willen habe, und eiserne Kraft, diese ihre Ansicht einzuführen in die Wirklichkeit? Aber es ist schlechthin unmöglich, daß ein solches Gemüt nicht auch außer sich, an Völkern und einzelnen, ehre, was in seinem Innern seine eigne Größe ausmacht, die Selbständigkeit, die Festigkeit, die Eigentümlichkeit des Daseins. So gewiß es sich in seiner Größe fühlt, und derselben vertraut, verschmäht es über armseligen Knechtssinn zu herrschen, und groß zu sein unter Zwergen; es verschmäht den Gedanken, daß es die Menschen erst herabwürdigen müsse, um über sie zu gebieten; es ist gedrückt durch den Anblick des dasselbe umgebenden Verderbens, es tut ihm weh, die Menschen nicht achten zu können; alles aber, was sein verbrüdertes Geschlecht erhebt, veredelt, in ein würdigeres Licht setzt, tut wohl seinem selbst edlen Geiste, und ist sein höchster Genuß. Ein solches Gemüt sollte ungern vernehmen, daß die Erschütterungen, die die Zeiten herbeigeführt haben, benutzt werden, um eine alte ehrwürdige Nation, den Stamm der mehresten Völker des neuen Europa, und die Bildnerin aller, aus dem tiefen Schlummer aufzuregen, und dieselbe zu bewegen, daß sie ein sicheres Verwahrungsmittel ergreife, um sich zu erheben aus dem Verderben, welches dieselbe zugleich sichert, nie wieder herabzusinken, und mit sich selbst zugleich alle übrige Völker zu erheben? Es wird hier nicht angeregt zu ruhestörenden Auftritten; es wird vielmehr vor diesen, als sicher zum Verderben führend, gewarnt, es wird eine feste unwandelbare Grundlage angegeben, worauf endlich in einem Volke der Welt die höchste, reinste, und noch niemals also unter den Menschen gewesene Sittlichkeit aufgebaut, für alle folgende Zeiten gesichert, und von da aus über alle andere Völker verbreitet werde; es wird eine Umschaffung des Menschengeschlechts angegeben aus irdischen und sinnlichen Geschöpfen, zu reinen und edlen Geistern. Durch einen solchen Vorschlag, meint man, könne ein Geist, der selbst rein ist, und edel und groß, oder irgend jemand, der nach ihm sich bildet, beleidiget werden?
Zwölfte Rede, S.202f. […]

Am allertiefsten endlich erniedriget es uns vor dem Auslande, wenn wir uns darauf legen, demselben zu schmeicheln. Ein Teil von uns hat schon früher sich sattsam verächtlich, lächerlich und ekelhaft gemacht, indem sie den vaterländischen Gewalthabern bei jeder Gelegenheit groben Weihrauch darbrachten, und weder Vernunft, noch Anstand, gute Sitte und Geschmack, verschonten, wo sie glaubten, eine Schmeichelrede anbringen zu können. Diese Sitte ist binnen der Zeit abgekommen, und diese Lobeserhebungen haben sich zum Teil in Scheltworte verwandelt. Wir gaben indessen unsern Weihrauchwolken, gleichsam damit wir nicht aus der Übung kämen, eine andere Richtung, nach der Seite hin, wo jetzt die Gewalt ist. Schon das erste, sowohl die Schmeichelei selbst, als daß sie nicht verbeten wurde, mußte jeden ernsthaft denkenden Deutschen schmerzen; doch blieb die Sache unter uns. Wollen wir jetzt auch das Ausland zum Zeugen machen dieser unsrer niedrigen Sucht, sowie zugleich der großen Ungeschicklichkeit, mit welcher wir uns derselben entledigen, und so der Verachtung unsrer Niedrigkeit auch noch den lächerlichen Anblick unsrer Ungelenkigkeit hinzufügen? Es fehlt uns nämlich in dieser Verrichtung an aller dem Ausländer eignen Feinheit; um doch ja nicht überhört zu werden, werden wir plump und übertreibend, und heben mit Vergötterungen, und Versetzungen unter die Gestirne gleich an. Dazu kommt, daß es bei uns das Ansehen hat, als ob es vorzüglich das Schrecken und die Furcht seie, die unsre Lobeserhebungen uns auspressen; aber es ist kein Gegenstand lächerlicher, denn ein Furchtsamer, der die Schönheit und Anmut desjenigen lobpreist, was er in der Tat für ein Ungeheuer hält, das er durch diese Schmeichelei nur bestechen will, ihn nicht zu verschlingen.

Oder sind vielleicht diese Lobpreisungen nicht Schmeichelei, sondern der wahrhafte Ausdruck der Verehrung und Bewunderung, die sie dem großen Genie, das nach ihnen die Angelegenheiten der Menschen leitet, zu zollen genötigt sind? Wie wenig kennen sie auch hier das Gepräge der wahren Größe! Darin ist dieselbe in allen Zeitaltern und unter allen Völkern sich gleich gewesen, daß sie nicht eitel war, so wie umgekehrt von jeher sicherlich klein war, und niedrig, was Eitelkeit zeigte. Der wahrhaften auf sich selber ruhenden Größe gefallen nicht Bildsäulen von der Mitwelt errichtet, oder der Beiname des Großen, und der schreiende Beifall und die Lobpreisungen der Menge; vielmehr weiset sie diese Dinge mit gebührender Verachtung von sich weg, und erwartet ihr Urteil über sich, zunächst von dem eignen Richter in ihrem Innern, und das laute von der richtenden Nachwelt. Auch hat mit derselben immer der Zug sich beisammen gefunden, daß sie das dunkle, und rätselhafte Verhängnis ehrt, und scheut, des stets rollenden Rades des Geschicks eingedenk bleibt, und sich nicht groß oder selig preisen läßt vor ihrem Ende. Also sind jene Lobredner im Widerspruche mit sich selbst, und machen durch die Tat ihrer Worte den Inhalt derselben zur Lüge. Hielten sie den Gegenstand ihrer vorgegebenen Verehrung wirklich für groß; so würden sie sich bescheiden, daß er über ihren Beifall und ihr Lob erhaben sei, und ihn durch ehrfurchtsvolles Stillschweigen ehren. Indem sie sich ein Geschäft daraus machen, ihn zu loben; so zeigen sie dadurch, daß sie ihn in der Tat für klein und niedrig halten, und für so eitel, daß ihre Lobpreisungen ihm gefallen könnten, und daß sie dadurch irgendein Übel von sich zu wenden, oder irgendein Gut sich zu verschaffen vermöchten.

Jener begeisterte Ausruf: welch ein erhabenes Genie, welch eine tiefe Weisheit, welch ein umfassender Plan! — was sagt er denn nun zuletzt aus, wenn man ihn recht ins Auge faßt? Er sagt aus, daß das Genie so groß sei, daß auch wir es vollkommen begreifen, die Weisheit so tief, daß auch wir sie durchschauen, der Plan so umfassend, daß auch wir ihn vollständig nachzubilden vermögen. Er sagt demnach aus, daß der Gelobte ohngefähr von demselben Maße der Größe sei, wie der Lobende, jedoch nicht ganz, indem ja der letzte den ersten vollkommen versteht, und übersieht, und sonach über demselben steht, und, falls er sich nur recht anstrengte, wohl noch etwas Größeres leisten könnte. Man muß eine sehr gute Meinung von sich selbst haben, wenn man glaubt, daß man also auf eine gefällige Weise seinen Hof machen könne; und der Gelobte muß eine sehr geringe von sich haben, wenn er solche Huldigungen mit Wohlgefallen aufnimmt.

Nein, biedere, ernste, gesetzte, deutsche Männer und Landsleute, fern bleibe ein solcher Unverstand von unserm Geiste, und eine solche Besudelung von unsrer zum Ausdrucke des Wahren, gebildeten Sprache! Überlassen wir es dem Auslande, bei jeder neuen Erscheinung mit Erstaunen aufzujauchzen; in jedem Jahrzehente sich einen neuen Maßstab der Größe zu erzeugen, und neue Götter zu erschaffen; und Gotteslästerungen zu reden, um Menschen zu preisen. Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der Ideen, die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei, und von ihnen begeistert; über die lebenden Menschen aber laßt uns das Urteil der richtenden Nachwelt überlassen!
Dreizehnte Rede, S.224ff. […]

Euch Deutsche insgesamt, welchen Platz in der Gesellschaft ihr einnehmen möget, beschwören diese Reden, daß jeder unter euch, der da denken kann, zuvörderst denke über den angeregten Gegenstand, und daß jeder dafür tue, was gerade ihm an seinem Platze am nächsten liegt.

Es vereinigen sich mit diesen Reden, und beschwören euch eure Vorfahren. Denket, daß in meine Stimme sich mischen die Stimmen eurer Ahnen aus der grauen Vorwelt, die mit ihren Leibern sich entgegengestemmt haben der heranströmenden römischen Weltherrschaft, die mit ihrem Blute erkämpft haben die Unabhängigkeit der Berge, Ebenen, und Ströme, welche unter euch den Fremden zur Beute geworden sind. Sie rufen euch zu: vertretet uns, überliefert unser Andenken ebenso ehrenvoll und unbescholten der Nachwelt, wie es auf euch gekommen ist, und wie ihr euch dessen, und der Abstammung von uns, gerühmt habt. Bis jetzt galt unser Widerstand für edel, und groß, und weise, wir schienen die Eingeweihten zu sein, und die Begeisterten, des göttlichen Weltplans. Gehet mit euch unser Geschlecht aus, so verwandelt sich unsre Ehre in Schimpf, und unsre Weisheit in Torheit. Denn sollte der deutsche Stamm einmal untergehen in das Römertum, so war es besser, daß es in das alte geschähe, denn in ein neues. Wir standen Jenem, und besiegten es; ihr seid verstäubt worden vor diesem.

Auch sollt ihr nun, nachdem einmal die Sachen also stehen, sie nicht besiegen mit leiblichen Waffen; nur euer Geist soll sich ihnen gegenüber erheben, und aufrecht stehen. Euch ist das größere Geschick zuteil worden, überhaupt das Reich des Geistes und der Vernunft zu begründen, und die rohe körperliche Gewalt insgesamt, als Beherrschendes der Welt, zu vernichten. Werdet ihr dies tun, dann seid ihr würdig der Abkunft von uns.

Auch mischen in diese Stimmen sich die Geister eurer spätern Vorfahren, die da fielen im heiligen Kampfe für Religions- und Glaubensfreiheit. Rettet auch unsere Ehre, rufen sie euch zu. Uns war nicht ganz klar, wofür wir stritten; außer dem rechtmäßigen Entschlusse, in Sachen des Gewissens durch äußere Gewalt uns nicht gebieten zu lassen, trieb uns noch ein höherer Geist, der uns niemals sich ganz enthüllte. Euch ist er enthüllt, dieser Geist, falls ihr eine Sehkraft habt für die Geisterwelt, und blickt euch an mit hohen klaren Augen. Das bunte und verworrene Gemisch der sinnlichen und geistigen Antriebe durcheinander soll überhaupt der Weltherrschaft entsetzt werden, und der Geist allein, rein, und ausgezogen von allen sinnlichen Antrieben, soll an das Ruder der menschlichen Angelegenheiten treten. Damit diesem Geiste die Freiheit werde, sich zu entwickeln, und zu einem selbständigen Dasein emporzuwachsen, dafür floß unser Blut. An euch ist’s, diesem Opfer seine Bedeutung und seine Rechtfertigung zu geben, indem ihr diesen Geist einsetzt in die ihm bestimmte Weltherrschaft. Erfolgt nicht dieses, als das letzte, worauf alle bisherige Entwickelung unsrer Nation zielte, so werden auch unsre Kämpfe zum vorüberrauschenden leeren Possenspiele, und die von uns erfochtene Geistes- und Gewissenfreiheit ist ein leeres Wort, wenn es von nun an überhaupt nicht länger Geist oder Gewissen geben soll.

Es beschwören euch eure noch ungeborne Nachkommen. Ihr rühmt euch eurer Vorfahren, rufen sie euch zu, und schließt mit Stolz euch an an eine edle Reihe. Sorget, daß bei euch die Kette nicht abreiße: machet, daß auch wir uns eurer rühmen können, und durch euch, als untadeliges Mittelglied hindurch, uns anschließen an dieselbe glorreiche Reihe. Veranlasset nicht, daß wir uns der Abkunft von euch schämen müssen, als einer niedern, barbarischen, sklavischen, daß wir unsre Abstammung verbergen, oder einen fremden Namen, und eine fremde Abkunft erlügen müssen, um nicht sogleich, ohne weitere Prüfung, weggeworfen und zertreten zu werden. Wie das nächste Geschlecht, das von euch ausgehen wird, sein wird, also wird euer Andenken ausfallen in der Geschichte ehrenvoll, wenn dieses ehrenvoll für euch zeugt: sogar über die Gebühr schmählich, wenn ihr keine laute Nachkommenschaft habt, und der Sieger eure Geschichte macht. Noch niemals hat ein Sieger Neigung, oder Kunde genug gehabt, um die Überwundenen gerecht zu beurteilen. Je mehr er sie herabwürdigt, desto gerechter steht er selbst da. Wer kann wissen, welche Großtaten, welche treffliche Einrichtungen, welche edle Sitten, manches Volkes der Vorwelt, in Vergessenheit geraten sind, weil die Nachkommen unterjocht wurden, und der Überwinder, seinen Zwecken gemäß, unwidersprochen, Bericht über sie erstattete.

Es beschwöret euch selbst das Ausland, inwiefern dasselbe nur noch im mindesten sich selbst versteht, und noch ein Auge hat für seinen wahren Vorteil. Ja, es gibt noch unter allen Völkern Gemüter, die noch immer nicht glauben können, daß die großen Verheißungen eines Reichs des Rechts, der Vernunft, und der Wahrheit, an das Menschengeschlecht, eitel und ein leeres Trugbild seien, und die daher annehmen, daß die gegenwärtige eiserne Zeit nur ein Durchgang sei zu einem bessern Zustande. Diese, und in ihnen die gesamte neuere Menschheit, rechnet auf euch. Ein großer Teil derselben stammt ab von uns, die übrigen haben von uns Religion und jedwede Bildung erhalten. Jene beschwören uns bei dem gemeinsamen vaterländischen Boden, auch ihrer Wiege, den sie uns frei hinterlassen haben; diese bei der Bildung, die sie von uns, als Unterpfand eines höhern Glücks, bekommen haben, — uns selbst auch für sie, und um ihrer willen zu erhalten, so wie wir immer gewesen sind, aus dem Zusammenhange des neu entsprossenen Geschlechts nicht dieses ihm so wichtige Glied herausreißen zu lassen, damit, wenn sie einst unsers Rates, unsers Beispiels, unsrer Mitwirkung gegen das wahre Ziel des Erdenlebens hin bedürfen, sie uns nicht schmerzlich vermissen.

Alle Zeitalter, alle Weise und Gute, die jemals auf dieser Erde geatmet haben, alle ihre Gedanken und Ahnungen eines Höhern, mischen sich in diese Stimmen, und umringen euch, und heben flehende Hände zu euch auf; selbst, wenn man so sagen darf, die Vorsehung, und der göttliche Weltplan bei Erschaffung eines Menschengeschlechts, der ja nur da ist, um von Menschen gedacht, und durch Menschen in die Wirklichkeit eingeführt zu werden, beschwöret euch, seine Ehre und sein Dasein zu retten. Ob jene, die da glaubten, es müsse immer besser werden mit der Menschheit, und die Gedanken einer Ordnung und einer Würde derselben seien keine leeren Träume, sondern die Weissagung und das Unterpfand der einstigen Wirklichkeit, recht behalten sollen, oder diejenigen, die in ihrem Tier- und Pflanzenleben hinschlummern, und jedes Auffluges in höhere Welten spotten — darüber ein letztes Endurteil zu begründen, ist euch anheimgefallen. Die alte Welt mit ihrer Herrlichkeit und Größe, sowie mit ihren Mängeln, ist versunken, durch die eigne Unwürde, und durch die Gewalt eurer Väter. Ist in dem, was in diesen Reden dargelegt worden, Wahrheit, so seid unter allen neuren Völkern ihr es, in denen der Keim der menschlichen Vervollkommnung am entschiedensten liegt, und denen der Vorschritt in der Entwicklung derselben aufgetragen ist. Gehet ihr in dieser eurer Wesenheit zugrunde, so gehet mit euch zugleich alle Hoffnung des gesamten Menschengeschlechts auf Rettung aus der Tiefe seiner Übel zugrunde. Hoffet nicht, und tröstet euch nicht, mit der aus der Luft gegriffenen, auf bloße Wiederholung der schon eingetretenen Fälle rechnenden Meinung, daß ein zweites Mal, nach Untergang der alten Bildung, eine neue, auf den Trümmern der ersten, aus einer halb barbarischen Nation, hervorgehen werde. In der alten Zeit war ein solches Volk, mit allen Erfordernissen zu dieser Bestimmung ausgestattet, vorhanden, und war dem Volke der Bildung recht wohl bekannt, und ist von ihnen beschrieben; und diese selbst, wenn sie den Fall ihres Unterganges zu setzen vermocht hätten, würden an diesem Volke das Mittel der Wiederherstellung haben entdecken können. Auch uns ist die gesamte Oberfläche der Erde recht wohl bekannt, und alle die Völker, die auf derselben leben. Kennen wir denn nun ein solches, dem Stammvolke der neuen Welt ähnliches Volk, von welchem die gleichen Erwartungen sich fassen ließen? Ich denke, jeder, der nur nicht bloß schwärmerisch meint und hofft, sondern gründlich untersuchend denkt, werde diese Frage mit Nein beantworten müssen. Es ist daher kein Ausweg: wenn ihr versinkt, so versinkt die ganze Mensch¬heit mit, ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung.

Dies war es, was ich Ihnen, als meinen Stellvertretern der Nation, und durch Sie der gesamten Nation, am Schlusse dieser Reden noch einschärfen wollte, und sollte.
Vierzehnte Rede, S.242ff.
Aus: Johann Gottlieb Fichte: Reden an die deutsche Nation, Philosophische Bibliothek Band 204, Felix Meiner Verlag Hamburg

Übernimmt nicht der Deutsche durch Wissenschaft die Regierung der Welt, so werden zum Beschlusse von allerhand Plackereien außereuropäische Nationen, die nordamerikanischen Stämme, sie übernehmen, und mit dem dermaligen Wesen ein Ende machen; aber Ihr werdet bis dahin unter jeder Veränderung in sicherer Ehre und Wohlstand blühen; denn die Torheit ist allenthalben beliebt, und wenn der Deutsche sie nicht abschüttelt, so schüttelt sicher keine andere europäische Nation sie ab, und Europa wird zu einer einzigen kontinenten Torheit und Unwissenheit.
Aus: Johann Gottlieb Fichte, Der Patriotismus und sein Gegenteil (Roselius: Fichte für heute, S.35)

Das Leben ist die Totalität des objektiven Vernunftwesens
Fragment (Beilage zum Brief vom 22. April 1799 an Karl Leonhard Reinhold)
Ich muß an das Wesen der Transzendentalphilosophie wieder erinnern und ersuche das philosophische Publikum, diese Erinnerung die letzte sein zu lassen.

Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des Denkens; den des natürlichen und gemeinen, da man UNMITTELBAR OBJEKTE DENKT, und den des vorzugsweise sogenannten künstlichen, da man mit Absicht und Bewußtsein sein DENKEN selbst denkt. Auf dem ersten steht das gemeine Leben und die Wissenschaft (materialiter sic dicta), auf dem zweiten die Transzendentalphilosophie, die ich eben deswegen Wissenschaftslehre, Theorie und Wissenschaft alles Wissens (keineswegs aber selbst ein reelles und objektives Wissen) genannt habe. Die philosophischen Systeme vor Kant kannten großenteils ihren Standpunkt nicht recht und schwankten hin und her zwischen den beiden soeben angegebenen. Das unmittelbar vor Kant herrschende Wolfisch-Baumgartensche System stellte sich mit seinem guten Bewußtsein in den Standpunkt des gemeinen Denkens und hatte nichts Geringeres zur Absicht, als die Sphäre desselben zu erweitern und durch die Kraft seiner Syllogismen neue Objekte des natürlichen Denkens zu erschaffen.

Diesem Systeme ist das unsrige darin gerade entgegengesetzt, daß es die Möglichkeit, ein für das Leben und die (materielle) Wissenschaft gültiges Objekt durch das bloße Denken hervorzubringen, gänzlich ableugnet und nichts für reell gelten läßt, das sich nicht alleine auf eine innere oder äußere Wahrnehmung gründet. In dieser Rücksicht, inwiefern die Metaphysik das System reeller durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse sein soll, leugnet z. B, Kant, und ich mit ihm die Möglichkeit der Metaphysik gänzlich; er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel ausgerottet zu haben, und es wird, da noch kein verständiges oder verständliches Wort vorgebracht worden, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Bewenden haben.

Unser System, indem es die Erweiterungen anderer zurückweiset, läßt sich ebensowenig einfallen, selbst an seinem Teile das gemeine und allein reelle Denken erweitern zu wollen: sondern es will dasselbe lediglich erschöpfend umfassen und. darstellen. — Unser philosophisches Denken bedeutet nichts und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in seinem Denken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser philosophisches Denken ist lediglich das Instrument, durch welches wir unser Werk zusammensetzen. Ist das Werk fertig, so wird das Instrument als unnütz weggeworfen.

Wir setzen vor den Augen der Zuschauer das Modell eines Körpers aus den Modellen seiner einzelnen Teile zusammen. Ihr überfallt uns mitten in der Arbeit und ruft: Seht da das nackte Gerippe; soll nur dies ein Körper sein? — Nein, gute Leute, es soll kein Körper sein, sondern nur sein Geripp. — Nur dadurch wird unser Unterricht verständlich, daß wir einzeln Teil an Teil, einen nach dem andern, anfügen; und deswegen allein haben wir die Arbeit unternommen. Wartet ein wenig, so werden wir dieses Gerippe mit Adern und Muskeln und Haut bekleiden.

Wir sind jetzt fertig, und ihr ruft: nun so laßt doch diesen Körper sich bewegen, sprechen, das Blut in seinen Adern zirkulieren; mit einem Worte: laßt ihn leben! Ihr habt abermals unrecht. Wir haben nie vorgegeben, dies zu vermögen. Leben gibt nur die Natur, nicht die Kunst; das wissen wir sehr wohl und glauben gerade dadurch vor gewissen andern Philosophien zu unserm Vorteile uns auszuzeichnen, daß wir es wissen. — Wenn wir irgendeinen Teil anders bilden, als er in der wirklichen Natur ist, irgendeinen hinzutun, irgendeinen mangeln lassen, dann haben wir unrecht; und darauf müßt ihr sehen, wenn ihr uns einen verständigen Tadel oder Lob erteilen wollt.

Der lebendige Körper, den wir nachbilden, ist das gemeine reelle Bewußtsein. Das allmählige Zusammenfügen seiner Teile sind unsre Deduktionen, die nur Schritt für Schritt fortrücken können. Ehe nicht das ganze System vollendet dasteht, ist alles, was wir vortragen können, nur ein Teil. Die Teile, auf welche dieser letztere sich stützt, müssen freilich schon vor euch liegen; sonst haben wir keine Methode; aber es ist nicht notwendig, daß sie in derselben Schrift vor euch liegen, die ihr jetzt eben leset; wir setzen euch als bekannt mit unsern vorherigen Schriften voraus. Wir können nicht alles auf einmal sagen. — Was aber auf den jetzt eben euch vorgelegten Teil folge, das habt ihr zu erwarten; falls ihr nicht etwa es selbst zu finden versteht.

Wenn wir aber auch, und wo wir vollendet haben und bis zum vollständigen reellen und gemeinen Denken fortgerückt sind (wir haben es in mehrern Religionen des Bewußtseins, nur noch nicht in der Religionsphilosophie), ist dasselbe, so wie es in unsrer Philosophie vorkommt, doch selbst kein reelles Denken, sondern nur eine Beschreibung und Darstellung des reellen Denkens.

Ausdrücklich und ganz bestimmt durch das Nichtphilosophieren, d.h. dadurch, daß man zur philosophischen Abstraktion sich entweder nie erhoben hat oder von der Höhe derselben sich wieder in den Mechanismus des Lebens herabläßt, entsteht uns alle Realität; und umgekehrt, so wie man sich zur reinen Spekulation erhebt, verschwindet diese Realität notwendig, weil man sich von dem, worauf sie sich gründet, dem Mechanismus des Denkens, befreit hat. Nun ist das Leben Zweck, keineswegs das Spekulieren; das letztere ist mir Mittel. Und es ist nicht einmal Mittel, das Leben zu bilden, denn es liegt in einer ganz andern Welt, und was auf das Leben Einfluß haben soll, muß selbst aus dem Leben hervorgegangen sein. Es ist nur Mittel, das Leben zu erkennen.

Worin man befangen ist, was man selbst ist, das kann man nicht erkennen. Man muß aus ihm herausgehen, auf einen Standpunkt außerhalb desselben sich versetzen. Dieses Herausgehen aus dem wirklichen Leben, dieser Standpunkt außerhalb desselben ist die Spekulation. Nur inwieferne es diese zwei verschiedene Standpunkte gab, diesen höhern über das Leben neben dem des Lebens, ist es dem Menschen möglich, sich selbst zu erkennen. Man kann leben und vielleicht ganz gemäß der Vernunft leben, ohne zu spekulieren; denn man kann leben, ohne das Leben zu erkennen; aber man kann nicht das Leben erkennen, ohne zu spekulieren.

Kurz - die durch das ganze Vernunftsystem hindurchgehende, auf die ursprüngliche Duplizität des Subjekt — Objekt sich gründende Duplizität ist hier auf ihrer höchsten Stufe. Das LEBEN ist die TOTALITÄT des OBJEKTIVEN VERNUNFTWESENS; die SPEKULATION die TOTALITÄT des SUBJEKTIVEN. Eins ist nicht möglich ohne das andere: das LEBEN, als tätiges Hingeben in den Mechanismus, nicht OHNE DIE TÄTIGKEIT UND FREIHEIT (sonst Spekulation), die sich hingibt; kommt sie auch gleich nicht bei jedem Individuo zum deutlichen Bewußtsein; die SPEKULATION nicht ohne DAS LEBEN, VON WELCHEM SIE ABSTRAHIERT. Beide, Leben und Spekulation, sind nur durch einander bestimmbar. LEBEN ist ganz eigentlich NICHTPHILOSOPHIEREN; PHILOSOPHIEREN ist ganz eigentlich NICHT-LEBEN; und ich kenne keine treffendere Bestimmung beider Begriffe als diese. — Es ist hier eine vollkommene Antithesis und ein Vereinigungspunkt ist ebenso unmöglich als das Auffassen des X, das dem Subjekt—Objekt, Ich, zugrunde liegt; außer dem Bewußtsein des wirklichen Philosophen, daß es für ihn beide Standpunkte gebe. S. 234-237
Aus: Johann Gottlieb Fichte, Briefe. Herausgegeben von Manfred Buhr. Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1986